This is Our Life - Kathinka Engel - E-Book

This is Our Life E-Book

Kathinka Engel

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Beschreibung

Kann die große Liebe in Hollywood bestehen? Die Netflix-Serie »This is our Time« ging durch die Decke – vor allem wegen der Dynamik zwischen Rio und Ferne. In der Show sind die beiden ein Paar, doch im echten Leben stehen sie vor dem Scherbenhaufen ihrer Liebe. Rio ist abgetaucht und Ferne konzentriert sich wieder auf ihr Studium. Als der Drehstart der zweiten Staffel ansteht, kommen die Produzenten auf die Idee, eine Fake-Beziehung zwischen den beiden zu Promotionzwecken zu nutzen. Rio und Ferne können zwar kaum in einem Raum sein, ohne sich an die Gurgel zu gehen, aber wo Hass ist, da herrscht alles andere als Gleichgültigkeit … Der zweite Band der »Hollywood Dreams«-Reihe von SPIEGEL-Bestsellerautorin Kathinka Engel, in der sie vom Auf und Ab einer großen Liebe im Rampenlicht erzählt.

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© everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2023

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.

Redaktion: Michelle Gyo

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

MTV Movie and TV Awards, Kategorie Bester Kuss

1

Ferne

2

Rio

3

Ferne

4

Rio

5

Ferne

Instagrampost von Rio McQuoid

6

Rio

7

Ferne

8

Rio

9

Ferne

Love behind the Scenes?

10

Rio

11

Ferne

12

Rio

13

Ferne

14

Rio

15

Ferne

16

Rio

Rio McQuoid macht den Lügendetektortest von Vanity Fair

17

Ferne

18

Rio

19

Ferne

20

Rio

21

Ferne

22

Rio

Sechs Dinge, ohne die Rio McQuoid nicht leben kann

23

Ferne

24

Rio

25

Ferne

26

Rio

27

Ferne

28

Rio

29

Ferne

Hat diese Beziehung überhaupt eine Chance? Ein Promi-Psychologe packt aus.

30

Rio

31

Ferne

32

Rio

33

Ferne

Ferne Resnik spielt »Mit wem würdest du lieber …«

34

Rio

35

Ferne

36

Rio

37

Ferne

38

Rio

39

Ferne

40

Rio

Klappentext von The Gentle Art of Losing your Mind

41

Ferne

42

Rio

43

Ferne

44

Rio

45

Ferne

46

Rio

47

Ferne

48

Rio

Sind #Rydison Geschichte?

49

Ferne

Rio McQuoids Drehbuch

50

Rio

51

Ferne

Instagrampost von Rio McQuoid

Epilog

Rio

Ferne

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für Niclas. Für alles.

MTV Movie and TV Awards, Kategorie Bester Kuss

Unter Applaus betritt Millie Bobbie Brown in einem glänzenden lilafarbenen Hosenanzug die Bühne. In der Hand hält sie einen Umschlag.

»Guten Abend, Ladies and Gentlemen.« Der Applaus ebbt langsam ab. »Meine liebsten Film- und Serienmomente sind die, in denen sich lange aufgebaute Spannung schließlich entlädt. Wenn Eleven all ihre Kraft einsetzt, um die mächtigsten, gruseligsten Gegner zurückzudrängen oder … wenn die beiden Protagonisten sich endlich, endlich küssen. Ernsthaft mal, Duffer Brothers, was ist da los mit Steve und Nancy?« Das Publikum lacht. Die Kamera schwenkt auf Joe Keery, der grinsend mit den Schultern zuckt. Millie Bobbie Brown schüttelt den Kopf, schnalzt mit der Zunge. »Vielleicht nächstes Jahr, Joe. Dieses Jahr gibt es andere großartige Nominierungen für die Kategorie Bester Kuss. Und die Nominierten sind …«

Das Licht wird gedimmt, der Fokus auf die großen Screens gerichtet. Eine tiefe Stimme aus dem Off schallt durch den Saal. »Bester Kuss.« Dann flackern die nominierten Film- und Serienküsse einer nach dem anderen über die Bildschirme. »Anna Torv und Philip Prajoux in The Last of Us. Harry Styles und David Dawson in My Policeman. Riley Keough und Sam Claflin in Daisy Jones & The Six. Selena Gomez und Cara Delevingne in Only Murders in the Building. Ferne Resnik und Rio McQuoid in This is Our Time.«

Die Lichter gehen wieder an. Millie Bobbie Brown öffnet den Umschlag. »Yessss«, sagt sie und grinst breit. »Der Award für den besten Kuss geht sehr verdient an Ferne Resnik und Rio McQuoid in This is Our Time.«

Tosender Beifall ertönt, ein paar Leute im Publikum stehen auf, während der Clip des Kusses noch einmal abgespielt wird.

»Mir wird immer noch ganz heiß, wenn ich an diesen Kuss denke.« Millie Bobbie Brown fächert sich Luft zu. »Leider können die beiden heute nicht hier sein, um den Preis entgegenzunehmen, aber Leute, wenn ihr das hier seht, ihr seid großartig. Und sagte ich schon, dass mir ziemlich heiß ist?«

1

Seit drei Monaten und acht Tagen ist mein Leben aus den Fugen. Vor drei Monaten und acht Tagen wurde die erste Folge der Netflixserie This is Our Time ausgestrahlt – mit mir als Hauptfigur wider Willen. Und seither ist nichts, wie es war. Um ehrlich zu sein, es war auch schon davor eine ganze Weile nicht mehr, wie es war oder wie es hätte sein sollen oder was auch immer. Kurz dachte ich mal, es wäre sogar besser, als es hätte sein sollen, aber am Ende ist es dann doch zu der Katastrophe geworden, die eine kitschige Romanvorlage für eine Schmachtschnulze hergeben würde – minus das Happy End. Nicolas Sparks, wie wär’s?

Vor zwei Monaten und dreiundzwanzig Tagen hatte jedes Familienmitglied seine eigene Strategie entwickelt, mit den Paparazzi umzugehen, die für eine Weile vor unserem Haus im Stadtviertel Burbank regelmäßig aufgetaucht sind. Mein Dad begegnete ihnen mit einer enormen Geduld und völlig unangebrachter Höflichkeit. Wenn er morgens das Haus verließ, um zur Arbeit zu fahren, nickte er ihnen zu, wünschte ihnen einen schönen Tag. Meine Mom hingegen warf ihnen auf Serbisch wüste Beschimpfungen an den Kopf, sobald sie ihr zu nahe kamen. Eric, mein fünfzehnjähriger Bruder, brauchte auf einmal doppelt so lange im Bad, fing an, sein Taschengeld für teure Sneakers und stylische Jeans auszugeben, und genoss den Gang zum Schulbus unter dem Klicken der Kameras geradezu.

Und ich? Ich rannte. Rannte zu meinem Auto, fuhr mit quietschenden Reifen aus der Einfahrt auf die Straße und zur Uni, wo ich mir die Kapuze meines Hoodies tief in die Stirn zog, in der Hoffnung, nicht erkannt zu werden.

Meine Freunde Leia, Chloe und Marcello machten sich eines Tages einen Spaß daraus, in This is Our Time-Masken zu erscheinen. Weiß der Geier, woher sie die hatten. Marcello ging als Lidia Penning aka Amber, Chloe war Rio McQuoid aka Ryder, Leia Theo, der von Casimir Lapine gespielt wird, und mir reichten sie mein eigenes Gesicht als Maske. Die Witzbolde.

Immerhin haben sich die Paparazzi inzwischen spannendere Motive für ihre Schnappschüsse gesucht als die Familie Resnik und sind wieder weg. Vermutlich hat die Welt langsam verstanden, dass ich eine Eintagsfliege war, und dieser Gedanke tröstet mich.

Denn am liebsten würde ich vergessen, was war und was nicht mehr ist und was nicht war und jetzt ist. Aber die Erinnerungen sind zu präsent. Zu mächtig. Erinnerungen an Küsse, an Berührung, an Nähe. An Spiel, aus dem Ernst wurde, und Ernst, der auf einmal nichts mehr wert war.

