Geliebte Freundin - Beatrice Herbold - E-Book

Geliebte Freundin E-Book

Beatrice Herbold

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Beschreibung

Saumagen war nicht sein Leibgericht, und das Bild des emotionslosen Machtmenschen ist nur eine Seite. Beides steht jedoch exemplarisch für so vieles, was über den sechsten deutschen Bundeskanzler in der Öffentlichkeit kursiert, gesagt und behauptet wird. Beatrice Herbold kennt einen anderen Helmut Kohl. Sie hat ihn geliebt und durfte erfahren, dass er so viel mehr war als der Kanzler der Einheit, der politische Fels in der Brandung, den alle in ihm gesehen haben. Beatrice Herbold schildert in Geliebte Freundin ihre außergewöhnliche Liebesbeziehung zu Bundeskanzler Helmut Kohl, den sie 1990 während eines Urlaubs in Bad Gastein kennenlernte. Sie war Kohls Jungbrunnen und seine Vertraute, bei der er sich anlehnen konnte – er, der mächtige Mann. Und er dankte es ihr auf seine Art, unterstützte sie bei ihrer Scheidung, ebnete ihr den beruflichen Weg und gab ihr lange das Gefühl, in seinem Leben einen festen Platz zu haben. Als die Macht Kohls bröckelte, zerfiel auch nach und nach ihre Liebe. Den Todesstoß versetzte ihr die Spendenaffäre, die aus dem mächtigen Mann einen müden Krieger machte, der sich mehr und mehr zurückzog. Beatrice Herbold blieb loyal an seiner Seite, war nach wie vor Vertraute und mischte sich zum ersten Mal in seine politischen Angelegenheiten ein. Vielleicht war es das, was ihn bewegte, den Kontakt irgendwann abzubrechen. Ihre Liebe zu diesem Mann blieb jedoch in ihrem Herzen, und wenn sie heute von ihm erzählt, dann auf eine sehr respektvolle Weise, so wie Menschen von einem verlorenen Freund erzählen.

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BEATRICE HERBOLDKATRIN SACHSE

GeliebteFreundin

Meine geheimen Jahre mit

Helmut Kohl

In Dankbarkeit für meine Freunde undmeine Co-Autorin Katrin Sachse

1. eBook-Ausgabe 2019© 2019 Europa Verlag GmbH & Co. KG,Berlin · München · Zürich · WienUmschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürichunter Verwendung eines Fotos von © privatRedaktion: Franz LeipoldSatz: Danai Afrati

Konvertierung: Bookwire

ePub-ISBN: 978-3-95890-289-3

Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

Alle Rechte vorbehalten.

www.europa-verlag.com

»Ich aber sage, das Schönste ist,was einer liebt.«

SapphoGriechische Dichterin (6. Jhd.v. Chr.)

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Rückt mal alles zusammen

Kapitel 2

Wie mich der Kanzler rettet

Kapitel 3

Der erste Kuss

Kapitel 4

Prominenter Besuch in meiner Agentur

Kapitel 5

Im Liebesglück

Kapitel 6

Bist du glücklich?

Kapitel 7

Was ist mit deiner Frau?

Kapitel 8

Warum kann der sich scheiden lassen?

Kapitel 9

Zwei Nackte im Kanzler-Pool!

Kapitel 10

Vertraust du mir nicht?

Kapitel 11

Ein Geständnis am Küchentisch

Kapitel 12

Was wird aus unserer Liebe?

Kapitel 13

Komm lieber nicht, der Gottschalk ist da

Kapitel 14

Spendenaffäre und Liebeskrise

Kapitel 15

Kein Kampf, kein Drama – nicht einmal Tränen

Kapitel 16

Ein Anruf von Ecki

Epilog

Register

Prolog

Am Morgen meiner Hochzeit quälte mich ein mulmiges Gefühl. Über der kleinen Kapelle bei Lembach hing dichter Nebel. Ein schlechtes Zeichen, denn Nebel am Hochzeitstag bedeute viel Streit in der Ehe, flüsterten sich die Verwandten meines Zukünftigen zu und schauten klagend gen Himmel. Auch wenn Onkel und Tanten versuchten, ihre kummervollen Mienen zu verbergen – ich bemerkte sie dennoch. Ebenso registrierte ich die vorwurfsvollen Blicke auf mein Hochzeitskleid. Das Dirndl aus edler Rohseide mit weißer Bluse und weißer Schürze kommentierten die Frauen meiner neuen Familie mit Kopfschütteln. Mein Gott, lila!, raunten sich die Auguren zu. Diese Farbe stehe für Unmoral und Sittenlosigkeit. Lila dürfe man nicht tragen. Nicht als Braut.

