Hoi, Hello, Hola - Stella Fontana - E-Book

Hoi, Hello, Hola E-Book

Stella Fontana

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Beschreibung

Stella wächst in einer Welt auf, in der Vielfalt nicht nur eine Floskel, sondern eine gelebte Realität ist. Mit einer spanischen Mutter und einem deutschen Vater entdeckt sie von Kindesbeinen an die Schönheit und Herausforderungen unterschiedlicher Kulturen. Mit 22 Jahren verlässt sie ihre Heimatstadt und taucht in ein internationales Leben voller humorvoller Kulturschocks, skurriler Missverständnisse und beruflicher Abenteuer ein. Ihre autobiografische Erzählung entführt uns von Deutschland in die Schweiz, die USA und Spanien, wo sie uns an den Höhen und Tiefen ihrer persönlichen Odyssee durch die globalisierte Welt teilhaben lässt. Dabei wird deutlich, dass Heimat mehr als ein Punkt auf der Landkarte ist - sie ist eine Reise durch die Vielfalt der Menschlichkeit. »Hoi! Hello! ¡Hola! Drei Länder und ich« ist eine inspirierende und persönliche Geschichte, wie das Fremde zu einem festen Bestandteil des eigenen Selbst wird.

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Für die Menschen, die mich auf meinen Reisen begleitet haben und meinen Papa (RIP).

Ich bin Stella Fontana. Ich wurde 1972 in Goslar geboren und wuchs dort im Steinbergviertel auf. Mit 22 Jahren verließ ich meine geliebte Heimatstadt. Mittlerweile lebe ich in der Provinz Barcelona, in Spanien. Ich habe eine großartige Tochter und einen liebevollen Hund.

Zur Schriftstellerei kam ich in den USA. Eine Passion, die ich nicht mehr missen möchte. Im Jahr 2018 veröffentlichte ich meinen ersten Roman, einen Kriminalroman. In den Jahren 2019 und 2021 veröffentlichte ich den zweiten Teil meiner Kriminalroman-Serie und zwei Kinderbücher. Mit diesem Buch erzähle ich eine sehr persönliche Geschichte, ein Herzensprojekt. Ich veröffentliche meine Bücher im Selbstverlag. Nicht weil ihre Qualität schlechter wäre, sondern weil ich die Projektarbeit liebe und ein ungeduldiger Mensch bin.

Wenn dir das Buch gefallen hat, kannst du mich und meine Arbeit unterstützen. Erzähle von diesem Buch, verschenke es, verleihe es und schreibe mir eine positive Rezension auf einer Online-Buchhandelsplattform deiner Wahl. Bitte abonniere mich auf meiner Instagram-Seite @autorin_stellafontana, schreibe mich an und lass uns eine Lesung organisieren. Online- oder auch Präsenzlesungen finde ich großartig. Normalerweise lese ich aus meinem Buch, beantworte Fragen und freue mich über einen kurzweiligen Abend. Habe ich dein Interesse geweckt, dann besuche meine Internetseite www.stellafontana.com.

Vielen Dank für deine Zeit. Deine Stella

Inhaltsverzeichnis

Auf die Plätze, fertig, Abenteuer!

Die Magie der Fremde

Ankommen, das Abenteuer beginnt

Eintauchen in eine neue Welt

Kennst du den Supermarkt, kennst du das Land!

Mein Haus, mein Auto

Neubeginn oder Verzicht?

Der Kampf der Administration

Frau, Mutter und Businessfrau

Im Ausland krank werden

Ganz gewöhnlicher Alltag

Die Wildnis vor der Haustür

Schön, schöner, am schönsten

Ein System - alles klar!

Preise und Feste feiern

Im Alltag unterwegs und ab in den Urlaub

Was kaufe ich denn heute? Ich habe Besuch.

Kinder in der Ferne

Kindergeburtstage

Integration und so!

Es leben die Vorurteile!

Denker und Verkäufer

Ich geh’ dann mal Freunde finden!

Ich mach’ dann mal den Unterschied!

Wie war das mit der Integration?

Und wo ist es am schönsten?

Was nehme ich mit für den Rest meines Lebens?

Anhang

Videolinks

Veröffentlichungen von Stella Fontana

Auf die Plätze, fertig, Abenteuer!

Ich sitze in einem amerikanischen Gerichtssaal. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Neben, vor und hinter mir sitzen Männer und Frauen. Ich werde aufgerufen, trete vor den Richter und gebe meine Schuld zu. Dann soll ich einer Beamtin folgen, werde zu einem kleinen Fenster geführt und darf 500 US-Dollar zahlen. Ich bin 15 Meilen zu schnell gefahren, stehe aber vor Gericht und gebe meine Schuld zu, damit sich nicht alle, und ich meine wirklich alle, unsere Versicherungs-Policen erhöhen.

Das Leben im Ausland ist doch pures Abenteuer! Warum? Weil ich versuche, meine persönlichen Erfahrungen und Emotionen in das jeweilige Land zu integrieren. Das ist mir manchmal besser und manchmal weniger gut gelungen. Die Herausforderungen waren immer anders, aber gleichzeitig spannend, berauschend und nervenaufreibend. Doch um welche Länder geht es hier eigentlich?

Zuerst zog ich von meiner Heimat Deutschland in die sichere und gut organisierte Schweiz, dann siedelte ich in das optimistische Marketing-Land USA und zum Schluss in das temperamentvolle und sonnenverwöhnte Spanien.

In meinen Erzählungen tauche ich abwechselnd in die drei Länder ein und vergleiche Ereignisse und Gegebenheiten. Dabei geht es dynamisch zu, wenn ich zwischen der Schweiz, den USA und Spanien erzählend wechsele. Ich quetsche drei Länder in eine Geschichte, meine persönliche Geschichte. Ich betreibe Länder-Hopping in diesem Buch und verfolge doch einen roten Faden.

