Grabschwestern - Felicity Green - E-Book

Grabschwestern E-Book

Felicity Green

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Beschreibung

Eine alte viktorianische Nervenanstalt. Knochen auf dem Grund eines ausgetrockneten Sees. Und ein altes Grab, das Verbindung mit Violet Grave aufnimmt.



Loch Laggandhu, Schottland, auf dem Gelände einer verlassenen viktorianischen Nervenheilanstalt:
Grabkünstlerin Violet Grave soll dabei helfen, menschliche Überreste auf dem ausgetrockneten Grund des Sees zu identifizieren. Eigentlich hat sie die übernatürliche Gabe, vergessenen Toten eine Stimme zu verleihen.
Doch diese Gebeine wollen Violet ihre Geheimnisse nicht verraten.



Knochenexperte David Bennett hält Violet für völlig ungeeignet, an den Ermittlungen beteiligt zu sein. Doch während sich die beiden näherkommen, stellt sich heraus, dass Violet geradezu prädestiniert dafür ist, sich mit den Patientinnen der Irrenanstalt zu identifizieren.



Ein Grab auf dem Friedhof der ehemaligen Klinik übt eine unheimliche Anziehungskraft auf Violet aus. Als ihr diese Verbindung zu einem charismatischen Arzt mit ungewöhnlichen Handlungsmethoden Albträume beschert, die sie in einen gefährlichen Strudel der Zeit reißen, ist es schon zu spät, sich dagegen zu wehren. Violets eigene begrabene Vergangenheit tritt zutage, sie entfremdet sich immer mehr von ihren wenigen Freunden – und am Ende fällt es ihr schwer, die schaurigen Träume von der düsteren Wirklichkeit zu unterscheiden.

Kann Violet das Rätsel um die Klinik und seine Bewohner aufdecken, bevor sie dasselbe Schicksal ereilt wie die Frauen auf dem Grund des dunklen Sees?



Fans von Felicity Greens Bestseller-Serie HIGHLAND-HEXEN-KRIMIS kennen Violet Grave aus Band 7, DER TEUFEL IM GRABE.
Mit GRABSCHWESTERN beginnt eine neue Reihe mit der Grabkünstlerin und Friedhofsenthusiastin als Protagonistin: Die Violet-Grave-Mystery-Thriller.



»packend geschrieben« – Rajets Fantastische Bücherseite

»spannungsgeladen« – Leseengels Bücherblog

»schaurig-schöner Mystery-Thriller« – Amazon-Rezensentin


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Veröffentlichungsjahr: 2021

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GRABSCHWESTERN

EIN VIOLET-GRAVE-MYSTERY-THRILLER

FELICITY GREEN

Felicity Green

Grabschwestern

Ein Violet-Grave-Mystery-Thriller

© Felicity Green, 1. Auflage 2021

www.felicitygreen.com

Veröffentlicht durch:

A. Papenburg-Frey

Schlossbergstr. 1

79798 Jestetten

[email protected]

Umschlaggestaltung: CirceCorp design - Carolina Fiandri

(www.circecorpdesign.com)

Korrektorat: Wolma Krefting, bueropia.de

Druck: BookPress.eu

Bestellung und Vertrieb: Nova MD GmbH, Vachendorf

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Personen und Handlungen sind frei erfunden oder wurden fiktionalisiert. Ähnlichkeiten mit lebenden und verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

www.felicitygreen.com

Taschenbuch ISBN: 978-3-96966-719-4

INHALT

Die Autorin

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Kapitel vierundzwanzig

Kapitel fünfundzwanzig

Kapitel sechsundzwanzig

Kapitel siebenundzwanzig

Kapitel achtundzwanzig

Kapitel neunundzwanzig

Kapitel dreißig

Kapitel einunddreißig

Kapitel zweiunddreißig

Kapitel dreiunddreißig

Epilog

Grabgesang: Ein Violet-Grave-Mystery-Thriller 2

DAS BUCH

Würdest du deine eigene geistige Gesundheit aufs Spiel setzen, um Gerechtigkeit für andere zu erlangen?

Loch Laggandhu, Schottland, auf dem Gelände einer verlassenen viktorianischen Nervenheilanstalt:

Grabkünstlerin Violet Grave soll dabei helfen, menschliche Überreste auf dem ausgetrockneten Grund des Sees zu identifizieren. Eigentlich hat sie die übernatürliche Gabe, vergessenen Toten eine Stimme zu verleihen.

Doch diese Gebeine wollen Violet ihre Geheimnisse nicht verraten.

Knochenexperte David Bennett hält Violet für völlig ungeeignet, an den Ermittlungen beteiligt zu sein. Doch während sich die beiden näherkommen, stellt sich heraus, dass Violet geradezu prädestiniert dafür ist, sich mit den Patientinnen der Irrenanstalt zu identifizieren.

Ein Grab auf dem Friedhof der ehemaligen Klinik übt eine unheimliche Anziehungskraft auf Violet aus. Als ihr diese Verbindung Albträume beschert, die sie in einen gefährlichen Strudel der Zeit reißen, ist es schon zu spät, sich dagegen zu wehren. Violets eigene begrabene Vergangenheit tritt zutage, sie entfremdet sich immer mehr von ihren wenigen Freunden – und am Ende fällt es ihr schwer, die schaurigen Träume von der düsteren Wirklichkeit zu unterscheiden.

Kann Violet das Rätsel um die Klinik und seine Bewohner aufdecken, bevor sie selbst immer weiter in den Bann eines charismatischen Arztes mit ungewöhnlichen Behandlungsmethoden gerät – und sie dasselbe Schicksal ereilt wie die Frauen auf dem Grund des dunklen Sees?

DIE AUTORIN

Felicity Green schreibt Urban Fantasy und Paranormal Mystery-Serien für Leserinnen, die Mythen und Magie, unerwartete Wendungen, Gänsehaut und große Gefühle lieben.

Felicity wurde in der Nähe von Hannover geboren und zog nach dem Abitur nach England. In Canterbury studierte sie Literatur und Schauspiel. Später tingelte Felicity mit diversen Theatergruppen durch England, Irland und Schottland – eine Inspiration für die Schauplätze ihrer Romane. An der University of Sussex schloss sie einen MA in Kreativem Schreiben ab.

Mit ihrem Mann Yannic, Tochter Taya und Kater Rocks lebt sie jetzt an der Schweizer Grenze.

www.felicitygreen.com

KAPITEL EINS

Die Knochen blieben stumm.

Die braunen Gebeine auf dem Grund des halb ausgetrockneten Loch Laggandhu wollten Violet ihre Geheimnisse nicht verraten.

Nicht das leiseste Raunen war zu vernehmen. Da war bloß das Rauschen des Windes in den Kiefern, die den tiefen See im Cairngorms Nationalpark umgaben.

Eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung machte sich in ihr breit.

Violet würde Cat bestätigen müssen, dass sie ihr nicht helfen konnte. Sie hatte doch gewusst, dass es töricht von ihr gewesen war, sich überreden zu lassen, nach Schottland zu kommen.

Dennoch verursachte es ihr körperliches Unbehagen, dass sie beim Anblick der Toten so rein gar nichts spürte – weder sachte Vibrationen noch eine leise Ahnung.

Es wäre das Vernünftigste, sie setzte sich gleich wieder ins Auto und fuhr zurück nach Brighton, ohne dieser Sache weitere Bedeutung zuzumessen.

Violet drückte den Rücken durch und streckte das Gesicht in den Wind, obwohl sie an diesem empfindlich kühlen Apriltag in den schottischen Highlands die Nase lieber in den schwarzen Fellbesatz ihres Mantelkragens gesteckt hätte. In 360 Metern Höhe waren die Temperaturen hier um einiges niedriger als in ihrer Heimat in Südengland.

Aber sie weigerte sich, sich von den stur schweigenden Knochen und der wilden, unwirtlichen Umgebung einschüchtern zu lassen.

Natürlich spürte sie hier nichts.

Es handelte sich um verstreute Skelette, die nicht einmal begraben worden waren.

Kein Stein markierte ihre Grabstätte und verankerte sie in der Gegenwart.

So konnte Violet selbstverständlich keine Verbindung mit ihnen aufnehmen, denn sie hatte eine besondere Affinität zu Gräbern. Es waren die Grabsteine, die ihr Geschichten erzählten, nicht die Überreste derer, die darunter beerdigt worden waren.

Genau das hatte sie Cat auch schon gesagt.

Violet wandte sich vom See ab und kletterte über Baumwurzeln, Steine und Kriechgewächse den Uferhang hinauf. Sie erschauderte, als ihr in den Sinn kam, dass Laggandhu »dunkle Senke« bedeutete. Genauso fühlte sich dieses Loch auch an und das Düstere im Rücken machte sie unruhig. Vielleicht waren es doch die Knochen, die dieses Gefühl verursachten? Vielleicht sendeten sie ihr doch Signale …? Violet drehte sich noch einmal um, aber ihr ursprünglicher Eindruck änderte sich nicht.

Sie war froh, als sie die Bäume hinter sich ließ, die den See wie ein Ring von Wächtern umgaben, auch wenn der Wind ihr hier auf dem ungeschützten Gelände die schwarzen Haarsträhnen ins Gesicht blies.

Violet stapfte über die unwegsame Heide auf eine der wenigen noch stehenden Außenmauern der ehemaligen Nervenheilanstalt zu. Dort waren Zelte aufgebaut worden, und Cat und ihr Team von Highland Archaeology warteten nur darauf, dass sie mit der Bergung der Knochen anfangen konnten.

Violets Blick ging suchend zwischen den wuselnden Menschen umher, bis er auf Cat traf. Die hatte ihre rötlich blonden Haare zu einem nachlässigen Dutt zusammengebunden und trug, wie die anderen Mitglieder ihres Teams, wetterfeste Kleidung in Erdtönen. Sie führte eine lebhafte Unterhaltung mit einem älteren, größeren Mann. Wenn Cat so heftig gestikulierte, dann hieß das, dass sie unter Strom stand.

Kein Wunder. Cats Job stand auf dem Spiel, wenn sie und ihr Team nicht hervorragende Arbeit leisten würden.

Violet seufzte. Sie hatte keine große Lust, ihrer Freundin gleich erklären zu müssen, dass sie ihr nicht helfen konnte.

Wieder wünschte sie sich, sie wäre gar nicht erst hergekommen. Aber Cat konnte sehr energisch sein, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Ihre Überredungskünste waren so gut, dass sich Violet nach dem gestrigen Telefongespräch gleich ins Auto gesetzt hatte und losgefahren war.

Den Verlauf der Unterhaltung hatte sich Violet während der langen Fahrt quer durch das nächtliche Großbritannien immer wieder in Erinnerung gerufen.

»Wie du weißt, ist das mein erstes großes Projekt mit dieser Firma«, hatte Cat gesagt. »Dir gegenüber kann ich es zugeben: Ich war teilweise leicht überfordert. Bislang ist es glimpflich abgelaufen. Aber jetzt … jetzt geht alles den Bach runter, Violet. Und ich weiß nicht, was ich machen soll. Wenn ich das verbocke, ist meine Karriere bei Highland Archaeology beendet.«

Violet hatte einen Moment lang geschwiegen. Cat hatte ihr in den letzten Wochen immer wieder vorgeschwärmt, wie toll dieses Grabungsunternehmen war. Es beschäftigte über hundert Leute und war die größte private Grabungsfirma, die archäologische Baubegleitung, privat finanzierte Ausgrabungen und Beratung zu Denkmalschutz unter einem Dach vereinte. Violet wusste nicht recht, was sie als unabhängigkeitsliebende Künstlerin von dieser kommerziellen Archäologie halten sollte. Erst hatte sie gar nicht richtig verstanden, was Baugebietserschließungen, Windparks, Straßenbau und dergleichen mit Archäologie zu tun hatten, bis Cat ihr erklärte, dass private und staatliche Bauunternehmungen sich auf diese Weise absicherten. Wenn man bei einem schon vorangeschrittenen Projekt auf archäologisch bedeutsame Zufallsausgrabungen oder irgendetwas im Bereich Kulturerbe stieß, dann kam es zu einem Baustopp. Deshalb wurde vorher alles ausgelotet, um eine solche, oft mit hohen Kosten verbundene Unterbrechung später zu vermeiden. Aus dem Grund heuerten die Bauunternehmen Firmen wie Highland Archaeology an.

Doch anscheinend war in diesem Fall, der Anlage eines großen Luxus-Golfresorts, gerade das passiert, was Cats Firma hätte verhindern sollen.

Nachdem das Gelände mit der Ruine einer alten Nervenheilanstalt untersucht und eine Lösung für den Schutz eines kleinen Friedhofs gefunden worden war; nachdem das Bauunternehmen sich mithilfe von Scotland Enterprise, einer staatlichen Behörde für Wirtschaftsentwicklung, gegen Umweltschützer durchgesetzt hatte und nachdem dem Bauantrag dank Cats Gutachten stattgegeben worden war und erste Bauarbeiten begonnen hatten … waren menschliche Überreste auf dem Areal entdeckt worden.

Verständlich also, dass Cat Panik schob. Eigentlich hatten sie und ihr Team versagt. Dass sie jetzt damit beauftragt wurde, die Knochen untersuchen zu lassen, war sozusagen ihre Bewährungsprobe. Wenn Cat nicht dafür sorgte, dass sie das »kleine Problem« schnell und effizient aus dem Weg räumte, dann war sie ihren Job los.