Frisch getraut und ausgestattet mit dem priesterlichen Segen, den nur eine großzügige Spende meines schon einmal geschiedenen Bräutigams ermöglicht hatte, schritten wir aus der Kapelle. Die Sonne schien, ich war glücklich. Mein Magengrummeln hatte sich verzogen. Ich war 26 Jahre alt, hatte einen gutaussehenden, erfolgreichen Berater geheiratet, 19 Jahre älter als ich an Lebenserfahrung und Weltläufigkeit. Ich fühlte mich geborgen und beschützt, endlich war ich nicht mehr allein auf der Welt. Nur meine Großmutter vermisste ich in an diesem 28. September 1984, denn meine geliebte Oma war der einzige Mensch in meiner komplizierten Familie, der mir geblieben war. Doch sie war zu gebrechlich, um an meinem Hochzeitstag dabei zu sein und mich zu bewundern. Ihre schöne Enkelin an der Seite eines Mannes, der ihr gefallen hätte.

Nach unserem Festmahl im Restaurant Cheval Blanc in Niedersteinbach trat Madame Zinck, die berühmte Wirtin, an unsere Tafel. »Schade, dass Sie schon so früh abreisen«, sagte sie, »Sie hätten sonst einen ganz besonderen Gratulanten bekommen: Bundeskanzler Helmut Kohl ist heute auch noch unser Gast.« Unsere Gesellschaft, die sich müde gegessen und schläfrig getrunken hatte, erschien plötzlich hellwach. Wirklich, der Bundeskanzler persönlich? Was für ein großartiges Hochzeitsgeschenk, den müsst ihr unbedingt abwarten, Kinder! Denkt an das schöne Foto, das ihr euren Enkeln zeigen könnt!

Also warteten wir. Wir verschoben unsere geplante Abfahrt in das etwa 100 Kilometer entfernte Hotel, in dem wir eine Suite gebucht hatten, weil das Brautpaar keinesfalls mit seinen Gästen unter einem Dach übernachten dürfe. So jedenfalls forderte es der Familien-Aberglaube meines Mannes, dem ich mich widerwillig gebeugt hatte. Wir warteten und warteten. Immer wieder verzögerte ich unseren Aufbruch und überredete meinen Angetrauten, noch auszuharren, bis der Bundeskanzler kommt. Doch Kohl kam nicht. Als mein Mann und ich schließlich aufbrachen, war es schon spät, und es war fast dunkel. Wir kurvten über die kleinen Straßen im Elsass, zuckelten durch Dörfer, übersahen Wegweiser und verpassten Abzweigungen; weil es damals noch keine Mobiltelefone hab, konnten wir das Hotel nicht über unsere Verspätung informieren. Endlich kamen wir gegen 22 Uhr in unserem Traumhotel an – erschöpft, aber voller Vorfreude auf eine Flasche Champagner zu zweit und unser Luxusbett. Doch die Suite war belegt – vergeben an andere Gäste. Keiner hatte mehr mit unserem Erscheinen gerechnet. Der Empfangschef war ratlos. Es tue ihm leid, versicherte er, aber leider sei das Hotel komplett ausgebucht. Nur noch ein ganz einfaches Zimmer sei frei, in dem oft Fahrer oder Dienstpersonal übernachteten – ausgestattet mit zwei über Eck stehenden Einzelbetten.

Mein Mann schleuderte sein Jackett über den einzigen Stuhl im Zimmer, dann entlud sich sein Zorn. »Daran bist nur du schuld«, schrie er. »Weil du unbedingt den Kohl sehen wolltest, verbringen wir unsere Hochzeitsnacht in dieser Abstellkammer.« Er stemmte sich mit aller Kraft gegen die Holzgestelle der Betten, die sich jedoch keinen Zentimeter verrücken ließen. Vor lauter Wut übersah er, dass die Möbelstücke im Boden verankert waren. Noch nie zuvor hatte ich meinen Mann so wütend erlebt.

Schweigend umklammerte ich meine Handtasche. Ich fühlte mich verloren. Während ich dem Tobsuchtsanfall meines Mannes zusah, erinnerte ich mich an eine Szene mit meiner Mutter. Damals war ich zehn Jahre alt, sie war 38 – kurz bevor sie starb. »Mein Liebes«, sagte sie damals zu mir und schaute mir zärtlich in die Augen, »in der Hochzeitsnacht wirst du den wahren Charakter deines Mannes kennenlernen. Denk an meine Worte, wenn es so weit ist«, sagte sie. Dann lachten wir beide. Sie zärtlich, ich kicherte aus Verlegenheit. 15 Jahre lang hatte ich nicht mehr an dieses Gespräch gedacht.

In unserer Hochzeitsnacht schliefen mein Ehemann und ich in getrennten Betten.

Unsere Gäste erzählten uns später, Helmut Kohl sei 15 Minuten nach unserer Abreise angekommen. Der Bundeskanzler sei sehr nett gewesen, berichteten sie begeistert. Und er habe sich geärgert, weil er die Braut verpasst hatte.