Und wie ist es bei dir? Bircher Müsli, Donuts oder Churros con Chocolate zum Frühstück? Oder dann doch Donuts im Müsli mit etwas Schokolade? Ich sage nur »Hoi!«, »Hello!« und »¡Hola!«

Im Moment lebe ich in Spanien. Ich springe südlich von Barcelona spontan nach dem Joggen ins Meer. Die Luft ist feucht und salzig. Die Sonne kündigt sich durch rosa gefärbte Wolken an und der Sandstrand ist leer und endlos lang. Purer Kitsch ist meine Realität, genau in diesem ganz besonderen Moment. Ich ziehe mich bis auf meine Unterwäsche aus, lasse Coco, unseren Hund, auf meine Sachen aufpassen und genieße Mitte Oktober das 26 Grad warme Mittelmeer.

Meine Reise beginnt in der Schweiz. An meinem ersten Arbeitstag im nasskalten November mit Hochnebel werde ich liebevoll von vier Arbeitskollegen und einem Teamchef mit einem Veuve Clicquot, einem Champagner in dunkelgrüner Flasche und mit orangefarbenem Etikett, empfangen. Ich bin gleichzeitig überfordert und geflasht. Auch sind es diese zehn Sekunden in der Tram auf der Quaibrücke Richtung Paradeplatz. Ich sitze in Fahrtrichtung auf der linken Seite und schaue aus dem Fenster. Ich blicke auf einen glitzerblauen See mit Segelbooten und Tretbooten und erblicke im Hintergrund die unbändigen Spitzen der Alpen.

Die USA haben auf ganz andere Art und Weise Eindruck bei mir hinterlassen. Wir sind gerade eingezogen. Na ja, vor dem Haus liegen stapelweise gefaltete Pappkartons und Plastikberge. Der Truck mit unserem 40-Fuß-Container steht vor unserem Haus und Arum, die Nachbarin von gegenüber, kommt auf mich zu, begrüßt mich herzlich und überreicht mir ein Tablett mit selbstgebackenen Cupcakes. Das wiederholt sie die folgenden Tage jeweils mit einer anderen leckeren Süßigkeit und sagt liebevoll: »Who works hard, needs sugar!«

Das Leben im Ausland ist berauschend, beängstigend, bereichernd, einschüchternd und immer wieder abenteuerlich. Als Single darfst du dich neu orientieren und als Paar kann dich die Fremde zusammenbringen oder auch trennen. Als Familie muss es irgendwie für alle passen. Ich habe alles erlebt. Ich musste mich ständig neu orientieren. Nie sind es die Städte oder Länder, die Nähe oder Distanz zwischen mir und anderen Menschen verursachen, sondern der Umgang mit den Herausforderungen im Leben. In Zürich war ich die meiste Zeit Single, in den USA verheiratet und in Spanien scheiterte meine Ehe.

Zu begreifen, dass Menschen in allen Ländern unterschiedlich sind, ist für mich leicht und gleichzeitig unendlich schwer. Die große Frage ist: Kann ich deutsche Gewohnheiten und Erwartungen abschütteln, kann ich jedes Land auf seine ganz besondere Art genießen und mich darauf einlassen? Ich habe Jahre gebraucht, um dieses notwendige Rezept zu verstehen.

In diesem Buch schaue ich auf einen Teil meines Lebens. Das Leben im Ausland seit mehr als 20 Jahren. Ich lebe mittlerweile am Meer, erlebe täglich Abenteuer und lerne eine andere Art des Lebens kennen. Ich blicke auf meine erste Lebenshälfte und frage mich, wie es dazu kam, dass ich im Großraum Barcelona gelandet bin. Ich wohne südlich von Barcelona, nicht weit vom Flughafen entfernt, direkt am Strand. Bei falschem Wind fliegen im Landeanflug Vueling, Ryanair und Co. direkt über mein Haus. Doch der blaue Himmel und der Strand kompensieren fast alles.

Seit über 20 Jahren lebe ich nicht mehr in Deutschland. Ich bin aber Deutsche durch und durch. Ich bin pünktlich, sehr gut organisiert und liebe den nordischen Humor! Ich merke aber, dass ich immer größere Schwierigkeiten bekomme, die deutsche Ironie zu verstehen. Das Ausland macht ganz eindeutig etwas mit mir. Vor allem die Metropolen haben es mir angetan. Zürich, die Metropolitan Area von New York City und jetzt Barcelona.

Bin ich in Barcelona im frei gewählten Heimathafen angekommen? Das weiß ich nicht! Im Moment fühlt es sich gut an! Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden. Also frage mich in ein paar Jahren noch einmal.

Es liegen viele Jahre mit unzähligen Alltagsabenteuern und irrwitzigen länderspezifischen Unterschieden hinter mir. Nicht nur die Menschen oder die Natur sind anders. Die Sichtweisen, der Alltag, was wichtig im Leben ist, und vieles mehr sind von Land zu Land unterschiedlich. In der Schweiz wird eher gemietet, in den USA und in Spanien werden Immobilien lieber gekauft. Schweizer und Spanier brauchen eher die staatliche soziale Absicherung, Amerikaner weniger. Jeder Tag bot und bietet mir große Möglichkeiten, etwas dazuzulernen. Herrlich!

Mich beschäftigt die Frage, warum ich nicht mehr in Deutschland lebe und warum es Menschen grundsätzlich in andere Länder zieht. Ich glaube, es gibt viele Menschen, die nicht nur von Urlauben in der Ferne träumen, sondern auch von einem Leben in der Ferne. Mittlerweile gibt es unzählige YouTube-Videos von Deutschen im Ausland. Entweder junge Menschen, Familien oder Rentner. Ich denke an die Auswanderer von vor über 100 Jahren, die ihr Glück in den Vereinigten Staaten suchten. Sie kauften ein Schiffsticket in die Zukunft, ohne zu wissen, was sie erwartete.

Meine spanische Mutter kam als Gastarbeiterin in den 1960er-Jahren nach Deutschland, ohne die deutsche Sprache zu beherrschen. Sie suchte Arbeit und ein besseres Leben.

Heute gibt es Menschen, die Deutschland verlassen, um eine bessere Work-Life-Balance zu finden. Sie bezeichnen sich als Klimaflüchtlinge, weil sie auf den Winter verzichten wollen. Nicht immer sind Ausländer überall auf der Welt willkommen, trotzdem hast du als Deutsche oder Deutscher und aus dem deutschsprachigen Europa gute Chancen, dass du in dem Land deiner Wahl die Zelte aufschlagen darfst.

