Glorious Heritage - Das Vermächtnis der Erde - Florian Gräfe - E-Book

Glorious Heritage - Das Vermächtnis der Erde E-Book

Florian Gräfe

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Beschreibung

Eine spannende Reise durch gefährliche Sternensysteme und ferne Galaxien... Nachdem die Menschheit den Weg zurück zur Erde verloren hatte, brachte das Denebianische Reich Ordnung ins Chaos der Kolonien und vereinte sie. Aber nach fast einem Jahrhundert friedlichen Zusammenlebens sieht sich Kanzler Henri Rousseau nun mit einem Putsch konfrontiert. Er schickt Captain Logan Masters auf eine Mission tief ins All, um jenes außerirdische Artefakt zu bergen, dessen unermessliche Energie die einzige Hoffnung des Reichs darstellt. Aber die Flotte der Putschisten ist bereits im Anflug, und die Zeit drängt. Unterdessen geraten Frachterpilotin Lexa Monroe und ihr Partner Said Aziz an eine Geheimorganisation, die uralte außerirdische Technologien beschützen will. Und auch ihr Weg führt geradewegs zum geheimnisvollen Artefakt, um das ein mörderischer Kampf entbrennt. Florian Gräfe hat mit "Glorious Heritage" und seinem Übeltäter Henri Rousseau den SAMIEL NEWCOMER AWARD gewonnen! Der SAMIEL NEWCOMER AWARD kürt den Schurken aus der Feder eines Neulings. Hier kommen alle Fans von klassischen Space Operas auf ihre Kosten!

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Florian Gräfe

Glorious Heritage

Das Vermächtnis der Erde

Knaur e-books

Über dieses Buch

Eine spannende Reise durch gefährliche Sternensysteme und ferne Galaxien!

Inhaltsübersicht

Lexa: Virgo-SystemKriegsrat: Deneb PrimeNaru: WohnungNaru: HeimwegNaru: Nächster TagNaru: Dur ScharrukinLexa: Atair-SystemMasters: Nächster MorgenRousseau: KanzleramtLexa: Zwischen Atair und SpicaMasters: Vor Alkor & MizarRousseau: Deneb PrimeLexa: Glorious HeritageNaru: Dur ScharrukinMasters: Alkor & MizarQuentin: Glorious HeritageRousseau: Deneb PrimeNaru: Dur ScharrukinLexa: Glorious HeritageMasters: Alkor & MizarGlorious Heritage: SpicaPutschisten: Deneb-SystemRousseau: Deneb PrimeLexa: Unbekanntes TrümmerfeldPutschisten: Deneb-SystemGlorious Heritage: Alkor & MizarCherubim-Flotte: Deneb PrimeLexa: Deneb PrimeMasters: Sirius-SystemPutschisten: Sirius-SystemLexa: Sirius-SystemSaid: Sirius-SystemRousseau: Sirius-SystemLexa: Sirius-System
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Lexa: Virgo-System

Said! Starte die Maschinen und löse die Andockklammern! Sie haben den Braten gerochen. Mach den Vogel startklar, los!«

Said wäre vor Schreck fast von seinem Sitz gefallen, als auf einmal sein Hand-PAD loskrächzte. Nach einem kurzen Moment der Besinnung drückte er schnell einige Schalter und hörte, wie das Schiff lebendig wurde. Noch einige weitere Eingaben, und ein dumpfes metallisches Geräusch bestätigte, dass die Andockklammern die Tianhou freigegeben hatten.

»Wir sind startbereit«, sprach er in sein Hand-PAD, das blassblau zwischen Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand schimmerte.

»Sehr gut. Ich bin gleich da«, antwortete die Stimme atemlos.

Kurze Zeit später ging ein Ruck durchs Schiff. Das muss sie sein, dachte Said. Mit einem Knopfdruck schloss er die Laderampe, drehte seinen Stuhl in Richtung Steuerung und gab Vollgas. Die Maschinen heulten auf, doch das Schiff bewegte sich nicht von der Stelle. Von hinten hörte er Stiefel über die Metallgitter stampfen.

»Was ist los, Said? Warum bewegen wir uns nicht?«

»Ich weiß es nicht. Irgendetwas hält uns fest«, sagte er, während er fieberhaft die Anzeigen studierte.

»Wir haben keine Zeit für so was. Sieh nach, was das Problem ist. Die Wachen sind gleich an der Laderampe.«

Said machte ein paar Eingaben auf dem Monitor, der über ihm hing. Die Statusanzeigen flogen nur so über den Bildschirm.

»Da!«, rief er.

»Was ist?« Lexa sah auf die Stelle des Bildschirms, die Saids Finger markierte.

»Eine der Andockklammern hat sich nicht gelöst.«

»Verflucht!« Sie machte auf dem Absatz kehrt und lief zurück auf den Gang.

»Wo willst du denn hin?«, rief er ihr verwundert nach.

»Ich werde die Klammer manuell lösen.«

Und schon war sie verschwunden.

 

Lexa rannte die engen Korridore entlang, hielt sich an Metallstreben fest, um den Schwung auszunutzen, wenn sie um die Ecke bog, und gelangte schnell zum Frachtraum. Sie warf sich auf den Boden, öffnete eine kleine metallene Luke, zog erst an einem Hebel und drehte dann einen weiteren. Sofort öffnete sich neben ihr eine Klappe, hinter der sich ein mechanisches Gelenk befand. Von der Laderampe her hörte sie Geräusche. Wenn sie sie richtig deutete, fingen die Wachen an, ein Loch in die Rampe zu schweißen. Das durfte sie auf keinen Fall zulassen, denn die Rampe war auch gleichzeitig die Ladeluke des Frachtraums. Selbst wenn die Wachen es nicht rechtzeitig schafften, sich Zugang zum Schiff zu verschaffen, würde schon das kleinste Loch in der Außenhaut den Fluchtversuch vereiteln. In Sekundenbruchteilen würde die Luft aus dem Schiff gesaugt, und sie und Said würden ersticken. Lexa fummelte vergeblich an der manuellen Steuerung der Andockklammer herum, doch es blieb keine Zeit mehr, sie auf herkömmlichem Wege zu lösen. Sie griff in die Vertiefung und riss kurzerhand die Hydraulikschläuche heraus, die mit dem Gelenk verbunden waren. Das Öl spritzte wie Blut aus einer durchtrennten Arterie und bildete eine Lache auf dem Boden des Decks. Unter dem Druckverlust ächzend, gab die Andockklammer das Schiff frei, und Lexa spürte, wie es sich rüttelnd in Bewegung setzte.

Sie rollte sich auf den Rücken, gönnte sich eine kleine Pause und atmete tief durch. Doch es war noch nicht vorbei. Sie sprang auf und lief zurück ins Cockpit. Man würde mit Sicherheit versuchen, sie und ihren Begleiter an der Flucht zu hindern.

Im Cockpit angekommen, bestätigte sich ihre Vermutung.

»Sie laden ihre Waffen«, rief Said.

»Ich kümmere mich darum. Bring du uns nur hier weg!« Sie warf sich in ihren Sitz, schnallte sich an und zog zwei Monitore von oben vor ihr Gesicht. Einer zeigte eine schematische Darstellung der Tianhou, gab ihr Informationen über die Waffensysteme und listete Schäden auf. Auf dem anderen war das Bild einer Heckkamera, es zeigte die Station, von der sie gerade flohen, und farblich hervorgehoben die Waffen und die soeben gestarteten Raketen.

