Helga Hahnemann - Christin May - E-Book

Helga Hahnemann E-Book

Christin May

4,8

Beschreibung

Helga Hahnemann war eine Institution der DDR-Unterhaltung: präsent, erfolgreich, mit Preisen bedacht und unangefochtener Liebling des Publikums. Manchmal derb komisch, manchmal sentimental, traf die Vielseitige stets den Geschmack ihrer Fans. Sie war ein Star und doch »normal« geblieben, kaufte im Konsum ein und fuhr mit der S-Bahn; auch dafür wurde sie geliebt. Christin May legt nun eine Biographie der Allround-Künstlerin vor, entstanden ist das berührende Porträt einer großen Persönlichkeit.

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Christin May

Die Süße mit der großen Klappe

Christin May

Die Süße mit dergroßen Klappe

Helga Hahnemann. Die Biographie

eISBN 978-3-86789-426-5

1. Auflage

© 2013 by BEBUG mbH / Bild und Heimat, Berlin

Umschlaggestaltung: Jana Krumbholz, ACDM

Umschlagabbildung: Günter Gueffroy

SUPERillu

In Kooperation mit der SUPERillu

www.superillu-shop.de

Inhalt

Die Goldene Henne

Die frühen Jahre

Erste Schritte Richtung Bühne

Berlin

Karriere

Lieder-Geschichten

Publikum

Kollegen und Freunde

In der DDR

Das Frauenzimmer Helga

Helga Hahnemann und die Liebe

Abschied

Literaturverzeichnis

Bildnachweis

Een kleenet Menschenkind

Ick bin ein stark berlinerndet –nach oben hin nie dienerndet –ein über ’n Witz laut lachendet –und manchen Mist verzappendet –uff Jeld und Auto pfeiffendet –zu Hause manchmal keifendet –een tanzendet und springendet –im Ton zu tief meist singendet–

ick bin – wat alle sind:een kleenet Menschenkind!

Ick bin ein übermütijet –zu Hund und Kind jütijet –ein öfter mal besoffenet –uff Anerkennung hoffendet –ein stets uff Pump nur lebendet –vor Katastrophen bebendet –een zartet und empfindlichetund im Jemüt wat Kindlichet!

Ick bin – wat alle sind:een kleenet Menschenkind!

Ick bin ein ewig schuftendet –uff Sitzungen verduftendet –mit Menschen jerne quatschendet –in manchen Fettnapp latschendet –ick bin ein Maul aufreißendet –uff Misskredite sch.....det –een durchschnittlich aussehendet –uff beede Beene stehendet –

ick bin – wat alle sind:een kleenet Menschenkind!

Bin ein dit Leben liebendet –de Schlüssel oft versiebendet –een ville Fehler machendet –und öfter sich verkrachendet –een oft vor Angst laut heulendet –sich beim Spagat verbeulendet –een durch die Welt sich boxendet –vor Widersprüchen strotzendet–

ick bin – wat alle sind:een kleenet Menschenkind!

Die Goldene Henne

Die 18. Verleihung der Goldenen Henne im September 2012 geht nach dreieinhalb Stunden Show dem Ende entgegen. Der emotionale Höhepunkt steht noch bevor, was die Moderatorin Inka Bause allerdings nicht ahnt. Sie weiß aber, dass sie nun zusammen mit Helga Hahnemann das Lied Glück singen wird. Arndt Bause, Inkas Vater und Komponist des Stückes, begleitet am Klavier.

Natürlich können Arndt und Helga nur als Einspieler auf der übergroßen Leinwand zugegen sein. Und doch erleben die Zuschauer eine perfekte Symbiose dreier Künstler, von denen jeder auf seine Art die Herzen der Menschen bewegt.

