Hitlers Griff nach Asien 5 - Horst H. Geerken - E-Book

Hitlers Griff nach Asien 5 E-Book

Horst H. Geerken

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Beschreibung

Drei Themenbereiche stehen im Mittelpunkt des bisher fünfbändigen Werkes: zunächst die Aktivitäten des Dritten Reiches im asiatischen Raum, sodann das Schicksal deutscher Zivilisten, die in Asien zwischen die Fronten gerieten, und last but not least die Bedeutung der Achsenmächte für die Unabhängigkeitsbewegung asiatischer Völker. Neben Ergänzungen zur Deutschen Schule in Sarangan/Ostjava, in Indonesien untergetauchten Nazis, dem verschwundenen Nazi-Gold und der Orientierung der deutschen U-Bootfahrern in Batavia, beschäftigt sich dieser Band 5 hauptsächlich mit dem Schicksal deutscher Zivilisten, vor allen den zivilen deutschen Reichsbürgern in Niederländisch-Indien. Es wird gezeigt, wie grausam die Niederländer mit deutschen Frauen und Kindern in dem seit August 1945 unabhängigen Land Indonesien umgingen, wie deutsche Zivilisten enteignet wurden, ohne jemals eine Wiedergutmachung erhalten zu haben.

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In Erinnerung an meine vielen indonesischen Freunde, die als Freiheitskämpfer ihr Leben für die Unabhängigkeit ihres Vaterlandes Indonesien von der niederländischen Kolonialherrschaft riskierten.

Inhaltsverzeichnis

72. Dank

73. Prolog

74. In Indonesien untergetauchte Nazis

75. Ergänzungen zu Präsident Sukarno

76. Was suchte Himmler in Tibet?

77. Ergänzungen zu den Internierungslagern für die deutschen Zivilinternierten in Niederländisch- und Britisch-Indien

77.1 Niederländisch-Indien

77.2 Britisch-Indien

77.3 Deutsche Zivilisten, die einer Internierung gerade noch entgehen konnten

77.4 Die Odyssee eines schwäbischen Kochs

78. Die Rolle des Nazi-Golds

78.1 Das Nazi-Gold und der Traum vom 4. Reich

78.2 Die “Bank for International Settlements” (BIS)

78.3 Dr. Poch, Sukarno und der Nazi-Schatz

78.4 Rätsel um Heinrich Harrer

79. Flüchtete Hitler doch nicht nach Indonesien?

80. Ergänzungen zur Deutschen Schule in Sarangan

81. Orientierung der deutschen U-Boot-Fahrer in Batavia

82. Ergänzungen zu Subhas Chandra Bose

83. Nachwort

84. Anlagen

84.1 Namensliste der Schülerinnen und Schüler der Deutschen Schule in Sarangan

84.2 Namensliste der beim Untergang der

Van Imhoff

ertrunkenen deutschen Internierten

84.3 Niederländisches Original aus dem National-Sozialistischen Almanach 1943

84.4 Beschlagnahmter Besitz der Familie Bode

84.5 Berichte von Dr. O. G. Roeder

84.6 Bericht über Bücher ‚Hitlers Griff nach Asien‘ in Junge Freiheit Nr. 35/2021

85. Literatur

86. Personenregister

87. Sachregister

72. Dank

Ich danke allen Zeitzeugen und deren Verwandten, die mich nach dem Lesen der bisher veröffentlichten Bände dieser Dokumentation kontaktierten und die mir weitere und teilweise neue Informationen und Dokumente zukommen ließen. Dabei bedanke ich mich besonders bei Hans-Günther Bode, dessen Informationen und die seiner Mutter in diesen Band 5 mit den entsprechenden Dokumenten eingeflossen sind. Herrn Bode danke ich auch dafür, dass mit ihm ein Interview für eine in Vorbereitung befindlichen TV-Dokumentation verwirklicht werden konnte.

Bei dieser Gelegenheit bedanke ich mich auch sehr bei Dr. Rudolf Liesenfeld, der für ein Interview für die TV-Dokumentation in seinem Haus bereit war. Die Odyssee der Familie Liesenfeld habe ich bereits in Band 3 beschrieben. Dieser Band 5 enthält viele weitere Informationen über die in Indonesien tätige Firma Schlieper, bei der auch Rudolfs Vater tätig war.

Aufgrund des Berichts vom 27. August 2021 von Dr. Ludwig Witzani über die bisher veröffentlichten Bände der Dokumentation in einer Wochenzeitung kontaktierte mich der in Surabaya geborene Peter Schnatz. Sein Vater Wolfgang Schnatz war ab Ende der 1920er Jahre ebenfalls für die Firma Schlieper in NiederländischIndien. Kurz vor Kriegsbeginn gelang es ihm, noch zurück nach Deutschland auszureisen und dadurch einer Internierung von sich und seiner Familie durch die Niederländer zuvorzukommen. Peters Sohn, Dr. Jörg Schnatz, hat die umfangreiche Sammlung seines Großvaters Wolfgang Schnatz aufbewahrt und mir wichtiges Material zur Durchsicht und Veröffentlichung überlassen. Das Dokumentationsmaterial ist so umfangreich, da Wolfgang Schnatz mit dem Schiff zurück nach Deutschland reiste und alle seine Unterlagen mitnehmen konnte. Zum Glück wurden diese Unterlagen bei den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg nicht vernichtet. Der Lebensweg von Wolfgang Schnatz konnte nun Dank der von Sohn und Enkel erhaltenen Informationen in diesem Band 5 niedergeschrieben werden. Dafür danke ich beiden sehr.

Abb. 72-1: Der Autor mit dem ausführlichen Artikel vom 27. August 2021 von Dr. Ludwig Witzani über die bisher veröffentlichten Bände der Dokumentation1

Für diesen Band 5 habe ich auch wieder einige Tage im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts in Berlin recherchiert. Es gibt dort Unmengen von interessantem Material über den Zeitraum des Dritten Reichs. Ich habe wieder aufschlussreiche Dokumente gefunden, die in einige Kapitel dieses Bandes eingeflossen sind. Für die immer hilfreiche Betreuung durch das Personal im Archiv bedanke ich mich sehr.

Wie auch schon bei den vorhergehenden Bänden möchte ich mich bei meinen beiden Lektorinnen Michaela Mattern und Barbara Bode herzlich bedanken. Beide standen mir unentwegt mit guten Ratschlägen zur Seite. Barbara Bode erstellte wieder mit großer Sorgfalt den Buchblock. Auch dafür danke ich.

Frau Dr. Andrea Nicklisch, der Kuratorin der ethnologischen Sammlung des Roemer- und Pelizaeus-Museums in Hildesheim, danke ich für die Hilfe bei der Suche nach dem Interview von Frau Dr. Helga Stein mit Dr. Karl Helbig.

Auch danke ich Herrn Dr. Ludwig Witzani für sachkundige und tiefgehende Gespräche und die Veröffentlichung des in Abbildung 72-1 gezeigten Berichtes, sowie dem Dokumentarfilmer Alexander Dluzak und seinem Team für die Geduld bei der Schaffung einer TV-Dokumentation zu diesem Thema. Die TV-Dokumentation wird vermutlich in der ersten Hälfte von 2023 fertiggestellt sein.

Im Sommer 2022

Horst H. Geerken

1 Bericht siehe Anlage, Kapitel 84.6

73. Prolog

Angefangen hat es, als ich schon im Kindesalter von meiner Mutter, deren Verwandtschaft in Holland lebte, für Niederländisch-Indien sensibilisiert wurde. Meine niederländische Verwandtschaft – die wir ab und zu besuchten – war im Gewürzhandel tätig. Es gab somit immer viel Interessantes über Niederländisch-Indien zu erzählen. Meine Mutter beherrschte die holländische Sprache. Sie brachte von ihren Besuchen dort immer neue Bücher mit nach Hause. Schon als Kind – bevor ich lesen konnte – blätterte ich in diesen Büchern und war von den exotischen Bildern fasziniert.