»Dann wollen wir mal«, murmelte sie. Mit ein paar Eingaben fuhr sie die Waffensysteme hoch, richtete den am Heck befindlichen Punktverteidigungslaser auf die sich nähernden Raketen und zerstörte mit drei gezielten Schüssen die Ziele. Alle, wie sie dachte. Doch die Strahlung, die die Raketen bei der Explosion abgegeben hatten, verdeckte vor den Sensoren einen weiteren Flugkörper. Lexa wollte die Waffen gerade abschalten, als die Künstliche Intelligenz des Schiffs Annäherungsalarm gab. Ungläubig schnellte ihr Blick zum Monitor. Die Rakete war schon zu nah, als dass sie keinen Schaden mehr anrichten konnte, wenn sie sie zerstörte.

»Said, wir müssen schneller fliegen!«

»Tut mir leid. Die Kiste fällt so schon fast auseinander. Mehr kann ich nicht rausquetschen.«

»Dann halt dich gut fest!« Sie richtete den Verteidigungslaser auf das Ziel und drückte ab. Die Explosion erschütterte das gesamte Schiff, und sie wurden ordentlich durchgeschüttelt. Nachdem sich der Sturm gelegt hatte, schrie Said triumphierend: »Wir sind außer Waffenreichweite!«

Lexa schaltete die Waffen ab, schob die Monitore wieder nach oben und schnallte sich ab. »Gute Arbeit, Said.« Sie lächelte erleichtert.

»Du warst aber auch nicht schlecht.« Er zwinkerte ihr zu. »Aber was ist denn passiert, dass die Lunte gerochen haben?«

Lexa ließ sich in den Stuhl fallen, der ihm gegenüberstand, und berichtete. »Zu Anfang verlief alles reibungslos. Am Eingang der Station wurde der Container mit der Ladung gescannt, und ich durfte mich einer kurzen Leibesvisitation unterziehen. Danach brachten mich zwei Wachleute in einen großen, leeren Raum, in dessen Mitte lediglich ein Tisch stand, an dem so ein Typ saß. Wahrscheinlich einer ihrer Anführer. Wie auch immer. Jedenfalls bat er mich, Platz zu nehmen, und wir plauderten ein bisschen – wie man das unter Geschäftsleuten so macht. Dann ließ er den Container öffnen und besah sich den Inhalt. Ich sagte ihm, dass wir dann mit dem Geldtransfer beginnen könnten, wenn alles in Ordnung wäre. Er setzte sich wieder hin und hielt mir das Transfergerät hin. Ich schob meinen Credit-Stick rein, und die Überweisung begann. Die ganze Zeit über hantierte eine Wache mit einem Gerät an der Kiste rum. Das hätte mich von Anfang an stutzig machen sollen, denn auf einmal fing das Ding an zu piepen. Sie hatten wohl den Atomcode entdeckt. War eben markierte Ware und nicht, wie abgesprochen, ungekennzeichnete.« Lexa grinste schelmisch. »Jedenfalls herrschte da auf einmal helle Aufregung, und der Typ mir gegenüber brüllte lauthals rum. Ich zog schnell meinen Credit-Stick aus dem Transfergerät und machte mich aus dem Staub. Der Transfer war zwar noch nicht komplett abgeschlossen, aber ein Großteil des Geldes dürfte drauf sein.« Sie zog den kleinen Stick aus der Tasche und wedelte damit triumphierend über ihrem Kopf. »Tja, den Rest der Geschichte kennst du ja.«

Said schaute sie kurz an und lachte dann laut. Lexa stimmte ein.

»Diese Trottel«, prustete er. Nach einigen Minuten hatten sie sich wieder beruhigt, und Said stellte die entscheidende Frage: »Was machen wir jetzt mit dem Geld?«

»Ich hatte an das Casino im Virgo-System gedacht.«

»Glücksspiel, Alkohol und aufregende Nächte mit meiner Liebsten! Ich bin dabei!«

Lexa lächelte und gab ihm einen heißen Kuss auf den Mund. »Dann lass uns keine Zeit verlieren«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Setze Kurs auf das Virgo-Sprungtor!«

»Aye, Ma’am.« Said grinste und gab die entsprechenden Befehle ein.

 

Lexa war eine der unzähligen freien Händler, die sich in den äußeren Systemen mit Frachtflügen durchschlugen. Einige der Aufträge bewegten sich am Rande der Legalität, brachten dadurch aber erheblich mehr Gewinn. Ihr ganzer Stolz war ihr Schiff: die Tianhou. Sie hatte es sich über Jahre hinweg vom Munde abgespart.

Bevor sie es gekauft hatte, war sie verschiedene Schiffe geflogen, die von den jeweiligen Kunden gestellt worden waren. Wer in ihrer Branche ein eigenes Schiff besaß, war ein gemachter Mann, respektive Frau, und in der Lage, besser bezahlte legale Jobs anzunehmen.

Anfangs arbeitete sie allein. Bei den meisten Aufträgen war das kein Problem, bei einigen Jobs hingegen war es unerlässlich, mit einem Geschäftspartner zu kooperieren. Doch diese Partnerschaften waren meist von kurzer Dauer und selten profitabler als Alleingänge.

Seit sie Said kennengelernt und ihm angeboten hatte, auf der Tianhou zu wohnen und mit ihr zusammenzuarbeiten, erledigten sie die Arbeit nur noch zu zweit. Zwar musste das Geld seitdem für sie beide reichen, doch Said war ein Stück Sicherheit und auf jeden Fall gute Gesellschaft geworden.

 

Nach einigen traumlosen Flugstunden wurde Lexa unsanft von der Schiffs-KI geweckt. Über die Lautsprecher in ihrer Kabine teilte das Schiff ihr mit, dass sie ihr Ziel bald erreichen würden. Mit einem Schlag auf den Knopf neben ihrem Bett beendete sie die Durchsage, richtete sich schwerfällig auf und stapfte ins Bad. Sie wusch sich das Gesicht und zog danach ihr schönstes Kleid an, denn schließlich würde sie gleich ein Casino besuchen. In einem ihrer Schuhe versteckte sie zur Sicherheit ein Messer mit einer Epoxidkarbonklinge, das von Standarddetektoren nicht erkannt wurde. Dann machte sie sich auf den Weg ins Cockpit. Als sie dort ankam, stellte sie fest, dass Said nicht da war. Durch das Fenster konnte sie bereits das alte Schiff ausmachen, auf das sie zusteuerten. Sie setzte sich auf seinen Platz, stellte gähnend eine Verbindung zum Casino her und bat den automatischen Andockcomputer, ihr eine Bucht zuzuweisen. Kurz darauf ertönte die Andockbestätigung für Dock zwei. Lexa programmierte einen Kurs in den Autopiloten und machte sich auf den Weg zu Saids Quartier. Er trat gerade aus der Tür und richtete noch seine Krawatte.

»Fertig?«, fragte sie.

»Fertig.«

»Dann lass uns unser Geld vermehren«, flötete sie.