»Ich würde dir wirklich gerne helfen, Cat«, hatte Violet gesagt. »Aber ich bin doch kein ... menschlicher Leichendetektor. Ich habe lediglich eine besondere Verbindung zu Gräbern. Friedhöfe sind mein Metier. Ich weiß nicht, wie du dir das vorstellst, was ich da genau machen soll …«

»Ich weiß es auch nicht genau, Violet«, war Cats etwas verzweifelt klingende Antwort gewesen. »Aber wir müssen das gesamte Gelände absuchen, um sicherzustellen, dass es nicht noch weitere Leichen gibt. Die wir anscheinend übersehen haben. Natürlich haben wir Geräte, die uns dabei helfen können. Doch das Gebiet ist so groß und ich stehe unter riesigem Druck, in kürzester Zeit zu bestätigen, dass es sich nur in diesem unseligen See um Knochenfunde handelt, von denen wir unmöglich etwas wissen konnten. Von denen niemand etwas erfahren hätte, wenn Loch Laggandhu nicht ausgetrocknet wäre. Ich meine, wie hätten wir ahnen können, dass es Leichen auf dem Grund gibt?« Cat hatte in beschwörendem Tonfall hinzugefügt: »Ich erwarte nichts von dir, Violet. Aber wenn es eine klitzekleine Chance gibt, dass du auch nur eine winzige übernatürliche Ahnung hast, wo sich noch mehr Überraschungen auf dem Grundstück verbergen, dann würdest du mir damit wirklich helfen.«

»Ich weiß nicht. Ich will dich natürlich nicht im Stich lassen, aber …«

»Denk nur an den Friedhof.« Cat hatte triumphierend geklungen, als sie dieses Ass aus dem Ärmel zog. »Den alten Friedhof, der zu der Nervenheilanstalt gehört hat. Einer der Gründe, warum Highland Archaeology überhaupt beauftragt wurde. Der Golfkurs muss um diesen Friedhof herumgebaut werden, die alten Gräber bleiben erhalten. Auf jeden Fall wäre das doch was für dich, oder? Der Friedhof einer alten viktorianischen Irrenanstalt? Genau dein Ding.«

Alte Friedhöfe zogen Violet in der Tat magisch an. Das viktorianische Zeitalter war ihr Spezialgebiet. Davon abgesehen war Cat eine ihrer einzigen wahren Freundinnen und sie brauchte sie.

So hatte sie sich tatsächlich zu diesem Trip nach Schottland verleiten lassen, obwohl sie sich geschworen hatte, so bald nicht mehr dorthin zurückzukehren. Die schmerzlichen Erinnerungen an das, was hier vor ein paar Jahren vorgefallen war, saßen zu tief. Widersprüchlicherweise war alles um den Tod ihres Exfreundes Ethan nur noch sehr nebulös in ihrem Gedächtnis vorhanden. Vielleicht lag es einfach daran, dass ihre Psyche sich gegen eine Auseinandersetzung mit dieser traumatischen Zeit wehrte, sodass sich immer wieder ein dunkler Schleier über den Blick in diese Vergangenheit legte, sobald sie ihn wagte.

Auf jeden Fall hatte sie es seither vermieden, in diese Ecke Großbritanniens zurückzukehren. Nun, die Cairngorms befanden sich viel weiter nördlich als alles, was sich um Ethans tragischen Tod herum abgespielt hatte. Und der Versuchung, mal wieder einen schottischen Friedhof zu erleben, war schwer zu widerstehen.

Nun war sie schon einmal hier, sagte sich Violet jetzt, und ging auf Cat zu. Auch wenn sie sich vorhin, am dunklen See, vorgenommen hatte, gleich wieder nach Hause zu fahren, wusste Violet, dass sie nicht heimkehren würde, ohne den Friedhof der viktorianischen Nervenheilanstalt zu sehen.

Und sie musste Cat, die ihr Gespräch mittlerweile beendet hatte und sie erwartungsvoll anschaute, vielleicht noch nicht so ganz enttäuschen.

Vielleicht würden ihr die Gräber tatsächlich etwas verraten, was die Knochen im Loch Laggandhu verschwiegen.

KAPITEL ZWEI

»Lauf doch einfach noch ein bisschen herum«, schlug Cat mit einem hoffnungsvollem Blick vor, nachdem Violet ihr hatte eröffnen müssen, dass sie bei den Knochen am See nichts spürte. »Das Gelände ist groß, aber den Friedhof kannst du eigentlich nicht verfehlen.« Sie zeigte in die Richtung, in der er lag. »Hinter dem Wäldchen dort.«

Violets Blick folgte der imaginären Linie zwischen Cats Zeigefinger und den Bäumen. Wahrscheinlich bildete sie es sich nur ein, aber der im Moment noch versteckte Friedhof fühlte sich an wie ein Kraftfeld. Oder wie der ersehnte Schatz am Ende des Regenbogens. Ihre Füße setzten sich wie von alleine langsam in Bewegung, um den verheißungsvollen Ort zu erkunden.

»Such mich, wenn du zurückkommst, denn ohne mich findest du wahrscheinlich nicht zu unserem Cottage. Es ist ziemlich abgelegen«, rief Cat ihr hinterher. Violet nickte nur, auch wenn sie noch nicht wusste, ob sie Cats ursprüngliches Angebot, in dem von ihr angemieteten Häuschen zu übernachten, annehmen würde.

Um die ehemalige Klinik herum hatte man Rasenflächen angelegt, die unlängst gemäht worden waren. Doch dann begann die unebene Moorheide und der Weg zu der Baumgruppe wurde beschwerlicher. Violet hatte guten Halt in ihren altmodischen schwarzen Schnürstiefeln, doch sank sie mit den kurzen Absätzen öfter ein. Wanderschuhe wären praktischer gewesen. Vielleicht hatte Cat noch ein zweites Paar, das Violet ausleihen konnte, falls sie weitere Expeditionen über das Klinikgelände unternehmen sollte.

Doch je näher Violet dem Friedhof kam, desto weniger machte ihr das unwegsame Gelände oder die kalte Witterung etwas aus. Ein schmaler Pfad führte durch die Baumgruppe und nachdem Violet ein paar Meter gegangen war, fühlte sie sich, als hätte sie eine andere Welt betreten – ähnlich wie beim Loch Laggandhu. Die dicht stehenden Kiefern schützten sie vor dem Wind und es herrschte eine andere, irgendwie intimere Atmosphäre als in den Weiten des Moors. Es wurde dunkler und das leise Flüstern des Windes in den Baumkronen verstärkte die Stille nur noch. Violet kam es vor, als ob sie den Mittelgang einer Kapelle durchschritt. Und als sich nach kaum mehr als fünf Minuten Fußmarsch die Bäume wieder lichteten und den Blick auf den kleinen Friedhof freigaben, kam sie nicht umhin, es mit dem Erreichen des heiligen Altars zu vergleichen.