Und selbst wenn die Erinnerungen an meine kurze Romanze mit dem Hollywood-Star Rio McQuoid nicht so präsent wären, gäbe es immer noch Eric, der rein gar nichts davon hält, dass ich mich vor der Welt verstecke, indem ich nur zwischen Zuhause und Uni hin- und herpendle. Noch weniger hält er davon, dass ich nicht mehr mit Rio McQuoid zusammen bin. Und am allerwenigsten hält er davon, nicht über die ganze Sache zu sprechen.

»Aber ihr liiiiiiebt euch doch!«, sagt er. Oder: »Ich glaube nicht, dass das schon vorbei ist.« Dabei wirkt er sehr überzeugt. Oder: »Vielleicht solltest du ihm einfach mal schreiben. Oder ich? Ich könnte ihm schreiben, wenn du willst.«

Ich lehne jedes Mal dankend ab, erinnere Eric an die Verschwiegenheitserklärung, die ich nach dem Ende unserer Beziehung unterschreiben musste, obwohl Rio mir versichert hatte, dass er mir vertraut. So viel zu Spiel und Ernst, echt und fake. Und wenn Eric sich dann mit seiner Minihündin Chaplin in sein Zimmer verzogen hat, bleibt mir nichts anderes übrig, als ein bisschen vor mich hin zu weinen, weil … na ja.

»Hast du’s gesehen?«, fragt Eric und stürzt in diesem Moment ohne anzuklopfen in mein Zimmer. Ein Königreich für ein bisschen Privatsphäre.

»Habe ich was gesehen?« Ich sitze an meinem Schreibtisch und versuche trotz allem, genug Hirnschmalz für das Exposé meines Abschlussprojekts zu mobilisieren. Nachdem ich mich den Sommer über exzessiv ins Nachholen des Stoffs aus dem Vorsemester vertieft hatte, um nicht an Rio zu denken, habe ich erstaunlicherweise alle Nachholklausuren bestanden und bin theoretisch zu den Abschlussprüfungen inklusive Abschlussarbeit zugelassen. Jetzt wartet meine Wunschbetreuerin auf das Exposé. Es muss richtig gut werden, damit sie mich trotz ihrer geringen Kapazitäten akzeptiert, dementsprechend stehe ich ein bisschen unter Druck.

»Auf dem Instagram-Kanal von This is Our Time?« Er ist so aufgeregt, dass seine Stimme bricht. Pubertät und Stimmbruch haben bei ihm lange auf sich warten lassen, was einer der Gründe war, warum die letzten Schuljahre für ihn nicht gerade einfach waren. Das und die Tatsache, dass er sich geoutet hat. Das woke Amerika schafft es leider immer noch nicht über die Schwelle jeder Highschool. »Das Internet explodiert gleich!«

Ich meide die sozialen Netzwerke, so gut ich kann. Nicht nur, weil die Menschen dort jede Distanz und jede Höflichkeit ablegen, wie ich am eigenen Leib erfahren habe. Ich, ein No-Name an der Seite des heißesten Schauspielers des Landes (so die gängige Meinung), die seiner beliebten Ex-Freundin Lidia Penning die Show stiehlt. Das hat viele zu ziemlich fiesen Kommentaren verleitet. Aber ich meide Instagram und Co außerdem, um nicht mit Neuigkeiten über Rio und Lidia bombardiert zu werden. Denn die beiden sollten ihre Fake-Reunion als Hollywood-Couple feiern, um This is Our Time zu promoten. Dabei ist es mir sogar egal, ob sie nun fake-zusammen sind oder echt-zusammen. Die Qualität des Schmerzes ist von der Qualität der Beziehung faszinierenderweise relativ unbeeindruckt.

»Okay, was ist passiert?« Ich kann mir ein Seufzen kaum verkneifen.

»Es wurde gerade verkündet, dass die zweite Staffel von This is Our Time schon nächstes Frühjahr anlaufen soll! Ihr fangt bald an zu drehen!« Er schlägt sich die Hände vor den Mund und quietscht, was mit seiner Stimme klingt, als würde man eine kettenrauchende Badeente durch einen Fleischwolf drehen.

»Was?«, entfährt es mir. Mein Herz rast. Und es rast von unter meiner Brust irgendwo in meine Eingeweide. »Nein!«

»Doch! Wie cool ist das!«

Ich schüttle langsam den Kopf. Das kann nicht sein. Das … Nein! Es ist unmöglich. Wie in Zeitlupe entsperre ich mein Handy und rufe mit klammen Fingern den Post auf. Die Buchstaben verschwimmen vor meinen Augen, weil mein Verstand sich weigert, zu lesen, was dort steht. Doch es ist eindeutig.

»Aber … die haben mich doch gar nicht gefragt!« Ungläubigkeit mischt sich mit Verwirrung mischt sich mit einer Art müder Frustration, die in den letzten drei Monaten und acht Tagen zu meinem Dauerbegleiter wurde.

»Was meinst du damit?«, will Eric wissen.

»Die haben nicht gefragt, ob ich bei einer zweiten Staffel dabei bin.« Natürlich gab es Gerüchte, dass es eine zweite Staffel geben würde, vor allem, weil This is Our Time zwei Monate lang auf Platz 1 der meistgeschauten Netflixserien in den USA, in UK und in diversen anderen Ländern war. Nicht, dass ich regelmäßig die Rankings gecheckt hätte, aber Eric hat mich gegen meinen Willen auf dem Laufenden gehalten. Doch für mich stand fest, dass ich nichts auf diese Gerüchte geben würde, bis sie mich fragten. Und es stand ebenso fest, dass ich dann ablehnen würde. Weil ich mein Leben zurückhaben möchte beispielsweise. Weil ich Drehbuchautorin werde und keine Schauspielerin. Weil ich die Wutausbrüche von Regisseur Ferris Linch nicht mehr ertragen würde. Und weil ich Rio McQuoid nie wieder begegnen will.

»Na ja, aber es steht da, oder?«, fragt Eric, dessen Begeisterung so etwas wie Unsicherheit gewichen ist. Er hat bestimmt Sorge, dass seine bescheuerte Schwester bescheuert genug ist, nicht seinen bescheuerten Traum zu leben.

»Es steht da«, gebe ich zu. »Aber sie haben nicht gefragt, also wollen sie mich vielleicht gar nicht mehr für eine zweite Staffel.« Der Gedanke erleichtert mich. Für einen kurzen Moment horche ich in mich hinein, um zu schauen, ob da auch so etwas wie gekränkte Eitelkeit ist, weil ich offenbar nicht gut genug für eine zweite Staffel bin. Aber nein, da ist einfach nur Erleichterung.

»Aber warum haben sie dich dann getaggt?«

»Weil es Sadisten sind?«, schlage ich vor, aber auch wenn das zu hundert Prozent stimmt, ist es doch merkwürdig.

»Lidia und Casimir haben sich schon in ihren Storys dazu geäußert. Ich finde, du solltest das auch tun.«

»Ich finde, ich sollte mich raushalten und hoffen, dass sie mich vergessen haben.« Und wenn nicht, werde ich einfach Nein sagen.

»Sie können dich schon deswegen nicht vergessen haben, weil #Rydison auf TikTok trendet, seit der Post online gegangen ist.«

»Was?«

»Hab ich dir das nicht gesagt? Ihr habt einen Hashtag, weil die Leute euch so gut zusammen finden.«

Jetzt verknotet sich mein Inneres. Denn das, was die Leute sehen, das, was sie gut finden, ist das Echte. Echte Emotionen. Von meiner Seite. Und es ist ein richtig beschissenes Gefühl, dass dieses Echte jetzt da draußen ist. Auch wenn es ein abgeschlossenes, in sich geschlossenes gefilmtes Gefühl ist.

»Na ja, ihr habt schließlich nicht ohne Grund den besten Kuss gewonnen, oder?«

Ich schlucke. Bei der Preisverleihung habe ich einen familiären Notfall vorgeschoben, um nicht teilnehmen zu müssen. Zu groß war meine Angst, Rio wiederzusehen. Es war also keine komplette Lüge, wenn man mich selbst als Teil meiner Familie und meine mentale Gesundheit als Notfall sieht. Eric, der die gesamte Veranstaltung im Livestream geschaut hat, verkündete allerdings noch in seinem Jubel, dass Rio auch nicht da war.