Später, auf dem Gymnasium, legte mein Professor im Fach Geographie den Schwerpunkt seines Unterrichts auf Indonesien. Mein Interesse für das Inselreich war geweckt, weshalb ich auch sofort zuschlug, als mir Anfang der 1960er Jahre in den USA angeboten wurde, für einen deutschen Großkonzern eine Niederlassung in dem Archipel mit Sitz in Jakarta aufzubauen.

Direkt nach meinem Eintreffen in Jakarta im Jahr 1963 wurde ich durch die enge Zusammenarbeit mit zwei indonesischen Herren, die beide hohe Positionen im Kolonialkrieg des inzwischen unabhängigen Indonesiens gegen die zurückkehrenden Niederlande eingenommen hatten, über die Aktivitäten der deutschen Marine in Indonesien informiert. Die beiden Zeitzeugen erzählten mir während unserer langjährigen Kooperation Geschichten, die kaum glaubhaft waren, aber durch meine nachfolgenden Recherchen bestätigt wurden. Durch die beiden Herren wurde ich in die indonesischen Veteranenverbände eingeführt, deren Mitglieder mir immer wieder neue Informationen lieferten.

Als ich Anfang der 1970er Jahre drei Wochen in einem Heilbad in der Nähe von Heilbronn in Süddeutschland verbrachte, freundete ich mich mit einem ebenfalls dort kurenden Schiffsarzt an, der während des Zweiten Weltkriegs auf deutschen U-Booten im Atlantik eingesetzt war. Er konnte stundenlang über das Leben in den U-Booten und über die dort aufgetretenen medizinischen Probleme reden. Er wusste wohl, dass deutsche U-Boote auch im Indischen Ozean und in der Javasee operiert hatten, aber Details konnte er mir nicht nennen. Mein Interesse für die Operationen deutscher U-Boote in den fernen Regionen von Süd- und Südost-Asien war nun ebenfalls geweckt. Ich recherchierte weiter und fand heraus, dass die deutschen Aktivitäten in diesem Raum viel größer waren, als ich erwartet hatte.

Von meiner langjährigen Lebensgefährtin Annette wurde ich immer wieder gedrängt, diese Geschichten aus Indonesien für die Nachwelt aufzuschreiben. 2015 wurde dann der erste Band dieser Dokumentation veröffentlicht und war gleich ein Erfolg, da dieses Thema in Deutschland bisher weitgehend unbekannt war.

Es war also eine Reihe von Zufällen – oder war es Schicksal? –, die mich wie auf einem vorgegebenen Weg dazu brachten, das erste Buch zu diesem Themenbereich zu schreiben. Natürlich dachte ich nicht einmal im Traum daran, dass es eine ganze Serie von bisher fünf Bänden werden könnte. Viele Rückmeldungen von deutschen und indonesischen Zeitzeugen brachten immer wieder neue Informationen und neue Dokumente zutage. Nun liegt hier Band 5 der Dokumentation vor und es sollte eigentlich der letzte sein. Aber zwischenzeitlich ist von den Nachkommen von Zeitzeugen so viel neues Material aufgetaucht, dass es vermutlich noch einen Band 6 geben wird. Es gibt noch viele weitere Dokumente in den Archiven zu sichten, aber das überlasse ich nun Jüngeren.

74. In Indonesien untergetauchte Nazis

Viele deutsche Staatsbürger, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus verschiedenen Gründen in Indonesien blieben, konnte ich in den Jahren ab 1963 noch treffen. Darunter waren deutsche Offiziere, U-Boot Kommandanten und Mitglieder von U-Boot-Mannschaften. Viele hatten sich den Unabhängigkeitsbestrebungen von Sukarno und dem nachfolgenden Unabhängigkeitskampf der Indonesier gegen die wiederkehrende ehemalige Kolonialmacht der Niederlande angeschlossen. Darunter waren – wie erst nach ihrem Tod bekannt wurde – Kriegsverbrecher, aber zum allergrößten Teil waren es nur sogenannte ‚Mitläufer‘, die nicht in das darniederliegende Deutschland zurückwollten und ein weiteres Leben auf den tropischen Inseln fern der Heimat vorzogen. Ein Beispiel dafür ist der Lebensweg von Kapitän August F. H. Rosenow2.

Ich traf auch einen Wissenschaftler, einen engen Mitarbeiter von Wernher von Braun, der aktiv an der Entwicklung der V1 und V2 in Peenemünde beteiligt war. Aus Angst vor einer Verurteilung in Deutschland war er nach 1945 in Bandung untergetaucht. Anfang der 1960er Jahren wurde er von den Vereinigten Staaten angeworben und er ist, ohne eine Anklage befürchten zu müssen, in die USA emigriert, um für die NASA zu arbeiten.

Über Heinrich Harrer, der aus dem Internierungslager Dehra Dun nach Tibet floh und sich dort mit dem Dalai Lama anfreundete, habe ich bereits kurz berichtet.3 Über seine Aktivitäten in Tibet hat er in seinem Buch Sieben Jahre in Tibet berichtet. Das Buch wurde auch verfilmt, wodurch Harrer einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichte. Weniger bekannt ist, dass Heinrich Harrer nach dem Zweiten Weltkrieg auch Indonesien besuchte und ein Buch über den damals noch von den Niederlanden besetzten Teil Neuguineas mit dem Titel Ich komme aus der Steinzeit veröffentlichte. Was wollte Harrer in Indonesien? Dieses Buch strotzt vor Ungereimtheiten und Fehlern. War dieses Buch als Alibi für seine Reise schnell hingeschmiert worden? War Harrer vielleicht in anderer Mission unterwegs? Neue Erkenntnisse dazu folgen in Kapitel 78 über das verschwundene Nazi-Gold. Suchte er danach? Dieser westliche Teil Neuguineas gehörte zu Niederländisch-Indien und war während des Zweiten Weltkriegs von Japan besetzt. Erst nach großem internationalem Druck ging die ehemalige Kolonie Niederländisch-Neuguinea am 1. Mai 1963 an Indonesien.

Wenn wir über in Indonesien untergetauchte Persönlichkeiten der Nazi-Zeit reden, dürfen wir eine der wichtigsten Personen, Dr. phil. Rudolf Oebsger-Röder4, nicht vergessen. Am 9. März 1912 wurde er in Leipzig als Sohn eines Werkmeisters geboren. Er studierte Geschichte, Soziologie und Zeitungswissenschaft in Leipzig und promovierte 1936 mit einer Dissertation über den Bildungsstand der deutschen Journalisten. Während der Weimarer Republik wurde er wegen Körperverletzung und als Verfasser von politisch-ideologischen Schriften und Flugblättern verurteilt. Er trug den ‚Ehrenwinkel der Alten Kämpfer‘, das Ehrenzeichen der NSDAP.

Ende 1929 wurde er Mitglied der Hitlerjugend und 1931, im Alter von 19 Jahren, trat er mit der Mitgliedsnummer 475.061 in die NSDAP ein5. Oebsger-Röder machte im Dritten Reich eine steile SS-Karriere. Am 20. April 1936 war er SS-Untersturmführer, am 9. November 1937 SS-Obersturmführer, am 20. April 1938 SS-Hauptsturmführer und am 30. Januar 1939 SS-Sturmbannführer. Noch 1945 wurde er zum SS-Obersturmbannführer befördert. Er erhielt 1939 das Eiserne Kreuz 2. Klasse, später das Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern und er besaß das Reichs-Sportabzeichen in Bronze, das SA-Sportabzeichen, den Ehrendegen des Reichsführers der SS, dem höchsten Dienstgrad der SS und den Totenkopfring der SS. Alleine diese Auszeichnungen zeigen schon, welch wichtigen Rang er im Dritten Reich und in der SS innehatte.