Inkas Tränen begleiten das Lied. Dann geschieht etwas, wovon nichts im Programmplan der Moderatorin vermerkt war: Mit einem Mal steht Wolfgang Lippert auf der Bühne, direkt neben Inka, und reicht ihr ein Taschentuch. Dann beginnt er zu sprechen: über den Mann mit den besonderen Noten, der 1 300 Lieder geschrieben hat. Inka kann ihre mühsam bezwungenen Tränen erneut nicht zurückhalten. Erst recht nicht, als Wolfgang Lippert verkündet: »Die Goldene für eine Legende. Die Goldene Henne für Arndt Bause. Die Goldene Henne für Deinen Papa!« Er übergibt Inka den Preis und nimmt sie in den Arm. Sie schluchzt: »Papi, die Goldene Henne für Dich!«

Der wichtigste Publikums- und Medienpreis Ostdeutschlands wurde an diesem Abend posthum an einen der erfolgreichsten Komponisten aus der DDR verliehen. Er war der musikalische Erfolgsgarant der Namensgeberin des Preises: Helga Hahnemann, auch »Henne« oder »Big Helga« genannt.

Inka Bause bekam 2008 die Goldene Henne als beste Moderatorin. Vier Jahre später moderiert sie die Gala und nimmt den Preis für ihren Vater Arndt Bause entgegen, der posthum in der Kategorie »Ehrenpreis Legende« geehrt wurde.

Die Hahnemann: blondes Wuschelhaar, wohlbeleibt, nur 1,58 Meter groß, durchdringende Stimme. Ein Berliner Original mit Herz und Schnauze. Sie war eines dieser seltenen Glanzlichter, die einfach alles meistern. Helga Hahnemann rockte die Bühne, ob mit Gesang, Tanz, Schauspiel oder Kabarett – ganz egal, sie konnte alles. Sie war Entertainerin, Moderatorin, Radiojournalistin, Synchronsprecherin. Eben eine der ganz Großen im Showgeschäft. Sie sah aus wie die gemütliche Nachbarin von nebenan, doch hinter der unspektakulären Fassade verbarg sich das vielleicht vielseitigste Talent, das die DDR zu bieten hatte.

Im Alter von 54 Jahren verstarb sie. Publikum, Freunde und Kollegen trauerten aus tiefstem Herzen. Vier Jahre später wurde zum ersten Mal der Preis verliehen, der ihren Namen trägt. So wurde seitdem jedes Jahr und mit jedem Preisträger zugleich auch Helga Hahnemann gewürdigt.

Die Entstehungsgeschichte des Preises begann am 15. April 1995. An diesem Tag wurde Dagmar Frederic 50 Jahre alt. Ihr damaliger Ehemann Peter Renner, ein Künstleragent, hatte sich etwas Besonderes einfallen lassen: eine riesige Überraschungsparty. Die wurde aber nicht im heimischen Wohnzimmer ausgerichtet, nein: Der damalige Intendant des Friedrichstadtpalastes, Alexander Iljinskij, machte den Saal der Kleinen Revue für diesen Abend Dagmar zum Geschenk. Sie hatte dort oft selbst auf der Bühne gestanden, hatte gesungen oder moderiert.

An ihrem 50. Geburtstag konnte sie sich nun zurücklehnen und genießen, was Orchester, Ballett und viele Künstler für sie darbrachten. Beinahe 200 Menschen waren zugegen. Darunter auch Jochen Wolff, ein Journalist aus der Oberpfalz, der vier Jahre zuvor die Stelle des Chefredakteurs der Zeitschrift SUPERillu angetreten hatte.

Ostdeutschlands Kulturszene zeigte an diesem Abend, was sie zu bieten hatte. Viele Stars aus Funk und Fernsehen waren vertreten. »Es war ein unvergesslicher Abend«, erinnert sich Dagmar Frederic. Auch für Jochen Wolff war es ein besonderer Abend gewesen. Er hatte großartige Künstler erlebt und war anschließend mit ihnen ins Gespräch gekommen. Das hatte tiefen Eindruck hinterlassen und inspirierte Wolff. Zuerst war es nur ein flüchtiger Gedanke gewesen, kaum mehr als ein Gefühl. Doch es ließ ihn nicht mehr los, die Idee nahm Gestalt an. Zwei Tage später klingelte bei Dagmar Frederic das Telefon. Der Chefredakteur zeigte sich noch immer angetan: »Ich wusste nicht, was für großartige Künstler es im Osten gibt. Für die muss man doch etwas tun. Ich denke da an einen Preis, so eine Art Ost-Bambi.«

