Where the Clouds Move Faster - Kathinka Engel - E-Book
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Where the Clouds Move Faster E-Book

Kathinka Engel

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Beschreibung

Dunkle Wolken und stürmische Gefühle Effie ist immer guter Laune. Doch jedes Jahr zu ihrem Geburtstag wird sie von einer tiefen Traurigkeit geplagt und zieht sie sich in ein kleines Cottage an der Küste zurück. Aber in diesem Jahr ist bereits ein Gast dort, und der weigert sich, nach einer anderen Bleibe zu suchen. Spontan beschließen die beiden, sich falsche Namen zu geben und ein paar Tage gemeinsam zu verbringen. Durch die Anonymität können sie einander viel mehr anvertrauen, als es ihnen sonst je möglich gewesen wäre. Bis sie zurück in ihre normalen Leben müssen und ihre Traumblase zu zerplatzen droht. Band 3 der Shetland-Love-Reihe von Spiegel-Bestsellerautorin Kathinka Engel. Leserstimmen zum ersten Band der Reihe, »Where the Roots Grow Stronger«: - »Ich bin verliebt! In Shetland, in Connal, in diese Geschichte, in die ich so tief eingetaucht bin, dass ich den Wind in den Haaren gespürt habe und die salzige Meeresluft riechen konnte. Einfühlsam, sanft und so herzerwärmend!« Spiegel-Bestsellerautorin Lilly Lucas - »Eine schmerzhafte Liebe, Shetlands raue Naturkulisse und drei starke Frauenfiguren – ein kluger und mitreißender NA-Roman!« @ant1heldin - »›Where the Roots Grow Stronger‹ ist der absolute Wahnsinn. Ein New-Adult-Roman, der emotional, ehrlich und hoffnungsvoll zugleich ist! Ich habe jetzt schon Sehnsucht nach Schottland.« @lauraslesestunde - »Ein großartiger Reihenauftakt! Ehrlich, authentisch, ernst und trotzdem cozy.« @inas.little.bakeryPerfekte Lektüre … … für die LeserInnen von Kelly Moran, Lilly Lucas und Kira Mohn. … für alle, die sich nach tiefen Gefühlen sehnen. … zum Herzerwärmen. … zum Davonträumen und Abtauchen. … für ein paar gefühlvoll-prickelnde Stunden. … für kalte Herbsttage. Kathinka Engel kennt die Buchwelt aus verschiedensten Perspektiven: Als leidenschaftliche Leserin studierte sie allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft, arbeitete für eine Literaturagentur, ein Literaturmagazin und als Redakteurin, Übersetzerin und Lektorin für verschiedene Verlage. Mit ihrem Debüt »Finde mich. Jetzt« schaffte sie es aus dem Stand auf die Spiegel-Bestsellerliste.

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.

Redaktion: Michelle Gyo

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Coverabbildung: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Hinweis

Widmung

1

2 – Effie mit fünf Jahren

3

20. 6.

4

5

18. 6.

6

7

8

19. 6.

9

10 – Effie mit sieben Jahren

11

20. 6.

12

13

14

15

22. 6.

16

17

23. 6.

18

19

20

21

25. 6.

22

23

27. 6.

24

28. 6.

25

26

29. 6.

27

28

30. 6. (oder besser gesagt 1. 7.)

29

30 – Effie mit zehn Jahren

31

23. 7.

32

33

7. 8.

34

10. 8.

35

36

10. 8.

37

38

39 – Effie mit elf Jahren

40

13. 8.

41

42

43

Danksagung

Triggerwarnung

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Liebe LeserInnen,

»Where the Clouds Move Faster« enthält Themen, die triggern können. Deshalb findet ihr am Buchende eine Triggerwarnung[1].

Achtung: Diese beinhaltet Spoiler für die gesamte Geschichte. Wir wünschen euch allen das bestmögliche Leseerlebnis.

Eure Kathinkaund euer Heartbeats-by-Piper-Team

 

Für Helena.

You’re the Friedrichs to my Hain.

(Weil Kuchen. Weil Glühwein auf dem Boden. Weil Haareschneiden. Weil Staubsauger. Weil Sticker. Weil Obi. Weil Warschauer Straße. Weil Weihnachten. Weil Postfach. Weil kein Einkaufswagen. Weil »du-hu, Frau Hofmann«. Weil du. Und noch mal weil Kuchen.)

1

That’s not what he said. Nein. Nope. Mh-mh. Unter keinen Umständen hat er das gerade gesagt. Das geht nicht. Das kann nicht sein. Das darf nicht sein.

»Und ich weiß, dass dich das vielleicht überrascht und im ersten Moment überfordert. Ich bin mir ja nicht mal sicher, ob du auf Männer stehst. Hab dich irgendwie noch nie mit jemandem zusammen gesehen. Also dachte ich, Erwin, fass dir endlich ein Herz, und sag ihr, was du fühlst. Denn vielleicht hab ich ja Glück, und dir geht’s auch so. Oder du denkst wenigstens drüber nach. Oder …«

Er sieht mich direkt an, und mein erschrockener Gesichtsausdruck bringt ihn für einen Moment aus dem Konzept. Zurückspulen.

»Okay, du wirkst nicht, als würde es dir auch so gehen«, sagt er etwas leiser. Betreten blickt er wieder auf die Tischplatte.

Erwin, spul zurück, und sprich es einfach nicht aus.

Ich beginne langsam den Kopf zu schütteln. Hin und her. Hin und her. Nein. Einfach nein. Bitte nein. Warum? Warum muss er alles kaputt machen? Warum kann er seine blöden Gefühle nicht einfach runterschlucken? Das ist natürlich ungerecht, das weiß ich. Trotzdem kann ich nichts gegen diese Gedanken tun. Denn das hier ist kein Happy End. Nicht für ihn, nicht für mich. Es macht alles kompliziert. Macht es anders. Macht es …

»Erwin …« Was tut man denn in so einer Situation? Schreiend wegrennen wird es wohl kaum sein. Was sagt man? Was kann man überhaupt tun? Wo ist diese Rewind-Taste?

Ich bin froh, dass Erwin einen öffentlichen Raum für dieses Gespräch ausgewählt hat. Der Hideout, unser Stammpub im Zentrum von Lerwick, ist die perfekte Mischung aus intimem zweitem Wohnzimmer und dennoch neutralem Gebiet. Auch wenn er ab jetzt für immer mit diesem Gespräch verknüpft sein wird. Unweigerlich. Mit Erwins brechendem Herz und meinem, das nun ebenfalls angeknackst ist.

»Effie, vielleicht darf ich noch eine Sache sagen? Bevor ich mich verkrieche?« Er versucht sich an einem Lächeln, aber es sieht so traurig aus, dass es in meinem Inneren richtig heftig sticht. Wie muss es dann erst in seinem aussehen? »Ich glaube, ich kenne dich ein bisschen. Und ich glaube, ich wäre richtig gut für dich. Wir zusammen. Wir wären richtig gut.« Ich kann sehen, dass da Hoffnung in seinem Blick ist. Hoffnung, gegen die er sich selbst wehrt. O Himmel, wie weh das alles tut!

»Aber wir waren doch schon gut zusammen«, sage ich halb erstickt.

»Zusammen zusammen. Richtig zusammen. Mit Küssen. Mit … Liebe.«

»Da war doch schon Liebe.« Meine Stimme ist ganz leise. Küsse. Es klingt so schön. Allerdings weiß ich gleichzeitig, dass das nicht geht. Es spielt keine Rolle, ob ich es will. Tatsache ist, dass ich es nicht kann. Und dabei bleibt es.

»Romantische Liebe, Effie. Ich glaube, ich könnte dich wirklich glücklich machen. Und ja, ich weiß, dass du gleich sagen wirst, du bist ja schon unverschämt glücklich. Aber ich würde jeden Tag versuchen, dich noch glücklicher zu machen. Ich würde alles für dich tun. Alles. Was immer du dir wünschst. Was immer du brauchst, ich gebe es dir. Ich bin ein echt guter Kerl, glaube ich. Zumindest versuche ich …«

»Das weiß ich«, unterbreche ich ihn. »Erwin, das weiß ich doch alles.« Ich sehe ihn an. Meinen wunderbaren Freund, der nun leidet. Meinetwegen. Ich will das nicht, aber es gibt keine andere Möglichkeit.

