Hinfallen ist keine Schande, nur Liegenbleiben - Muriel Baumeister - E-Book

Hinfallen ist keine Schande, nur Liegenbleiben E-Book

Muriel Baumeister

0,0

Beschreibung

Mit 22 Jahren ist Muriel Baumeister nicht nur junge Mutter und glücklich verliebt, sondern hält außerdem bereits die goldene Kamera in ihren Händen. Viele Jahre lang ist sie aus dem deutschen Fernsehen nicht wegzudenken, sie arbeitet mit Schauspielgrößen wie Jan Josef Liefers und ihrem Mentor Götz George. Doch das Leben auf der Überholspur fordert seinen Preis. Muriel wird Alkoholikerin, und die Presse zerreißt sie dafür in der Luft. Der Alkohol war ihr ein böser Freund, dem sie schließlich mit großem Mut und einer ordentlichen Portion Humor den Kampf ansagt. Muriel rappelt sich auf, wird trocken und lernt während des Entzugs viel über sich selbst. Muriel Baumeister hat nichts zu beichten, aber viel zu teilen. Ihre ehrlichen Geschichten gehen unter die Haut. Sie steht zu ihren Fehlern und lacht dem Leben ins Gesicht. Das längst überfällige Mutmach-Buch einer außergewöhnlichen Frau.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 264

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Heimat

Alien

Fußstapfen

Hamburg

Eine neue Rolle

Die Goldene Kamera

So gut wie möglich

Puschelkullover

Bossa Nova

Learning by doing

Vorbilder

Die schwarzen Schwäne

Für immer

Überraschung

Stilldemenz

Barfuß im Dschungel

Was für ein Theater

Postnatale Depression

Krampus

Ein böser Freund

Entzug

Letzte Ausfahrt

Heute nicht!

Popularität

Influenza

Schon oder noch?

Kratzspuren

Berlin

Pregnant Hill

Mattsee

Weihnachten

Meine Mutter

Großmutti Brigitte

Oma Anna

Herr Toth und ich

Horst

Patchwürg

Leidenschaft

Beziehung statt Erziehung

Zigeunerschnitzel

Höflichkeit

Frust

Freundschaft

Blütezeit

Alter vor Schönheit

Käthe

Frauenrollen

Humor

Die Stunde des Wolfes

Courage, Coco!

Rückendeckung und Ausblick

Danksagung

Für all die wunderbaren Frauen in meinem Leben

Für meine Großmutter Brigitte

Für meine Oma Anna

Für meine Freundin Judith

Für meine Töchter

Und wie alles in meiner Welt

Für Barbara

PS: Und für den Mattsee

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich danke Ihnen dafür, dass Sie dieses Buch gekauft haben. Sollten Sie es geschenkt bekommen haben, dann seien Sie doch bitte so gut und bedanken Sie sich in meinem Namen bei der schenkenden Person mit den herzlichsten Grüßen!

Erlauben Sie mir, einige Worte an Sie zu richten, bevor es richtig losgeht. Ich möchte Ihnen fairerweise sagen, was dieses Buch alles nicht ist:

Erstens: Es ist keine Beichte. Ich habe Fehler gemacht, und ich stehe dazu, wie Sie gleich lesen werden. Aber ich habe mich bei den Menschen, die ich liebe und denen ich mich verbunden fühle, für alles entschuldigt. Außerdem gehört die Beichte in die Kirche und nicht ins Bücherregal.

Zweitens: Es ist keine Autobiografie. Meine Co-Autorin Constanze Behrends und ich haben aus den vielen Anekdoten und Erkenntnissen meines Lebens die lustigsten, spannendsten und, wie ich hoffe, für Sie interessantesten herausgepickt. Wir erheben keinen Anspruch auf historische Genauigkeit oder eine lückenlose Darstellung meines Lebenslaufs.

Drittens: Es ist auch kein Ratgeber. Denn Ratschläge sind auch Schläge. Ich teile in manchen Kapiteln meine persönlichen Lösungen für bestimmte Probleme, kann Ihnen aber nicht garantieren, dass die gleiche Lösung bei Ihnen auch funktionieren wird. Wenn überhaupt, kann Ihnen meine Geschichte als Inspiration dienen. (Vielleicht auch nur dafür, wie man es nicht machen sollte …)

Viertens: Dieses Buch ist kein reines Sachbuch, dazu müssten die Themen wissenschaftlich abgehandelt sein. Und das sind sie nicht. Ist alles rein subjektiv! Versprochen.

Fünftens: Ein »Frauenbuch« ist es auf gar keinen Fall! Obwohl die Protagonistin eine Frau ist und die Themen eventuell eher eine weibliche Zielgruppe ansprechen. Wir haben 2019 und gendermäßig alle die Augen aufgemacht – hoffe ich zumindest.

Jetzt fragen Sie sich vielleicht: Ja, was ist dieses Buch denn dann? Es sind meine Geschichten – gesammelt, verbunden, reflektiert und für Sie aufgeschrieben. Sie handeln von solch unterschiedlichen Dingen wie meinem Religionsunterricht in Salzburg oder den Dreharbeiten mit Götz George, von meinem Phönix-Tattoo, meiner Lieblingswimperntusche und der Belagerung durch die Presse. Ich nehme Sie mit zu einem Spaziergang über den Friedhof, auf einen Spielplatz im Prenzlauer Berg und in die Toskana, wo meine Schauspielkarriere begann. Sie erfahren, wie ich mit meiner Patchworkfamilie klarkomme und wie ich den schwersten Kampf meines Lebens gewonnen habe – den gegen den Alkohol.