Oebsger-Röder soll im Dritten Reich einer der Hauptverantwortlichen für das Massaker an den Polen in Bromberg gewesen sein. Er hatte 1939 das SS-Einsatzkommando geleitet, das Vergeltung an den Polen üben sollte. Nach dem Versailler Vertrag musste der Landkreis Bromberg und die mehrheitlich von Deutschen bewohnte Stadt Bromberg nach dem Ersten Weltkrieg an Polen abgetreten werden. Dies führte immer wieder zu offenen Spannungen zwischen den dort lebenden Deutschen und der polnischen Minderheit. Kurz nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Polen kam es am 3. und 4. September 1939 zu einem Massaker, bei dem etwa 1000 deutsche Siedler durch Polen ermordet wurden. Dieses Massaker ging als ‚Blutsonntag‘ in die Geschichte ein. Bei der Racheaktion durch den sogenannten ‚Volksdeutschen Selbstschutz‘ wurden daraufhin etwa 5000 polnische Bürger ermordet. Wer das Massaker begonnen hat und wieviel Menschen dabei wirklich umkamen, wird von beiden Seiten widersprüchlich beurteilt.

Abb. 74-1, Überschrift auf der Titelseite der Zeitung Der oberschlesische Wanderer vom 8. September 1939

In den mir vorliegenden Beurteilungen wird jedoch eine Beteiligung der SS von den meisten Historikern beider Seiten ausgeschlossen. Der Name Oebsger-Röder ist mir nun in einer anderen Angelegenheit aufgefallen. Am 21. Oktober 1939 meldete er, dass in den westpreußischen Städten von der Gestapo und vom Selbstschutz der Volksdeutschen polnische Lehrer verhaftet und in das Zuchthaus Krone transportiert worden seien. Es sei geplant, die radikalen polnischen Elemente zu liquidieren.6 In einem Lagebericht für das Reichspropagandaministerium schreibt Oebsger-Röder im Herbst 1939:

‚Nach dem Willen des ‘Führers‘ soll in kürzester Zeit aus den polnisch-bestimmten Pommerellen7 ein deutsches Westpreußen entstehen. Zur Durchführung dieser Aufgaben machen sich nach übereinstimmender Ansicht aller zuständigen Stellen folgende Maßnahmen notwendig:

1. Physische Liquidierung aller derjenigen polnischen Elemente, die a) in der Vergangenheit auf polnischer Seite irgendwie führend hervorgetreten sind, oder b) in Zukunft Träger eines polnischen Widerstandes sein könnten. […] Die angeführten Maßnahmen sind von Anfang an in Angriff genommen worden. Es erscheinen jedoch folgende Bemerkungen nötig, um die Notwendigkeit des Vorschlags zu erhärten.

2. Zu 1.) Die Liquidierung wird nur noch kurze Zeit durchgeführt werden können. Dann werden die deutsche Verwaltung und andere außerhalb der NSDAP liegende Faktoren direkte Aktionen unmöglich machen. Auf jeden Fall wird am Ende trotz aller Härte nur ein Bruchteil der Polen in Westpreußen vernichtet sein (schätzungsweise 20.000). Gez. Rudolf Oebsger-Röder.8

Wird Röder vielleicht heute als Verantwortlicher für das Massaker nach dem ‚Blutsonntag‘ zu Unrecht beschuldigt? Ich glaube nicht, denn er wird auf mehreren Dokumenten als Führer des SD-Einsatzkommandos (EK) 16 in Bromberg9 genannt.

Es gibt noch viele weitere Beweise, die ihn als Täter entlarven, denn er hat in verschiedenen Archiven, im ‚Berlin Document Center‘, in den Stasi-Unterlagen und in der Kartei des CIA10 von gesuchten Personen viele Spuren hinterlassen. Laut US-amerikanischen Quellen wird Oebsger-Röder sogar als eine der Schlüsselfiguren des Holocaust bezeichnet. In der Online-CIA-Library findet man viele Einträge, von denen ich hier nur zwei als Beispiele zeigen möchte. Viele Dokumente über ihn sind auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht öffentlich zugänglich.

Abb. 74-2, Dokument Oebsger-Roeder, Rudolf_0007_0000 der CIA

Abb. 74-3, Dokument Oebsger-Roeder, Rudolf_0012_0000 der CIA

Rudolf Oebsger-Röder war auch Mitbegründer – in verschiedenen Dokumenten wird er sogar als Leiter bezeichnet – des ‚Sonderunternehmens Zeppelin‘ in Russland und der Ukraine. Im Reichssicherheitshauptamt, zuletzt geleitet von Ernst Kaltenbrunner, galt Oebsger-Röder als ‚DER‘ Russland-Spezialist! Wie ich bereits in Band 3, Kapitel 68, berichtete, gehörte auch der indonesische Pilot Willem de Graaff diesem Unternehmen an. Es war eine Kommandoeinheit der SS für Agenteneinsätze hinter den Linien der Roten Armee. Oft wurden dafür russische Kriegsgefangene, die sich freiwillig für eine Agententätigkeit meldeten, eingesetzt und hinter der sowjetischen Front mit Fallschirmen abgesetzt. Das war nicht nur ein ‚Himmelfahrtskommando‘ für die Piloten, auch für die Spione, die meist Stalin-Gegner waren. Wurde einer der zuvor indoktrinierten Spione hinter der Front erwischt, wurde er sofort – wie jeder Russe, der in Kriegsgefangenschaft geriet – als Überläufer erschossen. Die Chance mit dem Leben davonzukommen, war annähernd bei ‚Null‘. Gelang ihnen mit Nachrichten aus dem Feindesland eine Rückkehr ins Deutsche Reich, wurden sie meist als Wissensträger beseitigt.

Ein Kollege von De Graaff war der deutsche Lothar Sieber11. Auch er war Pilot der deutschen Luftwaffe und flog wie De Graaff lebensgefährliche Einsätze mit erbeuteten sowjetischen und amerikanischen Flugzeugen hinter der russischen Front. Es gelang ihm sogar, 23 deutsche Soldaten, die von sowjetischen Truppen umzingelt waren, zu befreien und auszufliegen. Sieber führte bei einem Testflug im Februar 1945 den ersten bemannten Senkrechtstart mit einem Raketenflugzeug, einer Bachem Natter 349, durch, den er allerdings wegen eines Konstruktionsfehlers nicht lebend überstand.

Erste Hinweise auf das ‚Unternehmen Zeppelin‘ kamen erst nach der deutschen Wiedervereinigung ans Licht. Das DDR-Ministerium für Staatssicherheit hatte in dieser Richtung ermittelt. Es waren Hunderte dieser freiwilligen sowjetischen Spione und Partisanen, die hinter die Front gebracht wurden. Im Jargon der Nazis wurden sie ‚Aktivisten‘ genannt.12

Eine geheime Operation im Juli 1944, bei der Josef Stalin durch ein Attentat getötet werden sollte, misslang. Oebsger-Röder war auf der Halbinsel Krim in der damaligen Ukraine als Feldkommandant für das ‚Unternehmen Zeppelin‘ zuständig, dort, wo auch der indonesische Pilot De Graaff flog und abstürzte. De Graaff überlebte. Er flog die meisten dieser tollkühnen und überaus gefährlichen Einsätze. De Graaff, Siebert und Oebsger-Röder müssten sich gekannt haben, da Oebsger-Röder diese riskanten Aktionen plante. Hat Oebsger-Röder vielleicht aufgrund von Gesprächen mit dem Indonesier De Graaff Indonesien nach Kriegsende als Fluchtort gewählt? Er hätte dann sicherlich durch den Piloten Anlaufpunkte im Lande gehabt, was auch seine spätere gute Vernetzung mit indonesischen Politikern erklären könnte.

Auf der Website <http://www.tenhumbergreinhard.de/1933-1945-taeter-und-mitlaeufer/1933-1945-biografien-o/index.html> findet man folgenden Eintrag über Rudolf Oebsger-Röder. Hier wird auch ein bisher unbekannter ‚alias‘ genannt:

SS-Obersturmbannführer Oebsger-Röder, Rudolf (Alias Richard Rupp)

* 09.03.1912 Leipzig

+ 21.06.1992 München (Herzversagen)

Führer des SD-Einsatzkommandos (EK) 16 in Bromberg!

