Handbuch für Unihasser - Armin Himmelrath - E-Book

Handbuch für Unihasser E-Book

Armin Himmelrath

0,0
7,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Willkür, Bürokratie, Chaos, Eitelkeit – willkommen an der Universität! Nicht für die Uni, sondern für das Leben lernen wir? Schön wär's! Humboldt ist schon lange tot, heute geben Neurotiker und Selbstdarsteller den Ton an. Wer in diesen Tagen an die Uni kommt, lernt schnell – leider vor allem, sich alleine durchzuschlagen: Verworrene Internetauftritte, dicke Studienordnungen und unfreundliche Sekretariate, die eine Stunde pro Woche telefonisch erreichbar sind, ersticken jeglichen Enthusiasmus schon im Keim. Wenn das Studium begonnen hat, wird es kaum besser: Wie kann es sein, dass sich ganze Generationen von Studenten Vorträge anhören müssen, die seit dem Wintersemester 1984/85 nicht mehr aktualisiert wurden? Warum finden Sprechstunden so selten statt, dass sie grundsätzlich hoffnungslos überfüllt sind? Und wie kann man die Willkür in puncto Leistungsanforderungen erklären? Wer es dann schließlich trotz aller Widerstände bis zum Examen schafft, wird mit einer geballten Ladung Bürokratie belohnt: wochenlange Rennerei in unzählige Sprechstunden und potenzierter Formular-Irrsinn. Armin Himmelrath berichtet aus einer Welt bemerkenswerter Ineffizienz und bürokratischen Wahnsinns. Die haarsträubenden Geschichten handeln von Professoren, wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Mitarbeitern und Studenten, die an dem Chaos auch nicht ganz unschuldig sind. Und von Strukturen, die Lernen ebenso erschweren wie Lehren – von Forschen ganz zu schweigen. Die Diagnose lautet: unbedingt reformbedürftig – doch bitte nicht durch simples Umetikettieren! Ein Muss für alle aktuellen, angehenden und ehemaligen Studenten!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 178

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



» Buch lesen

» Bildnachweise

» Das Buch

» Die Autoren

» Impressum

Inhalt

Vorbemerkung

1

Wer bin ich? Was kann ich? Wo muss ich hin?

Der Stress fängt schon vor der Einschreibung an

2

Studieren? Wie geht das?

Desillusionierung: die ersten Tage an der Uni

3

Wie gut ist die Lehre?

Gruselige Erfahrungen mit Vorlesungen, Seminaren und Sprechstunden

4

Was soll denn das sein – Hörsaal oder Müllkippe?

Die Universitäten als Slums

5

Bluffen hier eigentlich alle?

Akademisches Tricksen, Tarnen und Täuschen

6

Wurde hier die Bürokratie erfunden?

Der alltägliche Uni-Irrsinn

7

Was muss ich bei Bachelor und Master beachten?

Wenn eine Reform misslingt

8

Wie soll man das bloß finanziell überleben?

Studenten in der Gebühren- und Finanzierungsfalle

9

Was kommt denn in der Prüfung dran?

Wenn Professoren die Maske fallen lassen

10

Auch noch Lust zu promovieren?

Der Wissenschaft verfallen: das Berufsleben an der Uni

Nachbemerkung

Quellen und weiterführende Literatur

»Universitäten sind schöne Misthaufen, auf denen gelegentlich einmal eine edle Pflanze gedeiht.«

Albert Einstein

[Menü]