Es ist also ein bisschen was von allem, ein Potpourri an Lebenserfahrung, lustigen Begebenheiten und einer Extraportion Glück. Wenn Ihnen dieses Buch ein wenig Mut macht, Sie inspiriert oder Ihnen einfach nur Freude bereitet, würde mich das sehr freuen.

Mit herzlichen Grüßen

Muriel Baumeister

Heimat

Heimat ist für mich ein Wort, das nach Fülle schmeckt, nach Sonnenstrahlen und nach Extrawurst. Daheim riecht wie frische Wäsche, die auf einer Leine quer durch den Garten im Abendwind flattert. Der Tagesablauf richtet sich danach, ob der Postbote schon da war oder nicht, und wenn nicht, dann ist es auch egal! Heimat fühlt sich danach an, die knusprigen Reste von einem Kuchenblech zu kratzen oder die Kompottschüssel bis zum Boden zu leeren. Daheim fühle ich mich im wahrsten Sinne des Wortes genährt und rundum zufrieden.

Meine Heimat ist Österreich, genauer gesagt das Salzburger Land. Wir sind dort in unser Haus auf einem Berg gezogen, als ich etwa sechs Jahre alt war. Ich liebe es und kehre bis heute so oft wie möglich dorthin zurück – am liebsten im Sommer, um mal wieder etwas Heimat nachzutanken. Eine ordentliche Portion Salzkammergut im Herzen lässt mich den gefühlt sechs Monate dauernden grauen Winter in Berlin besser überstehen, wo ich seit dem Millenium lebe.

Ich stamme aus einer Künstlerfamilie. Meine Mutter ist Tanzpädagogin für Modern Dance an der Universität Mozarteum in Salzburg. Tanzen ist ihre große Leidenschaft, auch heute noch unterrichtet sie, mit über achtzig Jahren. Sie hat außerdem mehrere Lehrbücher über das Tanzen geschrieben. Trotzdem oder gerade deshalb wollte sie nie, dass ich Ballettunterricht nehme. Vorwiegend aus gesundheitlichen Gründen. Ich sollte mir meine Wirbelsäule nicht kaputt machen. Stattdessen bekam ich Klavierunterricht – das sei besser für den Rücken! Doch obwohl ich als Kind sogar bei dem großartigen Komponisten Carl Orff auf dem Schoß saß und er mir das Ganze mit den weißen und schwarzen Tasten erklärte, war ich nur mäßig begabt. Ich habe lieber gesungen.

Mein Vater war Schauspieler an den Münchner Kammerspielen und hat in den Siebzigerjahren mit den Großen seiner Zeit zusammengearbeitet. Der Dramatiker George Tabori hat mir damals einige Lebensweisheiten mitgegeben, die ich erst Jahre später hinterfragt habe. Zum Beispiel: »Nur im Gefühl liegt Wahrheit!« Wirklich? Ich finde, nur weil man etwas fühlt, ist es noch lange nicht wahr. Und vor allem darf das eigene Gefühl nie als Ausrede dafür benutzt werden, einfach zu tun, was man will – besonders wenn man damit anderen Menschen schadet. Aber dazu später mehr!

Meine Eltern lernten sich kennen, als meine Mutter einen Tanzkurs an der Schauspielschule gab, die mein Vater besuchte. Er war fünf Jahre jünger als sie und stolperte selbstsicher trotz einem Loch im Socken in ihren Unterricht. Sie fand ihn einfach nur doof. Er war präpotent, gutaussehend und hatte eine große Klappe. Aber die beiden waren Seelenverwandte, verliebten sich und standen danach sämtliche Höhen und Tiefen miteinander durch. Sie waren so etwas wie ein Hippie-Glamour-Paar.

Meine Mutter ist wunderschön und sehr klug. Wir sind so eng verbunden wie siamesische Zwillinge. Eine Seele auf zwei Körper verteilt. Sie leiht sich sogar heute noch Sachen von mir. Letztens hat sie in Singapur unterrichtet und fragte mich, ob ich ihr vor dem Abflug meinen Trenchcoat schicken könnte. »Den ziehst du doch sowieso nicht mehr an, Liebes«, war ihr Argument. Um mir direkt zu sagen, dass mir besagter Mantel gar nicht mehr passt, ist sie viel zu höflich. Und selbstredend hat sie als gebürtige Österreicherin den Schmäh im Blut – eine der wichtigsten Qualitäten, die sie mir vererbt hat. Was es damit auf sich hat? In Salzburg bekommt man zum Schwätzchen mit dem Fleischer oder beim Plausch mit der Kuchenfrau im Kaffeehaus den sagenumwobenen Schmäh immer gleich mitgeliefert. Der Schmäh ist unser Kulturgut, der größte österreichische Exportschlager nach Falco. Er ist wie ein schelmischer kleiner Kobold, der dir im Nacken sitzt und dir nett verpackte Gemeinheiten ins Ohr flüstert. Der Schmäh ist ein Augenzwinkern, ein verschmitztes Lächeln, das die Kommunikation immer mit genau der richtig dosierten Mischung aus Flirt und Provokation würzt. Ich habe den Schmäh mit der Muttermilch aufgesogen und werde ihn hoffentlich nie verlieren. Danke, Mama!

