Gut Rittnerthof - Helmuth Ristow - E-Book

Gut Rittnerthof E-Book

Helmuth Ristow

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Beschreibung

Was hat ein in New York 1935 begangener Mord mit dem Rittnerthof zu tun? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Gutshof und dem Flowtex-Skandal? Wo und wann - wenn überhaupt - gab es da oben eine Pelztierfarm? Wer hat auf dem Fischweiher geschossen? Wurden im Fruchtspeicher des ehemaligen Schweinestalls wirklich Sexfilme gedreht? Die hier vorliegende Historie des hoch über Karlsruhe-Durlach gelegenen Guts Rittnerhof bietet nicht nur Geschichte, sondern viele – auch delikate – Geschichten, Anekdoten und Histörchen. Helmuth Ristow, historischer Laie aus Passion und selbst Pächter des Hofes von 1992 - 2014, hat sie zusammengetragen. Wobei er das Glück hatte, auf Quellen zugreifen zu können, die bisher niemandem zugänglich waren. Und auf sein eigenes Erinnerungsvermögen, denn vieles hat er selbst erlebt. Armin Schulz, Stadtkonservator in Karlsruhe, schreibt dazu: "Ihr Interesse an der Bau-, Nutzungs- und Besitzergeschichte des Rittnerhofes ist sehr erfreulich."

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Vita

Helmuth Ristow wurde 1933 in Berlin geboren und verbrachte die Kriegszeit in Oberbayern. 1947 wurde Karlsruhe seine zweite Heimat, wo er Abitur machte und Technische Volkswirtschaft studierte. Von 1961 bis 1994 war er Geschäftsführender Gesellschafter der Firma Dr. Alfred Ristow in Karlsruhe-Durlach, die er zusammen mit seinem Bruder zu einem der in Deutschland führenden Hersteller von Alarmanlagen ausbaute. 1992 pachteten er und seine Frau Hannelore (gest. 2007), beide begeisterte Reiter, für 25 Jahre den Rittnerthof in Durlach und gründeten einen Reiterhof. Zusammen mit Michael Hansch, einem der Eigentümer des Hofes, konnte er soviel Material über dessen Geschichte sammeln, dass diese Niederschrift möglich wurde. Ristow ist seiner neuen Heimat treu geblieben und lebt mit seiner Frau Katrin in Karlsruhe. Über Kommentare und Anregungen zum Inhalt dieses Büchleins freut er sich auf Email [email protected].

Inhalt

Vorwort: Nah und fern, der Rittnerthof

1777 – Markgräfin Karoline Luise von Baden

Das Caduc-Gut am Rittnertwald

Karoline Luise erwirbt den Rittnerthof

Die Kutschenfahrt nach Durlach

Versicherung gegen Brand

Der Rittnerthof im 19. Jahrhundert

Abraham Sauder, Stammvater der Durlacher Familien Sauder

Mennoniten

1902 – Eduard Merton

Herkunft

Investitionen im großen Stil

Ein Gedenkstein im Rittnertwald

Nachkriegszeit und Inflation

1933 – Gebhardt und seine Erben

Fritz Gebhardt

Mord in New York

Kurt Hansch

Kriegswirtschaft

Auf dem Turmberg werden Juden versteckt

Staatliches Verbrechen

Michaels Kindheitserinnerungen

Nachkriegszeit

»Arisierung«

Ende der Tierhaltung

Manfred Bitterich, Pächter von 1961 – 1991

Herkunft

Gemeinsame Agrarpolitik in Europa

Zuckerrübenanbau

Reitjagd auf dem Rittnerthof

Antiquitätengeschäft

Neue Mieter 1972

Der Rittnerthof wird Ponyhof

Die Feldscheune brennt zum zweiten Mal

Drehort für Sexfilme?

Ende der Pacht Bitterich

Was ist aus Mertons Gebäuden geworden?

Der Rittnertpark

Das Kutscherhaus

Villa Merton

Gärtnerhaus, heute Rittnerthaus

Kleiner Stall

Die übrigen Gebäude

Gesindehaus

Hofscheune

Gutshaus

Großer Stall und Hochscheune

Kükenaufzucht

1992 – Der Rittnerthof wird Reiterhof

Oder wird aus ihm ein Golfplatz?

