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Erleben Sie eine Inspektionsreise durch 100 Jahre deutscher Wehrdienst und Wehrpflicht anhand von vier Generationen einer Familie
Der Großvater, Johannes Trenckmann, kämpft als Gardeschütze im Ersten Weltkrieg an der Westfront, wird in der Schlacht an der Somme verwundet und macht später die deutsche Michael-Offensive mit. Der Vater, Heinz Trenckmann, dient ab 1941 in der Wehrmacht. Er ist MG-Schütze in Afrika, kämpft als Infanterist an der Ostfront und findet sich schließlich im Endkampf um Ostpreußen wieder, wo er in sowjetische Kriegsgefangenschaft gerät. Der Sohn, Stephan Trenckmann, leistet auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges seinen Wehrdienst in der Bundeswehr ab und wird zum Panzerjäger auf einem Kanonenjagdpanzer ausgebildet. Der Enkel, Sebastian Trenckmann, gehört ab Oktober 2010 zu den letzten Wehrpflichtigen überhaupt, ehe die Wehrpflicht ausgesetzt wird.
Der Autor beleuchtet in seinem Buch Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Erleben dieser vier Männer, die zu jeweils sehr unterschiedlichen Zeiten in ganz unterschiedlichen Streitkräften gedient haben. Er wertet dazu zahlreiche Primärquellen wie erhaltene Feldpost und Tagebucheinträge aus. Auch beschäftigt er sich im theoretischen Teil mit den wesentlichen Aspekten, die das Militär und den Wehrdienst des Mannschaftssoldaten bis heute kennzeichnen. Ein besonderer Blick wird auf die Motivationsfaktoren gelegt: Warum haben alle Generationen ihre Pflicht getan?
Freuen Sie sich auf originale Tagebucheinträge und Briefe der beschriebenen Soldaten sowie Fotos aus dem Privatarchiv der Familie. Profitieren Sie zudem von der akribischen Rekonstruktion der vier Soldatenbiografien, so dass sie deren Erleben im Krieg und im Friedensdienst hautnah nachempfinden können.
Sein Buch „Gefreiter Trenckmann meldet sich zum Dienst“ nimmt Sie mit auf eine spannende Inspektionsreise durch vier militärische Erlebniswelten. Es wirft ein Schlaglicht auf das in Deutschland zu wenig diskutierte Thema „Wehrpflicht“ und liefert letztendlich anhand konkreter Beispiele und den daraus abgeleiteten, allgemeingültigen Erkenntnissen einen wertvollen Debattenbeitrag zu der Frage: „In welcher Form sollte die Wehrpflicht wieder eingeführt werden?“
Tauchen Sie in vier Soldatenbiografien ein und entdecken Sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Wehrpflicht von Kaiserreich, Wehrmacht und Bundeswehr, indem Sie sich dieses Buch holen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
Stephan Trenckmann
Gefreiter Trenckmann meldet sich zum Dienst!
Militärsoziologische und historische Inspektionsreise durch vier Soldatenbiografien und 100 Jahre Wehrpflicht
EK-2 Militär
Ihre Zufriedenheit ist unser Ziel!
Einleitung
I. Teil Grundsätzliche Aspekte
A) Militär, Aggression und Gesellschaft
1. Zeitgeist und Prägung
2. Aggression, Besitzstand, kriegerische Gewalt
2.1. Diskontinuität im Wert von Krieg und Frieden, Angst und Stolz
3. Nationalismus
3.1. Der Nationalismus als hundertjährige Sozialisation seit 1806 und seine Rolle im Bürgertum
3.2. Die Rolle der Kriegervereine in der Kaiserzeit
3.3. Die Kriegsbegeisterung 1914
3.4. Aus ideeller Begeisterung wird die Volksgemeinschaft
B) Erinnerungskultur, Schuld und Traumaverarbeitung
1. Das Bild der Geschichte im gesellschaftlichen und familiären Gedächtnis
2. Biografien und Kommunikation in der Familie Trenckmann
3. Schuld – „Was hätte man den auch machen sollen?“
3.1. Kollektive und individuelle Schuld
4. Traumaverarbeitung
C) Wehrpflicht und Wehrpflichtige
1. Ursprung und Entwicklung
2. Wehrdienst im Kaiserreich
3. Wehrpflicht in der Wehrmacht
4. Wehrpflicht in der Bundeswehr
4.1. Das Selbstbild des Wehrpflichtigen in der Bundeswehr
4.2. Eine Draufsicht auf den Wehrpflichtigen
4.3. Aussetzung der Wehrpflicht
5. Der Dienstalltag in der Kaserne
6. Fazit
D) Motivation
1. Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit
2. Negativ begründete Motivation – Angst vor Strafe oder persönlichen Nachteilen
3. Positiv begründete Motivation
4. Einzelfaktoren positiver Motivation
4.1. Motivationsfaktoren aus überwiegend „zivilgesellschaftlicher“ Disposition
4.2. Motivation aus „militärgruppendynamischer“ Disposition
5. Wechselwirkungen zwischen diesen Motivationsfaktoren
6. Multifaktorielle, zeitlich begrenzte Handlungsmuster, komplexe Wirkungsschleifen
6.1. Todesangst
6.2. Getrieben zu scheinbarer Irrationalität
6.3. Brutalität und Gräueltaten, Bereicherung und Raub
6.4. Das Töten und die Wirkung auf die Motivation
6.5. Abstumpfung, psychische Ermüdung
6.6. Kulturelle Unterschiede der Sozialisation
7. Gehorsam als Automatismus
8. Fazit
E) Kulturstufe und Wehrkosten
1. Historische Entwicklung der Wehrsysteme
2. Krieg als legitimes Mittel der Politik
3. Finanzielle Auswirkungen militärischer Organisationen
3.1. Betriebswirtschaftlichkeit
3.2. Volkswirtschaftliche Auswirkungen
3.3. Die Familie als Nutznießer der Rüstung
F) Rechtliche Aspekte
1. Die Aufhebung des grundsätzlichen Tötungsverbotes
2. Die Aufhebung ziviler Strafgesetze
3. Grundsätze einer Wehrverfassung in Deutschland
4. Gehorsam als zentrales Element
4.1. Allgemein
4.2. Modernes Menschenbild und Innere Führung
5. Beschwerderecht
6. Wehrstrafrecht
7. Disziplinarrecht
8. Sold und Gebührnisse
8.1. Kaiserzeit
8.2. Drittes Reich
8.3. Bundeswehr
9. Schikanen
G) Die Vorgesetzten
1. Offiziere
1.1. Offizier und Gesellschaft
1.2. Zahlen und Rahmenbedingungen
2. Unteroffiziere
II. Teil Der Risikowillige: Johannes Trenckmann, der Großvater
H) Leben, Familie und Zeitgeist
1. Lebenslauf
2. Familie und Persönlichkeit
2.1. Die Familie
2.2. Brüderstreit
2.3. Markante Eckpunkte
3. Mitgliedschaften in Parteien und Gruppierungen
4. Die prägenden Elemente der Kaiserzeit
4.1. Das Patriarchische Gesellschaftssystem
4.2. Militarismus
4.3. Antisemitismus
5. Der Erste Weltkrieg
5.1. Die Kriegsfreiwilligen
5.2. Ernüchterung
5.3. Kriegsrealität, Zahlen
5.4. Die Lebenssituation in der Heimat
5.5. Feldpost und Informationslage
5.6. Stellung der Kirchen
5.7. Politische Polarisierung
5.8. Zusammenbruch
6. Weimarer Republik
7. Das Dritte Reich
I) Johannes Trenckmann in Uniform: „In Treue fest“
1. Einjährig-Freiwilliger
2. Das 4. Garde-Regiment zu Fuß
3. Kurzübersicht Johannes Trenckmann im Krieg
4. Das Jahr 1914
5. Das Jahr 1915
6. Das Jahr 1916
7. Das Jahr 1917
8. Das Jahr 1918
9. Kapitulation, Soldatenrat und Freikorps
10. Weimarer Republik und Drittes Reich
11. Entnazifizierung
11.1. Allgemeine Daten und Ablauf
11.2. Entnazifizierung in der Gesellschaft
11.3. Entnazifizierung von Johannes Trenckmann
11.3.1. Internierung
11.3.2. Das schriftliche Verfahren
III. Teil Der Vernünftige: Heinz Trenckmann, der Vater
J) Leben, Familie und Zeitgeist
1. Lebenslauf
2. Politische Einstellungen
3. Vorbemerkungen zur Wehrmacht
3.1. Militarismus
3.2 Die Wehrmacht in Zahlen
3.3. Gesinnung und Haltung der Wehrmacht
4. Leben im Zweiten Weltkrieg
4.1. Kriegsbegeisterung
4.2. Kriegshandlungen
4.3. Gräueltaten
4.4. Denken und Rechtfertigung des Einzelnen
4.5. Orden
5. Vom Schützen zum Kriegsgefangenen
5.1. Hameln und Afrika
5.2. Ostfront
5.3. Ostpreußen
6. Die Stationen der Gefangenschaft 1945 bis 1949
7. Einblicke ins Seelenleben
8. Kriegsende
9. Die Gesellschaft nach Kriegsende
K) Als Soldat unter Adolf Hitler – Eigene Erinnerungen 1941 bis 1945
L) Anmerkungen zur Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion
1. Gefangennahme
2. Die Lagerorganisation
3. Ernährung, Hygiene, Sanität
4. Arbeiten und soziale Hierarchie
5. Sinnsuche und Wiedergutmachung
M) Meine Kriegsgefangenschaft – Eigene Erinnerungen 1945 bis 1949
1. Autobiografie
1. Dokumente und Postkarten aus der Gefangenschaft
IV. Teil Der Neugierige: Stephan Trenckmann, der Sohn
N) Leben, Familie und Zeitgeist
1. Lebenslauf
1.1 Gesinnung
1.2 Gespräche mit Vater und Bruder
1.3 Seelenleben
2. Die gesellschaftliche Entwicklung bis 1990
2.1 Nationalismus
2.2 Militarismus
3. Die Sprache des W15ers
O) W15: Tagebücher in Uniform 1981 bis 1982
V. Teil Sebastian Trenckmann: Der Abenteuerlustige, der Enkel
1. Einordnung
2. Erlebnisse in Uniform – verfasst von Sebastian Trenckmann für dieses Buch
Epilog: Das Ende des Krieges und des Wehrdienstes
Vom konventionellen zum postmodernen Krieg
Wiedereinführung einer dreimonatigen Wehrpflicht als zusätzliches Element zur bestehenden Freiwilligenarmee?
Oder doch lieber Anpassung?
An diesem Dienstag
Danksagung
Literaturverzeichnis
Bonus-Material
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Verpassen Sie keine Neuerscheinung mehr!
Impressum
Liebe Leser, liebe Leserinnen,
zunächst möchten wir uns herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie dieses Buch erworben haben. Wir sind ein kleines Familienunternehmen aus Duisburg und freuen uns riesig über jeden einzelnen Verkauf!
Mit unserem Label EK-2 Militär möchten wir militärische und militärgeschichtliche Themen sichtbarer machen und Leserinnen und Leser begeistern.
Vor allem aber möchten wir, dass jedes unserer Bücher Ihnen ein einzigartiges und erfreuliches Leseerlebnis bietet. Daher liegt uns Ihre Meinung ganz besonders am Herzen!
