Für immer an meiner Seite - Ronja Forcher - E-Book

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Ronja Forcher

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Beschreibung

Bergdoktor-Star Ronja Forcher erzählt die berührende Geschichte einer Freundschaft, die ihr Leben veränderte Seitdem sie 11 Jahre alt ist, spielt sich Ronja Forcher in Der Bergdoktor als Lilli Gruber in die Herzen der Zuschauer*innen. Ihr strahlendes Lächeln und die positive, gewinnende Art sind aus der Erfolgs-Serie nicht mehr wegzudenken. Während die Fans ihr beim Aufwachsen zusehen, verbirgt sich hinter dem strahlenden Lächeln eine Geschichte, die sie bis heute für sich behalten hat. Ronja Forcher spricht das erste Mal über einen prägenden Teil ihrer Kindheit, die sie in einem idyllischen Tal zwischen Wiesen und Bergen verbringt, zusammen mit ihrer besten Freundin Sarah. Sie teilen alles miteinander: ihre Spielsachen, ihre Geheimnisse, die ganz großen Träume. Doch Sarah leidet an einer seltenen Erkrankung, die sie wie im Zeitraffertempo altern lässt. Und die beiden Mädchen müssen früh lernen, dass kein Glück für immer ist. Eine bewegende Biografie, die Mut macht und Trost spendet In ihrer Autobiografie gibt die Schauspielerin bisher unbekannte Einblicke in ihr Leben, schreibt von echter Freundschaft, dem großen Absturz, tiefer Trauer, Wut, Liebe sowie unendlicher Dankbarkeit.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 223

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ronja Forcher

Für immer an meiner Seite

Eine besondere Freundschaft und der Weg zu mir selbst

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

»Oft träume ich noch heute davon, einfach in See zu stechen.

Da gibt es diese Sehnsucht in mir nach einer Welt auf dem Wasser, in der nichts eine Rolle spielt bis auf die rauschenden Wellen, das Salz auf der Haut und die Sonne in meinen Augen.

Ich kann es beinahe spüren, wenn ich die Augen schließe: die feuchte Reling unter meinen braungebrannten Händen, das Knallen der Segel im warmen Wind und das Kreischen der tanzenden Möwen über mir.

Und natürlich du, an meiner Seite, in meiner Vision nicht an deinen Körper gebunden, sondern genauso frei und unbekümmert wie ich.«

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Kindheit

Beerdigung

Die Welt geht unter

Geschätzte Lesende

Zwei Frauen im Treppenhaus

Sarah und Ronja

Kindheit im Paradies

Mein größtes Glück

Das Fest für Sarah

Die Großmutter und der Tod

Diese eine Falte

Urlaub mit Mama

Piratinnen

Über Gänseblümchen und WGs

Alte Hosen sitzen gut

Sarahs Licht

Schluss mit dem Versteckspiel

Sonnenblumen für die letzte Reise

Darüber spricht man nicht

Mario Party und Nudelsuppe

Traurig in Wien

Ein Leben vor der Kamera

Freche Mädchen haben große Herzen

Abschied

Dies ist keine traurige Geschichte

Blass und klein

Eine neue Welt

Seerosen in Tschechien

Ruhe bitte, wir drehen!

Zwischen Samtkissen und Spielzeug

Das leere Meer

Die Freiheit der Drachen

Zeitungsartikel

Lauter, wilder, weiter

Heilung

Sonnenaufgang

Das nackte Dach

Unter dem Schutz des Kaisers

Liebe stirbt nicht

Was wirklich zählt

Ich liebe meine blauen Haare

Ich bin eine Optimistin

Die Schildkröte und der Rettungsring

Für immer an meiner Seite

Do not stand

Danke

Widmung

Kindheit

Beerdigung

Die Sonnenblume in meiner Hand zittert.

Es ist Sommer, und der warme Wind, der an den Grabsteinen entlang zu meinem Gesicht fährt, trägt einen Hauch von frisch geschnittenem Gras und weißen, erhitzten Kieselsteinen mit sich.

Die Blume in meinen Fingern ist noch leicht feucht, und ich wische mir die Hände an meiner gelben Bluse ab, die sich sanft bei jedem Schritt etwas bläht und wieder in sich zusammenfällt.

Eschen, Birken und Tannen wiegen sich über meinem Kopf, ihre raschelnden Blätter und Zweige die einzige Quelle an Schatten an diesem Nachmittag.

