Geheimnisse der Vernehmungskunst - Josef Wilfling - E-Book

Geheimnisse der Vernehmungskunst E-Book

Josef Wilfling

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Beschreibung

Sein ganzes Wissen als Verhörspezialist ist in dieses Handbuch eingeflossen: Josef Wilfling, legendärer Ermittler und langjähriger Leiter der Münchner Mordkommission, hat es in der Ausbildung von Polizeibeamten eingesetzt. Psychologisch fundiert und juristisch versiert führt er in die Geheimnisse der Vernehmungskunst ein, das Herzstück der polizeilichen Ermittlungsarbeit. Welche Vernehmungstechniken gibt es? Woran erkennt man, ob das Gegenüber lügt oder die Wahrheit sagt? Und wie überzeugt man Tatverdächtige davon, dass sie besser kooperieren? Das Verblüffende daran: Vieles lässt sich in unserem Alltag anwenden, sei es bei Verhandlungen oder um dem Wahrheitsgehalt einer Darstellung auf den Grund zu gehen. Ein einzigartiges Dokument, ein Blick hinter die Kulissen der Polizeiarbeit, wie er spannender nicht sein könnte.

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Seitenzahl: 378

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Deutschlands bekanntester Ermittler offenbart seine Taktik

Sein ganzes Wissen als Verhörspezialist ist in dieses Handbuch eingeflossen: Josef Wilfling, legendärer Ermittler und langjähriger Leiter der Münchner Mordkommission, hat es in der Ausbildung von Polizeibeamten eingesetzt. Psychologisch fundiert und juristisch versiert führt er Schritt für Schritt in die Geheimnisse der Vernehmungskunst ein – das Herzstück der polizeilichen Ermittlungsarbeit.

Das Verblüffende daran: Vieles lässt sich in unserem Alltag anwenden, sei es bei Verhandlungen oder um dem Wahrheitsgehalt einer Darstellung auf den Grund zu gehen. Ein einzigartiges Dokument, ein Blick hinter die Kulissen der Polizeiarbeit, wie er spannender nicht sein könnte.

JOSEF WILFLING

Geheimnisse derVernehmungskunst

Die Strategien deslegendären Mordermittlers

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Anmerkung: Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird im vorliegenden Handbuch die gewohnte männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Dies soll im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen sein und bedeutet keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts.
Copyright © 2019 by Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenRedaktion: Johann LankesUmschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,unter Verwendung eines Fotos von Frank BauerSatz: Schaber Datentechnik, Austria
ISBN: 978-3-641-22268-0V002
www.heyne.de

Inhalt

Vorwort

1 Die Vernehmung

1.1 Das Wichtigste zuerst – die Vernehmer

1.2 Vernehmungsbegriff

1.3 Personenkreis

1.4 Ermittlungen und Beweismittel

1.5 Defizite des Personenbeweises

1.6 Vorbereitung auf Vernehmungen

1.7 Vorladung zur polizeilichen Vernehmung

1.8 Vernehmungsorte

1.9 Vernehmungsraum

1.10 Vernehmungszeit

1.11 Verhaltensgrundsätze der Vernehmer

2 Mündliche Aussagen und Vernehmungen

2.1 Informatorische Befragung

2.2 Spontanäußerung

2.3 Kontaktgespräche

2.4 Vorgespräche

2.5 Vernehmungsgespräche mit Beschuldigten

3 Protokollierungen von Aussagen

3.1 Protokollierungen mündlicher Aussagen

3.2 Protokollierungen formeller Aussagen

3.3 Protokollierungsfehler

4 Vernehmungsmethoden

4.1 Das kognitive Interview

4.2 Die Festlegevernehmung

4.3 Intuition als Wegweiser?

4.4 Fragetechniken

4.5 Verbotene Vernehmungsmethoden

4.6 Erarbeitung des subjektiven Tatbestandes

5 Zeugenvernehmungen

5.1 Zeugenbegriff und Zeugenbelehrung

5.2 Spezifische Zeugenbelehrungen

5.3 Richterliche Vernehmungen

6 Beschuldigtenvernehmungen

6.1 Beschuldigteneigenschaften

6.2 Verdachtsstufen

6.3 Umschalten zur Beschuldigtenvernehmung

6.4 Beschuldigtenbelehrungen

6.5 Vernehmung ohne Verteidiger

6.6 Gliederung von Beschuldigtenvernehmungen

6.7 Absicherung gegen Widerruf (Checkliste)

7 Wege zum Geständnis

7.1 Begriff

7.2 Grundregeln

7.3 Grenzen der Wahrheitsfindung

7.4 Die goldene Brücke

7.5 Subjektive Wahrheit

7.6 Vernehmungsstrategien

8 Polizeibeamte vor Gericht

8.1 Die Hauptverhandlung

8.2 Verteidiger

8.3 Befragungstaktiken von Verteidigern

8.4 Schlussbemerkung

Anhang

Anlage 1: Festlegevernehmung von Zeugen mit Opferbezug

Anlage 2: Festlegevernehmung von Zeugen ohne Opferbezug

Anlage 3: Konzept Beschuldigtenvernehmung

Anlage 4: Beschuldigtenvernehmung zur Person

Register

Vorwort

»Es gibt nichts zu verbergen, aber viel zu erklären.«

Ich habe lange überlegt, ob es sinnvoll ist, diese Ausarbeitung, die mir bei meiner langjährigen Tätigkeit als Gastreferent an den Beamtenfachhochschulen der bayerischen Polizei als Grundlage diente, auch für die Öffentlichkeit freizugeben. Schließlich will ich Rechtsbrechern kein »Aha-Erlebnis« verschaffen, so nach dem Motto: »Jetzt weiß ich endlich, worauf ich im Fall der Fälle achten muss.« Kritiker werden eventuell argumentieren, Ermittler sollten keinerlei Einblicke in ihre Arbeit geben, damit sich Rechtsbrecher nicht darauf einstellen können. Aber worauf sollen sie sich nicht einstellen können? Auf die noch immer gängigen Klischees und Unterstellungen, wie sie mich während meiner 42-jährigen Dienstzeit bei der Polizei und insbesondere meiner Tätigkeit in der Mordkommission permanent begleitet haben und wie sie immer noch grassieren? Beispielsweise die Behauptung, wir würden immer dann Unschuldige zu Tätern stempeln, wenn wir unter Druck stünden und der Öffentlichkeit einen schnellen Erfolg präsentieren müssten. Jeder sachlich denkende Mensch weiß, dass derartige Willkürakte allein aufgrund der verschiedenen, voneinander unabhängigen Entscheidungsebenen gar nicht möglich wären, dennoch handelt es sich hier um eine der häufigsten Verschwörungstheorien, wenn es darum geht, Ermittlungsergebnisse infrage zu stellen. Oft werden auch psychischer Druck oder andere verbotene Vernehmungsmethoden als Grund dafür genannt, warum Geständnisse, die »nur« vor der Polizei abgelegt wurden, widerrufen werden. Selbst die berühmte Lampe, mit der Tatverdächtige angeblich stundenlang angestrahlt werden, geistert noch immer in vielen Köpfen herum, angeregt durch realitätsferne Kriminalfilme und -romane.

Nein, hier geht es neben Aus- und Fortbildung um einen offenen Einblick in unsere Arbeit, wobei natürlich nicht verschwiegen werden soll, dass auch schon Grenzen überschritten wurden und Rechtsverletzungen vorkamen. Aber das sind Einzelfälle, die man zwar ansprechen und aufklären muss, die man aber nicht verallgemeinern darf. Weil nämlich dadurch die gute Arbeit aller anderen Ermittler in ein dauerhaft schlechtes Licht gerückt wird. Deshalb ist es vernünftig, einen Blick hinter die Kulissen zu gewähren, um zu zeigen, dass bei uns rechtskonform ausgebildet und gearbeitet wird.

