Ich bin ein Sylter Kind - Rosi Nikolai - E-Book

Ich bin ein Sylter Kind E-Book

Rosi Nikolai

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Beschreibung

Eingebunden in eine biographische Erzählung schildert das Buch das Leben und Aufwachsen der Autorin auf Sylt. Die Entfaltung des Ortes Hörnum, gelegen am südlichen Zipfel der Insel Sylt, von einem unbedeutendem Fischerdorf zu einem gefragten Urlaubsziel wird anschaulich beschrieben. Unterstrichen wird die Erzählung mit reichlich Bildermaterial aus der damaligen Zeit bis heute. Viele Veränderungen lassen sich auf die anderen Orte der Insel übertragen.

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Inhaltsverzeichnis

Wie alles begann

Und dann kam ich

Das Geschäft am Strandweg

Meine Kindheit

Hamburg

Einschulung

Das Obst- und Gemüsegeschäft am

Sturmflut 1962

Hörnum

Haus Masuren

11 Mein Vater und die Tetrapoden

Realschule Westerland

Meine Mutter

Gebäude in Hörnum

Tradition auf Sylt

Urlaube

Erste Liebe

Ausbildung

Studium

Mein Mann

Hörnum

Hobbys

Mein Vater/meine Mutter

Ponys und Pferde

Hörnum

Tourismus

Ich

1 Wie alles begann

Den Grundstein für die Besiedelung von Hörnum setzte Albert Ballin. Der Hamburger Direktor der Hapag-Reederei ließ 1899 die Südspitze von Sylt als Anlegeort für seine Dampfschiffe erkunden. Zu diesem Zeitpunkt war der Inselort Munkmarsch der Haupthafen von Sylt. Hörnum hatte zwar auch einen kleinen, tidenunabhängigen Hafen, der aber keinerlei Bedeutung hatte.

Hörnum 1934

Die Bäderschiffe von Hamburg haben die Touristen nach Munkmarsch gebracht, von wo sie mit Pferdekutschen oder der Kleinbahn, die damals schon zwischen Munkmarsch und Westerland verkehrte, weiter nach Westerland zu ihren Urlaubsquartieren gefahren wurden. Die Schiffe mussten Sylt auf der Westseite umfahren, da die Strecke durch das Wattenmeer wegen der mangelnden Wassertiefe zu gefährlich war. Das kostete natürlich Zeit.

Und um diese Zeit und damit Geld zu sparen, ließ Albert Ballin in Hörnum eine Anlegebrücke für seine Dampfschiffe bauen. Die von ihm in Auftrag gegebene Anlegebrücke hatte eine Länge von 153 Metern. Bereits im Sommer 1901 konnten die ersten Bäderdampfer der Hapag-Reederei – es waren die „Cobra“ und die „Silvana“ - in Hörnum anlegen. Von Hamburg über Cuxhaven und Helgoland war von nun an für Sylt-Urlauber der Hörnumer Hafen das Ziel. In der ersten Saison wurden fast 15.000 Urlaubsgäste über Hörnum nach Westerland gebracht.

Hörnum ca. 1910 mit Grundwasserpumpe zur Versorgung der Dampfschiffe mit Trinkwasser und zur Wasserkühlung der Dampfloks (im Hintergrund die „Cobra“)

Von nun an entwickelte sich Hörnum immer mehr zum Ziel für Badegäste. 1947 wurde Hörnum eigene Gemeinde (bis dahin gehörte es zu Rantum) und bereits im Jahr 1948 erhielt der Ort das Prädikat Nordseebad. Westerland darf sich bereits seit 1855 Kurort nennen.

Als das erste Bäderschiff in Hörnum anlegte, gab es noch keine Straßenanbindung zu den weiteren Orten auf der Insel. Der Reeder Albert Ballin ließ daraufhin eine Kleinbahnstrecke zwischen den Orten Hörnum und Westerland bauen. Das war die Geburtsstunde der Inselbahn. Somit konnten die mit dem Dampfer angereisten Gäste bequem vom Schiff direkt in die Inselbahn umsteigen und die Weiterfahrt nach Westerland antreten. Eröffnet wurde die Bahnstrecke am 1. Juli 1901.

