Glimmer Gossip (2). Zwei Verliebte und ein brillanter Betrug - Emma Flint - E-Book

Glimmer Gossip (2). Zwei Verliebte und ein brillanter Betrug E-Book

Emma Flint

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Beschreibung

Jede Menge neue Peinlichkeiten, Intrigen, Gossip und Gefühlschaos auf Schlossinternat Sandsgarden! Hast du von Liebe keinen Schimmer, frag bloß nicht Lexi Glimmer! Vor dem Chaos ist nach dem Chaos. Das ist - leider! - Lexis Lebensmotto. Da hatte sie gedacht, sie hätte den mysteriösen Verfasser der Gossip-Nachrichten am Schwarzen Brett geschnappt, schon hängt schwupps der nächste Zettel dort. Zu allem Übel hat Lexi auch noch das Wunschbuch ihrer besten Freundin verbaselt. Schnappatmung! Stehen am Schwarzen Brett also bald Hollys bestgehütete Geheimnisse - und Lexi ist schuld daran? Als wäre all das nicht schon genug, bekommt Lexi auch noch mysteriöse Anrufe von einer Gruselkrächzestimme. Und als würde auch das noch nicht reichen, bricht um Lexi herum auch noch die Liebe aus. Doppel-Schnappatmung! Aber wenigstens gegen diesen Gefühlskäse ist Lexi immun. Jungs nerven doch nur! Allen voran Jack, der alte Angeber. Wenn er sie nur nicht mit solchen Teddybärenaugen angucken und so gut nach Sommer riechen würde … In Emma Flints Serie Glimmer Gossip geht es turbulent weiter! Wenn du witzig-spritzige und mörderspannende Internats- und Freundschaftsgeschichten liebst, bist du hier goldrichtig! Exklusive Einblicke in Lexi Glimmers Tagebuch, in Geheimprotokolle und Erfahrungsberichte … Für alle ab 10 Jahren Mit funkelschönem Glitzer-Cover! Wenn du wissen willst, wie es mit Lexi und ihren Freundinnen weitergeht, dann lies auch Band 3 und 4, die schon in Planung sind!   Weitere Titel von Erfolgsautorin Emma Flint: Mein Leben ist ganz großes Kino (nur leider bin ich im falschen Film) Knalltütenwunder. Was nicht ist, kann ja noch peinlich werden! Für mein Leben seh ich kunterbunt (wenn ich nur erst den Durchblick hab) Ich glaub, es glitzert! Jedes Chaos fängt mal klein an Mein Leben voller Feenstaub und Konfetti (schön wär's!) Jungs verstehen das nicht!

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Seitenzahl: 421

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Emma Flint,

geboren 1975, arbeitete schon als Hausbotin, als Bademeisterin, als Basketballtrainerin, als Regaleinräumerin im Supermarkt und als Fernseh- und Radioreporterin, bevor sie anfing, Bücher zu schreiben. Wobei ihr Letzteres eindeutig am meisten Spaß macht. Flint lebt mit ihrer Familie in Köln.

Weitere Bücher von Emma Flint im Arena Verlag:

Jungs verstehen das nicht!

Mein Leben voller Feenstaub und Konfetti

Ich glaub, es glitzert!

Für mein Leben seh ich kunterbunt

Knalltütenwunder

Mein Leben ist ganz großes Kino

Glimmer Gossip (Band 1):Ein Geheimnis und ein perfektes Desaster

1. Auflage 2024

© 2024 Arena Verlag GmbH

Rottendorfer Str. 16, 97074 Würzburg

Alle Rechte vorbehalten

Cover und Innenvignetten: Eva Schöffmann-Davidov

Umschlaggestaltung: Juliane Lindemann

Lektorat: Eva Hierteis

Layout und Satz: Malte Ritter

E-Book-ISBN 978-3-401-81060-7

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Achtung! Wichtige Vorbemerkung!

Ich sehe mich mal wieder gezwungen, die ganze Geschichte aus meiner Sicht zu schildern. Damit Ihr endlich kapiert, dass ich keine gemeinen Gerüchte im Internat verbreite. ICH BIN NICHT BUZZ XX. (Was für ein beknacktes Pseudonym! Allein daran sieht man schon, dass ich nicht dahinterstecken kann.)

Wenn ich etwas schreibe, dann nur die Wahrheit!

Wie Ihr an meinem Tagebuch sehen könnt, in dem ich alles notiere. Selbst die peinlichen Geschichten, die mir ab und zu andauernd viel zu oft passieren! Obwohl ich natürlich versuche, mich vorbildlich zu benehmen, wie sich das an einem Eliteinternat gehört. Gut, Hollys geheimes Wunschbuch hab ich tatsächlich verbummelt. Und das Durcheinander bei der anschließenden Suche geht auch auf meine Kappe. Aber der ganze Rest ist nicht meine Schuld! Ich habe Ophelias Diadem natürlich nicht gestohlen und warum dieser anonyme Anrufer ausgerechnet mich (immer noch) nervt, weiß ich auch nicht. Und von Jack Sainsburys mysteriösem Verhalten will ich gar nicht erst anfangen!!! Wobei sich das vermutlich genauso schwer umsetzen lässt wie mein Plan, mich nie wieder zu blamieren. Das Motto meines Lebens ist anscheinend: Nach dem Chaos ist vor dem Chaos.

Eure Lexi Glimmer

Mittwoch, 1. November

Bevor man Kritik übt, muss man mit etwas Positivem anfangen, hat mein Diplomatenvater mir beigebracht. Und weil ich beständig an meinen diplomatischen Fähigkeiten arbeite, halte ich mich natürlich an seinen Rat. Bevor ich also aufschreibe, was alles schiefgelaufen ist, hier die Liste meiner Erfolge des ersten Quartals dieses Schuljahres:

Okay, die Liste ist ein bisschen kurz und bei genauer Überlegung auch nicht besonders erfolgreich, wenn man in Betracht zieht, wo ich hier bin. In Sandsgarden nämlich. Einem Eliteinternat, wo Leute rumlaufen, die Mathematikwettbewerbe gewinnen und Apps entwickeln und Essays verfassen und offensichtlich sogar wissen, was das überhaupt ist, ein Essay. Ich würde ja völlig vertrauensselig nicken, wenn mir einer sagt, er hätte Apfelessay auf seinen Salat geschüttet. Was wiederum auch erklärt, warum es für mich ein Erfolg ist, nicht von der Schule zu fliegen.

Wobei ich schon erwähnen möchte, dass ich zwar vielleicht nicht im klassischen Sinne eine Musterschülerin bin, Mathe, Chemie, Religion und so – na ja. Aber dafür würde ich mir im sozialen Bereich ziemlich gute Noten geben. Was das Zwischenmenschliche angeht, habe ich in diesem Schuljahr tatsächlich den einen oder anderen Triumph zu verzeichnen:

1.Ich habe herausgefunden, wer als Buzz XX die Zettel mit den Gerüchten ans Schwarze Brett gehängt hat, die von allen Glimmer Gossip genannt wurden, obwohl ich damit nichts zu tun hatte. Was mir die Schulleitung lange nicht geglaubt hat.

2.Gleichzeitig habe ich den anonymen Anrufer überführt, der mich in der Redaktion der Schul- zeitung auf dem alten Telefon mit mysteriösen Nachrichten bombardiert hat.

3.Ich habe es tatsächlich geschafft, vorübergehend meine Sprechpausenüberbrückungspartikelschwäche abzulegen und wenigstens einmal einen völlig Äh-freien Bericht abzuliefern, nämlich, als ich im zweiten (und finalen) Anlauf der Schulleiterin meine Unschuld beteuert habe.

4.Mit einer geschickt platzierten Nachricht von einem Verehrer habe ich Hollys Ihr-könnt-mich-mal-Phase beendet und damit verhindert, dass

sie

vielleicht von der Schule fliegt. Denn das wäre ebenfalls eine Katastrophe gewesen!

5.Auf der Halloweenparty habe ich Jack Sains- bury mit Luana Bakary verkuppelt. Was nicht so schwer war, denn:

6.Jack ist ein Idiot.