An dieser Stelle eine Zwischenbemerkung für jene Leser, die nicht dem professionellen Bereich angehören: Ihnen sei gesagt, dass die Erfahrungswerte, die wir Ermittler vorwiegend vor dem Hintergrund von Straftaten gewonnen haben, selbstverständlich auch »alltagstauglich« sind. Damit meine ich, dass auch Laien etwas dazulernen können, denn die Grundmuster, die im Zusammenhang mit polizeilichen Vernehmungen gelten, sowie die daraus abgeleiteten Taktiken und Techniken sind auch in vielen anderen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens anwendbar. Angefangen bei kontroversen Meinungen und Streitigkeiten im engsten Familienkreis oder konfliktträchtigen Problemen im privaten Umfeld, bis hin zu schwierigen Verhandlungen im beruflichen Bereich. Auch hier geht es oft um Schadensverursachung, um Vorteilssuche, Egoismus, Betrug, Vorurteile, Lügen oder sonstiges Fehlverhalten. Auch hier kommt es zu kontroversen Diskussionen oder verbalen Auseinandersetzungen, zum Beispiel mit Ehepartnern, Kindern, Freunden, Nachbarn oder Kollegen. Auch hier gelten deshalb die gleichen Regeln wie im professionellen Bereich. Der Unterschied besteht nur darin, dass niemand neutral bleibt, der persönlich betroffen oder beteiligt ist. Hier mischt nämlich jener »Sachlichkeitskiller« mit, den man unbedingt ausschalten bzw. beherrschen sollte, und der nennt sich »Emotionen«. Denn wenn man emotional beteiligt ist, verlieren sogar solche Leute leicht die Beherrschung, die sich vorgenommen haben, sachlich und objektiv zu bleiben. Nicht umsonst werden bei schwierigen Verhandlungen im geschäftlichen oder politischen Bereich neutrale Moderatoren bzw. Vermittler eingesetzt. Weil sie nicht persönlich involviert sind. Diese Erfahrung habe ich übrigens selbst oft genug gemacht, wenn ich im Familienkreis kontroverse Diskussionen führte. Meine berufliche Professionalität war dann wie weggeblasen, und ich machte jene Fehler, die mir im Dienst nie untergekommen wären. Die wichtigsten seien hier kurz aufgezählt:

• Negatives vorzuhalten, statt Positives hervorzuheben

• Aggressiv zu sein, statt Gelassenheit zu zeigen

• Laut statt leise zu sprechen

• Reden statt Zuhören

• Vorwürfe statt Verständnis

• Selbstherrlichkeit statt Bescheidenheit und Einsicht

• Tadel statt Lob

• Bestreiten statt Eingeständnis von Fehlern

• Drohung statt Beruhigung

Es gibt viele Fachbücher zu diesem Thema, sodass hier eigentlich keine Geheimnisse verraten werden. Allerdings orientiert sich dieses besonders eng an der polizeilichen Praxis, in der nämlich umgesetzt wird, was später vor Gericht zu Buche schlägt. Sicherlich wird es gerade deshalb auch Leser geben, die an der ein oder anderen Stelle unterschiedlicher Meinung sind, aber das akzeptiere ich ausdrücklich. Schließlich handelt es sich nicht um eine Vernehmungsbibel, sondern um eine Vernehmungsfibel, aufgebaut auf persönlichen Erfahrungswerten. Deshalb ist es auch kein Lehrbuch im klassischen Sinne. Ein solches, welches in der Praxis auch Punkt für Punkt umsetzbar wäre, kann es m. E. auch gar nicht geben, zu unterschiedlich und facettenreich sind die Inhalte der vielen Vernehmungslehren. Die Frage ist nämlich, ob die in Lehrbüchern niedergelegten, differenzierten Vorgaben in der Praxis überhaupt umsetzbar sind. Damit soll nicht die Richtigkeit der einzelnen Inhalte infrage gestellt werden, entscheidend ist deren praxisnahe Anwendbarkeit. Als Beispiel sei hier auf die viel gerühmte Körpersprache hingewiesen, die anhand sogenannter nonverbaler Signale erkennen hilft, ob jemand lügt oder die Wahrheit spricht. Wollten aber Ermittler dieses Wissensgebiet mit seinen unendlich vielen Facetten beherrschen, müssten sie ein langjähriges Zusatzstudium durchlaufen. Nützen würde es aber trotzdem nicht viel. Weil nämlich nonverbale Signale allenfalls ein Hinweis auf die Lüge sein können, es sind aber keine zweifelsfreien Beweise. Jedenfalls wird wohl kein Gericht in unserem Lande jemanden verurteilen, nur weil er auf eine bestimmte Frage nervös mit dem rechten Auge nach oben geschaut und gleichzeitig mit dem linken Knie gewackelt hat, oder so ähnlich. Außerdem besteht in der Praxis das Hauptproblem nicht darin, die Lüge zu erkennen (das ist in den meisten Fällen eher leicht), sondern darin, den Lügner zum Lichte der Wahrheit zu führen. Den meisten Lügnern sehen erfahrene Ermittler nämlich schon nach fünf Minuten an der Nasenspitze an, dass sie nicht die Wahrheit sagen. Die Kunst besteht vielmehr darin, die zu vernehmende Person zu überzeugen, dass wahrheitsgemäße Angaben für sie von Vorteil sind.

Übrigens: Ein Mensch, der Böses im Schilde führt, studiert nicht erst ein Fachbuch, um sich auf die Taktik polizeilicher Ermittler einstellen zu können. Zumal es sich gerade bei Gewaltdelikten in der Mehrheit um sogenannte Spontan- bzw. Affekttaten handelt, die also weder einstudiert noch vorbereitet sind. Und jene, die ihre Taten akribisch planen und dabei die angeblichen Methoden der Polizei mit einbeziehen, orientieren sich erfahrungsgemäß auch nur an Klischees und unterstellen der Polizei generell illegales, unseriöses Vorgehen. Es dominieren also auch hier Vorurteile. Das wiederum verhindert den Aufbau von Vertrauen und behindert ganz allgemein die Aussagebereitschaft von Tatverdächtigen und Beschuldigten. Aber selbst wenn sich der ein oder andere Straftäter am Inhalt dieses Handbuchs orientieren sollte, es würde ihm wenig nützen, weil nämlich das Wichtigste nicht kalkulierbar ist: die Individualität, Kreativität und Unberechenbarkeit der Ermittler selbst. Denn Geschriebenes dient zwar der Information, Anleitung und Orientierung, entscheidend sind aber Vernehmungsgeschick, Einfühlungsvermögen und Gespür derjenigen, die es in der Praxis umsetzen müssen. Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Ein BND-Agent, ein Vollprofi also, ermordete seine Ehefrau und täuschte einen Raubmord vor. Natürlich hatte er sich entsprechend seiner Kenntnisse gründlich vorbereitet und die Abläufe bis ins kleinste Detail geplant. Er wurde überführt, weil er sich in seiner Zeugenvernehmung in zahlreiche Widersprüche verwickelt hatte, in seiner Beschuldigtenvernehmung legte er dann ein Geständnis ab. Der Vorsitzende Richter sagte später in seiner Urteilsbegründung: »Sie sind bzw. waren zwar ein Profi und haben an alles gedacht. Aber dem Vernehmungsgeschick der Ermittler waren Sie nicht gewachsen.«

Genau aus diesem Grund ist dieses Fachbuch keine Betriebsanleitung für Verbrecher, sondern Ausbildungs- und Fortbildungshilfe für die einen sowie Aufklärungsschrift für die anderen. Und zwar darüber, warum die Dinge nicht so sind, wie viele noch immer glauben und einige glauben machen wollen.

1 Die Vernehmung

Vernehmungen sind neben Sachbeweisen die wichtigste Informationsquelle polizeilicher Ermittlungen. Angefangen bei leichten Verkehrsunfällen bis hin zu Tötungsdelikten. Denn ohne zielgerichtete Befragungen wären weder Ermittlungsverfahren noch Strafprozesse durchführbar. Obwohl nichts unsicherer ist als das »Beweismittel Mensch«. Denn Menschen haben Vorurteile, irren sich und lügen. Dennoch beruhen 95 Prozent aller Gerichtsurteile auf dem Personenbeweis, also den Aussagen von Zeugen, Sachverständigen und Beschuldigten bzw. Angeklagten. Und dies trotz revolutionärer Fortschritte in der Kriminaltechnik und forensischen Medizin. Man denke nur an AFIS (Automatisches Fingerabdruck-Identifizierungs-System) oder DNA (Deoxyribonucleic Acid). Trotzdem bleibt der Personenbeweis dominierend. Wie auch sonst sollte man zum Beispiel Motivlagen, Alibis oder Täterprofile erarbeiten? Selbst klare Sachbeweise erlangen ihre Beweiskraft erst, wenn sie vor Gericht hinsichtlich ihrer Tatrelevanz von Gutachtern, Sachverständigen oder Ermittlern entsprechend interpretiert wurden.