Wir freuen uns über Ihr Feedback zu unserem Buch. Haben Sie Anmerkungen? Kritik? Bitte lassen Sie es uns wissen. Ihre Rückmeldung ist wertvoll für uns, damit wir in Zukunft noch bessere Bücher für Sie machen können.
Schreiben Sie uns: [email protected]
Nun wünschen wir Ihnen ein angenehmes Leseerlebnis!
Moni & Jill von EK-2 Publishing
Dieses Buch bietet eine militärsoziologische und historische Inspektionsreise durch vier Soldatenbiografien. Jene vier Männer, die im Fokus dieser Arbeit stehen – der Großvater, der Vater, der Sohn und der Enkel – erlebten Kriegsdienst und Wehrpflicht jeweils im Rahmen Ihrer Zeit. Der Großvater kämpfte im Ersten Weltkrieg, der Vater im Zweiten Weltkrieg. Der Sohn diente als Wehrpflichtiger auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, der Enkel zu einer Zeit, als deutsche Soldaten in Afghanistan gegen die Taliban kämpften, während ein Angriff auf das Territorium Deutschlands als nahezu ausgeschlossen galt.
Das Buch nimmt Sie mit auf eine Reise aus Mannschaftssicht durch einhundert Jahre deutsches Militär und beleuchtet sowohl Parallelen als auch Differenzen in Zeitgeist und Erleben, Begeisterung und Frust, Unannehmlichkeiten und Grauen, Unerträglichem und Unvergleichlichem.
Der Großvater, der Risikowillige
Der Vater, der Vernünftige
Der Sohn, der Neugierige
Der Enkel, der Abenteuerlustige
Vier Generationen im Wandel des deutschen Zeitgeistes
Dieses Buch gliedert sich in mehrere Teile: Der erste Teil behandelt theoretische und praktische Aspekte, die das Militär, die Wehrpflicht und den Wehrdienst des Mannschaftssoldaten im Wandel der Zeit charakterisieren. Zudem werden die politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen diskutiert.
Im zweiten bis fünften Teil des Buches werden die Erlebnisse der vier Protagonisten geschildert und dadurch lebendig. Sie dienen als Fallstudien und machen rund 75 % dieses Buches aus. Wer sich ausschließlich für die Soldatenbiografien interessiert, mag den ersten Teil überschlagen. Dies ist aufgrund der thematischen Abgeschlossenheit bzw. der Querverweise möglich. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass der erste Teil des Buches derjenige ist, der erschöpfend und umfassend den Charakter und das Wesen des deutschen Militärs der letzten 150 Jahre erläutert.
Die Beschreibung von Ereignissen, Zeitgeist und Fehleinschätzungen, von Zahlen und Daten schlägt den Bogen zwischen dem Großvater im Ersten und dem Vater im Zweiten Weltkrieg auf der einen Seite sowie andererseits zwischen dem Sohn als Wehrpflichtigem im Kalten Krieg und dem Enkel in der Zeit, als Deutschland von „Freunden umzingelt“ war. Natürlich sind Erlebnisse und Lebensumstände nicht völlig vergleichbar. Im euphorischen Nationalismus der Kaiserzeit meldete sich Johannes Trenckmann im August 1914 freiwillig zu den Waffen. Er kämpfte in der Schlacht an der Somme und nahm an der deutschen Michael-Offensive im März/April 1918 teil. National beseelt und dem Grauen noch nicht überdrüssig, diente er sogar noch kurzzeitig im Freikorps. Im Nationalsozialismus groß geworden und auch oft begeistert, diente sein Sohn Heinz Trenckmann trotzdem nur unfreiwillig, aber treu ab 1941 in der Wehrmacht. Er wurde zunächst in Afrika eingesetzt, später an der Ostfront. Schließlich machte er in Ostpreußen das Chaos der letzten Kriegsmonate mit und kehrte entkräftet im Dezember 1949 aus sowjetischer Gefangenschaft zurück. Für dessen Sohn StephanTrenckmann war der Kalte Krieg und damit die Wehrpflichtzeit Anfang der 1980er Jahre eine Selbstverständlichkeit. Der Ersatzdienst mit seinen mühsamen Hürden war für ihn keine Alternative. Er ging freiwillig „zum Bund“, wo er bei den Panzerjägern diente, obwohl das Feststellen der medizinischen Untauglichkeit möglich gewesen wäre. Und dessen Sohn Sebastian Trenckmann fügte sich Ende 2010 willig in den Wehrdienst und freute sich auf das Abenteuer, obwohl die meisten Jahrgangsgenossen verweigerten und die Aussetzung der Wehrpflicht bereits im Raume stand. Er sollte einer der letzten Wehrpflichtigen vor dem Aussetzen der Wehrpflicht sein.
Diese populärwissenschaftliche Zeitreise soll den oft sehr in die Tiefe gehenden fachlichen Publikationen und den frei verfügbaren Medien eine Anzahl Schlaglichter, Erlebnisse, Einschätzungen und Ansichten aus persönlichen Aufzeichnungen hinzufügen. Vor allem aber soll erstmalig ein breiter und vollständiger Bogen gespannt werden zwischen Geschichte, Familie, Beruf, Wehrdienst und persönlicher Befindlichkeit, zwischen soziologischen, historischen, psychologischen, wirtschaftlichen, militärfachlichen und entwicklungsbiologischen Aspekten, wie er bisher so umfassend nicht vorliegt. Gesellschaftliche Hintergründe, Motivationsfaktoren, der Dienstalltag, die Erlebnisse in Uniform: Überall gibt es Unterschiede und Parallelen. Diese zu beschreiben soll Ziel dieses Buches sein. Im letzten Abschnitt wird ein Beitrag zur Debatte um die Wiedereinführung einer „neuen Wehrpflicht“ geleistet, die den Nutzen einer großen Personalverfügbarkeit verbindet mit einer möglichst geringen Zwangskultur für den positiv motivierten Mannschaftssoldaten als Verteidiger seiner Werte und seines Landes.
Die Faktoren soldatischen Erlebens im und außer Dienst sowie dessen Kommunikation werden umfassend dargestellt. Das Grauen und die Entsetzlichkeiten der Kriegserlebnisse und ihre Wirkung in der Tiefe der Einzelperson selbst bleiben dabei der dunkelste Teil des Bildes, weil dort die nicht berichteten Tabus, das Verschweigen und Verdrängen naturgemäß am größten sind.
Zwei rote Fäden ziehen sich durch dieses Buch: Der eine verfolgt die sozialen und psychologischen Gemeinsamkeiten: Warum taten alle vier Generationen ihre Pflicht, welche Motive und Ziele leiteten sie? Der andere rote Faden beschäftigt sich mit dem typischen Charakter der Armee, Gehorsam und Abhängigkeit in der Hierarchie, der körperlichen Anstrengung und der Beschäftigung mit dem Tod. Und so münden beide Fäden in einem Fazit: Soldat sein ist keine Tätigkeit, sondern ein mentaler Zustand.
Dieses Buch ist insbesondere bezüglich des ersten Teils auch ein Erklär-Buch für Vorgesetzte im Truppendienst, das aufzeigt, welche Gedanken und Ängste in Wehrpflichtigen bzw. Mannschaftssoldaten vorherrschen. Bezüglich der Quellenwahrheit sind Beiträge öffentlicher Internetquellen teilweise in ihrer Zitierfähigkeit infrage zu stellen: „Wikipedia“ oder das „Lexikon der Wehrmacht“ und andere Aufzeichnungen sind aber oft so erhellend und erklärend, dass es töricht wäre, diesen Fundus nicht direkt zu nutzen. Gleichwohl sei hier angemerkt, dass ich mir des Problems der Verlässlichkeit solcher Quellen bewusst bin. Des Weiteren zitiere ich aus anderen Büchern, deren Autoren zutreffend und umfänglich Notwendiges thematisiert haben. Ich möchte nicht darauf verzichten, ich könnte es auch selbst nicht besser formulieren. Ich erhebe daher auch keinen Anspruch auf Urheberschaft irgendwelcher fachlichen Gedanken, die ich aufgenommen und manchmal weiterentwickelt habe. Dem weitergehend interessierten Leser bieten die im Anhang aufgeführten Quellen einen „tiefen“ Einblick in die verschiedenen Details der Fachgebiete und Themen.
Gern lese ich auch Rückmeldungen unter [email protected].
Um der Lesbarkeit willen habe ich auf gendergerechte Schreibweisen verzichtet. Die Quellen aus meiner Familie wie Briefe und schriftliche Erinnerungen wurden in die neue Rechtschreibung übertragen, ansonsten sprachlich und inhaltlich unangetastet gelassen. Auch mein Tagebuch und der Bericht meines Sohnes wurden nur sprachlich lektoriert, ansonsten aber unangetastet gelassen. Inkohärente Verwendungen von beispielsweise ausgeschriebenen Zahlen und Ziffern wurden im Original belassen. Bei sämtlichen Fotos handelt es sich um Aufnahmen aus dem Privatarchiv meiner Familie.
A) Militär, Aggression und Gesellschaft
Die Militärsoziologie in der Bundesrepublik ist ein wenig betrachtetes Feld. Die Zurückhaltung der deutschen Gesellschaft, sich mit solchen Themen zu beschäftigen, liegt in unserer Geschichte begründet, die als „schuldhafter“ angesehen wird als z. B. die der USA. Sie gilt als belastetes Thema ohne Aussicht auf breitete Beachtung oder Anerkennung im Fachkollegium (LEONARD/WERKNER 2012: 495ff, WARBURG 2008: 29, KNÖBL/SCHMIDT 2000: 7ff, WACHTLER 1983: 7f). Dieses ignorieren dürfend, möchte ich an dieser Stelle die Entwicklungen, Eigenschaften und Strukturen betrachten, die direkten Einfluss auf Sein und Erleben des einzelnen Soldaten hatten, und mit Beispielen konkretisieren.
Die öffentliche Aufmerksamkeit für Vorgänge in der Bundeswehr schnellt nur dann hoch, wenn wieder einmal ein Skandal die Medien anlockt. Die soziologischen Zusammenhänge zwischen Militär und Gesellschaft, ihre Strukturen, Prozesse und Funktionsweisen werden von militärisch Betroffenen oder anderen Beteiligten zwar genutzt und auch manchmal schamhaft verschwiegen, dienen aber gesamtgesellschaftlich nicht zur Verbesserung der Verhältnisse (ELBE/BIEL/STEINBRECHER 2021: 48). So wurden z. B. die Widersprüche einer „Inneren Führung“ oder des „Bürgers in Uniform“ gegenüber den natürlicherweise selektiven Rekrutierungsmechanismen einer Freiwilligenarmee im Vergleich zur Wehrpflicht öffentlich kaum thematisiert bzw. gesellschaftlich verdrängt. Eine ernsthafte soziologische Diskussion fand und findet kaum statt. Dies ist erstaunlich vor dem Hintergrund rechtsradikaler Vorkommnisse in der Bundeswehr, der Zusammensetzung des Bewerberaufkommens und der Bewerberanzahl nach 2010 und angesichts der Personalzielvorgaben für 2025 und 2030.