Und das führe ich hier mit gutem Grund unter »Meine Erfolge im zwischenmenschlichen Bereich« auf, weil ich das anscheinend als Einzige kapiert habe. Mindestens die Hälfte aller Mädchen ist nämlich überzeugt, dass Jack großartig ist. Er selbst findet sich auch supertoll und war kein bisschen verwundert darüber, dass Luana auf ihn steht, und hat sich auf der Halloweenparty am See sofort intensiv mit ihr unterhalten (und was weiß ich noch alles). Weiter habe ich das nicht verfolgt, schließlich habe ich Wichtigeres zu tun, als diesem Angeber beim Flirten (und was weiß ich noch alles) zuzuschauen. Außerdem haben Holly und ich verabredet, dass wir ab jetzt überhaupt keinen Ärger mit Jungs mehr haben werden. Wobei bisher sowieso nur Holly Ärger mit Jungs hatte. Ihr Ärger hieß Simon und er hat sie mit Ava betrogen und das war gar nicht schön.

Ich dagegen halte mich traditionell aus diesem Fachbereich raus. Es reicht mir voll und ganz, dass Jack Sainsbury mein Kollege bei der Schulzeitung Der Sandmann ist. Da bekomme ich sowieso schon eine Überdosis Testosteron Schwachsinn ab, da muss ich mich nicht noch extra in einen von meinen Mitschülern verlieben. Da ich das also durchschaut habe und Simon auch nicht mehr auf der Schule ist, können Holly und ich ganz in Ruhe unser Ding machen. Zum Beispiel Milchkaffeekreationen der feinsten Sorte trinken.

Die Kaffeemaschine, die Ophelia für unsere kleine Wohngemeinschaft im Schloss von Sandsgarden gekauft hat, kann ich nämlich mittlerweile auch bedienen. Juna, die Vierte bei uns im Apartment 212, hat es mir beigebracht. Obwohl sie sonst ziemlich verschlossen ist, hat sie wenigstens ihr Wissen um professionelle Kaffeemaschinen mit uns geteilt. (Sie hat mal in einem Kiosk gearbeitet, wo sie jeden Tag Kaffee verkauft hat.) Und jetzt kann ich aus Milch wunderschönen Schaum zaubern und mit ausgewählten Zutaten (unter anderem Kaffee) in einen köstlichen Drink verwandeln. Mittlerweile haben wir vier Kaffeespezialitäten im Angebot:

1.Hollyccino – Cappuccino mit Vanille- und Haselnusssirup und Kakaopulver

2.Lexiccino – Latte macchiato mit fünf Tropfen Karamellsirup und Zimt

3.Opiccino – Espresso mit einem Teelöffel Orangensirup (sehr speziell!)

4.Junaccino – schwarzer Kaffee mit drei Löffeln Zucker

Ich habe also in der zehnten Klasse wirklich schon einiges erreicht. Sogar den Stuhl in der Redaktion habe ich repariert, den Jack mit seiner Fummelei an der Höhenverstellung kaputt gemacht hat. (Filiz aus der Küche hat mir ein bisschen Öl gegeben. Damit hab ich den verklemmten Mechanismus wieder geschmeidig gemacht.)

Und wo ich mir gerade diese Bilanz noch mal durchlese, frage ich mich, warum ich überhaupt denke, ich würde nicht total nach Sandsgarden passen, dessen Schulmotto »aus Tradition erfolgreich« ist. Es hat doch ziemlich viel sehr gut geklappt. (Von dem Chemietest und der Präsentation in Religion mal abgesehen.)

Gut, die Leute halten mich immer noch für die Gossip-Queen und stecken mir allerhand Zettel mit brisanten Infos zu, weil ich niemandem verraten durfte, wer die Tratschtante in Wirklichkeit war. Das habe ich der Gräfin von Hagebronn, der die Schule gehört, versprochen. Und dieses Versprechen halte ich. Nur Jack und ich kennen den wahren Täter. Und das soll auch so bleiben. Und wenn keine neuen Gerüchte auftauchen, gerät Glimmer Gossip sowieso in Vergessenheit und dann ist der Spuk mit den Briefchen, die heimlich unter der Tür der Redaktion durchgeschoben werden, auch irgendwann vorbei. Also.

Nach diesen ganzen Erfolgen gönne ich mir jetzt ein bisschen Vergnügen. Nämlich mein neues Buch Melodie der Sehnsucht. Es gibt doch nichts Schöneres, als in einer Liebesschnulze abzutauchen.

Die Bässe brachten Monas Körper zum Vibrieren, genau wie die Blicke des Gitarristen, der immer wieder zu ihr schaute. Mona war wie gebannt und konnte sich nicht rühren. Die Mädchen neben ihr dagegen taten alles, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie kreischten und warfen Schlüpfer und BHs auf die Bühne. Eine versuchte sogar, die Bühne zu erklimmen, schaffte es jedoch nur halb über das Absperrgitter und hing dort wie ein nasser Sack, bis sie von der Security weggezerrt wurde. Trotz der wild gewordenen Fans hatte der Gitarrist nur Augen für Mona. Was vermutlich ein Trick war, dachte sie. Chris Keller war bekannt dafür, mit den Herzen der schönsten Frauen zu jonglieren. Deswegen hätte Mona auch niemals damit gerechnet, dass er nach dem Konzert nach ihr suchen würde. Höchstpersönlich! »Da bist du ja«, sagte er, »endlich.« Er strich sich die dunklen Haare zurück und …

Ahhhh! Chris Keller sah auf einmal aus wie Jack! Mein romantisches Kopfkino war zum Horrormovie mutiert. Erschrocken habe ich das Buch von mir geworfen. Also wirklich, wie soll man in Ruhe Liebesgeschichten schmökern, wenn da auf einmal Jack Sainsbury auftaucht?

Tief durchatmen, Lexi. Keine Panik. Du hast nur wegen der Beschreibung mit den Haaren an ihn gedacht. Weil Jack sie auch immer nach hinten streicht, als ob er den Massen an Gel nicht traut, die er sich jeden Tag hineinschmiert. Und weil er sich mit seinen scheußlich bunten Hemden auf einer Bühne ebenfalls gut machen würde.

Egal jetzt. Ich sollte mich sowieso längst mit Chemie beschäftigen. Weswegen mir Jack eigentlich einen Gefallen damit getan hat, meine Leseidylle zu zerstören.

Immer noch Mittwoch, 1. November

Gerade hab ich mir total motiviert das Chemiebuch genommen, da gibt es einen Notfall von der Lass-alles-stehen-und-liegen-Sorte. Worüber ich mich ja normalerweise freuen würde. Schließlich ist jeder Anlass willkommen, um keine Kohlenstoffatome zählen zu müssen. Aber diesmal bin ich über die Ablenkung nicht erleichtert, weil ich glaube, es ist was Schreckliches passiert! Ich habe eben eine Nachricht bekommen. Sie ist von Ophelia und enthält nur ein Wort:

HILFE!

Mir ist sofort eine Gänsehaut über den Rücken gelaufen. Ophelia ist die einzige Tochter von Zino Karagianni, einem griechischen Milliardär. Die Angst vor einer Entführung wurde ihr in die Wiege gelegt. Hoffentlich ist ihr nichts passiert. Dann habe ich noch eine Nachricht bekommen (direkt gefolgt von einer dritten, aber die kann ich noch nicht öffnen, weil sie so langsam lädt).

Komm schnell! Und allein!

Was ich auch tun werde. Sobald ich weiß, wohin! Und natürlich mit Holly. Beste Freundinnen sind ausgenommen von Vorgaben wie »Komm allein«. Genauso wie der Satz »Erzähl das nicht weiter« ebenfalls nicht für die beste Freundin gilt. Da muss man schon die ausdrückliche Ansage bekommen, dass man es auch seiner besten Freundin nicht weitererzählen darf. Sonst ist doch klar, dass man sie in jegliche Geheimnisse einweiht. Und selbst mit dem Zusatz »auch nicht deiner besten Freundin sagen« stehen die Chancen 50 : 50, dass man es ihr unter dem Siegel der Verschwiegenheit doch erzählt. Was ein Problem wird, wenn die beste Freundin noch eine andere beste Freundin hat und die wiederum auch eine weitere. Dann gibt es am Ende ein Erzähl-das-nicht-weiter-Schneeballsystem. Aber das wird nicht passieren, weil Holly nun mal Holly ist.

So, die dritte Nachricht von Opi ist ein Foto, das sich im Schneckentempo auf meinem Handy materialisiert.

Endlich kann ich es aufmachen. Darauf ist Ophelia! Sie schaut erschrocken in die Kamera. Ihre Augen wirken riesig in dem überbelichteten Gesicht. Hinter ihr ist alles dunkel. Sieht aus, als stecke sie in irgendeinem Tunnel fest. Oh mein Gott. Sie ist gefangen, denke ich gerade, da schreibt sie schon:

Ich bin gefangen.