Dagmar Frederics Ehemann, Peter Renner, organisierte diese erste Veranstaltung. Er war es auch, der die Eingebung hatte, den Preis nach Helga Hahnemann zu benennen. Schließlich sollte es nicht eine bloße Kopie der westdeutschen Bambi-Verleihung sein. Etwas ganz Eigenes sollte entstehen. Etwas, womit sich die Menschen der neuen Bundesländer identifizieren konnten. Etwas, das den Ost-Künstlern gerecht wurde, die Mitte der 1990er Jahre nicht sonderlich gefragt waren. Wolff bezeichnete diese Namensgebung später als »Königsidee«. Denn so wurde Helga Hahnemann ein Denkmal gesetzt, und zugleich verstanden die Menschen, dass es sich um einen Medienpreis handelte, der zunächst speziell auf ihre Landeshälfte zugeschnitten war. In einer Zeit, in der der Osten äußerst inflationär gehandelt wurde, war dies identitätsstiftend. Die Henne, dazu noch vergoldet, tat einfach gut. Mittlerweile ist der Preis zur gesamtdeutschen Einrichtung geworden. Ja, auch Weltstars zählen zu den Preisträgern. Was diesen Preis so einzigartig macht, ist seine Jury: das Publikum selbst hat die entscheidende Stimme. Jedes Jahr aufs Neue bestimmen die Leser der SUPERillu sowie die Zuschauer der Sender MDR und rbb ihre prominenten Favoriten in fünf von elf Kategorien. Inzwischen können die Zuschauer auch darüber abstimmen, welche Stars überhaupt nominiert werden.

Die Liste der Preisträger ist so vielseitig und bunt wie es auch Helga Hahnemann selbst war. Gojko Mitić, Hans-Joachim Preil, Ute Freudenberg, die Puhdys, Regine Hildebrandt, Hape Kerkeling, Michail Gorbatschow, Erwin Geschonneck, Christo, Sigmund Jähn, Hans-Dietrich Genscher, Katharina Witt oder André Rieu und Udo Lindenberg – das sind nur einige der bisher mehr als 160 Preisträger der Goldenen Henne. Es sind Schauspieler und Fernsehstars, Musiker und Künstler, Sportler, Politiker und Menschen, die für ihr Lebenswerk ausgezeichnet werden. Manche Künstler konnten sich schon mehrfach über den Preis freuen. Wolfgang Stumph, Helene Fischer und Carmen Nebel sind – mit bisher je vier goldenen Hühnern – die unangefochtenen Lieblinge des Publikums.

Auch für Charity-Engagement, Zivilcourage und die Kategorie Helden des Alltags gibt es Ehrenpreise. Während es zum einen häufig Stars sind, die ihre Prominenz nutzen, um karitative Organisationen zu unterstützen, zeigen die Helden des Alltags andererseits, dass man nicht prominent sein muss, um zu handeln. Ausgezeichnet wurden bisher Menschen, die mit Zivilcourage beherzt in schwierige Situationen eingriffen, die uneigennützig halfen und unter Umständen dabei sogar das eigene Leben riskierten.

Doch zurück zur Geburtsstunde der Goldenen Henne. Ein Name war gefunden. Wie ging es weiter? Jochen Wolff und seine Ehefrau unternahmen einen Wochenendausflug in die Uckermark. Genauer: nach Altkünkendorf auf den Louisenhof. Dort hat der Bildhauer Christian Bonnet seine Wirkungsstätte. An ihn hatte Wolffs Frau spontan gedacht, als ihr Mann darüber grübelte, wie die Goldene Henne aussehen könnte.

Der in Schwerin geborene Bonnet hatte das Handwerk eines Schriftsetzers gelernt und später an der Kunsthochschule Berlin Bildhauerei studiert. Als Praktikant hatte er gestalterische Erfahrungen in den Bereichen Theaterplastiken und Bronzegießerei gesammelt. Bonnet machte sich an die Arbeit, er ließ sich von der Namenspatin Helga Hahnemann und von den Proportionen eines Huhns inspirieren. Unter seinen Händen entstand eine wohldurchdachte Figur aus Bronze. Sie sollte nicht schlank sein, sondern mollig. Und sie sollte dynamisch und lebensfroh erscheinen. Also vollführt sie einen Tanzschritt.