Mein Vater stammte aus dem Frankenland. Er war blond, blauäugig, ein sehr attraktiver, charmanter Mann. Sich nicht in ihn zu verlieben, war ein Ding der Unmöglichkeit!

Zusammen waren meine Eltern ein unschlagbares Paar, das Brangelina locker in den Schatten gestellt hätte. Als ich klein war, waren beide beruflich viel unterwegs. Mein Vater mehr als meine Mutter, weil er immer neunzig Minuten mit dem Auto nach München zu seinen Vorstellungen fahren musste. Theater und Film habe ich deshalb in meiner Kindheit nicht wirklich gemocht. Das waren Störfaktoren, die das Familienleben beeinflussten. Da meine Eltern auch ein sehr leidenschaftliches und bisweilen konfliktreiches Paar waren, war es mir allerdings ganz recht, viel mit meiner Mutter allein zu sein. Vielleicht haben wir auch deshalb diese ganz spezielle Verbindung.

Wenn meine Eltern nicht zu Hause waren, passte meine Oma Anna, die Mutter meines Vaters, oft auf mich auf. Ich liebte sie über alles. Sie war eine wahrhaft weise Frau und sagte oft: »Der liebe Gott hat einen bunten Garten!« Das bedeutet so viel wie: Alles ist möglich, und es muss alles geben! Neben der stolzen Rose blüht vielleicht ein Unkraut. Eine schöne Blüte kann sich als eine Giftpflanze entpuppen, manche Saat geht auf, und manche Pflanze verkümmert. Diesen philanthropischen Pragmatismus habe ich von Oma Anna adoptiert. Ich bin in meinem Leben mit vielen glücklichen Ereignissen und wunderbaren Menschen gesegnet worden, habe aber auch viel Leid, Missgunst und giftige Zeitgenossen ertragen müssen. Alles hängt zusammen und befindet sich in Balance. Kein Licht ohne Schatten. So ist das Leben!

Unser Familienhaus im Salzkammergut steht in solch einem bunten Garten ganz oben auf einem Berg. Mein Jugendfreund brauchte damals eine ganze Stunde, um auf unseren Hausberg hinaufzukraxeln, wenn er mich besuchen wollte. Das nenn ich mal Einsatz! Übrigens, selbst die Berge in Österreich haben diesen gewissen Schmäh. Sie sind majestätisch, aber freundlich. Nicht so spitz und bedrohlich wie die Gebirge in der Schweiz. Achten Sie mal darauf! Vielleicht liegt mir unser Haus auch deshalb so am Herzen, weil ich meinem Vater bei der Entdeckung dieses Kleinods nach langer Suche als Komplizin zur Seite stand.

Das Ganze trug sich nämlich so zu: Im Sommer 1979 fuhr ich mit meinem Vater jedes Wochenende über Land, auf der Suche nach einem »Austragshäusl«. So nennt man ein kleineres, separates Wohnhaus neben dem Haupthaus auf einem Bauernhof. Findet auf dem Hof ein Generationenwechsel statt, ziehen die Eltern meist in das Austragshäusl und überlassen der jungen Familie das Hauptgebäude mit allem nötigen Freiraum. Keine schlechte Idee! Eben solch ein Austragshäusl wollte mein Vater kaufen. Auf dem Land muss man für so was einfach losfahren und sein Glück versuchen. Da hilft kein Immobilienmakler. Meine Mutter hatte keine Lust, auf die Pirsch zu gehen, ihr war das zu viel. Aber mein Vater und ich, wir stellten uns der Aufgabe. Leuten ein gutes Gefühl geben, in den Schuhen des anderen gehen, um eine gute Verhandlungsbasis zu schaffen – das konnten wir! Zusammen waren wir das Haus-Such-team.

In Papas dunkelbraunem Käfer-Cabrio mit offenem Verdeck machten wir uns Wochenende für Wochenende auf den Weg – von Gehöft zu Gehöft, um mit den Bauern zu sprechen. Es waren verheißungsvolle Tage, und Abenteuer lag in der Luft. Vor der Abfahrt kauften wir uns oft Leberkässemmeln beim Fleischer, und ich bekam eine Fanta, was meine Mutter nicht wissen durfte. Als Mitstreiterin der 68er-Bewegung war sie eine Vorreiterin der ersten Bio-Welle, und Fanta war natürlich ein No-Go! Das blieb also ein Geheimnis zwischen meinem Papa und mir. Er saß am Steuer und ließ sich den Sommerwind um die Nase wehen, während ich auf der Rückbank Asterix-Comics las und Butterkekse knabberte, von denen ich mir einen Vorrat unter der Fußmatte angelegt hatte. Dann streckte ich meine Hand nach draußen, um sie im Fahrtwind zur Melodie von Cat Stevens’ Where Do the Children Play tanzen zu lassen.

