Hubert Burda - Der Medienfürst - Gisela Freisinger - E-Book

Hubert Burda - Der Medienfürst E-Book

Gisela Freisinger

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Beschreibung

Hubert Burda ist einer der erfolgreichsten Unternehmer Deutschlands. Sein Medienimperium umfasst 239 Zeitungen und Zeitschriften in 19 Ländern, sein Vermögen wird auf über 2 Milliarden Euro geschätzt – damit ist ihm ein vorderer Platz in der Forbes-Liste der weltweit Reichsten sicher.

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Freisinger, Gisela

Hubert Burda - Der Medienfürst

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2005. Campus Verlag GmbH

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E-Book ISBN: 978-3-593-40087-7

|9|Prolog

Heidelberg. Der kleine Mann nimmt große Schritte; marschiert vom »Ritter Sankt Georg« über holpriges Königspflaster zum Marktplatz. Er ist untersetzt und sein Gang so gewichtig, als müsste jeder Auftritt einen Abdruck hinterlassen. Seine Hände sind prankig, als würde er schwer an seinen Werken tragen; die hohe Stirn verläuft sich in Geheimratsecken. Das Gesicht ist breit und weich; die schmalen, braunen Augen hinter großer Brille; die Unterlippe will ständig nach vorn. Sein Haar ist grau, sein Lächeln vieldeutig.

Er ist auf dem Weg zu einer Dichterehrung. Obwohl dort sein Scheck überreicht wird, will er nicht mit leeren Händen kommen. So hält er am Blumenstand inne und mustert die bunten Schönen. Hängende Köpfe bestraft er mit ungnädigem Blick. Was kostet dieser Strauß, wie viel jener? Sein Zeigefinger springt über die Reihen der floralen Pracht, bis er schließlich bei einem passenden Gebinde landet: In der Mitte eine strahlende Sonnenblume, drumherum farbenfrohes Durcheinander. Zufrieden winkt er seinen Begleiter heran. Der Schattenmann bezahlt und übernimmt den Strauß.

Im Weitergehen, zwischen Blumenkohlköpfen und Rettichwurzen, ruft ihm plötzlich ein kerniger Bariton zu: »Sie! Sie!« Die ganze Kraft von Volkes Stimme bebt darin. Eine Schrecksekunde nur, und schon ortet er hinter dem Salatstand den Hünen. Lederhauthände winken ihm zu, und die Worte dulden keinen Widerspruch: »Sie san’ der Doktor Burda!« Gebannt bleibt der stehen.

»Ha ja, freilich«, nuschelt der Doktor mundartig.

»Ich hab’ schon gehört, dass Sie in Heidelberg san’, es steht doch heut’ in der Zeitung.«

»Ach? Wirklich?«, gibt er sich erstaunt. Dabei hat er auch an diesem|10|, wie an jedem anderen Morgen, aufmerksam die Mappe durchgearbeitet, die ihm seine Helfer präparieren; sämtliche Artikel in sämtlichen Publikationen, die seinen Namen und den seines Hauses erwähnen. Ist die Mappe dick, wird es ein prächtiger Tag. Ist die Mappe dünn, ist sein Lächeln schmallippig. Aber jetzt ist es gelöst, und in seinen Augenschlitzen tanzt die List.

»Mei’ Dochter hat bei Ihne’ g’schafft, Herr Doktor«, erklärt der Standlmann.

»Saget Se’ bloß! In welchem Blatt?«

»Bei derre Bunn-de.«

»Fantastisch! Dann muss sie gut sein.«

»Ich bin zufrieden mit dem Mädl«, lobt der Herr der Salatköpfe, »die ist jetzt solide untergebracht beim Bayerischen Rundfunk.«

»Aha!« Kriecht da eine Spur Missmut heran?

»Aber gelernt hat sie bei Ihne’.« Das lässt sich doch hören.

Sehen so Begegnungen zwischen Leser und Verleger aus? Hat hier wirklich der Regisseur Zufall die Szene gestellt? Es wäre ein Film so ganz nach dem Geschmack des Doktor Burda. Kurz, und im Mittelpunkt nur ein Held – ER. In einer Rolle, die ihm so gefiele: Heros, der in der Menge badet, geborgen im Schaum der Bewunderung. Zufrieden streichelt er seine Jackett-Tasche glatt, die nicht die geringste Falte wirft. Die ganze Kleidung ist ausgesucht im Handbuch für den Gentleman: dunkelblauer Zweireiher, weißes Hemd, die Krawatte bis zum Anschlag festgezurrt. Die schwarzen Schuhe picobello.

»Wo immer ich bin, gehe ich auf die Marktplätze«, sagt er. »Das sind die wichtigsten Plätze der Welt. Dort können Sie die Menschen am besten beobachten. Wie sie sich anziehen; was sie essen; welche Zeitschriften in ihren Taschen stecken.« Er wirkt steif, wie er so die Ellenbogen an den kompakten Körper drückt und mit den Armen pumpt. Als wollte er gleich abheben, wenn es ihm zu eng wird unter so viel Volk.

Wer mit den Augen von Hubert Burda schaut, teilt die Welt in Leser und Zielgruppen. »Der Verleger«, wie ihn seine Leute nennen, gebietet Anfang 2005 über 239 Zeitschriften in 19 Ländern, 76 davon in Deutschland. 7 500 Menschen stehen auf seinen Gehaltslisten. Sein Imperium bedeutet ihm alles und bedient alle: Fashion Victims|11|, Häuslebauer und Playboys; Klatschsüchtige und Kreuzworträtsel-Intelligenz; die Massen unter dem Regenbogen der Yellow Press bis zur dünner besiedelten Info-Elite. Erreicht damit 78 Prozent der Deutschen ab 14 Jahre und so manche Markttasche. Er hat es geschafft, auf die Ränge der reichsten Reichen im Land zu klettern, und verteidigt auf der Forbes-Liste der 500 »fat cats«, der Fetten Katzen, weltweit einen Platz im vorderen Mittelfeld. Das elektrisiert! Nicht nur des Geldes wegen. Seine Genugtuung ist der Status. Das Protokoll, wie er es liebt. Jetzt müssen sie ihm Respekt erweisen. Keiner kommt mehr an ihm vorbei. Alle, die früher so laut gelacht haben über den kleinen Spinner, den Jüngsten vom »Schwarzwaldspringerle«, katzbuckeln sie jetzt nicht?

Das manager magazin gewichtet ihn mit 2,1 Milliarden Euro. Forbes sieht sein Nettovermögen 2004 bei 2,5 Milliarden US-Dollar. Kleine Wechselkursschwankungen müssen bei dieser Größenordnung schon drin sein. 1,70 Meter groß, 2 500 Millionen US-Dollar schwer. Ahnt einer, was hinter diesen trockenen Zahlen steht? Wie viel Macht, wie viele Rotwein-Abende beim Kanzler? Und wie viele dringende Telefonate mit den deutschen Wirtschaftsgrößen? Aber wie viel Angst auch, über der Sonnenseite könne ein Schatten aufziehen? Therapiert er sich mit Brechtscher Lyrik fürs Lumpenproletariat, wenn er immer wieder rezitiert: Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine? Ständig vermisst er die Ränge von Bertelsmann, Bauer und Springer, nur um die eigene Position zu orten.

Er ist der Tycoon im barocken Reich des Südens. »Der Milliardenmann« könnte die Geschichte in seinen Zeitschriften getitelt sein. Ob in Bunte oder Focus, Super Illu, freundin oder Freizeit Revue. Geld fasziniert nun einmal zielgruppenübergreifend. Eine Illustrierten-Vita also, auf Hochglanz getrimmt und burdablau? Bodyguards, Gurus, Hofintriganten und Traumfrau inklusive? Oder die eines Medien-Humboldts, der, launisch wie ein Wetterhahn, im Kosmos der Neugierde segelt? Mal mit Goethe und Bill Gates, mal mit Leonardo da Vinci und Mr. Spock.

Oder ist seine Geschichte ein eiskalter Psychothriller, in dem das Opfer in Wahrheit der Täter ist? Warum heißt das Verlagsunternehmen »Hubert Burda Media«, wo doch der Erbanwärter der Burdas |12|seit jeher Franz gerufen wurde? Großvater Franz (I.), Vater Franz (II.), der große Bruder Franz (III.), und auch dessen Sohn heißt selbstredend Franz (IV.). Eine einzige Franzerei herrscht in diesem Schwarzwald-Clan. Selbst der hauseigene Tropfen wurde Franzensberger getauft und in der Franzensstube gesüffelt. Franz! Welche Hürde für einen, der Hubert heißt und glaubt, sein Clan sei eine »Dynastie«. Wie kommt er zu der Burdakrone? Ein Usurpator? Ein Albtraum, der ihn immer wieder einholt? Ist er deshalb so unerlöst? So schnell gelangweilt? Warum schlingt er seine köstlichen Mahlzeiten, kippt die edlen Tropfen? Kann er nicht innehalten und einmal zufrieden sein?

Er muss jetzt den Marktplatz hinter sich lassen und noch einen Blick auf das Schloss werfen, das oben, vom Berg her, alles überstrahlt. Obwohl Offenburger, ist er in Heidelberg geboren, 1940; hat auch die ersten beiden Lebensjahre hier verbracht. »Der Pöppel sagt ja, in diesen zwei Jahren entscheidet sich alles.« Die Bilder, die dann im Kopf sind, prägen den Menschen für immer. Ernst Pöppel, ein namhafter Gehirnforscher, doziert zwischen München und Peking, in welcher Gehirnwindung Imagination und Ratio vibrieren. Aber weiß er auch, wie Hubert Burda hinter sein eigenes Geheimnis kommen kann? Unablässig sucht er danach, »will ja wissen, wer ich bin«. Ein Träumer? Ein Visionär? Eine tickende Neuronenbombe?