1. Zeitgeist und Prägung
Der Mensch ist durch lebenslange Sozialisation geprägt. Erfahrungen und Erlebnisse legen sich dabei wie Schichten übereinander, jede von der bisherigen Erlebniswelt beeinflusst. Einstellungen und Gesinnung des Menschen sind also die Folge der Gesamtheit seiner Erfahrungen. Soziale Erfahrungen wiederum sind Ergebnis der historisch-gesellschaftlich-familiären Situation und den daraus resultierenden Rollen und das wiederum in Wechselwirkung mit genetisch ererbten Eigenheiten. Daher ist es weder verwunderlich, dass die in diesem Buch angeführten Biografien von vier aufeinanderfolgenden Generationen aus Kaiserzeit und Drittem Reich, aus Kaltem Krieg und der „feindlosen Zeit“ vom jeweiligen Zeitgeist durchdrungen sind noch, dass es in den 100 Jahren zu keinem revolutionären Bruch mit der Vergangenheit gekommen ist: Es kam nur zu einer familieninternen Evolution. Dabei blieben bei den älteren Trenckmanns die patriarchalisch-konservativen Grundhaltungen der Jugendzeit bestimmend, für die beiden Jüngeren waren dem Zeitgeist entsprechend liberalere Grundsätze auschlaggebend. Wie für die meisten Menschen war für alle vier die Zeit im Alter zwischen 15 und 25 die Zeit der gravierenden Prägung.
Die Ableistung eines Militärdienstes bildet grundsätzlich eine Zäsur. Einem Ende der Jugendzeit in Familie oder Lehrstelle oder Schule folgen oft geographische Trennung, das Herausreißen aus der bisherigen Sozialgruppe, ein rauerer Umgangston, ein geringerer „Welpenschutz“ durch das soziale Umfeld, körperliche Härten und vieles mehr. Heinz Trenckmann schrieb schon zehn Tage nach Beginn der Grundausbildung im Oktober 1941 an seine Mutter: „… hoffentlich bekommen wir bald mal Ausgang und können mal Sonntagsurlaub einreichen.“ Und ich selbst bekannte nach zwei Wochen im Juli 1981 im Tagebuch: „Die Gefühlskälte hier ist eigentlich fast nicht mehr als in jeder normalen Arbeit. Aber dazu kommt halt, dass man sich fast nirgends total gehen lassen kann, aber das kann man ja sonst auch nicht. Aber hier die Angst von irgendjemanden angeschissen zu werden, jeder Mensch, der einen Riegel auf der Schulter hat, kann einem existenziell gefährlich werden. Das Wochenende, als ich zu Bärbel kam, hatte ich richtig ein Bedürfnis nach Geborgenheit, Angstfreiheit, Zärtlichkeit.“
Diese Zäsur wirkt allgemein unterschiedlich tief, manchmal auch nur kurz oder ohne große Nachwirkungen auf die Sozialisation der Person. Die oft jahrzehntelang wiederholten Erzählungen von Anekdoten und Erlebnisse können ein Hinweis sein auf den nachhaltigen Eindruck der Militärzeit auf die Erfahrungswelt. Das gilt erst recht, wenn der Dienst nicht im Frieden, sondern im Kriege mit seinen existenziellen Bedrohungen erfolgt. Hier sind dann oft auch spezielle Verhaltensmerkmale interpretierbar (z. B. die Neigung zur ausgeprägten Vorratshaltung, Gewaltakzeptanz, STEINERT 1972: 156)
Es gibt Erklärungen, nach denen die in der Kindheit angenommen Strategien zur Anpassung an die erwartete soziale Rolle in Elternhaus und Schule von jungen Erwachsenen auch im Militärdienst angewendet werden. So stellt sich ein Zusammenhang her zwischen der Sozialisation in Kindheit und Jugend sowie dem Erleben in den ersten Wochen der Armeezeit (STEINERT 1972: 194ff). Eine die Selbstständigkeit und Individualität fördernde Erziehung führt nach Steinert tendenziell zur Distanziertheit und Frustration im Erleben des Militärdienstes und zur Ablehnung aufgrund der ständigen Unterdrückung und Bevormundung. Gleiches gilt für ein elterliches Erziehungsmodell zum Leistungswillen ausschließlich durch Druck ohne ein positives Erleben von Erfolg. Eine „belohnungsgeförderte Erziehung zu Leistungswillen mit positiver Grundhaltung“ fördert demnach ein eher angepasstes Erleben der Militärzeit zwischen schlimmstenfalls Gleichgültigkeit und bestenfalls Wahrnehmung von Erfolgserlebnissen im Sinne von Motivation. Vermutlich auch aus dieser Quelle speist sich der Ehrgeiz bei meinem Großvater und mir bezüglich unserer deutlich ausgeprägten Suche nach sozialer Anerkennung durch „militärischen Erfolg“.
Neben der Genetik des Individuums hat die Erziehung des Menschen eine starke Wirkung auf die Ausprägung von Wahrnehmung und Verhalten. Autoritäten weitgehend blind zu akzeptieren sowie Gehorsam und Disziplin waren in der Kaiserzeit und im Dritten Reich anerkannte Tugenden und wurden anerzogen. Die Zivilgesellschaft war militaristisch geprägt durch den hohen moralischen Stellenwert militärischer Eigenschaften (Tapferkeit, Härte, Willenstärke) und die trotz aller gegenteiligen Erfahrungen fehlende Gesinnung, militärische Gewalt und die aus dieser Gewalt folgenden Leiden grundsätzlich verhindern zu müssen. Diesen Generationen fiel Unterordnung in militärische Hierarchie vermutlich nicht so schwer. Komplexer wurde es ab den 1920er Jahren mit dem Aufkommen liberalerer Erziehungswerte und mit einem Ansatz zum Wert der eigenen Individualität und des Selbstbewusstseins. Vielfach bestand aber weiter der Grundsatz, dass Erziehung die Aufgabe hatte, den jungen Menschen auf ein Leben in Leistungswilligkeit vorzubereiten, damit „er es einmal besser hat“. Und es wurde – zumindest im Mittelstand – dahingehend erzogen, dass die junge Generation Fehler und Mängel der Vergangenheit und Gegenwart, egal ob familiär oder gesellschaftlich, später einmal korrigieren sollte. Dieser Generation fiel es umso leichter, den Revanchismus nach dem Ersten Weltkrieg zu akzeptieren und sich mit der Notwendigkeit eines „erwachenden Deutschlands“ anzufreunden. Der gleiche Mechanismus griff nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem friedensorientierten Ergebnis, da der Schock der Zerstörung so tief saß, dass Anti-Militarismus und Fremdenfreundlichkeit einen großen Stellenwert in der Pädagogik einnahmen. Nach 1968 wurden diese Tendenzen noch verstärkt. Den Kindern der antiautoritären Erziehung war vieles erlaubt, Kriegsspielzeug und Fremdenfeindlichkeit allerdings waren verpönt (siehe BETTELHEIM 1982: 200).
Die erzieherische Förderung von Individualismus und das Zulassen eines ausgeprägten Selbstbewusstseins ab den 1960er Jahren förderten beim Nachwuchs auch zunehmend eine differenzierte Sicht auf übernommene Werte. So änderte sich auch die Möglichkeit zum individuellen Verinnerlichen von Werten. Die 68er-Bewegung ist das deutlichste Zeichen für diesen Akzeptanzwandel.
Der Soldat war natürlicherweise immer Objekt des Handelns anderer, aber auch in der Kaiserzeit schon ein wenigstens manchmal frei entscheidendes Subjekt im vorgegebenen Handlungs- und Werterahmen. Er war und ist Subjekt und Objekt gleichermaßen, weil das „Wie“ und die „Intensität seines Handelns“ immer Ausdruck seines „freien Willens“ aus der Akzeptanz bzw. Ablehnung von Werten oder seiner Sozialisation oder seiner Veranlagung heraus sind (WARBURG 2008: 41f). Die weitreichenden Möglichkeiten erzieherischer Manipulation durch Drill, Propaganda und „Gehirnwäsche“ sollen hier nicht weiter erörtert werden.
2. Aggression, Besitzstand, kriegerische Gewalt
Eine archaische Neigung des Menschen zu Aggression und Sicherung bzw. Vermehrung des eigenen Besitzstandes (materiell bzw. immateriell und im Sinne einer Absicherung der Gegenwart und Zukunft) darf als gegeben vorausgesetzt werden. Nahrungsbeschaffung durch Jagd, Schutz der Familie vor Gefahr oder der Schutz der eigenen Höhle waren schon steinzeitlich hinreichender Grund für Aggressionen gegen Tiere oder Menschen. Mit dem Aufkommen von Besitz und Vorratshaltung, dem Entstehen von Ackerbau und Viehzucht, gab es ausreichende Gründe für gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Menschengruppen. Mit zunehmender Kultur der Menschen, insbesondere durch die Fixierung von Gesetzestexten und die Aufklärung, sank die körperliche Gewalt zwischen Einzelpersonen: Kulturelle Techniken wie Gespräch und Kompromiss traten oft an Stelle von Aggression und Gewalt. Zwischen Menschengruppen allerdings stieg aufgrund der Waffenentwicklung die verheerende Wirkung von Gewalt stark an.
Die Bemessung des Anteiles des seit Urzeiten vorhandenen Egoismus oder Altruismus, der Erfolg einer kulturellen Beherrschung oder einer gesellschaftlichen Ausnutzung dieser Kräfte, also die Suche nach dem Maß der genetischen bzw. sozialisierten Anteile, würde hier zu weit führen. Wichtig aber ist die Erkenntnis, dass die im Tierreich fast grundsätzlich vorhandene, genetisch bedingte „Tötungshemmung bei innerartlichen Kämpfen“ beim Menschen im Krieg nicht vorhanden ist: „Der destruktive Krieg ist also Ergebnis kultureller Evolution“ (EIBL-EIBESFELD 1984: 148, 205).
„Die menschlichen Wünsche sind unersättlich, weil uns die Natur alles zu begehren erlaubt und antreibt, das Schicksal aber nur wenig zu erreichen gestattet. So entsteht eine immerwährende Unzufriedenheit im menschlichen Gemüte und Überdruss an all den Dingen, die man besitzt.“ (MACCHIAVELLI 1990: 214)
Es ist an dieser Stelle gleichgültig für die Erklärung der Aggression der Menschen, ob Genetik oder Sozialisation dominieren, ob die „Frustrations-Theorie“ von Dollard oder Berkowitz, die „Lern-Theorie“ von Bandura, die von Freud benannten „Triebe“, die nach Lorenz/Eibl-Eibesfeldt „anteilig genetische Vorbestimmtheit“, der „Begründungskomplex“ von Scott, die „Desintegration“ von Heitmeyer, die „jugendliche Traumatisierung“ von Rauchfleisch, der Einfluss von Amygdala-Stimulation oder der Testosteron-Level die bessere Erklärung darstellen: Aufgrund der technischen Waffenentwicklung gibt es besondere menschliche und deshalb besonders aggressive und zerstörerische Formen dieses archaischen Erbes.
Die in der modernen Zivilgesellschaft vorhandene Lust an der Gewalt wird heute weitgehend kompensatorisch ausgelebt, zum Glück findet ein Aggressionstrieb oft einen Ausweg im Konsum von Medien mit Gewalt und Horror (BETTELHEIM 1982: 212). Die die Einschaltquoten verbessernde Berichterstattung von Mord und Totschlag im Fernsehen und der Erfolg von „True Crime“ sowie die Konjunktur der „Ballerspiele“ bestätigen das vermutlich. Manche Fußballhooligans, Betrunkene und anderen leicht erregbare Zeitgenossen leben ihre Bedürfnisse allerdings bis heute in Schlägereien und Schlimmerem aus.