Praktischer wäre natürlich, wenn sie mir geschrieben hätte, wo sie gefangen ist. Aber vermutlich kann sie nicht klar denken. Meine Gedanken galoppieren ja auch wild umher. Deswegen renne ich jetzt los.

Immer noch Mittwoch, 1. November

Wir hocken hinter dem Lagerhaus und spähen die Entführer aus. Es sind zwei Männer. Sie verladen Ophelia gerade mit einem Minikran auf ein Art Pritschenwagen. Wobei diese Entführungsmethode ein wenig … seltsam ist. Ich hab jedenfalls noch nie was davon gehört, dass man sein Opfer erst in einen ausgehöhlten Baumstamm steckt, bevor man es mit einem Kran auf einen Pritschenwagen hievt. Dieses Vorgehen scheint mir ein wenig umständlich. Aber wer weiß, ob das nicht besonders gefährliche Typen sind in ihren schwarzen Hoodies mit dem Schriftzug ULTIMATIV, die Zigaretten rauchend dem Baumstamm dabei zusehen, wie er in die Luft gehoben wird. Sie scheinen sehr entspannt dafür, dass sie ein Kapitalverbrechen begehen. Gerade das finde ich unheimlich.

Ich habe schon geahnt, dass es übel wird. Während ich eben über den Schlossplatz Richtung Schülerhaus sprintete, wo Holly heute Dienst hat, schossen alle möglichen Schreckensszenarien durch meinen Kopf. Welche Schurken haben Opi erwischt? Und wo? Sie war zur Schulgarten-AG aufgebrochen, die im Winter ins Gewächshaus verlegt wird. Sie muss also auf dem Schulgelände gewesen sein. Hat sie dort jemand gepackt und in einen weißen Van gezerrt oder …? Während mein Gehirn im Zeitraffer Bilder von Opi als Opfer produzierte, stellte sich mir plötzlich jemand in den Weg. Adrenalingeladen, wie ich war, hätte ich mir fast mit einem gezielten Handkantenschlag freie Bahn verschafft. Also, wenn ich über irgendwelche Kampfkunstkenntnisse verfügen würde. Was leider nicht der Fall ist. Wenn ich es schaffe, beim Chinesen die Essstäbchen unfallfrei auseinanderzubrechen, ist das für mich schon ein Erfolg.

Weswegen mir auch nur ein »Aaaargghh« entfuhr und ich vor Schreck fast zusammenklappte.

»Was ist denn mit dir los?« Es war Zeynep.

Sie ist in meiner Klasse und wohnt mit Tessa, Constanze und Dora im Apartment neben unserem. Ich mag sie. Glaub ich.

»Wohin so eilig?« Zeynep warf ihren schwarzen Flechtzopf über die Schulter. »Ist was passiert?« Sie musterte mich so durchdringend, als ob sie Gedankenlesen übte. Dazu muss ich sagen: Zeynep ist eine echte Tratschtante, wohingegen ich nur für eine gehalten wurde.

Da sie vermutlich sofort eine Statusmeldung absetzen würde, dass Ophelia in Gefahr war, beschloss ich, Zeynep eloquent abzuwimmeln. »Ähm«, sagte ich. Weiter kam ich nicht, denn da entschied Zeynep schon, dass sie mitkommen würde.

»Wir beide regeln das. Wenn wir zusammenarbeiten, wird Glimmer Gossip noch mal so schön. Wir könnten es Zeyneps Glimmer Gossip nennen. Oder ZG Gossip. Oder Zelexis Gossip. Oder besser Zeylex Gossip?«

Es ist wirklich blöd, dass ich niemandem erzählen darf, wer die Gerüchte ans Schwarze Brett gehängt hat. So muss ich warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Und das dauert einfach.

»Du weißt, dass ich damit nichts zu tun habe«, sagte ich wieder einmal. Zeynep nickte und stapfte entschlossen neben mir her. Wir kamen am Toilettenhaus vorbei. Eine Spielankündigung unserer Hockeymannschaft, der Sandsgardener Möwen, hing an der Wand. Auf einmal hatte ich wieder Jack vor Augen. In seinem dunkelblauen Mannschaftsoutfit, mit dem er gar nicht so bescheuert aussieht wie mit seinen Hawaiihemden. Verdammt. Dieser Typ taucht definitiv viel zu oft in meinem Kopf auf. Immerhin brachte er mich auf eine Idee.

»Ich hab gehört, die Möwen bekommen neue Trikots«, erfand ich schnell. »Die machen gerade Mannschaftsfotos in der Turnhalle. Da wollte ich gucken gehen.«

»Super!« Zeynep packte mich aufgeregt am Arm. »Ich hab eine Idee! Wir machen eine Hottie-Liste. Die coolsten Jungs der Schule. Und die coolsten Mädchen. Oder Moment, das ist nicht woke genug! Besser ist, wir nennen es einfach nur Zeyneps Hotties und machen total genderneutral ein Ranking, in dem wir alle Leute knallhart nach ihrem Aussehen bewerten … Hey, wo willst du denn hin?«

Ich flüchte vor zu viel Idiotie, hätte ich beinahe gesagt. Aber ich scheine in Sachen Diplomatie Fortschritte zu machen, denn ich redete mich geschickt raus. »Dringendes Geschäft.« Ich deutete auf die Toilette. »Du kannst ja warten.«

Zeyneps Blick schweifte den Weg entlang, wo man hinter den kahlen Bäumen die Tribüne des Hockeyfelds erkennen konnte. Daneben ist die Sporthalle. Kaum hatte ich die Toilettentür geöffnet, rief sie: »Oder ich gehe schon vor und wir treffen uns dort.«

So hatte ich mir das gedacht. Zeynep lässt keine Gelegenheit aus, die Erste irgendwo zu sein! Als ihre Schritte verklungen waren, rannte ich schnell rüber zum Schülerhaus. Holly diskutierte mit zwei Mädchen aus der sechsten Klasse, die ein Brettspiel nicht ordentlich zurückgeräumt hatten. Aber Holly war gut drauf. Das merke ich immer daran, wie sie redet, so fröhlich. Als würden kleine Seifenblasen aus ihrem Mund kommen. Darüber freute ich mich. Seit den Sommerferien ist Holly ein bisschen deprimiert wegen dem, was auf dem Sommernachtsball passiert ist. Später hat es noch einen kleinen Zusammenstoß gegeben mit ihr, Ava, Simon und einem Typen namens Enno. Und wegen der Auseinandersetzung sind sie zu einem Streitschlichtungsseminar verdonnert worden, wofür Holly ab übermorgen ihre geliebten Samstag-Sleepins aufgeben muss. Wir haben erst gedacht, Enno wäre eifersüchtig auf Simon, der mit Ava zusammen war. Aber unter den ganzen Gerüchtezetteln, die mir in die Redaktion vom Sandmann geschoben worden waren, hatte ich auch einen mit der Nachricht entdeckt, dass Enno in Holly verliebt ist. Und obwohl Enno überhaupt nicht Hollys Typ ist und bisher auch keinen Annäherungsversuch gestartet hat, hat Holly das total aufgemuntert. Woran man sieht, dass Gerüchte nicht immer was Schlechtes sein müssen.

Ich winkte Holly hektisch und sie schickte die beiden Mädchen zurück zum Spieleregal. »Ophelia ist was passiert!«, flüsterte ich aufgeregt. »Sie steckt in Schwierigkeiten.«

»Hat sie sich einen Porsche gekauft und vergessen, dass sie noch nicht Auto fahren darf?«, fragte Holly grinsend.

»Sie ist entführt worden«, hauchte ich bebend und zeigte ihr das Selfie, das Opi mir geschickt hatte.

»Hm«, machte Holly skeptisch. »Warum ruft sie nicht die Polizei?«

»Das darf sie nicht!«, rief ich eifrig. »Wahrscheinlich bewachen ihre Entführer sie mit Messern und Macheten und …«

»Aber sie darf ihrer Freundin schreiben?« Holly runzelte die Stirn.

»Äh …«

»Das macht keinen Sinn, Lexi. Als Erstes würden sie ihr doch das Handy abnehmen.«

Da war natürlich was dran. »Vielleicht wollen sie uns mit Opis Nachricht ebenfalls in die Falle locken«, überlegte ich. »Vielleicht ist es ein Mädchenhändlerring und wir werden alle …«

»Lexi!«, rief Holly streng.