»Ja, ich weiß, dass du das weißt. Ich möchte nur, dass du außerdem weißt, dass du das volle Programm von mir kriegen würdest. Alles.« Er sieht wieder auf. Da ist immer noch ein bisschen Hoffnung in seinem Blick. Das macht es noch viel schlimmer. »Du kriegst alles. Und wenn ich es nicht habe, dann besorge ich es. Schaff’s mir drauf. Was immer.«

»Erwin …« Ich sehe den Schmerz in seinen Augen, fühle den Schmerz in mir.

»O Gott.« Seine Stimme bricht. »Jetzt passiert es, oder? Jetzt zerschmetterst du mich.«

Meine Eingeweide sind eine fest zusammengekrampfte Masse. »Ich will dich nicht zerschmettern. Ich will, dass es dir gut geht. Ich will, dass du der fröhliche Erwin bist. Mein fröhlicher Freund Erwin. Aber eben nicht mein fröhlicher fester Freund Erwin.«

»Shit.« Er nickt. »Es ist nicht so, als hätte ich nicht auch ein bisschen damit gerechnet.« Seine Schultern sacken herab, seine Nasenflügel beben, und er nimmt einen Schluck Ale. Dann atmet er tief ein, als müsste er sich überwinden, weiterzusprechen. Ich fühle es so sehr. Fühle so sehr mit ihm. Was immer ihn zerschmettert, zerschmettert auch mich. »Du musst mir nichts erklären. Nur wenn du willst. Aber … gibt es einen Grund?«

Ich rutsche auf dem knarzenden Stuhl herum. Denn es ist nicht so einfach. Es ist sogar ein bisschen verflixt. »Es ist kompliziert«, sage ich und weiß im nächsten Moment, dass dieser Satz in keiner Welt jemals ausreicht. Nicht, nachdem Erwin mir gerade sein Herz ausgeschüttet hat. Auf eine so bezaubernde Weise, dass ich wirklich, wirklich wünschte, ich könnte mit ihm zusammen sein.

Erwin lacht müde. »Es liegt nicht an mir, es liegt an dir?«

»Nein, so meine ich das nicht.«

»Wie denn dann, Effie?« Er fasst an seinem Pintglas vorbei über den glänzend lackierten Holztisch und legt seine Hand auf meine. Sie ist warm. Bekannt. Ich erwidere die Berührung, und unsere Finger verweben sich ineinander. Auf freundschaftliche Art.

»Ich kann nicht mit dir zusammen sein.« Ich schlucke. »Du bist mein Zuhause. Du bist meine Familie. Du und die ganze Insel.«

»Ich glaub, ehrlich gesagt, nicht, dass ich deine Familie bin«, erwidert Erwin. »Oder zumindest hoffe ich das, sonst wären die Gefühle für dich ziemlich falsch.«

Sind sie ja auch, würde ich am liebsten sagen, doch wie soll er das verstehen? Dennoch muss ich versuchen, es ihm zu erklären. Wenigstens das bin ich ihm schuldig. »Die Gefahr, dass es nicht gut ausgeht, ist zu groß.« Unsere Blicke treffen sich. Er sieht so niedergeschlagen aus, dass ich ihn am liebsten in den Arm nehmen würde. Aber vermutlich macht es das für ihn nur noch schlimmer. So begnüge ich mich damit, seine Hand einmal fest zu drücken.

»Das würde es nicht.« Er klingt so sicher. Aber er kann sich nicht sicher sein. Niemand kann das.

»Ich kann das Risiko nicht eingehen, Erwin.« Mein Blick flackert zur Bar. Flackert zu dem Platz, an dem mein Dad immer saß. Ganz links. Ihn dort zu sehen, vor meinem inneren Auge, ist mir eigentlich Mahnung genug. Und in diesem Moment sehe ich noch jemand anderen dort. Mich selbst. Mich, die endet wie er. Die Konsequenzen, wenn es nicht gut ausgeht.

»Meinst du das ernst?« Er klingt nicht verurteilend. Oder aburteilend. Er ist … einfach nur verwundert. Und ich kann es ihm nicht verübeln. Schließlich muss es ziemlich seltsam klingen, wenn man nicht in meinen Kopf gucken kann. Wenn man nicht weiß, was ich weiß. Wenn man nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt ist.

Ich nicke. »Ja.«

»Aber – und hier geht’s jetzt gar nicht mehr um mich, sondern ganz allgemein, Effie – verschließt du dich nicht vor etwas Schönem? Vor einem Happy End?«

»Gleichzeitig schütze ich mich vor einem Unhappy End.« Und ein Unhappy End kann ich nicht. Kann ich nicht ertragen, kann ich nicht durchmachen, kann ich nicht … Ich kann es einfach nicht. Punkt. Denn ich habe gesehen, was es mit Leuten wie mir macht. Mit Leuten wie mir und meinem Dad.

»Ist das der Grund, warum du nie mit jemandem zusammen bist?«, fragt er, und ich nicke langsam.

Ich fühle mich seltsam ertappt, aber gleichzeitig ist Erwin mein Freund. Er darf diese Dinge über mich wissen. Und in diesem Moment muss er sie vielleicht sogar wissen. »Für mich ist es wichtig, dass die Dinge bleiben, wie sie sind.« Wieder geht mein Blick zur Bar. Ich sehe seinen vor Trauer gebeugten Rücken. Sehe seine grauen, strähnigen Haare. Sehe die leeren, glasigen Augen. »Alle sollen genau da bleiben, wo sie sind.«

Erwin folgt meinem Blick, und ich glaube, er weiß, dass ich an meinen Dad denke. »Aber du musst doch nicht … Ich meine, ausgerechnet du …«

Ich weiß genau, was er sagen will. Ausgerechnet du, Effie. Du, die du immer guter Laune bist. Du, die du alle anderen mit deiner übersprudelnden Glückseligkeit ansteckst. Du, deren Leben eine stetige Aneinanderreihung von Happy Ends ist. Warum sollte jemand wie ich Angst vor Unhappy Ends haben?

»Ich weiß«, sage ich leise. »Ich weiß, Erwin.«

»Ich respektiere deine Entscheidung, Effie. Auch wenn …« Er kneift für einen Moment die Augen zusammen, als wären die Schmerzen zu groß, als könne er es nicht aushalten. »Auch wenn’s gerade so hart wehtut, dass ich mich vielleicht erst mal übergeben muss.«

»Ach, Erwin.« Meine Stimme ist ganz hoch. »Wenn ich was tun kann …«

Er zieht meine Hand, die immer noch mit seiner verschränkt ist, zu sich und presst seine Lippen darauf. Dann seufzt er so herzzerreißend, dass meine Augen auf einmal anfangen, zu brennen. »Nee, lass mal«, sagt er. »Vielleicht sollte ich besser nach Hause gehen.«

»Ach, Erwin«, sage ich wieder, und meine Stimme zittert. »Wir können auch noch ein bisschen hier sitzen und zusammen traurig sein.«

»Ich will nicht, dass du traurig bist. Das ist wirklich das Allerletzte, was ich will. Und mir ist im Moment, ehrlich gesagt, deutlich mehr nach Embryonalstellung und ein bisschen Weinen.«

»Erwin …« In meiner Stimme liegt ein Flehen, aber es ist völlig sinnlos. Nichts, was ich sagen kann, macht Erwins Kummer besser.

»Ist schon in Ordnung. Also, nein, weit davon entfernt.« Wieder ist da dieses freudlose Lächeln auf seinen Lippen. »Ich bin ja selbst schuld. Ich wusste, dass du wahrscheinlich nicht dasselbe für mich empfindest. Ich konnte allerdings wirklich keine Sekunde länger so tun, als wärst du nicht das wunderbarste Mädchen auf der ganzen Welt für mich. Zugrunde gegangen wäre ich also auf die eine oder die andere Art.«

»Es tut mir so leid«, sage ich. Von ganzem Herzen.

»Ach Quatsch.« Er erhebt sich. »Mir tut es leid.«

»Dir muss doch nun wirklich nichts leidtun.«

»Mir tut es leid, dass wir uns erst mal nicht mehr sehen können. Denn das schaffe ich wohl nicht, glaube ich.«

»Oh.«

»Ich dachte, es ist weniger schmerzhaft, wenn ich weiß, woran ich bin. Wenn ich wenigstens mal gesagt habe, was Sache ist. Erstaunlicherweise stellt sich jetzt heraus, dass das nicht mal im Ansatz stimmt. Es tut noch viel mehr weh als die Jahre vorher.«

»Die Jahre?« Ich wünsche mir so sehr, dass ich ihn falsch verstanden habe. Oder dass er einfach melodramatisch ist. Aber Erwin ist weder melodramatisch, noch hat er Probleme, sich zu artikulieren.