Immer wenn wir ein passendes Haus erspähten, hielten wir an, und mein Vater ließ bei den Bauern seine Verhandlungsmuskeln spielen. Dabei floss jede Menge Alkohol. Auf dem Land ist das ja durchaus üblich. Um jedoch bei den feucht-fröhlichen Geschäften einen klaren Kopf zu bewahren, hatte mein Vater einen cleveren Trick auf Lager: Wie im Western kippte er die kleinen Gläser mit dem Vogelbeerschnaps heimlich unter dem Tisch aus. So blieb er stets im Vorteil. Natürlich war er als Schauspieler sehr wortgewandt und emphatisch. Er hatte es wie kaum ein anderer drauf, Leute zu bezirzen.

Ich begleitete ihn jedoch nicht nur zum Spaß. Nein, ich hatte einen extrem wichtigen Geheimauftrag! Mein Vater und ich hatten ein spezielles Zeichen ausgemacht. Wenn er bei den Verhandlungen mit einem Bauern nicht vorankam, zog er mich unauffällig am Zopf, und ich spielte meine erste Rolle – das Cliffhanger-Kind!

»Du, Papa, ich bin schon so müde, können wir langsam los?«

»Ja, natürlich.« Und an den Bauern gewandt entschuldigte er sich: »Wir reden morgen weiter, ja?«

So hatte er eine gute Ausrede, um aufzubrechen und einen neuen Termin zu vereinbaren. Der Deal war damit nicht gestorben – nur vertagt. Wir waren wie Bonnie und Clyde, eingeschworene Partner. Zwischen uns lag ein stillschweigendes Einverständnis. Wenn man sich liebt, braucht man keine Worte.

Nach etwa einem Jahr wöchentlicher Ausflüge und vergossener Vogelbeerschnäpse wurde unsere Mission schließlich von Erfolg gekrönt: Wir fanden ein Austragshäusl in Neumarkt am Mattsee. Nachdem wir es den Bauern vor Ort abgekauft hatten, wurde es Balken für Balken abgetragen und auf unserem Berg im Salzburger Land wiederaufgebaut. Mit Freude beobachtete ich die Zimmermänner und Ofensetzer, die unser Heim nach und nach scheinbar aus dem Nichts heranwachsen ließen. Dieses Bild hat sich ganz tief in mein Unterbewusstsein eingebrannt. Ich habe gelernt, was man schaffen kann, wenn man seine Arbeit liebt und respektiert. Seitdem habe ich eine tiefe Bewunderung fürs ehrliche Handwerk. Nach einigen Wochen war unser Holzhaus fertig, ganz oben auf unserem Berg. Da steht es bis heute und trotzt jedem Sturm und jeder Schiefwetterlage. Es ist der Inbegriff von Geborgenheit, die Gebäudifizierung von Lebensglück – einfach mein Ein und Alles.

Ich bin so verbunden mit diesem Haus und diesem Land, dass ich immer versuche, ein Stück Heimat bei mir zu tragen, egal, wohin es mich verschlägt. Denn es ist ja nicht nur ein Ort, den man zurücklässt, sondern auch ein Stück seiner selbst. Die Muriel, die ich in Österreich bin, die bin ich sehr gern! Das ist mein Kern, meine Kindheit und meine Bodenhaftung. Meine Cousine schickt mir deshalb regelmäßig ein besonderes Raumspray aus der Heimat, das nach unserem Haus duftet. Nach Marillen und frischem Gras. Solche Souvenirs sind wie kleine Gefühlsbrücken zu einem früheren Ich, das vielleicht doch noch ganz tief in einem schlummert. In jedem Fall sind sie Seelenpflaster, die helfen, wenn es mal holprig wird.

Ein anderes solches Seelenpflaster wandert regelmäßig in meinen Magen. Denn auch gutes Essen ist natürlich Futter für die Seele! Mein Lieblingstier heißt Schnitzel, und es wohnt in Wien. Die österreichische Küche wäre ohne Fleisch ja gar nicht existent. Ein original Wiener Schnitzel wird aus Kalbsfleisch gemacht – lassen Sie sich bitte nichts anderes vorsetzen. Es sollte dünn geklopft sein, am besten in einer Tüte mit Zipverschluss, damit die Fasern nicht zerstört werden. Und ganz wichtig: Es muss in Schmalz gebraten werden, ja, es muss richtig darin schwimmen, damit die Panade am Ende ordentliche Wellen schlägt. Nur dann ist es ein Original. In diesem Punkt bin ich sehr patriotisch. Ich koche sehr gern, das habe ich von meinem Vater gelernt. Seine Lieblingsgerichte sind sowohl in der Zubereitung als auch im Genuss sehr nährend, für Körper und Geist. Sein Gulaschrezept dauert fünf Stunden, und die wichtigste Zutat ist Liebe. Als das Gulasch neulich bei mir zu Hause auf dem Gasherd köchelte, meinte meine kleine Tochter: »Rühr noch mal um! An der Stelle ist mehr Liebe als da.«