»Was?«

»Deine Fantasie geht mal wieder mit dir durch.«

»Oh.« Ich biss mir auf die Lippe. »Aber wir müssen trotzdem was unternehmen. Komm mit!«

»Wohin denn? Wir wissen doch gar nicht, wo sie ist.«

Ich hatte Opi schon geschrieben:

Wo bist du? Was ist los?

Aber meine Nachricht war immer noch nicht angekommen. Vermutlich schlechter Empfang. Oder sie hatten ihr jetzt doch das Handy abgenommen!

»Warte mal«, sagte Holly auf einmal und prüfte das Selfie von Ophelia. »Ich glaub, ich weiß, wo sie ist. Dieses verrückte Känguru.«

Holly zog mich mit sich hinter das Lagerhaus, das zur Schulgärtnerei gehört. Da hatte sie vor Kurzem einen riesigen, ausgehöhlten Baumstamm liegen sehen. Als sie das sagte, hatte ich Ophelias Umgebung auf dem Foto auch erkannt. Das war kein Tunnel, das war Holz! Sie war vermutlich in den hohlen Baum geklettert, um sich vor den Entführern zu verstecken. Sie hat ja nicht ahnen können, dass sie damit in der Falle sitzt. Denn dieser Baumstamm wird gerade mit einem Minikranarm an Ketten auf einen Pritschenwagen geladen! Er schwankt dabei hin und her wie eine Schiffschaukel.

Ich schreibe alles mit, damit wir nachher bei der Polizei ein genaues Protokoll abliefern können.

»Da ist Ophelia!«, ruft Holly leise.

Tatsächlich. Als der Baumstamm sich dreht, sehen wir sie in der Röhre. Sie guckt erschrocken wie ein Hamster, der sich in einem Laufrad festgeklemmt hat. Als der Stamm sich weiterdreht, zeigt sich noch etwas. Darauf ist in dicken weißen Buchstaben gepinselt: Nieder mit dem Kapital!

»Die Entführer sind Linksradikale«, haucht Holly erschrocken. »›Die machen immer Ärger‹, sagt mein Vater.«

»Und jetzt haben sie Opi in ihrer Gewalt«, jammere ich. »Was sollen wir denn jetzt tun?«

Oh, da kommt noch so ein ULTIMATIV -Typ. Was? Das ist Milan, der Sohn des Gärtners von Sandsgarden, der auch Gärtner ist. Er steckt mit ihnen unter einer Decke!

»Los, Zugriff«, sagt Holly plötzlich.

Liebe ist die Hölle mit schöner Aussicht.

Ich könnte mich wirklich ohrfeigen, dass ich es so weit habe kommen lassen. Nicht mal drei Monate bin ich auf diesem Eliteinternat und schon stehe ich kurz davor, rauszufliegen.Meine komplette Zukunft setze ich gerade aufs Spiel!

Und das liegt nicht daran, dass ich im Unterricht nicht mitkomme oder mich mit meinen Mitbewohnerinnen verkracht hätte. Sondern daran, dass ich gegen mein wichtigstes Prinzip verstoßen habe: mich niemals zu verlieben. Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte. Wie kann es sein, dass man etwas so sehr nicht will und es trotzdem macht?

Aber was das Schlimmste daran ist: Ich fühle mich großartig. Seit wir uns geküsst haben. (Was ich natürlich auch nicht wollte, aber leider eben auch sehr schön fand.) Es ist gestern auf der Halloweenparty passiert, die am Seeufer stattgefunden hat. Als ich zurück ins Schloss gehen wollte, ist Arjen mir auf dem schmalen Pfad durch das Schilf entgegengekommen, wo ich ihm nicht ausweichen konnte. Natürlich habe ich diese seltsame Anziehungskraft bemerkt, die es von Anfang an zwischen uns gab. Aber ich hatte niemals damit gerechnet, dass tatsächlich etwas passieren könnte zwischen uns. Er hat ja auch schon eine Freundin. Ich bin ihm deswegen immer schön aus dem Weg gegangen. Und dann bin ich ihm an Halloween ausgerechnet auf diesem Trampelpfad in die Arme gelaufen, wo es kein Entkommen gab. Es war dunkel, nur die Sterne leuchteten über uns. Die Stimmen der anderen waren weit entfernt, niemand konnte uns beobachten, wir waren ganz alleine auf der Welt. So fühlte es sich jedenfalls an. Vermutlich hat sich deshalb mein Alarmsystem vorübergehend ausgeschaltet, das mich sonst vor Gefahren warnt. Als er sich mir näherte, war ich wie eingefroren. Ich sah seinen ernsten Blick, den Mund, der immer ein wenig schief lächelt, und die Trainingsjacke, die er mir geliehen hatte, nachdem er mich aus dem See gerettet hatte (was ich auch nicht gewollt hatte!). Eine riesige Energiewelle jagte durch meinen Körper und die hat wohl einen weiterenKurzschlussausgelöst. Jedenfalls habe ich zugelassen, dass er mich küsst. Und ich habe ihn auch geküsst. Und vermutlich ist mir dabei der Rest an Sicherungen durchgebrannt.

Seitdem kann ich an nichts anderes mehr denken als an Arjen. Oder wie meine Mitbewohnerinnen ihn nennen: Arjen Dewitz, zukünftiger Graf von Hagebronn. Immer wieder habe ich seinen Duft in der Nase, nach gerösteten Esskastanien und Mandarinen. Ich hatte Schwierigkeiten, mich heute auf den Unterricht zu konzentrieren. Ich habe keine Lust, am Nachmittag zu lernen. Wenn das so weitergeht, kann ich es vergessen, unter die Jahrgangsbesten zu kommen. Was bedeuten würde, dass mein Stipendium von der Iris-Mecklenburg-Stiftung nicht verlängert würde. Das wäre natürlich Katastrophe. Denn die Schulgebühren hier könnte ich mir niemals leisten!

Dass Verlieben gefährlich ist, habe ich gewusst. Nicht geahnt habe ich, wie viel Zeit es in Anspruch nimmt, sich nach jemandem zu sehnen. Und wie leicht es peinlich werden kann.

Aber das Schlimmste ist, dass ich keinerlei Bedürfnis verspüre, dagegen anzukämpfen.ICH WILL GAR NICHT VERNÜNFTIG SEIN.

Das sieht mir überhaupt nicht ähnlich. Vernunft ist eigentlich mein zweiter Vorname.

Immerhin kann ich noch Tätigkeiten nachgehen, die kein großes Nachdenken erfordern. So wie heute in der Bücherei.

Ich saß hinter dem Tresen und erledigte meinen Job. Ich hatte bereits die Ausleihfristen kontrolliert und drei Mahnungen verschickt, Bücher einsortiert und zwei neue Nachschlagwerke in Folie eingebunden. Für die Schüler, die in die Bücherei kamen, wirkte ich vermutlich wie immer. Doch das Interessante am Verliebtsein ist, wie man sich innerlich zweiteilt. Nach außen macht man, was man immer macht. Aufstehen, anziehen, frühstücken, im Unterricht sitzen, zum Training gehen, arbeiten, essen, schlafen. Ganz normal eben.

Doch währenddessen ist man die ganze Zeit mit Verliebtsein beschäftigt. Ständig habe ich sein Gesicht vor Augen. Seine störrischen Augenbrauen, die Falte in seinen Wangen, die sein Lächeln einrahmt, das mittelblonde Haar mit dem Scheitel, der eigentlich spießig sein könnte, bei ihm aber cool aussieht. Selbst wenn ich nicht an ihn denke, denke ich an ihn. Auch ohne nach ihm zu suchen, halte ich nach ihm Ausschau. Ich weiß, klingtbescheuert, ist aber so. Ob ich durch die Schule gehe oder in einem der Regale in der Bibliothek Bücher einsortiere – ich bin mir bewusst, dass er jederzeit um die Ecke kommen könnte. Und wenn ich mir vorstelle, wie es wäre, ihn zu sehen, jetzt, hier, in diesem Moment, fängt mein ganzer Körper an zu summen. Meine Nervenbahnen stehen so unterS T R O M,dass ein Funken reichen würde, um sie in Brand zu stecken. Schrecklich. Und schön. Wie ich schon sagte: Hölle mit Panoramablick aufs Paradies.