Meine Schritte knirschen dumpf unter mir, und alles, was ich anschauen kann, sind meine Turnschuhe.

Ich hasse diese bunten Schuhe an meinen Füßen, die sich dort unten am Ende meiner Beine so weit weg anfühlen, als würden sie jemand anderem gehören.

Hasse den staubigen Kiesboden unter mir, dessen Knacken und Knirschen neben meinem eigenen schweren Atem das Einzige ist, was ich höre.

Hasse den Weg, den ich zusammen mit dutzend anderen an alten Inschriften und windgeschützten Kerzen vorbei beschreite.

Doch noch viel mehr hasse ich das Ankommen.

Meine Augen, meine Tore in diese Welt, halte ich fest verschlossen.

Lausche dem Husten und Schnäuzen und Schluchzen der Menschen um mich herum und klammere mich an die brunnenwasserkühle Blume, die meine Handfläche kitzelt.

Die Worte, die über den Sommerwind hinweg zu mir getragen werden, schließe ich aus.

Mach mich zu, sodass nichts mehr rein kann in mich, kein Gefühl, kein Gedanke, kein Abschied. Nichts mehr rein und nichts mehr raus.

Die ungeweinten Tränen brennen, als sie an meiner zugeschnürten Kehle vorbei in meinen Magen fallen. Ich habe das Gefühl, an ihnen zu ersticken.

Als schließlich alles gesagt ist, blinzle ich mit rasendem Herzen in das entgegenkommende Licht.

Und blicke auf das frische Loch im Boden und den kleinen Sarg darin.

Wenn ich mich konzentriere, kann ich mir alles in ihm vorstellen.

Die rote Verkleidung aus weichem Samt.

Die bunten Glasmurmeln und den kleinen Kreisel.

Die Kuscheltiere und die Handpuppen, die ich diese Woche noch berührt habe.

Den feuerroten Drachen aus Schaumstoff und die Hälfte unserer Herde an Pferden aus Plastik.

Und den kleinen, stillen Körper, der mal jemand war, den ich gekannt habe und ohne den ich mir ein Leben nicht vorstellen kann.

Als ich an der Reihe bin, trete ich einen Schritt nach vorne.

Meine bunten Turnschuhe bringen etwas Erde zum Rutschen, und sie landet prasselnd auf dem Holz des Sarges.

Ich starre lange auf die Blume in meiner Hand.

Starre auf die Farben. Gelb, grün und braun brennen sie sich in mein Gedächtnis ein.

Mit einem letzten tiefen Durchatmen öffne ich meine kalten Finger.

Und lasse die Sonnenblume auf das Grab meiner besten Freundin fallen.

Die Welt geht unter

Liebe Sarah,

 

kannst du dich noch an den Abend erinnern, als wir dachten, die Welt geht unter?

Wir waren furchtbar aufgeregt. Die ganze Woche schon schüttete es wie aus Kübeln, die Stadt schimmerte glänzend grau und an den Fensterscheiben trommelte unentwegt der Regen. Wir waren überzeugt, dass an diesem Tag alle Flüsse über ihre Ufer treten und das kalte Wasser bis in unseren Garten rauschen, die Flügeltüren öffnen und in unsere Wohnung schießen würde.

Kichernd und quietschend bauten wir uns im Badezimmer ein Boot aus allen Decken und Kissen, die meine Eltern nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten, holten die bunten Becher von meinem letzten Kindergeburtstag aus dem Schrank, füllten Wasser, Cornflakes und Milch in Flaschen ab und richteten unser kleines Gefährt ein.

Ein aufgespannter Regenschirm wurde unser Steuerrad, leere, auf die Seite gedrehte Umzugsboxen unsere Kajüten und aufgestellte Kinderbücher das Gehege für meinen Kater Minos.

Als wir schließlich mit klopfenden Füßen auf unseren Bäuchen lagen, nahmen wir das alte Fernglas aus zwei zusammengeklebten Klopapierrollen zur Hand. Durch das bodentiefe Fenster im Bad sahen wir mit angehaltenem Atem in den dunklen Garten und berieten uns über die kommenden Wochen auf hoher See.

»Wenn die Welt unter Wasser steht, darf jede mal Kapitän sein«, machten wir im lauten Flüsterton aus.

»Unsere Vorräte reichen wahrscheinlich nur ein paar Tage. Wenn es darauf ankommt, muss eine von uns schwimmen und Nachschub holen«, gab Sarah zu bedenken.