»Heute Morgen hab’ ich die Mutter angerufen.« Die Königin des untergegangenen Reichs der Schnittmustermode, die legendäre Aenne Burda. Gestern wild-schöne Amazone, heute im 96. Lebensjahr und noch immer nicht gebändigt. Aus ihrem Stoff ließen sich Romanzyklen schneidern. Der Sohn will erfahren, ob er als Kleinkind das Schloss gesehen hat. Wie oft? Wie nah? Wie intensiv? Er ist 65. Gibt es ein tiefgefrorenes Bild, das nur auftauen müsste, um das Mysterium preiszugeben? Sehnsüchtig schaut er bergan.

|13|Teil I

Der Verlegersohn

|15|Kapitel 1

Fünfter sein

Ich. Ich. Ich! Ich will! Ich muss! Ich werde! Zügig tritt der 15-Jährige in die Pedale, berstend vor jugendlicher Energie. Dieser frühsommerliche Donnerstag im Juni des Jahres 1955 wird alles Kommende bestimmen. Im Anfang war das Ego.

Sein Kopf glüht von all den großen Gedanken, die sich um seine Zukunft knäulen. Aber kaum ist sie zum Greifen nah, entschwebt sie wieder und lässt ihn zurück in einer Wolke erdrückender Zweifel. Will ich? Muss ich? Werde ich? Der Untersekundaner hat seinen ersten Artikel geschrieben: »Ein junger Mensch erlebt Werke von Picasso«, gezeichnet mit seinen Initialen, »H. B.«, Hubert Burda.

So steht es in der Nummer 24/1955 von Bunte Illustrierte, vormals Das Ufer. Es ist das Vorzeigeblättle des Offenburger Druckers und angehenden Verlegers von Wirtschaftswunderdeutschland, Dr. Franz Burda, dem Vater. Weil der hervorragende Fachmann Farbe in eine Branche bringt, die sich bis dahin ganz in Schwarz-Weiß präsentierte, benannte er seine Zeitschrift um. Was draufsteht, ist drin. Nach diesem schlichten Motto betitelt er auch seine weiteren Zeitschriften: Das Haus, Bild und Funk, Freizeit Revue, Mein schöner Garten. »Primitiv«, wie Sohn Hubert findet. Das Drucken hat Dr. Franz Burda, im Gegensatz zum Blattmachen, von der Pike auf gelernt. Er ist der älteste und sehr ehrgeizige Sohn von Franz Burda (I.), bekannt als »der Pfeifer«. Dieser kleine Mann, obwohl Spross mittelloser Eltern, ist stets gut gelaunt. Seinen Spitznamen verdankt er der Gepflogenheit, dass er immer pfeifend auf sich aufmerksam macht. Sein Vater Wenzel zog mit seinem Bruder einst im böhmischen Dubi los. Ihr Ziel: das Glück. Im badischen Offenburg blieben sie hängen. Deutsch konnten sie nur radebrechend, schlugen sich mehr schlecht |16|denn recht durch, der eine als Hutwalker, der andere als Züchter von Kanarienvögeln. Der vergnügte Pfeifer aber lernt das Druckerhandwerk und tritt 1891 als Schweizerdegen in die Druckerei von Alfred Reiff ein. Jenen alteingesessenen Familienbetrieb, dem seit 1812 das Offenburger Tageblatt gehört.

Hochzeit von Franz »der Pfeifer« Burda (I.) und Josefine (verwitwete Pröttel, geborene Mauck) am 31.12.1902.

Sieben Jahre später, 1898, packt auch ihn das Fernweh. Aber er kommt nur bis ins 113 Kilometer entfernte Philippsburg, wo er in der Druckerei eines gewissen Otto Pröttel anheuert, der gleichzeitig Besitzer und Herausgeber der Philippsburger Zeitung ist. Drei Jahre später stirbt der Meister, und Witwe Josefine muss sehen, wie sie ihre vier Kinder durchbringt. Als sie 1902 den pfiffigen Gesellen heiratet, heißt der neue Druckereibesitzer: Burda. Unter seiner Regentschaft muss die Philippsburger Zeitung mangels Fortune bald eingestellt werden; trotzdem gilt sie in der Geschichtsschreibung des Hauses Burda als der Grundstein des heutigen Presseimperiums. Allerdings erst seit einigen Jahren. In den Jahrzehnten, in denen Hubert Burda noch seinem Aufstieg entgegenfiebert, will er von der angeheirateten Provinzpostille nichts hören.

|17|Der tollkühne Aufstieg der Burdas setzt erst mit Huberts Vater, dem Sohn des Pfeifers, ein. Dessen Leben hat schon närrisch begonnen. Am 24. Februar 1903, einem Faschingsdienstag, kommt er zur Welt. Freudetrunken tanzt der stolze Pfeifer durch die Straßen Philippsburgs, ganz heiser von seinen »B-u-u-u-rrr-da-Bu-u-u-rrrda«-Rufen. Burda ist böhmisch für »Der Bauer ist da!«. Aber Burda, so will es die Familiensaga, heißt auch der Mantel, den Mohammed einst dem Dichter Ka-b ibn Suhair als Lohn für ein Preisgedicht zuwarf. Dichtung und Wahrheit eng verschlungen, so lieben die Burdas ihre Legenden. Aber beim Bart des Propheten – noch pflastert nur Not ihren Weg.

Durch die Ehe mit Josefine Pröttel wird Franz Burda (I.) Besitzer der Druckerei von Otto Pröttel sowie der Philippsburger Zeitung, dem Verkündigungsblatt für Stadt und Bezirk Philippsburg. Hier die Ausgabe vom 17.6.1899.

Als der zweite Sohn kommt, zieht Franz, der Pfeifer, zurück nach Offenburg und versucht dort noch einmal sein Glück mit einer kleinen Druckerei. Nach mehreren Umzügen steht die Adresse 1917 endlich fest: Hauptstraße 27, im Hinterhof der Metzgerei Burg. Eine Generation später wird die Metzgersfrau als »Frau Hauptlehrer Metzger« Dr. Franz Burdas Vorzeigeleserin der deutschen Provinz schlechthin sein und Dutzende von Bunte-Redakteuren in die Verzweiflung treiben. Repräsentiert sie doch die Zielgruppe schlechthin. Noch aber ahnt das niemand.

Wieder zieht Unheil auf. Josefine stirbt 1909 an Brustkrebs. Ein Jahr später heiratet Burda in zweiter Ehe Lina Schmidt. Mit ihr hat er noch einmal drei Kinder. Das Jüngste ist erst zwölf, als der Pfeifer im November 1929 einem Darm- und Leberkrebsleiden erliegt. Mit |18|nur 56 Jahren. Er hinterlässt fünf leibliche und vier angeheiratete Kinder, eine Witwe und eine Menge Sorgen. Besonders für seinen ältesten Sohn Franz, nun Vollwaise und mit 26 Jahren allein verantwortlich für den Betrieb mitsamt den drei Mitarbeitern. Auch er ist Drucker und obendrein Doktor der Volkswirtschaft.

»Der Pfeifer« war ein schlitzohriger Allround Entertainer, der den Offenburgern als Narr »Andrees« noch heute in Erinnerung ist.

Vom Pfeifer, dem begnadeten Musikus, der Oboe spielte, spricht man heute noch in Offenburg. Er war ein Original mit hintersinnigem Humor, Knitze, wie sie dort sagen. Verewigt in der Narrenchronik »Schelle – Schelle Sechser« in seiner Paraderolle als »alt Offeburger«: Zur Fasnachtszeit posaunte er als närrischer »Andrees« mit seiner Begleiterin »Veef« das Stadtgeschehen aus. Das Geschäft mit dem Klatsch gehört bei den Burdas von Anfang an dazu! Hubert Burda, der leidenschaftliche Redner und Trompetespieler, vergöttert den Großvater. Glaubt, dessen genetisches Erbe weiterzutragen. Er ist der dritte und jüngste Sohn von Dr. Franz Burda. Und Vater wie Filius halten sich in jenem Sommer 1955 noch entschlossen an den Worten fest, die der Malerfreund Hans Kuhn im Jahr zuvor Mutter Aenne Burda ans Herz drückte, nachdem er Hubert vor der Staffelei auf dem Dachboden sah: »Engele, du hesch e Schenie.« Auch Juniors Zimmer durfte Kuhn bestaunen: ein kleines Reich in pompejanischem Rot, regiert vom Bild eines riesigen Apollon– dem Glänzenden, Sohn des Zeus, Gott der Sonne und des Lichts, der Künste und der Musik. Beim Mittagessen will der pubertierende Schlaumeier Vorträge über die Antike |19|und das Dionysische an sich halten. Aber Aenne Burda fährt ihm über den Mund. Sie hat keinen Nerv für Philosophisches und dem Vater ist Dionysos lediglich Symbol für die Lebenssäfte des Mannes. Außerdem haben die Burdas Geschäftliches zu besprechen; sind aber beeindruckt von ihrem Jüngsten, der nichts Geringeres sucht als die Gesellschaft der Götter.

Nun spitzte er auch noch die Feder. »Hubertle«, wie ihn die Mutter zärtelt, lässt sich in Gesellschaft seines privaten Kunstlehrers, des Malers Emilio Brischle, von Offenburg nach München kutschieren. Im Haus der Kunst gibt es erstmals eine große Picasso-Ausstellung. Selbstbewusst schleudert es der junge Burda »Frau Hauptlehrer Metzger«, der imaginierten Durchschnittslehrerin, in Bunte entgegen: »Picasso ist ein unerhört genialer Mensch. Seine Welt ist grenzenlos.«

Noch etwas rumort im 15-jährigen Burda. Wenn man so bedeutend ist wie dieser Picasso, wie fühlt sich das an? Wäre es nicht das höchste aller Ziele und Gefühle, wenn eines Tages alle über ihn? ... Er hält inne. Über ihn, den Maler, Schriftsteller und Verleger Hubert Burda redeten? Noch schlummert die Vokabel »Prominenz« in den Tiefen des Wörterbuches, und kein Mensch hat je von People-Journalismus gehört. Deutschland lebt im Grau und Mief der fünfziger Jahre, aber auch in einer gewaltigen Aufbruchstimmung. Zehn Jahre nach Kriegsende will man endlich die Ängste und Schrecken verjagen, die noch in den Gliedern lauern und sich des Nachts in böse Träume wandeln. Die Deutschen wollen jetzt nichts sehnlicher als satt und fröhlich sein und es zu etwas bringen.