Vorbemerkung

Ein Hochschulwechsel während des Studiums? Kein Problem, so etwas gehört unter Akademikern zum guten Ton, dachte sich der angehende Theologe Jörg-Peter E. und beschloss, nach mehreren Semestern an der Universität in Passau an die theologische Fakultät der Uni Regensburg zu wechseln. Er fuhr zu einem ersten Besuch an seine neue Hochschule, führte bei einem weiteren Besuch in Regensburg ein Gespräch mit der Studienberatung und vereinbarte auch gleich noch einen Termin im Prüfungsamt, um dort eine Woche später die Anerkennung seiner Leistungsscheine aus Passau vornehmen zu lassen. Doch diese dritte Fahrt nach Regensburg brachte für Jörg-Peter nicht ganz das gewünschte Ergebnis: Ein wichtiger Schein wurde vom Prüfungsamt nicht anerkannt. Und die Begründung war mehr als skurril: »Der Schein ist mit einem eckigen Stempel versehen«, argumentierte das Regensburger Prüfungsamt, »anerkennungsfähig« im Sinne der Prüfungsordnung Paragraf blablabla sei aber »nur ein runder Stempel«. Jörg-Peter ergab sich demütig in sein Schicksal, fuhr 128 Kilometer zurück nach Passau, ließ den Schein wie befohlen rund abstempeln, fuhr wiederum 128 Kilometer in die Gegenrichtung nach Regensburg – und hatte keine Probleme mehr. Ein Studentenverband war davon so schockiert, dass er das Stempel-Beispiel in seine »Hochschul-Flop-Ten« aufnahm.

Ein Einzelfall? Keineswegs. Das deutsche Universitätssystem ist, allem Gerede vom »Kunden Student« zum Trotz, ein dauerndes Ärgernis für die Nachwuchsakademiker: Kaum eine andere Einrichtung kann sich ungestraft einen solchen bürokratischen Wahnsinn auf Kosten ihrer Klientel erlauben. Ohne Rücksicht auf Zeit oder gar persönliche Belastungen lässt das Unisystem Studierende Hunderte von Kilometern sinnlos durch die Lande fahren, zwingt sie en masse in Veranstaltungen, bei denen die Dozenten durch pädagogische Unfähigkeit glänzen, bezeichnet jahrelanges und zielloses Herumwurschteln frech als »Bildungsreform« und schickt seine Absolventen dann mit fragwürdigen Abschlussqualifikationen hinaus auf den Arbeitsmarkt. So wie die Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr früher gerne als »Beförderungsfälle« gesehen wurden, geht es den Unis bei den Studenten zuvorderst um zu erfüllende Ausbildungskapazitäten. Die Menschen dahinter sind ihnen letztlich egal, und diese weitgehende Missachtung studentischer Bedürfnisse ist leider ein prägendes Merkmal der akademischen Umgangsweisen. Dieser Umgangsstil wird, wie sollte es anders sein, wesentlich vom Personal der Hochschulen geformt: von Professoren und Professorinnen, von Sekretärinnen und wissenschaftlichem Fußvolk – und er wird vom akademischen Nachwuchs immer wieder kopiert und weitergetragen, weil die Studenten glauben, genau so müsse eben das Miteinander strahlender Geistesgrößen organisiert sein. Das ist natürlich ein Trugschluss, doch längst hat sich das universitäre System so gefestigt und verselbstständigt, dass es die verrücktesten Absonderlichkeiten hervorbringen kann, ohne dass sich irgendjemand auch nur ansatzweise darüber wundert.

So korrespondiert eine gewisse Lebensferne vieler Studierender hervorragend mit der Weltabgewandtheit ihrer akademischen Ausbilder, deren überragende Qualifikation mitunter vor allem in ihrem Narzissmus und ihrer Unfähigkeit zu realistischer Selbsteinschätzung zu bestehen scheint. Das Ganze dann noch hübsch verpackt in einer bürokratischen Institution mit weitgehender Narrenfreiheit für alle Beteiligten – und fertig ist das deutsche Hochschulsystem.

Dieses Buch ist eine Bildungsreise in die Welt der Wissenschaft – an Orte fernab von spannender Forschung und aufregenden Experimenten, dafür geprägt von Wahnsinn, Zumutungen und Stress.

[Menü]

1

Wer bin ich? Was kann ich? Wo muss ich hin?