Um den Personenbeweis möglichst effektiv ausschöpfen zu können, muss man die Gefühle, Gedanken und Reaktionen von Menschen, die in eine Straftat verwickelt wurden, richtig einordnen können. Das funktioniert nur, wenn man gelernt hat, eigene Emotionen zu beherrschen – selbst den widerwärtigsten Rechtsbrechern gegenüber. Menschen, die zur Vernehmung kommen oder vorgeführt werden, befinden sich häufig in hoch emotionaler Stimmungslage. Entweder weil sie zu Opfern wurden oder weil sie als Täter verhindern wollen, überführt zu werden. Bei der polizeilichen Vernehmung werden also schlimme Ereignisse in vielleicht traumatischer Weise noch einmal durchlebt, auf Täterseite erzeugt die Angst vor den Konsequenzen nicht selten ablehnendes oder sogar feindseliges Verhalten. Umso wichtiger ist es, dass Ermittler keinen Belastungseifer zeigen und als souverän, objektiv, vertrauenswürdig und kompetent wahrgenommen werden.

Bei Tätern setzen bereits zwischen dem Ereignis und der Vernehmung individuelle Bewältigungsstrategien ein, wie zum Beispiel Bestreiten jeglicher Schuld, hartnäckiges Schweigen oder der Versuch, den Verdacht in eine andere Richtung zu lenken. Oft kommt es auch zu Vertuschungshandlungen, der Beeinflussung von Zeugen oder sonstigen Manipulationen. Zeitnahe Vernehmungen sind daher besonders wichtig, denn je mehr Zeit zwischen Ereignis und erster Vernehmung verstreicht, desto mehr verfliegen die so wichtigen psychologischen Aspekte der Anfangsphase. Monate später vor Gericht besteht allenfalls noch eine formelle Druckkulisse, in welcher Emotionen weitgehend kanalisiert sind. Und weil die so entscheidenden Erstvernehmungen ausschließlich von Polizeibeamten geführt werden, müssen diese auch am ehesten wissen, wie man Opfern, Zeugen, Tatverdächtigen und Tätern emotional begegnet und wie man sie zugleich zielgerichtet vernimmt.

Vernehmer brauchen ein gutes Gespür für den richtigen Umgang sowohl mit schwierigen Zeugen als auch mit den verschiedenen Tätertypen, die ja bekanntlich völlig unterschiedlich »ticken«. Nur wenn man solche Unterschiede kennt, wird man die richtige Vernehmungstaktik (Vorbereitung, Planung) finden und die richtige Technik (Aufbau, Fragen, Protokollierung) anwenden. Dabei bedarf es neben guter Ausbildung vor allem praktischer Erfahrung. Denn je mehr Erfahrung man hat, desto leichter durchschaut man Manipulationen, täuschendes Verhalten oder Lügengebilde (s. Kapitel 1.5).

Ziel polizeilicher Ermittlungen ist die Wahrheitsfindung, aber nur im gesetzlich zulässigen Rahmen. Denn in einem Rechtsstaat gibt es keine Wahrheitsfindung um jeden Preis. Ermittler dürfen nur Maßnahmen treffen und Methoden anwenden, die der Gesetzgeber billigt. Das macht unsere Arbeit zwar schwieriger, aber auch anspruchsvoller. Einen Tatverdächtigen unter Druck zu setzen, bis er endlich sagt, was man hören will, ist nicht nur verboten, es ist auch wesentlich einfacher, als ihn zu einem Schuldeingeständnis unter Wahrung seines freien Willens zu bewegen.

Vernehmungen sind eine untrennbare Mischung aus Psychologie und Recht, wobei die Strafprozessordnung enge Grenzen setzt. Wichtig ist deshalb in erster Linie, die rechtlichen Vorschriften strikt einzuhalten. Andernfalls droht vor Gericht die Unverwertbarkeit des zuvor mühevoll Erarbeiteten. Am Ende zählt nämlich ausschließlich die formelle Wahrheit. Das bedeutet, dass auch wahrheitsgemäße Erkenntnisse oder Aussagen nicht verwertet werden dürfen, wenn sie außerhalb des gesetzlich zulässigen Rahmens erlangt wurden. Da genügt oft schon ein Formulierungsfehler bei der Belehrung oder der Verdacht, der freie Wille des Aussagenden könnte unzulässig beeinträchtigt worden sein.

Die Praxis beweist eindrucksvoll, dass die Qualität einer Vernehmung umso höher ist, je gründlicher sie vorbereitet wurde. Allerdings werden Polizeibeamte oft mit Ad-hoc-Situationen konfrontiert, auf die man sich nicht vorbereiten kann. Deshalb brauchen sie ein solides Vernehmungsgrundwissen, das sie in die Lage versetzt, auch ohne Nachfragen bei der Staatsanwaltschaft oder Nachschlagen in Gesetzesbüchern sofort die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Wann und wie muss ich belehren? Wann liegt eine Spontanäußerung vor, und wie weit gehen informatorische Befragungen? Wann muss ich spätestens von der Zeugen- zur Beschuldigtenvernehmung übergehen? Wann muss ich qualifizierend belehren? Was ist eine qualifizierte Belehrung überhaupt? Wie muss ich reagieren, wenn ein Anwalt einen tatverdächtigen Zeugen sprechen möchte? Gibt es tatverdächtige Zeugen, und wenn ja, was versteht man darunter? Wie arbeitet man Tatbestandsmerkmale und Schuldformen heraus? Wie protokolliert man richtig und sichert Aussagen gegen Widerruf ab? Was ist zu beachten, um nicht in den Bereich verbotener Vernehmungsmethoden zu geraten?

Um all diese komplexen Problembereiche richtig erfassen und einordnen zu können, muss man zunächst einmal die Zusammenhänge verstehen. Das ist viel wichtiger, als tiefgründige juristische Erörterungen durchzuführen. Deshalb müssen Ermittler in erster Linie verinnerlichen, welche rechtlichen Absichten hinter den zu beachtenden Gesetzen und Vorschriften stehen, wie man diese psychologisch am besten umsetzt und wie man dadurch der Wahrheitsfindung möglichst nahekommt. Und wenn man die Zusammenhänge und Hintergründe sowie die dahinterstehende Logik erst einmal begriffen hat, wird man im Einzelfall fast instinktiv wissen, was man tun muss, was man tun darf und was man unbedingt unterlassen sollte. Und genau das ist Sinn und Zweck dieses Handbuchs: »Aus der Praxis für die Praxis« lautet die Devise.

Gemäß unserem gesetzlichen Auftrag, Straftaten aufzuklären, wollen wir sowohl Zeugen als auch Beschuldigte zu wahrheitsgemäßen Angaben bewegen. Wissend, dass 50 Prozent aller Zeugenaussagen falsch oder mangelhaft sind, und hoffend, dass Beschuldigte wenigstens den objektiven Tatbestand, also die bloße Täterschaft, einräumen. Den subjektiven Tatbestand, das heißt die für die Bewertung der Tat so entscheidende Frage nach dem Warum bzw. den inneren Beweggründen, versucht man dann in der Regel im zweiten Anlauf zu erarbeiten.

Bleibt nur noch die Frage, wer wohl so dumm ist, ein Verbrechen zu gestehen und damit eine langjährige Freiheitsstrafe zu riskieren? 80 Prozent der Beschuldigten tun das! Die einen früher, die anderen später, und manche auch erst in letzter Minute vor Gericht. Warum das so ist und welche »Wege zum Geständnis« führen können, wird in Kapitel 7 dargelegt.

Ganz ohne Theorie geht es freilich nicht. Besonders nicht bei einem Thema, bei dem rechtliche Aspekte mit psychologischen Erfahrungswerten verwoben sind. Ein solides theoretisches Fundament hilft außerdem, die Gesamtzusammenhänge besser zu verstehen. Und genau darum geht es hier. Deshalb beginnen wir quasi bei null.