Violets Herz schlug ein bisschen schneller und sie beschleunigte ihre Schritte. Der Friedhof genoss zwar den Windschutz der Bäume, aber sobald sie aus dem Wäldchen trat, wurde es wieder merklich kälter.

Eine niedrige, teils in sich zusammengefallene Mauer mit verwitterten, moosbewachsenen Steinen umgab die Gräber. An einer Stelle, direkt gegenüber von dem Pfad durch die Bäume, gab es eine Lücke in der Umgrenzung von der Breite eines Gartentors. Verrostete Ösen verrieten, dass es dort wohl auch einmal eines gegeben hatte.

Gespannt durchquerte Violet die Friedhofsumgrenzung. Selbstverständlich hatte sie schon über die Mauer hinweg gesehen, dass es sich nicht um eine Begräbnisstätte mit Mausoleen oder gar kunstvoll gearbeiteten großen Grabskulpturen handelte. Viele hätten diesen Friedhof wohl für recht langweilig gehalten. Man konnte noch nicht mal genau sagen, wie viele Verstorbene hier beerdigt lagen. Kleine Grabsteine aus Sandstein waren teils umgefallen, verwittert und von der Natur wieder eingenommen worden.

Aber Violet fand den Friedhof alles andere als unspektakulär. Für sie hatte jeder seinen eigenen Charme. Als Grabkünstlerin fertigte sie Reproduktionen von besonderen Grabsteinen an – und da verkauften sich natürlich auffälligere Steine wie keltische Kreuze oder Engelsskulpturen am besten. Sie hielt deshalb immer Ausschau nach solchen. Aber sie hatte auch ein Auge für Besonderheiten auf unscheinbar wirkenden Grabmälern. Sie kannte sich mit den darauf eingravierten Symbolen aus, besonders mit denen aus dem viktorianischen Zeitalter. So wurde jede Friedhofserkundung eine Art Schatzsuche nach diesen Zeichen, die anderen, ahnungslosen Besuchern entgehen würden.

Aus Erfahrung wusste sie auch, dass selbst auf dem kleinsten Grabstein, hinter einer Schicht grünen Mooses, ein wunderbarer, einzigartiger Epitaph schlummern könnte, von der Sorte, die sie sammelte und öfter auf ihrer Website veröffentlichte.

Abgesehen von diesen äußerlichen, ja, man könnte sagen oberflächlichen Besonderheiten, die ein Friedhof vielleicht zu bieten hatte, wusste Violet aber noch etwas anderes zu schätzen.

Das hatte mehr mit dem zu tun, was unter der Friedhofserde lag.

Es spielte keine Rolle, wie der Grabstein aussah. Ein jeder konnte mit Violet sprechen, wenn der darunter Begrabene noch eine Geschichte zu erzählen hatte.

So sah Violet in jedem der Steine, die vielleicht verborgen unter einer Schicht Pflanzen auf diesem Friedhof lagen, eine Art Energiequelle. Mit einer Mischung aus Respekt, Vorfreude und Angst wartete sie darauf, dass sie die Vibrationen spüren würde, die ihren ganzen Körper von den Fingerspitzen bis zum Knochenmark durchfuhren.

Sie war sich fast hundertprozentig sicher, dass es hier einen, wenn nicht mehrere von der Sorte Grabsteine geben würde.

Die Nervenheilanstalt Laggandhu House war eine private Klinik für psychisch kranke Frauen gewesen, die ein englischer Arzt im Jahre 1888 gegründet hatte. Mehr wusste sie nicht darüber. Aber allein diese Tatsache verleitete sie zu der Annahme, dass hier Frauen lagen, die aus einem Leben mit unausgeschöpftem Potenzial gerissen worden waren. Frauen, die noch eine Geschichte zu erzählen hatten.

Und genau die waren schließlich Violets Spezialität. Es waren ihre Grabsteine, die mit ihr »redeten«. Die Geschichten dieser Frauen hatte Violet in den Episoden ihres Podcasts Grave Secrets erzählt, und sie selber spürte immer das befriedigende Gefühl der Erlösung, das sie diesen Toten geben konnte. Wenn sie danach erneut ihre Gräber besuchte, dann gab es einen Unterschied.

Sie konnte es niemandem erklären, fand es selber schwer, Worte dafür zu finden. Vielleicht war es ein bisschen so, als hätte der Grabstein vorher in einem dunklen Schatten gelegen, der sich mittlerweile gehoben hatte. Oder als wenn etwas das Grab niedergedrückt hatte und es jetzt freier stand und mehr Platz besaß.

Auf jeden Fall war es ein anderes Gefühl, wenn sie den kühlen, rauen Stein eines Grabes berührte, nachdem sie Leben und Tod der darunter Begrabenen recherchiert und vielleicht etwas Verborgenes aufgedeckt oder ein Unrecht wiedergutgemacht hatte.

Violet war Einzelgängerin und hatte nicht viele Freunde. Aber für sie war jede Frau, der sie auf diese Weise geholfen hatte, eine Freundin. Auch wenn ihre, man könnte sagen übernatürliche Begabung ihr manchmal Angst machte, auch wenn sie dabei des Öfteren mit Sachen konfrontiert wurde, die ihr Albträume bereiteten, und obwohl ihre Lebensaufgabe und ihre Faszination für Friedhöfe sie zu einer Außenseiterin machten, so freute sie sich doch bei jedem Besuch dieser Ruhestätten auf eine solche Verbindung.

In Anbetracht all dessen, was sie über Frauen, psychische Krankheiten und das viktorianische Zeitalter wusste, müsste Violet bei ihrer Vergangenheit prädestiniert dafür sein, eine geeignete Freundin für eine oder mehrere der hier beerdigten Frauen zu werden.

Und tatsächlich. Es gab ein Grab, das Violet sofort anzog. Es war zufällig das mit dem größten Grabstein, der im Gegensatz zu den meisten anderen auch noch aufrecht in die Höhe ragte.

Ja, man könnte fast glauben, musste Violet etwas amüsiert feststellen, dass die umliegenden kleinen, schiefen Grabsteine sich vor diesem hohen verneigten.

Violet spürte die Anspannung im ganzen Körper und ihr Herz raste, als sie nahe genug war, um die Inschrift zu lesen.

Der Stein war wie die anderen verwittert, aber Name und Jahreszahlen ließen sich trotzdem gut erkennen.