Stell dir vor, du hast genau diesen Traum vom Leben im Ausland, traust dich aber nicht. Du hast eine gut funktionierende Familie in Deutschland, du kennst die Gesetze, Traditionen und Gewohnheiten. Etwas hält dich zurück, den letzten Schritt zu wagen. Trotzdem bist du innerlich unzufrieden und möchtest woanders leben oder arbeiten. Dann lass dich von mir einladen, dir zu erzählen, wie meine Geschichte über das Leben im Ausland ist. Also neu anzufangen und doch zu Hause zu sein.

Ich schreibe über meine Erfahrungen und meine Eindrücke. Hast du Lust? Willst du mit eintauchen in meine Welt? Doch noch eines, bevor es losgeht: Nach langem Hin-und-Her-Überlegen habe ich mich aufgrund der Lesbarkeit für die männliche Schreibweise entschieden. Es ist mir als Feministin und Frau, die andere Frauen ermutigen möchte, ihren Mann zu stehen, wichtig zu sagen, dass ich alle ansprechen möchte, die sich für das Leben im Ausland interessieren! Vielen Dank.

Aber jetzt! Lasst uns starten! Let’s go! Vamos!

Die Magie der Fremde

Vielleicht denkst du, dass ein Leben im Ausland nichts Fremdes für dich ist, wenn du einen Migrationshintergrund, wie ich hast. Jetzt aber mal Stopp! Habe ich wirklich einen Migrationshintergrund? Meine Mutter war Gastarbeiterin aus Spanien und mein Vater war Deutscher. Ich bin in Deutschland geboren und habe erst als Erwachsene Spanisch sprechen gelernt. Ich habe einen deutschen Pass, habe Familie in Spanien sowie in Deutschland und fühle mich deutsch. Habe ich einen Migrationshintergrund? Ja, wahrscheinlich schon. Nein, ganz sicher!

Zurück zu den zwei Herkunftsländern meiner Familie und der fehlenden Angst vor einer anderen Kultur.

Habe ich eine Fernweh-DNA? In meinem Fall trifft es vielleicht zu. Meine früh verstorbene spanische Mutter und mein deutscher Vater lebten beide Kulturen und Traditionen aus. In der Woche kochte meine Mutter Cocido, Tortilla, Pescado, Pollo con Tomate und am Wochenende thronte mein Vater in der Küche und es gab Schnitzel sowie Apfelkuchen. Meine Mutter war temperamentvoll, sie starb vor über 30 Jahren, und mein Vater war der Fels in meiner Brandung, norddeutsch eben. Er verstarb ganz unerwartet im Januar 2023 und es riss ein tiefes Loch in meine Seele.

Meine Mutter interessierte sich nicht für Schulthemen, denn dafür waren schließlich die Lehrer verantwortlich. Gleichzeitig kontrollierte sie gern und konnte die freiheitsgebende Art deutscher Mütter nicht nachvollziehen. Heute erlebe ich es als deutsche Mutter in Spanien, wie sich immer noch spanische Mütter über die deutsche Schule und die Art der Lehrer aufregen. Auch beobachte ich spanische Mütter auf hiesigen Spielplätzen, muss innerlich schmunzeln und denke mit Verständnis an meine Mama zurück, die in der spanischen Kultur groß wurde.

In der Deutschen Schule Barcelona sollen die Kinder wie in Deutschland frühzeitig selbstständig und eigenverantwortlich werden. Das kollidiert mit dem spanischen Selbstverständnis der Kontrolle.

Zurück in meine Kindheit. Mir wurde ziemlich schnell klar, dass es neben der deutschen Tradition noch eine andere gab, nämlich die spanische. Fand ich das immer großartig? Nein. Spätestens zu Weihnachten merkte ich die Unterschiede beider Länder, denn in Spanien bekamen die Kinder traditionell am 6. Januar, am Tag der Heiligen Drei Könige, von den »Reyes Magos« ihre Geschenke. Und auch noch heute schreiben die Kinder den »Reyes Magos« ihre Wunschliste für die Geschenke und nicht dem Weihnachtsmann. Auch gab es Momente, in denen ich mich ärgerte, dass meine Mutter nicht perfekt Deutsch sprach, dass sie nicht diese ruhige und ausgeglichene Art der deutschen Mütter meiner Mitschüler besaß, sondern voller Temperament und Unruhe war. Auch meckerte sie ständig über das deutsche Wetter und lobte alles in und an Spanien. Logisch, aus heutiger Sicht verstehe ich, dass sie Heimweh hatte. In Deutschland war sie gestresst und auf der Suche nach Wohlstand. In Spanien hingegen konnte sie in ihrer Heimat und im Kreis ihrer Familie entspannen und blühte auf.

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass wir im vollgepackten Auto aus Norddeutschland nach Madrid fuhren, um meiner spanischen Familie Geschenke mitzubringen und deutsche Waren anzupreisen. Auf dem Heimweg schmuggelten wir dann spanische Chorizo, eine Paprika-Salami, und Jamón Serrano, luftgetrockneten Schinken, unter den Rücksitzen nach Deutschland.

Verrückt, oder? Jetzt haben wir die Europäische Union und freie Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten.

Ja, damals gab es noch die Peseta in Spanien und den Franc in Frankreich als Währung. Mein Vater trug auf den Autoreisen einen von meiner Mutter genähten Bauchbeutel, in dem er die benötigten Währungen aufbewahrte. Auch die Landesgrenzen wurden noch streng bewacht. Dieses Gefühl, etwas Falsches zu machen, hatte ich Jahrzehnte später immer noch, wenn ich über die deutsch-schweizerische Staatsgrenze fuhr und mich ständig fragte, ob ich gerade etwas Verbotenes machte, also Waren verbotenerweise ein- oder ausführte.