Kapitel 1

Rückt mal alle zusammen

»Lass uns Weihnachten in den Schnee fahren«, bettelte ich meinen Mann an. Er suchte nach Argumenten, die mich umstimmen würden. Es sei zu kalt, sagte er, außerdem sei Skifahren zu gefährlich. »Wie wäre es mit Marbella«, schlug er vor. »Oder mit St. Thomas in der Karibik oder vielleicht wieder nach Jamaika wie im Vorjahr?« Ich aber wollte endlich Weihnachten wieder einmal im Schnee erleben und meine kalten Hände nach dem Skifahren am Kamin wärmen. Ich setzte mich durch.

Auf der Autobahn nach Österreich fragte ich meinen Mann, welches Hotel er gebucht habe. »Das St. Georg in Bad Hofgastein«, antwortete er, »da macht der Bundeskanzler an Ostern immer seine Fastenkur.« In seiner Stimme schwang Stolz. »Ach, warum willst du ausgerechnet dort wohnen, wo der Kanzler Urlaub macht?«, fragte ich lachend. »Ich weiß, du magst ihn nicht«, entgegnete mein Mann vorwurfsvoll. Stimmt, dachte ich, weil er mir wie ein Elefant im Porzellanladen vorkommt. Ich wünschte mir einen anderen Kanzler: weltoffen, gutaussehend, charmant, Englisch sprechend. Mein Mann kannte meine Anforderungen an unser Regierungsoberhaupt. Diese Diskussion hatten wir schon dutzende Male geführt.

Wenige Monate später, an Ostern 1990, fuhren wir noch einmal ins Hotel St. Georg. Mein Mann hatte erneut Bad Hofgastein als Urlaubsort ausgewählt. Ich fragte nicht warum, vermutete aber, er hoffte, Kohl zu begegnen. Der Bundeskanzler wäre eine Trophäe gewesen in seiner beeindruckenden Sammlung wichtiger und einflussreicher Menschen, die ihm berufliche Vorteile verschaffen könnten.

Als wir am Nachmittag in Bad Hofgastein ankamen, beschlossen wir, vor dem Abendessen in die Sauna zu gehen, um uns von der langen Reise zu erholen. Wir zogen die flauschigen Hotelbademäntel an, und mein Mann eilte voraus. Wenige Minuten später betrat auch ich den schlichten Vorraum zur Sauna. Altmodische Badeschlappen standen auf dem weiß gekachelten Fußboden, Handtücher hingen an Haken. »Da kannst du nicht rein«, flüsterte mein Mann. »Die Sauna ist voll, da passt keiner mehr rein.« Zielstrebig marschierte ich zum kleinen Guckloch, aber die Scheibe war beschlagen. Ich bin schlank, das geht schon noch, dachte ich, legte den Bademantel ab, drapierte mein Handtuch um meinen Leib und riss mit Schwung die Holztür auf. Mir schlug ein Schwall heißer Luft ins Gesicht, und Sekunden später durchfuhr mich ein Blitzschlag. Wie peinlich! Vor mir saß Helmut Kohl. Wie ein Berg hockte der Bundekanzler auf dem Holzrost. Der mächtige Bauch ruhte auf seinen Oberschenkeln. Ein Zipfel des Handtuches, auf dem er saß, lag über dem Knie, als könnte das Stückchen Frottee die Blöße des Staatsmannes bedecken.

»Kommen Sie rein, kommen Sie rein, junge Frau«, rief der Kanzler mir zu. Ich erwachte aus meiner Starre und anstatt die Tür von außen zu schließen, trat ich in die Hitze. »Rückt mal alle zusammen«, wies Kohl die Saunarunde an. Die aufgereihten nackten Männerkörper teilten sich, und neben Kohl öffnete sich eine Lücke. Kohls Hand tätschelte das Holz, wie ferngesteuert nahm ich Platz. Als ich saß, überkam mich eine Hitzewelle, die mir fast Übelkeit verursachte. In meiner Magengrube lag eine steinschwere Mischung aus Peinlichkeit, Unruhe, Lächerlichkeit und Hysterie. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich derart entsetzlich gefühlt.

»Na, wo kommen Sie denn her«, unterbrach die Kanzlerstimme mein Elend.

»Aus Frankfurt, genauer gesagt aus Königstein im Taunus.« Ich antwortete wie ein Schulmädchen.

»Ach, ’ne Hessin. Das sind mir ja die Richtigen, das hätte ich mir denken können.«

»Wieso? Warum sagen Sie das so ironisch?«, quetschte ich heraus und hoffte, meine Stimme würde selbstbewusst klingen. Plötzlich blieb mein Blick am Guckloch in der Saunatür hängen. Glasklare Sicht! Durch das blitzblank geputzte Fensterchen konnte ich in den hell erleuchteten Vorraum schauen. Und da begriff ich, dass Helmut Kohl auf meinen Auftritt bestens vorbereitet war. Ich hatte mit aufgerissenen Augen in die Sauna gestarrt und nur milchigen Nebel gesehen – und er … oh, wie unangenehm!