Hörnum mit Bahnhof, Leuchtturm und „weißer Siedlung“ (ca. 1938)

Konkurrenz bekamen die Dampfschiffe im Jahr 1927 durch die Bahnanbindung. Nach schweißtreibender 4-jähriger Bauzeit war Sylt durch die Fertigstellung des Hindenburgdammes nun mit dem Festland verbunden. Bis dahin konnte man Sylt wie gesagt nur auf dem Wasserweg um die Insel herum oder die Anlandung in Hörnum erreichen.mit der Weiterfahrt per Inselbahn nach Westerland

Über den Hindenburgdamm konnte anfangs nur Personenverkehr befördert werden. 1933 kam dann der erste Autozug hinzu. Viele Jahre später, ab 1964 wurden von der Bahn auch Doppelstockwagen eingesetzt, um dem immer größer werdenden Andrang der Gäste, die mit ihren Autos anreisten, gerecht zu werden.

Der Hindenburgdamm (1951)

Es gab zwar auch schon seit 1919 eine Linienflugverbindung Berlin-Hamburg-Sylt, aber die bestand nur in den Sommermonaten und die Flugzeuge konnten nicht mehr als 3 bis maximal 5 Passagiere mit ihrem Gepäck aufnehmen.

Die ersten massiv gebauten Häuser in Hörnum entstanden mit der Anlegebrücke für die Bäderschiffe. Das älteste Gebäude war der 1901 erbaute Bahnhof, Jahre später das sogenannte Hapag-Haus. Durch den beginnenden Tourismus in Hörnum, entstand danach schnell eine kleine Siedlung.

Die Anbindung von Hörnum an das Straßennetz nach Westerland erfolgte erst viele Jahre später, nämlich 1948 durch den Bau einer einspurigen Straße aus Betonplatten.

Die Gäste konnten vom Dampfschiff gleich in die Inselbahn umsteigen und nach Westerland weiter fahren.

In den 30-er Jahren entwickelte sich der Ort Hörnum weiter mit dem Bau der sogenannten „Weißen Siedlung“. Dazu gehörten die Strandstraße, die Hafenstraße und das Blanke Tälchen. Hier wurden von der Landesregierung Häuser erbaut, die kalkweiß getüncht wurden und somit der Siedlung zu ihrem Namen verhalfen. 1936 wurde mit dem Bau der „Roten Siedlung“ begonnen. Diese Wohnhäuser aus rotem Backstein waren für die Hörnumer Zivilbevölkerung gedacht, die bei militärischen Einrichtungen am Ort oder dem 1935 erbautem Fliegerhorst beschäftigt waren.

Hörnum ca. 1940 (Foto mit freundlicher Genehmigung des Schöning-Verlags Lübeck)

Beide Wohnsiedlungen sind bis heute nahezu unverändert. Die Häuser befinden sich im Steintal, in der Hangstraße und in der Budersandstraße. Dazu gab es in Hörnum rein militärisch genutzte Gebäude wie den großen Kasernenkomplex mit einem dazugehörigen Lazarett, den Hafen mit Werkstätten und einen kleinen Flugplatz mit Hangar. Sylt galt im 2. Weltkrieg als strategischer Stützpunkt, obwohl es nie direkt in das Kriegsgeschehen verwickelt war. Aus Furcht vor feindlichen Landungen wurden vom Ellenbogen List bis zur Südspitze in Hörnum in den Dünen zahlreiche Geschützbunker, Flakstellungen und Unterstände geschaffen. Der Hörnumer Hafen galt als Schutzhafen.

Der Vertiebenenausweis meiner Mutter

Am 24. Februar 1945 erreichte ein erster Flüchtlingsstreck aus Ostpreußen die Insel. Statt zu dem Zeitpunkt 12.000 Menschen befanden sich plötzlich mehr als doppelt so viel auf Sylt. Die Flüchtlinge wurden in Privathaushalten und Baracken bzw. leer stehenden Kasernen untergebracht.

Meine Eltern lernten sich unter diesen Umständen 1945 in Hörnum kennen. Meine Mutter Frieda (Jahrgang 1920) stammt gebürtig aus Kaspersgut/Ostpreußen, mein Vater Rudolf (Rudi, Jahrgang 1921) aus Schiedlow/Oberschlesien.

Die Südspitze der Insel Sylt war somit 1945 für meine Mutter mit ihren Eltern und sieben jüngeren Geschwistern die Endstation mit dem Flüchtlingstreck aus ihrer Heimat Ostpreußen. Sie hatten für einen Neuanfang nichts weiter dabei als das, was sie tragen konnten. Mein Vater war zu dem Zeitpunkt in Hörnum als Soldat stationiert. So sind die beiden sich in Hörnum begegnet und haben sich ineinander verliebt. Mein Vater war als Schwiegersohn nur allzu sehr willkommen: er war ganz im Gegenteil zum Vater meiner Mutter ein Allrounder, das geborene Organisationstalent. Er konnte gut handeln und dadurch wirklich ALLES besorgen. Mein Opa hatte eher zwei linke Hände und handeln lag ihm gar nicht.