Seit einer halben Stunde waren keine Leute mehr in die Bücherei gekommen. Alles war ruhig. Ich hatte noch eine Stunde Dienst. Die perfekte Gelegenheit, selbst zu lernen. Ich schlug das Französischbuch auf. »Das Passé composé entspricht dem deutschen Perfekt«, las ich, dann verschwammen die Buchstaben und Arjens Gesicht tauchte auf. Ich brauchte einen Moment, um den kurzen Tagtraum zu verdrängen und mich wieder auf mein Buch zu konzentrieren. Gerade dachte ich erleichtert, ich würde ein bisschen vorankommen, da ging die Tür auf. Unwillkürlich drehte sich mein Kopf. Und er war es tatsächlich.Arjen.Ich hielt den Atem an, mein Herz schlug schneller.

Er schlenderte auf mich zu, dunkelgrauer Pullover mit V-Ausschnitt, schmale Hose, weiße Sneaker. Lässig, elegant, selbstbewusst. Ganz der Schüler eines Eliteinternats, ein Mitglied der High Society.

»Hi«, sagte er und beugte sich über den Tresen.

Lexi mit ihrer Schwäche für seichte Liebesromane hat mal gesagt, seine Augen schimmern dunkelblau wie der Ozean am Abend. Ich kann ihr in dem Punkt nicht widersprechen.

»Hi«, antwortete ich und war froh, dass mir die Grundzüge der Kommunikation nicht abhandengekommen waren. »Und? Wie geht’s?«

»Gut. Für jemanden, dessen Welt auf den Kopf gestellt wurde.« Er schaute mich so intensiv an, dass ich erschauderte.

»Bücher über die Weltordnung findest du im Gang mit der Gesellschaftspolitik«, sagte ich.

Er lachte. »Ich glaub nicht, dass mir Bücher über transatlantische Beziehungen weiterhelfen können, aber ich kann es ja mal versuchen.«

»Von den Autoren, die dort vertreten sind, hat aber keiner ein tragisches Ende genommen«, warnte ich ihn schmunzelnd. Damit spielte ich auf seine Vorliebe für Schriftsteller an, die sich das Leben genommen haben oder auf andere Art und Weise eines unnatürlichen Todes gestorben sind.

»Wer sich mit der großen Weltpolitik befasst, führt meiner Meinung nach automatisch ein tragisches Leben«, antwortete er und zog sein Handy aus der Hosentasche. »Abgesehen davon, würde es meine Welt schon einigermaßen wiederherstellen, wenn ich endlich deine Nummer bekommen könnte.«

Dieser Blick. Diese Stimme. Wie eine geheime Superkraft.

Mein Blick wanderte auf mein Französischbuch und ich las:

J’ai échoué. Ich habe versagt. Ich bin durchgefallen. Ich habe dich enttäuscht.

Ein Funken Vernunft blitzte in mir auf. Vernunft ist das Gegenmittel gegen dumme Entscheidungen. Ich will nicht die fiese Chloé van Cleef herausfordern, mit der er zusammen ist. Ich will mich nur auf mein Ziel konzentrieren, bis zum Abitur auf Sandsgarden zu bleiben. Ich muss mich von ihm fernhalten. Sonst würde dasTOTALE CHAOSausbrechen. Mit dem letzten bisschen gesunden Menschenverstand, das ich aufbringen konnte, log ich: »Die weiß ich nicht auswendig. Und mein Akku ist alle.«

»Okay, dann gib mir deine Hand«, sagte er. Als ich zögerte, lachte er wieder. »Keine Sorge, ich will nicht um sie anhalten.«

»Haha«, machte ich und streckte ihm meinen Arm entgegen. Er schob den Ärmel meines Pullis ein Stück hoch, griff sich den Kuli vom Tresen und schrieb seine Telefonnummer auf meine Haut. Er malte die Zahlen langsam und ordentlich, fast zärtlich, und hielt währenddessen mit der anderen Hand meine Finger.Elektrische Stromstößerasten durch meinen Körper.

»So«, sagte er, als er fertig war. »Ruf mich an. Schreib mir. Schick mir Backrezepte und Links von lustigen Hundeclips.«

»Auch Katzen?«, fragte ich.

»Nein. Meerschweinchen, Hamster, Kaninchen gerne. Aber Katzen, die Klavier spielen oder Klorollen abrollen, nein danke.« Sein Handy brummte, er schaute kurz drauf. »Bis bald, okay?«

Ich biss mir auf die Lippe und nickte. Er lächelte mich noch einmal an, drehte sich um und spazierte durch die doppelflügelige Tür der Bibliothek. Eine halbe Stunde später stellte ich fest, dass ich immer noch keinen klaren Gedanken fassen konnte und selig vor mich hin grinste.

Verliebt sein ist vermutlich die Dummheit, die am meisten Spaß macht.Kein Wunder, dass es so populär ist.

Immer noch Mittwoch, 1. November

Stolz kann ich verkünden, dass das erste Beklopptenverdienstkreuz des Monats an die liebe Ophelia geht. Obwohl ich in diesem Schuljahr auch schon einige peinliche Sachen veranstaltet habe, ist ihr heutiger Auftritt wirklich kaum zu toppen. Da sind Holly und ich uns einig. Wir kicherten immer noch, während wir eben in unser Apartment getaumelt sind, die seekranke Opi in unserer Mitte.

»Der Boden schwankt unter meinen Füßen«, hat sie gesagt. »Entweder kommt das noch von der Baumstammschaukel oder von Milan.«

Der Gärtner hat Opi nach ihrer Befreiung aus dem Baumstamm gezogen und von der Ladefläche gehoben.

Es hat sich nämlich keineswegs um einen Entführungsversuch gehandelt, sondern um eine Verkettung idiotischer Ideen und seltsamer Zufälle. Also fast ein ganz normaler Vorgang für die Mädchen aus Apartment 212. Ich sag nur: aus Tradition chaotisch! Aber der Reihe nach. Wir wussten schon immer, dass Opi ein unterentwickeltes räumliches Vorstellungsvermögen hat. Zum Beispiel nimmt sie sich eine große Schüssel anstatt ein normales Müsli-Schälchen und wundert sich, dass sie ihre Portion Schokopops nicht auffuttern kann.

»Ich esse wie ein Spatz«, hat sie beim ersten Mal erstaunt festgestellt.

Erst als Holly und ich vor Lachen zusammengebrochen sind, hat sie kapiert, wo das Problem lag. In Geometrie ist sie bekanntermaßen auch ein hoffnungsloser Fall. Aber wie sie auf die Idee gekommen ist, freiwillig in den hohlen Baumstamm zu klettern, ist uns nach wie vor ein Rätsel. »Irgendwie sah das von außen gemütlich aus«, hat sie uns erklärt, als sie in einem weißen, kuscheligen Bademantel und rosafarbenen Pantoffeln aus der Dusche kam. »Ich dachte, ich könnte da schön drinliegen und Milan beobachten.«

»Opi«, sagte ich gedehnt. »Es war ein hohler Baumstamm.«

»Genau!«, schwärmte Opi. »Sehr romantisch!«

»Das finden Käfer und Holzwürmer auch«, sagte Holly.

Mich schüttelte es bei dem Gedanken, in einer Röhre aus moderndem Holz zu stecken.

Aber Opi war schon wieder in Diadem-Stimmung und trug zu ihrem flauschigen Bademantel ihren diamantenverzierten Haarreif. »Seht ihr?«, strahlte sie. »Daran sieht man doch, dass Milan und ich sehr gut zusammenpassen. Ich bin auch naturverbunden.« Sie rückte ihren funkelnden Kopfschmuck zurecht.

Holly und ich wechselten einen Blick. Wie sich herausgestellt hat, sind Milan und seine zwei Freunde keine Entführer, sondern Mitglieder der Aktivistengruppe ULTIMATIV, die für eine gerechtere Weltordnung und die Umverteilung des Kapitals kämpft. Oder so ähnlich. Der Baumstamm sollte die Tür eines Wirtschaftsbossetreffens blockieren. Wie wir erfuhren, nachdem wir auf sie zugestürmt waren.

»Lasst sie sofort frei, ihr Gangster!«, schrie Holly dramatisch.