Lille Peer

Interesse(nten) für den Rittnerthof

Vertragsabschluss

Pensionstierhaltung Rittnerthof

Kunden, Lieferanten und Angestellte

Bau von Stallungen

Planung der Reithalle

Ein Problem weniger (Asbest)

Pferdepfleger, ein Problem

Der Rittnerthof wird Ausbildungsbetrieb

Orkantief Lothar

Vertragsende Ristow

Der Lamprechtshof

Blick über den Gartenzaun

Gründung des Lamprechtshofs

Versorgung der auf dem Turmberg versteckten Juden

Batzenhof

Familie Bletscher übernimmt den Lamprechtshof

Jagdpächter Bletscher

Drückjagden

Zurück zum Rittnerthof

2015 – Der Rittnerthof bleibt Reiterhof

Neuer Pächter

Der Reiterhof in neuem Glanz

Dressurreiten auf höchstem Niveau

Der »groom«

Auch der Charme bleibt

Dank

»Ja, auf dem Roß fühl ich voll Tugend mich,

Doch sitz ich ab, da hebt ein Strauß sich an,

Als ob sich Leib und Seele kämpfend trennten.«

Heinrich von Kleist, Prinz von Homburg

»Laßt mich nur auf meinem Sattel gelten!

Bleibt in euern Hütten, euern Zelten!

Und ich reite froh in alle Ferne,

über meiner Mütze nur die Sterne.«

Johann Wolfgang von Goethe, West-Östlicher Divan

»Das größte Glück der Pferde ist der Reiter auf der Erde…«

Sehr frei nach Friedrich von Bodenstedt

Für meinen Bruder Klaus (1934 – 2016)

Nah und fern, der Rittnerthof

1943 geboren, bin ich auf dem Rittnerthof aufgewachsen und habe dort meine Kindheit verbracht. Der Rittnerthof meiner Kindheit ist in der Geschichte des Hofes, die Helmuth Ristow so eindrucksvoll, kenntnisreich und leichtfüßig erzählt, ein großer Bauernhof alten Stils gewesen. Damit meine ich einen Bauernhof, wie ihn der Autor im Abschnitt »Nachkriegszeit« des 3. Kapitels mit seinen vielfältigen Wirtschaftsformen beschreibt. In all diesen verschiedenen Teilen des Hofes, in den Ställen, auf den Äckern, in den Scheunen, in der Gärtnerei, in der Schmiede, in der Hühnerfarm und in der großen Hofküche habe ich mich als Kind zu allen Jahreszeiten herumgetrieben. Und ich habe alle Frauen und Männer, die auf dem Hof gearbeitet haben, bei ihren Arbeiten begleiten können.

Der Autor zeigt hier in einem großen Überblick, der aber auch bis ins kleinste Detail geht, die Wandlungen des Rittnerthofes über 240 Jahre. Dafür hat er unermüdlich und wissbegierig recherchiert und Menschen befragt, die sich ihm bereitwillig geöffnet haben. So beschreibt er die Entwicklung vom »markgräflichen Caduc-Hof« über die denkwürdigen Ereignisse in New York und die Kriegs- und Nachkriegsjahre bis in die Gegenwart. Er führt uns durch die verschiedenen landwirtschaftlichen Entwicklungen und portraitiert viele Menschen, die für den Hof wichtig waren. Und er hat diese Personen und die Veränderungen des Rittnerthofes gespiegelt in den gesellschaftlichen und politischen Wandlungen dieses Landes. Er erzählt das als Historiker sachlich genau, aber auch immer mit einem schmunzelnden Unterton, so dass es Spaß macht, diese Geschichte zu lesen. Ich habe viel gelernt dabei und bin ihm dankbar für die »Geschichte und Geschichten« vom Rittnerthof. Da ich Mitte der 1960er Jahre nach Berlin gezogen bin, wo ich nach meinem Theologie- und Pädagogik-Studium »hängen blieb«, hätte ich von hier aus, aus der Ferne, die Geschichte so nicht erzählen können.