Leider sprach ich damals kein Spanisch, somit konnte ich mich mit meinen Verwandten nur über Mimik und Gestik verständigen. Mir war es auch nicht wichtig, weil ich die meisten Familienmitglieder selten sah und nicht wirklich wusste, wie ihr Leben war. Es gab in den 1980er-Jahren kein Google, WhatsApp oder Internet und die Telefonate nach Spanien kosteten ein Vermögen. Also war der Kontakt zu meiner spanischen Familie sehr beschränkt, außerdem gab es für mich in Deutschland keine Notwendigkeit, Spanisch zu sprechen. Meine Mutter lebte in Deutschland, war mit einem Deutschen verheiratet und sprach ein charmantes Deutsch mit starkem spanischen Akzent, sehr vielen Fehlern und eigenen Wortkreationen, die mitunter sehr lustig waren. Ihre Zehen waren ihre »Fingitas«, die Verniedlichung der Finger. Das »Kindchenmädchen« war das Sandmännchen und bei der Eheschließung sagte sie zu meinem Vater: »Ich nehme dich zu meinem Hermann«, anstatt »zu meinem Ehemann«.

Allerdings starb meine Mutter, als ich ein Teenager war. Das riss ein großes Loch in meine Seele. Nach der Schule hielt ich es nicht mehr alleine zu Hause aus, sondern verbrachte meine Nachmittage in der Innenstadt von Goslar auf der Gammelmauer. Mit meinem beliebten Leistungssport Voltigieren hatte ich gebrochen, weil ich während der Krankheitsphase meiner Mutter nicht mehr zu den vielen Trainingseinheiten erschien und meine Mannschaft bei den Wettkämpfen hängen ließ. Drei Monate lang fuhren mein Vater und ich täglich nach Hannover ins Krankenhaus, betreuten sie zu Hause oder besuchten sie im Goslarer Krankenhaus. Sie ging damals mit Halsschmerzen zum Arzt und war drei Monate später verstorben. In der Nacht ihres Todes überredete sie meinen Vater, im Krankenhaus zu bleiben, und so verließ sie diese Welt in seinen Armen. Mein Vater war 47 Jahre alt und verstand die Welt nicht mehr. In wenigen Wochen verlor er mehrere Kilo Gewicht, obwohl er sein Essverhalten nicht verändert hatte. Keinen einzigen Tag ließ mein Vater mich spüren, dass ich jetzt mit 15 Jahren ein anderes Leben leben müsste. Er verdiente das Geld, er kochte, putzte, wusch die Wäsche und ich half ihm ein bisschen wie zuvor im Haushalt.

Am Tag der Beerdigung meiner Mutter waren über 200 Menschen auf dem Friedhof. Alle waren da, die in ihrem Leben und in meinem Leben zuvor da und nicht da gewesen waren. Freundinnen von ihr und die, die ich nicht kannte, alle meine Mitschüler, auch die, die mich nicht mochten, Arbeitskollegen, Nachbarn und Familie.

Vom Voltigierverein wurde ich nach ihrem Tod nicht kontaktiert und ich traute mich nicht, mich bei ihnen zu melden. In der Voltigiergruppe fühlte ich mich als Außenseiterin. Meine Eltern verfügten nur über geringe finanzielle Mittel und konnten es sich zum Beispiel nicht leisten, mich mit den anderen Voltigiermitgliedern nach San Francisco zu einer Gruppenfahrt zu schicken. Also blieb ich als Einzige zu Hause.

Die Zeit nach ihrem Tod war schwer und gleichzeitig überraschte es mich, dass ich dieses Schuljahr packte, obwohl ich so gut wie nie lernte. Meine Lehrer waren sicherlich wohlwollend mit mir.

Ich hatte meinen Vater, mit dem ich intensiv trauern konnte. Auch die Schwestern meines Vaters begleiteten uns, soweit sie konnten. Doch vor Ort in Goslar gab es keine spanische Verwandtschaft, mit der ich mich hätte unterhalten können.

Plötzlich gab es nichts Ausländisches mehr in meinem Leben. Zudem bin ich dunkelblond, habe blaue Augen, sprach kein Wort Spanisch und plötzlich zeugte nichts davon, dass ich mal eine spanische Mutter gehabt hatte. In mir entwickelte sich der große Wunsch, die spanische Sprache zu erlernen und meine Wurzeln kennenzulernen.

Ich wechselte das Gymnasium und tauschte den Französisch- gegen den Spanischunterricht aus. Später waren Spanisch und Englisch meine Leistungsfächer. Nach dem Abitur umgab mich völlige Planlosigkeit und nur durch meine Freundin Ulli ergatterte ich einen Ausbildungsplatz als Industriekauffrau, weil sie diesen nicht wollte, sondern in der Bank mit einer Lehre begann.

In mir entwickelte sich während der Ausbildung nicht nur ein Fernweh, das ich vorher nicht kannte, sondern auch die Überzeugung, dass ich trotz mittelmäßigem Abitur studieren wollte. Doch ich empfand mich als Deutsche, als Kopie meines Vaters. Spanien hatte zwar wärmeres Wetter, doch ansonsten schien es mir so, dass alles andere in Deutschland besser sei.

Getrieben durch den Verlust meiner Mutter, suchte ich nach einem internationalen Studium und fand mich nach der Ausbildung im Hörsaal in Münster wieder. Ich ergatterte nach mehreren Auswahlverfahren einen begehrten Platz am European Business Programme. Mit sechzig anderen Studenten war ich gleichzeitig in zwei europäischen Hochschulen eingeschrieben. Mein Studienziel war ein spanisch-deutsches Doppeldiplom in Betriebswirtschaftslehre. Zum ersten Mal fand ich mich in einem internationalen Haufen aus Menschen wieder, die aus internationalen Familien kamen, die alle durch die Bank weg einen akademischen Hintergrund hatten.

In meiner Heimatstadt waren Ausländer Arbeiter und keine Akademiker. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich eine ganz andere Perspektive auf Ausländer. Mit Engländern, Niederländern, Italienern, Franzosen, Spaniern, Lateinamerikanern, Südafrikanern, Schweden und Deutschen bestritt ich meinen Studentenalltag und stellte ziemlich schnell eine positive Dynamik und Neugierde bei meinen Kommilitonen und mir fest. Wir alle liebten den Mix aus Kulturen und unterschiedlichen Sprachen. Auch heute haben viele von ihnen eine internationale Familie gegründet und leben im Ausland, so wie ich, und haben Kinder, die zwei oder mehr Sprachen sprechen.