Für die Burdas gehören Partys und Karriere längst zusammen. Seit 1951 wohnen sie in der neuen stattlichen Villa in der Schanzstraße. Ihre Einstellung zum Leben, die Aenne und Franz Burda ausnahmsweise eint, heißt: Heisa!, wo lauert die nächste Herausforderung? Nur her damit! Zum Grau der rauen Wirklichkeit hat man schon etwas literarische Distanz, und der Vater verpasst keine Gelegenheit, den Söhnen aus Goethes Faust zu deklamieren; mit einer Vertrautheit in den Worten, als hätte er sie selbst geschrieben. Auch der schwarze Pudel fehlt nicht; Burda schwört auf »Bläckys« gelehrigen Blick, während der seinem Herrchen lauscht: Grau, teurer Freund, ist alle |20|Theorie und grün des Lebens goldner Baum. Die beiden Ältesten nervt der blöde Goethe, aber der Jüngste saugt alles auf. Schnell merkt er, dass er auf diese Weise die großen Brüder ausstechen und sich beim Vater einschmeicheln kann. Für diese kleinen Finessen mit großen Folgen hat er ein untrügliches Gespür, das er im Laufe der Jahre zunehmend verfeinert.

Aber nun radelt Hubert Burda, in der Schultasche seinen Picasso-Artikel, vom Schillerplatz über die Turnhallenstraße, vorbei am Lifa-Kino, nach Hause. Er kommt sich ungeheuer mächtig vor, wie ein – Burda. Zucken die Offenburger nicht schon ehrfürchtig zusammen, wenn sie nur den Namen hören? »Burda sein heißt: ganz oben sein«, lernt er früh. Auch seine Lehrer sind beeindruckt. Einige bestrafen ihn dafür mit eigener Macht. »Mit jedem Stockwerk, das mein Vater höher baute, bekam ich in der Schule eine Tracht Prügel.«

Der rasante wirtschaftliche und soziale Aufstieg von Franz Burda, dem Neureichen, lässt Altreiche entsetzt zurück. Sie sinnen nach Gemeinheiten, um es dem Emporkömmling heimzuzahlen: Mit Aufnahme in den feinen Tennisclub braucht er jedenfalls nicht zu rechnen. Franz Burda ist wütend, aber das peitscht ihn nur weiter voran. Immer noch hat er die Armut seiner Jugend vor Augen und kennt nur ein Ziel: Hoch hinauf. Ganz nach oben! Dazu ist ihm jedes Mittel recht, selbst wenn er dem Teufel Weihwasser einträufeln oder den lieben Gott mit seinen Engeln hintergehen müsste. Und natürlich steht auch er nach dem Zweiten Weltkrieg vor der alles entscheidenden Frage der Alliierten: »Franz Burda, waren Sie Nationalsozialist?«

»Er war kein Nazi«, sagt der Sohn, »er war ein Karrierist, also sicherlich ein Mitläufer. Wenn Aenne nicht gewesen wäre, hätte er sich bestimmt verführen lassen.« Aennes Vater, der Lokomotivführer Franz Lemminger, hat laut Familienlegende in den neuen Braunhemden die alten Rothemden erkannt. Weil der Emporkömmling alles Sozialistische hasst, warnt er die Tochter vor den Nazis, und die warnt ihren Mann. Als Burda Anfang 1943 von der Reichsstelle Druck und Papier das Angebot erhält, die Druckerei für die gesamten besetzten Gebiete in Russland zu leiten, sagt er natürlich zu. Erst als Aenne mit Scheidung droht, vertraut er dem sechsten Sinn seiner Frau und – sagt wieder ab.

|21|»Burda baute mit am Deutschen Reich«, behauptet der Autor Peter Köpf, der zum 100-jährigen Jubiläum die Unternehmenschronik Die Burdas schrieb. Er »gehört zu den Kriegsgewinnlern. Gemeinsam mit den Deutschen, die die Welt in Scherben geschlagen hatten, baute er sie auch wieder auf.« Sohn Hubert hält das für eine manipulierte Recherche. Der Autor habe nur jene Offenburger zitiert, an denen der Vater mit seinem unternehmerischen Erfolg vorbeigezogen sei. Ihre Erklärung: »Das konnte nur möglich sein, weil der Burda ein notorischer Nazi war.« Während andere Großbetriebe allmählich ihre Archive öffnen und die Firmengeschichte im Dritten Reich von unabhängigen Historikern untersuchen lassen, findet eine solche Auseinandersetzung bei Burda noch nicht statt.

Der Aufstieg des Druckers Franz Burda, der 1938 Parteimitglied wird, beginnt zweifelsohne nicht erst im Dritten Reich. Er reicht schon in die zwanziger Jahre zurück. Burda, ein inniger Musikliebhaber, wird sich durch die ersten Radioübertragungen schnell der Bedeutung des neuen Mediums Rundfunk bewusst. Kurz entschlossen gründet er die Sürag, die Süddeutsche Radiozeitung. In pragmatischer Anlehnung an den Süddeutschen Rundfunk baut er sie zu einer florierenden Programmzeitschrift auf. »Die kleine Quetsche«, wie Franz den Betrieb des Vaters beschreibt, wird jetzt mit 36 Mitarbeitern »Künstlerisch-Grafischer Großbetrieb« und wächst unaufhaltsam. Mitte der dreißiger Jahre gehört er zu den Ersten, die den Wandel des Druckhandwerks erkennen. Er baut eine neue Druckerei in der Hauptstraße 13 und stellt auf Tiefdruck um, die fortschrittlichste Technologie der Zeit und unerhört teuer. Die Versandhäuser Schöpflin und Wenz, begeistert von der nie da gewesenen Qualität, beauftragen Burda mit dem Druck ihrer Kataloge. »Die Belegschaft war nun auf über 100 Beschäftigte angewachsen. Ich war Millionär«, beschreibt er den Jubel in seinen Memoiren Mit Doktorhut und Druckerschwärze. Dennoch bleibt er bei seinem 16-Stunden-Tag. Dr. Franz Burda ist grenzenlos fleißig und nie am Ziel, ein Getriebener, dessen höchstes Vergnügen die Arbeit ist. Eigenschaften, die er in dieser Hochpotenz unter seinen drei Söhnen nur an den Jüngsten, an Hubert weitergibt.

Das rasante Wachstum in Offenburg wird noch überboten von |22|einem Erwerb in Mannheim. Im Sommer 1938 kauft Franz Burda äußerst günstig eine der modernsten deutschen Druckereien, das Unternehmen Gebrüder Bauer mit 250 Mitarbeitern. Die Besitzer, die Brüder Berthold und Ludwig Reiss sowie deren Vetter Karl Bauer, sind Juden. Ihre Firma unterliegt dem Arisierungszwang, verordnet durch die nationalsozialistische Regierung. Auf diese Weise wurde ein wachsender Kreis gesellschaftlicher Profiteure an das Regime gebunden und »trug somit dazu bei, ein moralisches Resistenzpotential der deutschen Gesellschaft gegenüber der Judenverfolgung zu unterminieren«, wie der Historiker Frank Bajohr schreibt.

Bald druckt Burda in seinem neuen Betrieb Die deutsche Arbeitsfront für die Region Süddeutschland in einer Auflage von 800 000 Stück. Ein lukrativer Großauftrag. Berthold Reiss, der ehemalige Mitbesitzer und Seniorchef, arbeitet bis Kriegsausbrauch noch mit im Geschäft. Sein einziger Sohn, Hans, heute 83, gibt es Hubert Burda im Jahr 2002 auf dessen Wunsch hin schriftlich: »Mein Vater war froh, die Firma verkaufen zu können, denn er hatte keine andere Wahl.«

Wie durch ein Wunder überlebt Berthold Reiss den Krieg in Deutschland. Seine arische Frau, Maria Petri, ist eine Schauspielkollegin von Emmy Sonnemann, der Ehefrau des Reichsmarschalls Hermann Göring. Aber diese Verbindung hilft dem Ehepaar Reiss nicht weiter, das vor der Machtergreifung Hitlers ein großes Haus führte. Zu den Gästen zählte auch Baroness von Schirach. Sie intervenierte bei ihrem Bruder, dem Gauleiter Baldur von Schirach, der erreichte, dass Reiss den gelben Judenstern nicht mehr zu tragen brauchte und auch die Genehmigung zum Umzug erhielt. Eineinhalb Jahre hatte Berthold Reiss seine Wohnung nicht verlassen. Nun aber, erzählt Hans Reiss sechs Jahrzehnte später, »mieteten meine Eltern ein Zimmer in Heidelberg bei einem sehr christlichen Oberregierungsrat i. R. und waren dort, als am 15. Dezember 1944 das Haus meines Vaters durch Bomben zerstört wurde und 134 Personen im Bunker umkamen. Als die Amerikaner schon am Rhein standen, wurde mein Vater zur Gestapo bestellt. Er versteckte sich daraufhin bei einer Bekannten. Meine Mutter ging täglich zur Gestapo und spielte eine Komödie. Sie behauptete, sie hätte ihn selber hergebracht und wolle wissen|23|, ob er tot sei. Sie brach in Tränen aus und die Gestapo ließ sich täuschen. Mutter war klassische Tragödin.« Dem damals 17-jährigen Hans gelingt im August 1939, in letzter Minute, noch die Flucht nach Irland. Schwägerin und Vetter aber kommen in Auschwitz und Bergen-Belsen um.

In Dublin schließt Hans Reiss seine Schulausbildung ab; er studiert auch dort und folgt schließlich der Berufung als Germanistikprofessor ins englische Bristol. Es wird sein Hauptwohnsitz. In Heidelberg, wo sein Vater Berthold Reiss mit seiner Frau bis zu seinem Tod 1950 lebt, hält sich Hans Reiss bis heute eine Wohnung.