»Jetzt hat Rio es auch geteilt. Aber nur den Post.«

»Das macht er nicht selbst«, sage ich. »Das macht sein Social-Media-Team.«

»Seltsam.«

»Dass er ein Team dafür hat?« Ich schnaube.

»Nein, dass er nicht mal jetzt auftaucht.« Er blickt von seinem Handy auf. »Alle anderen haben in ihren Storys Videos gepostet, in denen sie sagen, wie sehr sie sich freuen. Aber Rio ist seit der Premiere wie vom Erdboden verschluckt.«

Eric hat schon ein paarmal versucht, mit mir darüber zu mutmaßen, was es zu bedeuten hat, dass Rio McQuoid seit drei Monaten und acht Tagen keinerlei Online-Präsenz oder überhaupt irgendeine Präsenz mehr hat. Aber ich habe ihn jedes Mal abgewürgt, weil der bloße Gedanke an Rio McQuoid mir die Luft abschneidet.

»Und das ist interessant, weil …?«, frage ich.

»Weil du nicht über ihn hinweg bist.«

»Bin ich wohl. Du bist derjenige, der nicht über ihn hinweg ist.«

»Einigen wir uns auf ›wir beide‹.«

»Ich weiß auch nicht, wie man über ihn hinwegkommen soll, wenn es für dich kein anderes Thema gibt«, sage ich kleinlaut, denn er hat natürlich recht.

»Ferne.« Eric legt die Hände in den Schoß, als wäre ich die kleine Schwester und er hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen. Was er vielleicht auch hat. »Findest du es nicht merkwürdig? Normalerweise ist das Internet voll von Rio. Wie er Party macht, wie er sich mit irgendwelchen Models trifft, wie er mit Lidia ausgeht. Aber seit Monaten wurde er nicht mehr fotografiert.«

»Weil die alle vor unserem Haus abhingen?« Ich versuche mich an einem dünnen Witz.

»Und das zeigt, dass er eben nicht angefangen hat, Lidia zu daten, so wie du es behauptet hast. Genau genommen hat er gar niemanden gedatet.«

»Das weißt du nicht.«

»Okay, selbst wenn. Findest du es nicht komisch, dass er so völlig von der Bildfläche verschwindet? Gerade wenn die Serie des Jahres durch die Decke geht? Nach all der schlechten Presse, die er hatte?«

Ja, es ist vielleicht tatsächlich komisch, dass Rio McQuoid so vollständig untergetaucht ist. Vor allem, nachdem es Netflix und seinem Manager und allen anderen, die irgendwas zu sagen hatten, so wichtig war, dass er sich mit Lidia zeigt, um die Show anzukurbeln. Was, wie sich herausstellte, nicht mal nötig war, weil die Kombination aus Rio McQuoids Gesicht und meinen sehr echten Gefühlen offenbar eine unschlagbare Kombination ist. Aber ich möchte nicht darüber nachdenken. Denn wenn ich damit anfange, messe ich seinem Verschwinden Bedeutung bei, was genau das Gegenteil von allem ist, was ich tun sollte. Mich auf mein Studium zu konzentrieren. Des Zufalls Schicksal schreiben – oder wenigstens das Exposé. Und parallel dazu: die letzten Monate aus meinem Gedächtnis streichen, um irgendwie klarzukommen.

Als Mom uns wenig später zum Abendessen ruft, liegt ein an mich adressiertes Päckchen auf der Kücheninsel.

»Was ist das denn?«, frage ich, doch eine Antwort ist überflüssig, da auf dem Adressaufkleber das Logo des Studios prangt.

»Kam vorhin mit einem Kurier«, sagt Mom trotzdem.

»Was ist es?« Eric hüpft neben mir auf und ab. »Mach schon auf!«

»Es sind …« Ich ahne es bereits. Aber es ist egal. Denn das hier wird nicht passieren. »… die Skripte für die ersten drei Folgen.« Ich zeige Eric den Papierstapel, der von zwei goldenen Musterklammern zusammengehalten wird.

»Wow!«, entfährt es ihm, während ich es gerade zurück in den Umschlag stecken will. »Halt, was machst du da? Magst du sie nicht lesen?«

Ich schüttle den Kopf. »Es ist streng vertraulich.« Ich deute auf die graue Schrift, die quer über jeder einzelnen Seite prangt. »Ich darf mir nichts zuschulden kommen lassen, bevor ich morgen mit denen kläre, dass sie sich eine andere Madison suchen müssen.«

»Du meinst das wirklich ernst.« Eric lässt sich enttäuscht auf die Eckbank sinken.

»Natürlich meine ich das ernst.«

»Und wir unterstützen dich«, sagt Mom.

»Bei jeder deiner Entscheidungen«, fügt Dad hinzu.

»Ihr vielleicht«, mault Eric, aber ich weiß, dass er es verstehen wird. Noch nicht heute. Noch nicht morgen. Aber es ist die richtige Entscheidung.

2

»Ich habe die Anweisung, Sie nach unten zu bringen.« Mit einem unsanften Ratschen wird der Vorhang zur Seite gezogen. Ich blinzle, denn obwohl der Vorhang cremefarben ist, dunkelt er mein Schlafzimmer dennoch vollständig ab.

»Hä?« Verschlafen reibe ich mir die Augen. Dann blicke ich auf mein Handydisplay. Es ist Viertel nach zwölf.

»Das Training ruft.« Hans klatscht motiviert in die Hände. Eigentlich heißt er anders, aber weil er deutsch ist und ich mir seinen echten Namen nicht merken kann, nenne ich ihn Hans. Außerdem kann ich ihn nicht leiden.

»Wer hat dich reingelassen?«, frage ich einigermaßen genervt und blinzle gegen die Helligkeit.

»Ich mich selbst.« Er hat einen starken Akzent. In Kombination mit seinem blonden Bürstenschnitt und der bulligen Statur macht ihn das zur perfekten Besetzung für den Vollstrecker des genialen Bösewichts in einem Actionfilm.

»Dann kannst du dich selbst auch wieder rauslassen.« Und dann würde ich gern mein Schloss austauschen lassen. Danke.

»Mr Abbott hat gesagt, es wird Zeit, dass Sie sich wieder in den Griff kriegen.«

Ich schnaube und ziehe mir die Decke über den Kopf. »Mr Abbott kann mich am Arsch lecken«, sage ich, weil Steve wirklich gar nichts zu melden hat nach der Shitshow der letzten Monate. Doch ich weiß nicht, ob Hans mich überhaupt hört.

»Das können Sie ihm gern selbst sagen.« Hans zieht mir die Decke weg und hält mir sein Smartphone hin.

»Dein Ernst?«, frage ich, nehme es aber entgegen, weil mein pochender Kopf anscheinend noch zu langsam ist, um sinnvolle Entscheidungen zu treffen. »Hm?«

»Rio.« Er klingt streng. Wie ein enttäuschter Vater. Nur dass Steve Abbott nicht mein verfickter Vater ist, sondern mein Manager. »Du reißt dich jetzt am Riemen.«

»Du reißt dich jetzt am Riemen? Bist du auf Koks oder was?«

»Ich sicher nicht.« Der stumme Vorwurf, dass er es mir aber sehr wohl zutraut, entgeht mir nicht. Als ob. Um an Koks zu kommen, müsste ich vor die Tür. Oder jemanden haben, den ich vor die Tür schicken kann. Ich rufe ja wohl kaum an der Rezeption an, geschweige denn schicke ich Hans. Außerdem steht mir der Sinn nicht einmal nach Koks. Der Sinn steht mir nach Whisky und traumlosem Schlaf. »Hör zu, Rio. Du bist der Boss. Schon klar. Aber die haben den Drehstart vorverlegt. Und ich habe so eine Ahnung, dass du in der letzten Zeit nicht unbedingt ein regelmäßiger Gast im Gym warst. Wenn du also keine Vertragsstrafe riskieren willst …«

»Welcher Drehstart?«, frage ich.