Sie gingen in den Frachtraum und postierten sich vor der Laderampe. Davor befand sich auf einer Stange, die mit dem Boden verschweißt war, ein kleiner Kasten, an dem ein rotes und ein grünes Lämpchen sowie zwei Knöpfe angebracht waren. Noch leuchtete das rote Licht. Als es erlosch und die grüne Lampe aufblinkte, drückte Said auf einen der Knöpfe, und die schwere Rampe senkte sich langsam und stöhnend. Von draußen ergoss sich helles Licht durch den Spalt über den Boden des Frachtraums. Auf der anderen Seite der Luke wartete bereits ein Infobot. Er war ungefähr halb so groß wie ein Mensch, tonnenförmig, mit Rädern an der Unterseite, und oben war ein Display angebracht, auf dem ein Begrüßungstext aus chinesischen Schriftzeichen stand: »Willkommen auf der Tiao Ko«. Darunter stand eine kurze Erklärung, wozu der Bot diente und dass er ihnen für ihren Aufenthalt zur vollen Verfügung stünde. Lexa buchte den Liegeplatz für fünf Tage und ließ den Bot auch gleich ihren Kontostand überprüfen.

 »Nicht schlecht«, staunte sie und pfiff leise. »Über zwanzigtausend Credits. Damit haben wir fast das ganze Geld aus dem Geschäft überwiesen bekommen.«

Sie transferierte sofort Saids Anteil auf seinen Credit-Stick, und er verabschiedete sich alsbald von ihr mit der Begründung, erst einmal einen Technikertrupp zu engagieren, der das ramponierte Schiff reparieren sollte. Er wollte die Arbeiten überwachen, weil er niemandem über den Weg traute. Hier würde einem das Schiff unter dem Hintern weggeklaut, wenn man nicht aufpasste, meinte er. Also vereinbarten sie, sich in zwei Stunden im Casino zu treffen.

Das Casinoschiff Tiao Ko war ein alter, umgebauter Luxusliner, der noch aus der Zeit vor der Großen Trennung stammte. Nachdem sich jahrelang niemand um ihn gekümmert hatte und er langsam in seine Einzelteile zerfallen war, gehörte er nun zweifelhaften Geschäftsleuten, die den Großteil der Quartiere zu einem riesigen Casino hatten umbauen lassen. Nur den Bordellbetrieb hatten sie unangetastet gelassen. Außerdem verfügte das Schiff über eine eigene Bierbrauerei und eine Schnapsbrennerei sowie einen Markt, auf dem man fast alles bekam, sogar Sklaven, erzählte man sich. An den langen Boulevards hatten sich die verschiedensten Etablissements, Kneipen und Gaststätten angesiedelt. Es gab Kinos, eine Schwimmhalle, Fahrgeschäfte und alles, was das Herz eines Vergnügungssüchtigen begehrte. Mit dem nötigen Kleingeld konnte man hier eine aufregende Zeit verbringen. Und genau das hatten Lexa und Said vor. Doch nicht nur das. An solch einem Ort trieb sich zwar allerhand Gelumpe herum, doch es ließ sich hier auch sehr gut das ein oder andere Geschäft anleiern.

Lexa ging den langen Korridor entlang, der an ihre Andockbucht anschloss. Der Infobot folgte ihr unaufdringlich. Die Wände waren mit ehemals weißen Metallplatten besetzt, doch vom Glanz war nicht mehr viel übrig. Das Schiff war nicht nur in die Jahre, sondern auch ziemlich heruntergekommen.

Dann gabelte sich der Gang. Nach links führte ein weiterer Korridor, der kein Ende zu nehmen schien, rechts leuchtete über einer Flügeltür mit Bullaugen das chinesische Zeichen für »Casino«. Lexa freute sich, endlich wieder hier zu sein, stieß die beiden Türen auf und trat ein.

Sie hatte ganz vergessen, wie groß das Casino war. Es erstreckte sich über acht Decks, wobei es sich nach oben hin verjüngte. Auf der untersten Ebene, auf der sie sich befand, standen zu ihrer Rechten und Linken Hunderte Spielautomaten in Reihen. In der Mitte befanden sich die unterschiedlichsten Spieltische, auf den Stockwerken darüber, die sich als Galerien an der ovalen Außenseite des Raums entlangzogen, herrschte dasselbe Bild: überall Automaten und Spieltische. Und Tausende von Menschen. Es war ein Höllenlärm hier. Überall riefen sich die Leute etwas zu, jubelten vor Begeisterung und Glück oder stöhnten enttäuscht, wenn sie verloren hatten. Die Automaten spielten Musik, und bei jedem Gewinn klimperten die Chips hart in den Auffangbecken.

Lexa sah bis ganz nach oben, wobei ihr leicht schwindelig wurde. Sie senkte den Kopf, schloss kurz die Augen, um sich zu fangen, und ging zu einem der halbkreisförmigen Spieltische. Die Spieler schauten nur kurz auf, als sie sich setzte, sahen sie teilnahmslos an und richteten den Blick wieder auf ihre Karten. Lexa reichte dem Croupier ihren Credit-Stick, ließ sich eintausend in Chips ausgeben und besah sich ihre Mitspieler. Rechts neben ihr saß eine ältere Frau mit kurzen, blonden Lockenhaaren und einer goldenen Brille. Ihrer Kleidung nach zu urteilen, brauchte sie sich um Geld keine Sorgen zu machen. Zu Lexas Linken saß ein grimmiger, unrasierter Typ, der seinen Hut tief ins Gesicht gezogen hatte. Er roch etwas streng. Daneben saß ein Mann im piekfeinen Anzug und mit einer Sonnenbrille auf der Nase und zeigte nicht die kleinste Regung. Er hob nur den Zeigefinger seiner rechten Hand – die permanent auf den Karten ruhte –, wenn er eine weitere Karte wollte, und machte eine abweisende Handbewegung, wenn er genug hatte. Neben ihm saß ein unruhiger, verschwitzter Mann, der sich ständig nervös durch das lichte Haar fuhr. Er sah aus, als hätte er heute schon eine Menge Geld verloren. Nach dem Ende der Runde zog der Croupier die Karten ein und auch das Geld. Die Bank hatte gewonnen.

»Das Spiel ist Black Jack«, erklärte er, während er die Karten mischte. »Gespielt wird nach den virgoischen Standardregeln: Asse zählen nach Belieben ein oder elf Punkte, Zweier bis Zehner zählen entsprechend ihren Augen zwei bis zehn Punkte, Bildkarten zählen zehn Punkte. Das Limit liegt bei zweihundert.«

Lexa machte sich bereit, ihr Geld zu vermehren.

Der Croupier bat um die Einsätze, und sie und die anderen schoben einen Teil ihrer Chips auf die gekennzeichneten Felder. Nachdem die Einsätze getätigt waren, begann der Croupier die Karten auszuteilen. Jeder Spieler sowie der Geber erhielten zuerst eine offene Karte. Die reiche Frau bekam ein Ass, Lexa eine Sieben, der Grimmige eine Acht, der Reglose einen König und der Nervöse eine Dame. Sich selbst legte der Croupier eine Neun. Danach erhielt jeder Spieler, nicht aber der Croupier, eine zweite offene Karte. Eine Neun für die Frau. Lexa erhielt eine weitere Sieben, der Grimmige eine Zehn, der Reglose eine Drei und der Nervöse eine Zwei.

Nun waren die Spieler an der Reihe, weitere Karten zu verlangen, wenn sie denn wollten. Die ältere Frau lehnte ab. Zwanzig Punkte. Sie konnte nur verlieren, wenn der Croupier einundzwanzig Punkte bekam.

