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Ein neuer Fall für die Dudenfüße von Wien: Der medial begabte Geisterjäger Andreas Brauner, seine Lebensgefährtin Johanna Schuster und ihr Freund Michael Dötzl werden von den Besitzern eines Hotels in der Steiermark um Hilfe gebeten. Offenbar spukt es dort, und mehrere Feriengäste haben das Hotel, das den schaurigen Namen ›Das Puppenhaus‹ trägt, bereits fluchtartig verlassen. Die Drudenfüße quartieren sich im ›Puppenhaus‹ ein und bekommen es diesmal mit gleich zwei Gespenstern zu tun - und mit einem dämonischen Wesen aus einer anderen Wirklichkeit!
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
Der Geist von Ferdinand Fuchs
Special
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Impressum
Cover
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
von Michael Blihall
Die Fünfzehnjährige zitterte. »Seid ihr euch wirklich sicher, dass wir das tun sollten?«
Ihr älterer Bruder Ben grinste. Seine Nervosität war nicht zu übersehen, er spielte nur mal wieder den Coolen. »Ach komm schon, Lisa. Das ist doch nur ein Spiel.«
Lisa vermutete, dass er sich vor allem vor Sarah aufspielte. Sie hatten sie und ihre kleine Schwester Leonie erst am Vormittag kennengelernt, keine zwei Stunden nach ihrer Ankunft im Urlaubshotel.
Sarah war siebzehn, also in Bens Alter, und hatte Lisas Bruder schnell darüber hinweggetröstet, dass er Urlaub auf dem Bauernhof machen musste.
Auf einer ihrer ersten Erkundungstouren durch das Hotel waren sie in einem alten Geräteschuppen gelandet, wo Sarah eine merkwürdige Entdeckung gemacht hatte.
Nun legte sie das Ouija-Brett auf den Boden des kleinen Zimmers im Dachgeschoss, das sie als weiteren Zufluchtsort auserkoren hatten.
»Es ist kein Spiel«, sagte sie mit unheilvoll klingender Stimme. »Es heißt, damit kann man ein Portal zur Geisterwelt öffnen!«
»Dann sollten wir lieber die Finger davon lassen«, flüsterte Lisa ängstlich.
Die Flammen der Kerzen, die sie ebenfalls gefunden und mit nach oben gebracht hatten, warfen unheimliche Schatten auf die Wände und die Gesichter um sie herum.
»Jetzt sei doch kein Spielverderber«, ermahnte sie ihr älterer Bruder. Er wandte sich wieder an Sarah. »Wie funktioniert das? Legen wir unsere Finger auf dieses ... Holzdings?«
»Man nennt es Planchette«, erklärte Sarah.
Lisa hätte diesem obergescheiten Weibsstück am liebsten eine gescheuert.
»Nun kommt näher heran und legt eure Finger drauf«, sagte Sarah.
Auch Leonie schien die Sache nicht geheuer, doch sie traute sich nicht, ihrer großen Schwester zu widersprechen. Sie drückte eine Puppe, die sie schon bei sich gehabt hatte, als sie den Dachboden betraten, noch fester an sich.
Es war eine sehr alte Puppe mit Porzellangesicht.
Schließlich legten Sarah und Ben ihre Finger auf die Planchette, und auch Lisa tat es.
Zögerlich folgte auch Leonie ihrem Beispiel.
»Fang an«, forderte Sarah Lisas Bruder mit einem Kopfnicken auf.
Ben nickte ebenfalls. Er schloss die Augen.
»Ist hier jemand bei uns?«, fragte er laut und bestimmt in den dunklen Raum.
Sie erhielten keine Antwort.
Nur der Wind, der Wind, das himmlische Kind, dachte Lisa und musste kichern.
Sie vernahm Sarahs Räuspern, das ein Ermahnen sein sollte, und Lisa fand die Situation auf einmal lustig.
Sie fuhr zusammen, als sich die Planchette unter ihrem Finger zu bewegen begann.
»Ben, hör auf, du schiebst doch!«, stieß sie erschrocken aus.