Ganz viel Liebe steckt übrigens auch in meinem Dirndl von daheim. Ich ziehe es jedes Mal zum Spaß an, wenn ich in Berlin wählen gehe. Die Wahlhelfer freuen sich dann, wenn sie mich sehen, und begrüßen mich schon von Weitem mit »Servus, Frau Baumeister!« Tatsächlich ist mein Dirndl mein allerliebstes Kleidungsstück. In Österreich trägt frau das auch im Alltag. Hierzulande wirkt es hingegen oft ungewollt volkstümlich, dabei schmeichelt die Tracht der weiblichen Figur und unterstreicht ihre Vorzüge. Ein Dirndl steht einfach allen und ist die schönste Uniform, die es gibt. Sie zeigt, wo du herkommst, und gibt sogar Auskunft über den Familienstand. Das hat mir meine Oma Anna beigebracht: Sitzt die Schleife vorn rechts, ist die Frau vergeben, vorn links bedeutet, sie ist Single, und bei einer Witwe ist die Schleife hinten in der Mitte gebunden. Ist doch total praktisch! Mein Dirndl ist ein Blaudruck-Modell und stammt aus dem Flachgau. Das Mieder ist dunkelblau und mit weißen Ornamenten bedruckt. Dazu trage ich eine weiße, tief ausgeschnittene Bluse und einen roten Rock. Der Blaudruck ist ein Kulturerbe Österreichs. Mein allererstes Dirndl jedoch hatte meine Oma Anna selbst geschneidert, ungefähr zu der Zeit, als mein Vater und ich regelmäßig auf Haussuche gingen. Es war wunderschön, dunkelblau und mit silbernen Knöpfen versehen. Oma Anna hatte sogar die Jacke mit kleinen roten Blümchen bestickt. Diese Jacke haben später meine beiden Töchter getragen und waren dabei mindestens genauso so stolz wie ich damals. Ein Dirndl geht eben einfach immer. Du ziehst es nicht an – es kleidet dich!

Ich bin Österreicherin durch und durch und verbringe deshalb auch heute noch jeden Sommer in der Heimat. Die Liebe zum Land dampft in unserem Haus an heißen Tagen aus allen Ritzen zwischen den Brettern. Die Zeit daheim ist nicht spitz an den Enden. Wenn ich im Sommer dort bin, sind die Tage leicht, so wie damals beim »Über-Land-Fahren«. Ich bade im Strandbad Mattsee, laufe barfuß zum Bäcker, der mir mein Sackerl Semmeln meist schon vorbereitet hat, und atme die frische Waldluft ein, bis meine Lungen fast platzen.

Wenn ich dann abends voll mit neuen alten Eindrücken nach Hause komme, lege ich mich in die Hängematte zwischen den beiden Lindenbäumen in unserem bunten Garten und lasse die Seele baumeln und mich vom Sommerwind durchpusten, bis mein persönlicher Speicher an Heimat wieder aufgeladen ist. Zuhause ist ein Ort, aber daheim ist ein Zustand – der beste Zustand auf der Welt.

Alien

Während mein Vater auf den Bauernhöfen Geschäfte machte, durfte ich mit den Bauernkindern spielen. Eltern machen sich das manchmal ganz schön leicht, wenn sie sagen: »Guck mal, da ist ein anderes Kind, geh doch mal spielen!« Dabei vergessen sie leider, dass diese anderen Kinder auch nur Menschen sind und man nun mal nicht automatisch mit jemandem klarkommt, nur weil derjenige ebenfalls noch nicht ausgewachsen ist. Das wäre so, wie wenn man einem Steuerberater sagen würde: »Guck mal, da ist ein anderer Steuerberater, geh doch mal rechnen!«

Die anderen Kinder fanden mich nämlich erst mal ziemlich merkwürdig. Dieses Künstlerkind mit der dicken Brille und den beiden Zöpfen, die quasi mein Signature-Look waren. Mode spielte in meiner Kindheit noch gar keine Rolle. Meinen Eltern war es relativ egal, wie ich rumlief. Ich trug oft braune Nicki-Pullis und dazu Schlaghosen. Volle Kanne Siebzigerjahre! Ich fand es chic, für die Kinder vom Land wirkte ich jedoch wie ein Alien. Ich sprach auch keinen richtigen Dialekt, da wir zuvor in Salzburg gelebt hatten, wo eine völlig andere Mentalität herrschte als auf dem Land. Hier hingegen waren die Menschen erdverbunden und im wahrsten Sinne im Landleben verwurzelt. Die Bauernkinder fütterten die Hühner und kannten sich mit Schweinemast aus, ich konnte den Erlkönig auswendig. Auf den Höfen lebten meist mehrere Geschwister zusammen, sodass die Bauernkinder immer in der Überzahl waren, während ich als Einzelkind allein dastand. Noch dazu waren wir protestantisch – und das in einer Katholikenhochburg.