Verallgemeinernd darf wohl postuliert werden (MAYER 1977: 14):
die Individuen suchen Ihre Bedürfnisse zu befriedigen.
alle Arten haben die Tendenz, mehr Individuen zu produzieren als das Ökosystem Ressourcen bereitstellt
Individuen befinden sich in einer Situation des Wettbewerbs um knappe Güter
Knappe Güter können materielle (Geschlechtspartner, Nahrung und Produktionsmittel, Land) und immaterielle Güter (Gruppenhierarchie, Ehre, Rache, Macht, Religionsausübung) sein. Neben den daraus entstehenden, individuell oder kollektiv friedfertigen Verhaltensmöglichkeiten des Individuums gibt es vor dem Hintergrund dieser Thesen unter Lebewesen natürlicherweise auch Aggression, Drohung, Kampf, Unterwerfung und Flucht. Es gilt bei materiellen Gütern teilweise sogar für Pflanzen, jedenfalls grundsätzlich für Tier und Mensch für die gesamte Bandbreite vom Kampf mit dem Rivalen bis zum Weltkrieg.
Unter diesen Punkten spielen Nahrungs-/Wasserknappheit im Zusammenspiel mit Überbevölkerung und Klimawandel eine zunehmend dramatische Rolle ebenso wie ethisch-dogmatisch-religiöse Gründe. Das dabei gezeigte Wettbewerbsverhalten des Individuums wird vom Gruppenverhalten aller Beteiligten beeinflusst und gelenkt, gefördert oder eingehegt. Die Höhe der evolutionären, kulturellen bzw. ideologisch-weltanschaulichen und technischen Entwicklung ergibt dann den Umfang der Gewalt (MEYER 1977: 27ff). Im Einzelfall ist der Einfluss entscheidend, den ein Individuum auf die Gruppe bzw. die ganze Population hat.
Die Aggressionsbereitschaft des einzelnen Anführers oder der Gruppe bietet die Voraussetzung für geplante, große Angriffskriege. Letztere speisen sich aus Machtstreben und der Suche nach persönlichen Vorteilen bis hin zum Gefühl, gleich Alexander dem Großen der Welt heldenhafte Fußabdrücke der Ewigkeit hinterlassen zu wollen. Putin ist hier nur das jüngste Beispiel.
Euphorie und Angst: Der zivilisierte bzw. kultivierte Mensch geht normalerweise vermeidbaren Risiken aus dem Weg, was evolutionsbiologisch vermutlich auch zielführend ist. Es stellt sich die Frage, warum in lebensgefährlichen Verteidigungssituationen neben der grundsätzlichen Angst ein intensives Gruppengefühl befeuert wird und weshalb weitergehend Soldaten angesichts der wahrscheinlichen Gewissheit der eigenen Verwundung und des eigenen Todes trotzdem bereit sind, sich gegebenenfalls zu opfern. Und wieso gibt es Euphorie oder Begeisterung bzw. Motivation im Adrenalin-durchströmten Kampf selbst und auch in der oft entbehrungsreichen Vorbereitung darauf oder abseits in deren quälerischen Unterstützungstätigkeiten? Antworten bietet EHRENREICH (1997: 95ff) mit Bezug auf evolutionäre Entwicklungen aus der Frühmenschenzeit. Nicht nur die Jagd verlangte gemeinsame Strategien der Gruppenorganisation. Als potenzielle Nahrung für Löwen und Wölfe sowie bei Angriffen von Raubtieren war eine sinnvolle Einteilung der Gruppenmitglieder nötig. Mit unzureichenden Waffen ausgerüstet galt gleiches für die Situationen, in denen die Menschen als Aasfresser nicht selbst jagten, sondern die Beute eines Raubtiers in ihren Besitz brachten. Den Beutegreifer zu vertreiben war ebenso wie das Jagen der großen Pflanzenfresser mit der Gefahr verbunden, mögliches Verletzungs- oder Todesopfer zu werden. Die Bereitschaft einzelner Gruppenmitglieder, sich der Gefahr und Gewalt besonders exponiert entgegenzustellen und ggf. dabei umzukommen, war individuell sicher unzweckmäßig, populationsdynamisch und evolutionär wohl aber von großem Vorteil.
Schon bevor erstmals eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Menschen stattgefunden hat, könnte ein seit Urzeiten tief im Bewusstsein angelegter Mechanismus vorhanden gewesen sein, der die Bereitschaft zu trainiertem Kampf und auch zu geplanter Opferwilligkeit ermöglichte. Opferwilligkeit sowohl für die Gruppe als auch für den Nachwuchs ist evolutionär vorteilhaft und entweder genetisch oder sozialisiert festgelegt. Eine Gruppe, die nicht so reagierte, hatte urzeitlich wohl weniger Kinder großgezogen und wurde verdrängt.
Irgendwann fingen die Menschen an, ihre Gruppe durch Rituale und religiöse Zeremonien zu stärken, sich kulturell auf gemeinsames Handeln einzustimmen, sich gegen andere Gruppen abzugrenzen, vielleicht auch ein möglicherweise erwartetes Selbstopfer für die Gruppe vorzubereiten. Bis heute finden wir in abgeschwächter Form solche Selbstbestätigungs- und Gruppenstärkungsprozesse bei Sportveranstaltungen, Gottesdiensten, politischen Veranstaltungen oder Zeremonien von Vereinen und Gedenktagen. Kulturell geformte Ereignisse vereinten die Gruppe heute fast immer ohne irgendeinen Gedanken an Feindschaft, beim Sport jedoch immerhin mit Gegnerschaft und auch in der Politik mindestens mit dem Willen zur deutlichen Abgrenzung. Bei eskalierenden Demonstrationen oder bei Hooligans finden wir die archaischen Grundmuster allerdings sehr schnell wieder. Die Geschichte hat mehrfach gezeigt, dass diese „emotionale Grundausstattung“ auch für ganze Volksmassen beliebig genutzt werden kann, von Ablehnung und Abgrenzung über Hass und Opferbereitschaft bis hin zur Verklärung von Opfertod und Völkermord.
Für die Zeit vor etwa 12 000 Jahren ist Krieg erstmalig anhand von Felszeichnungen und Skeletten mit gleichartigen Verletzungsmustern archäologisch nachweisbar. Die Waffen waren die üblichen Jagdwaffen. Es bleibt unklar, ob Streit um Eigentum oder Nahrungsmangel die Auslöser waren, der Zeitpunkt stimmt jedoch überein mit dem Aussterben der großen Pflanzenfresser und dem Auftreten der Landwirtschaft. Ressourcen und Besitzstand sind als Gründe nachvollziehbar, wegen denen wandernde Nomaden oder sesshafte Ackerbauern ihre Mitmenschen mit Gewalt überzogen: Besitz sollte für den Vorteil der eigenen Population genutzt werden (EHRENREICH 1997: 142). Auch in dem in den Gesellschaften weltweit verankerten Rettungsgrundsatz „Frauen und Kinder zuerst“ äußert sich der tief verankerte Trieb zur Populationserhaltung.
Zum Thema Männlichkeit und Heldentum (Sozialprestige des Kriegers) wird von Ehrenreich ausgeführt, dass es eine Entwicklung gegeben haben könnte vom erfolgreichen Jäger und seiner herausragenden Rolle und seinem sozialen Status für die Populationsgruppe hin zum „Krieger“, der als Bauer nicht mehr „hervorragend“ werden konnte, dem dieses als Krieger jedoch mit speziell eingeübten jägerhandwerklichen Fähigkeiten möglich war: „Der Krieg ist de facto eine der am strengsten geschlechtsspezifisch geregelten Tätigkeiten des Menschen (…) Anderen Autoren (…) springt der Zusammenhang zwischen Krieg und Männlichkeit dermaßen ins Auge, dass sie in der Männlichkeit eine völlig befriedigende Erklärung für den Krieg überhaupt sehen: Aus dieser Sicht wird Krieg zur unausweichlichen Folge männlicher Aggression (…) Krieg führen ist also nicht nur eine Tätigkeit, auf die Männer sich ein Monopol gesichert haben, sondern diente oft dem Zweck, das Mannsein an sich zu definieren – hatte also genau die Funktion, die man erwarten würde, wenn der Krieg tatsächlich als Ersatzbeschäftigung für unterbeschäftigte, männliche Jäger/Verteidiger entstanden sein sollte. In historischen Zeiten war es oft ausdrücklicher Kriegszweck, aus Männern (echte) Männer zu machen, das heißt, männlichen Erwachsenen eine richtig männliche Beschäftigung zu geben. Die alten Griechen führten Ritualkriege (…)“ (EHRENREICH 1997: 152)
In vielen historischen Gesellschaften Europas, Afrikas und Amerikas seien blutige Rituale und die Notwendigkeit zum Töten nachgewiesen, damit aus Knaben erwachsene Männer würden. Ehrenreich legt dar, dass Frauen keine angeborene Hemmung gegenüber kämpfen und Blutvergießen hätten, dass bei Revolutionen auch Frauen immer wieder als Kombattanten in Erscheinung getreten seien, insbesondere weil revolutionäre Streitkräfte allgemein weniger formell organisiert seien. Es gebe keinen zwingenden biologischen (Waffentechnik gleicht Körperkräfte aus) oder natürlichen Grund dafür, dass das Kriegshandwerk fast immer Männern zufällt. Ein grundsätzlicher Unterschied bezüglich einer „zusätzlichen Verletzlichkeit“ der Frau als Kombattantin aufgrund der in Kriegen üblichen Vergewaltigungen wird von Ehrenreich hier nicht gesehen. Allerdings würden sich Krieg und aggressive Männlichkeit seit Beginn der geschichtlichen Aufzeichnungen kulturell gegenseitig verstärken: So sei es erklärbar, dass schon im klassischen Altertum Gedichte und Sagen den Krieger als höchstes männliches Ideal rühmten und der Frau von alters her in allen gewalttätigen Auseinandersetzungen grundsätzlich die passive Rolle der unterstützenden Hilfskraft oder der geknechteten Kriegsbeute zufiel (EHRENREICH 1997: 156ff). Tiefere Einsichten über männlichkeitsbedingte Verhaltensweisen und Kriegertugenden liefert Haubl in VOGT (1988: 57ff).
In den letzten Jahrzehnten sind mit zunehmender Gleichberechtigung und Waffentechnik Frauen in diese ehemalige Männerdomäne eingebrochen. Die aktuelle Entwicklung des Ukraine- oder des Gaza-Krieges zeigen einen deutlichen Frauenanteil in der kämpfenden Truppe. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die den Kampf bezeichnen Charakteristika weiterhin als männliche Tugenden gelten. Die „männlichen“ Klischees finden wir am klarsten im amerikanischen Kinofilm, manchmal auch als bewusste Umdrehung der Verhältnisse wie bei der Figur einer „Lara Croft“.
Mit der kulturellen Weiterentwicklung gärte dann im Laufe der Jahrtausende „das Kriegerideal, das Tugendhafte, das Sakrale“ heran und verklärte sich. Im Krieg findet der Krieger Abenteuer und Kameradschaft, eine höchste Intensität der Gefühle, den Beweis seiner Männlichkeit, vielleicht neues Land und Beute, aber immer die Möglichkeit des Heldentods, der eben nicht Tod bedeutet, sondern ewigen Ruhm.