»Dafür hab ich Mamas Schal!«, erwiderte ich. »Ich binde ihn dir um den Bauch, und du tauchst bis zum Erdboden. Wenn du zweimal daran ziehst, hole ich dich wieder rauf.«

»Und wenn ich einmal dran ziehe?«

»Dann hast du saure Gummibärchen gefunden.«

»Abgemacht.«

Wir ließen das Fernglas sinken und schauten rechts von uns zu dem kleinen Bücherstall, in dem mein schneeweißer Kater lag und leise schnurrend döste.

»Was ist mit Minos? Mag er Cornflakes?«

»Das weiß ich nicht so genau … Er mag auf jeden Fall den Fettrand von Mamas Frühstücksschinken.«

Wir sahen uns in die Augen.

»Gut, wer lenkt sie ab?«

»Du, und ich mache den Raub.«

Vor Aufregung ganz hibbelig stiegen wir aus unserem Boot auf den noch trockenen Fußboden.

Eine von uns zog sich einen schwarzen Strumpf über den Kopf und schlich an der Badewanne vorbei in die Küche. Die andere sauste ins Wohnzimmer und stellte sich vor den flimmernden Fernseher, um meine Eltern mit einer spannenden Fantasiegeschichte zu unterhalten.

Das leise Brummen des Geschirrspülers konnte das Öffnen und Schließen des Kühlschranks kaum überdecken.

Sobald der Schinken in unserem Besitz war und die geheime Melodie gepfiffen wurde, zischten wir beide wieder zurück in die Sicherheit des Bootes, unser Atem ganz schnell und die Augen strahlend.

»Das war knapp!«, riefen wir aus, die Herzen bis zur Brust schlagend, und blickten sofort wieder aus dem Fenster.

Und während draußen der Regen immer weiter und weiter aus dem grauen Himmel fiel, während mein Kater schmatzend den Frühstücksschinken von Mama mit Fettschicht und allem Drum und Dran verputzte, kuschelten wir uns eng zusammen, blickten mit jeweils einem Auge gemeinsam durch das Fernglas und warteten auf die große Flut.

 

In Liebe,

deine Ronja

Geschätzte Lesende

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser,

dies wird kein trauriges Buch.

Es behandelt vielleicht traurige Themen, ja, dennoch ist es ein Buch der Freude. Eine Geschichte von Liebe und Freundschaft und Treue.

Eine Erzählung meiner innersten Erinnerungen, ein Einblick in die Säulen, die mich gebaut haben, die mich stützen, die mir Halt geben.

 

Viele Jahre schon schlummert diese Geschichte in meinem Herzen. War lange ein liebevoll gehütetes Geheimnis, nur meinen engsten Freunden und Freundinnen bekannt, und selbst da nicht allen. Viel Zeit ist vergangen, seit ich das, was ich Ihnen auf den nächsten Seiten erzählen werde, erlebt habe. Doch egal wie viele Jahre und Momente mich von diesen Erlebnissen trennen, einen Wunsch habe ich mir über die ganze Zeit bewahrt, den Wunsch, sie mit der Welt zu teilen.

Irgendwann. In meinem Tempo. Mit meinen Worten.

 

Ich nehme Sie auf den nächsten Seiten mit auf eine kleine Reise. Sie beginnt früh, sogar noch vor meiner Geburt, und währt bis heute. Sie ist geprägt von den wahrhaftigsten und tiefsten Gefühlen, die ich jemals erlebt habe. Und sie führt ganz, ganz tief hinein in die innerste Welt meiner Gedanken und meiner Seele.

Ich freue mich von ganzem Herzen, Sie in den kommenden Kapiteln mitnehmen zu dürfen auf ein großes Abenteuer. Sie einzuladen, behutsam und vertrauensvoll auf eine Kindheit und Jugend zu blicken, in der ich selbst oft viel zu wenig Behutsamkeit und Vertrauen für mich übrig hatte.

Und fest daran zu glauben, dass am Ende alles gut wird.

Denn das tue ich auch.

Danke, dass Sie meinen Worten und Erinnerungen Ihre Zugewandtheit schenken.

Und vergessen Sie nicht: Dies wird kein trauriges Buch. Glauben Sie mir gerne.

Zwei Frauen im Treppenhaus

Die wichtigste Geschichte meines Lebens startete vor vielen Jahren mit zwei jungen Frauen in einem Innsbrucker Treppenhaus. Vor so vielen Jahren tatsächlich, dass es mich noch gar nicht gab.