Der Stress fängt schon vor der Einschreibung an

Beginnen wir mit ein paar Tatsachenfeststellungen: Wir leben im 21. Jahrhundert und damit unbestritten im Zeitalter der Online-Kommunikation. Gerade der Wissenschafts- und Bildungsbereich gilt dabei als besonders internetaffin – und so könnte man eigentlich erwarten, dass die entsprechenden Institutionen wie etwa Universitäten und Fachhochschulen besonderen Wert auf eine gute, informative und benutzerfreundliche Darstellung ihrer jeweiligen Einrichtung im Internet legen. Doch wenn man sich durch die Homepages deutscher Hochschulen klickt, dann wird schnell klar, dass diese Erwartung völlig an der Realität vorbeigeht.

Kleinteilig, unübersichtlich, chaotisch – so präsentiert sich zum Beispiel die Universität Hamburg mit ihrer Homepage. Vom »stine-Studieninfonetz« über den »KlimaCampus« bis zum »fsz Fremdsprachenzentrum« blinken und leuchten einem potenziellen Studienbewerber die unterschiedlichsten Unieinrichtungen entgegen. Auch der Klick auf den Button »Studieninteressierte« bringt keine klarer strukturierten Informationen, sondern nur ein neues Sammelsurium klein- und kleinstteiliger Mitteilungen in zum Teil brillenpflichtiger Minischrift.

Nicht ganz so unübersichtlich, aber immer noch abschreckend sind Online-Angebote wie das der TU Berlin, das erst nach minutenlangen Klickorgien zu den Informationen für Studienanfänger führt, oder die Website der Universität Leipzig, die – beispielsweise auf der Seite zum Studienangebot der Hochschule – so aussieht, als sei sie von einem Schülerzeitungsredakteur gestaltet worden, der als Layout-Mittel nur fett Geschriebenes,

• Einrückungen

und VERSALSCHRIFT kennt und diese drei Gestaltungselemente für Schrift in möglichst kurzen Texten möglichst exzessiv einsetzen möchte. Ein klar strukturiertes Informationsangebot, gar ein Lesevergnügen? Mitnichten. Andere Hochschulen versuchen immerhin, mit deutlich weitergehender optischer Gestaltung die Informationsmöglichkeiten des Internetangebots zu erweitern, auch wenn das mitunter zu eher skurril anmutenden Auftritten führt. So etwa an der Uni Bielefeld, deren Grafik zum Studienfachangebot an einen Abakus erinnert – jene mechanische Rechenhilfe mit Kugeln auf Stangen, die schon vor über 3000 Jahren erfunden wurde. Das sieht zwar in seiner grün-orangefarbenen Gestaltung recht witzig aus, ist aber für Studieninteressierte nur von begrenztem Informationsgehalt und erst nach minutenlangem Rauf-und-runter-Scrollen nutzbar. Und so geht es weiter und weiter, egal auf welcher Website: Wer sich zur Informationssuche über Studienmöglichkeiten durch die Homepages der deutschen Hochschulen klickt, sollte dafür ein ausreichendes Maß an masochistischer Leidensfähigkeit mitbringen und manchmal auch die Bereitschaft, Augenkrebs zu entwickeln – für Studierende oder Studieninteressenten sind diese Seiten jedenfalls nicht gemacht.

Denn das ist das Grundproblem: Seit der Einführung von Studiengebühren in etlichen Bundesländern ist das Schlagwort von den »Studenten als Kunden« zwar aus keiner Rede eines Rektors oder Hochschulpräsidenten mehr wegzudenken. Doch dass eine solche Einordnung der Studierenden auch Konsequenzen haben muss, ist vielerorts noch längst nicht angekommen. Im Umkehrschluss heißt das leider auch ein Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende immer noch: Wer studieren will, sollte sich von vorneherein darauf einstellen, dass er dicke Bretter bohren muss, bevor er überhaupt an brauchbare Informationen über sein Wunschfach und die Unis kommt, die dieses Fach auch anbieten. Wer möchte, kann ganz einfach mal den Test machen und eine Mail an, sagen wir, zehn Universitäten schicken, sein Interesse an einem Mathematikstudium (oder irgendeinem anderen Fach) signalisieren und um weitere Informationen zum Ablauf der Bewerbung und zum Studium selbst bitten. Jede Wette: Das meiste Material, das dann kommt, wird nicht nur inhaltlich enttäuschend sein, sondern angesichts seiner unfreundlichen Aufmachung für regelrechte Schockreaktionen sorgen.