Hans Reiss ist ein vom Alter gebeugter Mann. Jedes Jahr im Sommer verbringt er mit seiner Frau Linda, einer Malerin, einige Wochen auf einem schmucken Anwesen in der oberbayerischen Ortschaft Holz. Durch den Wald am Westufer wurde auf Veranlassung des Hausherrn der Blick auf den Tegernsee freigeschlagen. Der benachbarte Bauer hat den Gefallen gern erwiesen, gehört das Haus doch dem stets so freundlichen Dr. Burda. Hans Reiss schwärmt von der Großzügigkeit des Verlegers, er ist dessen Gast. Man trinkt Kaffee und isst den lockeren Gugelhupf. Und der Professor erzählt von seinen erwachsenen Söhnen Thomas und Richard, deren Paten Franz und Aenne Burda sind. Dann hält er in seinem Redefluss inne und mustert die Besucherin mit diesem Blick: Braucht es noch mehr Beweise dafür, dass wir alle eine große glückliche Familie sind?

Welchen Preis hat das Glück? Die Druckerei, über deren Wert nachträglich lange gefeilscht wurde, musste 1938 praktisch verschleudert werden. Dafür haben sich die Burdas nach dem Krieg erkenntlich gezeigt, bis zum heutigen Tag. Berthold Reiss drohte erst mit einer Klage. Die zieht er nach einem Vier-Augen-Gespräch mit Franz Burda im Oktober 1945 wieder zurück. Warum? Was haben die beiden miteinander vereinbart? »Ich kenne die Details nicht«, sagt Hans Reiss. »Mein Vater war sehr verschwiegen. Außerdem sah ich meine Eltern erst im September 1946 wieder.«

Spricht das Schweigen seine eigene Sprache? Der Senator zahlte freiwillig Wiedergutmachung und bot Reiss darüber hinaus Teilhaberschaft an der Druckerei an. Aber Reiss fühlte sich zu alt und wünschte stattdessen eine Rentenzahlung. 2 000 Mark, die nach seinem |24|Tod 1950 weiter an seine Frau gingen. Und nach deren Tod 1974 an Sohn Hans. So konnte er die Wohnung in Heidelberg und den Kontakt zur deutschen Heimat halten. Frieder Burda, der mittlere der drei Burda-Brüder, hat jahrelang aus seinem Vermögen weitere 1 000 Mark beigesteuert; und dem Reiss-Sohn Richard schenkten die drei gemeinsam eine Eigentumswohnung in London; Hubert und Frieder Burda kaufen immer wieder Werke von Linda Reiss.

Gibt es eine Verfügung des Vaters, wie sich die Söhne im Fall Reiss zu verhalten haben? »Überhaupt nicht«, beteuert Hubert Burda. »Die Druckerei in Mannheim wurde im Krieg ausgebombt, während Offenburg unversehrt blieb. Mein Vater war heilfroh, dass es nicht andersherum gekommen ist. Sonst hätte es wirklich geheißen, er hat sich an jüdischem Eigentum bereichert. So ist ja nichts davon übrig geblieben.«

Erich Bauer, Miterbe der Druckerei Gebrüder Bauer, konnte mit der freiwilligen Großzügigkeit der Burdas nicht rechnen. Er forderte Entschädigung über das Oberlandesgericht in Karlsruhe. »Mein Vater war der Ansicht, dass er kein Recht darauf hatte«, schreibt Hans Reiss an Hubert Burda. »Der Fall ging schließlich vor ein Bundesgericht. Dein Vater verlor den Prozess.« Erich Bauer bekam 250 000 Mark zugesprochen.

Wie aber rettet Franz Burda seinen Betrieb über den Zweiten Weltkrieg? Durch einen Umzug von Offenburg nach Heidelberg schafft er es, dass ihn der Einberufungsbefehl erst 1943 erreicht. Aber die Front bleibt ihm erspart, Soldat muss er nicht werden. Denn zwischenzeitlich besorgte er kriegswichtige Aufträge, druckt Karten und Luftbildpläne für die Wehrmacht, alles »geheime Kommandosache«. Als dann im Dezember 1944 doch noch der Befehl zum Volkssturm in Ostpreußen eintrifft, wird es brenzlig. Wieder gelingt es Burda, sich mit Bauernschläue zu entziehen. Er druckt dem Oberbefehlshaber der Heeresgruppe in Baden-Baden, Obergruppenführer Hauser, die von ihm gewünschten Flugblätter und verhilft dessen Truppe auch zu einem gehörigen Rausch. Sein Winzerfreund, der Schindler-Schorsch, besorgt ihm 200 Flaschen Wein. Unter ansteigendem Alkoholpegel wird Burda dem Herrn Oberbefehlshaber direkt unterstellt; und der schickt den Einberufungsbefehl |25|zurück. »Dr. Burda ist dem Schicksal für diese Wende für immer dankbar«, schreibt er in seinen Memoiren Mensch und Werk, »denn von den Männern des Volkssturms lebt acht Wochen später kein einziger mehr.«

Am 15. April 1945, nachmittags um 14 Uhr, ist in Offenburg der Krieg zu Ende. Tags darauf wird die Druckerei beschlagnahmt. Nach turbulenten Monaten, in denen sich der wendige Burda trotz kurzfristiger Verhaftung mit der französischen Besatzungsmacht trefflich arrangiert, wird er schließlich entnazifiziert. Er hat es Berthold Reiss zu verdanken, der mit ihm zur französischen Militärregierung fährt, um für ihn auszusagen. »Für mich war es ein Glück, dass Berthold Reiss am Leben blieb.«

Franz Burda bringt in Windeseile seinen Betrieb wieder zum Laufen, mit den Maschinen, die er im Winzerkeller vor den Toren Offenburgs versteckt hatte. Und wieder einmal ist es Doktor Faust, der dem Weg des Dr. Burda eine neue Perspektive weist: Auch der französische General Schmittlein, zuständig für die neue deutsche Gesinnung in Offenburg, ist ein passionierter Goetheverehrer. Die Zitate, die die beiden Männer sich zuspielen, heben sie über die widrigen Umstände hinweg. Sagt der eine: Wohin des Wegs? Du stehst am Ufer hier, Ich bin bereit, dich durch den Fluss zu tragen, antwortet der andere: Wohin du willst. Für ewig dank’ ich’s dir. Beide kennen nur allzu gut: Der Tragödie zweiter Teil.

Der Auftrag für die Soldatenzeitung Revue d’Information und die dicke Order, Schulbücher für die Umerziehung zu drucken, bringen Burdas Betrieb gut über die Nachkriegsjahre. Natürlich ist ihm das auf Dauer zu kleinformatig. Als das Geschäft wieder richtig losgeht, verkauft er den Lehrmittelverlag an Klett.

Die Familien Burda und Schmittlein sind sich innig verbunden, verbringen gemeinsam die Wochenenden, und Hubert verdankt Schmittleins Sohn Raymond seine frühen Reisen nach Paris. »Wir hatten mit dem General das beste Verhältnis«, schwärmt Aenne Burda, »von dem konnten wir alles haben.« Von ihm kommt auch der Druckauftrag für die Zeitschrift Das Ufer, »l’autre rivage pour la reeducation du peuple allemand«, für die Umerziehung des deutschen Volkes. Im Frühsommer 1948 kann Burda auch gleich die Lizenz |26|übernehmen, die bisher eine Strohfrau hält. Dazu muss der Offenburger jedoch bei General Koenig, der höchsten Autorität der französischen Besatzungsmacht, vorsprechen.

Hubert, acht Jahre alt, darf an dem großen Tag dabei sein. Aufrecht thront er auf dem Beifahrersitz und streichelt ehrfürchtig die schicken roten Lederbezüge des BMW-Cabriolets, als sie von Offenburg nach Baden-Baden fahren. Der Vater sitzt am Steuer des Wagens, den er in Einzelteile zerlegt über den Krieg gebracht hat. Genießt die bewundernden Blicke, als er damit über die Lichtenthaler Allee fährt und schließlich vor der französischen Kommandantur parkt. Fünf Stunden wird verhandelt, bis Franz Burda, der wegen seiner Verwicklungen ins Naziregime immer noch um seine Reputation bangen muss, schließlich die entscheidenden Dokumente in der Hand hält. Fünf Stunden, in denen Hubert Burda auf einem Holzstuhl ausharren muss. Das Kind ahnt, dass viel auf dem Spiel steht. Endlich geht die Tür auf, und sofort erkennt er am Gesicht des Vaters, dass jetzt eine neue Zeit anbrechen wird. Aber noch sieht niemand der schwarz gestempelten Ufer-Lizenz an, dass sie Gold wert ist. Im selben Jahr erhält Burda noch andere Lizenzen. Er darf für die deutschen Häuslebauer Das Haus verlegen sowie seit 1947 eine Modezeitschrift, die bald eine eigene Burda-Saga begründen wird. Auch die Sürag kann nach vierjähriger Pause wieder erscheinen, muss aber ihren Namen ändern. Von nun an heißt sie Bild und Funk, BiFu.

Dass auch die Mutter ihren Teil zu diesem Erfolg beigetragen hat, spürt das der Junge? Aenne hilft durch ihre verfeinerten Kochkünste, den guten Wein aus den diversen Geheimdepots des Mannes und ihren Sinn für Stil und Savoir-vivre den französischen Besatzern in der deutschen Fremde über das Heimweh hinweg. Schnell sind die geselligen Essen im Hause Burda begehrte Treffen. Hier wird gesungen, hier wird gelacht, hier werden die neuesten Nachrichten verhandelt. Salut Madame! Ça va Madame? Très enchanté Madame! Die feurige Madame Burda ist kein Dummchen. Ihr untrüglicher Instinkt führt sie schnurstracks zu den wichtigen Menschen. Die schöne raubeinige Aenne verträgt ein Quäntchen Derbheit und nimmt selbst auch kein Blatt vor den Mund. Ein Vollblutweib, das man ebenso für eine Italienerin, Spanierin oder Französin halten könnte. Sie kennt ihr Temperament |27|und denkt nicht daran, es zu zügeln. Setzt sie es gezielt ein? Bemerkt sie nicht die leidenschaftlichen Blicke des Hauptmanns Potet? Zuständig für das Pressewesen, kommt er auch in seiner Eigenschaft als Redakteur der Regimentszeitschrift ins Haus; liest im Nebenzimmer Korrektur, setzt sich an den Flügel, spielt wie ein junger Amor »grün ist die Heide, aber rot ist die Liebe« und immer wieder Chopin.