1995 begegnete eine dreißig Jahre alte Bühnenbildnerin einer jungen achtzehnjährigen Mutter, als Erstere auf dem Weg in den Keller eines alten Wohnhauses war. Die Arme schwer mit Requisiten und aufgerollten Hintergründen beladen, blieb Ursula stehen, als ihr Blick durch die offene Tür einer Wohngemeinschaft im Erdgeschoss fiel, der Flur voller Umzugskisten.

»Seid’s ihr neu hier?«, fragte sie über die Türschwelle und pustete sich die rot gefärbten Haare aus dem Gesicht. »Hallo, ich bin Ursula.«

Die jugendliche Unbekannte streckte Ursula sofort breit lächelnd eine Hand entgegen, mit der anderen hielt sie einen Maxi-Cosi mit einem schlafenden Baby.

»Servus! Ja! Ich bin Lisi, das ist Sarah. Mein Freund und ich ziehen heute ein«, verkündete sie und musterte neugierig die interessanten Gegenstände in Ursulas Händen.

»Was hast du denn damit vor?«, wunderte sie sich, den Blick auf ein übergroßes Verkehrsschild aus Pappe und Gips gerichtet, das Ursula sich unter einen Arm geklemmt hatte.

»Ach, ich mach heute noch das Bühnenbild für das neue Stück fertig.« Ursula nickte mit dem Kinn in Richtung der offenen Kellertüre. »Theater des Westens. Da unten. Kommt’s mal vorbei, wenn ihr Zeit habt. Kaffee gibt’s auch. Und Sarah kann auf den Theaterbänken herumkrabbeln.« Ursula zwinkerte Lisi zu.

Die nickte eifrig: »Wir sehen uns!«

»Jederzeit!«, rief Ursula über die Schulter, schon halb auf dem Kellertreppenabsatz.

Lisi hielt ihr Versprechen. Schon wenige Tage später klopfte sie an die Türe zum Theater im Keller, zwei Wurstsemmeln und ein neugieriges Baby in der Hand.

»Mittagspause! Hast Hunger?«

Die Frauen setzten sich an den Bühnenrand. Ursula lächelte dem kleinen Mädchen zu, das mit großen braunen Augen die neue Umgebung erstaunt erkundete.

»Wie alt ist sie denn?«

»Sechs Monate«, antwortete die Mutter. »Hast du auch welche? Kinder, mein ich?«, setzte sie nach.

Ursula kaute grinsend an ihrer Semmel und legte dann die Hand auf ihren Bauch. »Noch nicht. Dauert aber nimmer lang. Im Juli soll’s so weit sein, meint der Arzt.«

»Glückwunsch!«, gab Lisi zurück und schaukelte Sarah sanft auf einem Bein.

»Reinhard, mein Freund, spielt hier im Theater. Du lernst ihn sicher bald kennen.«

»Was ist deine Aufgabe hier mit deinem ganzen Zeugs?« Lisi wies mit dem Kinn auf die Werkzeuge und Materialien, die überall auf der Bühne und im kleinen Zuschauerraum verteilt lagen.

»Ich baue den Hintergrund und die Räume, in denen des Stück dann spielt. Kannst mir heut gerne über die Schulter schauen, wenn du magst.«

Lisi und Ursula sahen sich an, die Backen voll Wurstsemmeln, Sarah leise gurgelnd und lachend auf Lisis Schoß.

»Abgemacht.«

 

Aus der zufälligen Begegnung wurde bald mehr. Zwischen Theaterproben, Premierenpartys, Filterkaffees auf dem Balkon und Spaziergängen im Park entstand eine Freundschaft zwischen den beiden Frauen. Die Monate vergingen, Ursulas Bauch wurde langsam größer, Sarah wurde immer aufgeweckter, und Lisi und Mario lebten sich gut in ihrer WG ein.

Doch mit der Zeit wurde Ursula unruhig. Nach ihrer Matura, dem österreichischen »Abitur«, hatte die kreative Innsbruckerin Medizin studiert, und so fiel ihr auf, dass etwas mit Sarah nicht ganz zu stimmen schien.

Sarah war nicht gesund. Davon war Ursula nach ein paar Wochen der Beobachtung überzeugt. Das kleine Mädchen war fröhlich und neugierig, doch es entwickelte sich nicht so, wie es sollte. Ihre Haut war blass und durchscheinend, ihre Haare wuchsen nicht richtig, und sie war ungewöhnlich klein.