So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass sich um den zuletzt 2007 ausgelobten »Preis für Hochschulkommunikation«, der von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), dem Zeit-Verlag und der Robert-Bosch-Stiftung verliehen wird, gerade einmal 46 der über 350 staatlichen, privaten und kirchlichen Hochschulen in Deutschland beworben haben – echtes Problembewusstsein sieht anders aus. Dabei waren die Hürden für die Teilnahme nicht einmal übermäßig hoch angesetzt. Vier Bereiche hatten die Juroren in guter Marketing-Manier und in schönstem Manager-Deutsch vorab definiert: Branding/Marke, Bedienbarkeit/Usability, Content und Sitecheck. Das Ganze aufgeteilt in 120 Einzelkriterien von »Ansprache der Zielgruppen« über »Aktualität« und »Professionalität« bis hin zu »dynamischen Schriftgrößen« – eigentlich also nicht mehr als das kleine Einmaleins des guten Webseiten-Layouts.

»Die HRK hat sich dem Thema Öffentlichkeitsarbeit von Hochschulen in den vergangenen Jahren immer wieder gewidmet und dafür bei den Hochschulleitungen nicht immer nur uneingeschränkte Zustimmung erhalten«, stellte dazu die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, fest. Die ansonsten immer mal wieder für ihre eher schwammigen Aussagen gescholtene Präsidentin kam der Wahrheit damit ziemlich nahe: Eine ordentliche Außendarstellung der Universitäten, insbesondere gegenüber den in Sonntagsreden gerne als vermeintliche Kunden umworbenen Studierenden und Studieninteressenten, findet im Alltag kaum statt. »Es klafft unverkennbar noch eine Lücke zwischen theoretischer Einsicht und Umsetzung«, beschreibt Margret Wintermantel diese Situation. Tatsächlich gilt bei den Hochschulleitungen ganz offensichtlich eher die Leitlinie: Studierende sind ein lästiges, aber leider auch unvermeidliches Ärgernis. Warum also sollte man Zeit, Geld und Energie verschwenden, um diesen nervigen Menschen eine gut gemachte und informative Homepage zu präsentieren? Als selbstkritisch verpackte Rhetorik der HRK-Präsidentin klingt das dann so: »Natürlich wissen wir alle, dass die Websites ideale Instrumente sind, um internationale Partner, ausländische Studierende und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anzusprechen. Aber die Investitionen in die Entwicklung und vor allem Pflege wirklich guter mehrsprachiger Angebote sind hoch und vielfach sind die Ergebnisse entsprechend eher halbherzig. Uns allen leuchtet ein, dass ein Internetauftritt möglichst aus einem Guss sein sollte, dem neuen Besucher die Orientierung leicht machen muss, er sich nicht in den virtuellen Irrgängen der Fakultäten und Institute verlaufen sollte. Aber ein professionelles Content Management ist aufwendig, die Überzeugung aller Verantwortlichen in der Hochschule mühsam.« Und dann kommt Wintermantel auf die eigentlichen Hauptpersonen der Unis zu sprechen – die Studierenden: »Ein schwieriges Feld ist auch der Service für Studienbewerber und Studierende in den Internetangeboten. In vielen Hochschulen sind hochwertige Serviceangebote noch nicht durchsetzbar, insbesondere angesichts der großen – und in den kommenden Jahren noch stark steigenden – Zahlen. Diese Zielgruppen müssen sich angesichts der Hochschulwebsites vielfach als zu bewältigende Masse statt als zu umwerbende Zielgruppe fühlen.« Interessant an diesem Zitat der HRK-Chefin ist vor allem der jammernde Unterton der letzten Passage: Allzu gerne würden die Hochschulen ja Service und Informationen auf höchstem Niveau liefern – nur ach, leider, leider, leider ist das »nicht durchsetzbar«, weil es einfach zu viele Studierende und Interessenten gibt. Sorry! Tut uns leid! Besseren Service gibt’s ab 2030, wenn die geburtenschwachen Jahrgänge endlich für einen Rückgang der Studierendenzahlen sorgen! Eine Aussage, der man auch unterstellen könnte, dass dahinter eine ganz andere Haltung steht, nach der Studierende und Studieninteressenten es offenbar schlicht nicht wert sind, dass man sich allzu viele Gedanken um eine gelungene Kommunikation mit ihnen macht. Wie gesagt – von den über 350 deutschen Hochschulen hat sich nicht einmal jede siebte angesprochen gefühlt, als es um die Teilnahme am Wettbewerb um die beste Homepage ging. Offenbar haben mehr als 300 Hochschulen Angst, die nicht allzu hoch liegende Messlatte des Wettbewerbs nicht nehmen zu können.