1.1 Das Wichtigste zuerst – die Vernehmer

Vom Geschick der Vernehmungsbeamten hängt letztendlich der jeweilige Erfolg einer Befragung ab. Dass die Beamten dabei auf solider und vor allem praxisnaher Ausbildung aufbauen, sollte selbstverständlich sein. Praxisnah heißt aber natürlich nicht, dass theoretische Kenntnisse unbedeutend oder unwichtig wären. Es ist wie in der Formel 1, wo auch immer wieder die Frage gestellt wird, wer einen höheren Anteil am Erfolg hat, das Auto oder der Fahrer. Ähnlich ist es bei Vernehmungen. Das psychologische Geschick des Vernehmers (= Fahrer) einerseits und die korrekte Anwendung und Ausschöpfung der rechtlichen Rahmenbedingungen (= Auto) andererseits führen zum Erfolg. Rechtliche Befugnisse einerseits und das Geschick des Vernehmers andererseits sind also untrennbar miteinander verbunden. Besonders zu beachten sind natürlich die rechtlichen Vorschriften, die jene Rahmenbedingungen aufzeigen, die man strikt einzuhalten hat. Aber auch auf dem Gebiet der Psychologie, wo es in erster Linie auf die Erfahrung und das Vernehmungsgeschick der einzelnen Beamten ankommt, können ein paar Hinweise und Anleitungen selbst »alten Hasen« nicht schaden.

Über Vernehmungstaktik und -technik gibt es bereits vielfältige Literatur, sowohl von reinen Theoretikern als auch von Praktikern. Aber wenn man solche Bücher liest, stellt man fest, dass sie zwar in vielen Punkten übereinstimmen, aber im Grunde genommen jeder Autor seinen eigenen Ansatz hat. Das hat damit zu tun, dass es keine wissenschaftlich-psychologisch festgelegten Grundsätze und Regeln dafür gibt, wie man mit Tätern, Opfern oder Zeugen umgehen sollte. Die kann es auch gar nicht geben, denn die jeweils richtige Taktik und Technik müssen Vernehmer in jedem Einzelfall selbst herausfinden, denn in diesem Bereich ist die Vielfalt riesig. Und genau das ist der springende Punkt. Denn nichts ist komplizierter und undurchschaubarer als die menschliche Psyche, als der Mensch mit seinen Emotionen und Gefühlen. Und gerade sie lassen Menschen völlig unberechenbar, irrational und undurchschaubar handeln, also wider jede Vernunft und Logik. Das sind dann die Fälle, bei denen man trotz fundierter Analyse nicht nachvollziehen kann, warum ein Täter so und nicht anders gehandelt hat bzw. was wohl in dessen Kopf vorgegangen sein muss. So gibt es gerade im Tötungsbereich immer wieder Fälle, bei denen selbst diejenigen ratlos sind, die sich ausschließlich an Fakten orientieren, beispielsweise die sogenannten Profiler.

Aufgrund der geschilderten Vielfalt menschlichen Verhaltens bleibt uns Ermittlern keine andere Wahl, als uns an unseren Erfahrungswerten zu orientieren, aus denen wir verschiedene Regeln ableiten können und die der Nährboden für die Entwicklung der so wichtigen Empathie sind. Letztere befähigt uns nämlich am ehesten, menschliches Handeln zu verstehen und sich sowohl in Opfer als auch in Täter hineinversetzen zu können. In jedem Fall ist es ein vorsichtiges Herantasten an das Gegenüber. Wie und wo ist dieser Mensch einzuordnen und wie schaffe ich es, einen Zugang zu ihm zu finden?

Beginnen wir mit einer Grundregel, die alle Ermittler verinnerlichen sollten: Das Vernehmungsklima wird immer von der befragten Person vorgegeben. So gibt es introvertierte Menschen, denen man jedes Wort aus der Nase ziehen muss, und es gibt solche, die wie ein Wasserfall reden. Es gibt die totalen Schweiger und es gibt solche, die uns Ermittlern nicht über den Weg trauen. Es gibt welche, die alle Polizisten hassen wie die Pest, und es gibt aggressive, gefährliche und misstrauische Menschen, denen man mit besonderer Vorsicht begegnen sollte. Es gibt besonders arrogante Intelligenztäter, die sich der »dummen Polizei« überlegen fühlen, und es gibt Menschen, die andere schützen wollen und die schuldhaftes Verhalten lieber auf sich nehmen, als nahestehende Personen zu verraten. Hinzu kommen noch die signifikant unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen und Verhaltensweisen der einzelnen gesellschaftlichen Personengruppierungen. So macht es einen gravierenden Unterschied, ob man zum Beispiel einen lebenserfahrenen älteren Menschen vor sich hat oder einen pubertierenden, aufmüpfigen Jugendlichen, einen ausländischen Mitbürger, der der deutschen Sprache nicht oder nicht ausreichend mächtig ist, oder einen gebildeten bzw. eingebildeten Besserwisser, eine biedere Hausfrau oder einen arroganten Berufskriminellen, der sich für unangreifbar hält. Sie alle denken und handeln unterschiedlich, und deshalb wird das jeweilige Vernehmungsklima auch unterschiedlich zu gestalten sein. Allerdings gibt es etwas, was sie alle verbindet: Sie sagen nur ganz selten die Wahrheit. Sie irren sich entweder, lassen sich von ihren Vorurteilen leiten, oder sie lügen hemmungslos. Und wenn sie mit Schuld konfrontiert werden, die sie auf sich geladen haben, versuchen sie mit allen Mitteln, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Was übrigens ihr gutes Recht ist. Dabei darf man täuschendes Verhalten nicht nur von Tatverdächtigen erwarten, sogar Opfer bzw. Zeugen zeigen es häufig. Und was die Lüge betrifft, so erweist sie sich entweder als plump und leicht durchschaubar oder als raffiniert und schwer zu entlarven. Aber egal auf welche dieser Optionen sie treffen, Ermittler müssen mit all diesen Facetten zurechtkommen und ihr Vorgehen entsprechend steuern. So kann es zum Beispiel sinnvoll sein, das Wort zu ergreifen und selbst ununterbrochen zu reden, es kann aber auch zielführender sein, sich einfach hinzusetzen und so lange zu schweigen, bis das Gegenüber nervös wird und anfängt zu reden. Es kann geboten sein, als Beichtvater zu agieren oder auch als knallharter Pragmatiker, der sagt, was Sache ist. Ein Patentrezept gibt es nicht, dazu sind Menschen und deren innere Befindlichkeiten zu speziell. Die eigentliche Herausforderung besteht somit darin, den richtigen Einstieg zu finden, verbunden mit dem Gespür dafür, wann man sich zurücknehmen, wann man verbal zulegen und wann man Druck aufbauen sollte. In erster Linie geht es aber darum, die zu vernehmende Person zum Reden zu motivieren. Denn wer nicht redet, kann auch nicht vernommen werden. Und mit uns Polizisten muss niemand reden, der das nicht will. Weder Opfer noch Zeugen, und schon gar nicht Beschuldigte. Deshalb steht über allem jene Kunst, die in einem zugegebenermaßen zynischen Zitat auf den Punkt gebracht wird: »Intelligente Menschen muss man überzeugen, dumme Menschen muss man überreden.« Aber Vorsicht: Es gibt Grenzen. Hartnäckiges, stundenlanges Insistieren (»Geben Sie endlich zu, dass Sie es waren …«) hat nichts mit Überzeugungsarbeit zu tun und ist verboten (vgl. Kapitel 7).