»Genau«, rief ich. »Lasst unsere Freundin frei, Milan und … äh … ihr anderen!«

»Was?«, fragte Milan und guckte griesgrämig. Wobei das sein normaler Blick ist. Mit seinem dunkelblonden Zottelhaar, den martialischen Tätowierungen auf den Armen und seiner grimmigen Miene sieht er generell wenig kontaktfreudig aus. Und auch älter, als er mit seinen achtzehn Jahren ist. Er hatte wie immer Cargoshorts an, dazu klobige, matschverschmierte Schuhe und eine schwarze Fleecejacke, die auch schon bessere Zeiten gesehen hat. Er funkelte uns finster an. Logisch – wir hatten ihn schließlich bei einem schweren Verbrechen ertappt. Wovon Milan aber nichts wissen wollte.

»Wovon redet ihr?«, rief er gegen den Lärm des Pritschenwagen-Krans an. Seine kriminellen Kumpels setzten den Verladevorgang ungerührt fort.

»Ophelia ist dadrin!«, rief Holly und deutete auf den Baumstamm, der über der Ladefläche baumelte.

»Hä?« Milan kratzte sich an seinem unrasierten Kinn.

»Ophelia. Unsere Freundin!«, schrie Holly wieder. »Sie ist in dem Baumstamm!«

Obwohl Milan offensichtlich Schwierigkeiten hatte, den Satz zu verstehen, gab er seinem Kumpel am Kran ein Zeichen, dass er stoppen sollte. Milan musterte uns, als wollte er einen Status unserer geistigen Verfassung erstellen. »Eure Freundin Ophelia befindet sich in diesem Baumstamm, habe ich das richtig verstanden?«, fragte er.

»Ja«, sagte ich kämpferisch. »Lasst sie runter.«

»Aber was … na egal.« Er wandte sich an seine Kumpels. »Wir haben einen blinden Passagier!«

Auch die anderen beiden schüttelten die Köpfe. Immerhin gaben die drei sich Mühe, Ophelia heil runterzubefördern. Vorsichtig ließ der eine den Baumstamm auf die Ladefläche. Mit zwei großen Schritten erklomm Milan den Pritschenwagen und befreite Ophelia aus ihrem engen Gefängnis. In ihrem schwarzen Haar hatten sich einige Splitter verfangen, ihre Hose war moosverschmiert, aber sie war unversehrt.

»Danke«, hauchte sie, als Milan sie kurz darauf mit Leichtigkeit von der Ladefläche herunterhob.

Er schien nicht zu bemerken, dass er gerade massiv angehimmelt wurde. »Was für eine Schwachsinnsidee«, schnauzte er Ophelia an.

»Manchmal sind Schwachsinnsideen die besten«, seufzte Ophelia ergriffen.

Ein hübscher Spruch für jeden Schülerkalender. Aber bei unserem grimmigen Gärtner machte er keinen Eindruck.

»Wir haben hier Besseres zu tun!«, brummte er. Und als Ophelia ihn fragte, was sie denn genau zu tun hätten, fasste er kurz die Pläne von ULTIMATIV für das Treffen der Wirtschaftsbosse zusammen. »Aber das verstehen so … Leute wie ihr wohl nicht«, sagte er mit verächtlichem Blick, murmelte noch was von goldenen Löffeln und dem Teufel, der immer auf den dicksten Haufen scheißt. Dann scheuchte er uns davon.

Ich bin nur froh, dass ich ausnahmsweise mal nicht im Mittelpunkt des Chaos gestanden habe. Holly und mich hat der Vorfall jedenfalls noch einmal bestärkt, uns von allem Stress mit Jungs fernzuhalten. Es reicht schon, dass Ophelia einen revolutionären Gärtner anschmachtet und ich morgen Nachmittag ein Treffen mit Jack in der Redaktion habe und vorher mit der ganzen Klasse schwimmen gehen muss.

Er hat mich nach meiner Nummer gefragt! Er. Mich. Nach. Meiner. Nummer.

In meinem Kopf schien nur noch Platz für diesen einen Satz zu sein. Obwohl ich sie ihm nicht gegeben hatte, fand ich das unglaublich toll. Arjen hat mich nach meiner Nummer gefragt. Was, wenn er tatsächlich auch in mich verliebt ist? Was, wenn er mit Chloé Schluss macht? Für mich! Was, wenn wir wirklich zusammenkommen? So richtig und ganz offiziell!

Mir blieb fast die Luft weg bei dieser Vorstellung. Dann schaffte ich es, einen Augenblick vernünftig nachzudenken. Das würde natürlich eine Fantasie bleiben. Ich meine, er ist der Grafensohn. Und ich die»Stipendiatin aus prekären Verhältnissen«,wie Buzz XX das ausgedrückt hatte. Arjens Freundin dagegen stammt aus ebenso reichem Haus wie er. Chloé und Arjen, dasT R A U M P A A Rvon Sandsgarden. Er ist vergeben. Und ich will von der Liebe eigentlich nichts wissen und mich nur auf meine Noten konzentrieren. Das kann doch nichts werden.

Aber was, wenn doch?

So kreisten meine Gedanken immer weiter.

Ich war fast froh, dass heute im Schwimmbad etwas passiert ist, das mich zumindest vorübergehend von meiner Arjen-Besessenheit abgelenkt hat. Ich habe nämlich ein neues Problem, das mirKopfzerbrechenbereitet. Und damit meine ich nicht meine Kraulkünste, die trotz meiner Übungssessions im See und im Schwimmbad der Grafenfamilie immer noch ziemlich bescheiden sind. Ich bin nämlich nicht die Einzige mit Nachholbedarf, wie ich heute im Sportunterricht mit Erleichterung festgestellt habe. Frau Gernoth wusste gar nicht, wen sie zuerst anmotzen sollte, so entsetzt war sie über unsere mangelhafte Schwimmtechnik. Zum Glück war Mr Walsh dabei, ein Lehramtsstudent für Sport und Englisch aus Irland, der in Sandsgarden ein Praktikum macht. Er kann auf nette Art gute Tipps geben. Mr Walsh ist erst 22 und es fühlt sich komisch an, ihn zu siezen und Mr Walsh zu nennen, wie Frau Gernoth ihn eingeführt hat. Er selbst hat sich mit Patrick vorgestellt. Er hat lange Haare, die er zu einem Pferdeschwanz bindet, und ein großes Tigertattoo auf der Schulter, das aus seinem ärmellosen Shirt rausguckte. Dazu trug er knallrote Shorts und Flip-Flops, in denen er am Beckenrand auf und ab schlenderte, als gehörte er zurB A Y W A T C H - C R E Wan einem kalifornischen Strand.

Holly meinte, es müsste verboten sein, dass Lehrer so attraktiv sind. Opi korrigierte, er wäre ja kein Lehrer, also dürfe er auch gut aussehen. Lexi überlegte, wie viele Schülerinnen wohl in ihn verknallt wären.

Mindestens eine, das wusste ich mit Sicherheit.

Denn ich hatte vor ein paar Wochen bei meinem Schwimmtraining im See eine brisante Beobachtung gemacht. Während ich im Wasser rumpaddelte, war Mr Walsh an dem kleinen Strand unter der Trauerweide aufgetaucht – mit einer Schülerin. Genauer gesagt, mit Becca Khair aus der Elf. Sie gehört zu den Tiffanys, wie die vier »Schönen und Reichen« Chloé van Cleef, Nike Pelletier, Darleen York und eben Becca Khair in der Schule genannt werden. Becca und Mr Walsh hattenheftig rumgeknutscht,weswegen ich mich schnell verdrückt hatte, indem ich zum Steg geschwommen war. Ich war froh gewesen, dass die beiden mich nicht bemerkt hatten. Als ich damals zum Strand zurückgegangen war, um meine Sachen zu holen, waren sie längst weg gewesen. Ich hatte zwar das Gefühl gehabt, dass der Beutel mit meinen Wechselklamotten durchwühlt worden war. Aber darin war nichts gewesen, was mich hätte verraten können. Bei der Halloweenparty hatte ich dann die Tigertätowierung wiedererkannt und gecheckt, dass Beccas Freund eben kein Schüler war, sondern zur Lehrerschaft gehörte. Was ich natürlich für mich behalten hatte. Niemand ahnte, dass ich ihrGeheimniskannte. Bis heute.

Als unser Unterricht beendet war, kamen die Mädchen aus der elften Klasse rein, die nach uns Schwimmen hatten. Ich ging gerade zu der Bank, wo mein Handtuch lag, als Chloé in einem Kirschblüten-Kimono in die Halle kam. Natürlich wollte ich ihr aus dem Weg gehen. Wir waren schon einmal aneinandergeraten wegen Arjen und ich wollte keinen Ärger haben. Das würde noch früh genug kommen, wenn sie erfahren würde, dass wir uns geküsst hatten. Ich ging davon aus, dass sie es noch nicht wusste, sonst hätte sie vermutlich versucht, mich im Schwimmbecken zu ersäufen.