»Schön blöd, oder?«

»Du bist alles andere als blöd.«

»Na ja. Bis vorhin war ich einfach nur heimlich verliebt in Effie Linklater. Jetzt bin ich öffentlich verliebt in Effie Linklater und kann sie erst mal nicht mehr sehen. Doppelt blöd.«

»Und ich kann dich auch nicht mehr sehen«, sage ich und schlucke an dem dicken Kloß in meinem Hals vorbei.

»Dreifach blöd. Vierfach sogar, wenn man bedenkt, dass du bald Geburtstag hast.«

»Du weißt, dass ich meinen Geburtstag nicht feiern will.« Keine Geschenke, keine Party, keine Gratulationen. Wie jedes Jahr wünsche ich mir einfach nur, dass mein Geburtstag und die damit verbundenen schweren Gedanken, die mich wie dunkle Wolken einhüllen, vorbeigehen.

»Und du weißt, dass ich es trotzdem jedes Jahr versuche. Außerdem hast du auch eine Liebeserklärung gekriegt, obwohl du sie nicht wolltest. Scheint also, als hätte ich vorhin gelogen, als ich gesagt habe, ich geb dir alles, was du willst. Scheint so, als würde ich dir einfach alles geben. Was du willst, was ich will, was ich nicht will und trotzdem geben muss, weil mein Kopf so ein blöder Mobber ist.«

Jetzt lachen wir beide. Ein bisschen gelöster, aber Erwins Gesichtsausdruck ist im nächsten Moment schon wieder herzzerreißend.

»Okay, Effie. Ich geh dann mal meine Wunden lecken.«

Ich stehe ebenfalls von unserem Tisch auf, um ihn zum Abschied zu umarmen. Doch er weicht einen Schritt zurück, streckt abwehrend einen Arm aus.

»Bitte nicht«, sagt er krächzend, und vielleicht muss auch ich nachher mein Herz zusammenkratzen.

Er geht an mir vorbei. An den Tischen, von denen an diesem späten Nachmittag nur ein paar besetzt sind. Am Tresen, hinter dem Joseph Garrioch, der Besitzer des Hideout, ein Glas abtrocknet. An den beiden alten Männern, die, wie mein Dad früher, jeden Tag an der Bar sitzen – meist schweigend, immer ein Pint vor sich. Der Teppichboden des Pubs dämpft Erwins Schritte, und ich sehe ihm nach, wie er mit hängenden Schultern und hängendem Kopf zur Tür geht. Er legt seine Hand auf den Knauf. Dann hält er kurz inne. Dreht sich um. Er sieht mich an – und ist im nächsten Moment mit ein paar großen Schritten wieder bei mir, um mich in eine feste Umarmung zu ziehen.

»Scheiß drauf«, sagt er und drückt mich eng an sich. Er vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren und atmet zitternd aus. »Noch schlimmer kann’s mir eh nicht gehen.«

Ich kann nicht verhindern, dass mir eine Träne die Wange hinabkullert. Beinahe kommt es mir falsch vor, dass ich nun auch noch weine. Erwin ist derjenige, der am Boden zerstört ist. Aber allein dieses Wissen reicht, um ebenfalls tiefe Verzweiflung zu spüren.

»Und Effie?«

»Hm?« Ich bin immer noch an seine Brust gedrückt, spüre seinen schnellen Herzschlag.

»Wenn was ist, bin ich auf jeden Fall trotzdem für dich da.«

»Das gilt andersrum genauso«, sage ich.

»Okay, sehr gut.« Er hält mich eine Armlänge von sich weg. »Denn weißt du, was? Ich hab gerade meiner besten Freundin gesagt, dass ich in sie verliebt bin, und jetzt ist mein Herz gebrochen. Scheiße, was?«

»Richtig scheiße«, sage ich.

Mit einem leisen Lachen lösen wir uns voneinander, und diesmal geht Erwin tatsächlich. Ich lasse mich zurück auf den Stuhl sinken. Das Ale, das Erwin vor mich gestellt hat mit den Worten, er müsse mir etwas sagen, etwas Wichtiges, und ich müsse ihn ausreden lassen, weil er sonst nie den Mut aufbringen würde, steht noch fast unberührt da. Erwins ist leer. Ich nehme einen Schluck, versuche gegen dieses beklemmende Gefühl von Verlust und gleichzeitigem Nicht-aus-meiner-Haut-Können anzuschlucken. Und anzuatmen. Gegen die Traurigkeit, die ich überall in meinem ganzen Körper spüre, als würde sie mich lähmen. Mir die Luft abschneiden. Alles erdrücken.

2 – Effie mit fünf Jahren

Draußen ist es dunkel. Und es ist kalt. Marigold besteht sogar tagsüber auf Mütze und Schal, und deswegen hält Effie sich auch jetzt daran. Als könnte die Tatsache, dass sie das eine befolgt, den anderen Regelbruch aufwiegen. Denn dass sie nachts nicht mehr raus darf, weiß Effie. Und sie weiß auch, dass sie Licht machen müsste, um ihre Schuhe zu binden, doch das traut sie sich nicht. Es war riskant genug, sich an ihren schlafenden Schwestern vorbeizustehlen. Aber sie hat es geschafft. Und jetzt kann niemand sie aufhalten.

Sie legt die Fußmatte in die Tür, weil sie Angst hat, dass sie nachher, wenn sie zurückkommt, sonst nicht mehr ins Haus kann. Und dann läuft sie los. Sie ist froh um Mütze und Schal, weil ihr gepunkteter Schlafanzug kaum Schutz gegen den pfeifenden Wind bietet. Im Wind, sagt Marigold, verziehen sich die Wolken schneller. Und manchmal hat Effie das Gefühl, dass ihr Kopf in einer dicken Wolkensuppe festhängt. Wind kann also nur gut sein. Sie nickt entschlossen, um sich selbst Mut zu machen. Ein bisschen unheimlich ist es schon, ganz allein in der Dunkelheit unterwegs zu sein, aber sie kennt den Weg. Links, rechts, links, rechts. Heute Nacht fühlt es sich länger an als sonst, und als der Pub in Sicht kommt, zittert sie trotz Mütze und Schal.

Die Tür ist schwer. Sie stemmt sich mit ihrem gesamten Gewicht dagegen, um sie zu öffnen, jedoch erfolglos. Aber sie kann hören, dass es drinnen laut zugeht. Und fröhlich. Kein Wunder, dass ihr Dad so oft wie möglich hier ist, denkt sie. Denn zu Hause ist er immer nur traurig. Aber hier, hier kann man Spaß haben.

Zu ihrem Glück wird die Tür von innen geöffnet, und ohne dass jemand Notiz von ihr nimmt, witscht sie hinein. Kurz steht sie unentschlossen einfach da. Die Menschen nehmen sie nicht wahr. Niemand rechnet mit einem Kind, und deswegen senken sie die Blicke nicht weit genug.

Effie sieht sich um. Einige Menschen an den Tischen kennt sie. Aber ihr Dad ist keiner von ihnen. Ein paar Leute sitzen an der Bar. Einen nach dem anderen scannt sie.

Nicht Dad.

Nicht Dad.

Nicht Dad.

Nicht Dad.

Dad!

Entschlossenen Schritts geht sie auf ihn zu. Sie stellt sich neben den Barhocker, auf dem er sitzt und der fast so groß ist wie sie selbst.

Sie tippt sein Bein an. »Dad?« Erst merkt er es nicht, aber als sie mit der ganzen Hand auf seinen Oberschenkel klopft, dreht er sich um. Es dauert einen Moment, bis er nach unten sieht.

»Effie?« Er fokussiert sie.

»Hallo.«

»Was machst du denn hier?«

»Ich wollte dich besuchen.«

»Aber …«

Sie kann nicht erkennen, ob er sich freut. Ist er böse? Bestimmt wird er Marigold erzählen, was sie gemacht hat. Und auf einmal kommt sie sich dumm vor. Klein und dumm.

»Du kannst doch nicht …« Ihr Dad reibt sich über die Augen. »Deine Schnürsenkel sind offen. Na komm.« Er steht auf, beugt sich nach unten und bindet ihr die Schuhe.