Nun gibt es Beamte mit hohem Einfühlungsvermögen und quasi angeborenem Vernehmungsgeschick, aber es gibt auch solche, denen der kontroverse Umgang mit Menschen, die in eine schwere Straftat verwickelt sind, nicht leichtfällt, egal ob als Opfer, Zeugen, Tatverdächtige oder Beschuldigte. Das bedeutet aber nicht, dass diese Beamten deswegen zur Erfolglosigkeit verdammt sind. Man kann nämlich vieles ausgleichen, wenn man sich Vorschläge und Erfahrungswerte aus der Praxis, wie sie hier vorgegeben sind, verinnerlicht und sukzessive umsetzt. Alles ist erlernbar. Im Laufe der Zeit verfügen sie dann über das, was gute Vernehmer ausmacht, nämlich Erfahrung. Durch Erfahrung wachsen Wissen und Können kontinuierlich an. Und das wiederum gleicht nicht nur den Mangel an Talent aus, es macht uns auch überlegen gegenüber unserer Klientel, mag sie auch noch so schlau, intellektuell überlegen oder raffiniert sein. Meistens haben nämlich erfahrene Ermittler schon einmal erlebt, was so manche Täter akribisch geplant haben oder für das perfekte Verbrechen halten. Alleine dazu könnte ich eine ganze Reihe von Beispielen aufzählen, was allerdings den Rahmen dieses Handbuchs sprengen würde. Berufserfahrung ist also unser wertvollstes Kapital. Sie gibt uns Sicherheit und Selbstvertrauen. Durch ihre Lebenserfahrung, Menschenkenntnis, Gelassenheit und Toleranz sowie Gesetzes- und Sachkenntnis haben auch weniger talentierte Vernehmer die Voraussetzungen, um erfolgreich ermitteln zu können. Ich vergleiche es gerne mit dem anspruchsvollen Beruf der Chirurgen. Diese sehr geschätzten, oft aber auch kritisierten Spezialisten haben zwar ein schwieriges Studium sowie eine lange Ausbildung zu absolvieren, entscheidend ist aber auch bei ihnen die Berufserfahrung. Niemand lässt sich gerne von einem Anfänger operieren, mag er ein auch noch so gutes Examen abgelegt haben. Dagegen vertraut man wohl eher einem Arzt, der schwere, komplizierte Operationen viele Tausend Male erfolgreich durchgeführt hat. Weil er über Routine und Sicherheit verfügt und weiß, was zu tun ist, wenn Komplikationen auftreten, die er wohl schon häufig gemeistert hat.

Nicht anders ist es bei Polizeibeamten und speziell bei solchen, die tagtäglich Vernehmungen insbesondere im Bereich der Schwerkriminalität durchführen. Sie müssen nicht nur über das für jeden Polizeibeamten erforderliche Grundwissen verfügen, sondern darüber hinaus auch spezielle Kenntnisse haben. Schließlich muss man einen Verkehrssünder oder Ladendieb nicht mit der gleichen Intensität stundenlang vernehmen, wie das bei Kapitalverbrechen unerlässlich ist. Eines aber steht fest: Jeder Polizeibeamte, egal wo und wie er eingesetzt ist, muss zumindest dieses Vernehmungsgrundwissen parat haben, es sei denn, er verrichtet seinen Dienst ausschließlich im administrativen Bereich, fern jeglicher echten Polizeiarbeit.

Von kriminalpolizeilichen Sachbearbeitern wird erwartet, dass sie entsprechend ihres Deliktsbereiches über spezifische Kenntnisse verfügen, die sie in den Vernehmungen auch umsetzen. Schließlich obliegt ihnen die Endsachbearbeitung. Die wichtigsten Kriterien von Vernehmungstechnik und -taktik muss deshalb jeder Kriminaler beherrschen. Denn ohne korrekte Vernehmungen gibt es keine Aufklärung.

Da ich meine Erfahrungen hauptsächlich (aber nicht ausschließlich) in der Bearbeitung von Tötungsdelikten gesammelt habe, orientiert sich dieses Handbuch mehr an diesem Deliktsbereich. Das heißt aber nicht, dass es deshalb für andere Beamte, egal ob bei der Schutz- oder Kriminalpolizei, nicht von Interesse ist. Die hier aufgeführten Anregungen sind selbstverständlich auch in allen anderen Bereichen des praktischen Polizeidienstes wichtig. Natürlich gibt es Massendelikte, bei denen man nicht so tief einsteigen kann und muss, wie das hier aufgezeigt ist, aber das so wichtige Grundwissen sollten alle Beamten haben. Bei mittlerer oder schwerer Kriminalität müssen Sachbearbeiter logischerweise intensiver nachbohren. Und zwar so lange, bis sie wissen, was da geschah. Ein Altmeister der Kriminalistik namens Groß hat schon vor Jahrzehnten in einer kriminalistischen Abhandlung zum Thema Vernehmung geschrieben, was heute noch Gültigkeit hat:

»Der Sachbearbeiter hat sich durch die Vernehmung so eingehend über den Hergang der Tat zu unterrichten, als habe er ihn mit eigenen Sinnen wahrgenommen. Er hat dafür zu sorgen, dass alles berührt und besprochen wird, was für den vorliegenden Fall von Wichtigkeit ist und dass nichts übersehen bleibt.«

Man kann es auch einfacher ausdrücken: »Sei einfach neugierig und hinterfrage so lange, bis du glaubst, alles zu wissen und verstanden zu haben.« So erkennt man Wissenslücken, die man noch zu füllen hat.

Noch etwas sollte man verinnerlichen: Polizeibeamte erarbeiten im Ermittlungsverfahren die Grundlage für staatsanwaltschaftliche Anklagen und Gerichtsprozesse, auch wenn die Staatsanwaltschaft »Herr des Verfahrens« ist. Herrin, so meine Meinung, ist die Polizei. Deshalb dürfen Polizeibeamte durchaus Selbstvertrauen haben und stolz auf gute Arbeit sein. Denn wenn das Fundament einer Anklage nicht stabil ist, wird sie in sich zusammenbrechen. In erster Linie sind es also wir Polizisten, die Fälle aufklären, und nicht die Juristen. Wir sind es, die im Ermittlungsverfahren nach Indizien und Beweisen suchen, die sich mit Opfern und Tätern auseinandersetzen und die das Puzzle zusammenfügen. In diesem Bewusstsein sollten Polizeibeamte auch als Zeuge vor Gericht auftreten. Wir müssen uns für korrekte Arbeit nicht entschuldigen und schon gar nicht schämen.

Ach ja: Es gibt natürlich auch Beamte, die der Meinung sind, jeglichen theoretischen Kram könne man sich sparen. So ganz stimmt das nicht. Man muss schon wissen, was man insbesondere im rechtlichen Bereich, der sich auch noch ständig ändert, darf oder nicht darf. Weil nämlich die ganze Arbeit umsonst war, wenn sie vor Gericht als nicht verwertbar eingestuft wird. Polizisten sind keine Juristen, aber sie müssen über jene Gesetzeskenntnisse verfügen, die sie für ihre Arbeit brauchen. Nicht mehr und nicht weniger. Und rechtliche Vorschriften sind im Gegensatz zu Talent und Begabung keinem in die Wiege gelegt.

1.2 Vernehmungsbegriff

Vernehmungen sind gezielte Befragungen von Zeugen und Beschuldigten, sofern sie die in der Strafprozessordnung vorgegebenen drei Voraussetzungen erfüllen:

• Voraussetzung 1: Ohne Straftat keine Vernehmung

Die Vernehmung muss zum Zwecke der Strafverfolgung erfolgen. Befragungen im Rahmen der Prävention bzw. von Maßnahmen nach den Polizeiaufgabengesetzen sind daher keine Vernehmungen.

• Voraussetzung 2: Nicht jeder darf vernehmen

Der Vernehmende muss einem Strafverfolgungsorgan angehören. Dies sind Polizeibeamte, Zollbeamte, Staatsanwälte und Richter. Rechtsanwälte gehören, obwohl sie Organe der Rechtspflege sind, nicht hierzu. Auch Aussagen gegenüber Sachverständigen (zum Beispiel Psychiatern) stellen keine Vernehmung dar, mag auch noch so intensiv nachgefragt worden sein. Das Beweismittel im Strafverfahren ist nicht das Gutachten als solches, sondern die mündliche Aussage des Gutachters (mündliche Hauptverhandlung).

• Voraussetzung 3: Vernehmungen nur mit offenem Visier

Vernehmer müssen in ihrer amtlichen Funktion erkennbar sein. Deshalb erfüllen V-Leute, verdeckte Ermittler oder Polizeibeamte in Zivil, die sich nicht zu erkennen geben, diese Voraussetzungen nicht (vgl. Kapitel 1.2). Sie sind jedoch Zeugen vom Hörensagen, deren Aussagen vor Gericht durchaus verwertbar sind.

Vernehmungen sind nicht einfach nur Befragungen, sondern haben einen hohen rechtlichen Stellenwert. Vernehmungsinhalte sind Beweismittel, und deshalb kann es strafbar sein, in Vernehmungen falsche Angaben zu machen (Strafvereitelung, falsche Verdächtigung, Meineid usw.).