Sie besprach sich mit Lisi und Mario, die wenig später mit ihren Fragen zum Kinderarzt gingen.

Als Ursula Lisi das nächste Mal sah, war die sonst so fröhliche Frau mit dem lauten Lachen still.

»Magst du mir erzählen, was der Arzt gesagt hat?«, fragte Ursula ihre Freundin.

»Setzt du dich ein bisserl mit mir hin?«, entgegnete Lisi mit einem langen Ausatmen.

Die zwei ließen sich in der Frühlingssonne auf einer Bank nieder und schauten den rauschenden Blättern zu, die sich im Innenhof des Hauses sanft hin und her wiegten.

»Sie vermuten einen Gendefekt. Der Arzt meinte, dass die abschließende Diagnose noch fehle, doch es schaut ganz nach was Ernstem aus.«

»Lisi, du weißt, ich bin immer für euch da. Wenn ihr reden wollt’s oder einfach ein offenes Ohr braucht’s, kannst jederzeit vorbeikommen«, bot Ursula an.

Lisi nickte und atmete tief durch.

»Gerne. Wir können eine Freundin brauchen.«

 

Die kleine Sarah verschlief den Moment, in dem sich das Leben ihrer jungen Eltern für immer veränderte. Die Worte des Arztes bedeuteten dem neun Monate alten Menschen nichts, während sein sanfter Tenor alle anderen Anwesenden im Behandlungszimmer zum Verstummen brachte.

Sicher war es auch besser so.

Es hätte das kleine Mädchen verunsichert, den Schmerz in den Stimmen der Erwachsenen zu hören und die Energie eines Momentes zu spüren, nach dem nichts mehr so sein sollte wie davor.

Sarah schlief friedlich in ihrer Decke und der kleinen Wollmütze, die ihre Oma für sie gestrickt hatte, und bekam nichts mit.

Als die Sonne durch das große Fenster auf ihr Gesichtchen fiel, als für sie die Welt noch in Ordnung war, sprach der Arzt das eine Wort aus, das für einen Moment die Zeit stillstehen, die Welt sich in eine neue Richtung drehen ließ.

»Wir können es bestätigen: Sarah hat Progerie. Ein Fehler im Erbgut, ein Defekt. Die Progerie ist eine sehr seltene genetisch bedingte Erkrankung, bei der die betroffenen Kinder zu schnell altern. Wie im Zeitraffertempo. Das führt zu einem vorschnellen Verfall des Körpers und zu einem frühen Tod. Es tut mir leid. Wir können nichts gegen diese Krankheit tun, wir können nur Sarahs Jahre hier so angenehm wie möglich gestalten.«

Dann folgte die Frage, die alles in ein neues Licht setzen würde, die alles andere, all die kleinlichen Probleme des Alltags, all die bekannten Sorgen und Ärgernisse, alle gewohnten Parameter des Lebens verschieben würde.

»Wie viele Jahre? Wie viele Jahre hat sie, unsere Sarah?«, wollten ihre Eltern wissen, über den Schreibtisch und die offenen Akten hinweg.

Als der Arzt antwortete, träumte Sarah vielleicht gerade. Vielleicht räkelte sie sich in ihrer warmen Decke. Vielleicht schlug sie genau da die Augen auf und gurrte vergnügt. Noch unwissend, noch einfach nur ein Baby, noch ein ganz »normales« Kind.

Als die Zahl wie eine Bombe in dem kleinen, warmen Raum platzte, war die Welt nicht mehr die gleiche.

Ab diesem Moment war alles anders. Wurden die Achsen der Zeit neu gestellt. Wurden Augenblicke zu unfassbar kostbaren Schätzen. Wurde das Leben von Sarah zu einem unglaublich intensiven.

Für noch ein paar wenige Jahre sollte sie selbst nicht verstehen, welches Schicksal ihr bevorstand. Sollte nicht das Bewusstsein über ihre Krankheit haben, die sie zu einem kurzen Leben zwingen und einem schweren Weg verdammen würde.

Ursula und Lisi blieben Freundinnen.

Während das Leben rund um sie alle weiterging, versuchten Ursula und Reinhard das Beste, um den beiden Eltern Halt, Hilfe und Trost zu geben.

Nur wenige Monate nach der Verkündung der Diagnose erblickte ihr eigenes Kind das Licht der Welt, an einem warmen Junitag bei strahlendem Sonnenschein.

Es war auch eine Tochter.

Sie nannten sie Ronja.