Was kann ich für Sie tun, Madame?, er spricht sogar deutsch. Und welch ein Zufall! Potet gab früher in Paris die Modezeitschrift La Mode chic heraus. Aenne liebt Kleider und den großen Auftritt und Potet – und der liebt Aenne.

Hubert Burda ist bei Kriegsende fünf Jahre alt, wohl behütet und gehätschelt vom Kindermädchen Berta. Die Mutter kann nicht viel anfangen mit ihren drei Jungs: »Das war mir alles zu viel.« Aber Hubert ist ihr Sonnyboy. Völlig glücklich gewesen sei er bis zu seinem neunten Lebensjahr, behauptet er, und »als die ödipale Phase bei mir eintritt, macht sie Burda Moden, das ist mein Riesenglück«. Auch Aenne erinnert sich: »Die Familie hat mich gar nicht mehr interessiert. In den ersten Jahren hat mich nichts anderes interessiert als mein Verlag.« Der Jüngste bleibt als »lonely wolf« zurück, »wahnsinnig einsam« und trainiert seinen Ehrgeiz im Sport. »Ich wollte aus dem Hubert einen Tennis- und Ski-Champ machen«, behauptet die Mutter. »Wenn er nicht der Erste war, dann war ich böse mit ihm.« Aber Mutter muss selten schimpfen. Ob im Massenlager auf der Emmentaler Hütte, auf dem Kahndl oder Feldberg, Burda fährt allen davon, gewinnt ein Rennen nach dem anderen. 1954 hat er dafür sogar einen Auftritt im Rundfunk! Jetzt will er Olympiasieger werden und schafft es beinahe in den Kader.

Auch auf den Henner-Henkel-Tennisplätzen fegt er die Gegner vom Platz, die Tennisturniere am Wochenende in Lörrach ziehen sich über Stunden hin, oft in gleißender Hitze. Das zähe Kerlchen Burda, klein und dünn, steht sie durch. »Tennis im Sommer und Skifahren im Winter haben mich kompetitiv gemacht«, behauptet er. Eine Zeit lang versucht er sich sogar im Boxen.

Auf seine Sportnote hat sich das nicht ausgewirkt. »Im Schulsport war der Hubert unterdurchschnittlich und uninteressiert, vor allen |28|Dingen in Leichtathletik«, erinnert sich Mitschüler Armin Meier, »er hatte diese Haltung, ›ein Burda hopst doch nicht in den Sand‹, aber Skifahren und Tennis, das war schon was Besseres, das hat ihn gereizt.«

Hubert Burda, der sich immer als fünftes Rad am Burda-Wagen fühlte.

An jenem Picasso-Donnerstag ist der 15-Jährige auch ohne Skier und Tennisschläger in Siegerlaune. Dieses Gefühl von Stärke will er sich bewahren. Nie wieder an sich selbst zweifeln!

Der jüngste Burda hat ein Mal von Geburt an: Er ist der Fünfte im Haus, und kein Hahn kräht nach ihm, glaubt er. Wohl ist er Mutters Hätschelkind, und auch der Vater ist beeindruckt von der Intelligenz des flinken Kleinen, seines Schniggo. Aber da sind noch zwei ältere Brüder. Frieder und der Älteste, Franzl. Für Hubert klingt Franzl so bitter wie »Kronprinz«. Tatsächlich reden die Arbeiter in der Druckerei Franzl schon seit seinem neunten Lebensjahr mit »Juniorchef« an und stehen stramm vor ihm. Franzl, wie der Vater ein begabter Drucker, hat längst ein Wort mitzureden. Gibt sich obendrein selbstbewusst und weltmännisch, oder was er dafür hält. Der Erstgeborene darf schon in jungen Jahren mit Aenne, der mondänen Verlegerin, verreisen. Schließlich war und ist ihr Mann ja meist beruflich und mit anderen Frauen unterwegs. So präsentiert die Königin der Schnittmustermode stolz ihren Prinzen, der seit Tag eins seines Lebens in der Gewissheit lebt, bereits die Krone zu tragen, die ihm, dem Ältesten, sowieso zusteht.

Wie immer, wenn der Jüngste pfeifend von der Schule nach Hause kommt, krächzt der Papagei: »Hubert ist da, Hubert ist da.« Und Hubert zaubert dieses spitzbübische Lächeln, das zwei Grübchen in |29|sein hübsches Gesicht bohrt. Die Redakteurinnen aus Aenne Burdas Modenverlag, die in den Aufbaujahren noch in der Privatvilla in der Schanzstraße arbeiten, schwärmen: »Der Hubert ist unser kleiner Italiener.« Mit feurig lackierten Fingernägeln durchwühlen sie seinen dunklen Haarschopf. Ob es nun eine ausspricht oder nicht, so spüren sie doch: Der Hubert hat die Leichtigkeit, aber auch das leicht Tragische des Südens. Mag sein, dass das seine frühe Italiensehnsucht schürte, aber an diesem Tag denkt Hubert Schniggo Burda nur eins: Ich will. Ich kann. Ich werde. Ja, aber was denn? Nicht Fünfter sein! Nicht Letzter sein! Nicht Kleinster sein!

|30|Kapitel 2

Vier Freunde sollt ihr sein

Eine Jugend in Offenburg 

Sie postieren sich auf der schmalen, blau gestrichenen Eisenbrücke, wo der Philosophenweg die Bahn überquert. Auf der anderen Seite der Gleise steht das Wärterhäuschen; verwilderte Blumenrabatten erzittern jedes Mal, wenn laut scheppernd ein Zug durchbraust. Aber die beiden Jungs sehen hinter dem sich verziehenden Rauch der Lokomotiven nur ihre Fata Morgana: Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn. Sie müssen nach Arkadien!

Wer in dem strebsamen Schwarzwaldstädtchen versteht das schon? Nur einmal reiste ein Reporter der Lost Generation durch ihre kleine Stadt. Der hätte mit ihnen empfunden: Ernest Hemingway, der für den Toronto Daily Star über das Offenburg unter französischer Besatzung berichtet hat. Aber das war 1923, fünf Jahre nach dem ersten großen Krieg. Nun war man damit beschäftigt, den zweiten zu verdrängen. Über ein halbes Jahrhundert hat die örtliche Journalistenelite gebraucht, um zu begreifen, wer da ihre Stadtgleise gekreuzt hatte. Dann knauserte die Mittelbadische Presse nicht mit Platz, um darüber zu berichten. Das späte Echo auf seinen Aufenthalt hat Hemingway nicht mehr erreicht. Er war längst tot.

Nun steht auf derselben Brücke der 18-jährige Peter Kammerer, zwei Jahre älter als sein Freund. »Du Hubert«, verkündet der Ältere, »du wirst ein großer Maler, und ich schreibe Romane.« Sie schweigen in tiefem Einverständnis, der Sohn des Seifenfabrikanten und der Sohn des Druckereikönigs. »Wir müssen zusammen nach Rom fahren.« Nichts wie weg von hier, denken sie und warten darauf, dem nächsten Zug nachzuschauen.

Kurz darauf kommt Rechtsanwaltsfilius Günter Morstadt auf seinem |31|Fahrrad angestrampelt und auch der schöne und schüchterne Hartmut Beck, der in einem Kokon aus Melancholie zu leben scheint. Ein Offenburger James Dean. Die vier Halbwüchsigen eint ihr Lebensgefühl, und alle haben sie gegen einen übermächtigen Vater zu kämpfen. Nur Hartmut ist anders. Sein Vater ist im Krieg geblieben. Günter und Peter gehen in dieselbe Klasse auf dem »Grimmels«, Hubert und Hartmut verbindet die Malerei. »Hartmut war begabter, darunter hat Hubert gelitten«, sagt Günter.

Zu viert ziehen sie in die Wilhelmstraße 31, zum Elternhaus von Peter. Im Dachzimmer ist ihr Treffpunkt, wo sie die neuesten Jazzplatten auflegen, Künstlerträume pinseln und sich in Stefan-George-Manier bei Kerzenschein Gedichte vorlesen. Rainer Maria Rilke, Hugo von Hofmannsthal, Knut Hamsun. Oder Ingeborg Bachmanns Anrufung des Großen Bären: ... durch das Dickicht brechen schimmernd / deine Pfoten mit den Krallen, / Sternenkrallen, / wachsam halten wir die Herden, / doch gebannt von dir, und misstrauen / deinen müden Flanken und den scharfen / halbentblößten Zähnen, ... Fürchtet euch oder fürchtet euch nicht! / ...Und würzt die Lämmer gut. ’könnt sein, dass dieser Bär / sich losreißt ...

Vater Burda betrachtet diese Zusammenkünfte mit gemischten Gefühlen. Spürt jedoch, dass die älteren Freunde seinem Hubert Halt und Richtung geben. Großzügig nimmt er sie mit auf Ausflüge, spendiert hier einen Plattenspieler, dort den Eintritt ins Konzert und geizt auch nicht mit Lebensweisheiten. Aber was soll nur aus seinem Jüngsten werden, mit so viel Gedichten im Kopf und der Staffelei vor Augen? Aus diesem schnieken, wendigen Kerlchen, für das er ein eigenes Wortspiel erfindet, das er so zärtlich wie polemisch Schniggo ruft und aus lautmalerischem Spieltrieb schon mal zum Schniggo – conte bello di lago magingo befördert. Als »Philosophenclub« tituliert er die in Kunst und Literatur vereinte Viererbande. »Wisst ihr überhaupt, was philosophieren heißt?«, knurrt er sie an. »Philosophieren heißt, nichts zu fressen zu haben!« Die satten Bürgersöhne haben andere Sorgen.