01.02.1940: Leiter im RSHA Amt II A (Grundlagenforschung)

07.1942-02.1943: Leiter im RSHA Amt VI Sonderreferat VI C/Z

04. oder 05.1944: Führer Einsatzkommando EK Cluj in Ungarn

nach 1945: Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes in Djakarta (O. G. Roeder)

nach 1945: Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung

nach 1945: Korrespondent für die Neue Zürcher Zeitung

Nach Kriegsende tauchte Oebsger-Röder zunächst als Landarbeiter mit dem Namen Walter (auch Richard) Rauff in Deutschland unter. Bereits ab 1948 arbeitete er für die ‚Organisation Gehlen‘, die Vorgängerorganisation des Bundesnachrichtendienstes BND. Als im Laufe der Jahre Informationen beim Bundesnachrichtendienst über seine dunkle Vergangenheit während des Zweiten Weltkriegs auftauchten, flüchtete er 1959 mit seiner Ehefrau nach Indonesien und tauchte dort unter dem Namen Dr. O. G. Roeder unter. Oder wurde er vom BND als Mitglied ihrer Organisation dorthin entsandt, um ihn zu schützen? Oebsger-Röder kannte Reinhard Gehlen aus dem Zweiten Weltkrieg; ich bin sicher, dass er von ihm gewarnt wurde. Gehlen verhalf nach dem Krieg vielen hochrangigen Nazis zur Flucht.

‚Die Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte‘, eine Organisation, die fast ausschließlich ehemalige SS-Angehörige finanziell und bei Gericht unterstützte, wurde 1946 gegründet. Die Hauptträger dieser Organisation waren die Prinzessin Helene Elisabeth von Isenburg und die Tochter von SS-Chef Heinrich Himmler, Gudrun Burwitz. Unterstützt wurden auch Nazis, die in Italien und Nordafrika untergetaucht waren. Neben dem Namen des Belgiers Léon Degrelle, dem SS-Standartenführer und Führer der belgischen Waffen-SS, der ‚Wallonischen Legion‘, und Florentine Rost van Tonningen, der niederländischen rechtsextremen Nazi-Aktivistin, erscheint in diesem Zusammenhang unter den Unterstützten auch der Name Manfred Roeder. Ist es ‚unser‘ Dr. Roeder, der hier nur mit einem anderen Vornamen genannt wird? Vielleicht ist Dr. Roeder – wie auch Dr. Poch – bis zu seiner Flucht nach Indonesien in Italien untergetaucht. Möglich ist alles, Dr. Roeder hatte schon viele Namen!

Als ich 1963 nach Indonesien kam, war Dr. Roeder in Jakarta bereits eine angesehene und sehr anerkannte Persönlichkeit.13 Seine Ehefrau Dr. Ortrud Roeder war Vertrauensärztin der Deutschen Botschaft in Jakarta. Diese Position hatte sie inne, bis in den 1970er Jahren der indonesische Arzt Dr. Tjindarbumi den Posten als Vertrauensarzt von ihr übernahm.

Dr. O. G. Roeder schrieb für angesehene deutsche und internationale Medien, wie die ‚Süddeutsche Zeitung‘, das ‚Handelsblatt‘, die ‚Neue Züricher Zeitung‘, die ‚Deutsche Soldatenzeitung‘ oder die Zeitschrift ‚Far Eastern Economic Review‘, die in ganz Südost-Asien gelesen wurde. Vom BND wurde er mehrmals als ‚bestinformierter Journalist‘ in Indonesien bezeichnet. Die deutschen Diplomaten und Geschäftsleute in Indonesien suchten immer seinen Rat. Keiner hatte auch nur die geringste Ahnung bezüglich seiner dunklen Vergangenheit.

In der Deutschen Botschaft und der indonesischen Nachrichtenagentur ANTARA ging Dr. Roeder täglich ein und aus, so wie es auch der Spion Dr. Richard Sorge als Berater des Deutschen Botschafters in Tokyo tat.14 Auch für die deutsche Kaufmannschaft und die deutschen Industrievertreter war er eine wichtige Quelle für die neueste politische Entwicklung im Lande. Damals, nahe dem Ende der Sukarno-Ära, herrschte schon ein gewisses Chaos und man war auf verlässliche Informationen angewiesen. Dr. Roeder und Ulrich Grudinski, der als freier Journalist für die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ FAZ und die ‚Deutsche Presseagentur‘ DPA arbeitete, galten in Jakarta als die Personen, die am besten und präzisesten von allen in Indonesien ansässigen Journalisten – auch den ausländischen – informiert waren. Bei den vielen Gerüchten, die um 1964/65, am Ende der Sukarno-Ära, durch Jakarta schwirrten, war dies keine leichte Aufgabe. Auch ausländische Korrespondenten aus den USA, aus England und Australien suchten – bevor sie von Sukarno als ‚persona non grata‘ ausgewiesen wurden – regelmäßig den Rat der beiden.

In meinen Unterlagen fand ich einen sechs Seiten langen Bericht von Dr. O. G. Roeder von Anfang September 1965, den er im Auftrag der Deutschen Botschaft, beziehungsweise der deutschen Bundesregierung, verfasste. Es war kurz vor dem Putsch vom 30. September. Die finanzielle Situation Indonesiens war bereits äußerst angespannt und verworren. Alle Vertreter der deutschen Industrie und der Kaufmannschaft waren verunsichert. Keiner wusste, wie es weitergehen würde. Ich erhielt vertraulich eine Kopie direkt von Dr. Roeder. Der sehr kompetente Bericht lautet wie folgt:

Zur Frage der Abwicklung deutscher Export-Geschäfte mit Indonesien

Von Dr. O. G. Roeder – Djakarta

Deutsche Exporte nach Indonesien begegnen zunehmend Schwierigkeiten, die vor allem auf der Devisenknappheit des Landes und den daraus erwachsenen Finanzierungs-Schwierigkeiten beruhen. Die Lieferungen der Bundesrepublik an Indonesien sind in den letzten Jahren zurückgegangen:

1961

390,2 Mio. DM

1962

286,6 Mio. DM

1963

231,0 Mio. DM

1964

214,0 Mio. DM

(Quelle: Bundesamt für Statistik, Wiesbaden)

Ein weiterer Rückgang konnte durch Zugeständnisse der deutschen Lieferfirmen, Übernahme größerer Risiken und elastisches Anpassen an eine wirtschaftlich und politisch immer kompliziertere Lage im Allgemeinen überwunden werden. Obwohl durch besondere Anstrengungen der deutschen Privatwirtschaft das Bild der ersten Monate des Jahres 1965 etwas freundlicher zu sein scheint, halten die Schwierigkeiten an und lassen einen absteigenden ‚trend‘ in Zukunft erwarten. Dies gilt ganz besonders für traditionelle Ausfuhren auf dem Verbrauchsgüter-Sektor.

Dann folgen ausführlich die gegenwärtigen Möglichkeiten zur Abwicklung von Exportgeschäften und die dabei erwachsenen Schwierigkeiten. Mir liegt der gesamte sechsseitige Bericht vor. Ich werde hier jedoch nur die Überschriften der jeweiligen Kapitel aufführen:

A Gegenwärtiges Verfahren

Lieferung gegen Barzahlung

Lieferung gegen ‚deferred payment‘

Kreditgeschäfte mit Laufzeiten bis zu 5 Jahren

Kreditgeschäfte mit Laufzeiten über 5 Jahren

Lieferung mit Hilfe von Finanzkrediten der Bundesregierung

B Andere Länder als erfolgreiche Konkurrenten

C Auswirkungen/Rückschläge im deutschen Verbrauchsgüter-Export

D Folgerungen [mit dem Schlusssatz: Obgleich der Umfang der Indonesien-Geschäfte, bezogen auf das gesamte deutsche

Außenhandelsvolumen, gering ist, zeigen die bisherigen Erfahrungen einen bemerkenswert ruhigen Verlauf mit für deutsche Firmen sehr zufriedenstellenden Ergebnissen, auch in preislicher Hinsicht. Ein Markt von über 100 Millionen Menschen, der erst teilerschlossen ist, verdient ein erhöhtes Interesse.]

