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Ich möchte mit dem Sprichwort beginnen: Wer in seiner Jugend nichts anstellt, hat später nichts zu erzählen. Und genau das trifft, wie es so schön heißt, den Nagel auf den Kopf. Auch wenn wir (die Jugendlichen von Gräfenbrück) das Sprichwort vor mehr als 4 Jahrzehnten noch nicht kannten, scheint mir es heute so, als hätten wir damals (unbewusst) genau danach gehandelt. Unser Handeln war mitunter chaotisch und wir hatten immer (Bier-)Durst. Aber unsere Stärke war der Zusammenhalt, wodurch wir das alles tun und erleben konnten. In den 13 Geschichten meines Buches habe ich verschiedene Ereignisse zusammengefasst, die typisch für uns waren und unser Leben in dem kleinen Ort in Thüringen Ende der 70er Jahre widerspiegeln. Es sind selbsterlebte, wahre Geschichten, geschrieben nach meinen Erinnerungen und mit ein wenig Fantasie vervollständigt.
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Seitenzahl: 94
Veröffentlichungsjahr: 2025
Gräfenbrück & seine Geschichten
Die Zeit mit der Andrea Dorea
Autor: Michael Günthel
Cover
Titelblatt
Vorwort
Die Entstehung der Andrea Dorea
Loh und das einsame Liebeslied
Der Umzug
Loh und die schwere Entscheidung
Der unerwünschte Besuch
Mischa‘s weiter Weg
Der Polterabend mit Unruhe
Die böse Überraschung
Viel Glück im Regen
Haut ab, ihr Nazis!
Das verbotene Abendessen.
Anne feiert & ein Esel ohne Licht
Panik im Anhänger
Nachwort
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Vorwort
Ich möchte mit dem Sprichwort beginnen: Wer in seiner Jugend nichts anstellt, hat später nichts zu erzählen.
Und genau das trifft, wie es so schön heißt, den Nagel auf den Kopf.
Auch wenn wir (die Jugendlichen von Gräfenbrück) das Sprichwort vor mehr als 4 Jahrzehnten noch nicht kannten, scheint mir es heute so, als hätten wir damals (unbewusst) genau danach gehandelt. Unser
Handeln war mitunter chaotisch und wir hatten immer (Bier-)Durst. Aber unsere Stärke war der Zusammenhalt, wodurch wir das alles tun und erleben konnten.
In den 13 Geschichten meines Buches habe ich verschiedene Ereignisse zusammengefasst, die typisch für uns waren und unser Leben in dem kleinen Ort in Thüringen Ende der 70er Jahre widerspiegeln. Es sind selbsterlebte, wahre Geschichten, geschrieben nach meinen Erinnerungen und mit ein wenig Fantasie vervollständigt.
PS … und vielleicht wecke ich damit bei so manchem Leser/in das Interesse für die eigene Vergangenheit.
Die Entstehung der Andrea Dorea
Es fängt alles an in Gräfenbrück, einem 100-Seelen-Dorf in Thüringen. In jener Zeit gehörte der Ort zum Landkreis Gera, mit der Postleitzahl 6501. Es ist ein beschauliches Dorf mit einer Durchgangsstraße Richtung Auma und viel Verkehr. Gräfenbrück war ein Ortsteil von Steinsdorf, genau wie Schüptitz und Loitsch. Die Menschen gingen friedlich ihrer Arbeit nach, jeder kannte jeden. Fast alle waren in der LPG-Pflanzen- oder Tierproduktion beschäftigt. Der Mittelpunkt des Ortes war die Gaststätte. Dort trafen sich die Leute bereits zum Frühstück, tranken Bier oder im Winter Grog. Zu essen gab es Bockwurst, Sülze oder Rostbrätel, die Leute tauschten sich aus. Fast die gesamte rechte Seite vom Dorf war in irgendeiner Weise miteinander verwandt. Kein Wunder, die Familie im Gehöft neben uns hatte einst sechs Kinder und alle sind in Gräfenbrück geblieben. Auch meine Tante hatte dort eingeheiratet, sie schnappte sich den ältesten Sohn. Es ist das Jahr 1978 und auch der Sozialismus sitzt noch fest im Sattel. Ein paar von uns sind in der zehnten Klasse, die anderen haben eine Lehre begonnen. Am Wochenende, d. h. von Freitagabend bis Sonntagnacht, waren wir mit Fortgehen beschäftigt. Das war auch nicht schwer, in fast jedem Ort gab es einen Dorf- oder Jugendclub, einen Gartenverein oder Ähnliches. Auch wir waren im Jugendclub Steinsdorf organisiert und machten von Zeit zu Zeit Veranstaltungen. Meistens Disco am Freitag. Sobald die Clubs oder Vereine in der Lage waren, Getränke und