Sarah und Ronja

Ich wurde mal gefragt, ob ich mich an den Moment erinnern könne, an dem ich Sarah kennenlernte.

Die Antwort ist einfach: Kann man sich an seinen ersten Schluck Wasser erinnern? Das erste Mal frisches Gras unter den nackten Füßen? Die ersten warmen Sonnenstrahlen auf der Haut?

Sarah war immer schon da, seit ich denken kann. Seit den ersten Wochen auf dieser Erde war sie Teil meines Lebens.

Wir lagen gemeinsam im Kinderbettchen.

Wir aßen zusammen Karottenbrei und Apfelmus.

Wir lernten nebeneinander sprechen und laufen und denken.

Wir zwei waren so unzertrennlich ineinander verwoben, dass ich in meinen ersten Jahren mehr Zeit mit ihr verbrachte als ohne sie.

Ihre Mama war für mich Mama Lisi, meine Mama war für sie Mama Ursula, und wir waren eine eigenartige, komische, wunderbare Familie im weitesten Sinne.

Wir waren zwei Teile eines großen Ganzen. Zwei beste Freundinnen, zwei Schwestern im Herzen.

Wir waren Sarah und Ronja, und zusammen fühlten wir uns unbesiegbar.

Kindheit im Paradies

Aus welchen Gründen auch immer bekam ich vom Leben das große Privileg einer glücklichen Kindheit geschenkt. Darüber sollte ich mir im Lauf meines Lebens noch viele Gedanken machen. Über dieses Geschenk einer unbeschwerten Kindheit – und darüber, was es bedeutet, wenn man nicht so viel Glück hat.

Doch damals, in meinen ersten Jahren, war das nichts, worüber ich groß nachdachte. Schließlich kannte ich nur mein Leben. Und ich genoss es in vollen Zügen.

In Tirol, im breiten, sonnigen Inntal mit Blick auf die graue Nordkette, durfte ich meine ersten Jahre verbringen.

Ich wurde in eine große Familie hineingeboren, mit vielen Cousinen, Tanten, Onkel, anfänglich sogar noch drei Großeltern und zwei intelligenten, kreativen, unangepassten Eltern.

Die Wohnung, die Mama und Papa mit eigenen Händen umbauten, als ich noch im Bauch meiner Mutter lag, war die einzige »Elternwohnung«, an die sich mein Kind-Ich jemals gewöhnen musste, denn die beiden zogen nie wieder aus. Bis heute leben sie in der Altbauwohnung im Erdgeschoss, mit großen, gerundeten Fenstern, einer schweren, knarzigen Eingangstüre, hohen Decken und einem verwunschenen Garten, in dem sich schon während meiner Kindheit rauschend die Tannen und Birken wogen.

Unsere Wohnung war bunt und verrückt. So stand zum Beispiel die Badewanne neben der Küche inmitten Dutzender Farne, Hängepflanzen und Monstera-Blättern, die die einzigen Wände waren, die das Bad vom Rest der Wohnung trennten.

Das Wohn- und Esszimmer war riesig, und an zwei Wänden zogen sich aus Ziegeln und Brettern gezimmerte, selbstgebaute Bücherregale hoch bis zur Decke, ächzten und bogen sich unter dem Gewicht Hunderter Krimis, historischer Romane, Fantasy-Epen, Biografien und Lexika.

Im Boden des Esszimmers gab es zwei große, durch dicke Glasplatten geschützte Löcher im Parkett, in die wir buntes Laub oder Steine legten und die im warmen Schein von zwei eingebauten Scheinwerfern abends golden leuchteten.

An den weißen Spiegelschrank in meinem Kinderzimmer malten Mama und ich Blumenranken und farbenfrohe Punkte, und unter meinem Stockbett gab es eine Höhle voller weicher Kissen und Würfel, die ich mithilfe von Vorhängen zuziehen und mich so vor der Welt verstecken konnte.

Mein liebster Ort jedoch war das Himmelbett meiner Eltern, dessen sonnengelbe Vorhänge und blaue Seidendecke mir immer das Gefühl von großer Sicherheit und wohligem Zuhause-Sein vermittelten. Dort lasen mir Mama oder Papa abends vor, oft aus meinem Lieblingsbuch Ronja Räubertochter, das von einem wilden Mädchen inmitten einer Räuberbande handelt, welches tatsächlich meine Namensgeberin ist, oder aus Die Kinder aus Bullerbü von Astrid Lindgren.