[Diese Arbeit beruht auf zahlreichen Besprechungen mit deutschen Kaufleuten in Djakarta, mit der Bank Indonesia (Referent für ausländische Kredite) und indonesischen Wirtschaftsjournalisten, sowie auf eigenen mehrjährigen Erfahrungen und Beobachtungen am Platze.]

O. G. R.

Alleine die Überschriften des detaillierten Berichtes zeigen, dass Dr. Roeder auf dem wirtschaftlichen Sektor sehr kompetent war. Alle seine Voraussagen über die wirtschaftliche Entwicklung haben sich bewahrheitet. Den ungekürzten Bericht findet man in Anlage 84.5.

Das Hotel Indonesia war Anfang der 1960er Jahre das einzige Hotel mit internationalem Standard in ganz Indonesien. Hier gab es westliche Leckereien, die sonst nirgendwo in Jakarta zu bekommen waren. Internationale Journalisten und Geschäftsleute trafen sich täglich zum Sundowner und Gedankenaustausch um 17 Uhr in der dunklen Bar mit den roten Kerzenleuchtern neben dem Ramayana-Restaurant des Hotels. Das Ritual des Sundowners stammte noch aus der Kolonialzeit, als man sich kurz vor Sonnenuntergang in den Clubs traf. Dieser Brauch wurde allerdings von einigen Journalisten sehr flexibel ausgelegt. Für manche war der Sonnenuntergang schon um 15 Uhr, für andere war er direkt im Anschluss an das Mittagessen. Daher traf ich kurz nach 17 Uhr in der Bar oft schon Menschen mit roten Köpfen in angeregter Unterhaltung an. Dabei betonten die Journalisten immer lautstark, dass sie ihren Whisky nicht zum Vergnügen trinken würden. Das Trinken wäre ein Teil ihrer Arbeit! Indonesien war im Wandel, Jakarta war voller Gerüchte, aber man erfuhr hier trotz Whisky – oder gerade deshalb – immer etwas Neues! Dr. Roeder war hier immer eine gesuchte Persönlichkeit. Er war einer der Wenigen, die kaum Alkohol tranken. Wohl aus Vorsicht. Eine lockere Zunge hätte sein Ende bedeuten können.

Die deutschen Kaufleute und Industrievertreter trafen sich immer am Freitag um 12 Uhr mittags im Ramayana-Restaurant des Hotels Indonesia zum Smörrebröd, zu einem sogenannten ‚Arbeitsessen‘. Es war wieder einmal ein Freitag, diesmal der 1. Oktober 1965. Wir saßen wie üblich im Ramayana-Restaurant und luden uns die Teller voll. Es war eine gewisse Spannung zu spüren, irgendetwas war passiert. Aber keiner wusste genau, was. In der Nacht hatte ich in der Nachbarschaft Schüsse gehört, aber seit einigen Wochen gehörte das schon zur Normalität.

Ich hatte gerade mit Essen begonnen, da stürmte plötzlich Dr. Roeder ins Restaurant und informierte uns, dass in der Nacht zuvor ein Putsch stattgefunden hätte. Die Siliwangi Division unter General Suharto würde gerade in Jakarta einmarschieren und wir sollten so schnell wie möglich nach Hause fahren. Bald wäre das nicht mehr möglich. Die noch halbvollen Teller ließen alle stehen und hasteten heimwärts, gerade noch rechtzeitig, bevor eine totale Ausgangssperre verhängt wurde. Dies zeigte erneut, wie gut Dr. Roeder informiert war.

Wer nach Dr. Roeders Warnung nicht gleich nach Hause eilte, oder vielleicht zuvor noch sein Büro aufsuchte, hatte später riesige Probleme, zu Frau und Kindern zu kommen. Die gesamte Innenstadt wurde abgeriegelt und tausende Militärlastwagen, Panzer und Soldaten bevölkerten die Straßen. Die Nachzügler des Arbeitsessens der Deutschen mussten stundenlange Umwege außerhalb der Stadt in Kauf nehmen. Viele Ausländer kamen an diesem Tag nicht mehr nach Hause.

Wie ich erst einen Tag später erfuhr, wurde General Pandjaitan15 mit den Schüssen getötet, die ich in der Nacht zuvor gehört hatte. Pandjaitan war von 1952 bis 1957 indonesischer Militärattaché in Bonn. Er erhielt seine erste Ausbildung an der Deutschen Schule in Sarangan in Ostjava, er sprach fließend Deutsch und war Christ. In Jakarta war er mein Nachbar in der Jalan Sultan Hasanuddin im Stadtteil Kebayoran Baru. Bei fröhlichem Geplauder tranken wir manche Flasche deutschen Weins zusammen. Er war ein erfolgreicher Widerstandskämpfer gegen die nach der Unabhängigkeit wiederkehrenden Niederländer. Posthum wurde er zum Generalmayor befördert und erhielt die Auszeichnung Hero of the Revolution. 1966 wurde ihm eine 5 Rupiah Briefmarke gewidmet.

Dieser Putsch von General Suharto ging als G30S16 in die Geschichte ein. Den indonesischen Kommunisten wurde der Putsch in die Schuhe geschoben. Es folgte ein beispielloses Massaker des Militärs, mit Hilfe der CIA und der US-Botschaft, an den Kommunisten, dem rund zwei Millionen Menschen zum Opfer fielen. Eine genauere Zahl kennt man bis heute nicht. Ich bin sicher, dass das auch nicht mehr aufzuklären ist.

Wenige Wochen nach dem Putsch übergab mir Dr. Roeder einen weiteren Bericht vom 30. Dezember 1965 über die politische Situation Indonesiens. Für wen er diesen Bericht anfertigte, kann ich heute nicht mehr sagen. Für die Deutsche Botschaft oder für eine Zeitung? Der Bericht ist zwei Seiten lang und ist wieder ein Beispiel seines großen Fachwissens. Auch hier werde ich nur die Einleitung und den letzten Absatz wiedergeben. Der Bericht ist ungekürzt in Anlage 84.5 zu finden.

Umstrittene Kredite für Indonesien

Kritische Frage: Hilfe mit Risiko – oder wirtschaftliches und politisches Chaos?

O. G. Roeder – Djakarta

Die Wirtschaftskrise Indonesiens nähert sich einem Höhepunkt, die Sünden der Vergangenheit treten jetzt klar zutage: systematische Missachtung wirtschaftlicher Notwendigkeiten, - Überspannung der Leistungsfähigkeit des Landes durch eine utopische, nach den Sternen greifende Außenpolitik, - dauernde Beunruhigung der Wirtschaft durch politischen Druck. Jahrelang haben sich Kommunisten, Nationalisten und die höchste Staats-Autorität in einem revolutionären Rausch zu überbieten versucht. […]

[…] In der gegenwärtigen Zeit der Prüfung sind die Augen vieler Indonesier vor allem auf die Bundesrepublik gerichtet. Auch Holland, Frankreich und Italien sind im Gespräch. Schließlich liegen Anzeichen für eine Normalisierung des Verhältnisses zu den USA und Großbritannien vor, aber das braucht seine Zeit. Insofern fällt den westeuropäischen Ländern eine große Verantwortung zu, gegebenenfalls selbst unter Risiko zu handeln. Viele Beobachter in Djakarta plädieren dafür, den sich regenden Kräften eine Ermunterung zu geben, die auch den Prozess der Umstellung massenpsychologisch stärkt. Es wäre sonst durchaus möglich, dass durch ein wirtschaftliches Chaos schließlich doch noch ein neuer großer politischer Unruheherd in Südost-Asien entsteht. Diesen Krisenherd dann zu beseitigen, oder wenigstens unter Kontrolle zu bekommen, wie in Vietnam, würde manchen Tropfen Blut erfordern und mehr harte Dollars als jetzt, unter Risiko, zur Debatte stehen.