Verwirrung und Enttäuschung machten sich in Violet breit, als sie den Namen der hier beigesetzten Person entzifferte. Ihr Blick huschte immer wieder über den eingemeißelten Schriftzug, so als müsste sie sich vergewissern, dass sie sich nicht getäuscht hätte.

George William Bellamy.

Hier lag ein Mann.

Violet brauchte eine Weile, bis sie ihre Erwartungen und die Realität in Einklang gebracht hatte. Da hier Patientinnen bestattet worden sein sollten und es sich um eine Klinik für Frauen gehandelt hatte, war sie einfach davon ausgegangen, dass auf diesem Friedhof ausschließlich Frauen begraben lagen. Es passte zu ihrem persönlichen Muster, dass es hauptsächlich Frauen waren, deren Geschichten sie erzählte.

Aber es war auch schon vorgekommen, dass ein Stein, der zu ihr gesprochen hatte, das Grab eines Mannes markierte. Dass sie die Vibrationen dieses Steins spürte, war also nicht komplett ungewöhnlich. Wer wusste schließlich schon, warum die Grabmäler mit Violet sprachen und was die Verbindung zwischen ihr und diesen ganz besonderen Toten ausmachte?

In einer Anstalt wie Laggandhu House lebten nicht nur Patienten, sondern auch Personal. Es konnte sehr gut sein, dass einige davon ebenfalls hier begraben worden waren und dass darunter auch Männer waren.

Der Grabstein von George William Bellamy hob sich von den anderen ab, was dafür sprach, dass er vielleicht eine höhere Stellung in der Anstaltshierarchie eingenommen hatte.

Diese logischen Schlussfolgerungen hätten Violet eigentlich beruhigen sollen, aber ihre Hand zitterte trotzdem, als sie sie ausstreckte, um das Grab zu anzufassen.

Kaum berührten ihre Fingerspitzen den kühlen Stein, durchzuckte Violet das altbekannte Gefühl, das einem elektrischen Schock glich.

Es gab keine Zweifel, dass dieser Stein eine Verbindung mit ihr suchte – ihre »Ahnung« war sogar stärker als bei vielen anderen Grabmalen zuvor. Ihre Hand verkrampfte sich ohne ihr bewusstes Zutun um den abgerundeten Rand des Steines. Als ob ihr Körper magnetisch angezogen würde, sank sie darüber zusammen.

Violet wusste nicht, wie lange sie dort auf dem feuchten Gras und Moos gekniet und den Stein quasi umarmt hatte, aber als sie sich schließlich benommen wieder aufrichtete, war die Kälte des Bodens in ihre Knochen gezogen.

Ihre Gelenke waren steif und ihre Wange, mit der sie auf dem Stein gelegen hatte, war so kalt, dass sie sie kaum noch spürte. Gedankenverloren rieb sie sie mit der Hand, während sie George William Bellamys Grab anstarrte.

Ihre Reaktion auf das Grab dieses Mannes befremdete sie – aber sie musste zugeben, dass Gräber und Friedhöfe sie schon öfter zu einem Verhalten gebracht hatten, das »normale« Menschen wahrscheinlich für sonderbar halten würden.

Violet zog ihr Handy aus der Tasche, schaltete die App mit der Diktierfunktion ein und sprach mit heiserer Stimme: »George William Bellamy. 1856 bis 1904.« Sie hielt auch die Lage des Grabes auf dem Friedhof fest, die Maße und weitere Besonderheiten des Steins.

Als sie damit fertig war, zögerte sie einen Moment, bevor sie auch die Impressionen protokollierte, die ihr vorhin gekommen waren.

»Arzt«, sagte sie schließlich. »Ein respektierter Arzt, dem seine Patientinnen sehr am Herzen lagen.«

Nachdem Violet ihr Handy wieder weggesteckt hatte, brauchte sie noch eine Weile, bis sie es schaffte, sich von dem Grab abzuwenden.

Schließlich ging sie langsam zum ehemaligen Eingangstor zurück.

Erst als sie sich dort noch einmal umdrehte, fiel ihr auf, dass sie sich nicht weiter auf dem Friedhof umgesehen hatte. Bestimmt war hier noch einiges zu entdecken. Und wer wusste es schon, vielleicht gab es doch noch das eine oder andere Grab einer Patientin, das sie besonders ansprechen würde?

Doch Violet spürte, dass sie gerade keine Kraft mehr dafür hatte.

Erschöpft machte sie sich auf den Rückweg zur Klinik.

Als sie sich der Ruine näherte, fragte sie sich, wie die spärlichen Mauerreste des ehemals bestimmt imposanten Gebäudes wohl auf sie wirken würden, wenn es nicht wie jetzt vor Menschen wimmeln würde.

Sie versuchte sich auf die Aufgabe zu konzentrieren, wegen der Cat sie hergebeten hatte.

Violet streckte im übertragenen Sinne ihre Fühler aus, ähnlich, wie sie es auf einem Friedhof tat.

Aber es überraschte sie nicht, dass sie dabei nichts empfand. Auf einem Friedhof hatte sie ja schließlich auch kein Gespür für die Leichen unter der Erde. Wie sie Cat schon gesagt hatte, sie war kein Kadaverhund.

Violet hatte noch nie Geister gesehen, wusste auch nicht, ob sie an sie glaubte. Ihre Verbindung zu den Toten hatte etwas mit den Grabsteinen zu tun. Es kam ihr vor, als wären diese Grabsteine wie Ankerverbindungen zwischen der Vergangenheit der Toten und der Gegenwart. Und wenn auf dem Gelände der ehemaligen Nervenheilanstalt Leichen begraben waren, dann waren ihre Gräber offensichtlich nicht markiert. Es ergab für Violet Sinn, dass die Geschichten der möglicherweise verscharrten Toten sie gar nicht erreichen würden, wenn es diese Steinanker nicht gab.

Sie seufzte beim Gedanken daran, wie sie Cat das erklären sollte und fühlte sich auf einmal noch müder.

Statt die Ruine der Klinik zu betreten, beschloss sie, Cat zu finden und ihr zu sagen, dass sie sich dringend ausruhen musste.

KAPITEL DREI

Violet fand Cat bei den Zelten. Sie war mit einem Mann im Gespräch, der trotz seines grimmigen Blickes sehr attraktiv wirkte.

Violet wartete höflichkeitshalber ein paar Schritte entfernt, um einen geeigneten Moment zu erwischen, mit Cat zu sprechen.

Die Arme um den Körper geschlungen trippelte sie von einem Fuß auf den anderen. Sie war mittlerweile richtig durchgefroren.

Der Mann warf ihr immer wieder einen abschätzenden Blick unter den dunklen, vollen Augenbrauen zu. Er hatte die Sorte stechend blaue Augen, die einen irgendwie immer ein bisschen aus der Fassung brachten.

