Geschichten, nichts als Geschichten ... - Ingo Schindera - E-Book

Geschichten, nichts als Geschichten ... E-Book

Ingo Schindera

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Beschreibung

"Nur der kann Geschichten erzählen, der selbst Geschichten erlebt hat." John Steinbeck amerikanischer Autor Eine Binsenweisheit, die nicht ganz stimmt, denn die phantastischsten Geschichten erzählen Kinder. Ihre Geschichten werden nicht nur mit dem Mund, sondern mit den Händen, den Augen und dem Herz erzählt. Die Geschichten sind wie Zuckerwatte süß, weich und flauschig und der Kern der Geschichte ist nur ein nichtssagendes, unwichtiges Holzstäbchen. Zur Erzähler-Gilde der Kinder gehören auch meine Enkelkinder Amelie und Johann. Meine Geschichten sind nicht phantastisch, sie sind real und selbst erlebt, dabei habe ich mir aber gelegentlich eine winzig kleine, nicht nennenswerte dichterische RETUSCHE erlaubt.

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Hallo! Ich bin Ingo Schindera, geboren am 1.12.1941. Ich überlass es Ihnen, auszurechnen, wie alt ich bin. Über 30 Jahre war ich Hautarzt im Saarland, dabei habe ich ständig den Juckreiz von jung und alt behandelt. Sie wissen doch, Juckreiz ist schlimmer als Heimweh. Den Hautarzt habe ich vor zehn Jahren an den Nagel gehängt. Und nun erzähl ich Geschichten, ich habe sie für die großen Kinder sogar aufgeschrieben. Den nicht so großen Kindern erzähl ich Geschichten in einem anderen Buch. Versprochen!

Morgen fang ich an.

Nur der kann Geschichten erzählen, der selbst Geschichten erlebt hat.

John Steinbeck amerikanischer Autor

Eine Binsenweisheit, die nicht ganz stimmt, denn die phantastischsten Geschichten erzählen Kinder. Ihre Geschichten werden nicht nur mit dem Mund, sondern mit den Händen, den Augen und dem Herz erzählt. Die Geschichten sind wie Zuckerwatte süß, weich und flauschig und der Kern der Geschichte ist nur ein nichtssagendes, unwichtiges Holzstäbchen. Zur Erzähler-Gilde der Kinder gehören auch meine Enkelkinder Amelie und Johann.

Meine Geschichten sind nicht phantastisch, sie sind real und selbst erlebt, dabei habe ich mir aber gelegentlich eine winzig kleine, nicht nennenswerte dichterische RETUSCHE erlaubt.

Inhalt

...

am Ende des Zweiten Weltkrieges Ein französisches Leberwurstbrot

Zu Weihnachten: Transeamus usque ad Bethlehem Lasst uns nach Bethlehem gehen

Schulranzenwoche

Lena, das Gorilla Mädchen

Spiel mir das Lied vom ...

Ein Doppelleben

Wie ein Lottogewinn

Der schwäbische Gentleman Gustav Rau

Der schreibende Opa (Illustration)

Das Pünktlichkeits-Gen

Keltengrab PSP002

Ein Obdachloser im Bienenhaus

Fast eine Inkunabel

Danksagung

... am Ende des Zweiten Weltkrieges Ein französisches Leberwurstbrot

Dieser grauenvolle Zweite Weltkrieg war zu Ende. Zu Ende waren auch die Flucht und die Odyssee meiner Mutter, die sie zusammen mit uns fünf Kindern erleben musste. Nach zahllosen Fluchtstationen fanden wir endlich bei einem Onkel in Wangen im Allgäu eine Bleibe. In diesen sicheren Hafen waren außer uns aber noch andere Verwandte mit ihren Kindern eingelaufen und so waren wir neben mehreren Erwachsenen, 12 Kinder. Und obwohl ich erst vier Jahre alt war, erinnere ich mich noch genau an die zwei kleinen Zimmer, in denen wir hausten.

Mein Vater war in englischer Kriegsgefangenschaft. Er hatte sich in letzter Minute vor den Soldaten der Roten Armee in Sicherheit bringen können. Sie hätten ihn, wenn auch als Arzt nicht zur kämpfenden Truppe gehörend, als „Sanitätsoffizier“ erschossen. So erging es vielen Offizieren in dieser Zeit, die in die Hände der Russen fielen.