»Ich kenne genug Hessen«, sagte Kohl und riss mich aus meiner erneuten Peinlichkeitswelle. »Denen geht es nur ums Geld und ums gute Essen. Ihnen sieht man das ja auch gleich an.«

»Entschuldigung«, sagte ich und strich über meinen flachen Bauch. »Glauben Sie, ich sei reich, nur weil in Königstein viele Millionäre leben? Ich kenne übrigens einen Hessen, den Sie auch gut kennen«, plapperte ich weiter. »Walther Leisler Kiep, den kenne ich von der Amerikanischen Handelskammer und der Atlantik-Brücke, und er freut sich immer, wenn er mich sieht.«

»Das glaube ich ihnen gern«, sagte Kohl süffisant. Einige seiner Begleiter lachten.

»Sie können ja mal eine Rede bei der Amerikanischen Handelskammer in Frankfurt halten. Da bin ich gespannt, was Sie dann zu den Hessen zu sagen haben«, schlug ich vor.

»Die haben mich noch nie eingeladen.«

»Das kann ich mir kaum vorstellen, aber ich lege gern ein gutes Wort für Sie ein.« Ich wurde mutiger, wagte aber nicht, meinen Nachbarn anzuschauen. Dennoch spürte ich, dass er schmunzelte.

»Was wollen Sie eigentlich in Hofgastein?«, wechselte Kohl auf einmal das Thema. »Wollen Sie etwa abnehmen? So dürr wie Sie sind, müssen Sie doch aufpassen, dass Sie beim Duschen nicht durch den Siphon rutschen.«

»Wenn ich die Arme ausbreite, minimiert sich das Risiko«, antwortete ich. Die nackte Saunarunde amüsierte sich. »Mein Mann und ich sind zum Skilaufen hier«, sagte ich, »abnehmen haben wir beide nicht nötig.«

»Liegt da oben denn noch Schnee«, wollte Kohl wissen? »Ecki, hast du gehört, da oben liegt Schnee.« Sein langjähriger Fahrer und Vertrauter, ein kleiner Mann mit einem runden Kopf, saß auf der unteren Stufe und drehte sich um. »Ecki, übermorgen fahren wir auf den Berg. Die Schneeraupe soll uns am Skilift abholen. Mach das mal klar!«

Mir war unerträglich heiß, der Schweiß rann mir in Strömen über Gesicht, Bauch und Rücken. »Ecki, mach mal einen Aufguss«, befahl Kohl plötzlich. »Obstler, Chef?«, fragte der. »Jawoll, die Hessen wissen doch nicht, was gut ist. Und bring dem Mädel ein nasses Handtuch fürs Gesicht. Nicht, dass die uns zusammenklappt.«

Die Hitze brannte wie ein Feuersturm auf meiner Haut. Ich presste die Augen zusammen, drückte das Handtuch gegen mein Gesicht und rang nach Luft. Keinesfalls wollte ich aufgeben. Nicht vor dem Bundeskanzler! Doch endlich erhob sich Kohl vom Holzrost und stapfte aus der Sauna – wie Gott ihn geschaffen hatte. Das schweißnasse Handtuch klemmte wie eine Aktentasche unter seinem Arm.

Zwei Stunden später stand ich im Restaurant und bewunderte das Dessertbuffet: Mousse au Chocolat, Apfelstrudel, Vanilleeis, Karamellcreme, Pannacotta. Außerdem gab es ein riesiges Angebot an Käsesorten. Ich lud gerade einige Stückchen auf meinen Teller, als ich hinter mir einen mächtigen Schatten spürte. »Das habe ich mir doch gedacht. Die verfressenen Hessen laden sich wieder die Bäuche voll«, hörte ich die mir bekannte Stimme. Ich drehte mich um und hielt Helmut Kohl triumphierend meinen Teller unter die Augen. »Sie sind ja nur neidisch, weil ich es mir erlauben kann und Sie nicht.« Kaum hatte ich den Satz ausgesprochen, wünschte ich mir, ich könnte meine Ungehörigkeit wieder einfangen. Kohl schien amüsiert. Er warf einen Blick auf das Paradies aus Süßspeisen und ging dann in die Stube, in dem die Fastengäste ihre klare Gemüsebrühe mit einem altbackenen Dinkelbrötchen serviert bekamen.