»This is Our Time? Die zweite Staffel?«

»This is Our was?« Wir haben doch gerade erst abgedreht. Wir hatten doch gerade erst Premiere. Aber den Gedanken daran schiebe ich sofort in die allerhinterste Ecke meines erbärmlichen, in Alkohol wabernden Hirns.

»Gib mir Ludger.«

»Wen?« Ich schwöre, gleich werfe ich das Handy aus dem Fenster.

»Deinen Security.«

»Ich mag ihn nicht.«

Hans streckt seine Hand nach dem Smartphone aus. Er war so unbeweglich während der letzten Minuten, dass ich vergessen hatte, dass er da ist. Er heißt Ludger? Was ist das für ein Name?

»Das hättest du dir womöglich überlegen sollen, bevor du Ruben gefeuert hast.« Ich kann an Steves Stimme hören, dass er grinst, der Wichser.

Der Tag, an dem ich komplett die Kontrolle verloren habe, war der Tag, an dem Steve endlich Ruben loswurde. Und dass er sich immer noch darüber freut, macht, dass mir übel wird. Aber Ruben hat Grenzen überschritten. Er glaubte zu wissen, was gut für mich war. Was ich wollte. Oder wollen sollte. Was meine Probleme lösen würde. Dabei hatte ich ihm im Vertrauen gesagt, wie beschissen es mir ging. Wie elend. Wie sehr ich sie vermisste, obwohl sie mir das verdammte Herz rausgerissen hatte. Und dann hat er es Steve erzählt. Arschloch. Selbstgerechtes Arschloch, das bis zum Ende Arbeit und Freundschaft nicht unterscheiden konnte, obwohl ich es ihm mehr als einmal gesagt habe.

»Gib mir jetzt Ludger«, sagt Steve wieder, und ich reiche dem deutschen Hünen das Handy.

»Jaaa«, sagt er gedehnt in seinem bescheuerten Akzent. »Jaaa.« Gott, ich kann ihn wirklich nicht ausstehen.

»Und?«, frage ich.

»Dusche«, sagt er. »Kalt.«

»Fick dich.«

»Dusche«, sagt er erneut.

»Fick. Dich.« Diesmal betone ich jedes Wort.

»Dusche.« Er ist wie ein Stein. Vollkommen emotionslos. Und alles prallt von ihm ab. Ein beschissener Teflon-Stein.

»Wenn ich trainieren soll, macht eine Dusche wenig Sinn, du Genie«, sage ich.

In diesem Moment packt er mich. Er nimmt mich einfach hoch und trägt mich ins Badezimmer. Erst in der Dusche stellt er mich ab, dann macht er das Wasser an. Und ich … keuche!

»Das ist kalt, du Arschloch!«

»Anweisung vom Chef.« Er schaltet das Handy, das er offenbar die ganze Zeit in der Hand hatte, auf laut.

»Sorry, Rio«, quäkt Steves Stimme aus dem Lautsprecher. »Aber so kann es nicht weitergehen.«

Ich stehe in meinen Boxerbriefs unter dem kalten Wasserstrahl und spucke einmal aus. Zur Hölle mit ihm. Zur Hölle mit Hans. Zur Hölle mit allen.

»Ist die Sache scheiße gelaufen am Ende von Staffel eins? Ja. Dachten wir, wir würden das Richtige tun? Ja. Hast du zugestimmt? Ja. Du bist selbst für dein Leben verantwortlich, Rio. Du kannst nicht anderen die Schuld für die Entscheidungen geben, die du selbst triffst. Aber hier und heute musst du wieder zur Vernunft kommen, hörst du?«

»Weil du weiter Kohle scheffeln willst«, murmle ich, aber ich sage es nicht laut. Er hat schließlich recht. Ich bin für diesen Witz von Leben verantwortlich. Welch beschissene Wonne mir doch zuteilwird! Und Steve ist und bleibt nun mal der einzige Mensch, der immer zu mir hält. Egal, was passiert. Egal, wie sehr ich verkacke. Egal, wie grenzenlos scheiße die Entscheidungen sind, die ich treffe. Nicht wie Ruben. Nicht wie … fuck it.

»Du bist Rio McQuoid. Du bist der verflucht talentierteste Schauspieler, den diese Schwachköpfe je erlebt haben. Und du bist der verflucht heißeste Kerl, den sie je gesehen haben. Also beweg deinen Hintern ins Fitnessstudio. Lern deinen Text. Krieg dich in den Griff.«

Das kalte Wasser prasselt unaufhörlich auf meinen Kopf. Langsam fange ich an zu zittern. Doch Hans steht drohend neben mir. Er wird ebenfalls nass, aber ihm scheint es nichts auszumachen, was wieder für die Theorie vom Teflon-Stein spricht. German Engineering oder so.

»In der letzten Zeit warst du so gut wie überhaupt nicht präsent. Die ganze Welt rätselt, wo du bist. Und die ganze Welt wartet nur darauf, dass du wiederauftauchst. Und ehrlich gesagt, ist schlechte Publicity immer noch besser als gar keine Publicity. Du hast also die Wahl: Zeigst du ihnen die zugedröhnte Version von dir in einem miefigen Hoodie und mit blutunterlaufenen Augen?«

»Nein«, sage ich.

»Braver Junge. Also sieh zu, dass du wieder in Form kommst. Und dann kehrst du zurück. Und zwar mit einem Knall. Du bist Rio McQuoid.«

Und eine Sache muss man Steve, dem alten Drecksack, lassen. Damit hat er beschissenerweise recht.

Im Gym stemmt Hans Gewichte, während ich erst mal versuche, klarzukommen. Mein Kreislauf ist im Keller, weil ich wochenlang kaum aus meinem Bett aufgestanden bin. Ich fühle mich unfit, im Spiegel erkenne ich mich kaum wieder, und das passt perfekt zu diesem leeren, völlig fremden Gefühl in meinem Inneren. Meine Augen liegen in tiefen, dunklen Höhlen. Ich bin blass und grause mich vor mir selbst. Herzlichen Glückwunsch, du bist also Rio McQuoid.

Ich beginne mit einem kleinen Warm-up, das meinen Puls deutlich schneller in die Höhe treibt, als mir lieb ist. Dass Hans mich dabei beobachtet, kratzt an meinem Ego, und zum ungefähr zehnten Mal heute und zum tausendsten Mal, seit er für mich arbeitet, habe ich große Lust, seinen beschissenen Arsch aus meinem Sichtfeld zu katapultieren. Aber ich weiß, dass Steve richtig sauer wäre. »Weißt du, wie schwer es ist, gute Leute zu finden?«, sagt sofort seine Stimme in meinem Ohr. Dabei könnte es mir nicht egaler sein.

Nach ein paar Sit-ups und Squats beschließe ich, dass es sinnvoller ist, ein bisschen aufs Laufband zu gehen, um mich erst einmal wieder an eine vertikale Position zu gewöhnen. Scheiße, ich habe mich echt so richtig gehen lassen. Steve hat mich gewarnt. Ruben auch, aber über den will ich nicht nachdenken.

Nach ungefähr einer Stunde deutet Hans mit einem knappen Nicken an, dass es reicht. Warum auch immer er das zu entscheiden hat, weiß ich nicht. Warum ich mich füge, noch viel weniger. Steve soll bis zum Drehstart einen Personal Trainer engagieren. So viel steht fest. Denn eine Sache weiß ich ganz genau: Ich werde mich dort nicht blamieren. Ich werde mit einem Knall dort auftreten, wie Steve gesagt hat. Wenn man ich ist, kann man sich etwas anderes schlicht und einfach nicht leisten. Das weiß ich jetzt, wo ich wach und schmerzhaft nüchtern bin.

Nach einer weiteren Dusche – warm diesmal – ziehe ich mir zum ersten Mal seit Tagen eine Jeans an.

»Hey, Hans«, sage ich in Ermangelung eines anderen Gesprächspartners. »Zockst du?« Ich deute auf die Konsole neben dem Fernseher.

Hans hebt eine Augenbraue.

