Indonesien gestern und heute - Horst H. Geerken - E-Book

Indonesien gestern und heute E-Book

Horst H. Geerken

4,8

Beschreibung

Horst H. Geerken lebte von 1963 bis 1981 in Indonesien. Neben seiner beruflichen Tätigkeit für einen großen deutschen Industriekonzern bereiste er intensiv große Teile des riesigen indonesischen Archipels. Nach 1981 besuchte er jährlich – nach 1993 zusammen mit seiner Lebensgefährtin Annette Bräker – das Land. Annette Bräker kam bereits in jungen Jahren mit Südostasien in Kontakt. Ihr Vater war Orientalist und sie durfte ihn, beziehungsweise ihre Eltern, auf mancher Forschungsreise begleiten. Dabei lernte sie besonders Indonesien lieben. Annette Bräkers Studium der Malaiologie, der Vergleichenden Religionswissenschaft und der Orientalischen Kunstgeschichte verband sie besonders eng mit Südostasien. Beide – Annette Bräker, wie auch Horst H. Geerken – gelten als Kenner von Land, Kultur und Menschen Südostasiens, aber besonders von Indonesien. Horst H. Geerken veröffentlichte bereits mehrere einschlägige Werke mit historischen Fakten über Indonesien, wie ‚Der Ruf des Geckos‘, A Gecko for Luck‘ oder ‚A Magic Gecko‘. Das letzte Werk ist eine zweibändige Dokumentation über den Einfluss des Dritten Reichs auf die Unabhängigkeitsbewegung in Niederländisch Indien bis zum Erreichen der endgültigen Unabhängigkeit Indonesiens durch Präsident Soekarno. Das Buch hat den Titel ‚Hitlers Griff nach Asien‘. Alle diese Bücher haben den guten Ruf von Horst H. Geerken als Kenner der Region nicht nur in Deutschland und Indonesien, weiter gefestigt. Sämtliche Bücher sind auf Deutsch, Englisch und in Bahasa Indonesia erschienen. Annette Bräker stand Horst H. Geerken immer beratend zur Seite. Das vorliegende Buch besticht durch amüsante Reiseerlebnisse in dem riesigen indonesischen Archipel in der Zeit von 1964 bis heute. Als menschlich heitere, ja humorvolle Lektüre ist dieses Buch besonders empfehlenswert.

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Reiseberichte der anderen Art

von

Annette1 Bräker und Horst H. Geerken

Auszüge aus den Reisetagebüchern

von Annette Bräker und Horst H. Geerken,

sowie aus Briefen und E-Mails von Annette

an ihre Eltern und Freunde

(bearbeitet und zusammengefügt

von Horst H. Geerken)

1 Durch den Fehler eines Standesbeamten wurde in einer Urkunde ein ‚n‘ in Annettes Vornamen unterschlagen. In offiziellen Dokumenten wird nun Anette mit nur einem ‚n‘ geführt, aber im Familien- und Freundeskreis ist sie weiterhin unsere Annette. Daher wird Annette in diesen Reiseberichten durchgehend mit zwei ‚n‘ geschrieben.

Voller Dankbarkeit schaue ich zurück auf die Zeit,

die ich zusammen mit Annette erleben durfte!

Dieses Buch ist Ilse, Annettes Mutter, gewidmet,

einer aufrechten, ehrlichen und tapferen Frau und

– wie Annette immer betonte – einer guten Mutter.

Inhalt

Dank

Vorwort

Reise durch Java nach Bali, Januar 1964

Sumatra, Java, Bali, Juli-September 1987

Bali, Sulawesi und Java, Februar-April 1989

Sumba, Februar 1996

Bali, Februar/März 1996

Mit der KM DOBONSOLO nach Neuguinea, Dezember 1996 und Bali/Java, Januar/Februar 1997

Borneo, Februar 2001

Java, Februar/März 2001

Bali, Februar/März 2009

Bali, Februar-April 2012

Java und Bali, Februar-April 2014

Nachwort

Abb.1 Übersichtskarte Indonesien

Dank

Besonders dankbar bin ich Annettes Mutter, die mir freundlicherweise Annettes Briefe von ihren Reisen zur Auswertung überlassen hat. Ohne diese Briefe wäre eine Rekonstruktion von Annettes Reisen kaum möglich gewesen.

Mein besonderer Dank gebührt auch Sabine Berner-Hoffmann, die mir bei der Auswahl der Fotos, beim Layout des Buchumschlages und bei der Realisierung der Landkarten große Hilfe leistete. Sabine ist Annettes langjährige gute Freundin gewesen. Dies zeigt auch Annettes Bericht ihrer gemeinsamen Reise von 1986 nach Indonesien.

Weiterhin bin ich Anne Schlichtiger-Mason zu großem Dank verpflichtet, da sie mir – obwohl sie unter großen Schmerzen leidet – einen Teil von Annettes mit Maschine geschriebenen Berichten in das Word-Programm transkribiert hat.

Meinem Bruder Hartmut bin ich dankbar, dass er mir bei der Findung des passenden Titels zu diesen Reiseerzählungen tatkräftig zur Seite stand, und Horst Jordt, Präsident der Walter Spies Gesellschaft Deutschland, der mich bei Fragen zu Walter Spies beriet.

Im Februar 2016

Horst H. Geerken

Vorwort

Annettes Vater, Professor Dr. Hans Bräker, war Orientalist. Er war Gründer und Leitender Wissenschaftlicher Direktor des ‚Bundesinstituts für Ostwissenschaftliche und Internationale Studien‘ in Köln, das dem Auswärtigen Amt angeschlossen war. Anlässlich einer Forschungsreise Ende der 1960er Jahre waren Annettes Eltern in Indonesien meine Gäste bei einer Indonesischen Reistafel. Ich selbst war schon seit Anfang der 1960er Jahre als Resident eines großen deutschen Industriekonzerns in Indonesien tätig. Seit dem gemeinsamen Essen bei mir zu Hause in Jakarta waren das Ehepaar Bräker und ich freundschaftlich verbunden. Annette traf ich erstmals 1991 bei einer Feier von gemeinsamen Freunden. Annette war wieder alleine und ich auch. Wir verstanden uns auf Anhieb gut, hatten viele gemeinsame Interessen und kurz danach waren wir ein glückliches Paar.

Annette war durch ihr Studium der Malaiologie, der Vergleichenden Religionswissenschaft und der Orientalischen Kunstgeschichte besonders eng mit Südost-Asien verbunden. Daher durfte sie bereits ihre Eltern bei vielen Reisen in diesen Raum begleiten. So war sie – bevor wir uns kennenlernten – zum Beispiel bereits in Indien, Kambodscha, Laos, Birma, Singapur und Indonesien. Obwohl Annette und ich oft zur selben Zeit in Indonesien weilten, trafen wir uns dort nie. Jedes Mal befanden wir uns auf unterschiedlichen Inseln des riesigen Archipels am Äquator.

Annette und ich setzten die ausgedehnte Reisetätigkeit fort. Jedes Jahr reisten wir nach Indonesien, das durch meine langjährige berufliche Tätigkeit dort und Annettes Studium zu unserer zweiten Heimat wurde. Gemeinsam bereisten wir noch weitere 57 Länder. Wir unternahmen zusammen exotische Aktionen wie die Durchquerung der Wüste Gobi in der Mongolei, eine abenteuerliche Reise von Pakistan durch das Hunza-Tal über den 5.000 Meter hohen Khunjerab Pass (auch: Kunjirap La, den höchsten befestigten Pass der Welt) nach China, eine Schiffsreise nach Neuguinea, eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn an den Baikalsee, die Überquerung des Indischen Ozeans und des Atlantiks mit einem Großsegler, oder einen Besuch des ehemaligen Königreichs Sikkim im Himalaya, zu dem ich durch meinen Funkkontakt mit dem König2 eine besondere Verbindung hatte. Wir ließen nichts aus und genossen das Leben!

Annette hatte neben anderen Hobbys eines, das sie besonders faszinierte: SCHUHE! Sie kaufte nicht nur unzählige Schuhe in Deutschland und Italien ein, auf Bali ließ sie sich Dutzende Paare anpassen und von Hand anfertigen. Auch die Schuhmacher sind auf Bali Künstler! Oft entwarf Annette zusammen mit dem Schuhmacher ein Modell. Es folgten Anproben, und wenn das erste Paar – wie fast immer – wie angegossen passte, wurde eine ganze Serie in den verschiedensten Farben gefertigt. Schuhe waren Annette ganz wichtig, möglichst bunt, so wie ihre Kleidung. Immer schick!

Und da Tanzen – besonders Lateinamerikanisch – unser gemeinsames Hobby war und wir auf Bali fast jeden Abend in einer anderen Lokalität tanzen gingen, erklärt es sich, dass in den ‚Reiseerzählungen der anderen Art‘ auch immer wieder Schuhe und Tanzen eine Rolle spielen.

Bei Annette wurde Anfang 2012 Krebs diagnostiziert. Mutig und diszipliniert machte sie mit ihrem bis zum Schluss bejahenden Wesen noch jede weitere Reise mit, ohne auch nur einmal zu jammern oder über Unannehmlichkeiten zu klagen. Aus ihren vielen Reiseberichten aus Indonesien, die oft nachdenklich, aber auch immer wieder voller Ironie und Humor waren, habe ich Ausschnitte in diesem Buch zusammengefasst. Obwohl Annette beim Verfassen des letzten Reiseberichts von 2014 bewusst war, dass ihr endgültiger Abschied in allernächster Zukunft lag, strahlt dieser immer noch eine ganz wunderbare und ansteckende Heiterkeit aus. Annette Bräker war eine ganz außergewöhnliche und tapfere Frau. Ich vermisse sie sehr!

Natürlich habe ich immer wieder meinen Teil zu den Reiseberichten beigesteuert, zum Beispiel durch viele Gespräche, die dann in Annettes Berichte eingeflossen sind. Andere Teile in ihren Berichten hat Annette direkt von mir übernommen. Diese Abschnitte sind dann kursiv geschrieben.