Nach dem Skifahren am nächsten Nachmittag wollten mein Mann und ich in die Sauna gehen. Auf dem Tisch in unserem Hotelzimmer lag wieder die kleine Notiz, die wir am Anreisetag übersehen hatten: Die Sauna ist in der Zeit von 16.00 bis 17.00 Uhr für Hotelgäste wegen privater Nutzung gesperrt, hieß es. Als ich Kohls Fahrer im Flur traf, fragte er, ob wir uns später in der Sauna sehen. »Für Hotelgäste ist die Sauna gesperrt«, klärte ich ihn auf. Ecki Seeber war erstaunt: »Was? Das haben wir nicht veranlasst, das würde der Chef niemals wollen.« Seitdem war der Verbotszettel verschwunden. An keinem Tag lag er mehr auf dem Zimmer.

Eine Gruppe dunkel gekleideter Männer stand in der Hotellobby. Wir schlängelten uns durch die Entourage des Kanzlers und strebten zum Aufzug. Mein Mann stand schon in der Lifttür, als sich Helmut Kohl aus der Mitte der Gruppe löste und auf mich zukam. Er gab mir die Hand. Ich war erstaunt, wie zart und weich sich diese große männliche Hand anfühlte. Mir schien, als sinke meine Hand in ein seidenes Kissen. Schüchtern erwiderte ich seinen Gruß und schaute ihm in die Augen. Unsere Blicke hielten aneinander fest, zum ersten Mal. Ein Gefühl der Vertrautheit und des Erkennens durchströmte mich. Diesen Mann kennst du, flüsterte mir meine innere Stimme zu – und meinte damit nicht den Staatsmann, dessen Fotos jeden Tag in Hunderten von Zeitungen abgedruckt waren. Fast täglich füllte der »Kanzler der Einheit«, wie er seit der deutschen Wiedervereinigung respektvoll genannt wurde, die Nachrichtensendungen. 1990 war Kohl auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt. Er war der unangefochtene Herrscher seiner Partei, der weltweit respektierte Staatsmann, und er war der umjubelte Bundeskanzler, der das gespaltene Land friedlich vereint hatte. Als er mir an jenem Nachmittag in Hofgastein seine Hand reichte, sah ich weder Ruhm noch Macht. Ich erkannte einen Seelenverwandten. Einen Mann, der mein Herz für Sekunden stillstehen ließ.

Es war ein sonniger Nachmittag. Noch im Skianzug lag ich auf der Sonnenterrasse, genoss die Stille und las. Plötzlich stand Kohl neben meiner Liege: »Was lesen Sie denn da?« Wortlos zeigte ich ihm das Cover des Buches mit der Aufforderung: Sorge dich nicht – lebe!

»Ach herrje«, sagte er, »dachte ich’s mir doch. Kein politisches Buch, keine Biografie, nicht mal was Historisches!« »Dieser Carnegie ist ein Weltbestseller«, protestierte ich. »So ein Quatsch«, blaffte Kohl, als wolle er mich zu einem schlagfertigen Geplänkel herausfordern. »Wo haben Sie denn bitte Sorgen!« Ich schwieg – eine Reaktion, die er offensichtlich nicht erwartet hatte. Kohl schaute mich an, er schien die finsteren Gedanken hinter meiner Stirn zu erkennen. Ja, ich hatte Sorgen. Zwischen meinem Mann und mir kriselte es schon seit Langem. In unserer Hochzeitsnacht habe ich mich zum ersten Mal gefragt, ob ich die richtige Wahl getroffen hatte. Damals war es Ärger über sein respektloses, cholerisches Benehmen. Heute, sechs Jahre später, waren es Zweifel, ob ich meinen Mann noch liebe.

»Ecki, ich bleibe hier draußen. Bitte bring Frau Herbold und mir einen Tee.« Kohl schnappte sich einen Stuhl und zog ihn an meine Liege heran. Die Sicherheitsleute, die mir im Hotel bisher kaum aufgefallen waren, positionierten sich auf der Terrasse. Sie rückten Stühle zurecht und wachten an der Brüstung – der Abstand erschien mir groß genug, um uns ein Gefühl von Privatsphäre zu gewähren. »Morgen fahren wir hoch in den Schnee«, kündigte Kohl an. »Die Pistenraupe holt uns an der Bergstation ab und bringt uns bis zur Schlossalm.« Kohl erzählte von dem geplanten Ausflug, als handelte es sich um eine Expedition in den Himalaja. »Kommen Sie doch auch!«, sagte er plötzlich. »Ist schön da oben.« Ich musste lächeln. Natürlich wusste ich, dass es da oben schön ist. Ich fuhr ja jeden Tag auf den Gipfel.

Der Kanzler kam mit der Pistenraupe angebraust. Umringt von Bodyguards, dem Hauptmann von Salzburg und einigen österreichischen Polizeibeamten hangelte er sich in seinem altmodischen Mantel mühsam aus dem Ungetüm. Auch einige Hotelgäste hatten sich vor der Weitmoser Schlossalm eingefunden – unter ihnen stand auch Ecki Seeber, der sich wie immer dezent im Hintergrund hielt, aber dennoch jeden Schritt seines Chefs überwachte. Es war ein wunderschöner Tag: Der Himmel strahlte kobaltblau, der Schnee funkelte in der Sonne, und für Mitte April war es ungewöhnlich warm. Die bunte, von der klaren Bergluft berauschte Gesellschaft nahm an einem langen Holztisch auf der Terrasse Platz, Kohl bestellte ein Wasser und blinzelte in die Frühlingssonne. Er sah zufrieden aus.