»Bisschen rumballern? Um uns kennenzulernen?«

»Nein, danke«, sagt er. »Ich bin nebenan, wenn Sie etwas brauchen.«

Mit diesen Worten verschwindet er. Und ich … ziehe mir die Jeans wieder aus und krieche zurück unter die Bettdecke, weil mich dieses schauderhafte Gefühl der absoluten, bodenlosesten Leere erfasst. Das ist mein Leben. Ich bin Rio McQuoid. Aber ich habe keine Ahnung, was, zur Hölle, das eigentlich bedeuten soll. Und ich kann beides ums Verrecken nicht ausstehen.

3

Ich sitze an einem langen, ovalen Tisch. Vor mir ein Glas Wasser, mir gegenüber Amanda Nicholls und Charles Silverman, die Produzenten von This is Our Time, daneben zwei mittlere Tiere von Netflix sowie Ferris Linch, der Regisseur, und seine Assistentin Izzy, die mich zur Begrüßung umarmt hat. Aber in diesem Moment ist auch ihre Miene versteinert.

»Wie bitte?«, fragt Amanda völlig entgeistert, weil ich ihnen eröffnet habe, dass ich bei der zweiten Staffel nicht dabei sein werde.

»Wie gesagt, ich wurde nicht einmal gefragt. Es tut mir leid, wenn ich euch enttäuschen muss. Ich hoffe, ihr könnt das verstehen.« Ich zucke entschuldigend mit den Schultern, blicke aber in lauter überraschte Gesichter. Nur Ferris kratzt sich gelangweilt an der Nase. Amanda schüttelt langsam den Kopf.

Es tut mir wirklich leid, dass ich ihnen einen Korb geben muss. Auch wenn sie nicht zu den nettesten Menschen auf der Welt gehören – aber wer tut das schon, wenn er in dieser Branche nach oben kommen will –, versuchen sie eben doch alle, einfach nur ihren Job zu machen. Und der wird durch mich in diesem Moment schwerer. Sonst ist so etwas nicht meine Art, aber das hier muss ich für mich tun.

»Schätzchen …« Nun wendet sich Charles mir zu. Seine Stirn ist in Falten gelegt, sein Gesicht sieht gequält aus. Und dann … beginnt er zu lachen. Was passiert hier?

Im nächsten Moment stimmt Amanda ein, und auch Ferris kann sich nicht mehr halten und prustet los.

»Ihr findet sicher einen tollen Ersatz«, versuche ich es, doch niemand nimmt Notiz von mir.

Dann, wie auf Knopfdruck, werden Charles und Amanda wieder ernst, und Charles sagt: »Dein fucking Ernst?«

»Äh …« Jetzt nicht einknicken. Stark bleiben. Für mich. »Ja. Es tut mir ehrlich leid.«

»Alles klar, dann lassen wir ein entsprechendes Schriftstück aufsetzen. Allerdings – aber das weißt du ja sicherlich, nicht wahr? – …« Er kramt in seinen Unterlagen. »… wird das nicht ganz billig für dich.«

Wie bitte? Ich blicke Charles mit weit aufgerissenen Augen an. Was meint er damit?

»Du siehst nicht aus, als wüsstest du das«, stellt er mit offensichtlicher Genugtuung fest. »Hast du deinen Vertrag nicht gelesen?«

Natürlich habe ich meinen Vertrag gelesen. »Doch, ich …«

»Dann erinnerst du dich sicher an diesen Paragrafen.« Er hat gefunden, was er gesucht hat, und liest nun daraus vor. »Die Schauspielerin verpflichtet sich, für eine potenzielle zweite Staffel ebenfalls die Rolle der Madison Maguire und zu denselben oben genannten Konditionen zu spielen. Bei Nichterfüllung des Vertrags wird eine Vertragsstrafe in Höhe von siebenhundertfünfzigtausend Dollar fällig.«

Mir steht der Mund offen. Mein Herz ist mir irgendwo in die Kniekehlen gesackt. Denn daran erinnere ich mich tatsächlich nicht. Aber dort steht es. Schwarz auf weiß. Und meine Unterschrift prangt darunter.

»Zahlbar in drei Raten à zweihundertfünfzigtausend Dollar.« Er grinst. »Wir sind schließlich keine Unmenschen.«

Ich schließe meinen Mund. Das kann ja wohl nicht wahr sein! Das ist mehr als dreimal so viel, wie ich für eine gesamte Staffel bekomme! Ich fühle mich, als würde ich neben mir schweben, außerhalb meines eigenen Körpers, und das alles aus heilsamer Distanz wahrnehmen. Ich sehe mich selbst, die ich hier sitze wie ein begossener Pudel. Wie ich nachgrüble, wie mir das entgangen sein könnte. Wie mir langsam dämmert, dass ich aus dieser Sache nicht rauskomme, obwohl ich den Gedanken, an den Set zurückzukehren, wirklich und wahrhaftig nicht ertrage. Aber es ist gut, dass ich neben mir schwebe, denn sonst müsste ich wohl einfach hier und jetzt anfangen, zu schreien. Oder zu heulen. Doch diese Genugtuung werde ich ihnen nicht geben.

»Ich wünschte, wir hätten heute bessere Nachrichten für dich«, sagt Amanda, aber sie ist eine sehr schlechte Heuchlerin.

»Aber …«, sage ich, obwohl ich eigentlich bereits weiß, dass ich verloren habe. »Aber … hättet ihr nicht wenigstens Bescheid geben müssen?« Gehört das nicht auch in so einen Vertrag? Damit man nicht am Ende an so einem beschissenen Tisch sitzt und sich zum Vollhonk gemacht hat?

»Wie meinst du das?«, fragt Amanda.

»Na ja …« Ich schöpfe wieder etwas Mut. Das war schließlich eine richtig arschige Aktion! »Wieso musste ich von Social Media erfahren, dass es eine zweite Staffel gibt? Steht dazu nichts in dem Vertrag? Dass die Leute vielleicht mal Bescheid kriegen oder so?« Endlich ist da ein bisschen Wut. Nicht nur Passivität, die wie ein Wackelpudding in mir herumwabbelt.

Amanda blickt zu Charles, der wiederum in seinen Unterlagen kramt. Ein Netflixtyp flüstert dem anderen etwas zu.

»Hat dich deine Managerin nicht angerufen?«, fragt Charles.

»Ich habe keine Managerin.« Verflucht, will ich noch hinterherschieben, aber gerade scheinen sie selbst ein bisschen verwirrt, vielleicht kann ich das ausnutzen.

»Keine …« Charles sieht von seinen Unterlagen auf. »Das muss uns dann wohl durchgerutscht sein. Wir werden der Sache auf den Grund gehen. So sollte das eigentlich nicht ablaufen.« Er verzieht sein Gesicht zu einer bedauernden Grimasse, und mir tut der arme Tropf, der das verbockt hat, jetzt schon leid. Gleichzeitig bin ich ihm unendlich dankbar.

»Also versteht ihr, dass ich unter dieser Voraussetzung …«

»Schätzchen«, unterbricht mich Amanda, »ein versäumter Anruf entbindet dich sicher nicht von deinen vertraglich geregelten Pflichten. Ich schlage also vor, du fährst nach Hause und machst dich mit dem Drehbuch vertraut.«

»Es ist brillant wie eh und je«, sagt Ferris in sarkastischem Tonfall, aber die Qualität des Drehbuchs könnte mich in diesem Moment nicht weniger interessieren.

Denn auch wenn ich nach der Sache mit dem Vertrag ohnehin kaum Hoffnung hatte, fühlt es sich trotzdem an, als hätte man mir sehr, sehr fest mit einer Stahlfaust in den Bauch geboxt. Nur gut, dass der Wackelpudding wieder da ist, denn da geht die Stahlfaust einfach durch.

So ist das also, wenn man sich fügt, denke ich auf meinem Weg nach draußen. Unwillkürlich muss ich an Rio denken. Nicht nur, weil wir uns wiedersehen werden, wird mir auf einmal bewusst. Sondern auch, weil er sich immer fügt. Genau das ist sein verdammtes Problem. Genau das ist jetzt auch mein verdammtes Problem. Sie haben mich in der Hand, so wie sie ihn in der Hand haben.