Vernehmungen sind neben der Analytik sächlicher Spuren das Herzstück der Ermittlungen. Deshalb kommt der Polizei, die als erste Behörde mit der Aufklärung von Straftaten beginnt, eine herausragende Bedeutung zu. Vom persönlichen Geschick und den Rechtskenntnissen des Vernehmenden hängen die Güte der Vernehmung und ihre Verwertbarkeit ab. Alle Polizeibeamten, die mit Tätern, Opfern und Zeugen zu tun haben, sollten deshalb die rechtlichen Vorschriften kennen und zumindest die wichtigsten Grundzüge der Vernehmungstaktik (Vorbereitung, Vorgehen) und -technik (Fragetechnik, Inhalt) beherrschen. Weil es das wertvollste Instrumentarium bei der Aufklärung von Straftaten ist.

Grundregel

Grundsätzlich gilt: Es gibt keine Vernehmung ohne vorherige Belehrung. Wo also formelle Vernehmungen vorgeschrieben sind, müssen auch Belehrungen erfolgen. Insoweit besteht keine Möglichkeit, nach eigenem Ermessen zu entscheiden, wo und wann eine Vernehmung beginnt. Es nützt auch nichts, die Belehrung hinauszuschieben, um damit auch den Beginn der Vernehmung hinauszuzögern, um zum Beispiel das Ende einer informatorischen Befragung zu manipulieren. Unterlassene, fehlerhafte oder zu späte Belehrungen haben die Unverwertbarkeit der Vernehmung zur Folge.

Alles was außerhalb des offiziell gesetzlich vorgeschriebenen Vorganges »Vernehmung« entweder spontan, in Briefen oder Strafanzeigen von Zeugen oder Beschuldigten gegenüber Polizeibeamten geäußert wird, kann vor Gericht durch Vernehmung des Polizeibeamten in das Verfahren verwertbar eingebracht werden. Das Gleiche gilt für Sachverständige, V-Leute oder verdeckte Ermittler, die keine Befugnis zur Vernehmung im Sinne der Strafprozessordnung haben. Auch ihre Aussagen sind verwertbar. Daraus folgt der Grundsatz, dass dort, wo keine Vernehmung gemäß der Strafprozessordnung (StPO) erfolgt, auch nicht die Pflicht zur Belehrung und somit auch kein Beweisverwertungsverbot entsteht.

Vernehmungen sind in der Regel nach dem bewährten Frage-Antwort-Prinzip aufgebaut. Sie sollten möglichst planvoll nach juristischen, kriminaltaktischen und psychologischen Grundsätzen vorbereitet und durchgeführt werden. Einzelheiten hierzu werden in den folgenden Kapiteln erläutert.

Verantwortlich für eine Vernehmung zeichnet stets nur ein Beamter. Er hat die Vernehmung vor Gericht zu vertreten. Nimmt ein zweiter Beamter an einer Vernehmung teil, sind dessen Fragen eigens als solche kenntlich zu machen (zum Beispiel: »Frage Kriminalhauptkommissar Huber«).

Der für die Vernehmung verantwortliche Beamte unterzeichnet unter: »Aufgenommen: Name, Unterschrift«. Was den zweiten Beamten betrifft, so unterschreibt dieser unter: »Im Beisein: Name, Unterschrift«.

Beamte in Zivil – verdeckte Ermittler – V-Leute

Polizeibeamte in Zivil müssen sich, wollen sie eine Vernehmung führen, im Vorfeld zu erkennen geben. Tun sie das nicht, können ihnen gegenüber gemachte Angaben nicht als Vernehmung gewertet werden, allenfalls als Aussagen schlechthin, die der Beamte dann als Zeuge vom Hörensagen vortragen kann (s. Kapitel 2.2).

Verdeckte Ermittler und V-Leute sind aus polizeitaktischen Gründen in ihrer Funktion nicht erkennbar. Beide führen also, wenn sie jemand »ausspionieren«, keine Vernehmungen und müssen deshalb auch nicht belehren. Verdeckte Ermittler sind Polizeibeamte, die unter einer von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht genehmigten Legende ermitteln, während nach dem Verpflichtungsgesetz eingesetzten V-Männern die amtliche Funktion fehlt.

Angaben, die gegenüber einem verdeckten Ermittler gemacht werden, unterliegen auch dann keinem Beweisverwertungsverbot (§ 252 StPO), wenn sich der Informant später auf ein Zeugnisverweigerungsrecht beruft. Es gilt der Grundsatz: Wo keine Vernehmung, da keine Belehrungspflicht. Wo keine Belehrungspflicht, da kein Beweisverwertungsverbot. Verdeckte Ermittler treten dann als Zeugen vom Hörensagen auf.

Der BGH vertritt die Auffassung, dass das Gleiche auch für verpflichtete V-Leute gilt (BGHSt 40/211 ff.), während das BVerfG einen Verstoß gegen das Prinzip des fairen Verfahrens dann annimmt, wenn im Rahmen eines V-Mann-Einsatzes im Umkreis von Beschuldigten ein Zeugnisverweigerungsberechtigter zu Angaben veranlasst und dadurch zum verlängerten Arm des Ermittlungsbeamten wird. Aber das führt nicht automatisch zu einem Verwertungsverbot. Allerdings darf die V-Person nicht mit ermittlungstaktischen Fragen ausgestattet werden (BVerfGNStZ 2000/489 ff. mit kritischen Anmerkungen). Nur wenn diese Vorgaben strikt eingehalten werden, unterliegen die Angaben keinem generellen Verwertungsverbot.

Im Ermittlungsverfahren kann man nicht immer abschätzen, ob oder inwieweit die Erkenntnisse aus derartigen Einsätzen verwertbar sein werden, da es stets auf den Einzelfall ankommt und auch auf die Schwere des Deliktes. Insofern besteht hier ein besonders hohes Risiko der Unverwertbarkeit. Das sollte Ermittler aber nicht davon abhalten, dieses Risiko im Einzelfall auch einzugehen. So nach dem Motto: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Natürlich in Absprache mit der Staatsanwaltschaft (§ 110b StPO).

Wenn Beschuldigte bereits in einer offiziellen Vernehmung von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht haben – oder Angehörige vom Zeugnisverweigerungsrecht –, ist der Einsatz verdeckter Ermittler oder von V-Leuten mit dem Ziel, diese Personen auf diesem Wege zu »verräterischen Äußerungen« oder gar Geständnissen zu animieren, äußerst problematisch. Es ist nämlich nicht gestattet, ein Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht auf diese Weise zu umgehen. Allerdings kann die Preisgabe von Täterwissen, zum Beispiel dem Leichenfundort, zu neuen Ermittlungsansätzen führen. Insofern kann die Unverwertbarkeit zugunsten neuer Erkenntnisse durchaus einkalkuliert werden. Den Mut zum Risiko muss allerdings der Staatsanwalt aufbringen. Alleingänge von Ermittlern sind in solchen Fällen zwecklos.

Der Einsatz von V-Leuten bei Kapitaldelikten oder sonstigen schwer aufklärbaren Straftaten ist zwar grundsätzlich zulässig, allerdings nur in Absprache mit der Staatsanwaltschaft. Diese hat einen Vermerk zu fertigen, mit folgendem Inhalt:

• exakte Weisungen für die V-Person

• Zielrichtung und Grenzen des Einsatzes

• Hinweis, dass im Bedarfsfalle die V-Person als Zeuge vor Gericht auszusagen hat. Es empfiehlt sich, diesen Vermerk von der V-Person gegenzeichnen zu lassen.

Der Einsatz von V-Leuten oder verdeckten Ermittlern im Bereich der organisierten Kriminalität, insbesondere bei Drogendelikten, ist fast schon obligatorisch und mit »normaler Kriminalität« nicht zu vergleichen. Die Beamten der Drogenfahndung sind es gewohnt, damit umzugehen. Natürlich steht der Schutz ihrer Informanten im Vordergrund. Die Zusicherung der Vertraulichkeit und Geheimhaltung bezüglich deren Identität hat oberste Priorität.