Lexa war aufgeregt. Würde sie gleich in der ersten Runde so hoch gewinnen? Sie musste ein Grinsen der Vorfreude unterdrücken und bat um eine weitere Karte. Gekonnt warf der Croupier sie zu den anderen beiden. Sie nahm sie mit spitzen Fingern auf und drehte sie langsam um. Noch eine Sieben! Sie musste sich zusammenreißen, um nicht vor Freude zu jauchzen. Sie gewann damit sofort im Verhältnis drei zu zwei, unabhängig von den Karten, die der Croupier noch ziehen würde.

Nun war der Grimmige an der Reihe. Er lehnte eine weitere Karte ab.

Der Reglose hob seinen Zeigefinger, und er bekam eine Zwei. Damit hatte er fünfzehn Punkte. Er ließ sich noch eine Karte geben, ein Bube. Fünfundzwanzig Punkte – zu viel. Obwohl er das Höchstlimit von zweihundert Chips gesetzt hatte, verzog er das Gesicht keinen Millimeter oder ließ sich sonst etwas anmerken.

Der Nervöse wühlte mit einer Hand in seinen Haaren und bat mit der anderen um eine Karte. Der Croupier warf sie ihm behände zu. Er lugte unter die Karte, woraufhin ihm alle Gesichtszüge entgleisten. Er schlug zweimal kräftig mit seiner Stirn gegen die Tischkante, schmiss die Karte wütend hin, sprang fluchend auf und verließ den Tisch, nicht ohne noch den Croupier zu beleidigen. Dieser zeigte sich unbeeindruckt und begann sich selbst Karten zu geben. Erst eine Vier, dann eine Sechs. Neunzehn Punkte. Er zahlte der älteren Dame und Lexa die Gewinne aus und zog die restlichen Einsätze ein.

Lexa rechnete kurz nach. Nachdem sie die erste Runde mit einem Einsatz von einhundert Credits begonnen hatte, könnte sie ihren Einsatz infolge der Möglichkeiten, zu teilen beziehungsweise zu verdoppeln, im Mittel auf circa einhundertelf Credits steigern, wenn sie sich in jeder Situation im Sinne der Wahrscheinlichkeitsrechnung optimal entschied. Ihr mittlerer Verlust lag dabei bei null Komma dreiundfünfzig Credits je Spiel – grob überschlagen.

Der Bankvorteil betrug dann nicht einmal einen lächerlichen halben Prozentpunkt, was – verglichen mit anderen Spielen in Spielbanken – sehr niedrig war. Lexa klatschte vergnügt in die Hände. Vielleicht war heute ja ihr Glückstag.

Wie sich herausstellte, war dem nicht so. Nach gut zwei Stunden hatte sie ihre eintausend Credits verspielt und verließ enttäuscht den Tisch. Sie fragte sich, wo Said wohl steckte, und beschloss, nach ihm zu suchen. Nach einiger Zeit fand sie ihn auf einem Hocker sitzend an einem der Automaten. In einer Hand hielt er eine kleine Schale mit nur noch wenigen Chips, mit der anderen steckte er gelangweilt einen nach dem anderen in den Spielautomaten.

»Na, bisher kein Glück gehabt?«, fragte sie.

Er schüttelte nur den Kopf.

»Ich auch nicht«, seufzte sie. »Anfangs sah es noch ganz gut aus, aber dann hab ich fast jedes Spiel verloren. Am Ende waren eintausend Credits weg. Einfach so. Puff.« Sie vollführte mit der Hand eine Geste, die das Platzen einer Seifenblase darstellen sollte.

»Siehst du das Schälchen hier?« Said hielt es ihr direkt unter die Nase. »Das ist schon das dritte. Und noch nicht ein einziger Gewinn. Zum Glück habe ich die Reparaturkosten für das Schiff im Voraus bezahlt.«

»Wir benötigen noch etwas Geld für unsere nächsten Geschäfte.«

»Aber vorher sollten wir etwas essen. Ich bin am Verhungern. Außerdem lassen sich mit einem vollen Magen viel besser Verhandlungen führen.«

Gemeinsam verließen sie das Casino und folgten einem kahlen weißen Korridor zu einer Gabelung. An der Wand war ein Wegweiser angebracht, auf dem Said schnell den Hinweis zum besten Restaurant des Schiffs fand. Dort angekommen, trauten sie ihren Augen nicht.

Der große Saal, unterteilt in kleine Separees, wurde von einer transparenten Kuppel überspannt, die einen überwältigenden Blick auf die Sterne und Virgo, die Sonne dieses Sternensystems, bot. Am Rand wuchsen Kletterpflanzen bis zur Kuppel empor.

Gleich am Eingang wurden sie von dem außerordentlich gut gekleideten Restaurantleiter empfangen, der ihnen einen Tisch in einem der gemütlichen Separees anbot. Die untere Hälfte der Wände war mit dunkelbraunem Wüsteneisenholz vertäfelt, die obere Hälfte mit roten Tapeten beklebt. Von der Decke hing eine kleine Lampe mit grünem Schirm – und einem Rand aus purem Gold – über dem akkurat gedeckten Tisch und erhellte den Raum wohlig warm.

Der Restaurantleiter erkundigte sich, ob alles zu ihrer Zufriedenheit war, und ließ mit einer Handbewegung sogleich einen Ober kommen. Dieser brachte die Speisekarten, wartete still, bis sich seine Gäste entschieden hatten, nahm die Bestellung auf und verließ das Separee so elegant, wie er es betreten hatte.

Kurz darauf stand Said auf und entschuldigte sich, um auf die Toilette zu gehen. Aber kaum hatte er den Raum verlassen, wurde er von zwei bulligen Männern wieder hinein- und zurück zum Tisch geschoben.

Ihnen folgte ein fetter Typ, der zwar elegant gekleidet war, aber dennoch schmuddelig wirkte. Er schloss die Tür hinter sich und bedeutete Said, wieder Platz zu nehmen.

Lexa hatte gar nicht erst die Möglichkeit aufzuspringen, denn einer der Männer hielt sie fest an ihren Schultern gepackt auf ihrem Stuhl.

Der Dicke nahm ihnen gegenüber auf einem Stuhl Platz und verzog die Mundwinkel zu einer Fratze, die wohl ein Lächeln darstellen sollte. »Lexa«, begann er mit rauchiger Stimme, »was für eine Freude, dich endlich wiederzusehen. Wie lange ist es her, dass wir uns das letzte Mal über den Weg gelaufen sind? Vier Jahre? Eine lange Zeit, nicht wahr?« Sein Grinsen wurde breiter. »Ich habe mich lange auf diesen Moment gefreut.«

Lexa rollte mit den Augen und drehte den Kopf zur Seite.

»Aber, aber«, spottete der Dicke, »freust du dich etwa nicht, deinen alten Geschäftspartner zu sehen? Das enttäuscht mich aber.« Er zog eine Grimasse und fuhr fort: »Kannst du dich nicht mehr daran erinnern, wie wir zusammengearbeitet haben?« Sein Blick wanderte zu Said. »Damals haben wir viele Geschäfte gemacht, einige davon waren richtig große Deals.« Er sah wieder zu Lexa. »Ich kann mich daran erinnern, dass unser letztes Ding auch so ein großer Deal war.«

Lexa nutzte einen unachtsamen Moment ihres Bewachers, sprang auf und versuchte, die Tür zu erreichen. Doch der Gorilla packte sie sofort am Arm und drückte sie wieder auf den Stuhl.