Wenn ich meine Tochter betrachte, die mit einer Selbstverständlichkeit schon mit sechs Jahren Englisch, Deutsch und Spanisch sprach, ist mir bewusst, was für ein Geschenk sie von uns bekommen hat.

Während des Studiums lebte ich in Münster, Madrid und London. Mein Grundstein für ein internationales Leben war gelegt. Klar ist, dass ganz viele Dinge mit mir passierten, während ich im Ausland lebte, ohne dass ich es sofort gemerkt hätte. Und ja, dieses Leben im Ausland machte und macht etwas mit mir. Das Leben ist anders und hat eine Art von Reichtum, die meine Freunde aus dem Gymnasium, die immer noch in meiner Heimatstadt leben, nicht haben. Vielleicht ist es eine Art Leichtigkeit oder lebender Neugierde, gepaart mit Toleranz, geistiger Freiheit und Anpassungsbereitschaft.

Gleichzeitig fehlt diesem Leben, das ich führe, etwas. Meine Freunde aus Goslar haben davon im Übermaß: fest verwurzelte Freundschaften und Familie in unmittelbarer Nähe.

Man sollte nicht meinen, dass ich keine Freundschaften hätte. Im Gegenteil, allerdings sind sie auf der Welt verteilt. Leider entwurzeln sich Freundschaften, wenn man einen Ort verlässt. Natürlich bleibt man irgendwie in Kontakt, wenn man sich zum Geburtstag gratuliert, doch es ist anders, wenn alle Freunde und Bekannte in der unmittelbaren Umgebung leben. Zum Beispiel hat meine Tochter keine Schuldirektorin, mit der ich Abitur gemacht habe, was sehr wahrscheinlich wäre, wenn wir in Goslar lebten. Ich habe keinen Arzt oder Bankberater, den ich seit Ewigkeiten aus meiner Kindheit kenne. Das passiert eher nicht in meinem Leben.

Ich habe mittlerweile eine kleine eigene Familie, nationale und internationale Freunde vor Ort, meine Familie in Deutschland und in Spanien, meine Distanz-Freunde aus allen meinen Länderstationen, örtliche Bekannte und Nachbarn.

Diese innere, mentale Veränderung im Ausland passiert mit dir, ohne dass du es am Anfang realisierst. Dabei ist es meiner Meinung nach egal, ob du schlichtweg auf Zeit oder für immer im Ausland lebst. Ist es auf Zeit, musst du dich darauf einstellen, dass du dich sehr wahrscheinlich zweimal integrieren musst. Das erste Mal, wenn du ankommst, und das zweite Mal, wenn du wieder zu Hause eintriffst. Wanderst du für immer aus, gibt es eine Zeit auf Probe, in der du ankommen kannst. Wanderst du durch verschiedene Länder, so wie ich, beginnt vieles von Neuem und es braucht immer eine gewisse Zeit, bis du beginnst, Wurzeln zu schlagen. Möglicherweise stellt sich eine Routine ein, wenn du alle drei Jahre das Land wechselst und mit einer »Relocation Agentur« arbeitest. So eine Agentur hatten wir auch beim Umzug in die USA. Sie unterstützt, organisiert und hilft, denn der Papierkram ist zum Teil gigantisch.

Eine Routine stellte sich bei mir in den letzten Jahrzehnten nicht ein. Normalerweise dauerte es so zwischen sechs und neun Monate, bis ich das Gefühl hatte, mich zurechtzufinden. In oder wegen der Corona-Pandemie dauerte es beim Wechsel aus den USA nach Spanien sogar drei Jahre, bis ich endlich das Gefühl hatte, angekommen zu sein.

Gibt es immer diesen Zeitpunkt, an dem du dich integriert fühlst?

Meiner Meinung nach nein. Schnell merkst du, ob das Land deiner Wahl wirklich zu dir passt. Fühlst du dich wohl oder wirst du vom Heimweh oder auch vom Fernweh geplagt? Hast du immer eine genaue Erwartung von administrativen Abläufen oder kannst du gut mit einem anderen, dir nicht gewohnten Umfeld umgehen? Ich glaube schon, dass das Land deiner ersten Sozialisierung durch Kindergarten, Schule, Ausbildung, Uni oder Job einen prägenden Eindruck hinterlässt.

Die Gründe für das Leben im Ausland können sehr unterschiedlich sein. Entweder ist es dein neuer Job, oder der neue Job deines Partners / deiner Partnerin, du bist Klimaflüchtling oder Kulturflüchtling oder du läufst einfach weg, weil du dein Umfeld in Deutschland nicht mehr ertragen kannst.

Als ich das erste Mal ins Ausland ging, war mir nicht klar, dass ich auswanderte. Ich studierte und kämpfte mich durch die Vorlesungen an der Hochschule in Madrid. Meine Kommilitonen und ich waren darauf aus, es neben dem Lernen in Madrid krachen zu lassen und die »Marcha Madrilena«, das abendliche Ausgehen, vollumfänglich zu genießen. Als ich mit hohem Fieber in Frankfurt ins Flugzeug stieg, um mein Praktikum in London anzutreten, wurde mir Wochen später klar, wie bunt und vielfältig wir in Europa sind. Ein perfektes Beispiel ist für mich das Warten auf den Bus. In der Schweiz wird immer auf den Fahrplan geschaut, wann der Bus kommt. In England stellte man sich in einer Schlange auf, um in den Bus zu steigen, und in Spanien wartet man einfach, denn der Bus kommt oder eben nicht.

Die unterschiedlichen Sprachen, die unterschiedlichen Essenskulturen, der allgemeine Umgang im Alltag und vieles mehr. Jahre später allerdings, ich lebte bereits einige Jahre in den USA, stellte ich fest, wie unglaublich ähnlich wir Europäer einander im Vergleich zu den Amerikanern doch sind. Vor allem die staatliche Sozialstruktur der europäischen Länder macht uns, meiner Meinung nach, zu einer großen europäischen Familie.