Hubert Burdas großer Kummer ist, dass ihm sein Vater das humanistische Grimmelshausen-Gymnasium verbietet. Es liegt direkt vor der Burdaschen Haustür. Stattdessen schickt er ihn auf das Schiller-Realgymnasium|32|. Hubert fühlt sich im falschen Lager! Blickt neidisch hinüber zum »Grimmels«, von jeher das Gymnasium für die Anwalts- und Doktorensöhne, Söhne der alteingesessenen Familien, die Wert darauf legen, dass ihre Kinder Latein und Altgriechisch lernen. Das »Schiller« dagegen gilt als »Eisenbähnlergymnasium«, eine Bildungsanstalt für Möchtegerns und Emporkömmlinge wie die Burdas. Leute, bei denen es heißt: »Du lernst was Gescheites, dann hast du was in der Hand.«

Der Stachel bleibt. Zumal er später im Verlag mit zwei Vertretern der bürgerlichen Intelligenzschmiede arbeiten wird, die diesen Neid sofort spüren. Rüdiger Hurrle und Johannes Schulze, zwei bedeutende Führungskräfte und Ziehsöhne von Vater Burda, allein schon deshalb von Huberts Eifersucht verfolgt.

Aber auf dem Schiller begegnet er einem, der dereinst eine Schlüsselstellung in seinem Verlegerleben einnehmen wird: Jürgen Todenhöfer, sein einziger Freund in der Klasse. Beide sind Einserkandidaten in Kunst und gut in Musik. Sonst sind Burdas Noten durchschnittlich. In Deutsch schafft der künftige Bunte-Chefredakteur nur selten eine zwei. Die Durchsicht der Klassenbücher lässt auf einen unauffälligen Schüler schließen. Nur in der Unterstufe ist einmal vermerkt: »stört öfter im Unterricht durch Schwätzen«. »Wir waren hundsmiserable Schüler«, erinnert sich Todenhöfer. »Schulwissen«, sagt Burda verächtlich. Todenhöfer ist seine »erste Wahlverwandtschaft«, eine »schicksalhafte Begegnung«. »Die hatten immer zusammen was vor«, will Schulkamerad Meier damals schon beobachtet haben. Doch dann wird der Richter Todenhöfer senior ans Oberlandesgericht nach Freiburg befördert. Die beiden Freunde verlieren sich für viele Jahre aus den Augen.

Der Philosophenclub ist nun Hubert Burdas Ersatzfamilie. Der Vater ist vollauf beschäftigt mit Blättlemachen, die Mutter nicht minder mit ihren Burda Moden. Die Brüder sind allein wegen des Altersunterschieds keine Spielgefährten. Er mag sie auch nicht und beschwert sich ständig bei seinen Freunden über ihr bösartiges Verhalten. Hubert, das ist schnell allen klar, stilisiert sich als Außenseiter der Familie. Der Sensible fühlt sich immer bedroht von den Burdaschen Haudegen. Von dieser Rolle wird er sich nie trennen.

|33|Die feinnervigen Philosophen hingegen fahren zu den Donaueschinger Musiktagen, hören das Modern Jazz Quartet und Hans Werner Henzes Vertonung der Bachmann-Gedichte. Sie pilgern nach Straßburg-Sesenheim zum Grab von Goethes erster Liebe Friederike und anschließend in die Weinlokale. Oft ist auch Brigitte, die jüngste Tochter von Chefarzt Gamstätter dabei.

Es ist eine privilegierte Jugend, und Burda senior sorgt obendrein dafür, dass die Bildung vom Filius nicht zu kurz kommt. Da ist Freund Karl Pfaff, der »Pfaffekarle«, Lateinlehrer am Grimmels. Weil er ganz offen mit den Nazis sympathisierte, durfte er nach dem Krieg nicht sofort in den Schuldienst. Für die Zeit seiner Entnazifizierung bringt ihn Burda senior in seinem Lehrmittelverlag unter. Er gibt Hubert Privatunterricht und der beginnt tüchtig zu pauken: Ich gefalle, ich will gefallen, ich werde gefallen. Placeo, placere volo, placebo. Ich bin eitel, du bist eitel, er ist eitel. Superbus sum, superbus es, superbus est. »Psst«, legt Pfaffekarle den Zeigefinger an die Lippe, »hör gut zu, ich lese Vergil vor.« Im Schiller meldet er sich jetzt für den Lateinunterricht an, gibt aber nach einem halben Jahr schon wieder auf. Am Grimmels hätte er sich nicht drücken können. Warum wollte er eigentlich dorthin? »Man wusste halt damals schon, worauf es ankommt im Leben.« Auf Bildung? Gewiss. Viel mehr aber darauf, sich mit den richtigen Leuten an der richtigen Adresse zu wissen.

»Wir waren ja ständig auf der Suche nach Menschen in diesem Offenburg, die wir respektieren konnten und von denen wir uns verstanden wussten«, erzählt Peter Kammerer. Mit 24 Jahren zieht er in seine Wahlheimat Italien, ins »heilige Rom«, wo er später als Professor Soziologie und Volkswirtschaft lehrt. Aber sein erster Schüler war Hubert Burda in seiner Offenburger Jugendzeit.

Auch der Künstler Emilio Brischle wird von den vier Jungs vom Philosophenclub vergöttert. Er hatte eine Zeit lang in Paris gelebt und von dort eine neue Theorie über die sinnliche Wahrnehmung der Wirklichkeit nach Offenburg mitgebracht. Die vier hängen im »Molerhiesle«, Brischles Atelier, an seinen Lippen. Bei ihm nimmt der junge Burda Malunterricht.

Wie kommt es, dass in den Aufbaujahren der Republik vier Jungs aus Offenburg ihr Heil im klassischen Bildungsideal und in |34|der Kunst suchen? Musik, Literatur, Malerei geben ihrem Leben erst Sinn, glauben sie; und gleichzeitig meinen sie zu wissen, dass dazu noch eine andere Wahrheit gehört: Kunst ist lebensgefährlich! Kammerer und Morstadt erinnern sich an den Tag, an dem Hubert Burda, der Trompetenspieler, blass vor Entsetzen, berichtet: »Armstrong hat Lippenkrebs. Alle großen Trompeter bekommen den.« Daraufhin holt er seine Trompete hervor und spielt, »sozusagen das Lied vom Tod«. Die Trompete ist sein Instrument geblieben. Mal spielt er dem Verlegerkollegen Heinz Bauer zum 60. ein Ständchen, mal tritt er mit seiner Trompete in der ARD-Sendung Straße der Lieder auf. Alles was sich raustrompeten lässt, nützt, glaubt er.

Der 17-jährige Hubert Burda fängt an Trompete zu spielen. Dabei blieb er bis heute.

Die Jungs vom Philosophenclub leben im Spannungsfeld von Ideal und Wirklichkeit. Hubert Burda auch in der Gewissheit: »Wir waren halt einfach Genies.« In diesem kleinen Zirkel wird er ernst genommen. »Freunde haben, heißt mich loben«, scherzt er. Niemand ahnt, wie ernst er das meint. Sein Leben ist auch von Lifestyle geprägt. Regelmäßig fährt er nach Baden-Baden zum Frisör, mit dem Vater in den Urlaub an den Chiemsee und bald zum Skifahren nach Chile. »Wir waren kein intellektueller Zirkel«, sagt Morstadt, heute pensionierter Werbefachmann und praktizierender Buddhist in München, »da war viel Platz für Blödeln, Gelächter und die Mädels.«

Da ist aber noch etwas: Es ist dieser Nachkriegsschock, den noch niemand artikulieren kann. »Wie ein Vakuum lag er über unserer Kleinstadt.« Die 68er-Bewegung ist noch fern, und niemand spricht über die Schuld der Väter. Erst im Jahr 2002 wird nach langen und erbitterten Diskussionen der Offenburger am Schillersaal von Burdas |35|einstigem Gymnasium ein Schild angebracht: »In dieser ehemaligen Turnhalle wurden am 27. Oktober 1940 die Juden Offenburgs zusammengetrieben. Auf Anordnung des Naziregimes wurden sie rücksichtslos aus ihren Wohnungen geholt – auch Offenburger haben es gesehen.« Insgesamt ging es um das Leben von 600 Juden, die ins Internierungslager Gurs in den Pyrenäen und von dort aus nach Auschwitz deportiert wurden. Es ist »kein einziger Überlebender bekannt«. Unter ihnen die Offenburger Schriftstellerin Sylvia Cohn, von deren Schicksal Burda im Jahr 2003 erfährt, woraufhin er spontan die späte Veröffentlichung ihrer Gedichte und Briefe finanziert.

»Ohne dass wir etwas wussten«, sagt Hubert Burda, »erahnten wir damals schon die Dimension eines großen Verbrechens.« Wie? »Man spürt so etwas unbewusst.« Günter Morstadt behauptet, man habe schon etwas gewusst, aber skandalöserweise habe niemand darüber gesprochen. »Es war eine Art Suche nach der verlorenen Unschuld. Man hat so getan, als könne man die Zeit ab 1933 ausblenden und wieder anknüpfen bei Goethe und Grotius.«

In diesem Sinne begeben sich Hubert Burda und Günter Morstadt auf die Wallfahrt zum Ursprung und fahren im Sommer 1958 gemeinsam nach Kreta, um im Ida-Gebirge nach der Geburtsstätte des Zeus zu suchen. Nur mit vagen Ortsangaben im Kopf irren sie zwei Tage lang durch die Hochebene. Geleitet vom Hirtenstab des Nikolaios, eines »richtigen Pan«, wie Morstadt betont, der allerdings von einem Zeus nichts weiß. Dafür gibt er ihnen eine ordentliche Lektion in griechischer Gastfreundschaft. Schließlich kommen sie an eine vulvaförmige Höhle. Die Jungs aus Offenburg sind wie vom Donner gerührt. Doch als sie eintreten in die Gebärmutter der Zivilisation, wo sie die Wurzeln des Abendlandes finden wollen, fühlen sie sich gefangen in den Exkrementen des Lebens, dem Schafsmist von Generationen. »Nach dem ersten Schock konnten wir uns aber diese Phantasmagorie, wie Kronos die Erde vögelte, durchaus vorstellen«, berichtet Morstadt vom Bann, unter dem sie tagelang leben.