Zurück zu Hause würde ich alles lieber tun, als einen ersten Blick ins Drehbuch von Staffel zwei zu werfen. Buchstäblich alles, sodass ich die Spülmaschine ausräume, Wäsche zusammenlege, die sich in der Waschküche gestapelt hat, Chaplins Näpfe spüle, sogar kurz Instagram öffne. Aber weil mein Nachrichteneingang explodiert, sperre ich den Bildschirm sofort wieder. Ich habe keine Lust, zu lesen, wie sehr sich alle auf die zweite Staffel freuen. Will keine Posts sehen, die mich mit Rio zeigen. Am liebsten würde ich mich einfach unter meiner Bettdecke verstecken und UNTERGARKEINENUMSTÄNDEN das Drehbuch lesen.

Also setze ich mich an meinen Schreibtisch und öffne die Datei mit meinem Exposé. Das Gute am Prokrastinieren ist, dass man die Aufgaben, vor denen man sich in den letzten Tagen gedrückt hat, sofort erledigt kriegt, wenn im Hintergrund etwas noch Unangenehmeres lauert.

Des Zufalls Schicksal erzählt die Geschichte meiner Urgroßeltern Josip und Dunja, die in benachbarten Dörfern im ehemaligen Jugoslawien aufwuchsen – er auf einem Bauernhof, sie als Tochter eines Richters. Niemals wären sie sich begegnet, doch der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs brachte sie zufällig auf der Überfahrt in die USA zusammen. Sie verloren sich aus den Augen, fanden sich wieder. Eine epische zufällige – oder schicksalsträchtige – Liebesgeschichte. Oder vielleicht auch beides, wenn man an des Zufalls Schicksal glaubt.

So viel zur Kurzzusammenfassung. Diese Geschichte zu schreiben, Dunja und Josip in einem Drehbuch lebendig werden zu lassen, ist alles, was ich jemals wollte. Und sollte dieses Ziel eines Tages dazu führen, meine Urgroßeltern, die ich nie kennengelernt habe, auf einer tatsächlichen Leinwand porträtiert zu sehen, wäre dies die Erfüllung meines größten Traums.

Ich wollte immer schreiben. Drehbücher für epische Filme. Genau wie Josip. Seit ich ein kleines Mädchen bin, erzähle ich Geschichten. Seit ich schreiben kann, schreibe ich sie auf. Alles lief nach Plan, bis ich wider Willen die Hauptrolle in dieser bescheuerten Serie bekam. Und jetzt … soll sich all das wiederholen? Soll ich wieder meinen Traum auf Eis legen? Soll ich wieder das, was mir alles bedeutet, aufschieben?

Ich haue in die Tasten. Charakterisiere Josip und Dunja, er, der kreative Träumer, der den Bauernhof seiner Eltern übernehmen sollte und durch die Emigration die Freiheit bekam, das zu tun, was er immer wollte; sie, die Tochter aus gutem Hause, die dem Sohn des Bürgermeisters versprochen war. Deren Familie in den USA erst einmal vor dem Nichts stand, das komplette Leben umgekrempelt zu einem ohne Annehmlichkeiten, ohne Geld, ohne Sicherheit. Doch in dieser Zeit wuchs sie über sich hinaus.

Ich schreibe eine Seite, zwei Seiten. Ich öffne sogar das bereits angefangene Drehbuch und füge Notizen zu einem Streit zwischen Josip und seinem Vater ein. Bis die Gedanken an das Skript in seinem Umschlag so laut werden, dass ich sie nicht mehr ignorieren kann. Denn ich muss wissen, was auf mich zukommt, und vor allem, wie nah Rio und ich uns sein werden. Wieder sein werden.

Im ersten Moment finde ich den Umschlag nicht, denn er liegt nicht mehr auf der Kücheninsel, sondern auf der Anrichte. Als ich das Drehbuch herausnehme, fällt mir außerdem auf, dass die Seiten etwas verknickt sind, als hätte schon jemand darin geblättert. Und auf der ersten Seite befindet sich ein schokoladengefärbter Fingerabdruck. Eric! Diese kleine Ratte. Ich zücke mein Handy, schieße ein Foto davon und schicke es ihm.

Weiß Mom, dass du nachts Schokolade isst?, schreibe ich dazu.

Obwohl Eric gerade Unterricht hat, antwortet er beinahe sofort. Sorry, sorry, sorryyyyyy liebste Ferne! Ich wollte es gar nicht lesen, aber dann ist es irgendwie doch passiert. Bitte erzähl Mom nichts von der Schokolade! Ich mach’s nie wieder.

Hast du von der Schokolade noch was übrig gelassen?, frage ich zurück.

Unter meinem Bett. Du kannst dir gern was nehmen.

Und so gehe ich mit dem Drehbuch bewaffnet in Erics Zimmer, finde eine beeindruckende Sammlung von Schokoladentafeln, Schokoriegeln und allem möglichen anderen Süßkram unter seinem Bett und ziehe mich dann mit einer reichen Auswahl in mein Zimmer zurück.

Ich öffne die Packung Skittles und schlage die erste Seite des Drehbuchs auf.

Folge 1, Szene 1

Noch bevor ich den ersten Satz lese, kippe ich mir eine ganze Ladung bunter Dragees in den Mund.

Ein typisches amerikanisches Einfamilienhaus – das Haus der Familie Maguire. Draußen ist es bereits dunkel, die Fenster sind erleuchtet. Es regnet. Ein Mann mit Kapuze steht hinter einem Baum und beobachtet das obere Fenster, in dem kein Licht brennt.

Drinnen tritt Madison in ihr Zimmer, schaltet das Licht ein, läuft zum Fenster. Sie wirft einen Blick nach draußen, als ahne sie, dass sie beobachtet wird. Doch sie ist nicht allein, denn hinter ihr betritt Theo das Zimmer. Er nähert sich ihr, und bevor man sieht, was passiert, zieht sie die Vorhänge zu.

Ich schlucke. Weil mein Mund voller zerkauter Skittles ist und weil ich es vor mir sehe. Rio im Kapuzenpulli. Und dieser Gedanke, dieses Bild brennt wie eine alte Wunde, die gerade wieder aufgerissen ist. Scheiße.

Ich lese weiter. Lese vom ersten Schultag des neuen Jahres. Ryder ist nicht wiederaufgetaucht. Es gibt Gerüchte. Doch Madison versucht, sie nicht an sich ranzulassen. Ihr bester Freund Theo ist an ihrer Seite, lenkt sie ab. Von den Gerüchten, von ihren Gefühlen. Mir schwant Übles. Die Autoren werden doch nicht etwa ein Love Triangle geschrieben haben? Wann war das zuletzt in? Als Edward und Jacob in Twilight um Bella gebuhlt haben?

Je weiter ich lese, desto sicherer bin ich mir, dass genau das passieren wird. Ryder kehrt zurück, allerdings nicht als Schüler der Sulphur Springs High, sondern erst einmal als Schatten, der Madison folgt. Also haben wir tatsächlich Stalker-Edward reloaded. Wow.

Madison und Theo kommen sich näher. Und näher. Und noch näher. Und dann küssen sie sich, während Edward/Ryder im Hintergrund steht und zusieht. In diesem Moment lasse ich das Drehbuch sinken und starre während der nächsten zwei Stunden einfach nur an meine Zimmerdecke. Ich sehe nicht nach links und rechts. Sehe nicht die Filmposter an, die mir so viel bedeuten, weil sie all meine Helden und Vorbilder zeigen. Ich blicke mit klopfendem Herzen an die weiße Decke und fühle mich müde und schwer und definitiv nicht bereit für all das. Nicht bereit für ein Wiedersehen. Nicht bereit für weitere Filmküsse. Und definitiv nicht bereit, dabei auch noch von Rio McQuoid beobachtet zu werden.

4

Ich reiße mich zusammen. Ich trainiere jeden Tag. Härter, als ich je trainiert habe. Ich trinke nicht. Ich esse nach irgendeiner Steinzeit-Diät, die mein neuer Personal Trainer empfiehlt. Ich gehe an mein Handy, wenn Steve anruft. Ich versuche, selbst Hans ab und zu widerwillig anzulächeln.