»Ich wollte …« Sie merkt, dass Tränen kommen. Aber dann wirkt sie noch mehr wie ein Kind. Wie ein dummes Kind. Deswegen schluckt sie. Konzentriert sich fest. »Ich wollte dich sehen.«

»Oh.« Auch ihr Dad schluckt. »Hm.« Er sieht sich um. »Dann … äh … lass mal schauen.« Von einem der hohen Tische an der Wand zieht er einen Barhocker neben seinen und hebt sie hoch. »Willst du was trinken?«

Effie nickt. Sie sitzt an der Bar. Neben ihrem Dad. Und sie darf etwas trinken! Das ist aufregend. Und ihr ist auch gar nicht mehr kalt.

»Was magst du denn?«

Sie zuckt mit den Schultern. »Darf ich eine Limonade?«

»Darfst du«, sagt ihr Dad. Er lächelt sie an. Und obwohl das hier so ein fröhlicher Ort ist, sieht sein Lächeln traurig aus.

»Hey, Joseph, eine Limonade für die junge Dame bitte.« Ihr Dad nennt sie junge Dame, und Effie fühlt sich seltsam stolz.

Effie kennt Joseph. Und er kennt sie auch, trotzdem sieht er ein bisschen erschrocken aus, als er sie nun erblickt. Ihr Dad nickt ihm zu, und kurz darauf steht ein Glas mit Limonade vor ihr. Obwohl Effie schon die Zähne geputzt hat. Marigold darf hiervon wirklich nichts erfahren.

»Du kannst nicht einfach herkommen«, sagt ihr Dad. Aber er klingt nicht böse.

»Warum nicht?«

»Der Pub ist kein Ort für Kinder.«

Eben noch war sie eine junge Dame, jetzt ist sie ein Kind. Immerhin hat sie eine Limonade, von der sie einen Schluck nimmt.

»Außerdem ist es schon spät. Du solltest längst schlafen.«

»Ich weiß.« Denn natürlich weiß sie das. Aber sonst sieht sie ihren Dad ja nie! Und sie vermisst ihn. Sie vermisst auch ihre Mum, obwohl sie die nie kennengelernt hat. Und über die darf sie nicht reden. Deswegen ist die Vermissung ihres Dads viel schlimmer zu ertragen.

»Du kannst deine Limonade trinken, dann bringe ich dich nach Hause.«

Also trinkt Effie so langsam wie nur irgend möglich. Sie zwingt sich zu winzigen Schlucken, obwohl es so gut schmeckt. Sie versucht den Gesprächen um sich herum zu lauschen, aber alle reden durcheinander.

»Das war echt ein richtig dickes Teil«, sagt einer der Fischer, die jeden Tag mit ihren Booten aufs Meer hinaus fahren.

»That’s what she said«, ruft ein anderer, und alle lachen an diesem fröhlichen Ort. Sogar ihr Dad lacht. Und das ist das schönste Geräusch von allen. Nur kurz. Nur ganz leise. Aber es ist ein Lachen, und das macht Effie froh. Denn er lacht so gut wie nie.

»Was trinkst du da?«, fragt sie ihren Dad, weil sie gern mehr von seiner Stimme hören will.

»Stout.«

»Darf ich probieren?«

»Nein, das darfst du wirklich nicht«, sagt er sanft und streicht ihr einmal über ihre roten Haare.

Wenig später nimmt er sie an der Hand. Er ruft Joseph ein »Bis gleich« zu, was bewirkt, dass es um Effies Kopf herum ein bisschen wolkiger wird. Sie hatte gehofft, er würde auch zu Hause bleiben. Sie fühlt sich wohler, wenn er da ist. Oder wenigstens Marigold. Aber an den meisten Abenden sind es nur Nessa, Fiona und sie, weil Marigold wegen ihres Rückens nicht immer auf dem Sofa schlafen kann. Wenn sie eine Mum hätten, wäre es einfacher. Die könnte oben schlafen. Im großen Bett. Aber Effie sollte nicht mal an sie denken. Sonst werden wieder alle traurig. Noch trauriger.

Sie schweigen auf dem Weg nach Hause, während ihr Dad Effies Hand hält, und das ist schön. Vor allem, weil die Hand auf diese Weise warm bleibt.

Vor der Bruce Crescent Nummer 12 will ihr Dad den Schlüssel zücken, da sieht er, dass die Tür offen ist. Er schüttelt den Kopf, aber wieder schimpft er nicht.

Er schiebt Effie nach drinnen in die Wärme. Dann kniet er sich vor sie.

»Das darfst du nie wieder machen, hörst du? Es ist zu gefährlich, wenn du in der Dunkelheit allein unterwegs bist.«

Effie will etwas entgegnen. Denn sie kann gut auf sich selbst aufpassen. In die Schule geht sie auch allein. Ja, okay, zusammen mit Fiona. Aber sie könnte es allein.

»Ich hab mich gefreut, dass du mich besucht hast, aber ich mache mir zu große Sorgen, wenn du in der Nacht allein draußen bist.« Er erhebt sich wieder.

Ich mach mir auch Sorgen, will sie sagen, doch die Wolken um ihren Kopf verwirren ihre Gedanken, sodass sie einfach ihre Arme um die Beine ihres Dads schlingt.

»Ach, mein kleines Mädchen«, sagt er. Und ja, das ist sie wohl. Keine junge Dame. Ein kleines Mädchen. »Sei nicht traurig.« Aber er hat gut reden. Er kann ja auch zurück in den lustigen Pub. »Du musst einfach lächeln. Dann ist es nicht so schwer. Dein Lächeln macht die Welt froher.«

»Auch dich?«, fragt Effie.

»Auch mich.« Allerdings zeigt er es nicht.

»Kannst du …« Effies Stimme ist ganz piepsig. »Kannst du vielleicht niemandem sagen, dass ich …«

»Wenn du mir versprichst, dass du das nicht wieder machst, bleibt es unser kleines Geheimnis«, sagt ihr Dad, und sie nickt.

»Auch das mit der Limonade?«

»Was meinst du?«

»Na, weil ich hab doch schon Zähne geputzt.«

»Von mir erfährt niemand etwas.«

Sie nickt. Einen Moment steht sie unschlüssig am Fuß der Treppe. Ihr Dad will wieder los, das sieht sie. Aber sie wünscht sich wirklich, er würde bleiben.

»Gute Nacht, Effie.«

»Gute Nacht, Dad.«

Dann geht er zurück in den Pub. Und sie schleicht sich nach oben und in ihr Bett, wo sie versucht, gegen das Weinen, das rauswill, anzulächeln, bis sie einschläft. Denn wenn man lächelt, ist es nicht so schwer.

3

»Gut, dass du da bist, Effie.« Nessa, meine älteste Schwester, streckt ihren Kopf aus der Küche. »Kannst du kurz hier übernehmen? Das muss gerührt werden, damit es nicht anbrennt.«

»Bist du sicher, dass ich die Richtige für den Job bin?« Ein kleiner Scherz, obwohl mir wirklich nicht nach Scherzen zumute ist.

»Gleichmäßig rühren. Das schaffst du.«

Ich schäle mich aus meiner nassen Regenjacke, stelle die Schuhe ordentlich unter die Garderobe und übernehme am Kochtopf. Offenbar macht Nessa Marmelade. Die dunkelrote Masse duftet fruchtig süß.

»Fiona? Fiona? Herrgott, wo ist die denn?« Nessa hat Fionas Telefon in der Hand. »Das klingelt schon die ganze Zeit. Hochzeitskram. Ich bin zweimal drangegangen, aber natürlich kann ich die Fragen nicht beantworten.«

Seit Fiona ihren Freund Connal gefragt hat, ob er sie heiraten will, ignoriert sie ihr Handy gekonnt. Sie will eine kleine Hochzeit, nichts Großes – sehr zur Enttäuschung von ganz Lerwick.

»Fi, dein Handy klingelt schon wieder. Und hier, Joseph hat angerufen und wollte wissen …«

Ich höre, wie Fiona das Wohnzimmer durch die Terrassentür betritt.

»Mach wenigstens das Handy aus, wenn du keine Lust drauf hast.«

»Du musst ja nicht drangehen.«

»Das klingelt von morgens bis abends. Leute, die gratulieren, Leute, die zusagen, obwohl sie nicht eingeladen sind … Woher wissen die das überhaupt alle?«

»Schätze, Connals Mum hat es hier und da fallen lassen.«

»Großartig. Jedenfalls …«

»Hey, was haltet ihr von einem gemütlichen Abend?«, frage ich aus der Küche heraus. »Schwesterliche Eintracht, Gemütlichkeit, ausgeschaltete Handys?« Ich kann es nur ganz schwer ertragen, wenn Nessa und Fiona sich anzicken. Vor allem seit Fiona wieder da ist, bedeutet mir die Harmonie zwischen uns dreien alles.