»Ihr müsst euch alle eincremen«, sagte ein junger, blasser Mann aus Kohls Entourage. Er zog eine Tube Sonnencreme aus der Tasche und reichte sie mir. Ich drückte eine kleine fettige Cremewurst auf meine Hand und gab die Tube weiter. Alle – außer Kohl – folgten meinem Beispiel. Und dann begannen wir, die fettige Masse in unsere Gesichter zu schmieren. Doch das Zeug ließ sich kaum verteilen. Je mehr wir rieben und wischten, desto hartnäckiger klebte die Schmiere an der Haut. Wie weiße Wandfarbe füllte sie Poren und Fältchen. Einige versuchten, das Ganze mit einem Papiertaschentuch wieder abzuwischen. Doch dabei rissen kleine Zellstofffetzen ab, die wie die Federreste gerupfter Hühner auf der Haut kleben blieben. Wir begutachteten unsere kalkweißen Gesichter und lachten und lachten. Helmut Kohl war der Einzige, der manierlich aussah, weil er die Cremetube nicht angerührt hatte. Er lachte am lautesten. »Euch könnte man als Gespenster vermieten«, prustete er.

Dann kam der letzte Urlaubstag. »Was hältst du davon, wenn ich Helmut Kohl eine kleine Notiz hinterlasse und mich für die netten Gespräche bedanke?«, fragte ich meinen Mann. »Du meinst deine Gespräche mit ihm«, entgegnete er schmallippig. »Du hättest dich jederzeit mit ihm unterhalten können. Warum hast du das eigentlich nicht gemacht?«, fragte ich. »Das ergab sich nicht. Wenn du schreiben willst, dann lass mich da raus.«

Ich wollte mich verabschieden. Ich hatte unsere Begegnungen genossen und hätte es als unhöflich empfunden, ohne einen Gruß abzureisen. Also schrieb ich auf dem Briefpapier des Hotels mit meiner schönsten Handschrift folgende Zeilen:

Lieber Herr Bundeskanzler!

Es war sehr schön, Sie einmal persönlich kennenzulernen. Auf diesem Wege möchte ich mich recht herzlich für die schönen Gespräche, die wir geführt haben, bedanken. Es hat mich so gefreut, wie weltoffen und unkompliziert Sie sind. So wie Sie im Fernsehen wirken, so sind Sie auch privat – authentisch. Wenn wir es einrichten können, kommen mein Mann und ich nächstes Jahr an Ostern wieder nach Hofgastein. Ich freue mich jetzt schon, Sie wiederzusehen, und wünsche Ihnen eine wunderbare Amtszeit mit weniger Stress und mehr Erholung.

Ihre Beatrice Herbold

Ich steckte den Brief in ein Kuvert, schrieb seinen Namen und den Vermerk »persönlich« darauf und hinterließ ihn an der Rezeption. Etwa eine Woche später lag zu Hause im Briefkasten Post aus dem Bundeskanzleramt – an mich adressiert. Feierlich trug ich den Umschlag zum Sofa, setzte mich und las die mit schwarzer Tinte geschriebene Anrede und den folgenden Schreibmaschinentext:

Liebe Frau Herbold,

es war mir eine Freude, Sie und Ihren Mann kennengelernt zu haben. Auch ich würde mich freuen, Sie nächstes Jahr in Hofgastein wiederzusehen. Ich wünsche Ihnen und Ihrem Mann ein angenehmes und erfolgreiches Jahr und verbleibe mit den allerbesten Wünschen Ihr Helmut Kohl

Für mich war es beschlossene Sache: Ostern 1991 wieder in Hofgastein! Meinen Mann würde ich schon überzeugen.

Kapitel 2

Wie mich der Kanzler rettete

Auch im nächsten Jahr verbrachten mein Mann und ich Ostern in Hofgastein – so wie Stammgast Helmut Kohl, der natürlich sein strenges Fastenprogramm absolvierte. Wieder nahmen wir unsere Sauna-Gemeinschaft auf, wir setzten unsere Plänkeleien und netten Gespräche fort, zusammen mit anderen Hotelgästen saßen wir abends am runden Tisch, plauderten und lachten – und manchmal warfen wir uns flüchtige Blicke zu. Meine waren neugierig und schüchtern, seine vorsichtig.