Beim Verfassen des Berichtes von meiner ersten Durchquerung Javas nach Bali im Jahre 1964 kannte ich Annette noch nicht. Damals war sie erst 12 Jahre jung und ging noch zur Schule. Von ihren weltoffenen Eltern erfuhr sie jedoch – so wie ich von meinen – schon in jungen Jahren viel über ferne Länder, besonders über Asien. Auch Annette kannte mich bei der Abfassung des Bericht über ihre Reise im Jahr 1989 mit ihrer lieben Freundin Sabine (im Bericht Bine genannt) nach Bali, Sulawesi und Java nur durch Erzählungen ihrer Eltern. Erst zwei Jahre später kamen wir uns näher.

Von den meisten Berichten sind die elektronischen Speichermedien (zu der Zeit meist Disketten) verloren gegangen. Ich fand jedoch noch Annettes Bericht für ihre Freundin Sabine von der gemeinsamen Reise im Jahr 1989. Weitere Berichte stellte ich aus Annettes Briefen und E-Mails an ihre Eltern und Freunde zusammen. Eine besondere Hilfe war dabei Annettes Mutter Ilse, die alle Briefe der letzten Jahrzehnte von Annette fein säuberlich gesammelt und aufgehoben hatte.

Es war immer schon ein Wunsch Annettes, Ausschnitte ihrer Reiseberichte zu bündeln und in einem Buch zu veröffentlichen. Auch in den drei Jahren vor ihrem Tod redeten wir oft über dieses Thema. Aber dann fehlte Annette die Kraft und sie kam nicht mehr dazu. Nun will ich ihren Wunsch posthum erfüllen, und aus ihren Unterlagen und gemeinsamen Aufzeichnungen von uns beiden über einige Reisen nach Asien Berichte zusammenstellen und veröffentlichen, zum Gedenken an eine außergewöhnliche, liebe und tapfere Frau. Der Reigen soll beginnen mit diesen ‚Reiseberichten der anderen Art‘ aus Annettes Lieblingsland – Indonesien.

2 Geerken, Der Ruf des Geckos, S. 319ff

Reise durch Java nach Bali Januar 1964

von Horst H. Geerken

Im Januar 1964 trat ich meine erste Reise nach Bali an. Dort sollte der erste zivile internationale Flughafen gebaut werden. Bisher bestand der Flughafen nur aus einer einfachen holprigen Graspiste. Sukarno (auch Soekarno) wollte diesen Flughafen internationalen Bestimmungen entsprechend ausbauen, um Bali für den Tourismus zu öffnen. Meine Firma in Deutschland war an dem Ausbau beteiligt, und so musste ich regelmäßig für Verhandlungen oder die Überprüfung des Baufortschritts nach Bali.

Es gab noch keine Flugverbindung von Jakarta nach Bali, daher musste ich die beschwerliche Reise mit dem Auto unternehmen. Bevor man damals eine längere Reise antrat, musste man sich ausrüsten wie für eine Expedition. Der Kofferraum wurde gefüllt mit Ersatzkanistern für Benzin, einem Kanister mit Süßwasser, Bettwäsche, einem kleinen Campingkocher, um in Notfällen Trinkwasser und Wasser zum Zähneputzen abkochen zu können, Kaliumpermanganat zum Waschen und Desinfizieren von Obst, einer Hausapotheke, einer Flitspritze gegen Moskitos, Ameisengift, einer Dose mit DDT gegen Wanzen und Flöhe, einer Taschenlampe, Wachskerzen und Streichhölzern, einer Petroleumlampe, da es unterwegs meist keine Elektrizität gab, Besteck, Tee, Zucker, Marmelade, Zwieback, Toilettenpapier, Nähzeug, Hand- und Geschirrtüchern und so weiter. Der Kofferraum war voll! So blieb für mich außer meinem Aktenköfferchen, das ich vorne mit im Fond hatte, um – wenn es nicht zu sehr schwankte – zu lesen und zu arbeiten, nur noch Platz für eine Reisetasche für meinen täglichen Bedarf.

Mein indonesischer Gesprächspartner für dieses Projekt war in Jakarta ein Ingenieur aus dem Batakerland in Sumatra, der seine Ausbildung in Deutschland erhalten hatte. Menschen aus dieser Region Sumatras waren bekanntermaßen gute Geschäftsleute. Kurz vor meiner Abreise besuchte ich noch diesen Herrn aus dem Batakerland in seinem Ministerium. Er gab mir den Rat mit auf die Reise: ‚Arbeiten Sie nicht zu viel, Herr Geerken. Besser ist es, auf dem Sofa zu sitzen und nachzudenken‘! Offensichtlich hatte er auch schon viel ‚nachgedacht‘, denn er war – für Indonesier eher ungewöhnlich – sehr füllig. Eine seiner Bemerkungen, dass auch deutsches Blut in seinen Adern fließen würde, überraschte mich doch sehr, denn der Herr war ziemlich dunkelhäutig. Nach seiner Erklärung: ‚Mein Großvater hat noch einen deutschen Missionar aufgefressen‘, war alles klar!

Die Bataker sollen bis vor gut einem Jahrhundert noch Kannibalen gewesen sein. Nach alten Reiseberichten wurde noch 1907 öffentlich Menschenfleisch verkauft, und viele europäische Missionare sind aus dem Batakerland nicht zurückgekommen. Ein solches Ende soll aber nur fremden Eindringlingen, Kriegsgefangenen, Ehebrechern und Dieben widerfahren sein. Der Herr konnte also mit seiner Bemerkung durchaus Recht haben. Wie ihm sein Großvater erzählt hatte, sollen die Handballen der weißen Missionare die größte Delikatesse gewesen sein. Dies bestätigt auch Louis Couperus in seinem Buch „Unter Javas Tropensonne“ von 1925.

Touristen müssen heutzutage keine Angst mehr haben, aufgefressen zu werden, aber Hunde leben dort bis heute nicht sicher. Im Reich der Bataker wird nämlich Hundefleisch als große Delikatesse geschätzt. Für uns ist das sehr ungewöhnlich, aber viele Indonesier sind genauso entsetzt, wenn sie hören, dass wir in Europa Schweine essen. In Jakarta hatte ich einen Bataker als Nachbarn. Er wollte mich immer wieder überzeugen, wie lecker Hundefleisch schmecken würde. Ich habe aber alle Einladungen zu einem Mahl dankend abgelehnt und auf meine eigenen beiden Hunde Aldi und Blacky immer ein besonders wachsames Auge gehabt.

Schon morgens um 4:30 Uhr war ich mit meinem Fahrer Sudjono in Jakarta losgefahren, um die größte Hitze des Tages zu vermeiden. Es war wunderschön in der Morgendämmerung zu fahren, durch Palmenhaine und Dörfer mit strohgedeckten Häusern. Schon kurz hinter Jakarta, nach der flachen Küstenebene, sah man bei guter Sicht die Berge Gunung Salak und Pangrango. Nun kamen wir in die grünen Hügel von Bogor vor dem Punjak-Pass (heute: Puncak-Pass). Vorbei ging es an dem botanischen Garten von Bogor, der von dem deutschen Botaniker Kaspar Georg Karl Reinwardt gegründet und gestaltet wurde. 1817 wurde der bis heute auf der ganzen Welt berühmte botanische Garten eröffnet. Hier steht immer noch der überdimensionale Palast des holländischen Gouverneurs, der aber nun von Präsident Soekarno als Sommerpalast genutzt wurde. Nach Bogor, einer regenreichen Stadt, ging es bergauf. Links und rechts der Straße lagen herrliche Villen in den Feldern, in denen die Europäer während der Kolonialzeit ihre Wochenenden im kühleren Klima verbrachten. Heute haben sich dort viele ausländische Geschäftsleute und Diplomaten für die Wochenenden eingemietet. Die Reisterrassen wurden weniger, und nun ging es in vielen Kehren durch Teeplantagen in Richtung Punjak-Pass. Der Geruch der blühenden Bäume und Sträucher wurde immer intensiver. War unten, vor Bogor, der Verkehr noch ziemlich heftig, so hatte man hier oben auf der kurvenreichen Straße freie Fahrt. Nur ab und zu begegnete man einem Militärfahrzeug. Bauern und Teepflückerinnen in bunten Sarongs und mit großen kegligen Strohhüten waren schon unterwegs, um die Tagesarbeit zu beginnen. Indonesier sind Frühaufsteher.

Schon bald, mit dem ersten Licht des Morgens, pflücken die Frauen mit feinem Fingerspitzengefühl die äußersten vier Blätter der jungen Triebe von den kugelförmigen Teebüschen. Mit den bunten gebatikten Kains (Wickelröcken) und dem Schnürleibchen wirken sie wie farbige Flecken in der grünen Landschaft. Am Morgen ist es noch frisch. Gegen die Kälte haben sie noch einen langen Slendang (Tuch) um die Schultern drapiert. Sie unterhalten sich schon fröhlich, denn immer wieder flattert durch das geöffnete Fenster ein plötzliches Lachen zu mir hin. Es ist ein sorgloses Lachen, wie von Kindern.

Die Teepflückerinnen tragen einen langen schmalen Korb auf dem Rücken, in den sie zielsicher eine Handvoll Triebe nach der anderen über die Schulter hineinwerfen. Die jüngsten drei Blättchen ergeben den besten Tee. Das vierte Blatt wird später in der Fabrik abgezupft und ergibt, zusammen mit dem Stängel, eine minderwertigere Qualität.

Hier oben, mitten in den Teeplantagen, hatte Präsident Soekarno sein sogenanntes ‚Teehaus‘ bauen lassen, das er immer gerne mit ausländischen Staatsgasten besuchte. Von hier hatte man einen überwältigenden Ausblick über die grünen Teeplantagen und die wasserbedeckten Reisfelder im Tal. Allerdings musste man in dieser Höhe immer mit einem Regenguss rechnen. Die Teepflückerinnen und die Bauern hielten dann einfach ein riesiges Bananenblatt als Regendach über den Kopf.