Diese Entwicklung führte wohl auch dazu, dass gewalttätige Auseinandersetzungen vom Zaun gebrochen werden mussten, um den ständig heranwachsenden Jugendlichen Gelegenheit zu bieten, zu „echten Männern“ zu werden. Die mittelalterlichen Fehden, möglicherweise auch manche Wirtshausschlägerei, fanden darin ihre Begründung.
Die Geschichten der Griechen über die Schlacht an den Thermophylen gelten als die erste Dokumentation der Tugend des „heroischen Untergangs“. Das Opfern für die Gemeinschaft galt als höchste Tugend und macht unsterblich. Von Clausewitz schrieb 1812: „dass ein Volk nichts Höheres zu achten habe als die Würde und die Freiheit seines Daseins, die es mit dem letzten Bluttropfen verteidigen solle (…) dass selbst der Untergang dieser Freiheit nach einem blutigen und deren Folgekampf die Wiedergeburt des Volkes sichert und der Kern des Lebens ist, aus dem einst ein neuer Baum die sichere Wurzel schlägt.“ (WETTE 2011: 200)
Die viel gelesenen Dichter der Befreiungskriege Fichte, Arndt und Körner und später Rilke und Flex priesen den Tod für das Vaterland als höchste Sinngebung des Lebens. Der Kult der bedingungslosen, nicht nach Erfolg trachtenden Hingabe, die Bereitschaft zum Tode wurde zum Maßstab erhoben, welcher die „Würdigen von den Unwürdigen schied“. Das Bild vom Kapitän auf der Brücke, der als Letzter sein Schiff nicht verlässt, ist hinreichend bekannt ebenso wie „bis zur letzten Patrone zu kämpfen und nicht aufzugeben“. Dieses „sich für die Gesellschaft Opfern“ – verbunden mit einer ewigen Heldenverehrung – wurde zum Ehrbegriff für viele. Auch beim Massensterben im Kessel von Stalingrad wurde versucht, den Heldenmythos propagandistisch zu benutzen (WETTE 2011: 196ff). Erst das millionenfache, anonyme Massensterben in den Weltkriegen beendete in Deutschland vielfach die Überzeugungen vom heldenhaften Opfertod. Der Blick auf die Verehrung der Gefallenen im Ukraine-Krieg zeigt uns allerdings, dass das alte Gedankengut im gerecht erachteten Verteidigungskrieg weiterhin verbreitet ist.
Die Berechtigung eines Heldenruhms stellt EHRENREICH (1997: 159) zwar zur Debatte, jedoch nicht grundsätzlich infrage: „Welchen Sonderstatus der Jäger und Verteidiger der Urzeit in seiner Kultur auch erhielt, er dürfte ihn verdient haben: Im Kampf gegen wilde Raubtiere oder aggressiv Huftiere wie den Auerochsen riskiert und opferte er notfalls sein Leben im Dienst für die Gemeinschaft. Doch bei seinem Nachfolger, dem Krieger, lässt sich die Frage, ob er sein mit der Speerspitze erworbenes Sozialprestige auch verdiente, nicht so eindeutig bejahen. Auch er opferte manchmal bei einem als völlig gerechtfertigten und rein defensiven deklarierten Feldzug sein Leben. Doch der Krieg ist ein von Menschen gemachtes Kulturprodukt und deshalb steht der Krieger in dieser Frage auf viel schwankenderem Boden als der Kämpfer gegen wilde Tiere.“
Ein echter Verteidigungskrieg wird von den meisten Menschen als gerechtfertigt und notwendig angesehen, nur echte Pazifisten lehnen „kriegerische Notwehr“ ab und geben bedingungsloser Gewaltfreiheit einen Vorrang. Wahrheiten liegen aber immer im Auge des Betrachters und die Waffen und die politischen Möglichkeiten einer skrupellosen Staatsführung können nicht eliminiert werden: Auch wenn die Gesellschaft grundsätzlich Frieden halten will, ergibt sich eine Zwangslage in der Entwicklungsrichtung einer Gesellschaft hin zum Verteidigungswillen: “Von allen Entwicklungsmöglichkeiten in der Kultur sind nur einige gangbar (…) Kriegerische Gruppen können pazifistische eliminieren, ehrgeizige die genügsamen (umgekehrt geht das nicht). Zivilisierte Gesellschaften verdrängen die letzten primitiven und moderne Industriestaaten die archaischen Kulturen. Eine Gesellschaft, die Eisen verarbeitet, kommt weiter als eine, die gar keine Metalle oder Kupfer verarbeitet, und Reiter setzen sich gegen Unberittene durch. Durchorganisierte Gesellschaften mit starker Führung haben bessere Aussichten als Dezentralisierte mit weniger klaren Machtstrukturen: das anscheinend breite Spektrum kultureller Entwicklungsmöglichkeiten verengt sich, ohne dass die eingeschlagene Richtung bewusst gewählt worden wäre.“ (EHRENREICH 1997: 163)
Folge dieser gegenseitigen Bedingtheit seien auch Entwicklungen wie „eine staatliche Blutrache“: Nachweisbar bedingen sich Kriege, geographisch oder zeitlich determinierte Gewaltereignisse dienen als Argumentation und tragen dazu bei, neue Waffengänge mehrheitsfähig zu machen. Betont werden dabei Ehre, Schmach, Rache, Gerechtigkeit vor der Geschichte, neue Bedrohungen und der Kanon des Nationalismus. Der Zweite Weltkrieg als Folge des Ersten Weltkrieges ist Beweis dafür ebenso wie die unendliche Abfolge der Gewalt des Nahostkonfliktes.
Im Laufe der Zeit durcheinander und sich befruchtend oder behindernd mäandern die Wertevorstellungen von Krieg und Frieden durch die Öffentlichkeit. Gesellschaften oder Teile davon können so im Zeitenwandel immer wieder aus Friedenphasen in kalte oder heiße Konflikte geraten, wenn die „Schreckenserlebnisse“ des letzten Konfliktes verblasst sind und Ereignisse als neue Bedrohungen aufgefasst werden. Auch im Gehirn des Einzelnen, der es doch aus eigener Erfahrung besser wissen sollte, passiert das. Wir sind tief im Inneren gefühlsgesteuert, Argumente verlieren an Gewicht, wir beurteilen eine Lage situativ, die Ratio wird schlimmstenfalls durch Lügen getäuscht: Die bewussten und unterbewussten, die durch Verstand, Betroffenheit und Hormone gesteuerten Gefühle und Gedanken des Pazifismus und Bellizismus sind nicht zeitlich stabil: Leben, Freiheit und Zukunftserwartungen sind durch Sozialisation und Erfahrung, Bildung und kulturelle Entwicklung in situativ unterschiedlichem Maße beeinflusst. Nur so ist erklärlich, dass selbst aus eingefleischten Pazifisten im Februar 2022 innerhalb weniger Tage Verfechter militärischer Verteidigungsoperationen wurden, die mehr Rüstungsgüter für die Ukraine forderten. Eine ultimative, zeitlich unbefristete Wahrheit gibt es nicht.
Und es gibt auch beim Individuum die Abfolge von Freude und Angst, von Hoffnung und Bangen, von Nachgeben und Aufbegehren wollen bis hin zum Gefühl, aus einer prekären Situation flüchten zu müssen und sie doch gleichzeitig zu suchen. Selbst bei Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz war das Belohnungssystem des Gehirns angetriggert und machte „hungrig“, obwohl der Verstand um die Nachteile wusste: „Euphoriegefühle nach Gefechtshandlungen“ sind kein Einzelfall (MAREN TOMFORDE in LEONHARD/FRANKE 2015: 229). Solche Euphorie kann ich nachempfinden. Nach den einzelnen Abschnitten in der Stoßtruppausbildung, nach Häuser- und Waldkampf oder nach einem erfolgreichen Infanterieangriff auf die Ortschaft Bonnland herrschte eine Stimmung wie nach einem gewonnenen Fußballspiel. Das Zusammenspiel von Feuer und Bewegung, von Adrenalin und Endorphinen machte es möglich. Und es gab längerfristige Gefühlsschwankungen: Ich hatte jahrelang in und nach Wehrübungen den gleichen Effekt: Im Dienst litt ich unter der körperlichen Anspannung und Anstrengung und fragte mich: „Warum hast du dich wieder freiwillig gemeldet?“ Einschränkungen der Freiheit, das frühe Aufstehen, die Angst vor der eigenen Unfähigkeit oder vor peinlichen Ereignissen forderten ihren Tribut. Und nach dem Ende der Wehrübung kroch eine Sehnsucht hervor nach den Erfolgserlebnissen, den Stolz- und Siegergefühlen in der Uniform, nach Gestaltungsspielraum und Anerkennung. Meine durchaus erfolgreiche, gutbürgerliche Berufs- und Familiensituation hatte keinen Einfluss auf das militärische Gefühl.
Lapidar beschrieb Sebastian Trenckmann, der Enkel, die Gefühlsveränderung nach einem Schneebiwak im Dezember 2010: „Es war wie so häufig: In der Situation selbst war es ziemlich mies, aber rückblickend ist es eine tolle Geschichte“.
Eng daran gebunden ist Stolz, ein archaisches, vielschichtiges Gefühl und für andere manchmal peinlich. Er kann je nach Weltanschauung tugend- oder sündhaft sein und ist fließend in seinen Übergängen zu gesundem Selbstbewusstsein, Freude über sich selbst oder zu unprätentiöser Zufriedenheit. Gleichwohl spielt er eine antreibende, oft entlarvende Rolle für Verhalten und Selbstbewusstsein.
So schrieb mein Großvater 1914 an seine Tante: „Ich bin im IV. Garde-Regiment und komme deshalb gleich als GaSch (Gardeschütze) direkt in die Feuerlinie“,oder 1917 nach Hause: „Endlich ist das Ziel nun erreicht und ich habe die Achselstücke lt. Lko. v. 22. 10. Erhalten (…) Euer jüngster Leutnant Hans.“ Man darf gewiss Stolz und die Suche nach Anerkennung hineininterpretieren.
Dieser Stolz ist auch zu erkennen trotz der dürren Worte, mit denen mein Vater in seinen Erinnerungen schrieb: „Ich war inzwischen Obergefreiter geworden, hatte das EK II und das Verwundetenabzeichen in schwarz bekommen.“ Oder er bekennt, nachdem er nicht länger Gruppenführer war, selbstbewusst das eigene Verhalten als höherwertig an: „Meine ehemaligen ‚Leute‘ taten mir leid.“
Das vergängliche Gefühl eines gewissen Stolzes, alternativ eine tiefe Befriedigung, verspürte ich mehrfach, sicher nach irgendwelchen Ereignissen, die etwas mit der Erreichung von Zielen oder der Erledigung echter Leistungen zu tun hatte, aber auch naiven Stolz darüber, dass ich einfach nur Teil des militärischen Systems war. So notierte ich im November 1981: „(…) sogar ein echter General war mit goldenem Hamburger und Salat. Reden über ‚wir können stolz auf uns sein‘, ‚Panzeraufklärer sind toll‘, ‚Wehrdienst gleich Friedendienst‘. Mit Kapelle und viel fürs Auge, es ist schon toll, wie diese pompöse Feierlichkeit im Zusammenhang von Lob für uns Soldaten in den Reden auf einen wirkt. Auf mich wirkte das Ganze echt sehr. So wie es sollte. Es ist gut für Motivation und Selbstbewusstsein. (…) es ist schon ein erhebendes Gefühl: So wächst Stolz, das klingt naiv, aber Gefühle gibt es ja auch trotz drüber-Nachdenken. Die Armee, welches seltsame Gefühl erwächst in mir, warum werde ich stolz darauf, beim Militär zu sein (…)“ Hier spielen sicherlich grundlegende Wirkungen im Sinne von EHRENREICHs (1997: 224) Thesen bezüglich der Phasenangleichung eine deutliche Rolle.