Essen zu organisieren, konnte es losgehen. Getränkehandel oder Ähnliches, die etwas hätten liefern können, gab es im realen Sozialismus zu wenig. Viele Auflagen für Veranstaltungen, wie man sie heute kennt, waren damals noch nicht erfunden und auch nicht notwendig. Zum Beispiel: Unser Gemeindepolizist, der im Nachbarort Loitsch wohnte, schaltete sein Telefon ab, wenn Veranstaltungen stattfanden, er wollte nicht gestört werden. Zehn Mark reichten damals aus für den Eintritt und um betrunken zu sein. Kein Wunder, ein Bier kostete 40 Pfennig. Wie bereits erwähnt: Die Wochenenden waren abgesichert, aber was tun an den Wochentagen von Montag bis Donnerstag? Da wollten wir natürlich abends auch zusammen sein, trinken und Spaß haben. Einen eigenen Jugendclub hatten wir nicht. Es gab zwar die Möglichkeit, den Gemeindevorraum in Steinsdorf zu nutzen, aber dazu mussten wir den Schlüssel beim Bürgermeister holen und abgeben. Das war uns zu blöd, denn wir wollten ja nicht unter Kontrolle sein. Dazu kam, dass wir Gräfenbrücker waren und keine Steinsdorfer. Für uns gab es keine Alternative, wir wollten einen Raum in unserem Dorf und nicht woanders, wo wir ungestört sein konnten. Was tun? Uns kam eine Idee. Die Steine auf den Feldern wurden damals mit der Hand von den Mitarbeitern der LPG aufgesammelt. In der Pause oder bei schlechtem Wetter konnten sich die Arbeiter in einen umgebauten Busanhänger setzen, auch die Arbeitsmittel waren dort untergebracht. Einst dienten diese der Personenbeförderung und wurden Ende der sechziger Jahre nach und nach ausrangiert. Genauso ein Exemplar stand fast völlig ausgeschlachtet und mit kaputten Scheiben auf dem Werkstatthof der LPG in Gräfenbrück. Nur die hintere Sitzreihe und zwei einzelne Sitze waren noch übrig. Der kaputte Anhänger weckte unser Interesse. Das wäre das Richtige für uns, dachten wir. Mit der Idee, den Anhänger für uns nutzbar zu machen, wandten wir uns an die Geschäftsleitung der LPG und bekamen schnell Zustimmung. Das lag einerseits daran, dass die meisten Eltern von uns in der LPG gearbeitet haben. Der Vater von Prüfi war sogar der Chef der LPG-Tierproduktion. Und andererseits war der Anhänger in dem kaputten Zustand für die LPG nicht zu gebrauchen. Damit die Sache einen legalen Anschein bekam, wurde von der LPG ein Schriftstück verfasst, in dem stand, dass wir als Jugendclub den Anhänger nutzen dürfen. Was wir damals noch nicht ahnten, war, dass dem Schriftstück noch eine zentrale Rolle zukommen würde. Ich erinnere mich noch, es war ein Freitagabend. Wir nahmen uns den selbstgebauten beweglichen Kompressor aus der LPG-Werkstatt und machten die platten Reifen fit für den Transport. Weit sollte die Reise nicht gehen. Unser Ziel war ein abgelegener Platz neben den Silos. Circa
200 Meter Luftlinie von dem Werkstatthof entfernt. Auf der Hauptstraße Richtung Steinsdorf konnte man nach rechts oder links abbiegen. Wir wollten nach rechts, einen Feldweg hoch. Er führte vorbei an zwei alten Häusern, aus Feldsteinen erbaut, und dann linksherum zum Schafdeich. Loh nahm den alten Pionier-Traktor, kuppelte an und los ging es. Ich und ein paar andere fuhren im Anhänger mit. Am Schafdeich angekommen, parkte Loh den Anhänger ein. Cirka 50 Meter von dem alten Haus aus Feldsteinen entfernt. In dem Haus wohnte Lohs Vater, genannt der Lange, mit Familie. Da wir auch Strom brauchten, gingen wir rüber zu ihm und fragten danach. Er sagte ja, wir sollten das Kabel im Stall anschließen. Den Strom bezahlt sowieso die LPG. Wir waren glücklich, endlich eine eigene Behausung für uns zu haben. Aber es gab noch viel zu tun. Ein Name musste gefunden werden. Wir entschieden uns für Andrea Dorea. Angelehnt an einen Song von Udo Lindenberg, in dem es heißt: Und überhaupt ist heute wieder alles klar auf der Andrea Doria. Der Satz passte zu unserem Lebensgefühl. Dass Andrea Doria ein Schiff war und mit dem Buchstaben i geschrieben wird, wussten wir nicht. Wir schrieben den Namen unserer Dorea mit e.