Im Gegensatz zu früher, als die V-Mann-Führer anstelle ihrer V-Leute vor Gericht aussagten, müssen diese nach höchstrichterlicher Entscheidung nunmehr persönlich vor Gericht erscheinen, wobei aber Sichtschutz und Stimmenverfälschung möglich sind. Allerdings muss auch die V-Person die Auskunft vor Gericht auf solche Fragen verweigern, die einsatztaktische Details betreffen bzw. für die es keine Aussagegenehmigung durch das zuständige Polizeipräsidium gibt. Dazu wurden V-Leute in einer sogenannten Sperrerklärung verpflichtet.

Beispiel für den Einsatz von V-Leuten

Der Mord an Schauspieler Walter Sedlmayr im Jahre 1990 ist in Bezug auf den Einsatz von V-Leuten in die Rechtsgeschichte eingegangen. Der in Verdacht geratene Geschäftspartner Sedlmayrs und dessen Bruder verweigerten jeglichen Kontakt mit den Ermittlern. Daraufhin schleusten diese zwei V-Leute in das kriminelle Umfeld des Brüderpaares, mit ganz klaren Anweisungen und Vorgaben, die natürlich mit dem Staatsanwalt abgesprochen waren. Sie sollten quasi »unsere Ohren« sein und berichten, was dort in Bezug auf die Tat gesprochen und an Verdunkelungshandlungen unternommen wird. Tatsächlich gelang es den V-Leuten, das Vertrauen der Brüder zu gewinnen und wertvolle Informationen zu erlangen. Geführt wurden sie von einem Beamten der Sonderfahndung, und zwar sehr eng. Von Anfang an wussten sie, dass sie gegebenenfalls vor Gericht offen aussagen müssen. Das war schriftlich in einer Verpflichtungserklärung gemäß dem Verpflichtungsgesetz festgeschrieben. Nahezu täglich mussten sie den Sachbearbeitern, mit denen sie sich meist in einer konspirativen Wohnung trafen, Bericht erstatten, wobei über jeden einzelnen ein Vermerk gefertigt wurde. Auf diese Weise war der jeweilige Informationsstand chronologisch und unabänderlich festgeschrieben. Als gegen die beiden Brüder aufgrund von Sachbeweisen (Faserspuren) und dem Nachweis eines Tatmotives sowie anderer Indizien Haftbefehl erging, nahmen die Ermittler den einen Bruder (Geschäftspartner Sedlmayrs und Haupttäter) fest, den anderen Bruder, der für den Ersteren als Büttel und als der »Mann fürs Grobe« fungierte, ließen sie absichtlich fliehen. Allerdings war stets einer der V-Leute bei ihm. Tatsächlich floh der von uns als Mittäter eingeschätzte und wesentlich schwächere Teil des Duos in Begleitung des V-Mannes ins Ausland, wobei wir natürlich immer wussten, wo sie waren. Die Aktion war ein voller Erfolg, weil dieser Bruder nach seiner Festnahme ein Geständnis ablegte. Aber erst, als ihm die Vernehmer eröffneten, dass es sich bei seinem angeblich besten Freund, mit dem er auf der Flucht war und den er keinesfalls verraten wollte, um einen unserer V-Leute handelte. Vorher aber, unmittelbar nach Erlass des Haftbefehles, der natürlich in den Medien groß verkündet wurde, war die Verlobte des Geflohenen in Panik geraten und suchte Rat und Hilfe, ausgerechnet beim zweiten V-Mann. Die beiden trafen sich auf einem Parkplatz, die Verlobte begann sofort zu weinen und erzählte von sich aus voller Verzweiflung, dass es sich bei dem Tathammer, mit dem Sedlmayr erschlagen wurde und der in der Zeitung abgebildet war, um ihren Familienhammer handelte (Spontanäußerung). Der V-Mann hinterfragte jedoch nicht, da er selbst nicht glaubte, dass in der Zeitung der Originaltathammer abgebildet sei, und beruhigte die Frau. Die aber identifizierte den Hammer anhand individueller Merkmale, die auf dem Zeitungsfoto gar nicht zu sehen waren, zum Beispiel einem Aufkleber auf der Rückseite, den sie teilweise abgekratzt hatte, und entsprechenden Gebrauchsspuren, die tatsächlich zugeordnet werden konnten (Gesteinsspuren usw.). Damit stand fest, dass es sich um einen Hammer aus dem Besitz des geflohenen Bruders handelte, der übrigens den Spitznamen »Hammer-Manne« trug, weil er bekannt dafür war, Schlösser mit einem Hammerschlag knacken zu können. Die Verlobte wiederholte diese Aussage später sogar vor der Polizei und anschließend vor einer Ermittlungsrichterin. Allerdings hatte es diese unterlassen, einen Beschluss darüber zu fertigen, warum die Beschuldigten bzw. deren Anwälte von der richterlichen Vernehmung ausgeschlossen bzw. nicht verständigt worden waren. Wegen dieses Formfehlers war die richterliche Vernehmung nicht verwertbar, und damit blieben nur die Angaben, die die Dame gegenüber dem V-Mann gemacht hatte.

Als der V-Mann später vor Gericht das Treffen mit der Verlobten und ihren Äußerungen schilderte, beantragten die Verteidiger wie zu erwarten die Unverwertbarkeit, da die Zeugin als Verlobte ein Zeugnisverweigerungsrecht habe, und dieses sei durch den Einsatz eines V-Mannes von der Polizei unterlaufen worden. Deshalb sei alles, was die Zeugin gegenüber dem V-Mann geäußert hätte, unverwertbar.

Das Gericht und später auch der BGH entschieden anders: »Setzt die Polizei eine V-Person im Umfeld des Beschuldigten ein, so ist die Zeugenaussage der V-Person über Äußerungen von Angehörigen des Beschuldigten auch dann verwertbar, wenn diese in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht.«

1.3 Personenkreis

Die Strafprozessordnung beschränkt den Personenbeweis auf drei Gruppierungen:

• Zeugen, das heißt Personen, die Aussagen zu einem strafrechtlich relevanten Sachverhalt machen können, ohne selbst tatverdächtig zu sein, oder auch tatverdächtige Personen, solange der Tatverdacht nicht stark genug für einen Beschuldigtenstatus ist.

• Beschuldigte, das heißt Personen, bei denen nach einer Willensentscheidung des Strafverfolgungsorgans die naheliegende Möglichkeit der Täterschaft oder Teilnahme angenommen wird. Der Beschuldigte wird ab Erhebung der öffentlichen Klage als Angeschuldigter und ab Eröffnung des Hauptverfahrens als Angeklagter bezeichnet (§ 157 StPO). Aber Achtung: Unabhängig vom Tatverdacht wird als Beschuldigter immer auch die Person bezeichnet, gegen die Anzeige erstattet wurde.

• Sachverständige, das heißt Personen mit spezieller Sachkunde, die mit ihrem Fachwissen die Erforschung der Wahrheit unterstützen können (Psychiater, Schusswaffenexperten, Rechtsmediziner).

Die Polizei unterscheidet aus praktischen Erwägungen differenzierter, auch wenn dies gesetzlich nicht geregelt ist:

• Auskunftspersonen (informatorische Befragungen, Hausbefragungen)

• Zeugen (Anzeigeerstatter, Opfer, Angehörige, Unbeteiligte usw.)

• Kinder / Jugendliche (beachte PDV 382)

• Tatverdächtige (vager Anfangsverdacht, kein konkreter Tatverdacht)

• Beschuldigte (dringender Tatverdacht, gezielte Ermittlungen)

In der täglichen Arbeit müssen die Beamten die Aussagen nach ihrer Bedeutung und dem Wert für das Verfahren gewichten, um die Ermittlungen und das Vorgehen schnell und effizient zu machen und nicht an formellen Hürden Zeit zu verlieren. Es ist zum Beispiel nicht erforderlich und auch nicht immer sinnvoll, jeder »Auskunftsperson« gleich eröffnen zu müssen, welcher Sachverhalt zugrunde liegt. Auskünfte eines Schalterbeamten über bestimmte Zugverbindungen beispielsweise erfordern nicht gleich die Preisgabe des Ermittlungsgrundes. Personen, die erkennbar keinen Bezug zur jeweiligen Straftat haben und deshalb auch nicht als Zeugen vor Gericht in Betracht kommen, sind reine Auskunftspersonen (zum Beispiel Hausbewohner, die keinerlei Angaben machen können usw.).