Als Stolz entlarvt sich auch die Erinnerung meines Sohnes, wenn er Ende 2010 schrieb: „Ich hatte mich komplett in das Theaterstück eingefügt und sprühte vor Freude, wenn ich am Wochenende meinem Vater von meinen Erlebnissen berichtete“ oder wenn er, als stellvertretender Gruppenführer eingesetzt, berichtet: „Ohne einen einzigen Ausfall oder eine einzige Krankmeldung kamen wir nach zwei Stunden geschlossen wieder in der Kaserne an.“ Nachträglich stellt er fest: „Kameradschaft, das Durchstehen von unangenehmen Ausbildungsteilen und eigene Leistungen haben aber zu Momenten geführt, die man mit Stolz betiteln könnte. Sie waren aber nur kurz.“
3. Nationalismus
Nationalismus ist keine typisch deutsche Erscheinung, allerdings hat der Nationalismus in Deutschland besondere Blüten getrieben und war Triebfeder beider Weltkriege. Dabei war der eher patriotische Nationalismus der Kaiserzeit bürgerlicher Prägung längst und nicht so militärisch-revanchistisch wie derjenige der Weimarer Republik und nicht so umfassend staatlich gesteuert wie derjenige im Dritten Reich, insgesamt aber von viel größerer Breite und Tiefe als der in der Bundesrepublik.
Nach MANN (2002: 83ff) gab es eine direkte Entwicklung vom Gedankengut Steins, Schillers und Humboldts aus der napoleonischen Besetzung und Preußens Niederlage 1806 mit dem Streben nach einem aufgeklärten, freien Menschen in einem liberalen, die ganze (Sprach-)Nation umfassenden Staat zum Nationalismus des Deutschen Kaiserreichs hin: So wurde durch Realität und menschliche Schwäche aus einem nachvollziehbaren Nationalgefühl voller Ideale jedoch der „aggressive, unterdrückende, menschenfeindliche Nationalismus“ des 19. und 20. Jahrhunderts. Die „böse Seite des Nationalismus“ war schon in der Abgrenzung gegen Napoleon angelegt. Erstmalig 1813 kommt der Gedanke auf, dass der Krieg eine „Reinigung der Gesellschaft“ und neue Tugenden erzeuge (WETTE 1992: 87): „Es gibt Augenblicke, wo ich den Frieden wünsche, aber meine innerste, tiefe Überzeugung sagt mir, dass ich das nicht darf. Wir sind seit einem halben Jahr wirklich klüger und besser geworden. Wenn wir aber fühlen, wie viel uns noch fehlt, so müssen wir auch fühlen, dass uns Krieg fehlt. (…) Der Krieg wird geführt ‚um uns von Schlacken zu reinigen‘, er ist „eine bittere Arznei: Wie viele Glieder müssen leiden, damit der Körper gesunde.“
Lt. WEHLER (Bd 1 2008: 506ff) war die hohe Geschwindigkeit erstaunlich, mit der dieser freiheitliche Nationalismus ein Sendungsbewusstsein, die Franzosenfeindlichkeit und die Überhöhung des Deutschtums als allen anderen Völkern überlegene Kultur mit sich brachte. Der preußische Reformer Freiherr vom Stein ruft zu „Hass und Feindschaft“ gegen die „unreine französische Rasse“ auf, Schriftsteller Friedrich Schlegel zum „gänzlichen Vernichtungskrieg“. Heinrich von Kleist fordert bezüglich des welschen Nachbarn: „Schlagt ihn tot! Das Weltgericht – fragt euch nach den Gründen nicht.“ Und Ernst Moritz Arndt spricht von „Franzosenungeziefer“ (WEHLER Bd1 2008: 523).
In den in dieser Zeit gewachsenen Gedanken einer Großartigkeit deutscher Geistesleistungen in Wissenschaft und Kultur – ein angesichts der Napoleonischen Besetzung und der Gesinnung der Befreiungskriege 1813 bis 1815 möglicherweise noch nachvollziehbarer Gedanke – liegt das Fundament des kaiserzeitlichen und nationalsozialistischen Größenwahns. Die Sehnsucht nach einem geeinten, machtvollen, ehrenvollen und weltweit respektierten und dominierenden Staatswesen war groß: Mit den Erfahrungen der napoleonischen Befreiungskriege als ihrem historischen und bis heute moralisch integren Hintergrund war man bis zum Ersten Weltkrieg gerechtfertigt. Danach kamen die Motive des „Deutschen Frontkämpfers“ und des „Schmachfriedens“ dazu und gaben dem Nationalismus weitere Rechtfertigung bis 1945.
Einen interessanten Blick wirft WETTE (1992: 100f) auf die nationalistische Wirkung der nach 1871 entstandenen Kriegervereine: Verbunden in der Gewissheit, in einem gerechten Verteidigungskrieg den Erbfeind geschlagen und die Reichsgründung ermöglicht zu haben, schwelgten viele in den Kriegserinnerungen und der dadurch bezeugten Männlichkeit. Stolz auf ihren persönlichen Anteil an der Reichsgründung sollen sie aber keineswegs „kriegslüstern“ gewesen sein, da Leid und Elend des Krieges noch tief wirkten. Ab der Zeit um die Jahrhundertwende ändere sich der Charakter der Kriegervereine: Die nachfolgende Generation war zwar moralisch eingebunden in die Dogmatik, dass nur ein Verteidigungskrieg ein gerechter Krieg sein konnte, aber sie wollte sich ebenfalls beweisen und nicht nur im Schatten der „alten Krieger“ stehen. So entwickelten sich neben den geselligen auch paramilitärische Aktivitäten. Wenn man also – so wie die Väter und Großväter – eine mann- und ehrenhafte Wehrhaftigkeit beweisen und ebenbürtig als neue Generation gegenüber den Alten dastehen wollte, konnte man nur auf einen neuen, aufgezwungenen Krieg hoffen. So entwickelte sich auch hieraus eine Akzeptanz kriegstreiberischer Herabsetzung des französischen Feindes und die Willigkeit zum neuen Waffengang: „Die Verherrlichung der kriegerischen Leistungen in den Einigungskriegen bewirkte deshalb in der nächsten Generation eine Leichtfertigkeit im Denken über den Krieg, über die die Veteranen oft entsetzt waren. (…) Einerseits konnte sich wahre Männlichkeit nur im Krieg bewähren, andererseits dürfte diese Bewährungsprobe aber nicht gesucht werden, denn der wahre Held sollte nicht aggressiv sein. (…) Das Dilemma zwischen dem Zwang, sich als Kämpfer zu beweisen und der ethischen Forderung friedfertig zu sein, war nur lösbar, indem anderen Nationen aggressive Tendenzen unterstellt wurden. (…) Das unbestimmte Gefühl der Gefahr gipfelte im Glauben an die Unvermeidbarkeit des nächsten Krieges.“ (WETTE 2011: 74).
Angesichts des nationalen Denkens von den Befreiungskriegen bis nach der Reichsbildung 1871 in den damaligen Generationen in Schule und Medien und durch die Vorbildfunktion gesellschaftlich höherstehender Schichten, insbesondere der Bildungselite, erscheint es logisch und konsequent, das geistige Vorbereitung und Kriegsbegründung in der Gesellschaft mehr als ausreichten, nicht nur den Adel und das Bürgertum, sondern auch Teile der kleinbürgerlichen Schichten sowie die Vertreter der Arbeiter und Bauern „hoffnungsvoll und in Hochstimmung gemeinsam in den Krieg zu führen und die Bilder entstehen zu lassen, die wir vom August 1914 her kennen: Am 1. August feierte eine (opferbereite und) heroische Gesellschaft sich selbst“ (MÜNKLER 2013: 223ff). Gleichzeitig postulierten Politik und Wissenschaft im August 1914 Behauptungen, dass Deutschland angegriffen sei und sich gegen Egoismus und ehrloses Verhalten verteidigen müsse (DELBRÜCK 1918: 28ff). England wird zum kulturellen Hauptfeind erklärt (DELBRÜCK 1918: 44), allerdings wird dann 1918 vom gleichen DELBRÜCK (1919: 211) festgestellt, dass das absolutistisch-panslawistische Russland es gewesen sei, welches Deutschland und den Kaiser gegen seinen Willen in den Krieg getrieben habe.
Das „Augusterlebnis“ war vorwiegend beim Bürgertum und der unteren Mittelschicht anzutreffen, Arbeiter und Landbevölkerung hatten daran nur wenig Anteil. In vielen kleineren Städten seien keine pathetischen Lieder gesungen worden, keine Begeisterung aufgekommen, sondern es hätte Sorge und Nachdenklichkeit geherrscht. (WEHLER Bd4 2009: 16ff, MÜNKLER 2013: 223) und ULLRICH (2004: 268) beschreiben Schock, Tränen, Trauer in ländlichen Bereichen. Am 02. August verzichteten die deutschen Gewerkschaften jedoch auf Streik und Lohnkämpfe während eines Krieges und in Frankreich und Deutschland wurden die erst im Juli erneuerten Beschlüsse der Mitglieder der sozialistischen Internationale zur Verhinderung eines großen Krieges zugunsten der nationalen Verteidigung missachtet (MÜNKLER 2013: 229).
Bekannte Persönlichkeiten zeigten sich begeistert über den Beginn des lange erwarteten, gefürchteten, die Spannung lösenden Beginn des Krieges, Max Weber bekannte: „Der Krieg ist groß und wunderbar.“ (WEHLER Bd4 2009: 14). Werner Sombart, Friedrich Naumann, Robert Musil und Thomas Mann begrüßten mit euphorischen Worten den Krieg und seine „charakterbildende, reinigende, einigende Kraft.“ Vielfach, selbst in sozialdemokratischen Zeitungen, wurde das erfreuliche Ende aller Konflikte betont zwischen den sozialen Schichten und Klassen, zwischen Land- und Stadtbevölkerung, zwischen politischen Parteien: die quasi „religiöse“ Kraft des gemeinsamen Waffengangs einige die Nation.