Berlin, den 20. März 2017

Michael Hansch

1. 1777 – Markgräfin Karoline Luise von Baden

Das Caduc-Gut am Rittnertwald

An einem schönen Frühlingstag im Jahre 1776 bestellt Karoline Luise, durch ihre Heirat mit Karl-Friedrich von Baden-Durlach seit 1751 Markgräfin, ihre Kutsche für eine Ausfahrt. Ziel der Fahrt war ein neues Gut in Durlach, oben auf dem Turmberg gelegen, direkt neben dem Rittnertwald.

Mit von der Partie waren der Jüngste ihrer drei Söhne, der 13-jährige Ludwig, genannt Louis, und Oberstallmeister Wippermann. Diese fuhren aber nicht in der Kutsche mit, sondern begleiteten die Markgräfin zu Pferde.

Für Karoline Luise kam das Reiten nicht infrage, durch die höfische Etikette der damaligen Zeit war ihr als Prinzessin der Unterricht im Reitsport versagt geblieben. Außerdem war die Markgräfin im Jahre 1776 schon 53 Jahre alt. Ein Zeitgenosse beschrieb sie, als sie 50 Jahre alt war, als »nicht schöne, aber eindrucksvolle, Ehrfurcht gebietende Persönlichkeit«. Weniger charmante Stimmen nannten sie die »dralle Dame an Friedrichs Seite«.1

Die Markgräfin war Geschäftsfrau und Unternehmerin, und als solche eine Merkantilistin reinsten Wassers.2 Jan Lauts hat in ihrer Biographie aufgeführt, worin ihre Aktivitäten bestanden und welche Fabriken sie schon gegründet hatte. Dazu gehört eine Papiermühle in Ettlingen. 1774 hatte sie die in gänzlichem Zerfall befindliche Walk- und Ölmühle eines Jakob Grahn für 3000 Gulden »plus 233 Gulden Trinckgeld« erworben. Nach Ihrem Tod verkauften sie ihre Erben 1810/17 an den Kaufmann Buhl. Vor allem bekannt und für die Zukunft wichtig geworden ist aber die am 5. Oktober 1767 gegründete Manufaktur für Uhren, Bijouterie- und Galanteriewaren im Waisenhaus zu Pforzheim, womit vor 250 Jahren die Grundlage dafür gelegt wurde, dass Pforzheim Goldstadt wurde.

Karoline Luise erwirbt den Rittnerthof

Abb. 1Markgräfin Karoline Luise von Baden-Durlach im Jahr 1774, im Alter von 51 Jahren.

Jetzt war die Markgräfin auch noch Gutsherrin geworden. Von Amt und Stadt Durlach hatte sie das »Caduc-Guth am Rittnertwald« nebst 160 Morgen Land erworben. Caduc-Gut heißt, dass es sich um einen Hof handelt, der – z. B. nach Ablauf eines Lehns- oder Erbbau-Rechts – als Eigentum an die ursprünglich Berechtigten heimgefallen war, in diesem Fall an Amt und Stadt Durlach.

Nun ist »Caduc-Gut am Rittnertwald« kein Name für einen Gutshof, der sich in den folgenden Jahrzehnten zu einem ausgesprochenen Mustergut entwickeln sollte. Noch dazu wo »caduc« sehr viele Bedeutungen hat und außer heimgefallen auch baufällig oder hinfällig heißt. Wer will schon in einem baufälligen Gutshof wohnen?

Was lag also näher, als dieser Erwerbung den Namen Rittnerthof zu verleihen, gelegen am (staatlichen) Rittnertwald, und zu erreichen über die Rittnertstraße, die ihren Namen zwar erst später erhielt, aber heute noch so heißt.

Der Name Rittnert leitet sich ab vom Personennamen Rutenhard oder Ruttenhard. Bereits 1404 wird in einer alten Schrift erwähnt, »… die Herrschaft hat einen eigenen walt zu Durlach der heisset rutenhart …«.3

Durlach wurde gegründet, nachdem die Grafen von Hohenberg im 11. Jahrhundert die Burganlage auf dem Turmberg erbaut hatten. Am Fuße des Berges kam es zwischen Alb und Pfinz zu einer Ansiedlung, die als »Dürre Lage« der späteren Stadt den Namen Durlach gab. 1196 wurde sie zum ersten Mal urkundlich erwähnt. 1219 kam sie in den Besitz der Markgrafen von Baden.