Es dauert mehrere Tage und zahlreiche Arbeitsschritte, bis so eine Henne-Figur fertig ist. Das Ergebnis wiegt dreieinhalb Kilo, ist 22 Zentimeter hoch und schimmert matt oder erstrahlt in goldigem Glanz, je nach einfallendem Licht. Und wie fühlt sie sich an? Die Antwort gab es im Jahr 2010 für die Zuschauer, als Lena Meyer-Landrut während ihrer Dankesrede – für den Ehrenpreis Charme-Botschafterin – ankündigte: »Ich fasse sie mal an ...« und feststellte: »Es fühlt sich gut an!«

Der Öffentlichkeit wurde der goldige Vogel zum ersten Mal am 17. September 1995 präsentiert. Wer sonst als Dagmar Frederic hätte die Gala moderieren sollen? Fünf Monate nach ihrem 50. Geburtstag stand sie auf der Bühne in der Kleinen Revue des Friedrichstadtpalastes und führte durch den Abend. 300 Gäste waren anwesend, darunter der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen. Am Ende hielten drei Preisträger eine Goldene Henne in den Händen: Frank Schöbel, Stefanie Hertel und Henry Maske.

Im darauffolgenden Jahr wurde die Veranstaltung schon in den Großen Saal verlegt. Nun waren 2 000 Gäste dabei und Millionen schauten am Bildschirm zu. Im Jahr 2011 zog die Gala vom Friedrichstadtpalast ins Stage Theater am Potsdamer Platz um.

Jedes Jahr heißt es im September: roter Teppich, Stars und Blitzlichtgewitter, Live-Übertragung im Fernsehen und eine Show, die immer wieder für überraschende Wendungen sorgt. Inka Bause war nicht die erste Moderatorin, die vom Programm überrumpelt wurde. 2008 moderierte Helene Fischer und ahnte nichts davon, dass sie selbst eine Henne bekommen würde. Der Ablaufplan, mit dem man sie auf die Bühne geschickt hatte, war falsch. Auch Laudator Hans-Dietrich Genscher, der die Politik-Henne an Václav Havel übergeben hatte, war am Ende selbst einer der Ausgezeichneten. Und die fürs Unterhaltungsprogramm engagierten Musiker von City saßen hinter der Bühne und wurden erst nach einer Weile gewahr, dass die Laudatio von Wolfgang Tiefensee ihnen galt. Die Namen der Preisträger werden komplett unter Verschluss gehalten, nur wenigen Redakteuren sind restlos alle Details der Gala bekannt.

All das sorgt für eine besonders emotionsgeladene Show. Helga »Henne« Hahnemann hätte ihre Freude daran gehabt, denn auch bei ihren Auftritten konnten die Zuschauer eine Achterbahnfahrt der Gefühle erleben. Lachen und Weinen lagen stets nah beieinander. Wie im richtigen Leben eben auch.

Die Preisträger der zweiten Goldenen Henne im Jahr 1996: Kurt Biedenkopf, Rolf Ludwig, Carmen Nebel, Wolfgang Stumph und Jens Weißflog (v. l. n. r.)

Glück

Den eenen bringt sein Glück fast um –der andre hütet’s ängstlich!Und manche trampeln darauf rum,bloß ick wart’ lebenslänglich!

Wenn sich dit Glückdoch mal verirrtund bis vor meine Türe schwirrt,denn bin ick Glücksbanausenatürlich nich’ zu Hause!

Uff Herbert wart’ ick schon een Jahr,nur jestern war ick mal tratschen!Und da, da war er gerade da!Ick könnt’ mir eene latschen!

Wenn sich dit Glückdoch mal verirrtund bis vor meine Türe schwirrt,denn bin ick Glücksbanausenatürlich nich’ zu Hause!