Nach einer Weile legte er die Hand auf Cats Arm, um sie zu unterbrechen. »Entschuldigung, Catriona.« In gereizterem Ton rief er Violet zu: »Können wir Ihnen helfen?«

Cat drehte sich zu Violet um. Offensichtlich hatte sie deren Anwesenheit noch gar nicht bemerkt, so vertieft war sie in die Unterhaltung mit dem grimmigen Mann gewesen.

»Ah, Violet«, sagte sie jetzt. »Irgendetwas gefunden?« Cat warf dem Mann einen nervösen Seitenblick zu, der Violet verriet, dass sie nicht ins Detail gehen sollten.

Deshalb schüttelte sie nur den Kopf.

»David, das ist Violet Grave. Sie hilft … sie ist eine Beraterin.« Cat setzte ein charmantes Lächeln auf, um ihre Unsicherheit zu überspielen. »Violet, Dr. David Bennett ist unser Knochenexperte. Ein Osteoanthropologe, der an der Universität von Dundee forscht. Er wird die Knochenfunde untersuchen, um uns hoffentlich mehr darüber erzählen zu können. Hauptsächlich müssen wir selbstverständlich wissen, wie alt die Skelette sind. Die Polizei ermittelt in Fällen, die fünfzig bis siebzig Jahre zurückliegen, denn nur dann kann ja noch jemand für ein etwaiges Verbrechen verurteilt werden.« Cat zeigte auf den älteren Herrn, mit dem Violet sie vorhin zusammen gesehen hatte, und der jetzt mit mehreren uniformierten Polizisten in einem Grüppchen beieinanderstand. Offensichtlich leitete er die Ermittlungen. »Deshalb ist unsere oberste Priorität, herauszufinden, ob das Ganze noch ein Fall für die Polizei ist«, plapperte Cat weiter.

»Aha. Du, ich bin todmüde und mir ist kalt«, unterbrach Violet sie. »Ich muss unbedingt zu diesem Cottage und mich hinlegen. Wenn du mich nicht hinbringen kannst, dann versuche ich es mit Koordinaten und meinem Navi.«

Cat warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Doch, doch, ich bringe dich besser. Wenn so weit erst mal alles klar ist, David?« Sie schaute zu Dr. Bennett hoch. Der nickte, war jedoch ganz offensichtlich nicht besonders erfreut, dass Violet die wichtige Arbeit seines Teams unterbrach.

»Gut, dann sage ich schnell dem DCI Bescheid, dass ich kurz weg bin.«

Sie ging zu den Polizisten und ließ Violet und David Bennett alleine.

Violet war schon bei bester Laune kein Fan von Smalltalk und hoffte, dass der Knochenexperte sich von ihr verabschieden und sich mit seiner wichtigen Arbeit befassen würde.

Doch Dr. Bennett stand immer noch am gleichen Fleck. Als Violet ihren Blick von den Fußspitzen hob und in seine Richtung huschen ließ, hatte er die Arme vor der Brust verschränkt und sah sie unverwandt aus diesen beunruhigend blauen Augen an.

»Was genau ist denn Ihre beratende Funktion, wenn ich fragen darf?«

Violet beschloss, die Herausforderung anzunehmen und erwiderte seinen Blick. »Ich bin Expertin für Gräber. Ich habe mir den Friedhof angesehen.«

Die Furche zwischen Davids Brauen wurde noch tiefer. »Sie heißen Grave und sind Grabexpertin?«

Violet zuckte mit den Schultern. Sie hatte keine Lust, Dr. Bennett zu erklären, dass Grave ein Künstlername war. Er kam ihr wie der Typ Wissenschaftler vor, der sich über ihre Tätigkeiten als Grabkünstlerin und Podcasterin lustig machen würde. Violet fand nicht, dass sie es nötig hatte, diesem herablassenden Typen beweisen zu müssen, auch ohne akademische Titel eine Expertin in Grabkunde zu sein. Es gab sicher wenige, die sich beispielsweise so gut mit viktorianischer Grabikonografie auskannten wie Violet. Aber wahrscheinlich würde David Bennett ihr das nicht glauben.

Deshalb schwieg sie einfach, während der Anthropologe sie von Kopf bis Fuß musterte und sich ganz offensichtlich über ihre Kleidung wunderte. Violet zog ihren langen zweireihigen Mantel mit dem kürzeren Rockschoß enger um sich.

Schließlich sagte er: »Ich dachte, die Untersuchung des Friedhofs sei schon längst abgeschlossen und dem Bauantrag deshalb stattgegeben worden? Oder hat hier jemand den Verdacht geäußert, dass die Knochen auf dem Grund des Loch Laggandhu aus den Gräbern des Friedhofs stammen und erst in letzter Zeit von dort in den See gebracht wurden? Nach meinen Untersuchungen in situ kann ich mir das schlecht vorstellen.«

An diese Möglichkeit hatte Violet gar nicht gedacht. »Auf dem Friedhof gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass die Grabstätten in letzter Zeit gestört worden wären oder gar etwas ausgegraben wurde«, sagte sie nur, froh, Cat auf sie zueilen zu sehen und so um ein weiteres Verhör herumzukommen.

»Bis nachher, David«, rief Cat dem Knochenexperten zu und machte eine ungeduldige Kopfbewegung in Richtung Violet. Die verabschiedete sich mit einem knappen Nicken und hechtete Cat hinterher, ohne David Bennetts Reaktion abzuwarten.

Violets Wagen stand in der Reihe geparkter Autos um einiges weiter hinten als der von Cat. Als sie bei ihrem Auto angekommen war, stand ihre Freundin schon mit laufendem Motor und heruntergedrehter Fensterscheibe in umgekehrter Fahrtrichtung neben ihr. »Folg mir einfach«, rief Cat ihr zu und fuhr noch ein weiteres Stück vor.

Es dauerte eine Weile, bis sich Violet mit ihrem alten Corsa auf dem matschigen Untergrund aus der Lücke zwischen den Autos vor und hinter ihr herausmanövriert hatte. Etwas neidisch blickte sie auf das Heck von Cats nigelnagelneu aussehendem Wagen – es war eines dieser Schiffe mit Allradantrieb, das ihren eigenen Gebrauchtwagen im Vergleich dazu wie eine rostende Konservendose wirken ließ.

Cat hatte immer schon eine Vorliebe für die schöneren Dinge im Leben gehabt. Die meisten Archäologen konnten sich ein solches Auto wohl kaum leisten, obwohl Violet zugeben musste, dass es bestimmt praktisch war, weil Ausgrabungen öfter auf schlecht zugänglichem Gelände stattfanden. Wenn Cats Job bei Highland Archaeology so gut bezahlt wurde, dann war es kein Wunder, dass ihre Freundin unbedingt alles dafür tun wollte, ihn zu behalten.