Wenn man 1964 über das Land fuhr, haben sich immer wieder Bauern an der Straße und auf den Feldern vor dem ‚weißen Mann‘ im Auto tief verneigt. Die von den Holländern eingehämmerte Geste der Unterwürfigkeit saß tief! Ganz oben, im Hotel und Restaurant auf dem Punjak-Pass, zwischen Tjemara-Bäumen (heute: Cemara) mit ihrer üppigen Nadelpracht und Tamarisken, gab es immer eine Teepause. Hier gedeihen Sonnenblumen und Dahlien: eine Stimmung wie in einem europäischen Garten! Es war morgens in dieser Höhe noch sehr frisch. Die Sonne stand ganz flach am Himmel. Der Blick, nun nach Osten über die Reisterrassen und Kokospalmenhaine des Preangerlandes (der Gegend um Bandung), über das hügelige Gelände mit der kleinen Moschee im Frühnebel, war traumhaft schön. Riesige Bambusbüsche, mit ihren sich nach oben hin verjüngenden armdicken Trieben, wirkten aus der Ferne wie zarte zerbrechliche Kunstwerke. Der Wind trieb grüne Wellen durch das Meer der terrassenförmig angelegten Reisfelder. Noch glasklar ragten die Vulkane Gunung Gede und Gunung Salak in den blauen Himmel. Deutlich erkannte man dann die Spuren, die einst die über den Kraterrand strömende Lava bis tief hinab ins Tal hinterlassen hat. Nur eine oder zwei Stunden später verschwanden die Gipfel dann für den Rest des Tages in dunklen Wolken. Ich sollte noch unzählige Male diese Route befahren und jedes Mal machte ich hier Rast. Immer wieder stand ich oben an diesem Aussichtspunkt in der Morgendämmerung und wurde von der unglaublichen Schönheit dieses Panoramas und der zarten Atmosphäre des frühen tropischen Morgens überwältigt.

Nun ging die Reise weiter, in engen Kurven nach unten in flacheres Land. Es fällt auf, dass die Namen vieler Dörfer mit Ci beginnen, dem sundanesischen Wort für Wasser oder Fluss. Kein Wunder, denn hier gibt es viel Wasser. Alle Dörfer liegen an einem Fluss oder größeren Bach. Es war Reisernte. Hunderte von Frauen und Männern in langen Reihen mit den großen schattenspendenden konischen Strohhüten standen in den Reisfeldern, um die Ähren zu ernten. Die Reisernte ist immer ein buntes und fröhliches Fest. Dabei werden auf ganz Java riesige Flächen Ähre um Ähre einzeln abgeerntet, mit einem kleinen Messerchen, das in der Hand nach innen gehalten wird, unsichtbar für den Reishalm. Die Ähre soll sich beim Anblick des scharfen Werkzeuges nicht ‚erschrecken‘. Denn in jeder Reisähre lebt für die Indonesier die Göttin des Reises: Sri Dewi. Somit hat jede Reisähre eine Seele, wie jeder Mensch und jedes Wesen, und dieser Seele würde man beim Anblick einer Sichel oder Sense große Furcht einjagen. Sri Dewi wacht aber nicht nur über das Gedeihen des Reises, sie ist auch für die Fruchtbarkeit der Frauen zuständig.

Die Ähren werden dann zu großen Büscheln gebunden, wie mächtige Blumensträuße. Mit diesen Reisgarben auf den Häuptern gehen die Frauen am Abend kerzengerade und graziös in rhythmischem Schritt zu ihren Dörfern zurück. Nur die Augen schweifen umher, um die Welt zu beobachten. Die Männer binden die Garben an die Enden der Pikul, einer federnden Bambusstange, die sie auf der Schulter tragen. Die Lasten sind schwer und müssen im Gleichgewicht gehalten werden indem die Träger mit einem Arm kräftig schwingen und mit der anderen Hand das auf und ab wippende Bambusjoch auf ihrer Schulter festhalten. Dies führt zu dem typisch federnden und tänzelnden flotten Gang der Träger.

Wenn man über die Insel Java fährt, kann man die Reisernte immer wieder zu den verschiedensten Jahreszeiten erleben. Die vulkanischen Böden Javas gehören zu den fruchtbarsten der Welt. Immer kann man zweimal, oft sogar dreimal im Jahr den Nassreis ernten. Die enorme Fruchtbarkeit der Böden, auf denen schon seit Jahrtausenden intensiv Reis angebaut wird, zeugt von der Fertigkeit der Kultivierung, der Kunst und dem Fleiß der Reisbauern. Urkräfte der Natur, wie die regelmäßigen Vulkanausbrüche, Erdbeben, Überschwemmungen oder Dürreperioden haben sie immer gemeistert.

Plötzlich rannte eine schwarze Katze kurz vor dem Auto über die Straße und mein indonesischer Fahrer konnte nur durch eine Vollbremsung das Tier vor dem sicheren Tode retten. Wir stiegen aus dem Auto aus. Nichts passiert! Aber mein Fahrer Sudjono sagte: ‚Nun müssen wir bei der Weiterreise sehr aufpassen. Das war ein ganz schlechtes Omen.‘

Erst am Abend erreichten wir Bandung, meine erste Station. Die Straßen waren schlecht und schmal, mit Schlaglöchern übersät. Man musste vorsichtig und langsam fahren, um den Wagen nicht zu demolieren. Ich übernachtete in dem alten Kolonialhotel Savoy Homann. Es war damals das Hotel in Bandung, in einem späten Art Deco-Stil erbaut, mit riesengroßen Zimmern. Wegen der geschwungenen Balkone, der runden Linien und Kurven, sowie mancher Bullaugen nachempfundenen Fenster, wurde diese Richtung des Art Deco auch ‚Ocean Liner Style‘ genannt. Dieser Stil drückt Bewegung, moderne Technologie und Optimismus aus.

Hier erholte ich mich nach der ersten Etappe meiner Reise in den wuchtigen weinroten Sesseln der Bar und im an die Bar anschließenden wunderschönen Art Deco-Speisesaal. Wegen der unzähligen Schlaglöcher auf den Straßen, denen man nicht immer ausweichen kann, ist eine Reise über Land sehr anstrengend. Seit der niederländischen Kolonialzeit war die Indonesische Reistafel im Hotel Homann eine Spezialität. Zur Jalan Asia Afrika (der Asia-Afrika Straße) hin waren die Räume offen. Den Namen bekam sie anlässlich der 1955 von Präsident Soekarno einberufenen Asia-Afrika-Konferenz für die ‚Newly Emerging Nations‘. Auf der Straße waren nur Becaks (Fahrradrikschas) und kleine Pferdekutschen unterwegs. Zur Kühlung summten nur die Ventilatoren an der Decke. Die Kompanien von Bediensteten in gestärkten weißen Uniformen waren noch vom ‚alten Schlag‘, nicht mehr jung, aber unglaublich aufmerksam.

Das Hotel war – wie alle Hotels in Indonesien – auch für die Übernachtung der Chauffeure eingerichtet. Wie in der Kolonialzeit fuhr man damals kaum selbst. Daher bezahlten auch die Stammhäuser in Deutschland noch diesen Luxus für ihre nach Indonesien entsandten Mitarbeiter. Für meinen Sudjono war also gesorgt. Er bekam seinen eigenen Schlafplatz, und die Fahrer hatten ihren eigenen Speiseraum. Dieser Service für die Fahrer war im Normalfall bereits in dem Preis des Gastes enthalten.

Als ich mit einem alten Kellner auf die Kolonialzeit zu sprechen kam, zeigte er mir den berühmten und berüchtigten runden Tisch mit einem großen Loch in der Mitte. Das Hotel Savoy Homann war während der Kolonialzeit das beliebteste Hotel der holländischen Pflanzer aus dem Preangerland, wo hauptsächlich Tee, aber auch Kaffee und Chinin angepflanzt wurden. Hier wurde an Wochenenden bis in die Morgenstunden gefeiert und kräftig getrunken. Wie mir der Kellner erzählte, sollen die Plantagenverwalter auf ihren Pferden bis hinein in die Lobby und an die Bartheke geritten sein. Trinkgelage der Pflanzer fanden dann an dem runden Tisch statt. In der Mitte des Tisches, unterhalb dieses Loches, musste ein indonesischer Diener kauern, in der einen Hand einen Fächer, um die Fliegen und Moskitos von den Füßen der Pflanzer zu vertreiben, in der anderen Hand einen Krug voll Wein. Die Holländer saßen rund um den Tisch, und wenn ein Glas leer getrunken war, bekam der Diener unter dem Tisch einen Fußtritt als Signal, durch das Loch in der Mitte des Tisches hochzuschnellen, das Glas wieder aufzufüllen, sofort wieder unter dem Tisch zu verschwinden und geduldig auf den nächsten Fußtritt zu warten. Die Einheimischen waren gewohnt, von den Kolonialherren menschenunwürdig behandelt zu werden.

Immer wieder sollen betrunkene und randalierende Plantagenverwalter und Pflanzer bei ihren Trinkgelagen die Bar und die Lobby zerstört haben. Trunkenheit war unter ihnen ein allgemein bekanntes Problem. Damals hieß es: ‚Die einzigen Wilden im ganzen Archipel sind die besoffenen holländischen Pflanzer!‘ Aber was blieb einem Pflanzer außer Alkohol an Unterhaltung sonst noch übrig? Sie lebten oft alleine in den Teeplantagen hoch oben in den Bergen, ohne Kontakt zu anderen Kollegen. Jeden Nachmittag kam der Nebel und gegen Abend der Regen. Regelmäßig um 6 Uhr abends umgab sie das unergründliche Dunkel der Nacht. Die Abende sind auch mit Alkohol lang, und es wurde immer schwerer, sich mit der Einförmigkeit des Lebens abzufinden. Wenn der Pflanzer seine Frau dabei hatte, war es für diese meist noch schwieriger. Sie hatte wohl Dienstmädchen, Köchin, Kindermädchen und einen Gärtner zur Verfügung. Aber durch die Untätigkeit und den Mangel an Verantwortung und Unterhaltung langweilte sich die Frau zu Tode. Das ging an die Nerven. Da wurde ein Hari Besar, ein freier Tag, mit Freuden begrüßt. Auch die Kontraktarbeiter, die eingeborenen Kulis auf den Plantagen, hatten nur einen freien Tag in zwei oder drei Wochen. Und das bei 12 Stunden Arbeit pro Tag, bei einem dreijährigen Arbeitsvertrag und einem armseligen Anfangsgehalt.