Relativ zeitgleich mit meiner Geburt gründeten meine Eltern ihre Filmservice-Produktions-Firma. Ich verbrachte viel Zeit in ihrem Büro, bastelte Halsketten aus Büroklammern, trank heimlich Kaffeesahne aus den winzigen Packungen – und am liebsten schrieb ich eigene kleine Bücher mit bunten Zeichnungen darin, die ich in der Mittagspause stolz den Mitarbeitenden meiner Eltern vorlas, ungeachtet der Tatsache, dass die zusammengetackerten Papierseiten aus dem Drucker nur Wellenlinien und Kritzeleien enthielten.

Aus dem Erkerfenster hinter dem Schreibtisch meiner Mama beobachtete ich den kleinen Platz vor dem Büro, sah zu, wie Hunde und Menschen vorbeizogen, Teenager skateten oder alte Menschen in der Sonne saßen und tratschten.

Mittags dann lief ich mit Papa gemeinsam zum Supermarkt oder zum »Dönermann« nebenan, denn Döner Kebab war meine Leibspeise. Und ich mochte den alten türkischen Mann, der ihn verkaufte, so gerne, dass ich oft mehrere Stunden in seinem winzigen Geschäft saß, Beine schwingend und Ayran schlürfend auf einem Barhocker, und von ihm mit Lollis und Bonbons versorgt wurde.

Wenn die Projekte meiner Eltern ihnen jegliche Zeit und Nerven raubten, war ich oft bei Großmutti und Großvati. Sie besaßen zwar auch eine Wohnung in der Stadt, sogar nur drei Stockwerke über der meiner Eltern, doch wenn ich bei ihnen schlief, fuhren wir meistens in Großmuttis altem braunen VW-Polo in ihr kleines Haus am Berg.

Nur ein paar Seitentäler von Innsbruck entfernt stand ihre einstöckige Hütte aus Holz, auf circa tausend Höhenmetern, inmitten von dunkelgrünen Tannen und mit Blick auf die spitzen Gipfel der Alpen. Wie in einem Ort aus einem Film lag das Häuschen an der geschwungenen Straße, mit einem Garten mit Naturteich und Seerosen und Fröschen davor und einem großen Gemüsegarten dahinter, samt kleinem plätscherndem Brunnen, schwirrenden Bienen und Hummeln.

Der Wald rund um die Hütte zog mich von klein auf wie magisch an. Barfuß und mit ungekämmten Haaren strich ich oft von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang durch die hohen Bäume, grub meine nackten Füße in den weichen Nadelboden, streichelte das taunasse Moos oder knabberte an saurem Klee.

Ich orientierte mich am Stand der Sonne, die durch die Baumwipfel oft nur schwach leuchtend den Weg bis zum Waldboden fand, und zog am Abend erschöpft und glücklich wieder zu der Hütte meiner Großeltern zurück, die Jackentaschen voller Steine und Blumen, die Hosentaschen voller Tannenzapfen und meine Zehen so schmutzig, dass Großmutti schon immer mit einem Seufzen die Badewanne volllaufen ließ, wenn sie mich den Berg hinaufkommen sah.

Wenn dann das Feuer prasselnd im Wohnzimmer wärmte und die Kuckucksuhr an der Wand laut tickend die Abendminuten verkündete, saß ich zwischen meinem rauchenden Großvati und meiner lesenden Großmutti um den runden Holztisch und häkelte.

Ich schlief bei offenem Fenster, lauschte vor dem Einschlafen den Eulen und anderen nachtaktiven Vögeln, starrte durch die Lücke im Vorhang den Mond an und stellte mir allerlei Fantasiegeschichten vor, bis mich schließlich der Schlaf sanft in eine andere Welt zog.

Und oft war ich bei meinen Abenteuern nicht allein. Denn da war – natürlich – Sarah.

Sarah, meine beste Freundin, meine Weggefährtin, meine große Schwester und der coolste Mensch, den ich kannte, der mir so viel beibrachte, wie es eben nur eine große Schwester tun kann.

Wenn ich das rot lodernde Feuer war, war sie mein blauer Blitz dazu. Eine Kraft, die mich ergänzte.

Sarah und ich waren beinahe immer zusammen in den ersten, fast schon kitschig schönen Jahren meines Lebens. Sie gehörte zu meinem Leben und zu meiner Familie wie meine Eltern, wie meine Großeltern, wie mein schneeweißer Kater Minos.