Der Weg zu Cats Cottage führte zunächst durch den Ort, durch den Violet auch gekommen war.

Nethy Bridge, ein beschauliches Kaff am Rande des Abernethy Forest. Beim Durchqueren entdeckte Violet nicht viel mehr als einen kleinen SPAR-Laden mit Postfiliale, ein Café und viele B&B-Schilder. Bestimmt gab es noch irgendwo einen Pub, womit der Ort alles hatte, was Touristen brauchten.

Es war nicht so, dass Violet auf mehr Highlife aus war, im Gegenteil, aber das typische Highland-Örtchen weckte dunkle Erinnerungen an ihren letzten Besuch weiter südlich in der Gegend. Sie wollte nicht darüber nachdenken und sagte sich, dass sie mit Nethy Bridge wahrscheinlich gar nicht viel zu tun haben würde. Sie hoffte, Cats Kühlschrank war gefüllt, dann müsste sie dort noch nicht mal einkaufen.

Beim Gedanken daran meldete sich ihr Magen. Mist, sie hätte Cat vorher danach fragen sollen.

Eigentlich wollte sie ja morgen sowieso schon wieder nach Hause fahren. Der beeindruckende Besuch auf dem Friedhof hatte sie das irgendwie vergessen lassen. Aber sie war schließlich nicht wegen dieses George William Bellamy hier, was immer sein Grab von Violet auch gewollt hatte.

Sie war hergekommen, um Cat zu helfen. Wie befürchtet, konnte sie die Hoffnungen ihrer Freundin nicht erfüllen – sie konnte ihr weder etwas über die Knochen sagen noch andere vergrabene Leichen finden. Auch wenn Violet nichts versprochen hatte, würde es bestimmt eine Enttäuschung für Cat sein.

Wenn sie jetzt auf dem Friedhof etwas nachforschte, falls es dort einen weiteren ungelösten Fall gab, dann wäre das nur ein weiterer Stein, den sie Cat in den Weg legte. Und damit würde sie ihre Freundin nicht nur enttäuschen, sondern die Situation auch noch schlimmer für sie machen.

Wahrscheinlich sollte sie George William Bellamy wirklich besser vergessen und wie geplant so bald wie möglich abreisen.

Dennoch spürte Violet den Drang, dem Friedhof noch mal einen Besuch abzustatten, um wenigstens Fotos zu machen.

Schon bald konnte Violet nicht mehr gedanklich das Für und Wider debattieren, weil sie sich auf die Straßen konzentrieren musste – wenn man die Feldwege überhaupt Straßen nennen konnte. Cat hatte nicht gelogen, als sie behauptete, das Cottage sei abgelegen.

Sie waren noch nicht lange östlich von Nethy Bridge unterwegs, als die Zahl der Behausungen sehr spärlich wurde und die Straße nicht mehr asphaltiert war. Die Karte auf Violets Navi beschrieb die triste, von vielen Bächen durchkreuzte Moorlandschaft als Dorback-Tal.

Violets Corsa holperte über Schlaglöcher, vorbei an einer dichten Wand Kiefernwald. Violet wollte sich nicht ausmalen, was passierte, wenn es hier mal so richtig regnete. Der Weg würde unbefahrbar werden. Sie hoffte, sie würde von dem Cottage auch wieder wegkommen.

Was um alles in der Welt hatte Cat dazu bewogen, eine so abgeschiedene Unterkunft zu wählen, fragte sich Violet, als sie den Wald hinter sich gelassen hatten und nun auf ein freistehendes Cottage zusteuerten, das weit und breit das einzige Gebäude war. Schließlich hatte es im Ort doch genug B&B-Zimmer gegeben.

Als sie ihr Ziel endlich erreichten, beantwortete sich Violets Frage von selbst.

Blaeberry Cottage, wie auf dem Holzschild am Eingang stand, war ein zweistöckiges, geräumiges Häuschen mit zwei Schlafzimmern. Auf der Terrasse mit atemberaubendem Ausblick auf die Cairngorm Mountains stand ein Whirlpool.

Die Küche bot viel Platz und war modern eingerichtet, mit allen möglichen technischen Geräten, die einem das Leben leicht machten.

Im Wohnzimmer gab es einen stilechten großen Kamin und die Möbel sahen zumindest so aus wie wertvolle Antiquitäten.

Blaeberry Cottage war eine Luxus-Unterkunft. Ein gewöhnliches Drei-Sterne-B&B-Zimmer war wohl nicht gut genug für Catriona Balfour.

Violet hingegen hätte sich in einem solchen wahrscheinlich wohler gefühlt. Obwohl das Cottage aus groben, grauen Natursteinen mit weiß getünchtem Vorbau und Erkerfenstern von außen eher rustikal wirkte, erinnerte das Innere an ein Museum mit Einrichtungsgegenständen aus dem 19. Jahrhundert. Die dunklen Möbel und die alten Bilder an den Wänden hätten Violet eigentlich ansprechen sollen, wenn man ihre Vorliebe für das viktorianische Zeitalter in Betracht zog. Stattdessen wirkte das Cottage irgendwie kalt und bedrückend auf sie.

Vielleicht brauchte sie gerade einfach etwas Gemütliches.

Aber sie wollte sich nicht beschweren.

Cat ließ sie umsonst hier übernachten, und Violet war immer knapp bei Kasse.

Und wenn sie erst mal ausgeschlafen und sich wieder aufgewärmt hatte, dann sähe sie das Luxus-Cottage wahrscheinlich mit anderen, wertschätzenderen Augen.

Cat zeigte ihr noch die Kühl- und Küchenschrank-Inhalte und wies sie an, sich einfach zu bedienen. »Ich bringe heute Abend etwas aus dem Laden mit, dann können wir uns was Nettes kochen. Und dann haben wir auch Zeit, deine Eindrücke zu besprechen.« Sie schaute auf ihre Armbanduhr; offensichtlich wurde sie bald wieder auf dem Klinikgelände erwartet. Trotzdem konnte sie es wohl nicht aushalten, bis abends zu warten. »Du hast also nichts … gespürt? Oder meinst du, sonst gibt es dort keine weiteren Überraschungen – nur die Leichen im See?« Hoffnungsvoll sah sie Violet an.

»Das kann ich dir leider nicht beantworten«, meinte Violet zerknirscht. »Ich habe auf jeden Fall nichts Ungewöhnliches bemerkt. Aber das muss nichts heißen«, fügte sie rasch hinzu.