Schon um 4:30 Uhr ging es weiter nach Tjierebon (heute: Cirebon). Sudjono wollte immer ganz früh abfahren, vor allem wegen der morgendlichen Frische. Ich hatte natürlich keine Klimaanlage im Auto. Das war noch nicht üblich. Jeden Morgen stand Sudjono wie aus dem Ei gepellt da, mit weißer Uniform und dem schwarzen Käppchen, dem Topi, auf dem Haupt. Das Auto war stets frisch gewaschen. Da wir so früh losfuhren konnte ich jeden Tag einen neuen Sonnenaufgang erleben, wobei ich jedes Mal den Eindruck hatte, dass dieser noch schöner als alle vorher gesehenen wäre.

Mein Fahrer Sudjono war sehr zuverlässig. Er fuhr, wenn es die Straßen zuließen, flott und sicher. Die Überlandstraßen wurden aber immer miserabler, je weiter wir nach Osten kamen, von riesigen Schlaglöchern übersät, so dass wir nur langsam vorwärts kamen. Ein Federn- oder Achsenbruch war keine Seltenheit.

Schon kurz hinter Bandung gab es bei uns die erste Panne. Mit einem lauten Schlag fiel mein Opel Admiral 2,8S in ein großes Schlagloch und setzte hart auf einem Stein auf. Der Tank war angeschlagen, und das Benzin lief in dünnem Strahl auf die Straße. Mein Fahrer Sudjono sagte: Tidak apa apa (Macht nichts)! Er gab mir ein Stück Bananenblatt in die Hand, um das Loch am Tank zuzuhalten. Nun pflückte er eine unreife grüne Banane von den überall neben der Straße wachsenden Bananenstauden, und knetete die unreife Frucht so lange zusammen mit einem Stückchen Seife, bis eine kaugummiartige Masse entstanden war. Mit dieser Masse verschloss er das Leck. Und der Tank war nicht nur bis zur nächsten Werkstatt dicht, nein – bis nach Bali und zurück nach Jakarta! Noch 3000 Kilometer sind wir mit diesem Provisorium ohne Problem gefahren. Indonesier sind Improvisationsgenies! Ich war immer wieder erstaunt über ihre Geschicklichkeit und ihre Fähigkeit, sich auch unter den schwierigsten Verhältnissen mit den einfachsten Mitteln zu behelfen.

Schon um diese frühe Stunde waren die Hühner sehr aktiv, die immer kurz vor unserem Auto flatternd und gackernd noch die Straße überqueren wollten. Ab und zu blieb ein Huhn, von fliegenden Federn und einem Verlegenheitslachen meines Fahrers begleitet, auf der Strecke! Aber die meisten Hühner schafften es doch, im letzten Moment den sicheren Straßenrand zu erreichen. Die Hühner waren durch die viele Rennerei sehr muskulös und fettarm. Im Volksmund hießen sie Ajam karet (Gummihühner). Bei den Ausländern hießen sie ‚Java Road Runners‘. Aber eines muss man diesen Ajam Kampung, diesen Dorfhühnern, lassen: als Sate Ajam mit Erdnusssauce schmecken sie wirklich ganz vorzüglich.

Keinen dieser Sonnenaufgänge auf Java möchte ich missen. Jeder einzelne war wie ein tägliches buntes Wunder, ein Feuerwerk. Es ist wunderschön, wenn der Morgennebel noch über der lieblichen Landschaft mit den Reisterrassen und den gewaltigen Bambusbüschen mit den zartgrünen Blättern hängt und die frühe Sonne den Tau auf den Palmen zum Glänzen bringt: diese üppigen Farben, dieses warme Morgenlicht! Ein glücklicher Friede des frühen Morgens umhüllt zu dieser Zeit die Landschaft. Schon am frühen Morgen wölbt sich der Himmel wie ein blauer Baldachin über dem intensiven Grün, geschmückt mit kleinen dahinsegelnden weißen Wolken. Besonders in der Regenzeit mit ihrer feuchten Wärme, war es – nach den reinigenden Regenfällen der Nacht – besonders schön, und ich fühlte mich glücklich, dies alles erleben zu dürfen. Die auf Java schon üppige Vegetation explodierte durch das regelmäßige Zusammenspiel von kräftigen Regenfällen und heißem Sonnenschein förmlich und ich hatte das Gefühl, durch eine neugeborene Welt zu fahren.

Schon die ersten Sonnenstrahlen stachen, und im leichten Morgenwind spürte man bereits die Hitze des Tages. In der kurzen Zeit der Dämmerung wurden durch die aufgehende Sonne die üppigen Farben zum Leben erweckt. Fleißige Bauern waren schon auf den Reisfeldern, die die Sonne in glänzende Spiegel verwandelte. Sicher gingen sie barfuß entlang der schmalen und glitschigen Erddämme, die die einzelnen nassen Reisfelder voneinander trennen. Fruchtbare Asche, immer wieder von den Vulkanen ausgespuckt, wird als natürlicher Dünger mit dem Wasser, das auf den Reisfeldern von Terrasse zu Terrasse fließt, verteilt. Auf dieser fruchtbaren Vulkanerde gedeiht eine üppige Vegetation.

In den Gräben zwischen den Reisfeldern lagen in dem zäh haftenden Schlamm noch träge die plumpen Wasserbüffel mit den furchterregenden Hörnern, auf deren breiten Rücken weiße Reiher posierten, bevor die Arbeit vor dem Pflug begann. Eifrig waren die großen Vögel dabei, Insekten aus dem dunkelgrauen Fell der Büffel zu picken. Das vom Morgentau noch nasse Gras glitzerte wie tausend Kristalle. In der Ferne sah man die in der Morgenhitze blau zitternden Berge. Etwas später gingen die Bauern hinter ihren schwarzen Wasserbüffeln, die die hölzernen Pflüge langsam durch den schweren, nassen Boden zogen. In den Dörfern entlang der Straße, gesäumt von blühenden Hibiskussträuchern, Trompetenbäumen mit leuchtend gelben Blüten und Massen von farbenprächtigen Bougainvilleas, hing ein Schleier vom Rauch der Holzfeuer über den Häusern. Das Frühstück, meist Nasi Goreng, gebratener Reis, und Kopi Tubruk, ein starker, gesüßter Brühkaffee, wurde zubereitet. Später am Tag schwängerte der Geruch von Gewürzen und zum Trocknen ausgelegten Kokosschalen die Luft. In jedem Dorf lagen Berge dieses getrockneten Kokosfleisches für den Export bereit. Im Westen werden daraus Kokosfett, Seifen und Cremes hergestellt.

Die sauberen Häuser aus Palm- und Bambusmatten lagen versteckt zwischen Bananenstauden und Papayabäumen mit ihren kräftigen gelben Früchten unter dem mageren Schatten der Kokospalmen, oft umgeben von dunkelroten Cannas, die hier wie Unkraut wachsen. Dazwischen standen mächtige Flamboyants, deren flache Laubkronen vor lauter Blüten weithin glutrot leuchteten. Die Dächer der Häuser waren gedeckt mit getrocknetem Alang-Alang-Gras. Hühner liefen umher und pickten hastig nach Futter. Das erste Sonnenlicht brach sich im glänzenden Gefieder der bunten Vögel, die von Palme zu Palme flogen. In Käfigen, die an langen Bambusstangen schaukelten, jubilierten fröhlich Singvögel. Dort oben, zwischen den Palmen, sollten sie so nah wie möglich in der Natur bei ihren Artgenossen sein, um so zum Singen angeregt zu werden. Die Haltung von Singvögeln ist eine beliebte Freizeitbeschäftigung der Indonesier, und ein guter Singvogel, der auch noch Glück bringen soll, wechselt oft für ein halbes Vermögen den Besitzer.

Obstbäume, übervoll mit Manggas, Rambutan, Belimbings, Jambus und anderen tropischen Früchten, standen zwischen den Häusern. Die Dörfer waren von Wassergräben und kleinen Brücken durchzogen, voller Leben, mit Scharen von Hausgetier und lachenden Kindern. Mädchen kamen vom Brunnen mit einem Krug voll Wasser auf dem Kopf: eine liebliche Idylle. Unter den offenen Türen standen viele Frauen und stillten ihre Babys oder trugen ihre Kinder in ihrem Slendang, einem Tuch, auf den Hüften oder dem Rücken. Nur die kleinen Köpfchen mit den neugierigen dunklen Augen waren zu sehen. Den ganzen Tag wurden die Kleinen von der Mutter oder der älteren Schwester herumgetragen, da sie, solange sie noch nicht selbst laufen können, den Boden nicht berühren dürfen. Die Kinder gehören die ersten Monate ihres Lebens zur Götterwelt und dürfen daher nicht wie Tiere herumkrabbeln. Da die kleinen Kinder dadurch den ganzen Tag einen sehr engen Kontakt zur Mutter haben, bekommen sie Sicherheit und Geborgenheit, und durch die Hausarbeit der Mutter eine dauernde Ablenkung. Daher hört man nur äußerst selten ein weinendes Kind. Schon von frühester Jugend an lernen die Kinder auf andere Rücksicht zu nehmen. Sollte es doch einmal vorkommen, dass ein Kind quengelt, bekommt es keine Ermahnung oder Rüge, sondern die Brust der Mutter, oft bis zum vierten Lebensjahr. Die schon älteren Kinder tollten wild im Dorf herum. Obwohl die Kindersterblichkeit sehr hoch war, gab es sehr viele Kinder, da Kinderreichtum religiös bedingt und zudem als Altersversorgung sehr wichtig ist. Genauso überwältigend wie die Fruchtbarkeit der Natur scheint die der Menschen zu sein.