Die Kutschenfahrt nach Durlach

Dass die Ausfahrt mit der Kutsche und den berittenen Begleitern im April 1776 tatsächlich stattgefunden hat, ist verbürgt. Denn ein paar Tage später schrieb die Markgräfin ihrem in Paris weilenden Sohn Karl-Ludwig einen Brief, in welchem sie mitteilte, sie sei mit Prinz Louis und dem Oberstallmeister Wippermann, die sie zu Pferde begleitet hätten, auf den Hof gefahren, … wo ich bauen lasse, und wo Ihr, so hoffe ich, oft – ich wollte gerade schreiben, Speck essen werdet, aber nein: eine gute Erdbeer-Kaltschale.

Außer Erdbeeren wurden auf dem Hof vorwiegend Obstbäume angebaut, vor allem Spalierobst. Das Personal setzte sich zu dieser Zeit zusammen aus einem Direktor, vier Knechten und einer Magd.

Allerdings muss die Markgräfin durch ihre neue Initiative vorzeitig Fakten geschaffen haben. Denn schriftlich dokumentiert wurde die Überlassung eines Caduc-Gutes beim Rittnertwald an die Markgräfin erst 1777, also ein Jahr später.4 Im Dokument vom 10. Jul 1777 heißt es: »Serenissima sind gnädigst Willens, das herrschaftliche Caducfeld bei dem Rittnert Guth von 160 Morgen um den gemachten Anschlag ad 4 Gulden pro Morgen zu übernehmen, und haben dieserwegen bereits mit Höchst Dero Gemahl Hochfürstlichen Durchlaucht gesprochen.«5

Markgraf Karl-Friedrich hat die landwirtschaftlichen Aktivitäten seiner Gemahlin ausdrücklich unterstützt. Nicht nur, dass er ihr für mehrere Jahre Zehnt- und Schatzungsfreiheit gewährt hat. Es heißt, dass der Rittnerthof im Zuge physiokratischer Ideen auf der Alb-Pfinz-Platte gegründet worden ist.6 Tatsächlich war Karl-Friedrich einer der stärksten Vertreter der Physiokratie. Die Physiokraten sahen in der Landwirtschaft die alleinige Quelle staatlichen Wohlstands.7 Sie hatten ihre Ideen erstmals zwanzig Jahre vorher, also 1756, formuliert. Die Physiokraten befürchteten, dass durch Colberts merkantilistische Wirtschaftspolitik die Landwirtschaft zum Niedergang verurteilt wäre. Insofern war Karl-Friedrich auch in dieser Hinsicht ein aufgeklärter Fürst. Er suchte in seinem Land die Synthese zwischen den sich widersprechenden Wirtschaftstheorien Merkantilismus und Physiokratie.

Versicherung gegen Brand

Der »Höchstdenenselben zugehörige und vor einigen Jahren neu erbaute und angelegte Hof am Rittnertwald« wurde 1782 der Brand Versicherungs Societet einverleibt.8 Mit »Höchstdenenselben« waren Serenissimus – also der regierende Herrscher – gemeint, der den Eintrag gnädigst verlangt hatte.

Zu dieser Zeit wurden die bestehenden Gebäude folgendermaßen taxiert und gegen Brand versichert:

Ein einstöckiges Wohnhaus mit einem Vorsprung, ganz von Holz gebaut, und worauf sich ein Glöcklein befindet;

2 Remisen, worauf Fruchtspeicher sind;

2 Seiten Schweinestallungen;

2 Stallungen jede 100 Fuß lang, und 38 breit ganz von Holz.

Abb. 2Auszug aus dem Brand-Assecurations-Buch Durlach von 1782

Diese Gebäude hatten zusammen einen Wert von 7400 Gulden.

Angeschlagen pro 1791.