»Wenn Fiona ihr Handy ausmacht, bitte.«

»Wenn Nessa Gemütlichkeit kann, bitte.«

»Ich hab euch lieb.« Mit dem Kochlöffel in der Hand laufe ich ins Wohnzimmer und umarme beide mit einem breiten Lächeln, um die Stimmung aufzuhellen.

»Und wer rührt jetzt die Marmelade?«, fragt Nessa, aber es ist mir egal. Ich drücke sie einfach noch fester an mich, und das bringt sie zum Schweigen.

 

Die Marmelade ist nicht verbrannt. Die schwesterliche Eintracht ist wiederhergestellt, und wir sitzen bei offener Terrassentür auf dem Sofa und lauschen dem Regen. Ich liebe das Geräusch. So klingt eine lebendige Welt. Mein Strickzeug liegt unangetastet auf dem Couchtisch. Eigentlich bin ich gerade dabei, Strickwaren für Marigolds Laden vorzuproduzieren. Die Touristensaison ist in vollem Gange, jeden Tag legen Kreuzfahrtschiffe im Hafen an und spülen für ein paar Stunden ihre Passagiere in die Innenstadt von Lerwick. Original shetlandische Produkte stehen hoch im Kurs. Fionas Keramik, Nessas Whisky und meine Strickwaren kommen richtig gut an. Vor allem für Fiona und mich ist das ein toller Nebenverdienst, während Nessa hauptberuflich Whiskybrennerin ist.

Aber heute will ich einfach nur hier sitzen und dem Regen lauschen.

»Connal schlägt den Einundzwanzigsten vor, um die Eheschließung anzumelden«, sagt Fiona gerade.

»Ich dachte, wir machen die Handys aus?«, fragt Nessa.

»That’s what she said.«

Nessa und Fiona stöhnen gespielt genervt auf. Damit kriege ich sie jedes Mal. So richtig verstehe ich nicht, warum. Es ist doch einfach nur so eine Sache, die man sagt, auch wenn ich mich nicht mehr erinnere, woher ich es eigentlich habe. Aber offenbar reizt es sie. Deswegen mache ich es weiter.

»Sorry, das hier ist wichtig. Connal hat richtig viel zu tun mit der Farm. Und wir müssen dafür wohl beide ins Rathaus.«

»Dann macht das doch.« Nessa zuckt mit den Schultern.

»Na ja …«

»Was denn?«

Fiona sieht mich an. »Effie?«

»Hm?«

»Der Einundzwanzigste?«

»Was soll damit sein?«

»Es ist dein Geburtstag, und ich dachte … vielleicht …«

Ich schüttle den Kopf. Wir feiern diesen Tag nicht.

»Bist du sicher? Ich meine, vielleicht würdest du dich freuen, wenn wir mal ein bisschen …«

»Nein.« Auf meinen Lippen ist zwar ein Lächeln, aber ich will nicht mehr darüber sprechen.

»Ich fänd’s schön. Und du doch auch, Nessa, oder?«

Doch ehe Nessa antworten kann, sage ich erneut: »Nein.«

»Muss ja gar nichts Großes sein. Du, Erwin, wir …«

»Ich hab Nein gesagt!« Das Lächeln erstirbt. Mein Geburtstag, Erwin, das ist alles zu viel. Meine Lippe beginnt zu zittern, und auf einmal, ohne dass ich wüsste, wie mir geschieht, kullert eine Träne meine Wange hinunter. Schnell wische ich sie weg. Ich will die gut gelaunte Effie sein, die, die alle zum Strahlen bringt. Nicht die, die alle runterzieht. Nicht wie … Ich schüttle kaum merklich den Kopf, um die Gedanken loszuwerden.

»Hey, Süße, entschuldige!« Fiona klingt nun ganz besorgt, und das macht es nur noch schlimmer. Sie muss sich nicht um mich sorgen. Sie hat weiß Gott genug zu tun. »Ganz, wie du willst.«

»Okay«, sage ich, aber trotzdem kommen da immer mehr Tränen. Ich will sie stoppen, presse die Lippen aufeinander und halte die Luft an. Lächeln. Dann wird’s schon gleich wieder gehen.

»Ist was passiert?«, fragt Nessa und setzt sich neben mich. Sie legt den Arm um mich und zieht meinen Kopf auf ihre Schulter. »Willst du drüber reden?«

»Hab meine Tage«, sage ich, und obwohl es stimmt, ist das natürlich nicht alles.

»Wärmflasche?«, schlägt Fiona vor, der es offensichtlich unangenehm ist, dass sie mich in diese Situation gebracht hat. Dabei muss es ihr nicht unangenehm sein. Ich bin die, die weint. Nicht sie.

Nessa sieht mich an. Auf diese wissende Art. Warum nur ahnt sie immer alles? Sie nickt mir aufmunternd zu, sodass ich es einfach erzähle.

»Erwin hat mir gesagt, dass er in mich verliebt ist. Und jetzt können wir uns erst mal nicht mehr sehen.« Als ich es ausspreche, muss ich plötzlich laut aufschluchzen.

»O nein!« Fiona nimmt meine Hand. »Und ich blöde Kuh schlage auch noch vor …«

»Ist nicht deine Schuld«, sage ich und wische mir die Tränen von den Wangen. Ich muss mich wieder einigermaßen in den Griff kriegen und versuche mich erneut an einem Lächeln. Und siehe da, jetzt funktioniert es. Lächeln ist einfach ein Wundermittel. »Ist nur einfach blödes Timing.«

Fiona nickt, Nessa drückt mir einen Kuss auf den Scheitel.

»Und am Einundzwanzigsten bin ich übrigens gar nicht hier. Ich hab mir ab morgen Urlaub genommen.« So wie ich es immer mache, wenn mir die Dinge über den Kopf wachsen. So wie jedes Jahr an meinem Geburtstag. Ich dachte, das wäre klar, aber vielleicht hat Fiona das in den drei Jahren, die sie in Bristol war, vergessen. »Will jemand einen Tee?«

Ich stehe auf, um eine neue Situation zu schaffen. Eine, in der ich nicht weine. Eine, in der Fiona und Nessa nicht das Gefühl haben, sich um mich kümmern zu müssen. Um zu unterstreichen, dass alles wieder gut ist, dass die Wolken sich verzogen haben, lege ich auf dem Weg in die Küche einen kleinen Hopser ein.

Ich schalte den Wasserkocher an. Aus dem Wohnzimmer dringt leises Gemurmel.

»… für ein paar Tage in Marigolds Cottage«, sagt Nessa gerade. Sehr gut, dann muss ich Fiona nichts mehr erklären.

»Sie macht das immer noch?«

»Ich schätze, wegen Mum. Ich habe schon ein paarmal versucht, mit ihr drüber zu reden, aber sie sagt, es ist nichts.« Zumindest nichts, womit ich Nessa belasten will. Ich kann das mit mir selbst ausmachen. Alles ist gut.

»Wäre es dann nicht besser, wir wären alle zusammen?«

»Es ist, wie es ist, Fiona. Du hast doch gesehen, was passiert, wenn sie sich unter Druck gesetzt fühlt. Lass sie einfach ihr Ding machen. In ein paar Tagen ist sie wieder unsere Effie.«

Der Wasserkocher wird lauter, sodass ich nicht mehr verstehen kann, was sie sagen. Unsere Effie. Das ist genau die Person, die ich für Fiona und Nessa bin. Die strahlende, die tanzende, die lachende Effie. Und das ist gut so. Denn die andere Effie, die mit den Wolken in ihren Gedanken, würde alte Wunden aufreißen. Und in den paar Tagen, in denen ich weder strahle noch tanze, ziehe ich mich eben in Marigolds Cottage an der Küste zurück. Vergrabe mich in meinem Kummer, wälze schwere Gedanken, warte, bis der Wind die Wolken vertrieben hat. Dann komme ich zurück und bin wieder ihre Effie. So war es die letzten Jahre, so wird es dieses Jahr sein.

Ich gieße den Tee auf und mache extra viel Lärm, damit Fiona und Nessa wissen, dass ich zurückkomme.

»Heiß, heiß, heiß«, sage ich, als ich die drei Tassen auf den Couchtisch stelle. Dann schnappe ich mir doch mein Strickzeug. Normalität, Alltag. So, wie es immer ist, so soll es auch heute sein. Gemütlich, harmonisch, dreisam. Auch wenn es ein bisschen weniger dreisam geworden ist, nun, da Fiona und seit Neuestem auch Nessa glücklich vergeben sind und ihre Happy Ends gefunden haben.