Rückblickend kann ich sagen, dass die Suche nach einem Job meine treibende Kraft für das Leben im Ausland war. Nach fünf Jahren Frankfurt und einer globalen Finanzkrise schien es für mich als Junior am Kapitalmarkt unmöglich zu sein, einen Job in Deutschland zu ergattern. Mich lockte ein sehr interessantes Angebot einer Schweizer Privatbank nach Zürich. Ohne jemanden in der Schweiz oder das Land selbst zu kennen, packte ich meine sieben Sachen und meinen Hund und wanderte aus. Wenn du vielleicht jetzt glaubst: »Ach, die Schweiz ist doch wie Deutschland!«, irrst du dich. Zwar haben wir den gleichen Sprachkreis, doch die Unterschiede sind enorm. Kaya Yanar, ein deutscher Komiker mit türkisch-arabischem Migrationshintergrund, lebt seit einigen Jahren in der Schweiz und kann auf ganz herrliche Weise die Unterschiede zwischen den Deutschen und den Schweizern darstellen. Im YouTube-Video »Höflich, höflicher, Schweiz« spricht er charmant über den Flüsterton in der Züricher Tram, wie man sich über Deutsche aufregt, ständiges Grüßen, fehlendes Angequatsche von Prominenten und lange Verabschiedungen am Telefon. Im Anhang ist der passende QR-Code zu diesem Video.

Zürich und die gesamte Schweiz sind reich an Wasser und Natur. Nie zuvor hatte ich so klare Seen und massive Berge erlebt. Bis zu meinem Umzug in die Schweiz war mir nicht klar, welche gravierenden Unterschiede es haben kann, auf welcher Seite eines Berges man lebt. Lebst du auf der Südseite, können Palmen in deinem Garten überwintern – lebst du auf der Nordseite, liegt dein Haus im Schatten und du schaust wahrscheinlich über den Zürichsee auf die sonnenverwöhnte goldene Küste. In meinem vorherigen Leben kannte ich zwar Schatten, doch nur durch ein Haus oder einen Baum, nicht wirklich durch einen übergroßen Berg. Leider liegt Zürich so, dass es eben diese Sonnenseite und diese Schattenseite gibt. Zuerst suchte ich mir eine Wohnung in Albisrieden, genoss die Sonne am Wochenende beim Frühstück, doch hatte auf der Terrasse nur Schatten, wenn ich von der Arbeit kam. Ich lernte für mich, dass ich die Abendsonne brauchte. Also zog ich in die Nähe meines Arbeitgebers, der in Altstetten ansässig war. In meiner dortigen Wohnung hatte ich einen Westbalkon und genoss die Abende, bis die Sonne unterging. Jetzt südlich von Barcelona genieße ich die Sonnenauf- und -untergänge am liebsten von November bis Februar über dem Meer.

Nach der Schweiz kamen für mich die USA. Mein damaliger Freund, später Ehemann, bekam ein großartiges Angebot und wir schlugen zu. Innerhalb von fünf Wochen heirateten wir und veranstalteten ein riesiges Hochzeits- und Abschiedsfest, bevor wir für vier Jahre in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten gingen. Wir starteten das Abenteuer unter Barack Obama und verließen es, als Donald Trump das Land regierte.

Die USA haben mich auf eine ganz besondere Weise geprägt. Ich war schon immer eher eine Optimistin und liebte das Macher-Gen vieler Amerikaner, die ich kennenlernen durfte. Trotzdem schlägt auch nach wie vor das meckernde und pessimistische Europäerin-Herz in mir. Doch ich arbeite täglich daran, die Welt mit einem lachenden Auge zu betrachten. Die Welt wird dadurch nicht anders, doch fühlt es sich besser an. Manche mögen denken, dass die Amerikaner keine Optimisten, sondern marketingorientierte Business-Menschen seien. Vielleicht ist das so. Vielleicht aber auch nicht. Ihre freundliche Art hat mich umgarnt und süchtig gemacht.

Auch hat das Land einfach unglaublich viel Platz. An den Orten, in denen die höchste Bevölkerungsdichte herrscht, gibt es, aus der europäischen Brille betrachtet, viel Platz. Das gab mir ein Gefühl von Freiheit. »The land of the free«.

Gleichzeitig musste ich feststellen, dass die soziale Marktwirtschaft mit ihrer soliden Kranken- und Arbeitslosenversicherung, die ich aus Deutschland oder der Schweiz gut kannte, in meiner Welt der Selbstverständlichkeiten vollständig verankert war.

Die Gewöhnung an das amerikanische System war hart. Amerikaner wachsen in einem System auf, das Unternehmensideen und das Unternehmertum stimuliert und fördert. Bereits im Kindergarten halten 4-jährige Präsentationen vor der gesamten Gruppe und in Grundschulen werden Ideen zu Business-Modellen und als Projekte vorgestellt. Natürlich erst mit Keksen und Spielzeugen, doch immerhin. Deshalb ist es in den USA nicht tragisch, wenn ein Geschäftsmodell nicht aufgeht. Das Scheitern ist nicht das Problem, sondern das Nicht-wieder-auf-die-Beine-Kommen. Niederlagen zeugen von Unternehmensgeist und Durchhaltevermögen. Wenn ich mir vorstelle, in Deutschland eine berufliche Niederlage in einem Interview verkaufen zu müssen, sehe ich auf meiner Stirn stehen: »Versagerin!« Wer in Deutschland einmal versagt, ist ein Loser auf Lebenszeit.

Wenn ich beide Varianten vergleiche, ist die deutsche Version wirklich hart. Babys stehen auch immer wieder auf, wenn sie versuchen, Laufen zu lernen, und werden von ihren Eltern gefeiert. Wäre das nicht auch für das deutsche Unternehmertum eine schöne Sache? Doch ich denke, der Spirit ändert sich gerade. Klar ist aber auch, dass du in Deutschland bei einer Privatinsolvenz vom deutschen Sozialsystem aufgefangen wirst. In den USA passiert das wohl eher nicht. Vielleicht ist das der Ursprung der Unterschiedlichkeit. Wird man in der Sicherheit träge und im Risiko agil?

Schwierige Frage, doch ich glaube ja. Und wie siehst du das?