Cat kaute auf der Unterlippe herum. Schließlich nickte sie. »Dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als auf dem ganzen Gelände Bodenradarmessungen durchzuführen«, seufzte sie. »Trotzdem danke ich dir, Violet, dass du extra hergekommen bist. Ich weiß das zu schätzen.«

Violet zuckte nur etwas hilflos mit den Schultern. Sie wünschte wirklich, sie hätte etwas für Cat tun können. Ob sie ihr doch etwas von ihrem Erlebnis auf dem Friedhof erzählen sollte? Vielleicht würden Recherchen zum Bellamy-Grab irgendwie dazu beitragen, den Fall mit den gefundenen Knochen zu lösen …

Sie beschloss, sich das noch einmal gründlich zu überlegen, sobald sie sich ausgeruht hatte.

Nachdem Cat sich verabschiedet hatte, blieb Violet in der Küche. Im Hängeschrank fand sie eine Auswahl an Dosensuppen und sie machte sich eine Gemüsebrühe mit Fleischklößchen warm. Sie schmeckte überraschend gut, aber natürlich kaufte Cat selbst Konserven nur in bester Bio-Qualität. Als sie ihre Schüssel geleert und noch mit der letzten Scheibe frischen Weißbrots ausgewischt hatte, fühlte sich Violet schon wieder wie ein neuer Mensch.

Sie duschte kurz und heiß – jetzt war sie froh über das moderne Badezimmer mit einem Wasserboiler auf dem neuesten technischen Stand – und zog frische Unterwäsche und einen gemütlichen Frottee-Pyjama aus ihrer Reisetasche.

Unter der fremd riechenden Bettdecke im knarzenden, altmodischen Einzelbett des Schlafzimmers mit seinen steilen Dachschrägen, das Cat ihr zugewiesen hatte, kam bei Violet nur kurz noch einmal das Gefühl des Unwohlseins hoch, das sie bei ihrer Ankunft hier überkommen hatte.

Aber das währte nicht lange, denn kaum hatte ihr Kopf das Kissen berührt, war sie auch schon eingeschlafen.

KAPITEL VIER

Als Violet aufwachte, wusste sie zuerst nicht, wo sie war.

Desorientiert setzte sie sich auf und schlug sich dabei den Kopf an der Dachschräge an.

Das Zimmer war in Dunkelheit getaucht. Der etwas hellere, rechteckige Ausschnitt des Fensters zog Violets Blick auf sich, als sie sich den Schädel rieb. Sie blinzelte ein paar Mal und machte die Umrisse des Schaukelstuhls in der Ecke aus, der auf beunruhigende Weise irgendwie den Eindruck erweckte, als säße jemand darauf und beobachtete sie.

Violets Hand tastete nach dem Lichtschalter der Nachttischlampe neben ihrem Bett. Der schwache Lichtstrahl erhellte das Zimmer nicht wesentlich, aber doch genug, um erkennen zu können, dass niemand außer Violet anwesend war.

Der altmodische, niedrige Schaukelstuhl aus dunklem Holz war ihr zwar direkt zugewandt, darauf befand sich allerdings nichts anderes als Violets eigene Reisetasche.

Die zusammenhanglosen Fetzen eines verwirrenden Traums, die Violet noch im Kopf herumschwebten, hatten sich jetzt gänzlich aufgelöst. Als sie versuchte, sich daran zu erinnern, blieb nichts außer einem beklemmenden Gefühl in der Brust.

Violet legte die Hand auf ihren Oberkörper, atmete tief ein und aus, stand dann auf und zog eine dicke Hoodie-Jacke aus der Reisetasche.

Nachdem sie sich diese übergezogen hatte, ging sie auf Socken aus dem Zimmer. Im Cottage war Licht an und sie hörte Geklapper aus der Küche unten. Schon im Treppenhaus kam Violet ein verführerischer Geruch entgegen und ihr Magen zog sich hungrig zusammen.

Es duftete nach Knoblauch und Tomaten.

In der Küche traf sie Cat an, die mit einem Topf über der Spüle hantierte.

»Oh, schön, dass du wach bist.« Sie lächelte Violet über den Wasserdampf hinweg an. »Das Essen ist gleich fertig.«

»Toll. Kann ich dir noch was helfen?«

»Hier, du kannst gleich die Spaghetti ins Wohnzimmer bringen. Ich habe schon den Tisch gedeckt. Ich komme dann gleich mit der Soße und dem Knoblauchbrot.«

Violet nahm Cat den Topf ab und ging damit in das Zimmer mit dem großen Kamin. Darin prasselte ein Feuer. So wirkte der Raum gleich viel gemütlicher.

Sie stellte den Topf auf einen der bereitgelegten Untersetzer auf dem großen Holztisch.

Cat hatte schon eine Flasche Rotwein geöffnet, und Violet schenkte ihnen beiden etwas davon ein.

Bald saßen sie am Tisch, jede eine großzügige Portion der einfachen, aber appetitlichen Mahlzeit vor sich auf dem Teller.

Auch Cat musste wohl sehr hungrig sein, denn sie beide konzentrierten sich zunächst einmal gänzlich auf das Essen, ohne sich zu unterhalten.

Nach ein paar Bissen hob Violet ihr Glas Rotwein. »Prost«, sagte sie und stieß mit Cat an. »Vielen Dank fürs Kochen.«

»Ist doch kein Ding«, sagte Cat und nahm ebenfalls einen Schluck. »Mir war auch nach einer heißen Mahlzeit und das war ja nicht aufwendig. Die Sauce ist aus dem Glas.«

»Schmeckt toll«, sagte Violet ehrlich. »Und ich weiß es zu schätzen. Du hast doch bestimmt einen anstrengenden Tag gehabt. Wie ist es gelaufen?«

Cat seufzte. »Na ja, die gute Nachricht ist, dass wir bisher keine weiteren Knochen auf dem Gelände gefunden haben. Die im Loch Laggandhu wurden geborgen, aber der See wird natürlich weiter abgesucht. Wer weiß, was der noch für Geheimnisse birgt«, fügte sie mit ominösem Unterton hinzu.

»Wie kommt es, dass die Knochen bisher nicht entdeckt wurden? Hat der See erst seit Kurzem so wenig Wasser?«, fragte Violet und nahm sich noch ein Stückchen Knoblauchbrot.

Cat nickte kauend. »Loch Laggandhu ist über den Winter sehr ausgetrocknet. Der See hat in kürzester Zeit so viel Wasser verloren, dass manche es sogar schon als unheimlich bezeichnen. Als der Wasserstand um ungefähr anderthalb Meter gesunken war, alarmierten Umweltschützer SEPA, die Scottish Environment Protection Agency. Es kursierte das Gerücht, dass das Bauunternehmen für den sinkenden Wasserstand verantwortlich sei.

---ENDE DER LESEPROBE---