Der Geruch des Tees vermischt sich mit dem Duft des Regens. Meine Stricknadeln klappern in einem schnellen, regelmäßigen Rhythmus, nehmen wie von allein die Fäden auf, die zwischen meinen Fingern hindurchlaufen, ziehen sie in der richtigen Reihenfolge durch die Maschen. Die Bewegungen sind so automatisiert, dass sie vollkommen unbewusst ablaufen, und ich sehe auf. Betrachte meine beiden großen Schwestern, die ich so sehr bewundere. Die starke Nessa, die sich immer um uns kümmerte, weil unser Vater es nicht konnte, und unsere Mutter …

Ich schlucke.

Und dann ist da Fiona, die so viel Kummer hatte in den letzten Jahren. Die erst einmal alles mit sich allein ausmachte, in absoluter Einsamkeit. Und die vor einem Dreivierteljahr endlich wieder den Weg zu uns zurückgefunden hat. Zurück zu uns und zu Connal.

Eine enorme Dankbarkeit überkommt mich. Aber gleichzeitig auch eine enorme Melancholie. Denn das, was ich zu Erwin gesagt habe, dass alles bleiben muss, wie es ist, das wird nicht passieren. Es verändert sich jetzt schon. Mit Fionas Hochzeit. Mit Nessas Beziehung zu Boyd Tulloch, dem Erben der größten Whiskydestillerie der Shetlands. Am Ende werde ich übrig bleiben. Und ich brauche all meine Kräfte für diesen Moment.

Auch deswegen muss ich ein paar Tage für mich sein. Es hat nichts mit meiner Periode zu tun. Nicht einmal mit Erwin, auch wenn beides natürlich nicht gerade hilfreich ist. Es ist die Jahreszeit. Das drohende Datum. Der einundzwanzigste Juni. Der hellste Tag des Jahres. Der dunkelste Tag des Jahres. Mein Geburtstag.

»Ich geh mal packen«, sage ich und zwinge mich noch zu einem letzten Lächeln.

17. 6.

Ich denke in letzter Zeit dauernd an diese Kurzgeschichte, die wir in der Schule gelesen haben. Mit Sicherheit ist Lerwitch schuld. Lerwitch mit seiner beklemmenden Stimmung. An Occurrence at Owl Creek Bridge hieß sie. Ein zum Tode Verurteilter spürt schon die Schlinge um seinen Nacken. Doch dann reißt das Seil, und er treibt den Fluss hinunter, kann entkommen. In dem Moment, da er seine Frau in die Arme nehmen will, zieht sich die Schlinge um seinen Hals fest, und er baumelt vom Galgen. Die Flucht war eine reine Illusion und nichts weiter als ein Bewältigungsmechanismus seines Verstandes für den drohenden Tod.

Was, wenn mein Leben dieser Moment ist, bevor sich die Schlinge zuzieht? Sollte ich es dann nicht mit etwas verbringen, das ich liebe? Denn in der nächsten Sekunde könnte sich die Schlinge zuziehen, und dann – vorbei. Und in dem Moment vorher? Habe ich eine alte Frau unglücklich gemacht. Weil es in meiner Job Description steht.

 

Nachtrag: Ich bin nicht bescheuert. Ich weiß, dass ich keine Kurzgeschichte von Ambrose Bierce bin. Wenn überhaupt, wäre ich ein sehr umfangreicher Décadence-Roman. Die Beklemmung ist allerdings real. Deswegen habe ich beschlossen, mir eine Auszeit zu nehmen, und auch wenn mein alter Herr nicht gerade begeistert war über die Verzögerung, musste er meinem spontanen Urlaubsantrag zustimmen. Lerwitch ist zwar bei Weitem nicht mein Traumort für einen romantischen Kurzurlaub mit mir selbst, aber für eine gründliche Kontemplation reicht es allemal.

4

Noch bevor Fiona oder Nessa aufwachen, schnalle ich mir meinen Rucksack auf den Rücken und verlasse in aller Herrgottsfrühe das Haus. Draußen geht ein leichter Wind, die Wolken pflügen über den ansonsten blauen Himmel. Die Luft ist kühl und duftet nach frühsommerlicher Verheißung. Mein rot lackiertes Fahrrad lehnt an der Hauswand, und ich steige auf und rolle langsam auf die Straße.

Ich liebe den Morgen. Wenn die Welt noch schläft und der Tag noch mit nichts belastet ist. Wenn der Geist so frisch ist wie das Licht. Der Fahrtwind weht durch meine Haare, Möwengeschrei dringt vom Hafen an mein Ohr, und ich trete kräftig in die Pedale. Noch eine Schicht bei der Seenotrettung, ehe ich bei Marigold den Schlüssel für das Cottage hole und mich dann ein paar Tage einfach einigeln kann, ohne die schweren Wolken, die meine Laune trüben, vor der Welt geheim halten zu müssen.

Ich fahre vorbei am Gilbertson Park und über die Harbour Street Richtung Meer. Hinter den Gardinen der massiven grauen Steinhäuser, die jeder Witterung trotzen, tut sich noch nichts. Eine einsame Katze kreuzt meinen Weg, und dann biege ich am Wasser in die Commercial Street ab. Ich lasse Fort Charlotte, die Festung, die in ihrer gesamten Geschichte nicht einen Kampf erlebt hat, hinter mir und komme nun ins kleine Zentrum von Lerwick. Magnus Taits rotes Postauto steht vor der Postfiliale, doch er ist nirgends zu sehen. Hier und da werden Waren aus Lieferwagen geladen.

Sobald die Touristen erwachen und auf der Suche nach einem fettigen Frühstück die engen Straßen bevölkern, ist mit dem Fahrrad hier kein Durchkommen mehr. Wenn ich später dran bin, nehme ich deswegen meist die große Straße direkt am Ufer. Doch jetzt fahre ich zügig unter den wehenden bunten Wimpeln hindurch, die von Geschäft zu Geschäft über die Straße gespannt sind, bis ich am Market Cross links zum Victoria Pier abbiege. Dort befindet sich die Zentrale der Seenotrettung Lerwick.

Fischerboote wiegen sich sanft im Wind, Wellen plätschern gegen die Kaimauern. Es riecht nach Salz und Algen. Ein Boot bricht gerade zu seiner täglichen Tour aufs offene Meer auf, als ich mein Fahrrad gegen die Wand des Container-artigen Gebäudes lehne.

»Ablösung!«, verkünde ich und betrete mit einem breiten Strahlen das kleine Büro.

»Guten Morgen.« Idris gähnt und streckt sich.

»Ruhige Nacht gehabt?«, frage ich.

»Konnte sogar ein paar Stunden schlafen.« Er deutet auf die Pritsche, die man durch die offene Tür im Nebenraum sehen kann. »Der Kaffee ist frisch.« Idris nickt in Richtung der alten Filterkaffeemaschine und erhebt sich.

»Danke dir.« Doch stattdessen hole ich aus meinem Rucksack eine Thermoskanne mit Tee und die Tüte mit meinem Strickzeug.

»Wünsch dir einen schönen Urlaub, Effie«, sagt Idris noch, ehe er sich mit einem Winken auf den Weg nach Hause zu seiner Frau und seinen beiden Kindern macht.

Als Erstes kontrolliere ich den Wetterradar und die Schiffsmeldungen. Alles ist ruhig, alles sieht gut aus. Erst am Nachmittag soll ein Gewitter aufziehen. Wenn nicht etwas Unvorhergesehenes passiert oder ein Tourist Ebbe und Flut verwechselt, sollte das eine entspannte Schicht werden.

Ich richte es mir gemütlich ein. Stelle den alten Bürostuhl auf meine Bedürfnisse ein, setze mich in den Schneidersitz, breite die Wollknäuel vor mir aus und nehme einen Schluck Tee. Es ist Marigolds Geheimmischung, die sie mir zwar nicht verraten will, von der ich ihr aber manchmal ein paar lose Blätter abluchsen kann.