»Warum hast du es denn so eilig?«, fragte der Dicke. »Wir haben uns doch gerade erst wiedergetroffen. Das müssen wir feiern!« Er lachte laut auf und griff nach der Champagnerflasche auf dem Tisch. Mit den Zähnen riss er den Korken vom Hals und nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Dann wischte er sich mit dem Ärmel die Flüssigkeit vom Kinn, die an den Mundwinkeln vorbeigelaufen war.

Said sah Lexa fragend an. »Wer ist der Typ?«

»Wer ich bin?«, rief der Fette, noch bevor Lexa antworten konnte. Er sprang von seinem Stuhl auf und beugte sich über den Tisch zu Said. »Ich bin derjenige, dem deine kleine Freundin etwas gestohlen hat.« Er stank aus dem Mund.

Said lehnte angewidert seinen Kopf zurück.

Der Dicke nahm wieder Platz und sah Lexa fragend an. Die zog ein grimmiges Gesicht. »Was hast du denn? Stimmt es denn nicht, was ich gesagt habe?«

»Du hast mir damals eine Falle gestellt«, fauchte sie ihn an. »Es war pures Glück, dass ich da lebend rausgekommen bin.«

»Wer konnte denn ahnen, dass der Code, der das Selbstzerstörungssystem in diesem Schuppen deaktivieren sollte, falsch war?«

»Es war der richtige Code. Du hast ihn absichtlich falsch eingegeben.«

»Das ist eine Unterstellung!« Er schlug mit der Faust auf den Tisch, und Lexa und Said zuckten zusammen. Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, fuhr er fort: »Wie auch immer. Du hast dich damals mit meinem Anteil aus dem Staub gemacht.« Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite und lächelte: »Und ich bin hier, um ihn mir zu holen.«

»Ich habe dein Scheißgeld nicht!«, fuhr sie ihn an. »Und selbst wenn ich es hätte, würde ich es dir ganz bestimmt nicht geben.«

In diesem Moment trat der Ober ein, ganz verwundert darüber, dass sich plötzlich so viele Menschen in dem kleinen Raum befanden, und wusste nicht recht, wie er sich verhalten sollte.

»Bitte«, sagte der Dicke, »stellen Sie das Essen einfach auf den Tisch. Wir kommen zurecht.« Mit einem Fingerschnippen lenkte er die Aufmerksamkeit eines seiner Männer auf sich und signalisierte ihm, dem Ober ein großzügiges Trinkgeld zu zahlen. Der Kellner bedankte sich mit einer umständlichen Verbeugung und verließ leicht irritiert den Raum.

Der Dicke band sich eine Serviette um den Hals und nahm sich einen der Teller vor. »Wo waren wir gerade?« Sein Blick fiel auf Lexa, während er sich das Fleisch in den Mund stopfte. »Ach ja. Du wolltest mir meinen Anteil an dem Geschäft geben«, krümelte es aus ihm hervor.

»Ich habe dir schon gesagt, dass ich dein Geld nicht habe.«

»Hm. Das Fleisch ist ausgezeichnet. Probier mal.« Er hielt ihr die Gabel mit einem großen Stück hin.

Sie drehte angewidert den Kopf zur Seite und verzog das Gesicht.

»Ich habe mir so was schon gedacht«, sagte er und schob sich die Gabel in den vollen Mund. »Doch ich bin mir sicher, dass du deine Schuld auch anderweitig abzahlen kannst.«

»Du ekelhafter Wang ba dan.«

Für diese Bemerkung fing sich Said sogleich einen Schlag in die Magengrube ein.

»Nicht doch.« Der Dicke lachte. »Es geht nicht um das, woran du gerade denkst. Deine kleine Freundin ist mir viel zu dürr. Die würde mir dabei nur kaputtbrechen.« Er lachte laut auf und spuckte angekautes Essen durch den Raum. »Nein. Ich möchte dich nur um einen kleinen Gefallen bitten, Lexa.«

»Worum möchtest du mich denn bitten, Artjom?«, fragte sie entnervt.

»Ich habe einen kleinen Auftrag für dich. Wenn du dich um dieses Problem kümmerst, sind wir quitt.«

»Einen Auftrag?« Sie wurde hellhörig.

»Genau, nur ein kleiner Auftrag. So wie in den guten alten Zeiten.«

»Und du versprichst mir, dass du mich danach nicht wieder wegen des Geldes behelligen wirst?«

»Wie schon gesagt: Danach sind wir quitt.«

»Gut, ich bin ganz Ohr.« Da sie das Geld aus dem Coup nicht mehr besaß, kam ihr die Möglichkeit, die Schulden auf diese Weise zu begleichen, durchaus recht. Sie musste nicht lange überlegen, um einzuwilligen.

Artjom lachte wieder auf, wobei sein Doppelkinn wild schwabbelte. »Ich wusste, dass du nicht Nein sagen würdest. Darauf trinken wir!« Er füllte zwei Gläser mit dem Champagner und drückte Lexa eines in die Hand.

»Ich kann doch gar nicht Nein sagen«, sagte sie und drehte sich zu ihrem Bewacher um.

Artjom lachte wiederum und leerte sein Glas in einem Zug. Mit einer Geste befahl er seinem Handlanger, Lexa loszulassen.

Sie stellte ihr volles Glas auf den Tisch und fragte: »Was soll ich für dich tun?«

»Gut, kommen wir also zum Geschäft.«

»Du willst wirklich mit diesem Typen zusammenarbeiten?«, presste Said hervor, der sich immer noch den Bauch hielt.

»Ja, das werden wir«, zischte sie. »Außerdem bleibt uns keine Wahl.«

»Deine kleine Freundin ist schlau«, sagte Artjom zu ihm. »Das war sie damals schon.« Er hatte den ersten Teller geleert und griff nun nach dem zweiten, um sich auch über ihn herzumachen.

»Bei dem Auftrag handelt es sich um keine große Sache. So etwas hast du schon hundertmal gemacht. Einbruchdiebstahl, nichts weiter.«

»Es muss sich um etwas sehr Wichtiges handeln, wenn wir danach quitt sind«, bemerkte Lexa. »Wie viel ist es denn wert?«

»Es ist unbezahlbar.«

Lexa stieß einen leisen Pfiff aus. »Nicht gerade ein fairer Tausch gegen meine angeblichen Schulden.«

»Na, nicht so frech! Sei froh, dass ich so großherzig bin, dir diesen Handel anzubieten, und dir nicht noch obendrein dein Schiff wegnehme.«

»Wenn ich es mir recht überlege«, sagte sie, während sie so tat, als würde sie angestrengt nachdenken, »ist dein Angebot doch nicht so unfair. Worum geht es denn?«

»Um Daten«, antwortete er trocken.