Wochen später waren viele abgekühlt und ernüchtert, Max Weber revidierte sich geradezu und 1915 schrieb der Sozialwissenschaftler Emil Lederer: „Eine spätere Zeit wird es kaum begreifen können, mit welcher Willenlosigkeit (…) sich alle Strömungen in der Tatsache des Krieges selbst verloren haben und in ihr zu neuem Leben wiederfinden zu können glaubten.“ (WEHLER Bd4 2009: 15)
Im Oktober 1914 rechtfertigten international anerkannte Wissenschaftler und Schriftsteller (u.a. mit den Unterschriften von Gerhard Hauptmann, Paul Ehrlich, Fritz Haber, F. W. Dörpfeld, Engelbert Humperdinck, Max Liebermann, Max Planck mit späterem Widerruf, Max Reinhard, Wilhelm Röntgen) die Kriegshandlungen Deutschlands als aufgezwungene und gerechtfertigte Verteidigungstaten gegen böswillige Feinde (FRIED 2018: 203ff). Im selben Oktober unterzeichneten mehr als 3 000 deutsche Professoren eine „Erklärung der Hochschullehrer“, in der dem deutschen Militarismus alles Negative abgesprochen wird: Dieser sei gewachsen im jahrhundertelangen Abwehren der das Land heimsuchenden Raubzüge durch die immer gleichen Feinde und diene dem Schutz der deutschen Kultur. Die Ideen der kulturell, sittlich, künstlerisch, militärisch, technisch und intellektuell überlegenen, deutschen Volksgemeinschaft fanden im Bürgertum breite Zustimmung, durch „Geist und Seele erhebenden“ Krieg könnten alle Klassenunterschiede und sozialen Konflikte überwunden werden und Deutschland sei bestimmt zur Führung Europas. Auch wurde der Gedanke einer idealen Volksgemeinschaft des „nationalen Sozialismus“ mit einer sozialharmonischen Überwindung der Probleme der existierenden Klassengesellschaft formuliert (WEHLER Bd4 2009: 18f).
Stefan Zweig wird mit folgender Beschreibung zitiert: „(…) Nie fühlten die Tausende und hunderttausende Menschen, was sie besser in Frieden hätten fühlen sollen: dass sie zusammengehörten. Eine Stadt von zwei Millionen (Wien) (…) empfand in dieser Stunde, dass sie Weltgeschichte, dass sie einen nie wiederkehrenden Augenblick miterlebten und dass jeder aufgerufen war, sein winziges ich in diese glühende Masse zu schleudern, um sich dort von aller Eigensucht zu läutern. Alle Unterschiede der Stände, der Sprachen, der Klassen, der Religionen waren über flutet für diesen einen Augenblick von dem strömenden Gefühl der Brüderlichkeit (…) und jeder einzelne erlebte die Steigerung seines Ichs, er war nicht mehr der isolierte Mensch von früher, (…) er konnte Held werden und jeden, der eine Uniform trug, feierten schon die Frauen (…) vielleicht hatten auch diese dunklen Mächte ihren Teil am wilden Rausch, in dem alles gemischt war, Opfer, Freude und Alkohol, Abenteuerlust und reine Gläubigkeit, die alte Magie der Fahnen und der patriotischen Worte – diesem unheimlichen, in Worte kaum zu schildern Rausch von Millionen, der für einen Augenblick dem größten Verbrechen unserer Zeit einen wilden und fast hinreißenden Schwung gab.“ (ULLRICH 2004: 226)
In den bürgerlichen Schichten beendete der Krieg vielfach die Vorkriegszeit als gefühlte Zeit „nationaler Dekadenz“: Der Krieg beende den Niedergang von Kultur und Zivilisation, von Bindungslosigkeit, Materialismus und Wertefall, die Mobilmachung sei Zeichen nationaler Erneuerung, in der nationalen Tugenden wiederbelebt würden. Der Kriegsbeginn wurde in manchen Bevölkerungsschichten als Weltgericht mit einer umfassenden Welterneuerung gedeutet (KRUSE 1997: 168, 170). Ähnliche Gefühle gab es bei Kriegsbeginn auch in Frankreich und England, wo man sich auf den Sieg der Revolution über Feudalismus und Militarismus sowie Demokratie und Parlamentarismus als Werte per se besann. Der Gedanke eines Krieges zur endgültigen Beendigung aller Kriege kam auf (KRUSE 1997: 171).
Die vielfach beschriebene Kriegsbegeisterung war auch lt. KRUSE (1997: 159ff) keine einheitliche Gefühlslage der Gesellschaft. Im Bürgertum war sie längere Zeit stark verbreitet und in unterschiedlichem Maße in Kleinbürgertum, Arbeiterschaft und der Landbevölkerung vorhanden. Dort waren Ängste um die Söhne und Väter, Sorgen um die wirtschaftliche Situation und den Betrieb des Hofes oder der Arbeitsstelle dominant, weil das nationale Element deutlich weniger kulturell verhaftet war. Von einigen Versammlungen in Berlin wurde von „Ernst und Bedrücktheit“ berichtet, „kein Jubel“. SPD-nahe Zeitungen berichteten Anfang August von einer Situation der „Niedergeschlagenheit“. Erst einige Tage später kamen Akzeptanz und Zuversicht auf, als meinungsführende Medien der breiten Öffentlichkeit gegenüber die Kriegssituation als „Verteidigungskrieg“ propagierten. Nach Wochen und Monaten ergab sich eine Gemengelage aus „Angst und Siegeswille, Friedenswünsche und Hass auf den Feind, Trauer über die Einberufung und den Tod naher Angehöriger sowie Stolz auf die neuen Uniform- und Ordensträger“. Gleichzeitig kam es schon im August zu Hamsterkäufen, Schlangen vor Sparkassen und Preissteigerungen.
Nach 1871 kamen Gedanken zur „Vollendung“ der Reichseinigung auf in der Form, dass eine Umfassende Einbindung aller Deutschen Ziel sein müsste und das eine ethnologisch reine Bevölkerung im Reich anzustreben sei. Das Gedankengut zur deutsch-kulturellen Höherwertigkeit, zu territorialen Ansprüchen in der Welt, zu Sozialdarwinismus, zur Notwendigkeit hegemonialer Wirtschafts- und protektionistischer Zollpolitik, zur Lösung von Nationalitätenfragen durch Zwangsumsiedlung, zu Antislawismus, zu Antisemitismus, zu militärischer Gewalt, zu Imperialismus bezüglich Frankreich, Russland und England war insbesondere im Bürgertum, an den Universitäten und in der Wirtschaft im Laufe der Jahre nach 1885 salonfähig und bestimmend geworden. Das Handeln diverser „Agitationsverbände“ war prägend für die nationalistische Ideologisierung der deutschen Gesellschaft. In kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht wurden ab 1890 diese Gedanken umgesetzt und fanden sich als Sprachunterdrückung bzw. Ausweisung für Minderheiten, als Zollpolitik mit Schutzzonen und Kolonien, der Flottenpolitik sowie der gesellschaftlichen Akzeptanz eines Präventivkrieges in der Realität wieder (WEHLER Bd3 1995: 1071ff).
Gestärkt wurde der Gedanke einer „erfolgreichen, staatlich organisierten Volksgemeinschaft mit der freien Entscheidung zu Pflicht, Ordnung und Gerechtigkeit“. Er wurde in Gegensatz gesetzt zu Liberalität, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die neuen Werte waren „schaffe mit, gliedere dich ein, lebe im Ganzen“ (KRUSE 1997: 175). Diese neue Gesellschaftsordnung entspricht den Forderungen General Ludendorffs 1916 nach den Anstrengungen um einen „totalen Krieg“, welcher notwendig sei für einen Sieg. Imperialer Anspruch und völkisches Gedankengut passten zur Kriegssituation, wurden nach 1918 weiter kultiviert und bildeten ein Fundament des Dritten Reiches.
Ernst Jünger schrieb im Vorwort zur fünften Auflage seines Kriegsberichts „In Stahlgewittern“ 1924: „Wir sind nicht gewillt, diesen Krieg aus unserem Gedächtnis zu streichen, wir sind stolz auf ihn. Wir sind durch Blut und Erinnerung unlöslich verbunden. Und schon wächst in unsere Lücken eine neue eine neue und kühnere Jugend hinein. Wir brauchen für die kommenden Zeiten ein eisernes, rücksichtsloses Geschlecht. Wir werden wieder die Feder durch das Schwert, die Tinte durch das Blut, das Wort durch die Tat, die Empfindsamkeit durch das Opfer ersetzen (…) Uns aber leite (…) unsere große, klar und verbindende Idee: das Vaterland (…) Dafür sind wir alle zu sterben (…) Denn der Friede weilt nicht beim Feiglinge, sondern beim Schwert.“ (FRIED 2018: 230)
Deutsches Wesen, deutsche Tapferkeit, deutsche Tüchtigkeit und deutsche Kultur wurden als Werte an sich bezeichnet. Ab 1933 verstärkte sich die akademisierte Rechtfertigung des deutschen Nationalismus und die Forderung nach „völkischer Wissenschaft“. Die Rektoratsrede Martin Heideggers 1933 und seine von mehr als 1 000 Professoren unterzeichnete Ansprache am 11. November 1933 in Leipzig mit dem „Bekenntnis der Professoren (…) zu dem nationalsozialistischen Staat“ sind als Beispiel zu erwähnen. Theater, Musik und anderen Medien wirkten gemeinsam, das Lied mit der Zeile „heute gehört uns Deutschland, morgen die ganze Welt“ wurde 1934 veröffentlicht (FRIED 2018: 256f).
Insgesamt scheint es ein direkter Weg zu sein, auf dem sich der Nationalismus seit dem Kampf gegen Napoleon vom legitimen Anliegen eines besetzten Landes zu den Verbrechen des Dritten Reichs entwickelt hat. Der in Fachkreisen umstrittene FISCHER (1985) weist dazu die Kontinuität der Machtstrukturen durch das „Bündnis der Eliten“ nach: Adel und Bürgertum verblendet, das Volk dem nachlaufend. Erst durch die Ereignisse im Zweiten WK und die Schrecken des Holocausts endete die „Nationalistische Kontinuität“, änderte sich die Mehrheitsgesellschaft, suchte zuerst eine Verarbeitung zwischen Schweigen und Verdrängen, später erst eine Auseinandersetzung mit der Geschichte, und beschäftigte sich mit dem 1945 entstandenen Satz Paul Celans: „(…) der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“
Nationalismus nach 1945 wird in den Lebensrealitäten von Stephan und Sebastian Trenckmann behandelt.