Die Tür der Seenotrettung steht offen, sodass ab und zu Fischer hereinwinken, die entweder von ihrer nächtlichen Tour zurückkommen oder im Begriff sind, aufzubrechen. Erwin ist einer von ihnen, schießt es mir durch den Kopf. Erwin, der mit seinem Vater beinahe jeden Tag raus aufs Meer fährt, der mich oft während meiner Schichten hier besucht hat. Jetzt wohl eine Weile nicht mehr. Gegen den Kloß in meinem Hals nehme ich schnell noch einen Schluck Tee und widme mich wieder dem Fair-Isle-Muster meines Strickprojekts. Es wird ein Poncho in Dunkelrot, Gelb und Beige. Die Wolle, die ich von Connals Farm kaufe, färbe ich selbst. Das Gelb mit Kurkuma, das Rot mit Krappwurzel. Die gefärbte Rohwolle spinne ich an den gemütlichen Abenden mit Fiona und Nessa. Während sie lesen oder sich unterhalten, drehe ich die Wolle mithilfe meines alten Spinnrades, das ich mit dem regelmäßigen Wippen meines Fußes antreibe, zu feinen Fäden. Es ist der Inbegriff der Gemütlichkeit. Der Sicherheit. Von zu Hause, von sicherem Hafen, dessen Glück aber gleichzeitig immer schon an einem seidenen Faden hing. Erst, weil unser Dad immer abwesender wurde. Von einem trauernden Vater wurde er zu einem traurigen Vater, zu einem gebrochenen Vater, zu einem gebrochenen Vater im Pub. Ich war ungefähr elf, als er eines Tages gar nicht mehr nach Hause kam, und Nessa übernahm – das Haus und die Verantwortung, Fiona und mich. Oft hatte ich Angst, dass Nessa eines Tages ebenfalls das Handtuch werfen könnte. Stattdessen ist ein paar Jahre später Fiona gegangen. Jetzt sind wir alle wieder da. Und wir alle, das sind einfach nur wir drei. Aber auch das ändert sich nun. Fiona heiratet Connal, Nessa liebt Boyd. Nur ich und das Spinnrad bleiben. Ich und das Spinster-Rad. Eine alte Jungfer zu sein ist allerdings immer noch besser als ein Unhappy End.

Der Vormittag verläuft tatsächlich ruhig. Aus Langeweile funkt mich Callum, der Touristentouren anbietet, um kurz vor zehn an. Wir plaudern ein bisschen über das Wetter, er erzählt mir von den Orcas, die er gestern gesehen hat.

Kurz bevor meine Schicht vorbei ist, klingelt dann doch noch das Telefon.

»Seenotrettung Lerwick?«, melde ich mich.

»Hallo? Miss? Wir brauchen hier Hilfe.«

Offensichtlich ein Tourist, dem man die Informationen aus der Nase ziehen muss.

»Können Sie mir sagen, was passiert ist?«

»Meine Frau wollte Stand-up-Paddeln gehen, aber die Strömung scheint zu stark, ich sehe sie nicht mehr.«

Die Flut zieht sich langsam zurück. Da sollte man definitiv nicht allein auf einem Stand-up-Board sein. »Sagen Sie mir, wo Sie sich genau befinden? Ich schicke gleich ein Boot vorbei.« Ich würde ihm gern sagen, dass er sich keine Sorgen machen muss, dass wir sie auf jeden Fall finden, weil sie nicht weit gekommen sein kann, weil so was ständig passiert. Für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass es diesmal nicht so ist, sind wir jedoch angehalten, nichts zu sagen. Deswegen versichere ich stattdessen: »Hilfe ist sofort unterwegs.«

»Danke, Miss, vielen Dank!« Er beschreibt mir, wo genau er sich befindet, und ich funke die Sea Swallow mit allen relevanten Informationen an.

Zwanzig Minuten später erhalte ich die Nachricht, dass die Frau wohlauf ist. Ein bisschen entkräftet zwar, aber ansonsten bei bester Gesundheit.

Kurz bevor ich meine Sachen packe, geht noch ein Funkspruch ein.

»Hab einen schönen Urlaub, Effie.« Es ist Erwin.

»Danke.« Es fällt mir schwer, gelöst zu klingen. Einerseits freue ich mich, seine Stimme zu hören, andererseits muss ihn das hier einiges an Überwindung kosten.

»Wenn du zurück bist, wird hoffentlich alles wieder normal. So, wie es war.«

»Das klingt schön!«

»Ich krieg mich bald ein, okay?«

»Okay.« Ich nicke, obwohl er das natürlich nicht sehen kann. Aber ich glaube, er weiß, wie viel mir »so, wie es war« bedeutet.

»Freunde, Effie. Mit dir kann man nämlich gar nicht nicht befreundet sein wollen.«

»Hör ma auf, Süßholz zu raspeln, und pack mit an, Junge«, hört man Erwins Dad im Hintergrund.

»Es ist Effie«, sagt Erwin.

»Oh, ach so, dann sagste ihr liebe Grüße, und sie soll sich schön entspannen.«

Ehe ich mich wenig später auf den Weg zu Marigolds Laden mache, fahre ich noch kurz bei Morrisons vorbei, um mich mit genug Fertiggerichten für die nächsten Tage einzudecken. Und während die Sonne gerade gegen ein paar dunklere Wolken ankämpft, muss ich tatsächlich ein bisschen lächeln. Ich freue mich auf »so, wie es war«.

 

»Wo ist denn der Schlüssel«, frage ich Marigold, die über irgendwelchen Unterlagen brütet und nicht so ganz bei der Sache ist.

Ein paar Leute befinden sich mit uns im Laden, der mit seiner leicht chaotischen Atmosphäre fast ein zweites Zuhause für mich geworden ist, so gerne bin ich hier. Marigold verkauft alles, von selbst gemachter Marmelade über lokale Whiskys und Biere bis hin zu shetlandischer Literatur und handgefertigten Unikaten. Die Wollwaren sind direkt am Eingang ausgestellt.

»Hm? Was?« Sie sieht kurz auf. Irgendwie wirkt ihr Blick heute bedrückt, sodass ich ihr mein breitestes Lächeln schenke, um sie aufzumuntern. Mit fahrigen Bewegungen deutet sie auf die Schublade, in der sich eigentlich all ihre Schlüssel befinden. Die für den Laden, für den Drawing Room, das Café nebenan, in dem Fiona arbeitet, für die Gästezimmer, die sie im ersten Stock vermietet, und eigentlich auch für das Cottage.

»Da ist er nicht.«

Man hört ein lautes Fauchen. Eine ältere Dame macht Anstalten, sich dem dicken, roten Kater zu nähern, der auf einem Stuhl sitzt.

»Na, du bist mir ja einer«, sagt sie, doch statt zurückzuweichen, streckt sie ihre Hand nach ihm aus.

»Das würde ich nicht machen«, warne ich sie.

»Wie bitte?«

»Greaves lässt sich nicht anfassen.«

Der einäugige Kater – mit vollem Namen Red Leg Greaves – herrscht inoffiziell über Marigolds Laden. Ich bin der festen Überzeugung, dass er der Geist des Geists des legendären Freibeuters Red Leg Greaves ist. Um seine Tarnung aufrechtzuerhalten, muss er natürlich verhindern, dass er angefasst wird. Das erklärt seine Aversion gegen Berührung und auch die Tatsache, dass er nach all den Jahren immer noch am Leben ist – und es voraussichtlich auch für immer bleibt. In dieser Hinsicht verstehen Greaves und ich uns. Keine Veränderungen, die zu Unhappy Ends führen.

Doch die Touristin scheint beratungsresistent zu sein. »Ich bin ein Katzenmensch«, sagt sie und nickt mir lächelnd zu, um mir zu beweisen, dass ich mir keine Sorgen machen muss. »Na komm, du süßes Ding«, sagt sie und hält ihm die Hand noch näher hin, damit er sie beschnuppern kann.

Süßes Ding ist nun wirklich das Letzte, als was ich Greaves bezeichnen würde. Er sieht das anscheinend genauso und gibt ein seltsames Knurren von sich. Sein Fell ist aufgestellt, die Ohren angelegt.

»Ich würde wirklich nicht …«

Doch es ist zu spät. Greaves holt aus und schlägt mit seinen Krallen nach der Hand der Kundin.

Sie lacht peinlich berührt, die Hand hat sie gerade rechtzeitig zurückgezogen.

»Er mag es wirklich nicht«, sage ich und zucke mit den Schultern.

»Vielleicht sollte man ihn dann nicht frei in einem Laden herumlaufen lassen«, sagt die Frau spitz.

»Vielleicht sollte man seinen personal space respektieren«, murmle ich und wende mich wieder Marigold zu.

»Was liest du denn da?«, frage ich.