Noch schlechter sind die Informationen für angehende Studenten aufbereitet, die sich aus dem Ausland für einen Studienplatz in Deutschland bewerben wollen. Eigentlich müssten solche Bewerberinnen und Bewerber den Verantwortlichen ziemlich gut in den Kram passen, schließlich gilt Internationalität derzeit ja als eines der Schlüsselwörter für jeden Rektor und Präsidenten, der seine Uni als zukunftsweisend präsentieren möchte. Internationalität – darüber kann man angesichts der aktuellen Zustände jedoch nur lachen. Oder besser gesagt: weinen. »Wenn ich noch einmal entscheiden müsste, ich würde nicht nach Hamburg kommen«, sagt etwa der aus Brasilien stammende Stadtplanungsstudent Thiago G., der die Hamburger HafenCity-Universität besucht – aus seiner Sicht eine Fehlentscheidung. Gastfreundschaft? Betreuung? Klare Regelungen? Fehlanzeige. »Sieben Tage vor Semesterbeginn konnte mir von der Uni niemand sagen, ob ich angenommen bin«, berichtete der Gaststudent im UniSpiegel. Hinzu kam das Gefühl, nicht erwünscht zu sein: Nach wochenlangem Mailwechsel und Visastress wurde Thiago in Hamburg von einer Angestellten der Universität mit den wenig einladenden Worten begrüßt: »Sie sind also der Brasilianer, der uns so viele Probleme gemacht hat.« Unsensibler geht es eigentlich nicht mehr: Ganz offensichtlich hat diese Hochschulrepräsentantin von den Problemen ausländischer Studierender in Deutschland überhaupt keine Ahnung. So macht sich ein Drittel der Gaststudenten Sorgen wegen seiner Aufenthaltsgenehmigung, 40 Prozent hätten gerne mehr Kontakt zu deutschen Kommilitonen, die Hälfte hat Schwierigkeiten mit der Finanzierung ihres Aufenthalts – was bei fehlendem BAföG-Anspruch und einer rigiden Beschränkung der Arbeitserlaubnis auf 90 Tage im Jahr auch kein Wunder ist. Da ist die unfreundliche Begrüßung nach Hamburger Art nur noch das i-Tüpfelchen; von allen Seiten wird den Gaststudenten signalisiert: Eigentlich wollen wir euch gar nicht hier – bitte geht woandershin, das erspart uns und euch viel Ärger. Deutschland ist und bleibt eben eine »im Kern provinzielle Nation«, wie es Christian Bode, der Generalsekretär beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), ausdrückt.