Wir beide hatten die Gabe, uns nie zu langweilen. Mit schier grenzenloser Fantasie erträumten wir uns ganze Welten, Geschichten, in denen wir uns mit müheloser Leichtigkeit bewegten und die uns für viele Stunden und Tage begleiteten.

Unsere liebste Location für solche Abenteuer war dabei der Garten meiner Eltern.

Damals schien er uns endlos groß. Ein ganzes Reich, eine ganze kleine Welt – nur für uns. Zwischen Rosenhecken, einem Sandkasten und einem kleinen Baumhaus in einem Kirschbaum schlüpften wir in jede Rolle, die wir uns vorstellen konnten.

Wenn im Sommer die Sonne heiß und gnadenlos auf unsere Köpfe brannte, schossen wir durch den aufgestellten Wassersprinkler, bauten im Sandkasten Vulkane und Flusslandschaften und schliefen in Hängematten, die sich vom Gartenzaun bis zur alten Birke spannten.

Im Herbst sprangen wir in Laubhaufen, versteckten gruselige Kürbisse in den Sträuchern und machten Jagd auf Maulwürfe und Nacktschnecken. Oder noch lieber stellten wir mit meinem Papa Feuerschalen auf, rösteten Marshmallows darin oder versuchten, Rauchzeichen bis in den dritten Stock zu meiner Oma zu senden.

Der Schnee reichte uns im Winter oft bis zur Brust, und wir bauten stundenlang mit zitternden Händen und tauben Fingern Höhlen und Tunnel für Kater Minos, der diese Architektur kein einziges Mal mit seinen empfindlichen Pfötchen betrat – wir dafür krabbelten lachend und mit klopfenden Herzen durch die kalten Höhlen und spielten begeistert Arktis-Forscherinnen.

Und im Frühling dann tanzten wir unter weißen, zu Boden fallenden Kirschblüten und riefen begeistert: »Mama Ursula! Es schneit!« Oder aber wir rückten dem blühenden Flieder zu Leibe, während unsere Nasen juckten und die Augen vor Allergie brannten, um aus den lilafarbenen Blüten ein Parfüm herzustellen, das leider niemand jemals wirklich zu schätzen wusste.

Das Baumhaus machten wir kurzerhand zu unserem Piratenschiff. An einem Winterabend nähten wir mit unseren Müttern eine glänzend blau-weiße Piratenflagge, die mit Draht verstärkt jedem Wind und Wetter unerschrocken trotzte. Nur eine kleine Leiter führte zu unserem Schiff nach oben und eine gelb gewellte Rutsche wieder zum Erdboden, und wir bewachten beide Eingänge mit grimmigem Blick und mit in den Gürtel gesteckten Besenstielen als Säbel.

Einzig und allein Kater Minos war auf unserem Stützpunkt willkommen. Faul und zufrieden lag er oft stundenlang auf den Ästen des Kirschbaumes und wachte mit leuchtend gelben Augen über uns. Er war das dritte Mitglied unserer kleinen Mannschaft, die immer und immer wieder unerschrocken in See stach, Schätze im Garten vergrub, sie ein paar Tage später wieder fand und allerlei Karten und Briefe schrieb, die in kleine Flaschen gesteckt und über kurz oder lang im Teich versenkt wurden.

Wenn wir nicht gerade Piratinnen, Arktis-Forscherinnen, Parfümherstellerinnen oder zwei Rotzgören waren (wie uns Mama Lisi oft liebevoll nannte), die meinem Papa die Haare vom Kopf aßen (was ungünstig war, denn es waren schon damals nicht mehr viele übrig), dann waren wir Zeichnerinnen. Egal welches Monster sich imaginieren lässt – wir brachten es zu Papier. Feuermonster, Windmonster, Erdmonster, Blitzmonster … Ganze Blöcke voll von unseren Kreationen fanden unsere Eltern überall verteilt. Genauestens beschrieben, gezeichnet und kategorisiert, erfanden wir am laufenden Band Fabelwesen und ließen sie, gemalt auf kleine Kärtchen, am Küchentisch gegeneinander kämpfen. Dabei führte der Fakt, dass wir beide die Spielregeln von Mal zu Mal änderten, nicht selten zu Streit. Doch egal wie hitzig oder laut es wurde, schlussendlich kamen wir immer wieder zusammen.

Denn auch das war eine Qualität von Sarah und mir: Wir wussten, spürten eher, damals noch unbewusst, dass das Leben zu kurz war und die Zeit zu kostbar, als dass es sich lohnen würde, lange wütend aufeinander zu sein.