Doch heute hab ick’s janz verjagt!Ja, weil man eben doof is!Zum kleenen Glück hab ick jesagt:Komm’ wieder, wenn de groß bist!

Nun such’ ick’s wieder wie verrückt –Kiek nach in alle Ecken!Mensch, mit ’n bisschen SchweineglückDa werd ick’s schon entdecken!

Wenn sich dit Glückdoch mal verirrtund bis vor meine Türe schwirrt,denn bin ick Glücksbanauseden Tag eb’n mal zu Hause!

Die frühen Jahre

In Berlin-Wilhelmsruh wurde an einem Mittwoch im September das vierte Kind der Familie Hahnemann geboren. Ein Mädchen. Die Eltern wählten für ihre Tochter den damals äußerst beliebten Namen Helga – tatsächlich war es sogar Deutschlands beliebtester Mädchenname der 1930er Jahre, gefolgt von »Ursula« und »Ingrid« – und gaben noch den Zweitnamen Frieda dazu.

Man schrieb das Jahr 1937. Es war das Jahr, in dem die Stars der Leinwand Zarah Leander, Heinz Rühmann oder Hans Albers hießen, in dem Albert Speer zum Generalbauinspektor ernannt wurde und in dem die Stadt Berlin eine ganze Woche lang ihr 700-jähriges Bestehen feierte. Tausende Berliner in historischen Gewändern wirkten mit. Den Höhepunkt der Feierlichkeiten markierte ein Festumzug durch symbolisch geschmückte Straßen. Wohin das Auge blickte, sah es abwechselnd das Berliner Bären-Wappen und Hakenkreuz-Fahnen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Nationalsozialisten bereits seit vier Jahren an der Macht. Zwei Jahre später sollte der Zweite Weltkrieg beginnen, zu dessen Anfang Berlin nur wenig betroffen war und zu dessen Ende die Stadt in Trümmern lag. Als die Rote Armee Berlin besetzte, war Helga sieben Jahre alt.

Dabei begann Helgas Leben trotz der schwierigen Zeit zunächst mit viel Zuspruch und Geborgenheit. Sie war das Nesthäkchen der Familie, ein wahrhaftiger Nachzügler. Als Helga zur Welt kam, war Bruder Alfred 19, die Schwestern Lena und Gretel 16 und 13 Jahre alt. Die Geschwister hatten eine strenge Erziehung durchlebt, doch ihrer Jüngsten ließen die Eltern viel durchgehen. Auch die Geschwister kümmerten sich liebevoll um den kleinen Sonnenschein, in dem so manches Talent schlummerte. Helga konnte wunderschön singen. Alle waren entzückt, und häufig wurde der Vergleich zum Großvater gezogen, dessen Musikalität die Kleine offenbar geerbt hatte. Wie die meisten Kinder liebte Helga es, sich Geschichten erzählen zu lassen. Doch das genügte ihr bald schon nicht mehr. Sie wollte mitreden, wollte Quatsch machen und alle zum Lachen bringen. Beizeiten war ihr klar, was sie später einmal werden wollte. Jedem, der sie danach fragte, antwortete sie sehr entschieden: »Ich werde Quatschmacher!«

Helga als Dreijährige

So wuchs Helga zu einem selbstsicheren und unternehmungslustigen Kind heran, das schon früh seinen eigenen Kopf hatte. Sie war gerade vier Jahre alt, als sie beschloss, ihren Bruder Alfred in Danzig zu besuchen. Lange genug hatte sie ihn nicht gesehen. Was lag da näher, als sich selbst auf den Weg zu machen, um dem großen Bruder »Guten Tag« zu sagen? Gedacht, getan. Helga packte das Nötigste zusammen – ihre Puppe und ein paar Bonbons –, und es konnte losgehen. Sie wusste genau, dass die S-Bahn das magische Gefährt war, in das sie steigen musste, um ans Ziel zu gelangen. Sie ergatterte sogar einen Fensterplatz in einem der vielen Waggons und bestaunte erwartungsvoll die vorüberziehende Gegend.