»Ernsthaft? Wieso können das deine Gorillas nicht für dich erledigen?«

»Aber, Lexa, ich bin ein ehrenwerter Geschäftsmann. Und als solcher achte ich die Gesetze und stehle natürlich keine Gegenstände aus fremden Suiten.«

»Natürlich.«

»Siehst du.« Er lachte. »Wir verstehen uns.«

»Was sind das denn nun für Daten. Willst du mir nicht mehr verraten?«

»Mehr brauchst du nicht zu wissen.«

»Na schön. Bitte.« Sie hob resignierend die Schultern. »Wie sieht der Plan aus?«

Er lachte herzhaft. »Immer voller Tatendrang. Das gefällt mir.« Er beugte sich vor. »Hör mir gut zu. Die Daten befinden sich auf Deck vier in Suite Nummer acht. Immer zwischen fünfzehn und sechzehn Uhr Erd-Standard-Zeit verlässt ihr Bewohner die Suite. Er fährt erst die dreiundzwanzig Decks nach unten, um auf der unteren Aussichtsplattform einen Drink zu nehmen, danach trifft er sich auf demselben Deck mit einem Mann in Suite Nummer zweiundvierzig. Leider habe ich nicht den blassesten Schimmer einer Ahnung, worum es bei diesen täglichen Treffen geht.« Er nahm einen weiteren großen Schluck aus der Champagnerflasche. »Ihr habt also eine Stunde Zeit, um in das Quartier einzudringen, mir meine Daten zu kopieren und es wieder zu verlassen – aber so, dass sein Besitzer auf keinen Fall merkt, dass jemand da war. Verstanden?«

Lexa nickte nur.

»Danach treffen wir uns wieder hier, wo ihr mir meine Daten übergeben werdet.« Er lehnte sich zurück und breitete die Arme aus. »Dann bist du deine Schulden los, und jeder geht seiner Wege.«

»Das ist alles?« Lexa blieb misstrauisch.

»Das ist alles.«

»Wo finde ich diese Daten?«

»Sie befinden sich auf einem PAD, das der Typ offenbar nie bei seiner täglichen Runde bei sich trägt. Es muss also irgendwo in seinem Quartier sein.«

»Was sind das für Daten? Wonach soll ich suchen?«

»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Kopiere einfach den kompletten Speicherkristall und bring mir den Stick. Mehr brauchst du nicht zu wissen.«

»Einverstanden. Ich bringe dir deine Daten, und danach sehen wir uns nie wieder.«

Der Fette lachte und sagte: »Es ist mir eine Freude, mit dir Geschäfte zu machen.« Er setzte die Champagnerflasche an den Mund, leerte sie bis auf den letzten Tropfen und schleckte mit seiner Zunge über die Flaschenöffnung. Dann stand er auf, und einer seiner Gefolgsleute öffnete ihm die Tür. Er drehte sich noch einmal um und hob drohend den Zeigefinger. »Und denk ja nicht, du könntest mich verarschen.« Dann verließ er den Raum.

Lexa stieß erst eine Vielzahl von Flüchen aus und erkundigte sich dann nach Saids Zustand. Er versicherte ihr, dass alles in Ordnung sei, steckte seinen Credit-Stick zum Bezahlen in die dafür vorgesehene Öffnung in der Wand, und zusammen verließen sie das Lokal.

»Ich werde zum Schiff gehen und alle notwendigen Vorkehrungen treffen«, sagte Lexa draußen im Gang, »während du dir einmal die Korridore um Suite Nummer acht und das Sicherheitssystem dieses Dampfers ansiehst.«

Said packte sie am Arm, zwang sie so, stehen zu bleiben, und drehte sie zu sich.

»Du musst das nicht machen. Es ist viel zu gefährlich, so etwas auf einem Casinoschiff durchzuziehen. Wir können immer noch fliehen.«

Sie riss sich los und sah ihn irritiert an. »Bist du verrückt? Das ist die Gelegenheit, meine Schuld bei Artjom zu begleichen. Und das auch noch durch solch einen leichten Auftrag. So eine Chance bekomme ich kein zweites Mal.« Sie ging weiter. »Du musst mir ja nicht helfen, schließlich hast du mit der ganzen Sache nichts zu tun.«

»Natürlich helfe ich dir«, sagte er und lief ihr nach. »Wer soll dir denn sonst deinen zuckersüßen Arsch retten? Aber ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.«

»Das wird ein Kinderspiel. Vertrau mir. Jetzt sieh dich dort mal um, ich hole derweil die Ausrüstung.«

 

Das Überwachungssystem zu überwinden, gestaltete sich als skandalös einfach. Die Betreiber dieses alten Schiffs hatten die Gewinne, die die Casinos einbrachten, keinesfalls in moderne Sicherheitssysteme angelegt. Said war zwar kein Genie, was Computersysteme anging, aber er verfügte immerhin über ausreichende Kenntnisse, um einfache Veränderungen vorzunehmen. Die Tatsache, dass es sich hier um veraltete Systeme handelte, kam ihm entgegen.

Die Kameras, die den Korridor zur Suite Nummer acht überwachten, überwand er, indem er sie kurzerhand umprogrammierte. Er ließ sie eine Schleife der letzten zehn Sekunden abspielen, sodass es für die Sicherheitskräfte vor den Monitoren so aussah, als wäre hier unten alles friedlich. Diese einfache Modifikation konnte er problemlos über sein Hand-PAD vornehmen, doch zuvor musste er noch die Künstliche Intelligenz des Schiffs davon überzeugen, dass die Kamerabilder live gesendet wurden. Wie sich herausstellte, war die KI so dämlich, dass er das Problem innerhalb einer halben Stunde gelöst hatte.

Das Hand-PAD war das Ergebnis einer jahrhundertelangen Entwicklung mobiler Geräte, die das Leben der Menschen einfacher machen sollten. Es war Kommunikationsgerät und Computer in einem. Man steuerte damit andere Geräte, bediente sich der unendlichen Masse von Informationen aus dem Netz und erhielt, bearbeitete und verschickte Mails und multimediale Inhalte. Es fungierte als Fahrschein im öffentlichen Nahverkehr, als Schlüssel für die Wohnung und als Personalausweis. Es war das Gerät, das aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken war. Um es nutzen zu können, wurden Mikrochips in Daumen und Zeigefinger einer Hand implantiert und über die jeweiligen Finger transparente, hauchdünne und atmungsaktive Biocomputer gestülpt. Durch eine schnelle Spreizbewegung von Daumen und Zeigefinger, die zuvor zwei Sekunden lang zusammengepresst wurden, aktivierte sich das Gerät, woraufhin ein Holoschirm zur Bedienung zwischen den Fingern erschien.

Said und Lexa konnten sich nun gefahrlos dem Quartier nähern, ohne dass sie jemand per Video überwachen würde. An einer Kreuzung in der Nähe der Suite hielten sie sich versteckt und beobachteten die Tür. Und tatsächlich: Pünktlich um fünfzehn Uhr verließ der Bewohner sein Domizil und ging an ihnen vorüber, ohne Notiz zu nehmen.

Lexa schickte sich sofort an, die Tür zu öffnen, während Said Wache stand. Sie schlich sich heran, hebelte die Verkleidung des elektronischen Zahlenschlosses auf und stellte eine kabellose Verbindung zwischen ihrem Hand-PAD und dem Schloss her. Mit gekonnten Eingaben hatte sie es nach wenigen Sekunden geöffnet. »Das ging ja leichter, als ich dachte«, flüsterte sie und winkte Said zu sich.

Sie öffnete langsam und vorsichtig die Tür, lugte durch den Spalt und gab ein Zeichen, dass die Luft rein war. Said folgte ihr, als sie den Raum betrat, und schloss hinter sich die Tür.