Sie sind auch auf der Suche nach dem großen Gefühl der Männlichkeit. Ihr Vorbild ist Henry Miller, dessen Koloss von Maroussi ihre Reiselektüre ist. In Heraklion, auf den Spuren von Nikos Kazantzakis, besaufen sie sich mit griechischen Freunden, und die Alexis-Sorbas-Fantasien |36|gehen mit ihnen durch. Wo läge nach dem wilden Tanz die Abkühlung näher als im Ägäischen Meer? In der Dunkelheit schwimmen sie hinaus. Aber auf dem Rückweg geraten sie in eine Unterströmung. Es dauert, bis die Nebel des Alkohols verwehen und nur noch dunkle Nacht herrscht. »Ich weiß nicht, wie viele Stunden wir auf der Stelle geschwommen sind«, aber als sie es endlich ans rettende Land schaffen, stolpert Hubert Burda und fällt mit der Hand in einen Seeigel. Trotz des brennenden Schmerzes atmet er erleichtert auf und denkt verrückterweise an seinen zitatbesessenen Vater, zu dessen Prüfungsrepertoire stets die Wendung gehört: mit Widerwillen speit sich das Meer an Land. »Wer war’s, Schniggo?«

Zwei Tage später sitzt Schniggo im Kloster auf Kreta und schaut auf seinen Arm, an dem sich ein roter Streifen hochzieht. Da wissen sie, es ist ernst geworden. Höchste Zeit, einen Notarzt zu finden. Todesangst. Wie lange? Schließlich landen sie im Krankenhaus in einem Labor, wo Föten in Einweckgläsern lagern. Diese im Werdenwollen gestorbenen Wesen jagen ihnen solches Entsetzen ein, dass der Anblick der rettenden Spritze dem jungen Burda den Rest gibt. Ohnmächtig fällt er vom Stuhl.

Die Liebe zum Meer bleibt. Ebenso wie die Sehnsucht nach Arkadien und die Suche nach dem Arkanum, des Lebens letztem Geheimnis. Fast drei Jahrzehnte später segeln Hubert Burda und sein Sohn Felix gemeinsam mit dem Dichter Peter Handke wie so häufig in der Ägäis, dieses Mal vor der türkischen Küste. Dann schwammen wir zu dritt im weinfarbenen Meer, selig und auch ein bisschen verlegen vor Seligkeit, hält der Schriftstellerfreund im Gedicht an die Dauer fest. Seine Befindlichkeit wandelt sich plötzlich. Mir war als sei ich aus der Welt, für immer aus ihr verstoßen, hätte mit diesen Augenblicken das Recht verloren, am Leben zu sein. Es war mir zum Sterben, und nicht etwa vor Glück. Im Februar 2001 verschickt Hubert Burda dieses Gedicht. Der Anlass ist unfassbar traurig, und wieder wird er beinahe untergehen.

|37|Kapitel 3

Keine liebt mich so wie Mama

Echte Burdas 

»Ich. Ich. Ich«, triumphiert Hubert Burdas Tochter Elisabeth, genannt Lisa, an Aenne Burdas 90. Geburtstag, im Juli 1999, ins Mikrofon. Sie ist noch keine acht Jahre alt, und dem prominenten Publikum verschlägt es für einen Augenblick den Atem. Die blonde Göre steht auf der Bühne und ruft selbstbewusst: »Ich bin die Inkarnation der Aenne. Ich bin eine echte Burda.« Natürlich hatte die Großmutter in all den Jahren der kleinen, wilden Enkelin eingeträufelt, was sie aus tiefstem Herzen empfindet: »Du bist genau so ein Kind, wie ich eines war. Du bist meine Wiedergeburt, das spüre ich.« Auch der Vater hat es ihr so lange vorgebetet, bis das ahnungslose Kind das zungenbrecherische Mantra schließlich wie von selbst nachplappert. Lisa nimmt die Rolle gern an, schließlich ist Großmama eine Frau, die alle in ihren Bann schlägt. Das wittert ein Kind. Hubert Burda sagt über die Tochter: »Die Lisa kommt hundert Prozent nach mir, die ist so kreativ! Eine echte Burda.«

Was ist das eigentlich, eine echte Burda? Aenne muss nicht lange überlegen. »Ich. Ich. Ich«, trommelt sie. Haut sich dabei mit geballter Faust so wuchtig auf die Brust, als wolle sie sich die Herzkammern einschlagen. »Ich habe Burda groß gemacht. Ich. Nicht die mit ihrer Druckerei. Ich. Mit Schreiben und mit Auf-den-Putz-Hauen. Ich, nicht die Söhne. Ich. Burda war ja was Armes, was Bescheidenes.« Ihre Stimme rollt auch in ihrer zehnten Lebensdekade immer noch wie Donner. In diesem Moment durch die gute Stube im gutbürgerlichen Offenburger Gasthaus Sonne. Dorthin hat Hubert Burda die Stadtoberen zu Tisch gebeten. Es gibt ein kleines Fest zum Gedenken an Franz Burda, seinen Vater, Aennes Mann, den »Senator«.

Die badische Weinstadt und die gesamte Region haben ihm viel |38|zu verdanken. Darunter zwei Skulpturen des italienischen Künstlers Sandro Chia, Bacchus und Dionysos. Enorme Bronze-Hünen im Dienste einer Sache: der Lebenslust. Während Bacchus auf Anhieb seinen Platz im Ortsteil Fessenbach findet, irrt Dionysos vom Stadtpark zum Bürgerpark und wieder retour. Aber an diesem Sonntag soll er seinen endgültigen Standort an der alten Stadtmauer bekommen. Darauf wollen sie einen heben. Essen und Trinken gehört im sinnenfrohen Baden dazu und bei den Burdas sowieso. Ob gelacht oder gestritten, geheiratet oder geschieden wird, immer wird opulent gespeist und gebechert. Essen und Trinken sind gut fürs Geschäft. Ein Prosit auf Liebe und Hass! Auf Leben und Tod! Zur Feier des Tages wird gleich noch das Badner Lied angestimmt: Das schönste Land in Deutschlands Gau’n, das ist mein Badner Land, es ist so herrlich anzuschaun, und ruht in Gottes Hand ... Die Familiengeschichte der Burdas ließe sich auch anhand der Speise- und Getränkekarten schreiben. Stubenküken zu Huberts Kommunionfeier; Hummer aus der Bretagne zu Aennes 45., eine Sensation 1954!; Medaillon vom Hirschkalb zu Frieders erster Verlobung; Filet vom Jungstier zum 65. des Senators; Hammelkrone an Franzls 50.; Rehrücken und Spätburgunder zu getragenen Anlässen; und immer wieder badische Spätzle, mit dicker hausgemachter Soße.

Nun hält Hubert Burda in der »Sonne« Hof. Gegenüber sitzt Aenne, aber ein Wickenstrauß verstellt seinen Blick. »Mutter, ich kann dich ja nicht sehen«, ruft er liebevoll durch die Blumen. »Macht doch nichts«, dröhnt Mutter zurück, als hätte sie noch Hubert, das Kind vor sich, »Hauptsache du sedscht dich und bischt ruhig.« Schallendes Gelächter der Honoratioren. Nur die Oberbürgermeisterin und die städtische Fachfrau für Kultur sind unschlüssig, ob das auch für sie ein Signal zum Schenkelklopfen sein darf. Schließlich ist der Verleger der größte Arbeitgeber, mit dem man es sich nicht verscherzen will.

Hubert Burda, an die öffentlichen Watschen seiner Mutter seit Kindestagen gewöhnt, lacht mit. Um den Patzer auszubügeln, wartet er ausgerechnet mit einer Anekdote über Napoleon auf. Aenne versteht nichts. »Wir reden von Napoleon«, erläutert, immer noch heiter, der Sohn. Eine abfällige Handbewegung der Mutter und wieder |39|grätscht sie ihm laut ins Wort: »Du bischt halt keiner!« Jetzt kann die honorige Gesellschaft nicht mehr an sich halten. »Aber du bischt sei Mudde!«, kontert er. Das Lächeln in seinem Gesicht friert ein; seine Worte, so aufschlussreich sie sind, gehen im allgemeinen Gelächter unter.

Als 40-jährige beginnt Aenne Burda ihre Karriere als Verlegerin.

»Napoleon?«, grinst ein ehemaliger Chefredakteur von Bunte, »die Größe hätt’ er schon.« Was haben sie ihn schon gedemütigt wegen seiner Größe, allen voran die eigene Mutter! Mit ihrem ewigen »Warum-bischt-du-bloß-so-klein« impft sie ihm seit früher Kindheit nachhaltige Komplexe ein. »Wenn ich größer wäre, wäre ich nie so hoch gesprungen!«, verrät der Verleger.