»Ich schwöre, das bin nicht ich!«, beteuerte ihr Bruder ernsthaft.
»Ist hier jemand?«, fragte Sarah flüsternd.
Der Zeiger wanderte langsam ins linke obere Feld des Bretts, wo »JA« zu lesen war.
Lisas Mund wurde trocken, und das Schlucken fiel ihr schwer.
»Ja?«, fragte Sarah weiter. »Wer bist du?«
Der Zeiger bewegte sich nun schneller über das Feld mit den Buchstaben.
S P I E L
»Spiel? Wieso Spiel?«, wunderte sich Ben.
Ein kalter Luftzug wehte durch den Raum. Die Kerzenflammen zitterten, und Lisa sah, wie sich die Haare im Nacken ihres Bruders aufstellten.
Sarahs kleine Schwester schrie mit schriller Stimme: »Hören wir damit auf, Sarah! Ich hab Angst!«
Ausgerechnet jetzt schien sich Ben noch mehr aufplustern zu wollen.
Er wiederholte Sarahs letzte Frage: »Wer bist du?«
Die Planchette machte einen Ruck und raste wieder über das Brett.
L A U F T
»Lauft?«, stieß Ben aus.
Ein dumpfes Poltern drang aus der Dunkelheit hinter Lisa. Mit einem kurzen Aufschrei sprang sie auf und löste dabei ihren Finger von der Planchette.
Sie glaubte, ein Flüstern zu hören. Ganz schwach. Es fühlte sich an, als säße jemand dicht neben ihr, um ihr ins Ohr zu flüstern.
»Setz dich wieder hin!«, schrie Sarah. »Wir müssen den Kreis schließen. Erst dann können wir das Portal wieder ...«
Erneut ein Geräusch in der Dunkelheit. Diesmal klang es, als hätte jemand fest mit dem Fuß auf den Holzboden gestampft.
Leonie begann zu weinen und hielt sich die Puppe vors Gesicht.
Lisa stand zitternd da, drehte sich langsam um und starrte in die Dunkelheit hinter ihr. Dorthin, wo das Stampfen erklungen war.
»Setz dich wieder hin!«, rief Sarah erneut. »Jetzt!«
Lisa gehorchte endlich, ließ sich auf die Knie fallen und legte ihren Finger wieder auf den hölzernen Zeiger.
»Wir schließen das Portal«, rief Sarah und sah Ben flehend an.
»Aber ... wie?«, fragte er mit großen Augen.
Ein weiteres Stampfen.
Ein kalter Hauch.
Die Kerzenflammen erloschen.
Die vier schrien auf, zuckten zusammen, ließen die Planchette los und hielten sich nun an den Händen.
Ein heiseres Lachen erklang. Anfangs kaum wahrnehmbar. Es wurde lauter und lauter, bis es niemand mehr ignorieren konnte.
»Raus hier!«, krächzte Ben. »Sofort!«
Wien, 4. April 2025
Die Sache drohte, Andreas Brauner über den Kopf zu wachsen.
Immerhin war er mit seinen sechsundvierzig Jahren nicht mehr der Jüngste und hätte bis vor wenigen Monaten keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, sich ein solches Vorhaben noch einmal anzutun.
Nun aber war es so weit.
Kopfschüttelnd betrachtete Andreas die insgesamt hundertzehn Umzugskartons, die sich inzwischen in allen Räumen der neuen Wohnung stapelten.
Die Erkenntnis, dass diese hundertzehn Kartons allein aus seiner alten Wohnung stammten und sich Johannas Hausrat gerade zusätzlich auf dem Weg hierher befand, löste in ihm die ersten Anzeichen einer Panikattacke aus.
Ächzend legte er sich mit dem Rücken auf den Parkettboden seines zukünftigen Schlafzimmers, streckte die Arme weit von sich und presste die Handflächen gegen den Boden.
So, als könne er sich daran festhalten, während sich der Raum um ihn herum drehte.
»Einatmen, ausatmen«, riet ihm sein imaginärer Freund Felix, der sich im Schneidersitz neben ihm niedergelassen hatte.