Dr. Roeder war der am besten informierte Deutsche in Jakarta. Kein Wunder, dass die Deutsche Botschaft sowie die deutschen Industrievertreter und Kaufleute wie auch die Leitung der Deutsch-Indonesischen Industrie- und Handelskammer, EKONID, immer wieder seinen Rat suchten. Als General Suharto der zweite Präsident Indonesiens wurde, gewann Dr. Roeder sein Vertrauen und wurde sein Berater und Biograph. Er veröffentlichte unter O. G. Roeder einige Bücher, zum Beispiel:

Vom Zeitungsschreiber zum Schriftsteller,

1936

The Smiling General. Suharto of Indonesia

, 1969

Who’s Who in Indonesia

, 1971

Smiles in Indonesia

, 1972

Mais Weltführer N12,

Indonesien: Java, Bali, und die Tausend Inseln beiderseits des Äquators. Reiseführer und Landeskunde

, 5. Auflage, 1976

Southeast Asia and the Germans

, 1977 (Mitautor, Seiten 77-90)

Wirtschaftspartner Indonesien

, 1979 (Redaktion O. G. Roeder und Jörg Willecke, der damalige Leiter der Deutsch-Indonesischen Industrie- und Handelskammer Jakarta, in Zusammenarbeit mit dem Ostasiatischen Verein e.V. und HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung Hamburg)

Indonesien: Geographie – Geschichte – Kultur – Religion – Staat – Gesellschaft – Bildungswesen – Politik – Wirtschaft

, 1979 (Dr. Roeder war Mitherausgeber)

Leben und leben lassen in Indonesien,

1980

Indonesia, a personal introduction

, 1987

Indonesien: Reiseführer mit Landeskunde,

1987

Sein 1971 in Jakarta erschienenes Buch ‚Who’s Who in Indonesia’ wurde ein voller Erfolg. Es war das erste in Indonesien erschienene Who’s Who mit einem Umfang von 545 Seiten und einem Abbild von allen aufgeführten Personen. Jeder Indonesier von Rang und Namen wollte das Buch haben, auch wenn er darin nicht genannt wurde.

Wie eng Dr. Roeder mit der Deutschen Botschaft, der Deutsch-Indonesischen Industrie- und Handelskammer (EKONID) in Jakarta und der deutschen Industrie verknüpft war, zeigt das Buch Wirtschaftspartner Indonesien von 1979. Das Vorwort dazu schrieb Dr. Peter von Siemens und die Autoren waren nicht nur O. G. Roeder und der Leiter der Deutsch-Indonesischen Industrie- und Handelskammer, sondern neben vielen anderen auch der damalige Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, Günther Schödel, sowie der indonesische Staatsminister Professor Dr. Emil Salim. Es war ein Werk verschiedener deutscher und indonesischer Autoren.

In den 1960er und 1970er Jahren waren Dr. Roeder und seine Ehefrau immer gerne gesehene Gäste, bei jedem Empfang der Deutschen Botschaft, der Deutsch-Indonesischen Industrie- und Handelskammer oder der deutschen Großindustrie. Selbst eingeladen hatten die Roeders allerdings nur äußerst selten. Da ich bis zum Ende der Amtszeit von Präsident Sukarno, und darüber hinaus durch einen mit mir eng befreundeten General, einen direkten Draht in den Präsidentenpalast hatte, kamen wir uns beim Informationsaustausch näher und ich gehörte zu den ganz wenigen Auserwählten, die ab und zu bei ihm zu Hause waren. Er lebte mit seiner Ehefrau ziemlich bescheiden im Stadtteil Kebayoran Baru von Jakarta. Ich gehörte auch zu der verschwindend geringen Anzahl von jenen, denen er das ‚Du‘ anbot. Dann ließ er sich ‚Rolf‘ nennen, vermutlich in Anlehnung an seinen echten Vornamen Rudolf? Die Abkürzung ‚O.‘ in seinem Namen stand für den Vornamen Oebsger. Für was die Abkürzung ‚G.‘ stand, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Über das Dritte Reich oder seine Vergangenheit konnten wir nie reden. Da lenkte er das Gespräch immer sofort in eine andere Richtung.

Wie gesagt gehörte ich zu den ganz wenigen Privilegierten, denen Dr. Roeder das ‚Du‘ anbot. Jegliche Vertraulichkeit mit anderen lehnte er strikt ab. Wenn man ihn und Herrn Grudinski treffen wollte, fand man sie am ehesten in der Bar des Hotels Indonesia. Herr Grudinski war ein Freelance-Journalist, der für verschiedene deutsche und internationale Medien schrieb. Auch für mich war die Bar im Hotel Indonesia ein interessanter Platz. Man war immer auf dem neuesten Stand was Politik und Wirtschaft oder neue Gesetze betraf. Beide Herren, Roeder und Grudinski, mochten einander nicht besonders, oft wurden die Gespräche laut, aber zu einem Austausch von Informationen trafen sie sich trotzdem regelmäßig. Wenn man Dr. Roeder das ‚Du‘ anbot, lehnte er grundsätzlich ab. Einmal saßen wir zu fortgeschrittener Stunde noch an der Bar, da bot Herr Grudinski Herrn Dr. Roeder das ‚Du‘ an. Die schroffe Antwort von Roeder war: Nicht mit Ihnen!

Dr. O. G. Roeder war sehr fotoscheu. Wenn er merkte, dass er fotografiert wurde, drehte er meist sein Gesicht zur Seite. In Archiven und im Internet habe ich kein einziges Foto von ihm gefunden. Bei der Durchsicht meiner unzähligen Fotos jener Zeit habe ich doch noch einige Fotos entdeckt, auf denen er zu sehen ist. Es sind die ersten von ihm und seiner Frau, die ich nun in dieser Dokumentation öffentlich machte.

Von einem Empfang anlässlich des Besuches von Professor Dr. Karl Holzamer17 im November 1967 in Jakarta habe ich zwei Aufnahmen gefunden, auf denen Dr. Roeder und seine Ehefrau Ortrud zu sehen sind. Professor Holzamer war zu jener Zeit (1962 bis 1977) Intendant des ZDF18 und Dr. Roeder sein wichtigster Gesprächspartner. Der Empfang und das anschließende Essen mit einer ‚Indonesischen Reistafel‘ fand im Hause von General M. Ng. Soenarjo19 statt. General Soenarjo wie auch der ebenfalls abgebildete Dr. Umar Kayam20 gehörten bis zu ihrem Tode zu meinen engsten indonesischen Freunden.

General Soenarjo war unter Präsident Sukarno der Chef von KOTI21, dem höchsten Entscheidungsgremium für Projekte. Mit ihm führte ich 1964 im Präsidentenpalast die Verhandlungen für den Großauftrag eines 100 Kilowatt Kurzwellensenders für Tjimanggis22. Es war die Periode ‚Ganyang Malaysia‘23 und mit dem Sender sollten Propaganda- und Störsendungen nach Malaysia ausgestrahlt werden. Nach dem Putsch von 1965 gehörte General Soenarjo zum engsten Stab von Präsident Suharto.

Umar Kayam war Schriftsteller24, Filmemacher und Medienmanager. Während meiner beruflichen Tätigkeit in Indonesien war er Staatssekretär und Generaldirektor für Radio, Fernsehen und Film im Informationsministerium in Jakarta, sowie Generaldirektor des staatlichen Rundfunks ‚Radio Republik Indonesia‘, RRI.