Aber auch für deutsche Studieninteressenten ist es gar nicht so leicht, in die Uni hineinzukommen. Die Probleme fangen schon lange vor dem eigentlichen Studienbeginn an – mit der Bewerbung um einen Studienplatz nämlich, die an den Kandidaten für eine akademische Ausbildung bereits höchste logistische, psychische und intellektuelle Herausforderungen stellt. Einmal angenommen, Sie interessieren sich für ein Psychologiestudium. Dann werden Sie bereits davon gehört haben, dass es sich bei diesem Fach um einen jener Studiengänge handelt, in denen die Bewerberzahl die Anzahl der vorhandenen Studienplätze um ein Vielfaches übersteigt und das deshalb mit Zugangshürden versehen wurde: Das Verhältnis von Interessenten zu Studienanfängerplätzen beträgt jedes Jahr etwa 4 zu 1. Bis vor wenigen Jahren war für die Verteilung dieser raren Psychologie-Studienplätze die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) in Dortmund zuständig, wo Bewerber ihren Antrag einreichten und dann unter dem Namen Numerus clausus mithilfe des Abiturdurchschnitts ein harter Schnitt vollzogen wurde: Ausgehend von den besten Abiturienten mit dem Studienwunsch Psychologie, wurden die Plätze nach und nach aufgefüllt. Wer dann nur eine Zehntelnote schlechter war, hatte das Nachsehen – aber immerhin die Sicherheit, dass er alles getan hatte, um möglichst an sein Wunschfach zu kommen. Natürlich ist das ein zentralistisches Verfahren, manchmal auch als stalinistisch geschmäht, das aber allen Bewerbern gleiche Chancen einräumte. Doch das ist lange her.

Denn heutige Psychologie-Interessenten haben diese Sicherheit nicht mehr, dass sie bei ihren Bewerbungen alles richtig gemacht haben – der Provinzialismus von Hochschulen und Hochschulpolitikern ist dafür verantwortlich. Unter dem arg strapazierten Schlagwort der Autonomie hatten es sich die Bildungsaktivisten angewöhnt, für die Universitäten auch das Recht einzufordern, ihre eigenen Studierenden nach eigenen Kriterien aussuchen zu dürfen – hemmungslose (und manchmal provinzielle) Individualisierung also statt bundesweit vergleichbarer Standards. Und die Forderungen hatten Erfolg: Die als sozialistisch verschriene ZVS-Verteilung wurde auf den Scherbenhaufen der Bildungsgeschichte gekehrt, stattdessen die Direktbewerbung an den einzelnen Hochschulen eingeführt. Mit fatalen Folgen für den dahinter stehenden Aufwand: Wo früher 11000 Studieninteressenten jeweils eine Bewerbung an die ZVS schickten, die an alle 27 Hochschulen ging, an denen der Studiengang angeboten wurde, da müssen die gleichen 11000 Bewerber heute, um ebenfalls an jedem einzelnen Hochschulstandort im Rennen um einen Studienplatz dabei zu sein, insgesamt 297000 Bewerbungen auf den Weg bringen – mit der entsprechenden Anzahl an beglaubigten Abizeugniskopien, Praktikumsbescheinigungen und Begleitschreiben. Und weil Psychologie nur eines von zahlreichen Studienfächern in Deutschland ist – insgesamt gibt es bundesweit über 11000 Studiengänge! –, vervielfältigte sich die Flut der Bewerbungsschreiben durch die politisch gewollte Ausschaltung der ZVS um ein Vielfaches. Das ist nichts anderes als vorsätzlicher Irrsinn – und damit symptomatisch für die Universitäten.