Es half. Auch wenn es sich Andreas nicht eingestehen wollte.
Langsam öffnete er wieder die Augen und sah über sich das sorgenvolle Gesicht seines Freundes, der sich gerade über ihn beugte.
Felix' Augen wirkten wie immer winzig klein hinter seinen dicken Brillengläsern.
Es tat gut, seinen alten Freund, der ihn schon seit seiner Kindheit begleitete, bei sich zu wissen.
»Und jetzt sieh zu, dass du wieder auf die Beine kommst, alter Junge. Johanna trifft noch der Schlag, wenn sie heimkommt und dich hier so liegen sieht.«
Andreas schüttelte langsam den Kopf. »Vor Kurzem war da so eine Dokumentation im Fernsehen. Terra X, glaube ich.«
»Ähm ... ja? Und?«
»Da hieß es, dass Menschen, die um das Jahr 1900 herum lebten, nur hundertzehn Gegenstände besessen haben. Kannst du dir das vorstellen? Hundertzehn Gegenstände!«
»Und? Weiter?«
»Alter ... ich habe hundertzehn Kartons da draußen stehen! Vollgefüllt mit Gegenständen!«
Felix warf einen Blick über die Schulter, zu den Kartons, von denen sich auch einige – immerhin nur einige wenige – im zukünftigen Schlafzimmer türmten.
»Verkauf doch den Krempel«, sagte er achselzuckend.
Andreas dachte kurz über diese Möglichkeit nach und bekam fast eine weitere Panikattacke. Er atmete tief ein, plusterte seine vollbärtigen Wangen auf und ließ die Luft langsam wieder zwischen seinen Lippen hinausströmen.
»Lass mich noch eine Weile hier liegen«, sagte er. »Ich schaff das alles nicht.«
Felix nahm seine Brille ab und polierte die Gläser an seinem blütenweißen T-Shirt, das er unter seiner schwarzen Lederjacke trug. »Es wird dir nichts anderes übrig bleiben. Die Kisten werden nicht weniger, weißt du? Und wenn erst deine Freundin mit ihrem Zeug ...«
»Hör auf!«, flehte Andreas und schlug sich die Arme vors Gesicht.
Felix entfernte einen Fussel von der Spitze eines seiner roten Chucks und stand auf. Er beugte sich zu Andreas hinunter und bot ihm die Hand.
»Komm schon. Steh endlich auf«, forderte er. »Ich wäre dir ja wirklich gern bei den Kisten behilflich, aber ... Na ja, du weißt ja, ich bin nur imaginär.«
Felix grinste schief und erweckte so den Eindruck, als wäre er sogar froh darüber.
Andreas sah seinen Freund von unten an. »Ich hätte mich beizeiten um echte Freunde kümmern sollen, die mir bei so was helfen können.«
Er schaffte es, sich aufzusetzen.
»Eines Tages ist das alles vorbei«, sagte Felix, »und dann habt ihr es hier richtig gemütlich.« Er grinste von einem Ohr zum anderen.
»Du hast gut lachen. Lieber verbringe ich die Nächte in einem feuchten Keller und gehe auf Geisterjagd, bevor ich noch einmal umziehe.«
Felix zückte einen Kamm und brachte seine Elvis-Tolle in Ordnung. »Alles schön der Reihe nach«, antwortete er lächelnd. »Kommt Zeit, kommt Geist.«
Im nächsten Moment unterbrach ein Klingeln die Unterhaltung. Es kündigte Johannas Ankunft an – und die nächste Ladung Umzugskartons.
»Suchen wir etwas Bestimmtes?«, fragte Johanna Schuster zwei Tage später ihren Freund Andreas und sah ihn von der Seite an.
Der blickte, zum ersten Mal seit Tagen, selig lächelnd geradeaus und ließ sich von der Menschenmenge langsam vorwärtsschieben.