Fränki Boy hatte eine Tischlerlehre begonnen. Er sagte uns zu, die fehlenden Scheiben durch Sperrholz zu ersetzen. Um auch heizen zu können, besorgten wir uns einen alten Kanonenofen und zwei Asbestplatten. Diese befestigten wir an der Wand wo der Ofen stehen sollte. Denn auch damals schon ging für uns Sicherheit vor. Im vorderen Teil des Hängers bauten wir eine Ablage, darunter hatten wir Stauraum, und machten einen Vorhang ran. Es musste ja nicht gleich jeder sehen, wie viel Bier oder anderes wir hatten. Die Wände strichen wir weiß, es gab eh nichts anderes. Diese wurden aber verziert mit verschiedenen Sprüchen. z. B. „Keiner ist hier mieser als die alten Spießer“, oder „Kommst du mal rein, da kannst du mal rausschauen“, oder „Iss und trink, da wächst dein Ding.“ Conny, ihre Idee war es, Fußabdrücke an die Decke zu machen. Wir waren mit uns zufrieden und verbrachten viel Zeit dort. Aber es dauerte nicht lange, da gab es das erste Problem. Wir konnten dort nicht stehenbleiben.
Loh und das einsame Liebeslied
Im Frühjahr 78, an einem sonnigen Freitag, an dem wir gerade schulfrei hatten, zogen im Gräfenbrücker Gut, in das ehemalige Haus von Mumerts neue Leute ein. Der Vater von meinem Kumpel Prüfi, der LPG-Vorsitzender war, fragte uns, ob wir den neuen Bewohnern von Gräfenbrück beim Einzug helfen würden. Die neuen Leute bezahlen uns die Stunden, hieß es. Es war die Familie Stein, die einzog. Die Frau hatte ein kurzes und ein langes Bein und sah aus, als ob sie eine Perücke trug, ihr Mann, den sie Rüdiger nannte, machte einen etwas seltsamen, ruhigen Eindruck. Wir hatten nicht das Gefühl, dass er uns eine große Hilfe sein würde. Im Vorfeld gab es schon Gerüchte über die Familie. Ein Gerücht war, dass der Mann bereits Alkoholentziehungskuren hinter sich hatte. Na ja, dachten wir uns, ob das dann die richtigen Leute sind, um unsere Dorfgaststätte zu betreiben. Denn immerhin waren das die neuen Wirtsleute und es war auch der Grund, weshalb sie nach Gräfenbrück zogen. Aber wir trauten uns natürlich nicht zu fragen.
Der LKW kam und fuhr rückwärts an den Eingang. Wir fingen an, die nicht gerade neuen Möbel abzuladen und diese ins Haus zu tragen. Die Frau, die so hinkte, war immer um uns herum und sagte, wo was hingestellt wird. Rüdiger war nicht mehr zu sehen, er hatte es vorgezogen, zu seiner neuen Arbeitsstätte, der Gaststätte, zu gehen. Diese war nur zwei Minuten entfernt, in der Mitte des Dorfes, und außerdem gab es dort was zu trinken. Auf der Vorderseite des Guts stand quer zur Straße ein anderes altes Haus, in dem mehrere Familien wohnten. Einer von den Mietern war Loh. Er wohnte oben rechts. Ich kannte die Wohnung, ich habe dort selbst mal gewohnt. Als Kind mit meinen Eltern. Auch Loh kannte ich, er war etwas älter und hatte keine schöne Jugendzeit gehabt. Vor ca. einem Jahr war er von Weida zugezogen und war vorher ein paar Jahre im Jugendwerkhof in Hummelshain eingesperrt. Um in einen Jugendwerkhof eingesperrt zu werden, musste man nichts verbrochen haben. Es gab auch keine gerichtliche Verurteilung. Es reichte schon, ein paar Mal den Behörden unangenehm aufzufallen oder die Schule und Lehre zu schwänzen. Offiziell, so hieß es, waren das schwer erziehbare Jugendliche. Im Jugendwerkhof