Trotz ihrer Armut hatten die Mütter immer ein Lächeln auf den Lippen und strahlten eine kindliche Fröhlichkeit aus. Bei älteren Betel kauenden Frauen mit rot verfärbtem Mund und einer Zunge so blau wie Pflaumen, sah dieses Lächeln allerdings weniger anziehend aus. In der Nähe eines jeden Dorfes gab es einen muslimischen Friedhof, der immer mit rot- oder weiß blühenden Kambodscha-Bäumen bepflanzt war.

Gerade war die Reifezeit der Durian-Früchte, einer bis zu mehreren Kilogramm schweren Frucht, die auf einem über 40 Meter hohen Baum wächst. Dadurch hing ein unangenehmer süßlicher Geruch über der Landschaft, der mich an Aas erinnerte. Die braune Baumfrucht, wie eine Melone mit Stacheln, fällt vom Baum, wenn sie genau den richtigen Reifegrad erreicht hat. Die Stacheln wirken dabei wie Stoßdämpfer. Die Füllung ist eine cremeartige gelbe Masse. Als Königin der Früchte, wie sie in Südost-Asien genannt wird, gilt sie als Delikatesse: süß, fein, verführerisch. Für westliche Gaumen schmeckt sie meist faulig und vergoren, und die meisten Weißen nehmen Reißaus vor dem Geruch. Mich erinnerte der Geschmack an einen Pudding aus Erdbeeren, Limburger Käse und rohe Zwiebeln. Aber die Indonesier aller Schichten lassen keine Gelegenheit aus, diese Frucht zu genießen. Indonesier sind echte Durian-Liebhaber, je mehr die Frucht für unsere Nasen stinkt, desto besser der Geschmack. Wie bei manchem Käse, wobei stinkender Käse bei Indonesiern genau die gleichen Reaktionen auslöst wie bei uns die Durian! Die Durian, deren Name von dem Wort Duri für Stachel kommt, hat auch ihre positiven Seiten: Sie ist reich an Proteinen und es wird ihr nachgesagt, ein starkes Aphrodisiakum zu sein. Auf Java wird gesagt: ‚Wenn die Durian-Früchte vom Baum fallen, ist die Zeit der Liebe‘!

In besseren Hotels ist die Mitnahme der Durianfrucht verboten. Ein Gast, der mit einer Durian im Zimmer erwischt wird, muss das Zimmer eine Woche lang bezahlen. So lange dauert es, bis der penetrante Gestank aus dem Zimmer wieder verschwunden ist.

Schon in der Morgendämmerung beginnt die Feldarbeit. Denkt man an Java, fallen einem zuerst neben Palmen die malerischen Reisfelder ein. Der javanische Reisbauer wächst inmitten seiner Reisfelder auf, und der Reisanbau begleitet ihn von frühester Jugend an bis zu seinem Tod. Während der Kolonialzeit zwangen ihn die Holländer, in Monokulturen andere Produkte, die in Europa einen höheren Profit brachten, anzubauen - vielfach Zuckerrohr. Heute hat der indonesische Landwirt zu seiner alten Tradition zurückgefunden.

Unzählige Grobaks, javanische Ochsenkarren, die von bengalischen Rindern gezogen wurden, zogen in langen Reihen mit ihrem Dach aus Palmenblättern wie langsam daher rollende Häuschen träge die Straße entlang. Meist fuhren sie auf der falschen Straßenseite und reagierten auch auf lautes Hupen nicht. Die Fuhrleute lagen schlafend auf den Wagen, die Zügel, mit denen sie ihre Rinder lenkten, schlaff in ihren Händen. Die Rinder mit den geschwungenen Hörnern und dem Höcker auf dem Nacken ließen sich nicht aus der Ruhe bringen, und stapften verträumt wiederkäuend gemächlich hintereinander her. Die hölzernen Radachsen der Karren quietschten und knarrten. Es war ein Wunder, dass nur selten ein Unglück geschah. Diese weißen oder hellbraunen Höckerrinder aus Bengalen schienen sich ihrer Schönheit bewusst zu sein. Sie zogen die Grobaks mit einem Stolz und voller Würde, ohne sich zu übereilen. Der Kopf war beinahe hochmütig zurückgelegt und die schönen braunen und gutmütig sanften Augen schauten gelassen in die Ferne.

Später musste ich diese Strecke auch oft während der Monsunzeit befahren. Es regnete selten den ganzen Tag. Auf einen Sturzregen folgte immer wieder Sonnenschein, der die Straße zum Dampfen und die Natur zum Glänzen brachte. Die frische Luft war dann gefüllt mit einem Duft nach neuem Wachstum. Dies war die Zeit der Wasserbüffel, die jedes Schlammbad suchen, um sich darin zu suhlen und mit dem Schwanz träge nach den auf ihrem Rücken sitzenden Fliegen zu schlagen. Die Tiere haben massige Körper, sie sind aber erstaunlich gutmütig. Kleine Jungen, splitternackt bis auf den obligatorischen Hut, die kaum auf den eigenen Füßen stehen konnten, trieben die schlammverkrusteten, mehrere hundert Kilogramm schweren Kolosse vor sich her. Vor den riesigen schwarz- bis rosafarbenen Wasserbüffeln hatten sie keine Angst, aber nach mir drehten sie sich immer wieder beunruhigt und drohend um. Kindheit ist in Indonesien eine kurze Lebensphase. Die kleinen Jungen kümmern sich bereits um die Tiere oder helfen bei der Feldarbeit. Kleine Mädchen, kaum der Brust entwöhnt, hüten bereits die noch jüngeren Geschwister und helfen bei der Hausarbeit.

Entlang der Straßen Javas sah ich in jedem Dorf an irgendeinem Haus ein auffälliges rotes Schild mit Hammer und Sichel. Die PKI, die kommunistische Partei Indonesiens, war sehr gut organisiert und hatte das ganze Land mit ihren Büros überzogen. Hier wurden neue Mitglieder angeworben, die meist gar nicht wussten, worum es ging. Nur um der Geschenke oder des Geld willen wurden sie Parteimitglieder. Zudem versprach der Führer der kommunistischen Partei, Aidit, dass es keine Reisknappheit mehr geben würde, wenn er gewählt würde. Nur so war die große Mitgliederzahl der PKI, der drittgrößten kommunistischen Partei der Welt, zu erklären.

In jedem Dorf gab es unübersehbare Reklame-Schilder mit überdimensionalen Zähnen oder einem gefährlich aussehenden Gebiss, das fast an ein Haifischmaul erinnerte. Es waren die Praxen der Dokter Gigi oder Tukang Gigi, der Zahnheilkundler. Meist hatten sie nur Bohrer, die wie bei einem Fahrrad über Pedale mit den Füßen über eine Kette angetrieben wurden. Aber Bohren oder die Reparatur eines Zahnes war ohnehin ein seltener Wunsch. Der Javaner und die Javanerin liebten viel mehr einen Zahn oder besser noch ein ganzes Gebiss – je nach Finanzlage – aus Gold oder Silber. Der Schatz im Mund war eine Investition für schlechte Zeiten oder für die nachfolgende Generation, und gleichzeitig ein Statussymbol.

Obwohl mein Fahrer täglich mindestens acht bis zehn Stunden fuhr, kamen wir am zweiten Tag meiner Reise nur bis Tjirebon, das an der Nordküste Javas liegt. Die Straßen waren in einem sehr schlechten Zustand. Teilweise war es nur nackter, steiniger Boden mit wassergefüllten Rinnen, über die der Wagen holperte. Löcher, so groß wie Badewannen, mussten umfahren werden. Durch die erzwungene Slalomfahrt kamen wir nur langsam voran. Besonders bei Regen waren die Straßen gefährlich, da die großen Schlaglöcher kaum zu erkennen waren.

Ich stieg im Grand Hotel – einem stolzen Name für eine Kaschemme – ab, und da Cirebon Kota Udang genannt wird, die Stadt der Langusten, freute ich mich schon auf einen großen Teller mit Meeresfrüchten. Als ich die ehemals sicher prächtige Auffahrt des Hotels hochfuhr, stürmten gleich sieben Kofferträger in der Hoffnung auf ein Trinkgeld aus dem Hotel und balgten sich um mein Aktenköfferchen und meine Reisetasche. ‚Ein toller Service‘, dachte ich! Da es schon spät war und ich großen Hunger hatte, wollte ich erst nach dem Abendessen duschen. Voller Erwartung auf die erträumten Meeresfrüchte ging ich in den Speisesaal des Hotels. Ich war der einzige Gast. An einem Ende befanden sich ein verstaubter antiker Schanktisch und eine lange Bar mit einer hellen Marmorplatte. Flaschen für einen entspannenden Drink entdeckte ich leider nirgends. Freudig wurde ich von zehn Kellnern und einem Oberkellner begrüßt und an einen Tisch geleitet. Die altmodischen Stühle hatten schon Generationen holländischer Verwaltungsbeamter durchgesessen. Ein altersschwacher Ventilator kreiste quietschend über meinem Kopf und quirlte die schwüle Luft. Die abgegriffene und befleckte Speisekarte war bestimmt noch aus der Kolonialzeit und zeigte ein reichhaltiges Angebot. Ich war zunächst glücklich! Aber die Enttäuschung kam schnell, denn auf jeden Wunsch hörte ich von dem freundlichen Oberkellner in seiner fleckigen weißen Uniform mit verschwitztem Kragen: Tidak ada (Gibt es nicht). Fehlanzeige: es gab gar nichts für den hungrigen Magen! Wie der Kellner erklärte, waren die letzten vier Wochen keine Gäste mehr da, der Koch wäre nach Hause gegangen und auf dem Markt würde es am Abend ohnehin nichts mehr geben. Für den nächsten Abend könnte ich etwas bestellen. Aber da wollte ich ja schon wieder viel weiter in Richtung Bali sein. Nach dieser Enttäuschung setzte ich mich auf die Hotelterrasse in einen der wackeligen Rattan-Stühle und betrachtete die Landschaft durch einen Vorhang aus warmem Regen. Ich aß noch ein paar Kekse aus meinem Notproviant, trank dazu ein warmes Bier, die einzige Flasche, die ich im Hotel ergattern konnte, und freute mich auf eine ruhige und erholsame Nacht.