Immerhin: Es dauerte zwar ein paar Semester, aber irgendwann wurde auch den Verantwortlichen endlich klar, dass es so nicht weitergehen kann. Bezeichnenderweise war der auslösende Faktor aber nicht der Bewerbungsirrsinn, dem die angehenden Studenten unterworfen wurden und werden, sondern der Moment, als die Hochschulverwaltungen der Flut der Anträge nicht mehr Herr wurden. Beides zusammen trug schnell und verdientermaßen den Titel »Zulassungschaos«, und immer wieder illustrierten spektakuläre Einzelfälle den Wahnwitz. So gab es etwa an der Ruhr-Universität Bochum den Fall einer angehenden Studentin, die sich gleich auf 35 Bachelor-Studiengänge der Hochschule beworben hatte, um ihre Chancen auf einen Studienplatz zu erhöhen. Die Universität erteilte ihr zunächst 21 Zusagen, in mehreren Nachrückverfahren schließlich sogar noch weitere – von denen die Abiturientin dann aber keine einzige annahm, weil sie sich zwischenzeitlich schon an einer anderen Universität eingeschrieben hatte, die in ihren Entscheidungsprozessen einfach schneller gewesen war. »Viele Studieninteressierte bewerben sich für mehrere Studiengänge an mehreren Hochschulen, bekommen dann teilweise auch mehrere Zusagen und entscheiden sich erst relativ spät«, klagte mit großen Augen Andreas Pinkwart, seit 2005 der zuständige Wissenschaftsminister in Nordrhein-Westfalen. Die Autonomie der Hochschulen hatte er immer gefordert, die damit einhergehenden Konsequenzen aber offenbar unterschätzt. Die Folge: An den Hochschulen laufen die Nachrückverfahren für die Studienplätze teilweise bis Dezember, also mehrere Wochen ins erste Semester hinein – für alle Seiten eine ärgerliche Situation, die bundesweit zu beobachten ist.

Ganz offensichtlich hatten die Hochschulen in ihrem Stolz auf die neu gewonnene Autonomie bei der Bewerberauswahl gar nicht damit gerechnet, dass Studierende sich mehrfach bewerben könnten und dann längst nicht jeden Studienplatz, der ihnen offeriert wird, auch klaglos und zutiefst dankbar annehmen: Trotz mehrfacher Besetzungsrunden wurden etliche Unis und Fachhochschulen ihre eigentlich heiß begehrten Studienplätze nicht mehr los. So blieb etwa an der Goethe-Universität Frankfurt im Wintersemester 2008/2009 jeder fünfte Studienplatz in den zulassungsbeschränkten Fächern unbesetzt – also genau in jenen Studiengängen, für die so viele Interessenten jedes Jahr verzweifelt einen Zugang suchen. »Das hat uns völlig überrascht«, sagte ein ratloser Unipräsident. Genauso ratlos waren die verhinderten Studenten: Studienwillige en masse auf der einen Seite, nicht besetzte Studienplätze auf der anderen – wie kann das sein, zumal solche Fälle jahrzehntelang nicht vorgekommen waren, als die ZVS die knappen Plätze verwaltet hatte? Die Antwort ist einfach: Die Begeisterung über die vermeintlich neu gewonnene Handlungsfreiheit hatte die Hochschulen blind gemacht für die Erkenntnis, dass zu erfolgreichem Handeln in komplexen Situationen ein gewisses Maß an Kompetenz gehört. Kompetenz, die zwar bei der ZVS in Dortmund, nicht aber in den Studentensekretariaten der Republik vorhanden war.

Das Ergebnis ist bekannt: ein Bewerbungschaos, das sich von Semester zu Semester steigerte. An manchen Hochschulen endete die Bewerbungsfrist schon Monate vor Semesterstart, an anderen erst Wochen nach Beginn der Vorlesungen. Die einen verlangten einen mehrseitigen Besinnungsaufsatz zur Studienfachwahl, andere setzten lieber auf die Leistungskursnoten in den Oberstufenzeugnissen, wieder andere dagegen auf ein persönliches Auswahlgespräch. Fast hatte man den Eindruck, als sei die Zahl der Studiengänge genauso groß wie die Zahl unterschiedlicher Bewerbungsverfahren. Keinerlei Absprachen der Hochschulen untereinander, keine vergleichbaren Prozeduren oder Termine – für Studienanfänger (und all jene, denen der Studienanfang verweigert wurde) war der Bewerbungsdschungel eine größere Herausforderung als das Abitur selbst.