Hubert Burda hat Einstecken gelernt. So fällt es ihm nicht schwer, nach dem Hauptgang eine Rede auf die Mutter zu halten. Schließlich beruht auf ihrer Geschichte ein Großteil der Burda-Saga. Auch ihre emotionalen Ausbrüche – »diese Frau ist ein Vulkan«, weiß der Sohn – sind so legendär wie ihre Erfolge mit den Schnittmusterheften. Mit deren Hilfe nähen sich die Frauen im Nachkriegsdeutschland ihre Kleider, und Aenne Burda wird eine der reichsten Frauen im Land. Natürlich gehört zur Legende die gesellschaftsfähige Version über |40|jenen Streit, dessen Zeuge der neunjährige Hubert 1949 wird. Als alles anfängt, indem Aenne Burda ihren Mann zwingt, ihr den Verlag zu überschreiben, den er ursprünglich der Nebenfrau eingerichtet hatte. Doch die Rechnung ging nicht auf. Elfriede B. mochte eine warmherzige Geliebte sein, als Verlegerin war ihr das Glück nicht gnädig; bald war der Verlag heruntergewirtschaftet. Dann kommt Aenne. Erhobenen Hauptes übernimmt sie den bankrotten Laden mitsamt den 36 Mitarbeitern. Sie wird es ihrem untreuen Gatten und einigen dieser Offenburger, die so abfällig auf die Burdas herunterschauen, schon beweisen: Ihre Rache heißt Erfolg! Wer es noch nicht wissen sollte, dem schreit sie es gern ins Gesicht: Wenn Aenne Burda etwas will, dann bekommt sie es auch! Ihre Allround-Karriere als Chefredakteurin, Unternehmerin und Kolumnenautorin von Burda Moden startet sie mit einer Auflage von 5 000 Exemplaren. Obwohl sie in Handarbeit immer eine Fünf hatte und vom Nähen nur weiß, dass man sich dabei die Finger kaputtstechen kann. Schon bald verkauft sie 100 000 Hefte. Auch dank des gut funktionierenden |41|Vertriebssystems ihres Mannes und seiner Rotationen, auf denen sie drucken lässt.

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Der Verlag, den Aenne Burda der Nebenbuhlerin Effi abtrotzt, ist im Lotzbeckhof in Lahr untergebracht. Er ist pleite, als sie ihn übernimmt.

|41|Fünfzehn Jahre später, 1965, überschreitet die Auflage die erste Million. Der fulminante Aufstieg, den Aenne Burda den Deutschen vorlebt, ist eine atemberaubende Geschichte. Eine Geschichte von eiserner Disziplin und unersättlichem Hunger nach Selbstbestätigung, gespickt mit gehöriger Gewitztheit. Auch von einer Leidenschaft für ihr Geschäft, die ihresgleichen sucht. »Diese Frau war knallhart«, sagen ihre Führungskräfte, »härter als je ein Mann sein könnte.« 1979 nimmt die Auflage von Burda Moden die zweite Millionenhürde! Schon 1953 exportiert die Offenburgerin ihr Erfolgsmodell als burda international ins Ausland. Aber 1987, zwei Jahre vor dem Fall der Mauer, inszeniert Aenne ihren großen Bäng! Mit einem Festakt, der zum Staatsakt gerät, präsentiert sie im noblen Moskauer Stadtpalais am Roten Platz ihre Burda Moden für den russischen Markt. »Sie haben mehr geleistet als drei Botschafter zuvor«, gratuliert der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Die Fotografien von ihr und der modebewussten First Lady Raissa Gorbatschowa gehen um die Welt. Aenne Burda ist längst eine weithin bekannte und sagenhaft reiche Frau, reicher als sie es sich je erträumen konnte, und sie hat fürwahr großzügig geträumt. Aber die Wirklichkeit übertrifft alles: »Da hab’ ich in einem Jahr mal 22 Millionen reinverdient, nur für mich, stell dir das mal vor«, schwärmt sie Anfang der neunziger Jahre in einer Interviewserie dem Münchner Filmemacher und Schriftsteller Uwe Brandner vor. »Ich brauchte ja keine Maschinen. Ich musste nur ins Menschenmaterial investieren.« Auch in die Konkurrenz hat Aenne Burda ihr Geld gesteckt und alles aufgekauft, was nur zu haben war. Darunter die großen Titel Vobachs Neue Mode und Beyer Moden. Ihre schonungslose Bereitschaft für einstweilige Verfügungen gegen Mitbewerber am Kiosk ist weithin gefürchtet. Trotzdem behauptet sie: »Burda Moden war immer das feinere Burda.«

Von der russischen Expansion profitiert bis heute Sohn Hubert, der nach einem Ausflug ins Lager der Linken während der sechziger Jahre einer dieser typischen Konvertiten wird, ein übertrieben angepasster Konservativer, der nie mehr in den Verdacht der Jugendsünden |42|kommen will. Aber einer, dem es Aenne gern noch einmal beweisen wollte, kann den großen Augenblick in Moskau nicht miterleben: ihr Mann. Er ist ein halbes Jahr zuvor gestorben. Da waren Aenne und Franz 55 Jahre verheiratet. Zur goldenen Hochzeit titelte die FAZ »50 Jahre Burda gegen Burda« in Anspielung auf den unbändigen Konkurrenzkampf zwischen dem »Engele« und dem »Senator«.

Die Burdas haben immer öffentlich gelebt. Doch seltsamerweise ist kaum etwas über ihr Privatleben an die Öffentlichkeit gedrungen. Clan-Mutter Aenne weiß, warum: »Zu Zeiten, als es Skandale gegeben hätte«, sagt sie im Interview mit der Mittelbadischen Presse der befreundeten Journalistin Ute Dahmen, »da hatte man noch die Macht, sie zu verhindern.« – »Aber man kann die Burdas nur begreifen, wenn man weiß, dass die Mutter immer dominanter und stärker war als der Vater, der ein seismografisch empfindsamer Mensch gewesen ist«, sagt Hubert Burda. »Mutter ist ja Löwe, Vater ist Fisch«, als wäre es sträflich, das Diktat der Sterne infrage zu stellen. »Ganz sicher wäre meine Biografie ohne den Vater nicht zu verstehen.«

Die pikante Affäre mit der Zweitfrau wird selbstredend nicht erwähnt. Nicht von den Burdas und nicht von den guten Bürgern Offenburgs, die natürlich die ganze Wahrheit kennen, jedoch schweigen. Zumindest in der »Sonne«.

Jedenfalls, so berichtet Hubert Burda, brüllen sich seine Eltern, die 1949 noch zur Miete wohnen und somit nicht geschützt vor den Ohren anderer, fürchterlich an. Ihr Streit entzündet sich an der Frage, wie das modisch-publizistische Kind heißen soll, nachdem ein konkurrierender Verleger den bisherigen Titel Favorit gerichtlich untersagen ließ. Aenne Burda will ihr Heft Burda Moden nennen. Der Vater tobt, das kommt überhaupt nicht infrage. Der Name Burda gehört ihm, seiner Druckerei und seinem jungen Verlag, der am Kiosk Das Ufer, die BiFu und Das Haus anbietet. Aber Aenne beendet die Sache auf ihre Art: Die Zeitschrift heißt ab sofort Burda Moden. Basta, du Burda-Großgosch. Du Aufschneider. »Frau Doktor« nimmt kein Blatt vor den Mund. Nicht wenn sie ihren Mann zusammenstaucht und nicht vor ihren Mitarbeitern. »In ihrem Verlag herrschte Friedhofsruhe, aus lauter Angst vor ihr«, erzählt Lothar Strobach, das treue Faktotum, seit 1973 bei Burda. Insgesamt 14 |43|Chefredaktionen hatte er im Haus inne, und überall ging es munter zu. Doch wenn er Aennes Zentrale betrat, die vom berühmten Architekten Eiermann entworfen wurde, kam er sich »jedes Mal vor wie in einem Mausoleum«. Mit Telefonen und Aschenbechern hat sie nach ihren Redakteuren geworfen, »aber jeder würde neben ihrer Leiche weinen«, glaubt der Sohn.

Auch bei ihren öffentlichen Auftritten kennt Aenne Burda keine Zurückhaltung. In Gesellschaft kann sie sich aus heiterem Himmel und lauthals über jede x-beliebige Frau aufregen: »Was ischt jetzt des für eine blöde Kuh?!« Mit ihren groben und boshaften Bemerkungen über ihre Redakteurinnen hat sie auch namhafte Medienwächter wie Günther Kress schockiert.

»Ich kritisiere im Geiste jede Frau«, gesteht sie. »Ich wollte alle Weiber aus dem Feld schlagen. Vielleicht war das ganz tief drinnen der Konkurrenzkampf um meinen Mann.« Alles wird Aenne in ihrem Leben bekommen, nur nicht die ausschließliche Liebe ihres Franz. So lebt sie ihren Traum vom Glück saisonweise mit einem anderen Mann aus. Mit dem Sizilianer Giovanni, der in der schwarzen Aenne »die weiße Göttin« sieht. Süß und schmeichelhaft ist dieser Traum. Und teuer. »Mein Vater war nicht eifersüchtig«, behauptet Sohn Hubert, »wenn er überhaupt eine Szene gemacht hat, dann höchstens aus strategischen Gründen.« Ist bei den Burdas auch die Liebe schon seit Großvaters Zeiten Teil des unternehmerischen Kalküls?

»Diese Frau ist entsetzlich direkt und ordinär.« Freunde und ihre ehemaligen Führungskräfte könnten nicht einstimmiger klingen. Noch aus der Entfernung von Jahrzehnten senken sie die Stimme beim Gespräch über »die Chefin«. Etwas verängstigt, als könnte sie immer noch zur Tür hereinbrausen und allen die Kündigung vor die Nase knallen. Wer sich aus ihrem kleinen Kreis bei Aenne nach ihrer Befindlichkeit erkundigt, erntet selbst von der bald 96-Jährigen die immer gleiche Floskel: »Mir geht’s gut, ich hasse!«

Jahrzehntelang hat Edith Viertel diesen Hass abbekommen. Mit Aenne verbindet »die liebe Frau Viertel«, wie Franzl, der Älteste, sie nennt, nur die entsetzliche Erfahrung: »Diese Frau ist unfassbar böse.« Edith Viertel ist eine gestandene Frau. 21 Jahre lang war sie als Chefsekretärin die Vertraute des Senators und nach seinem Tod |44|noch weitere zehn Jahre im Hause Burda tätig. Die Tränen kommen ihr, wenn sie daran denkt, wie Aenne tobte, als sie den privaten Anschluss im Büro ihres Mannes entdeckte. Die Leitung, die nicht über die Zentrale lief und nur für ihn gelegt war. Nicht, damit der Senator ungestört mit seiner Frau telefonieren konnte. Aenne hatte keine Illusionen. Wie fast alle im Verlag weiß sie von der Nebenfrau Ingeborg H.-H. und reißt voller Zorn die Drähte aus der Wand.