Viel anderes wäre ihm auch gar nicht übrig geblieben. Sie hatten sich vor wenigen Minuten in die Schlange vor dem Eingang zur Comic- und Filmbörse eingereiht. Nun wurden sie regelrecht in das Foyer der Mehrzweckhalle geschoben, die zu einer Berufsschule gehörte und heute zu einem Flohmarkt und einer wahren Fundgrube für Nerds umfunktioniert worden war.
Die Idee, die Comicbörse zu besuchen, stammte von Johanna. Sie wollte ihrem Freund, der unter dem Umzugsstress litt, eine kleine Ablenkung verschaffen.
Sie hasste große Menschenansammlungen. Und Andreas ging es nicht anders. Doch sobald es um Comics ging, schaltete er komplett um und befand sich im ›Durchzugsmodus‹, in dem er die Umwelt um sich herum völlig ausblendete.
»Hm?«, machte er nur und streckte den Hals, als gäbe es weiter vorn etwas Interessantes zu sehen.
»Ich habe dich gefragt, ob du nach etwas Bestimmtem suchst«, wiederholte sie.
Andi sah sie noch immer nicht an, aber zumindest schüttelte er den Kopf.
Die Hoffnung, dass das Kopfschütteln eine direkte Reaktion auf ihre Frage war, verflüchtigte sich rasch, als er völlig zusammenhangslos murmelte: »Beim letzten Mal war auch schon so viel los. Es wird jedes Mal schlimmer.«
Johanna konnte das nicht beurteilen. Sie begleitete Andreas zum ersten Mal zur Comicbörse in der Längenfeldgasse. Bevor sie darauf antworten konnte, sprach Andreas weiter.
»Ja, da gebe ich dir recht.«
Unwillkürlich überlief Johanna eine Gänsehaut. Sie wusste nun, warum ihr Freund sich gerade wieder in einer Art Trancezustand befand. Er unterhielt sich gar nicht mit ihr, sondern mit seinem imaginären Freund Felix!
Und obwohl sich eine unerklärliche Eifersucht in ihr regte, ahnte sie auch, warum Andreas sich gerade lieber mit ihm als mit ihr unterhielt.
Felix tauchte meistens an Andis Seite auf, wenn dieser sich unwohl fühlte oder kurz davor war, in Panik auszubrechen. Ihr Freund schien die Menschenmenge, die sie noch immer in Richtung Kasse schob, doch nicht so gut zu verkraften, wie sie gedacht hatte.
»Andi?«, versuchte sie es noch einmal.
Endlich zeigte er eine erste Reaktion.
»Ja?«, antwortete er fragend. »Wie findest du es?«
»Eng.«
Sie verzichtete darauf, ihn noch einmal zu fragen, ob er auf der Comicbörse nach etwas Bestimmtem suchte.
Endlich erreichten sie einen Tisch, an dem zwei junge Männer das Eintrittsgeld entgegennahmen. Andreas zahlte für zwei Personen. Sie erhielten einen Stempel auf den Handrücken und eine kleine Papiertasche mit Prospekten und Flugblättern.
Nach einigen Schritten lichtete sich die Menge, und endlich konnten sie sich freier bewegen.
Schon seit sie das Gebäude betreten hatten, hatten sie in dem völlig überheizten Raum unter ihren Jacken geschwitzt. Die zogen sie nun aus.
Andreas trug darunter ein blaues T-Shirt, auf dem ein Dalek aus der Serie ›Doctor Who‹ zu sehen war. Johanna registrierte, dass es sich schon ein wenig über Andis Bauch spannte.
Jetzt schon vollbepackt, mit der Papiertüte und ihren Jacken, schlenderten sie an den Verkaufsständen vorbei.
Andreas blieb ab und zu stehen, um seinen Blick über die ausgestellten Actionfiguren und DVDs schweifen zu lassen. Auch Johanna wurde zunehmend von der Atmosphäre der Sammlerbörse gefangen genommen.
In einem großen Raum, der normalerweise für Theateraufführungen genutzt wurde, standen lange Tischreihen. Die Tische selbst bogen sich fast unter der Last der angebotenen Waren: Kartons voller Comics und Zeitschriften, Filmprogramme, Kinoplakate, Actionfiguren, Schallplatten, DVDs ...