»Das? Ach nichts«, sagt sie und schiebt die Papiere hektisch zusammen. »Was suchst du noch mal, Kind?«

»Den Cottage-Schlüssel.«

»Hm. Ja. Nimm doch einfach den Ersatzschlüssel.«

»Und wo ist der?«

»Was?«

»Der Ersatzschlüssel?« Irgendwas ist komisch. Normalerweise ist Marigold aufmerksam. Freut sich, mich zu sehen. Erzählt mir den neuesten Tratsch. Doch heute nimmt sie kaum Notiz von mir, wirkt traurig und abgelenkt.

»Ihr Kater wollte mich angreifen«, sagt nun die Kundin und zeigt wie zum Beweis auf Greaves, der gerade seine Pfote ableckt und sich dann damit über den Kopf streicht, als könne er kein Wässerchen trüben.

»Mein Kater?«

Nicht einmal das hat sie mitbekommen? Ich sehe sie an. Marigold ist alt. Aber doch nicht so alt, oder?

»Ebender.«

»Greaves wird nicht gerne angefasst. Haben Sie versucht, ihn zu streicheln?«

»Vielleicht sollten Sie Ihre Kunden vor ihm warnen, wenn er schon frei hier herumläuft. Ein Schild wäre angebracht, meinen Sie nicht?«, sagt die Frau.

»Hm. Ja. Das mache ich. Eine gute Idee. Vielen Dank für den Hinweis.« Marigold starrt einen Moment ins Leere. »Du wolltest noch etwas, mein Kind, nicht wahr? Ach ja, den Ersatzschlüssel. Wo habe ich heute nur meinen Kopf?« Sie streicht mir mit den Fingerkuppen einmal über die Wange. »Der hängt oben in meiner Wohnung am Schlüsselbrett. Nimm ihn dir. Und hab eine gute Zeit. Nicht zu viele schwere Gedanken.«

»Danke, Marigold«, sage ich. Auch wenn ich ihr das mit den schweren Gedanken nicht versprechen kann. Mit einem letzten besorgten Blick mache ich mich auf den Weg nach oben in Marigolds Wohnung.

5

Ich spüre den Eisenschlüssel in der Tasche meines bodenlangen Rocks, als ich das Fahrrad gegen den Zaun lehne. Dieser ist, ebenso wie die Fensterrahmen des reetgedeckten, weiß getünchten Hauses, türkis angestrichen, doch die Farbe, die mich immer schon an Nessas Augen erinnert hat, platzt an vielen Stellen ab.

Ein Auto steht in der Parkbucht gegenüber. Das ist nichts Ungewöhnliches um diese Jahreszeit. Ausflügler auf der Suche nach den malerischsten Ausblicken gehen gerne querfeldein über Schafweiden und Heide, um zu abgelegeneren Stränden zu gelangen. Doch bald wird ihr Ausflug ein jähes Ende nehmen, denn im Moment scheint zwar die Sonne, aber das Unwetter, das ich vorhin auf dem Radar gesehen habe, braut sich über dem Meer zusammen, wie sich unschwer an den schwarzgrauen Wolkenungetümen hinter mir erkennen lässt.

Das kleine Gartentor quietscht, als ich es aufschiebe. Der kurze Weg ist unordentlich mit runden Wackersteinen gepflastert. Unkraut überwuchert die Blumenbeete links und rechts, zwischen dessen Blüten Insekten im Sonnenschein summen. Ich atme tief ein. Die paar Tage ganz allein werden mir guttun. Werden meinen Kopf aufräumen. Die Wolken vertreiben.

Vom Fuß der türkisen Tür bis zum Dach hinauf rankt sich eine üppig blühende Glyzinie. Die blau-violetten Blütentrauben verbreiten einen vorsichtigen Duft, der mich in meine Kindheit zurückversetzt, als wir regelmäßig mit Marigold herkamen. Hier brachte sie mir bei, zu stricken, backte mit Nessa. Fiona wanderte stundenlang am Strand entlang. Damals verstand ich ihren Wunsch, allein zu sein, nicht. Heute kenne ich die heilsame Wirkung von Wind und Salz und Einsamkeit.

Ich stecke den massiven Schlüssel ins Türschloss, will ihn drehen, doch die Tür ist nicht verschlossen. Marigold muss beim letzten Mal vergessen haben, sie abzuschließen. Vielleicht ist sie doch älter, als ich wahrhaben will. Ein heißkalter Schauer überkommt mich.

Die Tür knarzt laut, und leicht muffiger Geruch schlägt mir von drinnen entgegen.

»Hallo?«

Was war das?

»Marigold?«

Ganz eindeutig. Eine Männerstimme.

»Bist du das?«

»Hallo?«, frage ich vorsichtig.

»Wer ist denn da?«

»Hier ist …« In dieser Sekunde tritt ein junger Mann in den kleinen Eingangsbereich, und für einen Moment traue ich meinen Augen nicht. Ich muss blinzeln, um zu verstehen, was ich da sehe.

»Kann ich dir helfen?«

Vor mir steht ein schlaksiger Typ Mitte zwanzig. Und er ist weiß Gott die merkwürdigste Erscheinung, die ich seit Langem gesehen habe. Vielleicht ist er die merkwürdigste Erscheinung, die Shetland je gesehen hat. Er trägt einen dunkelroten Cordanzug. Hose und Sakko. Darunter ein buntgemustertes Hemd mit einer dunkelroten Fliege. Eine Fliege! In der Hand hält er eine Ukulele, auf der er gerade einen Akkord zupft. Und als ich meinen Blick noch einmal von seinem grinsenden Gesicht nach unten wandern lasse, stelle ich fest, dass er barfuß ist.

»Ob du mir helfen kannst? Was? Sorry, was machst du hier?«

»Urlaub.« Er verschränkt die Arme und lehnt sich gegen den Türrahmen.

»Aber …«

Sein Grinsen wird breiter. »Und selbst?« Auch er mustert mich, und ich mache einen Schritt zurück.

Das wird ja immer schöner. »Du weißt schon, wie man das nennt, was du hier tust, oder?«, frage ich. »Das ist Hausfriedensbruch. Die Besitzerin dieses Cottages ist alt, und nur weil sie vergessen hat, abzusperren, bedeutet das nicht, dass du hier Urlaub machen kannst. Hallo?« Was läuft bei dem denn falsch?! Ich bin ehrlich empört.

»Ich weiß nicht, ob es Marigold gefallen würde, ›alt‹ genannt zu werden.« Er beugt sich verschwörerisch zu mir. »Aber von mir erfährt sie nichts. Versprochen.«

»Du kennst …«

»Was denkst du denn von mir? Sehe ich aus, als würde ich einfach anderer Leute Häuser besetzen?«

Ich zucke mit den Schultern. Keine Ahnung, was ein Typ, der aussieht wie er, so macht.

»Marigold hat mir angeboten, dass ich hier für ein paar Tage bleiben kann. Du musst dir also keine Sorgen machen. Sie hat mir den Schlüssel eigenhändig gegeben.«

War der Schlüssel deswegen nirgends zu finden? Aber Marigold vermietet das Cottage seit einem unglücklichen Vorfall mit einem Mieter und einer Möwe mit etwas zu ausgeprägtem Beschützerinstinkt nicht während der Nistsaison. Außerdem hätte sie doch nicht vergessen, mir zu erzählen, dass schon jemand hier ist, oder? Und sie hätte erst recht nicht vergessen, dass ich hierherkommen würde. Wie inzwischen jedes Jahr. Doch dann fällt mir ein, wie merkwürdig sie war.

»Ich rufe Marigold an«, sage ich entschlossen, stelle meinen Rucksack vor mir ab und krame in der vorderen Tasche nach meinem Handy.

»Gute Idee.« Der komische Kerl nickt zufrieden.

Das Telefon im Laden klingelt. Einmal, zweimal, dreimal … achtmal. Sie geht nicht dran! Ausgerechnet jetzt!

»Keiner da?«, fragt er.

»Ich probiere es im Drawing Room.«

»Was immer du willst. Ich hab Zeit.«

Aber ich nicht, will ich antworten, doch in diesem Moment meldet sich Edith.

»Hey, Edith, hier ist …«

»Effie, mein liebes Kind, was kann ich für dich tun?«

»Ist Marigold da?«

»Sie hat den Laden gerade für einen Moment geschlossen. Gibt es ein Problem?«

»Das kann man wohl sagen!« Gegen meinen aufgebrachten Tonfall bin ich machtlos.

»Kann ich helfen?«, fragt Edith.

Es ist lieb, dass sie das anbietet, aber nein, das kann sie leider nicht. »Sagst du Marigold, sie soll mich zurückrufen?«

»Natürlich, Kind.«

Ende der Leseprobe