Meine Andersartigkeit bekam ich direkt am ersten Schultag zu spüren. Ich kam ein ganz klein wenig zu spät in den Klassenraum, sodass nur noch ein Platz frei war, neben einem Jungen namens Andreas. Er war ein beleibtes Kind mit fettigen, schwarzen Haaren, roten Wangen und einem karierten Hemd. Die anderen Kinder kannten sich fast alle schon aus der Nachbarschaft oder dem Kindergarten. Ich war die Neue. Unsere Lehrerin Fräulein Schubert wies mir den Platz neben Andreas zu, der mich aus zwei kleinen Schweinsäuglein heimtückisch angrinste. Unter den neugierigen Blicken meiner Mitschüler ging ich aufgeregt zu ihm in die dritte Reihe, hängte meine Schultasche seitlich an die Schulbank und setze mich. Gerade als mein Hintern den Holzstuhl berührt hatte, gab mir Andreas mit voller Wucht eine Ohrfeige. »Damits’d glei mal weisst, wer da Mann im Haus is!« Ich war völlig geschockt und meine Lehrerin auch. Sie stotterte nur irgendwas von »G’schlogen wird net!«, aber setzte sich nicht wirklich für mich ein. Meine Wange glühte, und ich traute mich die ganze Stunde nicht, irgendetwas zu sagen. Am nächsten Tag durfte ich mich umsetzen. Andreas und ich wurden nie Freunde. Keine Ahnung, was aus dem »Mann im Haus« geworden ist.

Mit meinen direkten Nachbarskindern freundete ich mich später aber an. Sie brauchten eine Weile, um mich zu akzeptieren und in ihren Club aufzunehmen, aber dann waren wir unzertrennlich. Wir spielten Verstecken im Wald oder fuhren mit dem Fahrrad ins Strandbad Mattsee zum Baden. Wenn ich bei ihnen zu Besuch war, sahen wir oft fern. Das war für mich völlig faszinierend, weil ich das zu Hause so selten durfte. Meine Mutter sah das mit dem Medienkonsum damals schon relativ eng. Zum Beispiel blieb die Flimmerkiste konsequent aus, wenn wir am selben Tag ins Kino gingen. Deshalb schaute ich oft heimlich bei den Nachbarn. Ich liebte eine Serie namens Drei sind einer zuviel mit Jutta Speidel und Thomas Fritsch. Darin geht es um zwei Männer, die um die gleiche Frau buhlen. Ich habe Jahre später mit den beiden gedreht und fand es so lustig, die Idole meiner Kindheit zu treffen.

Mittwochnachmittags schauten wir sehr gern die Sendung Kasperltheater im ORF 1. Verschiedene Puppenspielbühnen führten da ihre Programme auf, und man konnte bei einem Gewinnspiel, der Kasperlpost, mitmachen. Einmal schrieb ich dorthin und gewann ein Buch: ein Kinderlexikon der Biologie. Da soll noch mal einer sagen, Fernsehen bildet nicht.

Wenn wir nicht gerade bei Fernsehgewinnspielen mitmachten, spielten wir mit Barbies. Meine Nachbarsmädchen hatten viele verschiedene davon, und sogar Barbiepferde! Ein Traum in Pink – und die rochen immer so gut. Ich liebte es, mit diesen kleinen rosa Plastikbürsten die Mähnen zu kämmen und dann Frisuren zu flechten, meistens die gleichen Zöpfe, die ich selbst trug. Ich hatte mir immer eine Barbie gewünscht, aber lange keine eigene bekommen. Meine Mutter fand das blöd. Wenn schon Bio, dann auch Feminismus! Doch da sie mich sehr liebte, erhörte sie eines Tages mein Flehen und brachte mir aus der Schweiz, wo sie viel arbeitete, nicht nur die Lindt-Schokolade mit den von mir heiß geliebten Schiebetafeln mit, sondern auch eine – wie sie sagte – Barbiepuppe. Sie hatte das am Telefon schon angekündigt, bevor sie zurückkam. Mein Herz hüpfte im Quadrat, so sehr habe ich mich gefreut. Ich stand aufgeregt am Fenster, starrte auf den Pflastersteinweg, der durch unsere wilde Wiese führte, und wartete sehnsüchtig auf meine Mutter. Nach einer gefühlten Ewigkeit, die in Wahrheit vermutlich etwa dreißig Minuten dauerte, war es endlich so weit! Schon von Weitem sah ich die orangefarbene Ente meiner Mutter die steilen Serpentinen zu unserem Berg hinaufbrausen. Als sie geparkt hatte, rannte ich ihr sofort entgegen, direkt in ihre weit ausgebreiteten Arme. Ich freute mich ja immer sehr, sie wiederzusehen, aber diesmal war es etwas ganz Besonderes. Sie ließ mich auch nicht lange zappeln und holte aus dem Kofferraum ein hübsch verpacktes Päckchen für mich. Ich konnte es nicht glauben! Schnell rannte ich ins Haus und riss voller Vorfreude das Geschenkpapier auf. Doch schon als ich den ersten Fetzen Papier in der Hand hatte, wurde ich stutzig: Rosa war die Verpackung zwar, die mir da entgegenleuchtete, aber die Schrift sah irgendwie anders aus, und die Puppe hatte … dunkle Haare?! Mit Grauen musste ich feststellen: Das war keine Barbie, sondern eine Sindy – flachbusig und brünett! Ein billiger Barbie-Abklatsch und der totale Reinfall. Viel schlimmer, als ein Spielzeug nicht zu haben, ist es doch, das falsche Spielzeug zu haben! Ich fühlte mich beschissen und verraten. Meine Mutter kannte vermutlich nicht mal den Unterschied. Hätte ich sie aufgeklärt, wäre wahrscheinlich ihre Standardreaktion gekommen: »Aber wieso denn?« Außerdem freute sie sich so sehr, mir diese »Freude« zu machen, dass ich meine Enttäuschung einfach runterschluckte, dankbar lächelte und sie fest umarmte. Ich dachte, dass ich die Puppe vielleicht doch irgendwie als Barbie verkaufen könnte, und ging direkt zu meiner Freundin nach nebenan. Als ich ihr mit gespielter Begeisterung meine neue Errungenschaft unter die Nase hielt, durchschaute sie als erfahrene Barbiebesitzerin den Puppenschwindel sofort. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, hob eine Augenbraue und sagte: »Wüst mi pflanz’n? Des is koa echte Barbie!« Und lachte mich aus. Doofe Sindy!