Ich lasse mir die Haare schneiden, den Bart auf perfekte 3-Tage-Länge trimmen, die Brust wachsen, meine Haut mit irgendwelchen Wässerchen, Pads, Ölen, was auch immer zum Strahlen zu bringen.

Mein Social-Media-Team kommt mit einem Fotografen für ein kleines Shooting in persönlicher Atmosphäre vorbei – so persönlich, wie es eben ist, wenn man in einer cremefarbenen Hotelsuite ohne jede Persönlichkeit lebt. Aber das hat man davon, wenn die eigene Persönlichkeit der Welt gehört. Und ich weiß noch nicht einmal, was diese Persönlichkeit ausmacht. Steve steht mit seiner bescheuerten blau getönten Brille und dem pseudo-artsy Schal daneben und gibt aufgeregt Anweisungen, die den Fotografen maßlos irritieren. Am Ende beschließen wir wohl beide, dass wir Steve einfach ignorieren.

Wir machen Close-ups von meinem Gesicht. Mit Daumen auf den Lippen, ohne Daumen auf den Lippen, dafür lächelnd. Dann lachend. Dann ernst. Dann mehr mit Daumen.

Erst trage ich ein weißes, halbwegs enges T-Shirt und Jeans, dann Hemd und Sakko, schließlich einen Strickpullover, weil Herbst ist und Menschen Pumpkin-Spice-Vibes und Strickpullis sehen wollen, obwohl es in L. A. tagsüber immer noch mehr als fünfundzwanzig Grad hat.

Im Anschluss verlegen wir das Ganze nach unten an den Pool, der extra zu diesem Zweck heute für andere Gäste geschlossen ist. Erst schießen wir ein paar Trockenaufnahmen – oben ohne in den von Palmen flankierten Arkadenbögen, oben ohne ein Buch in der Sonne lesend, oben ohne verträumt in die Sonne blinzelnd – und schließlich Aufnahmen im türkisblauen Wasser. Auftauchen. Haare ausschütteln. Mich aus dem Becken auf den edel gekachelten Rand stemmen. Es ist anstrengend, aber es tut gut, im Mittelpunkt zu stehen. Es fühlt sich angenehm normal an, wie mein Leben. Wie Rio McQuoids Leben.

Bald wird ein Post online gehen, die Welt wird ausrasten. Genauso, wie Steve es wollte. Genauso, wie es sich für mich geziemt.

Später sitzen Steve und ich in der Hotelbar und gehen meinen Schedule bis Drehbeginn und andere Dinge durch, die liegen geblieben sind. Er trinkt einen Whisky Sour, ich einen frisch gepressten Smoothie, der schmeckt, wie ich mir Gras vorstelle.

»Bist du okay?«, fragt Steve als Erstes, und seine Sorge könnte mich rühren, wäre sie echt.

»Mehr als okay«, erwidere ich. Ob es stimmt oder nicht, spielt keine Rolle. Nicht für mich und schon gar nicht für Steve.

»Wegen der zweiten Staffel von This is Our Time musst du dir jedenfalls keine Sorgen machen«, sagt er dann und fühlt sich enorm wichtig dabei, das merkt man ihm an.

»Sorgen?« Ich kann ihm nicht folgen. Der Grasgeschmack ist offensichtlich zu viel für mein kaputtes Hirn.

»Wegen deines kleinen Techtelmechtels mit der Praktikantin.«

Für den Bruchteil einer Sekunde will ich ihn korrigieren und ihren Namen aussprechen. Aber dann beiße ich mir auf die Zunge und nehme einen tiefen Schluck püriertes Heu. Als Selbstgeißelung gewissermaßen.

»Was meinst du?«, frage ich stattdessen, als ich mein Glas wieder absetze.

»Ich habe mich darum gekümmert.« Er zwinkert mir zu.

Kurz will ich fragen, worum genau er sich wie gekümmert hat. Aber dann entscheide ich, dass es mir egal ist. Ich werde dieser Sache, dieser kleinen Störung keinerlei Bedeutung mehr beimessen. Ich war dumm genug, mich einmal davon ablenken und einlullen zu lassen. Ein weiteres Mal wird es mir nicht passieren.

»Hast du was von Ruben gehört?«, frage ich, um schnell das Thema zu wechseln, und könnte mich im nächsten Moment ohrfeigen. Auch er sollte nicht in meinen Gedanken sein. Ebenso wenig wie die Praktikantin.

»Sollte ich? Nach der vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses …«

»Vorzeitig?«, frage ich.

»Grobes berufliches Fehlverhalten berechtigt uns zur vorzeitigen Auflösung des …«

»Grobes berufliches Fehlverhalten?« Was redet Steve da? Ruben sollte nicht mehr für mich arbeiten, ja. Denn natürlich wollte ich, dass er verschwindet, nachdem er bei Steve gepetzt hatte. Ich hatte schließlich gedacht, ich könne ihm vertrauen. Doch er ist schnurstracks zu Steve marschiert und hat Alarm geschlagen, obwohl ich mich einfach nur in Ruhe abfucken wollte. Aber das, was Steve sagt, hört sich an, als hätte Ruben sich etwas Schlimmes zuschulden kommen lassen.

»Rio.« Es klingt wie ein Seufzen, während Steve seine Hände langsam faltet. »Er hat dein Vertrauen ausgenutzt und missbraucht. Deswegen habe ich das einzig Richtige getan. Ich habe ihm fristlos gekündigt. Was hätte ich sonst tun sollen?«

»Ihm eine Abfindung geben? Keine Ahnung.« Schließlich war er jahrelang an meiner Seite.

»Eine Abfindung? Meinst du das ernst? Erstens klang das vor ein paar Wochen ganz anders, als du rumgebrüllt hast, dass er dir nie wieder unter die Augen kommen soll. Und zweitens sind wir doch nicht die Wohlfahrt.«

Wir. Ich nicke langsam. Natürlich sind wir nicht die Wohlfahrt. Aber gleichzeitig sind wir doch auch niemand, der Familienväter von heute auf morgen einfach entlässt. Ich dachte, das wäre klar. Fuck.

»Mach nicht so ein Gesicht. Davon kriegst du Falten.« Steve lacht. »Es geht ihm gut.«

Aber woher weiß Steve das, wenn er nichts von ihm gehört hat?

»Ich habe ein paar Projekte, die du dir ansehen solltest. Damit wir gleich durchstarten können, wenn This is Our Time abgedreht ist.« Nun ist Steve derjenige, der unsanft das Thema wechselt, und vielleicht ist es besser so, denn all diese Gespenster aus der Vergangenheit machen es schwierig, sich aufs Hier und Jetzt zu konzentrieren.

»Was Gutes dabei?«, frage ich, als Steve einen Stapel Skripte auf den Tisch legt, merke aber schon in diesem Moment, wie müde mich die Vorstellung macht, mich durch die Seiten zu quälen.

»Sagt dir Sentry was?«

»Wer?«

»Die stärkste Figur im gesamten Marvel-Universum. Durch irgendein Serum hat er die Kraft von tausend Sonnen. Im echten Leben heißt er Robert Reynolds, aber als Sentry besiegt er Figuren wie Hulk und Thor.«

»Er verdrischt Chris Hemsworth?« Das könnte vielleicht doch ganz spannend sein.

Steve grinst. »Marvel will dich, aber weil sie ›Familienunterhaltung‹ machen« – Steve malt Anführungszeichen in die Luft –, »haben sie Sorge wegen deines psychischen Zustands. Deswegen müssen wir an deiner Comeback-Strategie feilen.«

»Comeback-Strategie?«

»Ich dachte an etwas, das die Menschen nicht erwarten. Etwas Großes. Etwas, das dich wieder in ein positives Licht rückt. Und offensichtlich hast du gute Vorarbeit geleistet. Du siehst top aus. Wenn ich dich nicht erlebt hätte, würde ich nicht glauben, dass du eben noch im Suff in deinem Schlafzimmer randaliert hast.« Er grinst blöde und fühlt sich mir vermutlich meilenweit überlegen, der Bastard.