B) Erinnerungskultur, Schuld und Traumaverarbeitung
1. Das Bild der Geschichte im gesellschaftlichen und familiären Gedächtnis
Es gibt einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Biografien, die nach Abschluss des Schreibens als Erinnerung quasi „fixiert“ sind, und den mündlichen Erzählungen, die einem zeitlichen Wandel unterworfenen sind. Schriftliche Biografien überdauern unverändert, leiden aber unter ihren „Fehlstellen“: Problematische Dinge zu erzählen ist im Regelfalle einfacher, als sie aufzuschreiben. Daher fehlen in Biografien häufig die verletzlich machenden Gefühle sowie das, was möglicherweise mit eigener Schuld oder Gewalt zu tun hat. Mündliche Erzählungen dagegen verändern sich einerseits im Laufe der Jahrzehnte und andererseits in der sekundären Wiedergabe durch Partner oder Kinder. Daher sind die wiederholt von Kriegsteilnehmen geschilderte Darstellungen meist ungeeignet für das Erkennen einer geschichtlichen Wahrheit. Die Zeit und bewusstes oder unbewusstes Vergessen oder Verdrängen verwischen natürlicherweise schmerzliche Erinnerungen, entfernen Leiden oder begangene Gewalttaten von der tatsächlich erlebten Realität (BARTOV 1999: 273f), erst recht nach langjähriger Wiedererzählung im Familienrahmen. Dies wissend, muss der Nachgeborene sich entscheiden, wie er diese „subjektiven“ oder „bemüht-objektiven“ Bilder einordnet, akzeptiert, übernimmt oder verinnerlicht. Allgemein lassen die „Loyalitätsbindungen“ einer Familie nicht zu, dass bzgl. Schrecken oder Gräuel intensiv nachgefragt oder der Betroffene verurteilt wird. Im Regelfalle schweigt die Familie dazu und blendet in der Tradierung der Familienerlebnisse mögliche Verbrechen aus. Vielfach ist darüberhinausgehend ein „Deutungswandel“ in der Familiensicht auf den damals Handelnden festzustellen: Im Laufe von Jahrzehnten werden Täter in der Familiendarstellung zu Mitläufern, aus Mitläufern werden Oppositionelle. Der eigene Vater oder Großvater kann kein „schlechter Mensch“ gewesen sein. Hilfreich bei diesem familiären „Reinigungsprozess“ sind die unmittelbar nach dem Zusammenbruch erstellten bzw. konstruierten Erzählungen aus der Entnazifizierung und die Aufrechnungen des eigenen erlittenen Leids (ROSENTHAL 1990: 9ff, WELZER/MOLLER/TSCHUGGNALL 2002: 20ff).
Eine Entwertung der eigenen Vergangenheit wird damit verhindert, eine Rechtfertigung, ein mögliches Eingeständnis von Schuld, die eigene spätere Beurteilung und verschiedene Formen der Verdrängung vermischen sich hier in Umschreibungen, Verschweigen, Ungenauigkeiten, Euphemismen, Darlegung anderer Ereignisse, Überspringen von Zeitabschnitten, Betonung von gesellschaftlich Erzählbarerem. Dieses – auch den Kriegseinsatz von der Gesinnung des Nationalsozialismus trennend – vollzieht sich in den meisten Fällen nicht aktiv rational willentlich, sondern reflexartig automatisiert, „billigend in Kauf nehmend“, selbstschützend, unterschwellig (siehe ROSENTHAL 1990: 218ff, 223ff, BARTOV 1999: 274ff).
WELZER/MOLLER/TSCHUGGNALL (2002: 8ff) führen die Zwiespältigkeit der gesellschaftlichen Erinnerung an die Vergangenheit aus, die einerseits aus Dokumenten, wissenschaftlichen Erkenntnissen, öffentlichen Ausstellungen, Fernsehdokumentationen usw. inkl. Spielfilmen besteht und durch die Jahrzehnte meinungsbildend wirkt (kulturelles Gedächtnis). Dagegen steht das „kommunikative Gedächtnis“ derjenigen, die dabei gewesen waren und durch Erzählungen in Familie und Freundeskreis – mit Laufe von Jahrzehnten selbst dem Zeitgeist unterworfen und daher in Tenor und Fokus sich verändernd – das Geschichtsbild der Nachgeborenen prägen, die diese persönliche Sichtweise hören und ebenfalls weitergeben. Dabei kommt es immer auch zum „inhaltlichen Ergänzen“ der Bilder um mutmaßlich offensichtliche Tatsachen (z. B. „Deserteure wurden mit dem Tod bestraft“, „in Russland war immer Frost“, „die Kriegsgefangenen waren alle in Sibirien“), die jedoch nicht tatsächlich im Original erzählt waren und ggf. situationsverändernd sind. Diese Anteile nähren sich weitgehend aus Geschichtsbildern anderen Quellen und plausibilisieren das Geschichtsbild der Nachgeborenen.
Die Autoren sprechen hier von einem öffentlichen „Lexikon“, einem innerfamiliären „Album“ und von „fragmentarischen Versatzstücken“, die individuell zu einem teilweise unrichtigen, aber „plausiblen und sinnvollen Bild der Vergangenheit gemacht“ werden (WELZER/ MOLLER/TSCHUGGNALL 2002: 9, 34f, 138f). Belastendes ausblendend, werden also in Familienerzählungen üblicherweise eher humorige und positive Dinge erzählt, Leid und Grauen und die dazugehörenden Gefühle ggf. auch völlig weggelassen. Das gilt auch für bekannte Persönlichkeiten: Mit Blick auf die Vergangenheit Richard von Weizsäckers als Wehrmachtsoffizier sagte dessen Sohn Fritz 2010 im Interview, er sei fest davon überzeugt, dass sein Vater sich an das erinnere, an das er sich erinnern wolle, und an das andere nicht. Verdrängung und Blockieren sei ein ganz gesunder Mechanismus. Ernst Kindhauser stellte 1997 in einer Rezension zu Richard von Weizsäckers Erinnerungen für die Züricher Weltwoche fest: „Der bisweilen sehr farbig erzählende Weizsäcker verfällt bei den Schilderungen aus der Kriegszeit in eigentümliche Wortkargheit.“
(https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_von_Weizs%C3%A4cker, Zugriff 28.11.2023)
Für den interessierten Nachgeborenen war es also die klassische Lösung, im Gespräch mit emotionalisierten Familienangehörigen das eine oder andere ausweichend offen zu lassen oder als nachträglich nicht aufklärbar stehen zu lassen, um Streit und dem möglichen Bruch mit der Gegenwartsfamilie auszuweichen. Beim Schreiben dieses Buches habe ich bei vielen Gelegenheiten bei Freunden gefragt, ob in deren Familien die nationalsozialistische Vergangenheit kontrovers oder emotional diskutiert wurde. Und ich musste feststellen, dass dies ebenso wie in meiner Familie fast überall nur geringfügig oder gar nicht stattfand, weil man den Konflikt scheute oder desinteressiert war:
Man akzeptierte die Rechtfertigung, nach der man damals unter Zwang mitmachen musste, andernfalls wäre man selbst zu Schaden gekommen.
Betroffenen und potenziell Schuldigen stellte man keine bohrenden Fragen, man ging dem Thema, wissend um möglicherweise ausbrechenden Streit, aus dem Wege.
Man wollte keine Wunden aufreißen.
Man kannte ja die politische Meinung des anderen.
Stets gab es Wichtigeres, man hatte keine Zeit.
Man war an dem Thema nicht interessiert, die Zeit war ja vorbei.
NEITZEL (2021: 256) dagegen unterstellt eine deutlich aktivere Rolle beim Verdrängen der Ereignisse im Dritten Reich: Die Betroffenen hätten für sich oder mit ihresgleichen durchaus Erkenntnis und individuelles Eingeständnis gezeigt. Dann aber folgte Pragmatismus als Schlüsselmotiv für Verdrängung: Die Frage nach Gräueltaten und der persönlichen Schuld hätten nach Kriegsende sicherlich viele gestellt, diese Hinterfragung wurde jedoch eingestellt, weil sie spätestens mit dem Beginn eines neuen Lebensabschnitts in der Bundesrepublik in den Aufbaujahren nur störte: Die Menschen und ihr Fachwissen wurden gebraucht, die Menschen sollten funktionieren und sich nicht in Seelenqualen verstricken, psychologische Hilfe war sowieso nicht verfügbar. Eine tiefere Beschäftigung mit der Vergangenheit war also in keiner Weise zielführend und die „Unbeteiligten“ wollten es weder hören noch glauben. So zeigten auch die Organe der Bundesrepublik kein Interesse an Aufklärung. Wie in vielen anderen Ländern auch hatte man sich die Vergangenheit so zurechtgebogen, dass das Erlebte mit den Gegebenheiten des Kalten Krieges in Einklang gebracht wurde und dass tief erschütterte Gesellschaften eine neue, zukunftsgewandte Identität annehmen konnten.
Die Geschichtsbilder des öffentlich-kulturellen und des familiär-kommunikativen Gedächtnisses fallen also auseinander, weil die Weitergabe persönlichen Erlebens von persönlichen Verarbeitungsmechanismen und „Gruppenloyalität“ geprägt ist und auch die wissenschaftliche Forschung dem Zeitgeist unterliegt. Und so streben diese Bilder so weit auseinander, dass Schönfärberei, Ablehnung und Leugnung von Teilen der wissenschaftlich fundierten Bilder insbesondere im familiär-kommunikativen Gedächtnis fast zwangsläufige Folge sind. Zur Bildung von Verschwörungstheorien bei Holocaustleugnern und Neonazis ist es dann nur ein kleiner Schritt.
(Siehe weiterführend „Bonus-Material“ ganz am Ende in diesem Buch.)
2. Biografien und Kommunikation in der Familie Trenckmann
Von Johannes Trenckmann sind Retrospektiven zu Denken, Fühlen und Erlebnissen im Ersten WK und zum NS im Familienkreis nicht nur nicht bekannt, sondern diese Themen wurden aktiv in den 50er und 60er Jahren ausgespart. An aktuellen politischen Meinungsäußerungen und am Verhalten war die konservative Grundeinstellung ständig erkennbar, eine nachträgliche Beurteilung wurde vermieden. Das Verhalten war also typisch für die Familien der Generation der „monarchisch Enttäuschten“ und „durch Weimarer Republik und Drittes Reich Belasteten“. Indem er keine Biografie mit seinen Gedanken zum Weltenlauf hinterlassen hat, hat er sich der Möglichkeit beraubt, den Nachgeborenen sein Handeln und Denken verständlich zu machen.
Heinz Trenckmann schrieb seine Lebenserinnerungen drei Jahre vor seinem Tod auf, in den Jahren 2003/2004 im Alter von 81. Zuerst legte er handschriftliche Aufzeichnungen an: für die Zeit als Jugendlicher auf dem elterlichen Hof, für seine Zeit als Soldat und Kriegsgefangener sowie für die spätere Jahre im Beruf. Er verarbeitet seine Feldpostbriefe nicht, die zwar vollständig erhalten sind, wovon er vermutlich aber keine Kenntnis hatte. Er bezog niemanden ein und wollte das allein machen, die Aufzeichnungen bekam niemand zu sehen außer seiner Ehefrau, die nur etwas Rechtschreibung korrigierte. Inhaltlich unverändert wurden die Aufzeichnungen abgetippt, dann kopiert und mit Ergänzungen versehen (Fotokopien von Briefen und Urkunden). Davon wurden drei Exemplare gebunden, handschriftlich nachergänzt und dann den beiden Söhnen je ein Exemplar als „Zeitdokument“ gegeben. Seelenqualen oder sonstige Auffälligkeiten konnten während des Schreibens nicht beobachtet werden, eher Freude über die geleistete Arbeit. Sachliche Erlebnisse und heitere Ereignisse bilden den Schwerpunkt, sein Gefühlsleben bleibt bei den Kriegserlebnissen weitgehend außen vor, in den anderen Teilen seiner Berichte sind sie durchaus vorhanden. Die späte Autobiografie Heinz Trenckmanns entspricht damit vollkommen der in ROSENTHAL (1990: 9f) als typisch wiedergegebenen Darstellung. Gleichwohl erklärt die Gesamtschau der Schriftstücke (Briefe, Biografie, Aufschreibungen anderer, Sekundärliteratur) mit versteckten Ansichten, unbeabsichtigten Offenbarungen und interpretierbaren Hintergründen vielfach Fühlen, Denken, Gesinnung und Verhalten. Leider konnte ich für dieses Buch nur einen Teil der Feldpostbriefe auswerten.