Abb. 74-4, Im Hause von General M. Ng. Soenarjo in Jakarta, November 1967 (Dr. O. G. Roeder erster links oben; dritter von links oben Umar Kayam; vierter von links oben Dr. Siemes, Deutsche Botschaft; fünfter von links oben ist der Autor; daneben Frau Siemes, Frau Dr. Ortrud Roeder in der Mitte; rechts davon Prof. Dr. Karl Holzamer, dahinter meine Frau, Hannelore Geerken; rechts neben Prof. Holzamer ist General M. Ng. Soenarjo mit Ehefrau)

Abb. 74-5, Empfang im Hause von General M. Ng. Soenarjo anlässlich des Besuchs von Professor Dr. Karl Holzamer, Nov. 1967 (Von links: Frau Dr. Ortrud Roeder begrüßt die Leiterin der indonesischen Nachrichtenagentur ANTARA Ita Samsuddin; meine Ehefrau Hannelore Geerken, verdeckt dahinter der Autor, daneben Dr. O. G. Roeder, General M. Ng. Soenarjo und Umar Kayam von hinten)

Es war Ende der 1960er Jahre, als ich Dr. O.G. Roeder mit seiner Ehefrau in Bali traf. Zufällig stiegen wir im selben Hotel in Sanur ab, im Hotel von Frau Milly Gandanegara, die in Jakarta den damals bekannten ‚Banuwati Art Shop‘ besaß. In den 1960er Jahren gab es noch keine Luxushotels und das Hotel von Frau Milly Gandanegara galt zu jener Zeit als sehr sauber mit fairen Preisen. Wie man sieht, war die Hotelbar noch ziemlich rustikal, einfach dekoriert mit Kokosnüssen und Muscheln. Das Zusammentreffen auf Bali war – wie man auf dem Foto 74-6 sehen kann – zünftig und unbeschwert. Es wurde noch frei von der späteren Erkenntnis gefeiert, Roeders Vergangenheit war mir zu dieser Zeit noch nicht bekannt.

Abb. 74-6, Der Autor mit Dr. O. G. Roeder und dessen Ehefrau Dr. Ortrud Roeder Anfang der 1970er Jahre auf Bali

Von einer Essenseinladung des Deutschen Botschafters Günther Schödel25 in dessen Residenz anlässlich des Besuches von Senator Helmuth Kern26 am 7. Oktober 1978 in Jakarta habe ich auch eine Aufnahme gefunden, auf der Dr. Roeder und ich nebeneinander sitzen. Abbildung 74-7 zeigt einen Ausschnitt dieses Bildes.

Abb. 74-7, Dr. O. G. Roeder links, meine Wenigkeit rechts, Jakarta, 7. Oktober 1978

Trotz der Gefahr, erkannt zu werden, reiste Dr. Roeder ab Mitte der 1970er Jahre ab und zu nach Deutschland und bewegte sich frei, unbehelligt und unerkannt in München. In Deutschland wurde mehrfach gegen Oebsger-Röder wegen Kriegsverbrechen ermittelt, aber die Staatsanwaltschaften stellten die Ermittlungen immer wieder ein, da der Beschuldigte unauffindbar sei und im Ausland leben würde. Wurde der ‚indonesische‘ Dr. O. G. Roeder vom Bundesnachrichtendienst immer noch als ‚Quelle‘ verwendet und daher gedeckt?

Damals in Indonesien hatten wir deutschen Firmenvertreter, Kaufleute und selbst die Diplomaten der Deutschen Botschaft nicht die geringste Ahnung von Dr. Roeders Machenschaften im Dritten Reich. Anfang der 1980er Jahre ging er mit seiner Ehefrau zurück nach Deutschland. In München-Schwabing bezogen die beiden eine großzügige Wohnung in der Tengstraße, die übervoll mit asiatischen Antiquitäten möbliert war. Am 21. Juni 1992 brach Dr. Roeder plötzlich an einer Straßenbahnhaltestelle in München im Alter von 80 Jahren tot zusammen. Seine Aktentasche fiel zu Boden und alle darin enthaltenen Dokumente lagen auf der Straße. Wie mir seine Ehefrau sagte, waren später, als sie zur Unglücksstelle kam, alle Papiere aus seiner Aktentasche verschwunden und nicht mehr auffindbar, auch sein Adressbuch mit allen Telefonnummern und Adressen. Nur seine leere Aktentasche und seine Geldbörse mit dem Geld und den Ausweisen blieben zurück. Sie konnte daher – wie sie mir sagte – wegen des fehlenden Adressbuches niemand über seinen Tod informieren. War der Bundesnachrichtendienst schneller als Frau Dr. Roeder? Oder ließ sie die Papiere verschwinden? Dr. O. G. Roeder wurde heimlich, still und leise in München beigesetzt, ein weiteres Mysterium in seinem Leben.

Eigentlich hatte er als Nazi-Verbrecher noch ein schönes Leben und einen schönen Tod. Seine Ehefrau Ortrud lebte danach noch einige Jahre in der Wohnung in München, wo ich sie mehrmals besuchte. Ihre große Wohnung war noch überladen mit asiatischen Antiquitäten. Darin fühlte sie sich äußerst wohl. Es gab zu jener Zeit bereits Gerüchte über die Nazi-Vergangenheit ihres Ehemannes im Dritten Reich. Ich wollte mehr erfahren. Leider konnte – oder wollte – sie mir nichts sagen, sie wüsste nichts von seinen früheren Machenschaften im Dritten Reich.

Erst nach dem Tod der beiden Roeders wurde langsam bekannt, dass es sich bei dem Kriegsverbrecher Dr. phil. Rudolf Oebsger-Röder und dem in Indonesien lebenden Dr. O. G. Roeder (genannt Rolf ) um ein und dieselbe Person handelt. Auch die Verbrechen, die er begangen haben soll, wurden erst im Nachhinein bekannt. Es war für mich – wie für alle, die ihn persönlich kannten – ein großer Schock, denn ich hatten viele vertrauliche Gespräche über politische und wirtschaftlich Themen mit ihm geführt. Keiner ahnte etwas von seiner anrüchigen Vergangenheit. Es ist für mich bis heute kaum verständlich, wie ein Mensch zwei so grundverschiedene Leben hat führen können.

Selbst nach seinem Tod lebt Dr. Roeder mit seinen Büchern in Indonesien weiter. Das hier gezeigte Buch ‚Indonesia‘ habe ich 2018 in einem GRAMEDIA-Buchladen auf Bali entdeckt und gekauft. Ich denke, es war sein letztes Werk.

Abb. 74-8, Das Buch ‚Indonesia, a personal introduction‘ von O. G. Roeder

Abb. 74-9, Dr. Roeders Buch über Präsident Suharto, den zweiten Präsidenten Indonesiens

Abb. 74-10, Text auf dem Schutzumschlag mit dem Foto des Autors mit Präsident Suharto

Abb. 74-11, Widmung Roeders in dem Buch Smiles in Indonesia, das er mir im Januar 1973 überreichte

Abb. 74-12, Eine mir ausgestellte ‚Ärztliche Bescheinigung‘ von Dr. med. Ortrud Roeder

Im Bundesarchiv in Koblenz liegen unzählige Dokumente über Dr. phil. Rudolf Oebsger-Röder aus dem Dritten Reich und über den in Indonesien lebenden Dr. O. G. (Rolf ) Roeder aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber die Veröffentlichung all dieser Dokumente würde den Rahmen dieses Buches sprengen.

Ab den 1960er Jahren traf ich oft Herrn Schneider, über den ich schon zuvor berichtet habe.27 Durch ihn bekam ich einen weiteren Hinweis über Deutsche in Indonesien. Er war Hilfskraft an der Deutschen Botschaft in Jakarta und wurde allgemein ‚Kumpel Schneider‘ genannt. Als er mir eines Tages erzählte, er wäre Sparringpartner von Max Schmeling28 gewesen, dachte ich zunächst, das wäre in Deutschland gewesen. Zu einem späteren Zeitpunkt sagte er, Max Schmeling hätte in Indonesien geboxt. Er wäre nach dem Krieg für einige Zeit in Indonesien untergetaucht. Max Schmeling, der Schwergewicht-Boxweltmeister von 1930 bis 1932 und der Europameister von 1939, in Indonesien? Das konnte ich kaum glauben und damals fand ich auch in Indonesien keine weiteren Hinweise, die darauf hindeuteten. Bis heute gibt es im Internet keinen einzigen Treffer zu ‚Max Schmeling und Indonesien oder Java‘. Viele Jahre später erzählte mir der alte Oberkellner vom Hotel Savoy-Homan in Bandung, dass Max Schmeling Ende der 1940er oder Anfang der 1950er Jahre hier in dem damaligen Luxushotel gewohnt hätte. Eine Gästeliste jener Zeit konnte er allerdings nicht mehr finden. Nun wurde ich hellhörig: Stimmte es doch, was mir Herr Schneider gesagt hatte?