Zunächst freute ich mich auf eine ausgiebige Dusche, wurden aber bitter enttäuscht. Aus dem Wasserhahn im Badezimmer und aus der Dusche kamen nur einzelne Tropfen. Ich musste bei den Bediensteten um jeden Liter Wasser kämpfen. Das Hotel war total heruntergekommen. Das Grand Hotel hatte bestimmt schon bessere Zeiten erlebt.

Mit dem Schlaf war es auch nicht besser. Mein Zimmer war riesengroß, aber sehr spärlich möbliert und alles war total verstaubt. Hier musste erst mal geputzt werden! Aber von den vielen Kofferträgern und Kellnern fühlte sich keiner zuständig. Als ich mit meiner Forderung nicht nachgab, nahm der ‚Geschäftsführer‘ persönlich einen Staubwedel in die Hand und wirbelte den Staub gleichmäßig im Zimmer herum.

Ein übergroßes Doppelbett war in der Mitte des Raumes und an der Wand standen zwei altersschwache Stühle. Fliegende Käfer umkreisten die nackte Glühbirne, die an einem Kabel von der Decke hing und ein schwaches schummriges Licht verströmte. Da ich der einzige Gast im Hotel war, freute ich mich auf eine Nacht ohne die Geräusche der Gäste in den Zimmern neben mir. Die Häuser und Hotels in Indonesien waren nämlich äußerst hellhörig. Die Außen- und Innenwände der Zimmer waren dünn und am oberen Ende der Wände waren durchbrochene grünglasierte Ziegel für den Luftdurchzug eingemauert. Die Fußböden waren aus Stein und es gab keine Deckenverkleidung. Jedes Räuspern, Stöhnen und Seufzen aus den Nebenräumen war dadurch natürlich deutlich zu hören.

Auf Reisen musste man immer seine eigene Bettwäsche dabei haben, aber hier, in dem großen Bett, mit übergroßen Löchern im Moskitonetz, half dies auch nichts. Die Flöhe und Wanzen waren äußerst aggressiv. Nun hieß es das Bett mit dem mitgebrachtem DDT-Puder zu bestäuben und sich dann darauf zulegen. Damals war man noch nicht so umwelt- und gesundheitsbewusst wie heute. Jahrelang war diese Methode unter Ausländern allgemein üblich und ich wundere mich heute noch, dass ich keine dauerhaften Schäden von diesem starken Gift davongetragen habe.

Wie überall in Indonesien durfte natürlich auch hier im Bett ein Guling nicht fehlen. Indonesien ist sicher das einzige Land der Welt, das in allen Betten, zusätzlich zu einem Kopfkissen, noch eine spezielle komfortable Bettrolle hat. Diese holländische Erfindung ist eine runde lange und hart mit Kapok gestopfte Rolle, fast ein Meter lang und zwanzig bis dreißig Zentimeter im Durchmesser. Im Volksmund wird dieser Guling auch ‚Holländische Jungfrau‘, oder auf Englisch ‚Dutch Wife‘ genannt. Man nimmt die ‚Holländische Jungfrau‘ bei Nacht in den Arm, legt ein Bein darauf und es ist herrlich bequem und kühl. Der Guling war, wie die Holländer sagten, für die Nacht gedacht, um die Luft besser zirkulieren zu lassen und um den Schweiß von den Beinen zu absorbieren. In Jakarta kursierten allerdings viele Witze über dieses gute Stück, denn viele glaubten, dass es für ganz andere Zwecke, die dem sexuellen Vergnügen dienen sollten, vorgesehen war.

Schon vor dem Frühstück ging es weiter nach Semarang, entlang der smaragdgrünen Java-See, die draußen, wo das Meer mit dem blauen Himmel verschmolz, tiefblau wurde. In der Nähe des Meeres waren immer Plantagen mit kerzengeraden Kokospalmen, deren Kronen mit den im Wind zitternden Palmblättern weit auseinanderstrebten. Hier über den Fischerdörfern lag der typische Geruch aus einer Mischung von Trockenfisch und ranzigem Kokosfett, den auch die salzige Brise von der See nicht vertreiben konnte. In einzelnen Dörfern an der Küste roch es noch intensiver, und zwar dort wo Trassi, eine schwarze Krabbenpaste, die in Indonesien als Gewürz Verwendung findet, hergestellt wurde. Die Landschaft war wunderschön, aber die Armut in den Dörfern deprimierend. Eine Rattenplage hatte 1963 die gesamte Reisernte vernichtet und die Menschen dort quälte der Hunger. Entlang der Straßen in den Dörfern standen hunderte Frauen und Kinder und bettelten um etwas Reis oder Geld.

Am Strand lagen Prahus, die einfachen Fischerboote, und die Fischernetze waren zum Trocknen aufgespannt. Weiter von der Küste entfernt befanden sich abwechselnd dichte Wälder von Teakholzbäumen mit ihren riesenhaften ovalen Blättern und große Kautschukplantagen. Aus einem schrägen Rindenschnitt an den Gummibäumen tropfte langsam der Saft in an die Bäume gebundene Blechbehälter. Morgens kamen die Arbeiter, um den Saft einzusammeln, der in der Fabrik zu Rohgummi weiter verarbeitet wurde. An den Straßenrändern tummelten sich unzählige Affen, die auf einen Leckerbissen warteten. Immer wieder rannten sie dicht vor unserem Auto über die Straße.

Mein Fahrer und ich mussten die Route so festlegen, dass wir an den damals noch ganz wenigen Tankstellen, die man auf Java an einer Hand abzählen konnte, vorbei kamen. Mindestens zwei Ersatzkanister voll Benzin hatten wir immer dabei. Notfalls erhielt man auch noch Benzin in den Dörfern. In kleinen Kiosken entlang der Straße gab es Benzin vom Schwarzmarkt. Dieses war in einzelne Literflaschen abgefüllt und stand aufgereiht wie bei uns Wein oder Schnaps in den Regalen. Dieser Treibstoff war – obgleich viel teurer als an Tankstellen – nicht zu empfehlen, da er meist mit Wasser gestreckt wurde.

Ein großes Problem ergab sich auf diesen langen Fahrten anfänglich, wenn sich ein dringendes menschliches Bedürfnis bei mir bemerkbar machte. Es gab natürlich keine öffentlichen Toiletten (Kamar kecil, kleines Zimmer) und sobald man glaubte ein ruhiges verstecktes Eckchen gefunden zu haben und sich erleichtern wollte, stellte man unverzüglich fest, dass man plötzlich umringt war von vielen höchst interessierten Männern, Frauen und Kindern, die einen mit großen Augen andächtig bestaunten und für die man in seiner höchsten Not auch noch einen großen Unterhaltungswert besaß. Indonesier verrichten ihre Notdurft ohne Scheu überall: auf dem Feld, am oder im Fluss, im Palmenhain. Sie brauchen keine Privatsphäre, sie bezeichnen sich bei diesem Geschäft als für andere unsichtbar. Das gilt aber nur für sie selbst, Europäer sehen sie durchaus. Not macht zwar erfinderisch, aber nachdem ich eingesehen hatte, dass es bei der dichten Bevölkerung Javas wohl kaum möglich sein würde, ein ruhiges Plätzchen für eine Notdurft zu finden, ergab ich mich in mein Schicksal und diente der interessierten Landbevölkerung fortan in solch einer Situation als ausländisches Belustigungs- und Studienobjekt.

Da die nördliche Straßenverbindung zwischen Semarang und Surabaya wegen vieler Erdrutsche seit Anfang der 1960er Jahre unbefahrbar war, musste ich auf dieser Reise nach Süden über Yogyakarta ausweichen. Verglichen mit Sumatra, Borneo und Celebes ist Java die kleinste der vier großen Sundainseln. Vom wirtschaftlichen und politischen Standpunkt aus war sie aber schon immer die wichtigste. Obwohl Jakarta die Hauptstadt des Archipels ist, liegt das Herz des kulturellen Indonesiens seit jeher in Mitteljava, besonders in Yogyakarta und Surakarta.

Ich übernachtete in Yogyakarta neben einem chinesischen Restaurant, in dem ich mein Abendmahl verzehrte. Unzählige hungernde Frauen und Kinder, die mit gierigen Blicken durch die Fenster auf meinen vollen Teller starrten, warteten auf die zurückgelassenen Reste. Auf den Müllhalden suchten hunderte Menschen nach etwas Essbarem. Es war eine entsetzliche Hungerperiode nach der schlimmen Rattenplage. Aber der Zorn richtete sich nie gegen Soekarno. Sein Anspruch auf Vertrauen und Gehorsam war tief im Volke verwurzelt.