Rechterhand an dem großen Stall noch ein Pferdestall und Wagenschopf oberhalb ein Fruchtboden

An der großen Scheuer eine Scheuer samt großem Wagenschopf das Stockwerk von Stein gebaut

Für diese beiden Gebäude kamen noch einmal 1100 Gulden hinzu. Zusammen wurden also die Gebäude des Rittnerthofes mit 8500 Gulden gegen den Feuerteufel versichert. Das wären nach der heutigem Währung – vorausgesetzt es hat sich um Goldgulden gehandelt – runde 525.000 Euro.

Auf zwei Besonderheiten des Dokuments soll noch hingewiesen werden. Wie man aus dem Kopf der Urkunde ersehen kann, war sie ursprünglich auf »Ihro Hochfürstl. Durchlaucht die regierende Markgräfin« ausgestellt worden. Nach dem Eigentumswechsel wurde ihr Name einfach durchgestrichen und durch den Namen der neuen Eigentümer ersetzt, wo halt gerade Platz war. Im folgenden Abschnitt erfahren wir, wer diese waren.

Aber vorher noch ein Blick auf das Wohnhaus – ganz von Holz gebaut – worauf sich ein Glöcklein befindet. Am Gutshaus des Rittnerthofes hängt immer noch ein Glöcklein! Allerdings ohne dass dieses heutzutage in den Dokumenten der Gebäudeversicherung extra Erwähnung finden würde.

Der Rittnerthof im 19. Jahrhundert

Im Jahre 1783 verstarb die Markgräfin Karoline Luise im Alter von 60 Jahren in Paris an den Folgen eines Schlaganfalls. Den Rittnerthof erbten ihre beiden jüngeren Söhne, die Prinzen Friedrich und Ludwig. Die auf den 29. März 1785 zu Ende gehende Zehnt- und Schatzungsfreiheit wurde noch einmal um 12 Jahre erweitert. Und mit des »regierenden Landesherrn Bewilligung« durfte der Hof an Privatpersonen verkauft werden.

Am 30. März 1796 erwarb Christof Bodemer von Feldrennach den Rittnerthof mit Gebäuden und 120 Morgen Land für 28.000 Gulden Hinzu kamen übrige 105 Morgen für 14.828,30 Gulden, zusammen also knapp 43.000 Gulden. Man mag es kaum glauben, dass es sich hierbei nach heutigem Geld um 2,64 Mio. Euro gehandelt haben kann.

Im Spätjahr 1835 bekam der Geometer Weihs den Auftrag, den Domänenwald Rittnert kartographisch aufzunehmen. Auf diesem Plan ist der Rittnerthof mit dem für ihn charakteristischen Geviert bereits deutlich aufgeführt.

Um das Jahr 1850 herum kaufte ein Hauptmann Billing den Hof, doch kurz darauf ging er wieder in – seit 1806 – jetzt großherzogliches Eigentum über und wurde Domänengut.

Abraham Sauder, Stammvater der Durlacher Familien Sauder

Im Jahre 1864 kam der 1804 geborene Abraham Sauder aus Ehrstadt, Amt Sinsheim, nach Durlach und pachtete den Rittnerthof. Er war seit dem 23. Dezember 1838 mit Elisabeth, geb. Hotel, verheiratet, und als sie 1864 in Durlach aufzogen, brachten sie eine Schar von neun, zum Teil schon erwachsenen Kindern als Hilfskräfte mit.

Es wird erzählt, dass Abraham in der damaligen Tracht des badischen Hinterlandes nach Durlach gekommen war, mit roter Weste und goldenen Knöpfen. Mit ihm hat wieder ein echter Bauer den vernachlässigten Hof übernommen, wie man sich in der Domänenverwaltung freute. Die Stallungen und Ökonomiegebäude sowie die ganze Hofanlage bedurften einer gründlichen und sorgfältigen Pflege, da die Vorgänger wenig erfolgreich gewesen waren. Sauder wirtschaftete mit Fleiß, Umsicht und Geschick und brachte den Hof zu einer beachtlichen Leistungsfähigkeit. Das ermöglichte es ihm schließlich, ihn vierzehn Jahre später, im Jahr 1878, für 42.000 Mark käuflich zu erwerben.