Helgas Enttäuschung war groß, als ihre Reise vorzeitig und nicht wie geplant in Danzig, sondern in Hennigsdorf endete. Einem Schaffner war die kleine Alleinreisende aufgefallen und ohne auf ihren Einspruch zu achten, veranlasste er die direkte Rückreise zur elterlichen Wohnung.

Als der Krieg schließlich Berlin erreichte, veränderte sich alles. Bomben fielen auf die Stadt und nächtelang mussten die Menschen in Luftschutzkellern ausharren. Je näher die Detonationen kamen, umso quälender wurde die Ungewissheit, ob die Keller standhalten würden. Durch die ortsansässigen Bergmann-Fabrikanlagen, die auch Rüstungsgüter herstellten, wurde Wilhelmsruh, wo Familie Hahnemann lebte, zum intensiv anvisierten Ziel der alliierten Bomber.

Helga Hahnemann sprach nicht über ihre Kriegskindheit. Sie mochte es generell nicht, wenn die Fragen der Journalisten zu privat wurden. Aber auch nur wenigen engen Freunden gestattete sie einen Blick auf die Traumatisierung der frühen Lebensjahre.

Angst und Hunger waren schlimm, aber das Fürchterlichste stand Familie Hahnemann noch bevor. 1945, der Krieg war verloren, Berlin eingenommen. Junge Frauen beschmierten ihre Gesichter mit Ruß und Asche, um häss lich und alt zu erscheinen, und versteckten sich so gut es ging vor den gefürchteten Russen. Auch Helgas Schwester, die 19-jährige Gretel, hielt sich die meiste Zeit im Keller auf. Sie kam nur heraus, wenn sie annehmen konnte, dass die Luft rein war. Einmal jedoch stand plötzlich ein junger russischer Soldat im Haus. Gretel sah ihn und versuchte sich eilends in Deckung zu bringen, indem sie die Kellertreppe hinunterhastete. Der Soldat sah das Mädchen nicht, nahm nur eine Bewegung wahr und schoss aus Angst, er könnte in einen Hinterhalt geraten sein und die Kugel des vermeintlich anderen könnte ihn zuerst treffen. Gretel starb an ihrer Verletzung. Der junge Soldat war bestürzt, auch die sowjetische Kommandantur bedauerte dieses Unglück. Doch das brachte Gretel nicht zurück. Das tote Mädchen wurde im Wohnzimmer aufgebahrt. Weinend saß die Familie beisammen und musste Abschied nehmen.

Den Schmerz über diesen sinnlosen Verlust schloss die siebenjährige Helga tief in sich ein. Er war da, aber für die Außenwelt war er nicht sichtbar. Diese Taktik sollte ihr in Fleisch und Blut übergehen. Genauso würde sie es auch später mit ihrem Kummer handhaben.

Das Leben musste weitergehen, im Großen wie im Kleinen. So wie Berlin und das ganze Land wieder aufgebaut wurden, musste auch Familie Hahnemann zurück zum Alltag finden. Alltag hieß für die im Arbeitermilieu angesiedelte Familie, die Kraft für den Broterwerb zu kanalisieren – was in den Nachkriegsjahren schwierig genug war –, und hieß für Helga: zur Schule zu gehen.

Bei den Lehrern kam ihr komödiantisches Talent weniger gut an. Des Öfteren brachte sie einen Tadel mit nach Hause, in der 9. Klasse musste sie sogar eine Ehrenrunde einlegen. Doch schon früh verfügte Helga über beträchtlichen Ehrgeiz. Sie wollte Abitur machen, also machte sie Abitur. Die Eltern unterstützten sie, obwohl es ihnen nicht leicht fiel, der Tochter den Besuch der weiterführenden Schule und die spätere Ausbildung an der Schauspielschule zu ermöglichen. Mit den Jahren verhärteten sich die Fronten. Hahnemanns lebten in einfachen Verhältnissen. Die Welt der Kultur und der Künste blieb ihnen fremd. Sie brachten kaum Verständnis für Helgas beruflichen Weg auf. Helga wiederum konnte nicht begreifen, warum die Eltern Kunst als überflüssig einschätzten. Sie ärgerte sich über die festgefahrene Denkweise, an der auch viele Diskussionen nichts änderten. Helga fühlte sich nicht ernst genommen, sogar abgewertet durch den in den Augen der Familie »zigeunerhaften« Beruf.