Eines muss hierbei jedoch klar sein: Alle Aussagen, die für das Strafverfahren von Bedeutung sind, müssen spätestens zum Zeitpunkt der Abgabe der Akten an die Staatsanwaltschaft in Form ordnungsgemäßer, rechtlich korrekter Vernehmungen eingebracht sein, da die Strafprozessordnung keine Auskunftspersonen kennt, sondern ausschließlich Zeugen und Beschuldigte. Sollte sich also eine Auskunft im Nachhinein als tatbezogen und somit als relevant und wichtig erweisen, muss diese nachträglich zu Protokoll gebracht bzw. zu den Akten genommen werden, mit dem Hinweis (Aktenvermerk), dass die Person bereits einmal als »Auskunftsperson« befragt worden war.

Die Differenzierung zwischen sogenannten tatverdächtigen Zeugen und bereits Beschuldigten ist schwierig, aber äußerst wichtig. Der zu spät zuerkannte »Beschuldigtenstatus« kann nämlich zur Unverwertbarkeit einer Aussage führen (s. Kapitel 5).

1.4 Ermittlungen und Beweismittel

Die Strafprozessordnung kennt keine anderen Beweismittel als den Personen- und den Sachbeweis. Untersuchungen, Experimente und Versuche kriminaltechnischer Art fließen daher immer in die eine oder andere Beweisart ein, je nachdem, ob sie nur geschildert oder zur unmittelbaren Wahrnehmung vorgeführt werden. Beide Beweismittelarten können auch kombiniert werden (zum Beispiel Inaugenscheinnahme des Sachbeweises mit Bewertung durch Sachverständige [Personenbeweis] usw.). Die Beweismittel ergänzen sich somit gegenseitig. So wäre ein Geständnis unbrauchbar, wenn sachliche Beweismittel ihm widersprechen würden. Schließlich entsprechen selbst Geständnisse nicht immer der Wahrheit, sondern dienen auch dazu, von gravierenderen Tatumständen abzulenken (s. Kapitel 7.5). Es ist deshalb äußerste Vorsicht geboten, wenn sich Personenbeweise und Sachbeweise so eklatant widersprechen, dass entweder die entsprechende Aussage falsch sein muss (Irrtum, Befangenheit oder Lüge), oder aber die Interpretationen von Spuren wie zum Beispiel Fingerabdrücke oder DNA im Hinblick auf ihre Tatrelevanz. Dass solche Widersprüche zweifelsfrei geklärt werden müssen, bedarf keiner weiteren Begründung, sondern sollte als selbstverständlich betrachtet werden.

Unter Ermittlungen versteht man also die Gesamtheit polizeilicher Arbeit in der Strafverfolgung im Sinne eines Oberbegriffes. Sie sind das kriminalistisch, wissenschaftlich und juristisch verfügbare Instrumentarium, um Beweismittel zu erlangen und auszuwerten, und zwar ausschließlich nach den stringenten Regeln der Strafprozessordnung. Sie umschreiben das zielgerichtete, taktisch geschickte und rechtlich einwandfreie Spiel auf der Klaviatur der Wahrheitsfindung vor dem Hintergrund strafbarer Handlungen, deren Aufklärung neben der Prävention wichtigste Aufgabe der Polizei ist.

Von der Findigkeit, dem Geschick und dem Engagement des einzelnen Sachbearbeiters hängt es ab, wie er die Kette der Beweismittel schmiedet und vor allem, ob sie am Ende rissfest ist und ihre Feuertaufe in der gerichtlichen Verhandlung besteht. Gerade bei Kapitalverbrechen und trotz Teamarbeit ist es unerlässlich, dass einer den Überblick behält und die Dinge vorantreibt, und das ist der Sachbearbeiter. Er ist es auch, der für die Gesamtheit der Ermittlungen vor Gericht Rede und Antwort stehen muss, und er ist es, der einen ungeklärten Fall so lange behält, bis er entweder die Dienststelle wechselt, in den Ruhestand tritt oder die Ermittlungen aus welchen Gründen auch immer abgeben muss. Aber trotz der starken, verantwortungs- und druckvollen Rolle der jeweiligen Sachbearbeiter gilt gerade im Bereich von Kapitalverbrechen Folgendes:

• Niemand kann einen Mordfall im Alleingang bearbeiten, genauso wenig wie der beste Fußballspieler der Welt kein Spiel im Alleingang gewinnen kann. Aber wie beim Fußball gibt es eben auch hier »Spieler«, die den Unterschied ausmachen.

• In der Realität steht Teamarbeit im Vordergrund. Das bedeutet gegenseitige, loyale Unterstützung. Ermittler müssen hartnäckige Einzelkämpfer und gleichzeitig leidenschaftliche Teamplayer sein. Gerade an Letzterem mangelt es leider häufig, weil man sich natürlich lieber um die eigenen Fälle kümmert, als anderen zuzuarbeiten. So darf es aber nicht sein. Alle müssen an einem Strang ziehen, und das bedeutet, dass man in fremden Fällen genauso engagiert arbeiten muss wie bei den eigenen. Deshalb ist es wichtig, dass Kommissionsleiter bzw. Ermittlungsführer den Personaleinsatz kanalisieren. Dazu sind offene und ehrliche Besprechungen (sogenanntes Brainstorming) unabdingbar. Der Hauptsachbearbeiter muss dabei detailliert über allen Aktivitäten informiert werden. Er hält den roten Faden in Händen, und er ist es, der immer wieder nach (neuen) Ermittlungsansätzen suchen muss. »Was könnte man noch tun? Welche Möglichkeiten habe ich noch? Wen könnte man noch vernehmen, was könnte man noch ermitteln?« Mit anderen Worten: Ermittler müssen auch ein gehöriges Maß an Fantasie entwickeln und durchaus kreativ denken und handeln.

Beispiel: die NSU-Mordserie

Wie bekannt, gingen nicht nur Ermittler, sondern auch Politiker, Journalisten und vor allem türkische Mitbürger jahrelang davon aus, dass die Verbrechen vor dem Hintergrund organisierter Kriminalität zu sehen seien. Warum? Weil organisierte Kriminalität am naheliegendsten war und weil auch einzelne starke Indizien diese These stützten, während die Existenz einer rechtsradikalen Terrorzelle selbst vom Bundesamt für Verfassungsschutz für äußerst unwahrscheinlich gehalten wurde. Zumal es eine derartig gezielt und präzise vorgehende Terrorzelle in der rechtsradikalen Szene bislang nie gegeben hat. Nachweislich liefen bisherige rechtsextremistische Gewalttaten nach ganz anderen Mustern ab: Das Durch-die-Straßen-Jagen und Totschlagen von Menschen, laut und primitiv, und keinerlei Bemühungen, Spuren zu vermeiden oder die Täterschaft zu vertuschen, war allen Gewaltakten gemeinsam. Darüber hinaus wurde nur in einem einzigen Fall von 93 Tötungsdelikten, die seit 1990 von Rechtsradikalen in Deutschland begangen wurden, eine Schusswaffe verwendet. Dem gegenüber war das Vorgehen dieser Täter (konspirativ, heimtückisch, blitzschnell, fast lautlos mittels Schusswaffen mit Schalldämpfer) geradezu signifikant für den Bereich der organisierten Kriminalität, fast wie eine Visitenkarte.

An dieser Überzeugung änderte auch die neue Analyse eines Münchner Profilers namens Alexander Horn nichts, der im Jahre 2006 die These aufstellte, dass es sich bei den Tätern auch um Rechtsradikale handeln könnte. Kaum jemand glaubte ihm. Besonders auch diejenigen Politiker und Journalisten nicht, die sich im Nachhinein besonders über das Versagen der Behörden echauffierten. So wurde zum Beispiel in einem Artikel des renommierten Magazins »Der Spiegel«, der einige Wochen vor Aufdeckung der Mordserie im Jahre 2011 erschien, die These aufgestellt, hinter der Mordserie würde die sogenannte Wett-Mafia stecken. Mir ist in all den Jahren auch kein einziger Politiker, Journalist oder Opferanwalt bekannt geworden, der sich diesbezüglich einmal zu Wort gemeldet hätte mit dem Hinweis, es könnte auch Ausländerfeindlichkeit hinter dieser Verbrechensserie stecken. Warum eigentlich nicht?