Fußstapfen

Mein Vater wollte nie, dass ich in seine Fußstapfen trete und Schauspielerin werde. Er hat mich zwar mit 14 Jahren zu meinem ersten Casting geschickt, aber das eigentlich nur, um mir zu zeigen, wie schwer dieser Beruf ist. Er wollte mich beschützen, vielleicht auch vor Enttäuschungen bewahren.

»Du schaust dir das jetzt mal an, damit du nicht auf die Idee kommst, es zu versuchen!«

Lustigerweise hatte ich zuvor gar nicht den Wunsch gehegt. Er löste also eine dieser sich selbst erfüllenden Prophezeiungen aus, die voll nach hinten losgehen.

Schuld an meiner Schauspielkarriere im Speziellen ist ein bestimmtes Foto. Es zeigt mich mit meiner damals etwa einjährigen Schwester Peri auf dem Arm vor unserm Haus. Dieses Bild schickte mein Vater nach München zur Bavaria, die für einen Kinofilm ein junges Mädchen suchten. Prompt wurde ich zum Casting eingeladen. Als Schauspielerkind wusste ich, wie ein Bühneneingang riecht, deshalb war ein Vorsprechen für mich nichts Besonderes. Die anderen etwa 350 Mädels saßen da gestriegelt und gebügelt mit ihren Eislaufmüttern im Wartezimmer der Produktionsfirma und übten fleißig ihren Text. Ich kam zu den Probeaufnahmen mit zwei verschiedenen Schuhen und hielt mich für eine verdammt coole Socke. War ich auch! Ich hatte diese kindliche Mir-doch-egal-Einstellung. Selbstbewusst setzte ich mich auf den Tisch und schnodderte meinen Text runter. Ich hatte rein gar nichts zu verlieren und strahlte genau das auch aus. So wurde ich tatsächlich für die Rolle besetzt!

Der Film scheiterte schließlich an der Finanzierung, und als zwei Jahre später die Bavaria wieder anrief, um mich für eine Familienserie namens Ein Haus in der Toscana zu casten, hatte ich erst überhaupt keine Lust. Ich dachte, das klappt doch sowieso wieder nicht. Mittlerweile war ich 16 Jahre alt, Schulsprecherin und ein bisschen rechthaberisch. Ich hatte mich echt hochgearbeitet seit den Tagen in der Volksschule, als ich die Neue war. Ich ging auf das Musische Gymnasium in Salzburg, hatte viele Freundinnen und gehörigen Einfluss auf die anderen Schülerinnen. Eines Tages nahm mich die Direktorin zur Seite und sagte: »Muriel, könntest du bitte aufhören, Absatzschuhe zu tragen? Das machen dir alle nach. Und wir haben doch neues Parkett!«

Da ich manchmal ein klein wenig trotzig bin, machte ich auf dem Absatz kehrt und ging doch zum Vorsprechen für Ein Haus in der Toscana.

Es wurde eine Schauspielerin für die Rolle der Bea Donner gesucht, ein junges Mädchen, das mit ihrer Familie nach Italien auswandert. Die Regisseurin war die gleiche wie bei dem Kinoprojekt, aus dem nichts geworden war. Sie hatte mich noch in guter Erinnerung und den Produzenten meine ersten Probeaufnahmen gezeigt. Ich wurde wieder nach München eingeladen, aber musste dieses Mal überhaupt keinen Text vorbereiten. Im Grunde wollten sie mich nur mal kennenlernen. Wieder war ich die Ruhe selbst. Ich hatte ja nichts zu verlieren und überhaupt keinen Zugzwang. Schauspielerin – das war nicht mein erklärter Berufswunsch. Und dennoch bekam ich den Job!

Ein Jahr lang sollte ich ohne meine Eltern in der Toskana die erste Staffel drehen. Wie meine Mutter das mitgemacht hat, weiß ich bis heute nicht! Mein Vater hat mir das aber zugetraut, außerdem war auch ein Kollege dabei, den er gut kannte, deshalb durfte ich tatsächlich mit meinen 16 Jahren für ein Jahr nach Italien auswandern. Ich hatte nicht mal einen Lehrer am Set. Trotzdem lernte ich nebenbei und schrieb irgendwie meine Schularbeiten. Die Schule unterstützte das zum Glück. Da es ein musisches Gymnasium war, wurden künstlerische Betätigungen gern gesehen.