Die Arbeit war schwer. Das Ackerland des Hofes war nicht sehr fruchtbar. Und ein großes Problem war noch im 19. Jahrhundert die Wasserversorgung. Das Wasser musste mit Pferdefuhrwerken in Fässern von einem Wasserloch geholt werden, das unten im Tal lag, irgendwo zwischen Grötzingen und Berghausen. Um den reichlichen Bedarf an Wasser für Vieh und Wirtschaft zu decken, waren ein Mann und ein Pferdefuhrwerk ständig mit Wasserholen beschäftigt.

Einer seiner zahlreichen Nachkommen war der 2001 verstorbene Adolf Sauder. Bei der Sichtung des Nachlasses von Adolf stieß Annette Schneider, eine Tochter seines besten Freundes, auf eine Niederschrift der Geschichte der Familie Sauder. Unterschrieben war diese sechsseitige, leider undatierte Aufzeichnung mit »Zur steten Erinnerung Tante Anna«. Anna war Adolfs Tante. Obwohl das Dokument in erster Linie der Familie Sauder gewidmet wurde, ist es deswegen von besonderer Bedeutung für die Geschichte des Rittnerthofs, weil darin akribisch beschrieben wird, wie Abraham Sauder, seine Frau und zwei ihrer Söhne in der Zeit von 1864 bis 1892 den Rittnerthof bewirtschaftet haben. Es ist erhalten, weil Annette Schneider in dankenswerter Weise eine Kopie an die Eigentümerin des Rittnerthofes weitergeleitet hat. Aus diesem wird hier zum großen Teil wörtlich zitiert.

Abraham Sauder ist noch im selben Jahr, in dem er den Hof käuflich erworben hat, im Alter von 78 Jahren verstorben. Er wurde auf dem Alten Friedhof in Durlach beerdigt. Seine Witwe Elisabeth (die übrigens eine Tante des Verwalters und späteren Pächters des Batzenhofs, Johann Hotel, war) führte den Hof mit den noch anwesenden Kindern zunächst erfolgreich weiter.

Solange die Mutter lebte, ging alles gut. Als sie am 23. Dezember 1890 starb, teilten sich zunächst ihre Söhne Matthäus und Abraham die Bewirtschaftung. Der Hof konnte aber zwei Familien nicht ernähren. So entschloss sich Abraham, der jüngere Bruder, mit seiner Frau nach Durlach überzusiedeln. Er konnte in der Pfinzstraße ein landwirtschaftliches Anwesen kaufen und richtete sich dort als Bauer ein.

Bald aber erhoben die übrigen Geschwister ihre Ansprüche auf das elterliche Erbteil. Da jedoch Matthäus das Geld nicht flüssig machen konnte, musste er den Hof 1892 verkaufen. Neuer Eigentümer wurde David Musselmann.

Mennoniten

Abraham Sauder und seine Familie waren strenggläubige Mennoniten, wie übrigens die meisten der Hofbesitzer rund um den Turmberg und den Thomashof. Es handelt sich um eine evangelische Freikirche, die auf die Täuferbewegung der Reformationszeit zurückgeht.9 Sie sehen die Bibel als entscheidende Quelle des christlichen Glaubens. Die Taufe sollte aber ausschließlich erst dann praktiziert werden, wenn die zu Taufenden sich bewusst für den Glauben entscheiden. (Gläubigentaufe im Gegensatz zur Kindertaufe.) Den Militärdienst oder gar die Verpflichtung zum Kriegsdienst lehnen sie ab.10

Die Nachkommen von Abraham bildeten aber nicht nur in Durlach, sondern auch in der Schweiz weitverzweigte Äste des Sauderschen Stammbaums. Sein Sohn Christian hatte selbst neun Kinder. Einer seiner zahlreichen Nachfahren war der Herrenschneider Max Sauder, der in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in der Pfinztalstraße ein Geschäft hatte. Er war begeisterter Reiter und Mitglied des Reitervereins Durlach. An den Stammtisch-Abenden erzählte er voller Stolz, dass sein Großvater in den Gründerjahren des 19. Jahrhunderts den Rittnerthof besessen habe.