Die letzten Wochen waren schließlich nicht der Normalzustand. Eine kleine Störung, nichts weiter. Ich bin einen Schritt vom Pfad abgekommen und ein bisschen ins Straucheln geraten, dort, wo der Untergrund überraschend holprig wurde. Jetzt bin ich back on track. Und ich sehe nicht nur top aus. Ich sehe besser aus denn je. Als hätte mir die letzte Zeit eine Tiefe verliehen, die vorher nicht da war. Ich sehe es im Spiegel. Ich habe es auf den Fotos gesehen. Da ist eine natürliche Melancholie, eine Reife, die ein ganz neues Level an sexy ist. Wer hätte gedacht, dass Rio McQuoid noch heißer werden kann? Bei diesem Gedanken muss ich fast lachen und fahre mir einmal mit dem Daumen über meine Lippen.

Dennoch habe ich keinen Bock auf Steves beschissene Strategie. »Ich will keine Strategie.«

»Wie bitte?«

»Lass uns einfach so tun, als wäre nichts gewesen, okay?« Wir müssen ja nicht unbedingt auch noch den Fokus darauf lenken, dass ich nicht gerade die glorreichste Zeit meines Lebens hinter mir habe, weil ich … keine Ahnung … Liebeskummer hatte? Mach dich nicht lächerlich.

»Die Menschen wollen Antworten, Rio. So ist das, wenn man ein Gesicht hat, das Teenager jeden Geschlechts auf ihrer Bettwäsche haben.«

»Wofür haben wir denn heute Bilder gemacht? Da kann man doch sicher einen nachdenklichen, ehrlichen Post zu schreiben, oder? Wofür bezahle ich die Leute?«

»Du bist der Boss, aber ich sage dir, wenn wir das Narrativ nicht kontrollieren, verselbstständigt es sich.«

Ich will auflachen. Höhnisch und giftig. Denn das war genau das, was ich … fast hätte ich wieder ihren Namen gedacht. Was ich ihr auch gesagt habe. Und dann ist alles vor die Hunde gegangen.

»Ich möchte einfach vermeiden, dass es hässlich wird«, sagt Steve. »Gerade bist du noch unter dem Radar, aber sobald du wiederauftauchst, werden sich die Gerüchte verselbstständigen. Das weißt du. Und du weißt auch, dass du gerade nicht der … Stabilste bist.«

»Ich habe dir gesagt, ich bin okay. Ich habe mich wiederhergestellt. Was soll ich deiner Meinung nach noch tun, um dir zu beweisen, dass ich zurück bin?« So langsam geht er mir wirklich auf die Nerven. Er geht mir immer auf die Nerven, aber manchmal überspannt er den Boden mit seinem ewigen Rumreiten auf fucking allem.

»Also muss ich mir keine Sorgen machen, dass du wieder verschwindest? Denn wenn, müssen wir uns überlegen, wie wir deinen nächsten Absturz wenigstens vermarkten können. Versteh mich nicht falsch, es wäre immer noch eine verdammt gute Story. Wir müssen sie nur richtig nutzen.«

Ich winke ab. »Ich war einfach erschöpft, Steve.«

»Erschöpft und zugedröhnt.«

Ich zucke mit den Schultern. Denn ja, den ein oder anderen Whisky habe ich mir genehmigt, das kann ich nicht bestreiten. Das war mit ein Grund, warum Ruben, der Verräter, Steve angerufen hat. Aber Steve muss gerade reden, schließlich hat er sich eben seinen zweiten Cocktail bestellt, während ich verfickten Heusaft runterwürge.

Doch die Art und Weise, wie Steve darüber spricht, impliziert, dass es mehr war als Whisky, und das geht mir gegen den Strich. Wer ist er? Ein verfluchter Heiliger? Mein Vater? Ich kann mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass er nichts von beidem ist, obwohl die Schnittmenge gleich null ist.

Der kurze Gedanke an meine Familie macht, dass sich die bekannte Leere in mir ausbreitet. Leere ist besser als Gefühl. Aber das macht sie nicht weniger scheußlich. Deswegen breche ich das Meeting hier ab. »Sorry, Steve, wir müssen das ein andermal weiterführen. Das Gym ruft.«

»Aber was machen wir mit der Strategie?«, fragt er.

»Scheiß auf die Strategie.«

Während ich die Hotelbar verlasse, höre ich noch Steves resigniertes »Du bist der Boss«. Dann bin ich am Aufzug und fahre nicht ins Gym, sondern nach oben in meine Suite, um der Leere mit Einsamkeit zu begegnen. Die beiden verstehen sich hervorragend. Mein Herz rast, und ich zwinge mich, ruhig zu atmen. Am liebsten würde ich mir eine Flasche Bourbon bringen lassen, aber das kann ich mir so kurz vor Drehbeginn nicht erlauben.

Stattdessen nehme ich mein Handy und schreibe eine kurze Nachricht an Ruben, um wenigstens mein Gewissen zu beruhigen.

Hey, Mann. Gerade mit Steve gesprochen. Sorry, wie das alles gelaufen ist, das war nicht meine Absicht. Sag Bescheid, wenn du was brauchst.

Ruben war immer derjenige, der mich noch irgendwie mit meiner Herkunft verbunden hat. Wir sind zusammen aufgewachsen. Er kennt die ganze Geschichte. Und dass er jetzt weg ist, hat das Gefühl der Leere verstärkt. Das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wo ich herkomme und wer ich überhaupt bin.

Zwei Sekunden später hat Ruben meine Nachricht bekommen, aber er macht keine Anstalten, mir zu antworten. Und sofort bereue ich, dass ich schwach geworden bin. Damit muss jetzt Schluss sein. Mit dieser Scheißverletzlichkeit.

5

 

 

»Ich habe das Exposé gelesen und bin mir sicher, du musst dir keine Sorgen machen«, sagt Leia neben mir, weil sie merkt, dass ich nervös bin.

»Die Geschichte ist so stark, Ferne.« Chloe hat mich ebenfalls bis vor das Büro von Professor Bernstein begleitet, weil ich mich, seit ich so was wie halbwegs berühmt bin, auf dem Campus unwohl fühle, wenn ich den neugierigen Blicken der anderen Studierenden allein ausgesetzt bin.

Professor Bernstein ist meine erste Wahl für die Betreuung meines Abschlussprojekts. Sie hat diverse Drehbücher für Navy CIS, Monk oder The Good Cop geschrieben und im vorletzten Semester eine Vorlesung zu seriellem Storytelling gegeben.

»Ich hoffe, ihr habt recht.« Eigentlich weiß ich, dass die Geschichte gut ist und alles hat, was große Filme brauchen. Aber weil es mein absolutes Herzensprojekt ist und ich in den letzten Tagen ein bisschen abgelenkt war, bin ich mir nicht mehr sicher, ob mein Exposé ihrem Anspruch genügt.

»Du hast dir in den letzten Monaten so krass den Arsch aufgerissen, wie ich es noch nie gesehen habe«, sagt Leia. »Bernstein weiß das bestimmt zu schätzen.«

In diesem Moment vibriert mein Handy.

»Ich glaube nicht, dass sie das interessiert.«

»Außerdem bist du so was wie ein Star. Niemand sagt Nein zu einem Star.« Chloe knufft mich in die Seite.

Wieder vibriert es. Und wieder. Und schließlich siegt die Neugierde, und ich werfe einen Blick darauf. Ich habe drei Nachrichten von Cas.

Ferney Ferne! Lange nichts gehört! Ich hoffe, dir geht’s gut.

Ich habe das Drehbuch gelesen, und wie es aussieht, kommen wir uns wohl ein bisschen näher. Das ist … schön?

Wie auch immer, ich freu mich, dich wiederzusehen!

Cas hat mir in den letzten Monaten seit der Premiere der ersten Staffel ab und zu geschrieben. Er war einige Wochen in einem maßlos teuren Hotel in Cancún und hat mich sogar gefragt, ob ich ihm ein paar Tage Gesellschaft leisten will. Kurz habe ich tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, aber dann siegte die Vernunft und der Ehrgeiz und das Lesepensum, das ich mir auferlegt hatte, um im Studium aufzuholen.