In der Suite war es düster. Nur das schwache Licht der Sterne fiel durch das breite Fenster. Außerdem hing ein von hinten beleuchtetes Gemälde der Erde an der Wand. Lexa ging zum Schreibtisch, fing an, die Schubladen zu durchsuchen, und wies Said an, die anderen Zimmer zu inspizieren. Im Schreibtisch befand sich nichts Interessantes. Ein Zeitungs-PAD, das jeden Morgen aus dem Netz die aktuelle Ausgabe lud, ein Zigarettenetui samt Feuerzeug und eine Handvoll Süßigkeiten. Auf dem hölzernen Tisch befanden sich der Globus eines ihr unbekannten Planeten, eine Leselampe sowie drei Bücher aus echtem Papier. Eins davon lag aufgeklappt auf dem Tisch, doch Lexa kannte die Sprache nicht, in der es geschrieben war. Sie erkannte nicht einmal die Buchstaben. Sie blätterte es kurz durch. Die Seiten waren in transparente Folie gehüllt, um sie vor dem Zerfall zu schützen. Neben den unbekannten Buchstaben waren auch immer wieder Abbildungen der Erde und des Sol-Systems zu sehen, außerdem Fotos von der Erdoberfläche: Wüsten, die bis zum Horizont reichten, an dem sich niedrige Hügelketten abzeichneten. Dichte Regenwälder voller bunter Blumen und Tiere. Eine Fülle, die Lexa in ihrem Leben noch nie gesehen hatte. Da waren Bilder von unendlichen Ozeanen und Inseln, die sich aus den Meeren streckten, und von Städten, in denen dicht gedrängte Hochhäuser in den Himmel ragten.

Sie musste sich zwingen, den Blick abzuwenden und die Suche nach dem PAD wieder aufzunehmen. Sie durchwühlte den Klamottenberg auf einem Sessel und durchsuchte dann die Unordnung auf der Couch, als Said sie plötzlich mit aufgeregter Stimme zu sich rief. Er stand im Nebenraum und sah aus, als hätte er gerade einen Geist gesehen.

»Was ist los?«, fragte sie ungeduldig.

»Sieh es dir selbst an.« Er deutete mit der Hand in einen weiteren Raum, dessen Tür offen stand.

Sie betrat den Raum und glaubte nicht, was sie dort sah: Auf einer kargen Pritsche lag gefesselt ein älterer Mann. Sein Mund war mit Klebeband zugeklebt, und seine langen weißen Haare hingen ihm zerzaust ins Gesicht. Sein nackter, knochiger Oberkörper war übersät von Spuren körperlicher Gewaltanwendung. Er musste bewusstlos oder betäubt sein, denn er zeigte keinerlei Regung, als Lexa und Said den Raum betraten. Aus einer Zimmerecke kroch Kotgeruch aus einem Eimer und setzte sich in Lexas Nase fest. »Hast du das PAD schon gefunden?«, fragte sie, während sie sich dem Alten näherte.

»Das PAD?«, fragte er verwundert. »Vergiss doch das blöde PAD. Wir müssen uns um den Mann kümmern!«

»In erster Linie müssen wir das PAD finden«, zischte sie, als sie mit spitzen Fingern versuchte, den Puls des Gefesselten zu fühlen. »Der Alte geht uns nichts an.«

»Willst du ihn etwa hier zurücklassen?«

Sie drehte sich zu ihm um. »Said, wir können ihn nicht mitnehmen. Wenn …«

»Er wacht auf!«

Der Mann öffnete langsam die Augen, und als er die beiden Einbrecher sah, zuckte er ruckartig zusammen, wobei seine Fesseln am Metall der Pritsche rasselten.

»Hervorragend«, stöhnte Lexa und hielt sich eine Hand an die Stirn. »Jetzt müssen wir ihn mitnehmen.«

Said ging vorsichtig auf ihn zu, um ihn nicht zu erschrecken, und entfernte das Klebeband von seinem Mund.

»Wer sind Sie?«, krächzte der Mann.

»Keine Angst«, beruhigte ihn Said. »Wir werden Ihnen helfen.«

Während er ihm die Fesseln abnahm, ihm auf die Beine half und etwas zum Anziehen suchte, durchwühlte Lexa angespannt die Suite nach dem PAD. »Bei den Göttern! Wo ist dieses verdammte Ding?«

»Suchen Sie vielleicht das hier?« Der Alte öffnete eine kleine Klappe an der Unterseite der Pritsche und zauberte ein silbernes PAD hervor. »Er versteckt es immer hier, wenn er die Suite verlässt.«

Lexa riss ihm das Gerät aus der Hand und startete den Download.

»Was tun Sie denn da?«, fragte der Gefangene.

»Wonach sieht es denn aus? Ich kopiere die Daten, und dann verschwinden wir von hier.«

»Und das PAD?«

»Was soll damit sein? Ich lege es an seinen Platz zurück.«

»Sie dürfen es nicht hierlassen!« Der Alte war plötzlich sehr aufgeregt. »Dieses PAD ist von größter Wichtigkeit. Wenn mein Peiniger erst einmal alle Informationen darauf entschlüsselt hat, dann können uns nur noch die Götter helfen.«

»Was sind das denn für Informationen?« Lexas Augen blitzten gierig.

»Es sind Informationen über eine Waffe mit unglaublicher Zerstörungskraft.«

Deshalb also sind die Daten für Artjom unbezahlbar, dachte sie.

»Außerdem enthält das PAD Informationen darüber, wie man diese Waffe finden kann.«

»Eine Schatzkarte?«

»Wenn Sie so wollen.«

Lexa dachte kurz nach und kam zu dem Schluss, dass diese Informationen in ihren Händen wohl besser aufgehoben waren als in Artjoms oder in denen des Bewohners dieser Suite. Sie konnte das PAD nicht hierlassen. Wenn sie den Alten richtig verstanden hatte, würde der Bewohner die Waffe einsetzen, wenn er sie erst mal gefunden hatte. Und Artjom konnte sie die Informationen erst recht nicht geben. Wer wusste schon, was dieser schleimige Sack damit vorhatte?

»Said«, sagte sie. »Planänderung.«

Dieses Wort zauberte ein Lächeln in sein Gesicht.

»Wir verlassen sofort dieses Schiff. Das PAD und den Mann nehmen wir mit.«

Sie steckte das PAD in die Innentasche ihrer Jacke, Said stützte den Alten, der noch nicht richtig laufen konnte, und sie eilten gemeinsam aus der Suite. Sie folgten dem Korridor bis zu einer Kreuzung, als auf einmal Artjom und seine beiden Handlanger um die Ecke bogen und direkt auf sie zukamen. Lexa, Said und der Alte blieben wie angewurzelt stehen.

»Dachtest du wirklich, ich würde euch dort einbrechen lassen, ohne euch zu überwachen?«, rief Artjom. Stampfend schob er seinen massigen Körper, der fast die gesamte Breite des Korridors einnahm, auf Lexa zu. »Gib mir die Daten, du Schlampe!«

Augenblicklich rannten die beiden in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren, den befreiten Gefangenen zwischen sich. Artjom befahl seinen Männern, die Verfolgung aufzunehmen.