Mit offenem Mund betrachtete Johanna das bunte Treiben. Sie entdeckte Comics, die Erinnerungen an ihre Kindheit weckten, und war von einer Sekunde auf die andere fasziniert.
Als sie sich nach Andreas umsah, bemerkte sie, dass er sich unbemerkt entfernt hatte. Nach einer kurzen Schrecksekunde entdeckte sie ihn zwischen anderen Comicfans, vertieft in das Durchblättern von Batman-Comics.
Sie zuckte mit den Schultern. Andreas befand sich jetzt in seiner eigenen Welt. Sie seufzte und steuerte auf einen Tisch mit Langspielplatten zu.
Nach einer Weile war auch sie völlig versunken und blätterte durch das Angebot älterer Vinylplatten aus den 1970er- und 80er-Jahren.
Bald schon musste sie die schwierige Entscheidung treffen, ob sie ›Scary Monsters‹ von David Bowie oder lieber ›Speaking in Tongues‹ von den Talking Heads kaufen sollte. Nach einigem Überlegen entschied sie sich schließlich für beide.
Sie legte Jacke und Papiertüte kurz zur Seite. Da sie die Finger ihrer rechten Hand seit einer Schussverletzung nicht mehr bewegen konnte, fischte sie etwas ungelenk mit ihrer linken Hand ihr Portemonnaie aus der Handtasche.
Der Händler kam ihr preislich sogar entgegen, und mit einem zufriedenen Lächeln machte sie sich wieder auf die Suche nach ihrem Freund.
Sie erschrak, als er unerwartet hinter ihr auftauchte und »Buh!« machte.
»Idiot!«, schimpfte sie, nachdem sie sich wieder gefasst hatte.
Andi grinste von einem Ohr zum anderen und hielt ihr zwei Batman-Comics vor die Nase.
»Schau mal, was ich da gefunden habe«, sagte er und strahlte übers Gesicht.
Johanna betrachtete kurz die Cover. Da sie sich mit Comics nicht auskannte, kommentierte sie nur knapp: »Schön.«
»Schön?«, fragte Andreas mit gespielter Empörung. »Schööön?«, wiederholte er melodramatisch.
Just in diesem Moment drängte sich ein dickbäuchiger Mann um die sechzig zwischen ihnen hindurch. Er trug einen langen weißen Zopf und einen Käpt'n-Iglo-Bart.
Prompt blieb er zwischen ihnen stehen, musterte sie und grinste breit. Johanna ahnte, was nun folgen würde.
»Moment mal!«, rief er mit dröhnender Bassstimme. »Seid ihr nicht diese Geisterjäger aus dem Film ›Die Drudenfüße‹?« Seine Begeisterung war nicht mehr zu bremsen. Ehe Johanna reagieren konnte, rief der piratenähnliche Comic-Fan quer durch den Saal: »Reenaaaatee! Reenaaaatee!«
Johanna und Andreas sahen sich erschrocken um. Johanna zog regelrecht den Kopf ein.
»Reenaaaatee!«, brüllte der Mann weiter. Mittlerweile drehten sich immer mehr Leute nach ihnen um. Renate hingegen blieb weiterhin verschwunden.
»Ihr seid doch die Drudenfüße, oder?«, fuhr der Mann fort. »Ich hab den Film letztens im Kino gesehen. Geiler Found-Footage-Scheiß, ehrlich! Das habt ihr fa-bel-haft gespielt, Leute! Gibt's mal eine Fortsetzung? Reenaaaatee!!«
Er kramte mit seinen klobigen Händen ein Smartphone aus der Hosentasche, dessen Display völlig verschmiert war, und hielt es Andreas vors Gesicht.
»Darf ich ein Selfie mit euch machen?«
»Äh«, entfuhr es Johanna nur, da legte Käpt'n Iglo auch schon den Arm um ihre Schulter.