Vielleicht tat sie ihren Angehörigen Unrecht. Helgas Mutter, die ihre Tochter um Jahre überlebte, soll durchaus Bewunderung für das Tun ihrer Jüngsten gezeigt haben. Edgar Külow, ein Freund und Kollege, war überzeugt davon, in Gesprächen mit Helgas Mutter eindeutige Anzeichen der Wertschätzung und des Stolzes erkannt zu haben. Helga selbst konnte das nicht sehen. Trotzdem liebte sie ihre Eltern sehr. Lud sie oft zu sich nach Schöneiche ein, wo sie abends zusammen Karten spielten, und sich Papa Hahnemann über Mutter Hahnemann ärgerte, weil sie der Tochter so viel zu erzählen hatte: »Kennste die Huber noch, Helga? Die vom Jemüseladen um de Ecke. Du gloobst nich’, wat die ...«

»Wenn de nich dein Karo ausspielst, könn’ we ooch int Bette jehn«, brummelte Papa Hahnemann dann immer erbost. Er soll einen ziemlichen Dickkopf gehabt haben, genau wie Helga – der berühmte Apfel, der nicht weit entfernt vom Stamm zu Boden fällt. Helga war ohnehin ein ausgesprochenes Papakind. Ihr Vater starb mit 91 Jahren. Auf ihrer letzten Platte wurde ein Ausspruch von ihm verewigt: »Mädel, wer mit Fremdwörtern nicht konfekt ist, sollte damit ooch nich renovieren!«

Dit is’ lange her

Wenn ick manchmal so meen’ Moralischen krieg,dann wünsch ick uff eenmal als Kind mir zurück –im Hof, mit Zöppe, den Kopp voller Unsinn und Träume!Ick fühl direkt, wie Mutter mir eene schmiert,weil ick mir die Oogen mit Tusche verkliert.Ick fand dit janz irre! Wat macht man nich’ allet mit neune?

Beim Spiel’n hab ick dauernd zu dir nur jekiekt,doch du warst ja nach Fußball verrückt! Für dich war ick irjend ’n Jör mit verdammt dünne Beene.Und denn – eines Tages, da zogste aus!Ick seh noch die Möbel vor unserem Haus.Und ick hab jeschluckt wie blöde, damit ick nich’ weene.

Unter tausend fremden Leuten hab ick dich von weitemgleich an deine Beene erkannt!Mann, die jing’n beim »Tutti-Frutti« los wie Jummi-Jutti,und wir ham dich Elvis jenannt.Eenmal haste aus Versehen mir ’n Kuss jejeben,danach lag ick drei Nächte wach!Dit is’ lange her!Weeßte dit nich’ mehr?Siehste, ick denk oft noch darüber nach!

Is’ wat? Du kiekst mich so leicht komisch an.Natürlich is’ heut’ bißchen mehr an mir dran.Ick gloobe, du kannst et wohl immer noch gar nich’ fassen,dass ick diese Kleene aus Pankow bin,na, die mit de Boll’n inne Strümpe drin.Dit Dummchen, wat sich wejen dir hat so oftdreschen lassen.Du siehst noch jenauso wie damals aus.

Na jut, sag’n wa, vielleicht haste ’n bißchen mehr Bauch.So isset im Leben, da musste dir nischt draus machen!Wat hälsten davon, wenn wir ’n Bier trinken jehn?Ick hoff’, deine Frau, die hat nischt dajeg’n,dass wir von alte Zeiten so rumspinn’ und einfach malquatschen.

Unter tausend fremden Leuten hab ick dich von weitemgleich an deine Beene erkannt!Mann, die jing’n beim »Tutti-Frutti« los wie Jummi-Jutti,und wir ham dich Elvis jenannt.Eenmal haste aus Versehen mir ’n Kuss jejeben,danach lag ick drei Nächte wach!Dit is’ lange her!Weeßte dit nich’ mehr?Mir is’, als wenn et jestern grad’ erst wär!

Erste Schritte Richtung Bühne