Die Zeit in Italien stellte für mich eine doppelte Premiere dar. Zum ersten Mal arbeitete ich als Schauspielerin, und zum ersten Mal lebte ich ohne meine Eltern – und dann auch noch im Ausland! Die Filmcrew war meine Familie. Meine Maskenbildnerin und ihr Mann, der Dolly-Fahrer – das ist der Kamerawagen –, nahmen mich unter ihre Fittiche und waren wie Ersatzeltern für mich. Von dieser Maskenbildnerin habe ich den wichtigsten Schönheitstipp aller Zeiten bekommen: Immer abends abschminken! Ich habe heute noch eine Packung Abschminktücher unter dem Bett meiner kleinen Tochter liegen, sollte ich bei der Gutenachtgeschichte wegnicken.

So cool wie beim Vorsprechen war ich beim Drehen dann allerdings nicht mehr. Ich hatte ja gar keine Ahnung, wie das alles funktioniert. Das Team brachte mir die Grundlagen bei. Ganz rudimentäre Sachen wie: Was ist eine Marke und eine Kameraachse? Was verbirgt sich hinter einer Over-Shoulder- und einer amerikanischen Einstellung? Solche Fachbegriffe sagten mir Landei rein gar nichts. Da ich jedoch noch so jung war, durfte ich Fragen stellen und bekam alles erklärt. Ich durfte auch Lkw fahren, Ton angeln und Kabel putzen. Das Team nahm mich an die Hand und zeigte mir alles geduldig. Es war ein wenig wie betreutes Drehen.

An meinem ersten Drehtag legte der Dolly-Fahrer eine Schiene, auf der die Kamera fahren sollte, und ich fragte mit Blick auf das Metallschienensystem völlig naiv: »Reicht das denn überhaupt aus?«

Er schaute mich nur an und sagte: »Na gut, dann legen wir halt noch drei Meter mehr, Tweety!«

Ab diesem Moment hatte ich meinen Spitznamen weg. Zuerst einmal, weil ich so große Augen machte, aber ich war natürlich auch das Küken der Serie. Die Frage hatte ich überhaupt nicht böse gemeint, mir war ja auch nicht klar, wie viel Arbeit es macht, drei weitere Meter Schiene zu verlegen. Der Fahrer half mir dadurch aber sehr, weil ich als Schauspielerin noch viel zu unerfahren im Timing war. Durch die längere Schiene war eine längere Kamerafahrt möglich, und so hatte ich viel mehr Zeit, meinen Text unterzubringen, während ich lief. Alle waren wirklich sehr süß zu mir.

Ich sprach zwar keinen richtigen Salzburger Dialekt, aber meine Sprachfärbung war dennoch weit entfernt von Hochdeutsch. Der Tonmann Holger Gimpel hatte eine lustige Art, damit umzugehen. Er gab mir für jede richtig ausgesprochene Zeile ohne österreichischen Einschlag fünfzig Lira, was heute ein paar Cent entsprechen würde. Quasi als Taschengeld. Später bekam ich vom Team außerdem einen Tweety-Aufnäher auf meinen Setstuhl genäht.

Ich fühlte mich sehr wohl in meiner neuen Heimat, dem kleinen Ort Massa Marittima. Jeden Abend saßen wir im Restaurant Da Vanni, und ich trank eine Fanta – meine Mutter war ja weit weg. Im Restaurant hing sogar der Drehplan für den nächsten Tag aus. Da Vanni war unser Wohnzimmer. Die Zeit dort ist mir als glücklich, aufregend und voller herzenswarmer Menschen in Erinnerung geblieben. Ein bisschen wie ein einjähriges Ferienlager.

Im nächsten Jahr drehte ich die zweite Staffel und machte parallel dazu meine Matura. Keine Ahnung, wie ich das geschafft habe. Mit dem Abschluss in der Tasche schrieb ich mich für Soziologie an der Uni in Salzburg ein. Für ganze zwei Tage! Länger habe ich es zwischen all den Ökos in ihren Birkenstocks nicht ausgehalten – die ich heute lustigerweise selbst trage. Also brach ich ab und entschied mich nach meinem umfangreichen Studium für »was Richtiges«: Ich stürzte mich voll und ganz in die Schauspielerei!

Hamburg

Bei einem Dreh in München lernte ich wenige Jahre später meinen Schauspielkollegen Rainer kennen. Wir waren noch sehr jung und verliebten uns Hals über Kopf. Ich war gerade mal 21 Jahre alt, er kaum vier Jahre älter. Unsere Liebe war auch der Grund, warum ich nach Hamburg zog.

Ich war direkt schockverliebt in die Hansestadt und verbrachte dort eine goldene Zeit. Jedes Mal, wenn ich mit dem Zug nach Hamburg hineinfuhr, bekam ich beim Blick auf die Binnenalster regelrechtes Herzrasen. Und so geht es mir auch heute noch! Es kribbelt im ganzen Körper, und all die positiven Erlebnisse, die ich in Hamburg hatte und die in der Aura der Stadt abgespeichert sind, kommen wie Glücksglühwürmchen zu mir zurückgeflogen, sobald ich das Dammtor durchquere.

Nach nur einem Jahr dort wurde ich schwanger. Rainer und ich sprachen zwar ganz kurz darüber, ob das der richtige Zeitpunkt sei, aber wir merkten schnell, dass wir beide nicht über das »Ob«, sondern nur über das »Wie« redeten. Und so beschlossen wir, eine Familie zu gründen.