»Reenaaaatee! Jetzt komm doch endlich! Wir machen ein Seeelfiie!«
Johanna und Andreas ertrugen es schweigend. Andreas übernahm sogar das Fotografieren, weil Käpt'n Iglos Arme erstaunlicherweise viel zu kurz dafür waren, um alle drei auf das Foto zu bekommen.
Renate blieb weiterhin verschwunden, stattdessen hatte sich eine kleine Menschentraube um die drei gebildet.
»Danke!«, rief Käpt'n Iglo schließlich und zog weiter, noch immer nach Renate rufend.
Johanna und Andreas fanden sich in einer ungewohnten Situation wieder. Denn durch das laute Organ des Fans waren nun auch andere Besucher der Börse auf sie aufmerksam geworden.
Sie machten weitere Selfies, gaben sogar Autogramme, was Johanna linkshändig immer noch Mühe bereitete. Sie kritzelte ihren Namen sogar auf ein ›Bessy‹-Heft, das ihr jemand unter die Nase hielt.
Zum Glück ebbte der Trubel irgendwann ab, und Johanna zog Andreas Richtung Ausgang.
Erleichtert saßen sie zwanzig Minuten später in einem China-Restaurant in der Ratschkygasse.
Sie waren zurzeit sogar die einzigen Gäste in dem Kellerlokal. Dementsprechend freundlich und bevorzugt wurden sie von den beiden Angestellten bedient.
Nachdem sie ihre Getränke bestellt hatten und Andreas' Gesicht hinter der Speisekarte verschwunden war, spürte Johanna das Vibrieren ihres Handys in ihrer Jackentasche.
Sie blickte aufs Display. Eine unbekannte Nummer. Sie überlegte, das Gespräch abzuweisen, dann siegte die Neugier.
»Schuster«, meldete sie sich.
Es vergingen einige Sekunden.
Ungeduldig setzte sie nach: »Hallo?«
Da hörte sie ein leises Räuspern. Der Anrufer schien nun doch mit ihr sprechen zu wollen.
Es war eine Frau und ihrem Akzent nach aus der Steiermark.
»Äh ... entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie am ... ähm, Sonntag störe ... ähm, ich habe Ihre Nummer aus dem Internet, und ... ich, äh ... wie gesagt, ich möchte Sie nicht stören ...«
Johanna ahnte, dass es sich bei dem Anruf um einen neuen Auftrag handelte. »Das muss Ihnen nicht peinlich sein, Frau ...?«
Die Anruferin nannte noch immer nicht ihren Namen, darum ergriff Johanna wieder das Wort.
»Wir stehen natürlich auch sonntags zur Verfügung, wenn es notwendig ist. Ich nehme an, Sie rufen an, weil ...?«
Wieder ließ sie den Satz offen und bemerkte, dass sie nun auch Andis Aufmerksamkeit erregt hatte. Er legte seine Speisekarte auf den Tisch und sah sie an.
»Ich hoffe, Sie halten mich jetzt nicht für komplett blöd«, sprach die Frau am Telefon weiter, »aber ... bei uns spukt es. Äh, wahrscheinlich.« Ihre Stimme zitterte.
Johanna bemerkte, dass die beiden Chinesen am Tresen neugierig zu ihnen herüberschauten. Sie wollte die Angelegenheit nicht unbedingt vor den beiden Fremden diskutieren.
»Frau ...?«, versuchte es Johanna noch einmal.
»Pichler. Entschuldigen Sie, ich habe vergessen, mich vorzustellen. Ich bin etwas ... äh, aufgeregt.«
»Frau Pichler, darf ich Sie etwas später zurückrufen? Ich bin gerade nicht allein und würde das gerne in Ruhe mit Ihnen besprechen.«
»Ja, natürlich. Sehen Sie meine Nummer?«
»Ja, und ich melde mich ganz bestimmt.«
»Danke. Vielen Dank.«
Johanna verabschiedete sich und unterbrach die Verbindung.
Sie legte das Handy auf den Tisch und sah ihren Freund an.
»Wer war das?«, fragte er. Etwas sehnsüchtig sah er auf die Papiertüte neben ihm, in der sich seine Batman-Comics befanden.