Sie hasteten durch Gänge, die alle gleich aussahen. Anzeigetafeln flogen an ihnen vorüber, hinter sich hörten sie die Schritte der Verfolger. Bei einer Kreuzung bogen sie um die Ecke und bei der nächsten gleich wieder, doch die Männer blieben ihnen auf den Fersen. Sie brüllten irgendetwas Unverständliches, dann fiel der erste Schuss. Das Projektil prallte an einer Deckenplatte über Saids Kopf ab und bohrte sich in die Wand. Die drei bogen gerade wieder um eine Ecke, als ein weiterer Schuss sie knapp verfehlte. Said hechtete durch eine Gruppe von Menschen, die ihnen entgegenkam, und warf dabei einige der Leute zu Boden. Wieder fiel ein Schuss, der sich direkt neben Lexas Fuß in den Boden grub.

Hinter der nächsten Ecke verständigten sich Lexa und Said kurz mit Blicken und blieben abrupt stehen. Als ihre Verfolger um die Ecke gerannt kamen, sprangen sie vor und setzten die Männer mit gezielten Schlägen direkt in die Gesichter außer Gefecht. Sie waren zu überrascht, um zu reagieren, sackten zu Boden und blieben bewusstlos liegen.

»Wir müssen schleunigst von diesem Schiff verschwinden«, stellte Said treffend fest, »bevor Artjom mitbekommt, dass wir entwischt sind, und er alles abriegeln lässt.«

 

Das konnte er wirklich. Im Grunde konnte das jeder. Man musste den Sicherheitskräften nur melden, dass ein schwerwiegender Sicherheitsverstoß vorlag. In so einem Fall wurde sofort das komplette Schiff abgeriegelt, die Verdächtigen ausfindig gemacht und anschließend verhört. Wenn es sein musste, wurden alle Personen vernommen, die sich auf dem Schiff befanden, weswegen eine Abriegelung mehrere Tage dauern konnte – genug Zeit für Artjom, sie zu finden. Diese Verfahrensweise war vor allem auf öffentlichen Schiffen und Stationen mit der Zeit eine gängige Praxis geworden, nachdem die Verbrechensrate nach der Großen Trennung so rasant angestiegen war. Um die Verbrechen in den Griff zu bekommen und Verbrecher abzuschrecken, wurden drastische Maßnahmen ergriffen. Gerade in den äußeren Sternensystemen, wo die Macht in den Händen von schrecklichen Schurken lag, und auf abgelegenen Monden, um deren Besitz sich aufgrund ihrer Bedeutungslosigkeit niemand stritt, wurde die Verbrechensrate niedrig gehalten. Dieben wurde eine Hand abgeschlagen, Vergewaltiger wurden erst vergewaltigt, und dann wurden ihnen die Genitalien abgeschnitten, für verschiedene Verbrechen wurden wahlweise Zungen, Ohren oder Finger abgetrennt. Aber Verstümmelung war nur eine der vielen, teils ausufernden Bestrafungsformen. Öffentliche Demütigung war ebenfalls weit verbreitet. In fast jeder Kolonie und auf fast jeder Station der anarchistischen Außensysteme gab es auf den zentralen Plätzen einen Pranger. Die Verurteilten wurden nackt und vornübergebeugt mit den Händen und dem Hals in eine Vorrichtung gespannt und öffentlich vorgeführt. Neben der großen Schande, die das für die Verurteilten bedeutete, konnten Passanten die Verbrecher mit Gegenständen bewerfen, bespucken, sie vergewaltigen oder sie verprügeln. Nicht selten starben die Verurteilten dabei.

Die Höchststrafe war natürlich die Todesstrafe. Auf Planeten und Monden waren die beliebtesten Methoden Tod durch Erhängen und durch Erschießen, auf Schiffen oder Raumstationen wurden Verbrecher vornehmlich in einer Luftschleuse exekutiert, indem man sie einfach dem tödlichen Weltraum aussetzte.

Eine solche Form der Rechtsprechung gab es in den Systemen des Reichs von Deneb nicht. Zwar verhängte man auch dort die Todesstrafe, griff aber nicht zu solch drakonischen Mitteln wie in den verwahrlosten äußeren Sternensystemen.

Man sollte eigentlich meinen, dass der Zivilisationsgedanke überall vorherrschte, doch je weniger Einfluss eine zivilisierte Regierung auf die Menschen hatte, desto barbarischer und wilder benahmen sie sich. Es hatte schon Berichte von Deep-Space-Missionen gegeben, auf denen Mord, Tod, Massenvergewaltigungen und Zerstörung vorherrschten. Die Menschen verloren ihre humane Identität und verwandelten sich in brutale Tiere. Es galt das Recht des Stärkeren, Darwins Gesetz in seiner perversesten Form.

Woran es aber lag, dass sich Menschen in solcherart verwandelten, wurde nie gänzlich geklärt. Einige Wissenschaftler glaubten, dass der Grad der Vertierung steige, je weiter man sich räumlich von der Zivilisation entfernte. Andere meinten, dass eine gesunde Zivilisation nur aufrechterhalten werden könne, wenn sie unter einer starken Führung stehe. Wieder andere machten den Verlust der Verbindung zur Erde dafür verantwortlich. Sie glaubten, dass der Mensch nur menschlich sein könne, wenn er auf der Erde oder wenigstens in Sichtweite lebte. Die Wiege der Menschheit war also auch die Wiege der Zivilisation.

Die Geschichte zeigte zwar, dass sich auch auf der Erde brutalste und abstoßendste Formen menschlicher Gemeinschaften verbreitet hatten, doch viele Raumfahrer hatten bei keinem anderen Anblick ein so großes und warmes Gefühl empfunden als bei dem ihres »Blauen Planeten«, wenn sie von langen Reisen – erst durch das Sol-System und später auch zu anderen Sternensystemen – nach Hause kamen. Der Planet hatte schon immer eine unglaubliche Anziehungskraft ausgeübt, und nach der Großen Trennung hatten nicht wenige Abenteurer versucht, einen Weg zurück zur Erde zu finden. Doch bisher waren alle gescheitert.

 

Lexa und Said zerrten den Alten in Richtung des Andockplatzes, an dem ihr Schiff lag. Dort angekommen, warfen sie ihren neuen Begleiter in einen Beschleunigungssitz und wiesen ihn an, sich anzuschnallen. Said machte sich eilig an den Armaturen zu schaffen und leitete die Startprotokolle ein.

Dröhnend fuhr der Antrieb hoch, und Said arbeitete die unzähligen Checklisten ab, als er Kerndruck, Hüllenintegrität, Energie- und Notenergieversorgung, Steuerdüsen und das Waffensystem überprüfte.

Lexa kontrollierte derweil Lebenserhaltung, Kommunikation und das Navigationssystem. Danach zog sie die beiden Monitore von oben vor ihr Gesicht und gab einen Kurs ein, während sie die Starterlaubnis der KI des Casinoschiffs einholte.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Bestätigung endlich eintraf. Sie gab Said ein Zeichen, der daraufhin die Andockklammern löste und den Antrieb auf einhundert Prozent Leistung fuhr. Lexa wendete das Schiff mithilfe der Steuerdüsen, und wie eine stählerne Ballerina vollführte die Tianhou eine kunstvolle Drehung um die eigene Achse.

»Festhalten!«, rief sie und gab vollen Schub.

Mit einer Beschleunigung von drei G jagten sie ihrem nächsten Ziel entgegen.

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Kriegsrat: Deneb Prime

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