Ich wickelte mein Handtuch um mich, schlüpfte in meine Badelatschen und versuchte, mich unauffällig in die Dusche zu verdrücken. Doch als Chloé mich bemerkte, hielt sie direkt auf mich zu. Auch wenn ich gute Lust gehabt hätte, es auf eine Auseinandersetzung ankommen zu lassen, blieb ich meinem Motto treu: aus dem Weg gehen, die Straßenseite wechseln,Stress vermeiden. Ich wich also aus und wäre deswegen beinahe mit Becca zusammengestoßen, die mit Nike Pelletier aus der Dusche kam. Im letzten Moment bremste ich ab. Becca, in einem petrolfarbenen Schwimmanzug und mit einer eleganten schwarzen Badehaube, musterte mich. Ihr Markenzeichen war ein hochgezogener Lidstrich im Retrolook, der ihre dunklen Augen noch größer erscheinen ließ. Zusammen mit der turbanartigen Badehaube sah sie ein bisschen aus wie Kleopatra, die ägyptische Königin. Abfällig ließ sie den Blick über mich wandern. Und blieb an meinen Badelatschen hängen. Die hat mir meine beste Freundin Trix mal geschenkt. Es sind Kinderbadelatschen in Größe 38 mit Dackeln drauf.

Und da fiel es mir ein: Diese Latschen hatte ich damals am Seeufer stehen lassen, als Becca und Mr Walsh dort zugange gewesen waren! Ich hatte den Beutel mit den Wechselklamotten daraufgelegt. Und wenn Becca die Sachen gesehen hatte, hatte sie auch die Latschen gesehen.

Und in den wenigen Sekunden, in denen wir uns heute im Schwimmbad gegenüberstanden, fügten sich die Puzzleteile zusammen. Becca sah von meinen Dackel-Badelatschen in meine Augen, erst verblüfft, dann finster. Ich versuchte, so neutral wie möglich zu gucken. Aber es war bereits geschehen: Sie hatte kapiert, dass ich es war, die an jenem Tag am Seeufer gewesen war. Sie wusste, dass ich Bescheid weiß. Und ich wusste, dass sie wusste, dass ich Bescheid weiß. Ihr Blick bekam so etwasS T E C H E N D E S, dass mir tatsächlich ein bisschen mulmig wurde. Jetzt habe ich nicht nur Chloé als Feindin, sondern auch noch Becca.

Donnerstag, 2. November

Ich kann mir gut vorstellen, dass der eine oder andere überlegt, mir das zweite Beklopptenverdienstkreuz des Monats zu verleihen. Zugegebenermaßen kann heute der Eindruck entstanden sein, dass ich mich intensiv darum bewerbe. Aber ich möchte sofort den Gegenbeweis antreten. Es war kein bisschen bekloppt, sondern einfach nur ein Missverständnis. Also, ein dreifaches, um genau zu sein. (Und damit eigentlich normales Lexi’s Law. Denn wie heißt es in § 1: Immer, wenn du denkst, es kommt nicht schlimmer, frag mal Lexi Glimmer.)

Hier also die offizielle Richtigstellung:

1.Vor der ersten Unterrichtsstunde heute Morgen war ich KEIN »Arsch-Torpedo«, wie spöttische Zungen behaupten, sondern hab nur den fliegenden Sprintstart geübt. Dass ich dabei gegen Luanas Hinterteil geknallt bin, war reiner Zufall. (Oder zumindest keine Absicht.)

2.Es stimmt nicht, dass mich Mr Walsh beim Schwimmen vor »suizidalem Leichtsinn« retten musste. Ich habe mich einfach nur eine Weile unter Wasser von einer Begegnung erholen müssen, die mich massiv schockiert hat. Und das will was heißen. Schließlich bin ich beim Schnorcheln in Dschibuti schon mal einem Walhai begegnet.

3.Ich weiß natürlich, dass das Leitergestell auf dem Trimmpfad kein Klettergerüst ist, sondern ein Gerät zum Hangeln. Ich hätte auch hangeln geübt, aber erstens kann ich das nicht und zweitens hätte ich dabei nicht sehen können, was auf dem Parkplatz abgeht. Und das war wirklich wichtig. (Glaub ich jedenfalls. Wenn ich rausgefunden hab, was da eigentlich genau abgegangen ist, weiß ich es hoffentlich sicher.)

So. Und falls das noch nicht überzeugend genug war, füge ich hier noch das Wichtigste hinzu:

JACK SAINSBURY IST SOWIESO AN ALLEM SCHULD.

Seit der Halloweenparty habe ich ihn nur im Unterricht gesehen, aber da haben wir nicht geredet. Er hat mir nur so komisch zugenickt, als wäre ich eine entfernte Cousine, der man besser nicht zu nahe kommt, weil sie nach Zwiebelsuppe riecht. Nichts mehr mit »Hey, Kiddo« und einer komplizierten Handschlagchoreografie zur Begrüßung. Sogar der Jack-Sainsbury-Fanclub, bestehend aus Brigitta, Annabelle und Rose, hat mich nicht mehr auf dem Kieker. Dafür beäugen sie Luana jetzt umso kritischer, weil Jack sich mit ihr ja ach so blendend versteht.

Heute Morgen vor der ersten Stunde haben wir im Flur auf unsere Deutschlehrerin gewartet. Ich stand mit Tessa und Constanze in angemessener Entfernung zum Klassenraum rum. Nichts ist peinlicher als die Leute, die direkt vor der Tür lauern und sich mit dem Lehrer in die Klasse drängen. So wie Luana, möchte ich hier mal anmerken. Sie lehnte quasi eine Armlänge von der Tür an der Wand. Sie tat zwar auch cool, war sie aber nicht. (Zehn Meter Abstand zum Klassenraum sind das Minimum für Coolness, besser sind fünfzehn. Haben Holly und ich gemessen. Auf dieser Strecke kann man wirklich lässig schlendern und sieht nicht aus wie ein Fünftklässler, der es nicht erwarten kann, in den Unterricht zu galoppieren.)

Jack bog um die Ecke und steuerte direkt auf Streber-Poleposition-Luana zu. Luana grinste ihn an und warf ihre wahnsinnslangen Braids über die Schulter. (Extensions, sagt Zeynep.) Jack trug eines seiner cooleren nicht ganz so beknackten Hemden: das schwarze mit den einzelnen weißen Hibiskusblüten. Seine dunkelbraunen Haare waren wie immer nach oben gegelt, sodass sie eine Tolle bildeten. Wobei er unordentlicher frisiert war als sonst. Was irgendwie cool … besser … weniger bescheuert aussah. Obwohl er mich im Vorbeigehen ansah, sagte er kein Wort. Er grinste mich nicht mal an. Sein Lächeln galt Luana. Die ihn ebenfalls anlächelte. Was ich heimlich beobachtete, während ich mich mit Constanze und Tessa über den Deutschaufsatz unterhielt, in dem wir die Frage erörtern sollten, ob der schnüffelnde Mörder in Das Parfum ein Genie ist oder nicht. Tessa erzählte was über die Textanalyse mithilfe des interpretatorischen Dreischritts, was für mich ein ähnlich interessantes Schlagwort ist wie Hypotenuse,Bauchmuskeltraining oder Weizenkleie. Kein Wunder also, dass meine Aufmerksamkeit zu Jack und Luana wanderte, die sich anscheinend viel zu erzählen hatten. Auf einmal fragte ich mich, ob er sie auch Kiddo nennt wie anfangs mich. Was im Übrigen eine seiner nervigsten Angewohnheiten ist. Oder hat er etwa einen anderen Spitznamen für sie? Ich rückte etwas näher zu Luana und Jack. Tuschel, tuschel, kicher, kicher. Mehr konnte ich nicht verstehen. Luana schien mitzubekommen, dass ich sie beobachtete, und stellte sich mit dem Rücken zu mir. Pah! Da ich das Gespräch mit Constanze und Tessa natürlich nicht verlassen wollte, verlagerte ich das Gewicht immer mehr auf das linke Bein, um vielleicht doch etwas von der Unterhaltung der beiden Turteltauben aufzuschnappen.