Deutschland hatten die Siegermächte in verschiedene Zonen aufgeteilt. Wangen im Allgäu war von den Franzosen besetzt, es gehörte zur französischen Zone. Das war insofern für uns Kinder bedeutungsvoll, weil meine Mutter gut französisch sprach.

Alles wurde beschlagnahmt, es gab nichts zu essen und Hunger war unser ständiger Begleiter. Also suchte jeder, auch schon wir Kinder, etwas zu essen. Meine jüngere Schwester, sie war gerade drei Jahre alt geworden, und ich waren ein „Team“. Unser Jagdgebiet war nicht sehr groß. Das Haus unseres Onkels lag mit der Frontseite zur Hauptstraße hin und an der Rückseite des Hauses gab es einen kleinen Platz und einen Garten. Hinten an dem Garten grenzte eine Schmiede und daneben war der Gasthof „Zum Löwen“, den französische Soldaten in Beschlag genommen hatten. Im ersten Stock, in dem ehemaligen Tanzsaal, war die Kantine der Soldaten eingerichtet worden und im Erdgeschoss die Küche. Vor der Küche war ein kleiner Bezirk mit Maschendraht eingezäunt. An dem Maschendraht war ein Verbotsschild angebracht, da ich aber noch nicht lesen konnte, störte das Schild mich nicht. Im Zaun befand sich ein Loch, das sich vielleicht ein Hund gegraben hatte. Durch dieses Loch schlüpften wir mühelos. Wir stellten uns „lauernd“ unter das große Küchenfenster. Irgendwann wurde das Fenster geöffnet und ein verführerischer Duft von Essen kam uns entgegen. Danach trat eine junge dunkelhaarige, etwas mollige Frau ans Fenster, zündet sich eine Zigarette an und beobachtete uns blonde Kinder, die mit großen hungrigen Augen dastanden. Noch bevor sie ihre Zigarette ausgeraucht hatte, sprach sie uns auf Französisch an, was wir aber natürlich nicht verstanden. Aber sie winkte uns zu sich heran und flüsterte plötzlich auf Deutsch: „Kommt rein!“ Noch bevor ich meine Ängstlichkeit überwunden hatte, war meine kleine Schwester mutig vorgelaufen. Die Frau begleitete uns durch einen kleinen Gang, der zu einer großen Küche führte. In einer Ecke der Küche standen ein Tisch, mehrere Hocker und eine Bank, auf der wir Platz nahmen. „Wie heißt ihr denn?“, fragte sie uns.

„Ich heiße Ingo und meine Schwester Nanni.“ Dann legte die Frau den Zeigefinger an den Mund und sagte ganz leise: „Ihr dürft nicht sprechen!“ Kurze Zeit später kam sie wieder mit zwei großen Stücken Weißbrot, die mit einer uns bis dahin unbekannten Wurst dick bestrichen waren. Etwas zögerlich biss ich hinein. Ach, wie wunderbar schmeckte das Wurstbrot.

Ein Wurstbrot, ein Leberwurstbrot! Wegen des „blöden Krieges“ hatte ich ganz vergessen, wie eine Leberwurst schmeckt. Nachdem meine kleine Schwester sah, dass mir das Leberwurstbrot mundete, biss auch sie herzhaft hinein. Das war aber nicht die einzige Köstlichkeit, zu den Broten gab es eine grüne Limonade. Unser Hunger war so groß, dass wir schon nach kurzer Zeit die Wurstbrote vertilgt hatten. Es folgten weitere und während wir so munter am Essen waren, betraten zwei Männer in Uniform die Küche. Unsere „Gastgeberin“, ging auf die Männer zu und begrüßte sie überschwänglich, als ob sie etwas zu verbergen hätte. Ich wusste damals noch nicht, dass wir Deutschen für die Franzosen Feinde waren. Ich fühlte aber intuitiv, dass hier etwas nicht stimmte. Der ältere von beiden zeigte auf uns und fragte anscheinend, was das für Kinder seien. Die Frau antwortete ihm, er stutzte kurz, schüttelte den Kopf und ging weiter. Er öffnete alle Schränke und schaute in jeden Winkel. Wir beiden saßen ganz still auf unseren Plätzen und beobachteten die beiden Soldaten und vergaßen dabei, unsere Wurstbrote zu essen. Kaum waren die beiden Männer verschwunden, nahm die Frau uns an den Händen und führten uns an das Loch im Zaun, dabei sagte sie in einem etwas traurigen Ton: „Ihr dürft leider nicht mehr zu mir kommen.“ Übrigens war das Loch im Zaun kurze Zeit später verschlossen. Zu Hause erzählte ich meiner Mutter, was wir mit der französischen Frau erlebt hatten. Sie hörte mit entsetzten Augen zu und sagte nur: „Da habt ihr großes Glück gehabt. So etwas dürft ihr nie wieder machen. Das müsst ihr mir versprechen.“