Vermisse ich heute die USA oder die Schweiz? Ja, und wie. Die Herzlichkeit der Amerikaner. Die überschwänglichen Begrüßungen, freundliches Winken, respektvolles Vorgehenlassen, Tausende Entschuldigungen, auch wenn die Amerikaner vorher pfleglich angemotzt wurden. Es war herrlich und gab meinem Alltag ein gutes, ein neues, ein anderes Gefühl als das, was ich vorher gewohnt war. Und in der Schweiz? Die Sicherheit, die Aufrichtigkeit, das verantwortungsvolle und offen kommunizierende Arbeiten, die wunderschöne Natur, der Fokus auf Qualität und nicht auf Quantität und die besonnene und neutrale Art. Auch der großzügige Blick auf die Umwelt und auf das für den Menschen überlebenswichtige Thema Nachhaltigkeit.

Das Land Spanien entdeckte ich als Deutsche und nicht als Halbspanierin. Nirgends erlebte ich, wie laut und freiherzig über intimste Familiengeheimnisse mit Fremden oder Bekannten im Bus gesprochen wurde. Das Land der Kellner, wie eine spanische Mutter aus der Klasse meiner Tochter einmal sagte, ist herzlich, verzeiht Kindern alles, nimmt lange Arbeitszeiten in Kauf, ist laut und temperamentvoll und immer noch dabei, das Franco-Trauma, das erst in den 1970er-Jahren des letzten Jahrhunderts endete, zu überwinden. 1936 hatte der faschistische General Franco gegen die demokratisch gewählte linke Regierung in Spanien geputscht. Fast drei Jahre dauerte der Bürgerkrieg, Franco gewann und führte das Land bis zu seinem Tod unter seiner Diktatur. 1975 starb Francisco Franco und 1977 fanden die ersten freien Wahlen statt.

In Barcelona erwartete uns eine katalanische Gastfreundschaft, die wir nicht wirklich genießen konnten, da sich kurze Zeit nach unserer Ankunft der Corona-Virus zu einer weltweiten Pandemie entwickelte. Das Leben der Spanier findet auf der Straße statt. In Barcelona hat das Wetter eine konstante Beständigkeit, die ich zuvor in meinem gesamten Leben nicht erleben durfte. Das Mittelmeer bringt Milde und Sonne in eine Region, deren Menschen auf der Straße leben. Heißt das, dass die Spanier kein Zuhause haben? Natürlich nicht, vielmehr ist es so, dass das schöne Wetter die Menschen nach draußen lockt. In der Regel sind die Wohnungen klein und dunkel, um sie im Sommer kühl zu halten. Bereits am Morgen sind die unzähligen Bars überfüllt von Menschen, die entweder einen Kaffee oder ein ganzes Frühstück genießen. Da es selten regnet, kann man immer mit ein paar Sonnenstrahlen am Tag rechnen. Das Leben spielt sich einfach draußen ab. Das erklärt vielleicht auch, dass die Wohnungen klein sind und auch in den Dörfern mit viel Platz klein und eng gebaut wird. Einfamilienhäuser mit großen Gärten gibt es selten im Stadt- oder Dorfbild. Trotzdem hielten sich die Menschen an die vom spanischen Staat aufgedrückte Ausgangssperre während der Pandemie. Die Katalanen klatschten jeden Abend von Fenstern und Balkonen aus für die Menschen im spanischen Gesundheitssystem. Nicht nur für uns, sondern auch für die Spanier war es eine sehr große Veränderung. Der Covid-19-Virus veränderte das Leben dramatisch. Die Straßen waren leer, die Cafés geschlossen und die Tiere aus der Collserola, der an die Stadt grenzenden Waldregion, begannen, die Straßen von Barcelona zu bevölkern. Wildschweinvideos, die durch leere Straßen auf der Suche nach Futter waren, überfluteten die Social-Media-Kanäle und verschiedene WhatsApp-Gruppen.

Umso mehr war ich davon überrascht, wie diszipliniert die Katalanen zu Hause blieben und dann später vorbildlich einen Mund-Nasen-Schutz trugen. Spanien war der Spitzenreiter bei einer Impfquote von knapp 80 Prozent der Gesamtbevölkerung im November 2021. Doch wie sollte es anders sein, kam das ursprüngliche Leben wieder zurück in die Stadt und die großen Einschränkungen waren vergessen.

Würde ich wieder auswandern? Also den Schritt wagen, Deutschland zu verlassen? Nach vielen Städten, Ländern und einzigartigen Erlebnissen würde ich es immer wieder tun! Gleichzeitig vermisse ich Deutschland und ein Leben in verwurzelten Bahnen. Da stellt sich mir die Frage: »Was machten die Länder aus mir?«

Ich bin toleranter, offener, freundlicher, frecher und mutiger geworden. Dieses Buch erzählt eine für mich mutige und ganz persönliche Geschichte, nämlich meine. Ich möchte meine Erfahrungen mit dir teilen und freue mich, wenn ich dir mit dieser Lektüre eine kurzweilige und unterhaltsame Zeit schenken darf.

Ankommen, das Abenteuer beginnt

Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen ersten Arbeitstag in der Schweiz. Ich fing in einem kleinen Team in der Abteilung Aktienanalyse an. Dabei wurde ich von fünf Männern, meinen neuen Teammitgliedern zwischen 30 und 45 Jahren, mit einem Glas Veuve-Clicquot-Champagner begrüßt. Kann man so einen Arbeitsbeginn je vergessen? Ich nicht.

Zürich und mein neuer Arbeitsplatz katapultierten mich augenblicklich auf ein pures Luxus-Niveau. Bei der Eröffnung meines Girokontos wurde mir ein Cüpli, also Schaumwein, angeboten. Die Bahnhofstraße glitzerte im Geld und das Tragen von Luxusmarken war in Zürich keine Seltenheit. Erst ein Zwischenfall mit einem Müllbeutel schleuderte mich von der Wolke Luxus zurück auf den Boden. »Wänn Sie s’nächscht Mal kein Zürisack bruchet, zeig ich Sie a!«, schallte es im Flüsterton meines Nachbars in mein Ohr. Ich hatte offensichtlich etwas falsch gemacht, er ließ mich aber mit meiner Unwissenheit zurück und schlich zurück in seine Wohnung.