»… oder, Lexi?«, fragte Tessa in dem Moment und da verlor ich die Balance, weil ich mich etwas zu weit rübergelehnt hatte. Mit rudernden Armen versuchte ich, mich abzufangen, aber es war zu spät. Ich würde voll auf die Nase fallen. Das Einzige, was mich retten konnte, war ein fliegender Start. Wie ein Düsenjet bei einer vermasselten Landung, der noch mal neu ansetzen muss. Mit schnellen Trippelschritten versuchte ich, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Wobei ich Kopf voran den Flur entlangraste, Richtung Klassenraum. Ich hatte noch nicht ganz die Reiseflughöhe erreicht, da war ein Hindernis im Weg, dem ich wegen meines Raketenantriebs nicht mehr ausweichen konnte. Und so knallte ich gegen Luana. Genauer gesagt, gegen ihr Hinterteil. Mit dem Kopf.

Während um mich herum alles in Lachen ausbrach, fiel Luana mit einem entzückenden kleinen Aufschrei nach vorne und landete geradewegs in Jacks Armen. »Hoppla«, sagte Jack und fing sie auf. »Immer diese Mädchen, die sich mir in die Arme werfen.« Er zwinkerte mir über Luanas Schulter spöttisch zu, während ich mich aufrappelte. Luana kicherte.

Ich räusperte mich. »Ich hab nur den Start geübt. Weil ich demnächst den Hürdenweltrekord brechen werde«, sagte ich so würdevoll wie möglich zu Jack.

»Frau Gernoth wäre stolz auf dich«, entgegnete er.

»Das wäre sie. In der Tat.« Ich überlegte, ob ich noch irgendetwas Schlaues hinzufügen konnte, aber ich war voll und ganz damit beschäftigt, die Farbe in meinem Gesicht nicht auf Alarmstufe Rot 9000 anschwellen zu lassen. Außerdem war Jack schon wieder abgelenkt und schaute an mir vorbei. Er guckte nicht Luana an, sondern Frau Beck, die gerade kam und die Tür aufschloss.

»Guten Morgen, Frau Beck«, grüßte Jack sie übertrieben freundlich und da hatte ich aber wirklich genug von ihm und seinem dauernden Geflirte, das nicht mal vor Lehrerinnen haltmacht. Der Junge ist echt völlig außer Rand und Band!

Jack sagte noch irgendwas zu unserer Lehrerin, aber ich beeilte mich, als Erste in den Klassenraum zu kommen, um den Kommentaren zu entgehen, die hinter mir herschwirrten.

Arschtorpedo. Arschflugkörper. Popopistolengeschoss – um nur mal einige zu nennen.

Peinlich. Peinlicher. Lexi!

Insofern war der kleine Zwischenfall im Schwimmunterricht danach eigentlich gut. Denn damit geriet mein Auftritt vom Morgen schon wieder in Vergessenheit. Ganz nach Lexi’s Law § 2: Aus jeder peinlichen Lage hilft dir die nächste Blamage.

Oh, da kommt Holly mit der Pizza. Abendessen!

Immer noch Donnerstag, 2. November

Pizza war lecker. Hab ein bisschen zu viel gegessen, sodass ich nicht auf dem Bauch liegen kann. Sitze deswegen am Schreibtisch neben meinem Bett und schreibe noch den Rest dieses Tages auf.

Erst mal die Sache im Schwimmunterricht. Dazu muss ich sagen: Ich bin keine Sportskanone, aber ich kann wirklich gut schwimmen. Als mich meine diplomatische Karriere mit neun Jahren nach Dschibuti geführt hat, war der Pool im Garten mein wichtigster Spielplatz. Ich sprang und schwamm und tauchte, allein oder mit Freundinnen. Am Wochenende fuhren wir oft an den Strand, wo ich beim Schnorcheln die Fische beobachtete. Einmal habe ich eine wunderschöne Muschel unter Wasser entdeckt und bin runtergetaucht. Als ich wieder hochkam, war meine Mutter total gestresst, weil ich so lange weg war. Sie hatte schon gedacht, mir wäre was passiert. Wie sich damals herausgestellt hat, kann ich ziemlich lang die Luft anhalten.

Was mir heute im Schwimmunterricht zum Verhängnis geworden ist. Frau Gernoth überprüfte von jedem einzelnen die Kraultechnik. Währenddessen durften die anderen tauchen. (Die meisten hingen aber lieber am Beckenrand, um zu quatschen.)

Der Praktikant Mr Walsh hatte Ringe im tiefen Becken verteilt und ich fand es toll, sie hochzuholen. Und der Finkman offensichtlich auch. Der Finkman ist ein großer, schlaksiger Junge namens Bertram Fink, der passend zu seinem Namen mit Fachwissen über die Vogelwelt und Begeisterung für Präsentationen auffällt. Wenn es eine Ballade vorzutragen gilt, ist der Finkman am Start. Heute offenbarte er eine weitere Vorliebe, nämlich das Tauchen. Erstaunlicherweise scheint er im Wasser richtig in seinem Element. Er bewegte sich viel geschmeidiger als an Land, wo seine Arme und Beine immer ein bisschen unkoordiniert schlackern, als ob sie nicht vom selben Gehirn gesteuert werden. Der Finkman schaffte ein bis zwei Ringe, während ich mit einem Atemzug drei oder vier aufsammeln konnte.

Ich bin so gerne unter Wasser! Heute hatte das dazu noch den Vorteil, dass ich dem Anblick von Jack Sainsbury entgehen konnte. Der mit seinen gestreiften Surfershorts und den nassen Haaren und vor allem ohne Hemd! Wo sonst Flamingos und Blumen und Palmen zu sehen sind, war auf einmal nur nackte Haut. Das sah so … nackt ungewohnt aus. Ich wollte da nicht hinstarren. Weswegen ich mich ausgiebig mit den Tauchringen beschäftigte. Ich war gerade wieder auf dem Weg nach unten, als ich ein Platschen bemerkte. Ich dachte, es wäre der Finkman, aber als die Luftblasen nach oben gesprudelt waren, erkannte ich, dass es Jack war. Als er auf meiner Höhe war, drehte er sich zu mir. Er ruderte mit den Armen. Die Haare schwebten wild um seinen Kopf herum. Obwohl er keine Schwimmbrille trug, hatte er die Augen offen. Er zog eine Grimasse. Vielleicht war es auch ein Lächeln. Da ich ja kurzsichtig bin und unter Wasser ohne Brille auskommen muss, konnte ich das nicht erkennen. Aber natürlich sah ich die Zeichen, die Jack mit den Händen machte. Er tippte sich mit dem Finger an die Stirn. Was in der Tauchersprache bedeutet: Denk nach! Erinnere dich! Dann legte er die Arme vor dem Oberkörper zusammen, als ob er sich selbst umarmen wollte. Bei Tauchern heißt das: Mir ist kalt.

Er nickte mir noch einmal zu und zischte wieder nach oben. Ich blieb verwirrt zurück. Kann dieser Typ sich nicht einmal wie ein normaler Mensch verhalten? Ich meine, woher soll ich wissen, ob er sich mit Tauchersprache auskennt. Vermutlich nicht. Weil, was will er mir mit Denk nach, mir ist kalt sagen?

So bekloppt, wie er ist, meinte er vermutlich: Du hast eine Schraube locker. Lass mich in Ruhe.

Oder: Sei nicht blöd. Ich bin jetzt mit Luana zusammen.

Oder auch einfach nur: Mist, jetzt ist meine Frisur kaputt.

Ja, so muss es sein. Gerade als ich das für mich herausgefunden hatte und auftauchen wollte, sprang wieder jemand rein. Diesmal war es Mr Walsh, der meinte, mich retten zu müssen. Als ich bemerkte, dass er es auf mich abgesehen hatte, wollte ich ihm mit dem Tauchzeichen »Daumen hoch« klarmachen, dass alles in Ordnung war. Aber leider kam er so schnell auf mich zugeschossen, dass ich ihm mit meinem Daumen unters Kinn stach. Mein Finger bohrte sich richtig in die weiche Haut unter seinem Kiefer. Mr Walsh glotzte mich mit schmerzverzerrtem Gesicht an, packte mich am Arm und zerrte mich nach oben. Die ganze Klasse applaudierte und johlte, als er mich an den Beckenrand schleppte.

»Safe?«, fragte er.

»Yes, Sir«, murmelte ich. »War die ganze Zeit safe.«