Hier in Yogyakarta erlebte ich auch meine erste Aufführung einer Wayang Kulit-Aufführung, dem javanischen Schattenspiel mit flachen, fein durchbrochenen, wie aus wertvoller Spitze gearbeiteten Figuren aus Büffelleder, die Schatten wie Scherenschnitte auf eine Leinwand werfen. Die starren Figuren sind mit Handgriffen aus Büffelhorn für Körper und Arme versehen, um ihnen durch Bewegung Leben einzuhauchen. Der Dalang, der Puppenspieler, konnte gleichzeitig mehrere Figuren bewegen und er hatte die Fähigkeit, den Puppen Leben einzuhauchen. Besonders in der Trockenzeit wird überall in den Dörfern Mitteljavas Wayang Kulit gespielt. Wayang ist nicht nur ein Spiel zur Unterhaltung, sondern auch eine Lehrstunde für Moral und eine Hilfe für die tägliche Lebensführung. Für uns schwer zu verstehen sind die verschiedenen Intrigen, Komplotte und Streitigkeiten, die in diesen Stücken dargestellt werden. Wenn man ein Stück von Anfang bis Ende sehen will, muss man viel Zeit mitbringen. Die Vorführung beginnt mit der Abenddämmerung und endet im Morgengrauen. Erst dann kommen die Auflösung der Verstrickungen und das ‚Happy End‘. Ganze Dörfer bleiben wach, die jungen wie die alten Bewohner. Man nimmt sein Essen mit und seine Kinder, auch Babys. Es ist ein Erlebnis, zu sehen, wie sich die Schatten und Silhouetten der Wayang-Puppen wie lebende Personen im schnellen Bewegungsablauf über die Leinwand bewegen, mal scharf, mal unscharf, je nach dem dramaturgischen Effekt. Auch bei diesem Spiel, das sich um die Geschichten des Ramayana und Mahabarata sowie die alten verlorenen Königreiche, wo alles im Einklang war, dreht, wird die hinduistische Vergangenheit des islamischen Javas sichtbar. Aber wie in einem Kabarett der westlichen Welt dürfen aktuelle politische Ereignisse oder Neuigkeiten, die im Dorf passiert sind, einfließen. Ganz aktuell war das Thema Familienplanung und Geburtenkontrolle. Nicht nur beim Wayang-Spiel.

Mein Fahrer Sudjono hatte mehrere Frauen und schon sieben Kinder. Auch er wollte nicht noch mehr Kinder haben, das sei ihm zu teuer. Er fragte mich immer wieder, wie wir Europäer das machen würden, dass wir so wenige Kinder hätten. Ich erklärte ihm, dass es für diesen Fall doch die Anti-Baby-Pille geben würde. Noch kurz vor der Reise kam er zu mir und erzählte, nun sei alles geregelt. Er hätte auf dem Markt eine Anti-Baby-Pille gekauft und schon geschluckt. Ich musste mich sehr zusammennehmen, um nicht laut aufzulachen, versprach ihm aber, ihn nochmals ausführlicher aufzuklären.

Von Seiten der Regierung gab es eine Offensive gegen den hohen Geburtenüberschuss mit der entsprechenden Aufklärung. Auf Plakaten, die eine Mutter mit einem Jungen und einem Mädchen an jeder Hand zeigten, sowie in Radio und Fernsehen hieß es überall Dua Anak cukup! (Zwei Kinder sind genug!). Die Anti-Baby-Pille wurde probehalber kostenlos in den Dörfern verteilt. Aber anfangs gab es Probleme mit der Nachlieferung der Pillen und zudem auch große Missverständnisse in der einfachen dörflichen Bevölkerung. Es gab Frauen, die nahmen den gesamten Wochenbedarf auf einmal ein, andere nahmen die Pille nur nach oder vor dem Verkehr.

Erst nachdem Soekarno den Befehl erließ, dass der Kepala Kampung, der Dorfälteste, jeden Abend um 18 Uhr den Kul Kul, die Dorftrommel, in einem bestimmten Rhythmus schlagen müsse, als Zeichen, dass nun die verheirateten Frauen eine einzige Pille zu nehmen hätten, kam Klarheit und System in die Empfängnisverhütung. Da das Thema Empfängnisverhütung überall offen und ohne Tabus diskutiert wurde, waren schon bald auch erste Erfolge zu verzeichnen. Daran hatten die Dalangs, die einflussreichen Meister der Schatten- und Puppenspiele, einen ganz entscheidenden Anteil. Zur allgemeinen Erheiterung des dörflichen Publikums wurde dieses Thema mit vielen intimen Einzelheiten immer wieder mehr oder weniger ausführlich erörtert.

In Indonesien gab es nie Zwangssterilisationen wie in Indien, um den Geburtenüberschuss in den Griff zu bekommen. Bei einer Bevölkerungszuwachsrate von etwa 2,5 Prozent pro Jahr war daher Familienplanung ein wichtiges Thema. Nach islamischem Gesetz dürfen Männer bis zu vier Frauen haben, so dass Familien mit zehn und mehr Kindern keine Seltenheit waren. So wurde neben der teuren importierten Pille auch nach anderen Mitteln und Wegen gesucht. Andere Techniken? Ein delikates Thema? Prüde Muslime? Im Gegenteil!

Vom islamischen Glauben her sind viele Kinder durchaus erwünscht, und da es keine Sozialabsicherung gibt, sind viele Kinder die Garantie für ein gesichertes Alter, da ja auch die Kindersterblichkeit wie in allen Entwicklungsländern sehr hoch ist und man immer mit dem Tod des einen oder anderen Kindes rechnen muss. Daher geht es eher um das Gegenteil von prüde. Es geht darum, die traditionellen muslimischen Werte zu überwinden, wenn man Kinderbeschränkung durchsetzen will. Das Gleiche gilt für die Hindus auf Bali. Auch hier braucht man viele Kinder, um in den Himmel zu kommen, und ohne einen Sohn kann man in Bali nicht einmal entsprechend der Tradition nach dem Tode verbrannt werden. Soekarno konnte mit seinen öffentlichen Erklärungen in allen seinen Reden die Menschen trotz aller Vorbehalte überzeugen, dass es für die Familie, für die Ausbildung der Kinder, für einen höheren Lebensstandard und für das ganze Land besser wäre, weniger Kinder zu haben. Daher wurde in Indonesien dieses Thema ganz offen zu Hause, bei Gesellschaften, im Rundfunk und in Zeitungen diskutiert. Ali Sadikin, der Gouverneur von Jakarta, setzte sich in aller Öffentlichkeit für eine Kondom-Fabrik in Jakarta ein. Diese sollte die größte in ganz Ost-Asien werden. Er sagte, weil die importierten Produkte den Wünschen der indonesischen Männlichkeit nicht entsprächen, sollten die lokal hergestellten Produkte in Größe und Farbe den Indonesiern angepasst werden. Ob diese dann größer oder kleiner ausfallen müssten, ließ er offen. Dies war in den 1960er Jahren ein Thema für viele Witze, und für lange Zeit Gesprächsstoff auf Cocktail-Partys.

Den größten Erfolg bei der Senkung der Geburtenrate hatte allerdings das Fernsehen. Von der Regierung wurden Fernseh-Gemeinschaftsanlagen gefördert und in allen Dörfern installiert. Die Menschen konnten gar nicht genug von diesen Bildern sehen, die für sie wie ein Wunder über den Äther kamen, und sie fielen bei Sendeschluss todmüde in einen tiefen Schlaf, das Vergnügen vergessend, dem sie sich zuvor, als es noch kein Fernsehen gab, hingegeben hatten.

Viele Details einer Geburtenkontrolle waren damals – wie schon erwähnt – die Hauptthemen auf den Schaubühnen der Schattenspiele. Besonders der demütige, dicke, vom Publikum so geliebte Diener Semar trieb in diesem Zusammenhang oft sehr obszöne Possen. Der Alleinunterhalter, der Dalang, ist ein intelligenter und hochangesehener Mann. Er hat über dieses Spiel einen ziemlich großen Einfluss auf die politische Stimmung im Volke. Auch Soekarno, der als ‚der große Dalang‘ bezeichnet wurde, hat über das Wayang-Spiel viele seiner politischen Ideen dem Volk nahe bringen lassen. Der Dalang ist nicht nur ein Künstler, er ist auch ein Meister der Improvisation. Er hockt alleine hinter einem großen Schirm aus Leinwand. Eine helle Petromax–Petroleumgaslampe hängt hinter ihm an der Decke. Vor dem Dalang liegt der Stamm einer frisch geschlagenen Bananenstaude, in der eine ganze Reihe der filigranen Lederpuppen stecken, unter vielen anderen natürlich immer der Held Arjuna und der Zwerg Semar, der das Publikum immer wieder zum Lachen bringt. Es ist unglaublich, mit welcher Fingerfertigkeit ein Dalang mehrere Puppen gleichzeitig tanzen lassen kann, wie sie miteinander kämpfen und wie er sie groß und wieder klein werden lassen kann.

Das Publikum saß auf beiden Seiten der Leinwand, wo auch kleine Stände mit Zigaretten, Süßigkeiten, Essen und Getränken aufgebaut waren. Auf der Seite des Dalangs konnte man diesen beobachten, wie er mit großer Fingerfertigkeit über Stiele aus Büffelhorn die spinnenfeinen Glieder der vielen Puppen bewegte, wie er gleichzeitig mit einem zwischen den Zehen des Flusses eingeklemmten hölzernen Schlegel den Takt gegen eine Holzkiste schlug und damit das Gamelan-Orchester dirigierte, wie er die Dialoge mit der jeder Figur eigenen Stimme sprach und wie er mit den Sängerinnen um die Wette sang. Es war ein wahres Feuerwerk der unterschiedlichen Stimmen, Geräusche und Gesänge. Ein Dalang ist ein genialer Künstler.

Eine Wayang Kulit-Aufführung war jedes Mal ein großes Fest. Leute lachten zusammen, Körbe mit Essen wurden ausgepackt, Kinder rollten sich auf den Matten und schlummern ein. Als es Mitternacht wurde, waren im Publikum nur noch wenige Zuschauer aufmerksam. Fast alle Kinder schliefen inzwischen fest, aber auch die von der Feldarbeit müden Erwachsenen machten hin und wieder ein kleines Schläfchen, um dann von einer Lachsalve des Publikums wieder hochzuschrecken.

Es ist ein ewiger Konflikt zwischen Gut und Böse, ein magisches Spiel, durch das das Volk immer wieder fasziniert und hingerissen ist. Die Schatten bekommen erst durch den Dalang eine Seele. Zum Gamelan-Orchester mit mehreren Sängerinnen sprach und sang der Dalang mit einer hohen, fast weiblichen, dann wieder mit einer gutturalen Stimme. Jede Figur hatte ihren eigenen Tonfall. Gegen Ende, beim Morgengrauen, ist dann nach vielen Verwirrungen immer ein Ausgleich zwischen Gut und Böse geschaffen.