»Warum fasten Sie eigentlich, Herr Bundeskanzler. Wollen Sie abnehmen?«, fragte ich ihn an einem Abend, als wir uns auf dem Weg zum Speisesaal begegneten. Er steuerte in Richtung altbackenes Dinkelbrötchen und Fencheltee, ich dagegen freute mich auf ein Dreigänge-Menü und ein Gläschen Wein. »Natürlich sollte ich abnehmen«, antwortete Kohl, »mein Arzt ermahnt mich ständig, aber Fasten bedeutet für mich, einen klaren Kopf zu bekommen. Es ist erstaunlich, wie leicht sich der Geist anfühlt, wenn man den Körper von all dem köstlichen Essen befreit, das Sie hier jeden Abend verdrücken.« Dieses Mal frotzelte er nicht, seine Antwort klang ernst. »Aber der Hunger muss doch unerträglich sein. Wie halten Sie das denn aus?«, entgegnete ich. »Ach was, die ersten paar Tage grummelt und zwickt es im Magen, und manche bekommen Kopfschmerzen vom Kaffeeentzug, aber mit ein bisschen Disziplin hat man das Tief schnell überwunden«, sagte Kohl. »Probieren Sie es aus, ich verspreche Ihnen, dass Sie begeistert sein werden.«

Noch während ich mit meinem Mann beim Essen saß und ein Gang nach dem anderen serviert wurde, reifte in mir der Entschluss, diesen Rat umzusetzen. Wenn der Kanzler, der offensichtlich gern und viel isst, eine Woche nur von Tee und Gemüsebrühe lebt, kann ich das auch, ermutigte ich mich. »Lass uns doch mal zu Hause eine Woche fasten«, schlug ich meinem Mann vor, als er sein Steak mit einer sahnigen Pfeffersoße übergoss. »Hat der Kohl dich jetzt angesteckt mit dem Blödsinn?« Mein Mann schüttelte den Kopf und aß weiter. Das Thema war für ihn erledigt. Wir schwiegen. Wir redeten den Rest des Tages kein Wort mehr miteinander.

Am nächsten Morgen stand ich früh auf. Der Sonnenaufgang und ein unruhiger Traum hatten mich geweckt. Ich zog mir ein paar warme Sachen über und ließ die Tür unseres Hotelzimmers geräuschlos im Schloss einrasten. Ich hatte keine Lust, neben meinem Mann aufzuwachen und so zu tun, als sei alles in Ordnung. Ich wollte allein sein, die kühle Morgenluft genießen, nachdenken und durchatmen. Als ich das Hotel verließ, fuhr ein Fernseh-Übertragungswagen vor. Dann kommt heute wohl Hannelore Kohl, dachte ich. Schon im vergangenen Jahr hatte ich den kurzen Besuch bei ihrem fastenden Ehemann erlebt. Nein, ich hatte ihn nur aus der Ferne beobachtet. Sie kam, blieb zwei Nächte und reiste dann wieder ab. Auch damals hatte ein Fernsehteam ein paar Szenen gedreht: Helmut Kohl und seine Frau Hannelore ganz entspannt zu zweit im Osterurlaub in Bad Hofgastein. Die Bilder hatte ich im Fernsehen gesehen.

Das Gerücht über den hohen Besuch machte schnell die Runde. Einige Hotelgäste, vor allem die weiblichen, änderten ihr Tagesprogramm. Sie wollten den Auftritt der Kanzlergattin, die man so selten in der Öffentlichkeit sah, nicht verpassen. Auch ich war neugierig. Ich war dieser Frau noch nie begegnet. Und Helmut Kohl auf seine Ehefrau anzusprechen, hatte ich bisher nicht gewagt.

Und dann kam sie wirklich. Hannelore wurde in einer schwarzen Limousine vorgefahren, der Fahrer öffnete die Tür des Wagens, und die Kanzlergattin stieg aus. Sie sah unglaublich perfekt aus. Das Kostüm saß makellos an ihrem Körper, selbst nach der mehrstündigen Autofahrt trübte keine einzige Falte die Frische ihrer Erscheinung. Hannelore Kohl trug eine weiße Bluse mit einem dramatisch wirkenden, gerollten Kragen. An ihrem Blazer glänzte eine goldene Brosche, die zu den Perlen-Ohrringen passte. Doch besonders faszinierten mich die Haare. Die Frisur schien wie ein güldener Schutzhelm auf ihrem Kopf zu sitzen. Jedem einzelnen Haar war scheinbar ein fester, unverrückbarer Platz zugewiesen.

Helmut Kohl erschien in seiner geliebten Strickjacke auf den Eingangsstufen, um seine Frau zu begrüßen. Er schritt auf sie zu, umarmte sie kurz und sagte etwas, das ich nicht verstehen konnte. Dann begleitete er seine Frau ins Hotel. Ganz der große Machtpolitiker, der Publikum gewöhnt ist und die Gesten öffentlicher Auftritte versteht, bot er ihr galant seinen Arm an und lächelte in die Menschentraube, die sich inzwischen vor dem Hotel angesammelt hatte. Schaut her, meine Frau besucht mich, meine Ehe ist in Ordnung, schien dieser Auftritt sagen zu wollen. Ich stand an der Rezeption und beobachtete die Szene. Ich versuchte, ohne Emotionen zuzuschauen.