Mein Tag begann jetzt mit einem Gipfeli, in Goslar nennt man sie Croissants, und einem Kaffee aus einer sehr hochwertigen Espresso-Maschine aus der Kantine. Meine Arbeitskollegen sprachen mit mir Hochdeutsch, hatten eine wunderbare Schweizer Färbung in der Aussprache und ein kommunikativ offenes Auftreten.

In der zweiten Woche kam mein Teamleiter mit der Bitte auf mich zu, eine E-Mail für ihn Korrektur zu lesen. Er wollte sichergehen, dass sein Hochdeutsch »richtig« sei. Ich fühlte mich »leicht verarscht«. Konnte er es wirklich ernst meinen? Er war Chef und sprach mindestens zwei Sprachen fließend. Ich lächelte ihn freundlich an und nahm den Ausdruck beherzt entgegen. Nach einigen Sätzen musste ich schmunzeln, weil mir zum ersten Mal helvetische Begriffe über den Weg liefen.

Die Schweizer konkurrenzierten anstatt zu konkurrieren, parkierten anstatt zu parken, besprachen Themen bilateral statt unter vier Augen und gingen ins Spital und nicht ins Krankenhaus. Meine Kollegen mussten nach der Arbeit auf den Zug und nicht in den Zug und Liebespaare küssten sich aufs Maul anstatt auf den Mund.

Viele Schweizer Ausdrücke ließen in mir automatisch ein lustiges Bild im Kopf entstehen und es war schwierig, nicht zu lachen oder zu lächeln. Ich wollte ja nicht unhöflich sein.

Soweit ich zurückdenken kann, bin ich immer unvoreingenommen in jedes Land gereist. Ob beruflich oder privat. Beim Thema USA war es schon etwas anders. Ich würde Europa verlassen und über den Großen Teich fliegen. Außerdem war es zum ersten Mal ein Familienprojekt.

Zu meiner Schulzeit gab es unter den Schülern Klassenumfragen: »Wohin würdest du gerne auswandern?« Die USA und auch Australien standen immer ganz hoch im Kurs. Mir war das damals egal, denn ich konnte mir unter beiden Ländern nichts vorstellen.

Jahre später sollte es also tatsächlich für uns in die USA gehen. Alles begann mit einem beruflichen Angebot. Mein Mann arbeitete bereits seit einigen Jahren für ein Schweizer Unternehmen und schaute auf eine gute Karriereentwicklung zurück. Genau zu diesem Zeitpunkt ersehnte ich mir eine Lebensveränderung. Wir hatten mittlerweile einige Jahre zusammen in Zürich verbracht und vieles gesehen. Ich lebte zu der Zeit seit zwölf Jahren in Zürich. Ich hatte die Winter und Sommer erlebt und die Berge und Seen erkundet. Ich genoss die Sauberkeit und die Sicherheit des Landes. Meine Tochter war in Zürich geboren und dort in die Kinderkrippe gegangen. Ich hatte in der Schweiz eine ausgesprochen gute berufliche Karriere in verschiedenen Banken absolviert, doch ich wollte weiterziehen. Ich wollte ein neues Abenteuer.

Dann kam dieses Angebot. Kein Entsendungsvertrag mit allen finanziellen Vorzügen, wie bestehenden Rentenansprüchen, Urlaubstagen und Schweizer Kündigungsfristen, sondern ein lokaler Vertrag mit einer 14-tägigen Kündigungsfrist auf einem Visum, das mich vollumfänglich von meinem Ehemann in den USA abhängig machte.

Allerdings war ich zum Zeitpunkt des Angebots noch gar nicht seine Ehefrau. Er war unsicher, ich war begeistert.

Auf einmal lächelte mich eine Veränderung an und dieses Lächeln war unschlagbar schön und verlockend. Wir würden ein neues Land erkunden, unsere Tochter könnte Englisch lernen und wir würden in eine andere Kultur eintauchen. Nicht mehr Europa, sondern die USA.

Ich gehöre zu den Menschen, die Veränderungen lieben. Ich kann mich auch von alten Dingen lösen und mag es, wenn ich Luft zum Atmen habe. Ob es daran liegt, dass ich bereits als Kind in ein überfülltes Auto gepackt wurde, um über 2.400 Kilometer in die Heimat meiner Mutter zu fahren? Das weiß ich nicht, wäre aber denkbar. Zumindest glaube ich, dass es mich beeinflusste. Auch besitze ich die Eigenschaft, Dinge tatsächlich ohne große Erwartungen auf mich zukommen zu lassen. Ich male mir nicht alles im Detail vorher aus, sondern lasse mich überraschen.

Vielleicht naiv, vielleicht aber auch einfach erfrischend.

Wenn es um das Leben im Ausland geht, habe ich eine Theorie. Ich glaube daran, dass es zwei Arten von Menschen gibt. Ich glaube, Menschen sind entweder wie Bäume oder wie Vögel. Die Baum-Menschen sind mit ihrer Heimat oder einer bestimmten Region verwurzelt. Ihnen fällt es schwer, den Ort, eine Region oder ein Land zu verlassen. Das heißt nicht, dass sie nicht andere Länder oder Orte in ihrer Freizeit erkunden. Es soll nur heißen, dass sie nicht ohne einen triftigen Grund ihr Leben an einen anderen Ort umsiedeln. Und dann gibt es diese Vogel-Menschen. Dieser Homo sapiens hört ständig, immer mal wieder oder ab und zu eine innere Stimme. Diese Stimme spricht von Veränderung, von Fernweh, von Abenteuer und Neuanfang. Ich bin ein Vogel und mein damaliger Mann ist ein Baum.

Als ich jünger war, spürte ich bereits diesen inneren Wunsch, neue Orte zu entdecken. Ich suchte nach einem internationalen Studium, liebte Reisen und das Gefühl von Aufbruchsstimmung und die wohlige Vorfreude auf das Abenteuer. Dieses Vogel-Gen habe ich wohl ganz offensichtlich meiner Tochter vererbt, denn sie fragte mich vor ein paar Tagen, wann wir denn mal wieder auf Reisen gehen würden.

Angst vor fremden Ländern und Kulturen hatte ich noch nie. Ich wusste immer, dass ich wieder nach Hause gehen kann, falls es mir nicht gefallen würde. Diese innere Sicherheit trieb mich in die Ferne.