Schmeling wurde im Dritten Reich als international bekannter deutscher Sportler von Joseph Goebbels als Sprachrohr für die Nazi-Propaganda vereinnahmt. Nachdem Schmeling im Juni 1936 den bisher ungeschlagenen Joe Louis besiegte, war er weltberühmt. Millionen Menschen saßen in Deutschland mitten in der Nacht vor den Radios und lauschten der Live-Übertragung auf Kurzwelle aus dem New Yorker Yankee-Stadion. Auch mein Vater erzählte, dass er den Boxkampf mit seinem Volksempfänger aufgeregt verfolgt hätte. Durch Max Schmeling wurden die damals noch zurückhaltenden Vereinigten Staaten von Amerika überzeugt, die Olympischen Spiele von 1936 in Berlin nicht zu boykottieren. Max Schmeling traf mehrmals Joseph Goebbels und andere Größen des Dritten Reichs. Er war also ziemlich tief mit Nazi-Deutschland verstrickt. Er gehörte zu ‚Hitlers nützlichen Idolen‘.

Während des Zweiten Weltkriegs war Schmeling bei den Fallschirmjägern in Kreta eingesetzt. Nach einer Verletzung wurde er dem Aufsichtspersonal verschiedener Kriegsgefangenenlager zugeteilt.

Abb. 74-13, Bericht in der Zeitschrift ‚Der Adler‘ vom 18. März 1941, Heft 5

Abb. 74-14, Bericht in der Zeitschrift ‚Der Adler‘ vom 18. März 1941, Heft 5

Abb. 74-15, Bericht in der Zeitschrift ‚Der Adler‘ vom 18. März 1941, Heft 5

Abb. 74-16, Bericht in der Zeitschrift ‚Der Adler‘ vom 18. März 1941, Heft 5

Nach Kriegsende wurde Schmeling 1946 zu drei Monaten Haft verurteilt, aber nach der Entnazifizierung wurde er als unbelastet entlassen. Aber warum sollte er in Indonesien untertauchen, wenn er als ‚unbelastet‘ galt? War da noch ‚Etwas‘, das er verheimlicht hatte?

Wann und wie Schmeling nach Java kam konnte ich nicht herausfinden. Von Dr. Rudolf Liesenfeld29 erfuhr ich, dass ihm sein Vater erzählte, dass Schmeling kurz nach dem Ende des Unabhängigkeitskriegs ab Dezember 1949 in Java war. Wie ich zwischenzeitlich in Box-Clubs in Jakarta erfuhr, trainierte Herr Schneider, der schon vor dem Zweiten Weltkrieg als Boxer in Deutschland aktiv war, junge Indonesier im Boxsport. Als Max Schmeling nach Java kam, war Schneider sein Sparringpartner und sie führten auch Schaukämpfe durch. Schmeling boxte wohl auch selbst in verschiedenen Städten Javas, fungierte aber meist nur als Schiedsrichter.

Nun wurde zu meiner Überraschung in der Wochenzeitschrift DER SPIEGEL 7/2030 ein Foto veröffentlicht, das Max Schmeling 1953 in Surabaya zeigt. Er legt seine schweren Boxer-Pranken auf die Schultern eines 13-jährigen Mädchen, der heute in Deutschland lebenden 80-jährigen Anneliese Ibbeken. Schmeling übernahm 1952 die Coca-Cola Vertretung für Deutschland und er war zu dieser Zeit bereits ein erfolgreicher Unternehmer. Warum sollte er dann untertauchen?

Max Schmeling scheute sein ganzes Leben lang den Medienrummel, der um seine Person gemacht wurde. Ist das der Grund, dass in Deutschland wie auch in Indonesien so gut wie nichts über seine Zeit auf Java zu erfahren ist? Es bleiben heute somit noch einige ungelöste Rätsel. Vielleicht finden sich in Zukunft weitere Einzelheiten, um die Lücken in seinem Lebenslauf zu füllen.

Auf einer kleinen Aru-Insel vor der Westküste Neuguineas, die auf keiner der üblichen Landkarten zu finden ist, trafen Anfang der 1970er Jahre meine abenteuerlustigen Freunde Renate und Bernd Pullig einen alten deutschen Militärarzt aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, der mit einer Einheimischen verheiratet war.31 Es gab auf der Insel damals noch kein Telefon, kein Fernsehen, kein Postamt, aber eine kleine ‚Klinik‘ des deutschen Arztes. Wie kam es, dass es einen deutschen Arzt auf dieses kleine Eiland am Ende der Welt verschlagen hatte? Folgte er dem Ruf von Präsident Sukarno, der nach dem Rausschmiss der Niederländer aus Indonesien ab 1950 deutsche Ärzte bat, nach Indonesien zu kommen? Mehrere Hundert deutsche Ärzte, die nach der Kriegsgefangenschaft in das zerstörte Deutschland zurückgekommen waren, folgten dem Ruf Sukarnos, des ersten Präsidenten Indonesiens, und sie waren meist in abgelegenen Gebieten Indonesiens tätig.32 Manche blieben einige Jahre lang in Indonesien, andere ihr ganzes Leben. Nach Ablauf ihres normalerweise fünfjährigen Vertrage suchten viele sich schönere Orte im Archipel aus, um weiter tätig zu sein.

Ich hatte Anfang der 1960er Jahre noch Gelegenheit, einige dieser Ärzte zu treffen, in Jakarta, in Bandung, in Medan und auf Bali. Sie waren dem Ruf Sukarnos nicht aus Abenteuerlust oder aus humanitären Gründen, um den Menschen der Dritten Welt zu helfen, gefolgt. Nein, sie kamen meist aus der Kriegsgefangenschaft in das zerstörte Deutschland zurück und hätten nur eine unbezahlte Arbeit in deutschen Kliniken erhalten können. In Indonesien erhielten sie wenigstens ein Gehalt, von dem sie gut leben konnten. Allerdings war das Leben in den einsamen Gebieten des riesigen Archipels meist nicht einfach. Damals gab es noch keinen Strom, keine Straßen oder Flugverbindungen, keine europäischen Nachbarn und keine Schulen für die Kinder. Es gab nicht einmal ein veröffentlichtes deutsch-indonesisches Wörterbuch! Zwar hatte die Schulleiterin der Deutschen Schule in Sarangan, Frau Lydia Bode, ein Wörterbuch und eine Grammatik der Bahasa Indonesia zusammengestellt. Aber damals fehlte das Geld, um die Bücher zu veröffentlichen.33

Die deutschen Ärzte in Indonesien mussten täglich improvisieren, auch mit der Nahrung. Von Kartoffeln, Brot oder Milch konnte man nur träumen. Aber man hatte ein eigenes Haus, eine Köchin, ein Kindermädchen, einen Hausboy und so weiter.

War der Arzt, den Renate und Bernd auf einer kleinen Aru-Insel antrafen, einer der für Sukarno arbeitenden Ärzte, der in Indonesien geblieben war, oder ein Nazi, der sich durch eine Flucht auf dieses abgelegene Fleckchen Erde einer Verurteilung durch die Bundesrepublik Deutschland oder durch die Alliierten entzog? Ich denke, eher Letzteres! Sicherlich hat sich manch ein Verdächtiger unter die große Gruppe der nach Indonesien ausreisenden Ärzte gemischt. Außerdem gelang Tausenden einflussreicher Nazis mit Hilfe des Vatikans auf der sogenannten Rattenlinie mit gefälschten Papieren eine Ausreise nach Südamerika und Asien.34 Sie versteckten sich meist auf solch abgelegenen Inseln. Dort waren sie sicher und konnten nicht aufgespürt werden.35

2 Horst H. Geerken, Hitlers Griff nach Asien, Band 2, S. 324ff

3 Band 1, S. 216 und Band 3, S. 296

4 1912-1992

5 Mitgliedsnummer 475.061

6 Michael Wildt: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes. Hamburg 2002, S. 477

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