Ein kleiner Hoffnungsschimmer für meine Mutter in dieser schweren Zeit war, dass sie sehr gut Französisch sprach. So kam sie auch an die geliebten Zigaretten heran, obwohl es nichts zu kaufen gab. Denn sie hatte Liebesbriefe der französischen Soldaten ins Deutsche übersetzt und die deutschen Briefe ins Französische. Sie nannte es, „postillion d´amour“ spielen. Die ganze Liebespost lief über den Pförtner der französischen Militärverwaltung. Bei ihm holte sie sich immer kleine Päckchen ab, deren Inhalt Zigaretten und Liebesbriefe waren. Der Pförtner hat diesen „Liebesdienst“ sicher nicht nur für Gottes Lohn gemacht und wird dabei auch sein Schäfchen ins Trockene gebracht haben.

Nach einiger Zeit, als meine Mutter wieder einmal ein Päckchen beim Pförtner abgeholt hatte, sprach sie eine dunkelhaarige, etwas mollige, junge Frau auf französisch an. „Madame, haben Sie zwei Kinder, Ingo und Nanni?“

Ganz erschrocken antwortete meine Mutter mit einem einfachen „Oui“. Ob diese Person vom französischen Sicherheitsdienst war, von der Sûreté? Woher kannte diese Person die Namen ihrer beiden Jüngsten? Sie hatte die Geschichte von dem Leberwurstbrot schon längst vergessen. Die etwas mysteriöse Dame, die die Vornamen von uns beiden kannte, hatte den ängstlichen Gesichtsausdruck meiner Mutter sehr wohl bemerkt. Mit einigen klärenden Worten konnte sie meine Mutter aber sehr schnell überzeugen, dass ihre Befürchtungen unbegründet waren. Bei einer Zigarette erzählte sie nun meiner Mutter, was damals passiert war. „Gerade an dem Tag, an dem ich ihren beiden süßen Kindern etwas zu essen gegeben hatte, war Küchenkontrolle. Ihre Kinder haben sich aber mustergültig benommen, sie saßen da wie zwei stumme Ölgötzen und nachdem der Oberkontrolleur mich gefragt hatte, wem die beiden Kinder gehörten, da habe ich in meiner Not einfach gesagt, dass das meine Kinder sind. Ich weiß nicht, ob er mir das abgenommen hat. Die zwei sind doch blond und blauäugig und die passen doch so gar nicht zu mir! Eine Mutter mit so dunklem Teint, schwarzen Haaren, braunen Augen und dann zwei so blonde Kinder?“

„Leider“, fuhr sie fort, „darf ich den Kindern in Zukunft nichts mehr geben, es wäre zu gefährlich. Die Deutschen sind doch die Feinde der Franzosen.“ Und dabei zwinkerte sie meiner Mutter mit einem Auge zu, dann schaute sie sich um, ob sie nicht beobachtet wurden und im selben Moment steckte sie meiner Mutter eine Tafel Schokolade für Ingo und Nanni zu.

Meine Mutter traf diese freundliche Dame noch häufiger, sie unterhielten sich immer nur kurz, dabei stellte sich heraus, dass sie aus Lothringen stammte, aus Thionville.

Zu Weihnachten: Transeamus usque ad Bethlehem Lasst uns nach Bethlehem gehen