Dann, Anfang 2009, kam endlich Bewegung auf. Mehrere Krisengipfel bei Annette Schavan, der seit 2005 amtierenden Bundesministerin für Bildung und Forschung, sollten eine schnelle Lösung bringen. Doch wenn man sich anschaut, wer da in Berlin zusammensaß, dann wundert man sich nicht, dass sich diese angeblich schnelle Lösung recht bald als ziemlich faules Ei entpuppte – doch dazu später. Es trafen sich also:

…die Ministerin Annette Schavan, die in ihrer Zeit als Landesministerin in Baden-Württemberg viel Energie darauf verwendet hatte, den bildungspolitischen Einfluss der Bundesregierung zu beschneiden, und die vor ihrem Wechsel ins Bundesministerium erklärt hatte, sie verstehe sich eigentlich gar nicht als kommende Bundesbildungsministerin, weil das nun mal Sache der Länder sei. Schavan ließ diesen Worten auch bald Taten folgen: In der Föderalismusreform stimmte sie einer fast vollständigen bildungspolitischen Entmachtung ihres eigenen Ministeriums zugunsten der Länder zu und handelte sich damit in der Berichterstattung etwa bei Spiegel Online den Running Gag ein, sie arbeite mit großem Einsatz an ihrer eigenen Überflüssigwerdung. Und es stimmt: Nach einer vergleichbaren politischen Selbstverstümmelung muss man in der Geschichte der Bundesrepublik lange suchen.

…Vertreter der Hochschulen, die zwar mit der Hochschulrektorenkonferenz den Anspruch erheben, die »Stimme der Hochschulen« zum Klingen zu bringen, die aber in Wirklichkeit so viele verschiedene Einzelinteressen verfolgen, dass die HRK nur noch wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten agiert. Da gab es Hochschulen, die im Verbund mit der ZVS sehr wohl auf eine zentrale Verteilung der Studienbewerber setzen; andere dagegen wollten lieber ein eigenes hochschulübergreifendes Bewerbungsverfahren durchführen und hatten den entsprechenden Zusammenschluss auch schon gegründet; und eine dritte Fraktion schließlich beschränkte sich im Wesentlichen darauf, ZVS-Bashing zu betreiben und mit der Beschimpfung der Dortmunder Zentralstelle vom eigenen Versagen bei der Organisation ihres Bewerbungsverfahrens abzulenken.

…die Leitung der ZVS selbst, die in falsch verstandener Demut schon seit Jahren darauf verzichtet, hochschulpolitische Forderungen – und seien sie noch so begründet – zu erheben, sondern sich lieber auf das zaghafte Verteidigen der eigenen Handlungen beschränkt und ansonsten darauf hofft, bei der großen Reform der Bewerbungsverfahren nicht abgewickelt zu werden, sondern wie Phönix aus der Asche wiederzuerstehen.

…Vertreter der Kultusministerkonferenz (KMK), die in der Vergangenheit angesichts ihres atemberaubenden Handlungs- und Reformtempos wiederholt als »griechische Landschildkröte« verspottet wurde. Weil in der KMK die höchst unterschiedlichen Einzelinteressen der Bundesländer zu einer möglichst gemeinsamen Bildungs- und Hochschulpolitik verschmolzen werden sollen, sind Entscheidungsschwierigkeiten – zumal dann, wenn es um Einstimmigkeit geht – in diesem Gremium permanent an der Tagesordnung. Die Minister sitzen hier nicht selten mit stolz geschwellter Brust ob ihrer grundgesetzlich garantierten alleinigen Entscheidungsmacht in Sachen Bildungspolitik. Und da kann es dann durchaus schon mal passieren, dass das bundesweite Interesse an gemeinsamem Handeln ein wenig aus dem Blick gerät.

Eine Mischung von Akteuren also, die allesamt nicht gerade für ihren überbordenden Handlungswillen und ihre visionäre Gabe berüchtigt sind. Und so ist es eigentlich auch kein Wunder, dass nach mehrfachen Krisensitzungen ein ziemlich mageres Ergebnis als großer Durchbruch verkauft wurde: Ein »dialogorientiertes