Als Helmut Kohl mich sah, blieb er stehen – mit seiner Frau im Arm. »Ach, Frau Herbold«, sagte er, als sei er erstaunt, mich hier zu sehen. »Darf ich dir eine gute Skifahrerin vorstellen, Hannelore.« Er schob seine Frau in meine Richtung und sagte: »Frau Herbold und ihr Mann kommen aus Frankfurt. Sie sind auch Stammgäste im Hotel.« Die Kanzlergattin lächelte mich freundlich an. Wir gaben uns die Hand und tauschten ein paar Nettigkeiten aus. Sie verbringe ein paar Tage mit ihrer Freundin am Tegernsee, sagte sie, das sei ja nicht so weit entfernt von Österreich.

Einige Wochen nach unserem Osterurlaub nahm ich in Frankfurt an der Jahresversammlung der Amerikanischen Handelskammer teil. Hans-Dietrich Genscher, der damalige Außenminister, trat als Gastredner auf. Nach seinem Vortrag eilte er durch den Saal Richtung Ausgang; ich sprang von meinem Stuhl auf und strebte auf ihn zu. Alle Blicke richteten sich auf mich, Genschers Sicherheitsmänner fixierten mich mit finsteren Blicken und schlossen den Kreis um den Minister enger. Aber Genscher sah mir freundlich entgegen, offenbar erwartete er, ich wolle ihn um ein Autogramm bitten. »Lieber Herr Minister, Sie haben eine wunderbare Rede gehalten«, begann ich meine Charmeoffensive. Er strahlte: »Ach ja, hat es Ihnen gefallen«? »Sehr sogar«, antwortete ich und kam zum Punkt: »Ich habe eine große Bitte. Wären Sie so freundlich und würden unserem Bundeskanzler diesen Brief von mir übergeben? Sie würden mir einen riesen Gefallen tun.« Ich schenkte ihm mein verführerischstes Lächeln. Genscher brummte ein paar unverständliche Worte, griff nach dem Brief und steckte ihn in die Innentasche seines Jacketts.

Es dauerte nur wenige Tage, da klingelte das Telefon in unserem Haus im Taunus. »Kanzleramt, Büro des Bundeskanzlers«, meldete sich eine Frauenstimme. »Der Bundeskanzler würde Sie gern sprechen.« Es machte klick in der Leitung, und dann hörte ich die vertraute Stimme: »Frau Herbold, wie geht es Ihnen?«

»Äh hallo, ja, hallo Herr Bundeskanzler, hallo, ja, was für eine Überraschung!« Wieso, um Himmels willen, konnte ich keinen klaren Satz formulieren!

Er habe sich sehr über meine Zeilen gefreut, sagte Kohl, und er sei begeistert, dass ich tatsächlich das Fasten ausprobiert habe. »Zu Hause fasten ist ja nicht so einfach. Da braucht man Durchhaltevermögen und Standhaftigkeit. Hat Ihr Mann mitgemacht, und hatten Sie ärztliche Betreuung während der Zeit?«

Mir sei es gut gegangen, erzählte ich und wiederholte, was ich schon im Brief geschrieben hatte, den der Bundesaußenminister tatsächlich übergeben hatte. »Mein Mann hält nichts vom Fasten, ich habe sogar abends für ihn gekocht«, berichtete ich stolz. »Alle Achtung, dann sind Sie ja jetzt ein Fastianer.« Er lachte laut durchs Telefon.

»Wie ist es Ihnen denn nun ergangen?«, hakte er nach. »Ehrlich gesagt, habe ich furchtbar gestunken. Mein Mann konnte mich nicht mehr ertragen, er ist ins Gästezimmer gezogen.« Mein Gott, schoss es mir durch den Kopf, was rede ich eigentlich! Warum erzähle ich dem Kanzler der Einheit so ein unwichtiges, dummes Zeug?

»Das ist normal.« Kohl schien sich aufrichtig für das Thema zu interessieren. »Der Mief muss raus. Im Darm sammelt sich über die Jahre viel Unrat an, das muss alles raus.«

Auch wenn ich spürte, dass Kohl echtes Interesse an meinem Fasten-Abenteuer zeigte – ich wollte dem mächtigsten Mann Deutschlands nicht die Zeit stehlen mit Erzählungen über meinen Darm. »Ich will Sie nicht länger langweilen«, sagte ich. »Ich hoffe, Herr Dr. Genscher hat es mir nicht übelgenommen, dass ich ihn als Postboten missbraucht habe.«