Ich saß bei dem Spiel als einziger Zuschauer auf der Seite des Dalangs, um ihn bei seiner Kunst zu beobachten. Dies ist interessant, aber die magische Seite ist die Seite der Schatten. Verstehen konnte ich allerdings so gut wie nichts, denn der Dalang singt und spricht immer in einer altertümlichen javanischen Sprache. Auch vom Spiel selbst verstand ich wenig: Es ist eine andere Welt. Kurz nach Mitternacht ging ich zurück in mein Hotel. Es war eine kurze Nacht.

Am frühen Morgen ging die Reise weiter. Ganz klar ragte der qualmende Vulkan Gunung Merapi bei Yogyakarta (übersetzt ‚der Feurige‘) in den Himmel. Im Laufe der Jahrhunderte hat dieser Berg schon Tausende von Opfern gefordert. Leider reichte bei dieser ersten Reise durch Java die Zeit nicht, den nur wenige Kilometer von Yogyakarta entfernten Borobudur, den größten buddhistischen Tempel der Welt, zu besuchen.

Konisch geformte Hügel, die früher Vulkankegel gewesen waren, und hohe, noch aktive Vulkane, reckten sich von der Ebene aus in die Höhe. Hier in Zentral- und Ostjava gab es immer noch zwei Verkehrsschilder pro Richtung: eines für Personen, die lesen konnten, und ein zweites für Analphabeten. Das zweite bestand aus farbigen Zeichen. Wenn ein Analphabet zum Beispiel nach Solo wollte, musste er in die Richtung mit zwei großen roten und einem kleinen blauen Kreis fahren.

Im übervölkerten Mitteljava wurde jedes Fleckchen Erde landwirtschaftlich genutzt. Von Surakarta, heute Solo, nach Madiun nahm mein Fahrer die Bergstrecke über das kleine Bergdorf Sarangan. Steil ging es nach Sarangan hinauf, das 1.400 Meter hoch am Hang des Vulkans Gunung Lawu gelegen ist. Zum Glück hatte ich einen 6-Zylinder Opel Admiral mit 2,8 Liter Hubraum als Dienstwagen, aber auch dieser schaffte die Steigungen mit Gepäck nur mühsam im ersten Gang. Kleinere Autos konnten die Steigung meist nur im Rückwärtsgang bewältigen oder sie mussten das Gepäck ausladen und die schmale Pass-Straße durch dichten Urwald hoch tragen lassen und von den immer bereitstehenden Kulis Schubhilfe anfordern.

In Sarangan übernachtete ich in der einzigen Unterkunft, dem Hotel Sarangan. Es war ein altes Hotel mit kolonialer Atmosphäre, herrlich gelegen an einem klaren und kühlen Kratersee, mit einer überwältigenden Aussicht. Die Einheimischen erzählten, dass dieses Hotel von zwei Deutschen gebaut worden war, die während des 1. Weltkrieges hier hängen geblieben waren und dass während des Zweiten Weltkriegs und danach eine große deutsche Schule in Sarangan gewesen sei. Abends konnte man Gruppen von Kulis beobachten, die schwere Körbe, gefüllt mit großen Schwefelbrocken vom noch aktiven Vulkan Gunung Lawu herab schleppten, die sie oben auf dem Vulkan inmitten giftiger Schwefeldämpfe aus dem Fels gebrochen hatten. Eine schrecklich schwere und ungesunde und dazu sehr schlecht bezahlte Arbeit.

Am Abend wurde im Zimmer gegen die Kälte und Feuchtigkeit ein Holzfeuer im Kamin angezündet. Fast alle Zimmer waren von Russen mit ihren Familien belegt. Entsprechend floss der Wodka. Präsident Soekarno hatte für die indonesische Luftwaffe Kampfflugzeuge in der Sowjetunion bestellt. Diese waren auf dem Luftwaffenstützpunkt in Madiun stationiert und die russischen Piloten bildeten nun Indonesier an den Flugzeugen aus. Da es den Russen in Madiun zu heiß und feucht war, pendelten sie jeden Tag und übernachteten im kühlen Sarangan bei ihren Frauen. Gerne wäre ich noch länger in dem schönen Sarangan mit der gesunden Höhenluft geblieben, aber die Pflicht rief.

Die nächste Station war Surabaya. Wir übernachteten außerhalb von Surabaya, in Tretes, einem kleinen Ort, 800 Meter hoch am Fuße des Vulkans Arjuna gelegen. Hier war es herrlich kühl. Schon in Jakarta wurde mir das Schwimmbad ‚Dirgahayu‘ empfohlen. Während der Kolonialzeit war es ein Luxusbad, das die Holländer ‚Nimfenbad‘ nannten. Es war immer noch beeindruckend, riesengroß mit Sprungtürmen, Rutschen, Bächlein und Brücken, aber die Nymphen aus Marmor rund um die Becken waren schon ziemlich verblasst, was die Abkühlung in dem frischen Gebirgswasser aber nicht beeinträchtigte.

Am Morgen ging ich in den großen Frühstücksraum. Ich war so früh natürlich der einzige Gast. Das Frühstück hatte ich schon am Abend zuvor für 5 Uhr bestellt. Die Diener wachten pflichtschuldig aus ihrem Nickerchen auf und stellten sich mit grenzenloser Gleichgültigkeit an der Wand entlang auf, in der Hoffnung, dass der Dienst noch nicht beginnen würde. Der Oberkellner saß, ein Bein unter sich gezogen, mit dem anderen baumelnd, gelangweilt auf seinem Stuhl und ließ alle seine Finger in den Gelenken knacken, einen nach dem anderen. Danach kratzte er sich genüsslich am Kopf, bis ihn mein Ruf nach Frühstück aus seinem Halbschlaf aufschreckte. Dreimal musste ich nach meinem Frühstück fragen, bis es der Herr Oberkellner endlich mit verträumtem Blick und herausfordernder Langsamkeit servierte, als wolle er sagen: ‚Die Weißen haben es immer so eilig! Diese ewige Ungeduld!‘ Die Trägheit des Ostens war für mich immer noch unbegreiflich, besonders wenn man bedenkt, dass das damals überall übliche Frühstück aus einem kalten Nasi Goreng mit einem gummiartigen kalten Spiegelei darauf bestand. Der Reis und die Spiegeleier wurden schon am Abend zuvor vorbereitet und dann am nächsten Morgen kalt serviert. Das zu servieren hätte also keinerlei Aufwand bedeutet! Selbst das weiche Toastbrot gab es in keinem Hotel. Ausländische Gäste kamen nur ganz selten, und Brot gab es selbst in Jakarta nicht. Dazu gab es Kopi Tubruk, den starken indonesischen Brühkaffee mit viel Zucker. Man muss diesen Kaffee langsam trinken, denn ein dicker Kaffeesatz bleibt zurück. Ich wollte immer schon wissen, wer diese schreckliche Sitte eines kalten Nasi Gorengs zum Frühstück eingeführt hat. Waren es die Holländer? Denn die Indonesier essen zwar das Gleiche zum Frühstück, aber immer warm und frisch zubereitet. Erst einige Zeit später entdeckte ich, dass es in den Hotels in Mittel- und Ostjava ein indonesisches Rührei gab, das vermischt mit Tomate, Zwiebel, Knoblauch und Sambal immer frisch zubereitet wurde. Es schmeckt köstlich und man konnte dadurch die tägliche kleine Frustration mit dem kalten Reis-Frühstück schnell vergessen. Auch wurde das frugale Frühstück plötzlich unerheblich, wenn man draußen in der Natur die in der aufgehenden Sonne silbrig glänzenden taunassen Kronen der Kokospalmen und die überwältigende Landschaft sah. Mittags und am Abend war selbst im kleinsten chinesischen Restaurant, die es überall auf Java gab, alles frisch zubereitet und kam kochend heiß auf den Tisch. Bei den Chinesen war man relativ sicher, keine Magen- und Darmverstimmung zu bekommen.

Von hier ging es am nächsten Morgen weiter in Richtung Banyuwangi, von wo die Fähre nach Bali abfuhr. Da die Straßen in Ost-Java besonders schlecht waren, wusste ich, dass wir bis zum Abend Banyuwangi kaum erreichen würden. Es gab viele Militärposten und Sperren entlang der Straßen. Wir wurden umgeleitet, durch viele wogende Zuckerrohrfelder. Mein Fahrer hielt an, um einen kleinen Vorrat der zuckersüß schmeckenden Stängelabschnitte ins Auto zu legen. Es war herrlich während der Fahrt daran zu kauen und zu lutschen. Plötzlich wurde es Nacht und wir waren auf ganz kleinen Nebenstrecken. Und nirgends eine Übernachtungsmöglichkeit. In den Dörfern gab es hin und wieder Straßenbeleuchtung: kleine handgefertigte Laternen mit einer brennenden Wachskerze. Immer wieder versperrten unbeleuchtete Ochsenkarren unseren Weg. Eine Fahrt bei Nacht war sehr unangenehm. Die Fahrer von Personen- und Lastkraftwagen hatten eine dumme Angewohnheit: Sie gebrauchten nur das helle in die Ferne strahlende aufgeblendete Licht oder gar keins. Man sah auf der Landstraße ein Fahrzeug mit Fernlicht auf sich zukommen. Zwei- bis dreihundert Meter vor der Begegnung schalteten beide Fahrer ihr Licht ganz aus und man raste in völliger Dunkelheit aufeinander zu. Erst kurz vor der Begegnung wurde das Aufblendlicht wieder eingeschaltet, aber nun sah man erst recht nichts mehr. Was dies sollte, habe ich nie verstanden und auch mein Fahrer konnte mir keine einleuchtende Erklärung geben. Ein gefährliches Spiel, das besonders von Lastkraftwagen und den schnellen Überlandbussen gespielt wurde.