Am 30. August 1945 wurde mein Vater aus der Marine entlassen. Noch im gleichen Jahr wurde geheiratet.

Beide waren sehr religiös erzogen. Meine Mutter evangelisch, mein Vater katholisch. Um heiraten zu können, ist mein Vater zur evangelischen Kirche konvertiert. Somit hatten sie den Segen des Vaters meiner Mutter und die Hochzeit konnte am 20. Oktober 1945 stattfinden. Anschließend bekamen sie in der Strandstraße in Hörnum eine Wohnung zugewiesen. Dort wurde im Juni 1946 mein Bruder Dieter als Hausgeburt geboren.

Alles war noch sehr unübersichtlich nach dem Krieg. Vieles konnte nur durch Beziehungen und durch Tauschgeschäfte beschafft werden. Das war genau das Richtige für meinen Vater. Egal ob es Kohle zum Heizen war, Kartoffeln zum Essen oder Tabak zum Rauchen. Nichts war für ihn unmöglich zu besorgen. Natürlich wurde auch in dem einen oder anderen Haushalt verbotenerweise Schnaps gebrannt, denn zu kaufen gab es keinen. Und so kam es schon mal vor, dass der kleine Dieter mit den leeren Schnapsbuddeln auf dem Fußboden im Wohnzimmer spielte, wenn die Polizei zur Kontrolle kam…. Meine Eltern – beide gerade Mitte 20 - waren voller Ideen und Tatendrang. Mein Vater war von Beruf Kaufmann und meine Mutter gelernte Verkäuferin. Sie hatte vor der Vertreibung in Königsberg in einer Bäckerei gearbeitet. So lag es nahe, dass die beiden in diesem Bereich in Hörnum ihr Glück versuchten. Sie eröffneten 1948 ihr erstes eigenes Geschäft in einer nicht mehr genutzten Baracke im Fliegerhorst in Hörnum-Nord, argwöhnisch beäugt von der einheimischen Bevölkerung und dankbar angenommen vom Rest der Bewohner. Verkauft wurde Obst, Gemüse, Geflügel und Süßwaren. 1950 kam die Erlaubnis für Speiseeis hinzu und 1951 für Tabakwaren. Für jeden einzelnen Bereich musste damals eine Genehmigung von der zuständigen Kreisverwaltung Südtondern mit Sitz in Niebüll eingeholt werden. Ungefähr 1952/53 wurde das erste massive Geschäft am Strandweg gebaut. Natürlich in Eigenregie mit guten Freunden aus dem Dorf. Die Nachkriegsgeneration konnte fast alles selbst machen und man war sehr hilfsbereit untereinander.

Schnell stellten sie fest, dass der Verkauf von Obst und Gemüse sich aufgrund mangelnder Gäste im Jahresverlauf nur im Sommer rechnete, so dass meine Eltern sich gezwungen sahen, ein weiteres geschäftliches Standbein für die Winterzeit zu schaffen. Aus dem Grund zogen sie für die Herbst- und Wintermonate nach Ellerbeck in der Nähe von Hamburg.

Der erste Erlaubnisschein von der Kreisverwaltung für die Eröffnung eines Gemüsegeschäftes

In Ellerbeck war es sehr ländlich und sie haben dort viele neue Ideen ausprobieren können. Unter anderem wurde zeitweilig eine Hühnerfarm betrieben, es wurden Chinchillas gezüchtet und sie bewirtschafteten eine Erdbeerplantage. Ob das alles gleichzeitig oder hintereinander geschah, weiß ich nicht. Ich denke, eher nacheinander.

Das erste eigene Geschäft am Strandweg

Meine Mutter erzählte später gern, dass sie die Erdbeeren immer nackt -oder zumindest mit freiem Oberkörper- gepflückt hat und diese deshalb vor Scham rot geworden sind und dadurch ihre wunderbare Süße bekamen…Die Erdbeeren wurden auf dem Feld geerntet und in flachen Obststiegen verpackt mit dem Zug nach Sylt verfrachtet. Dort hat man sie in Westerland auf die Inselbahn verladen und dann wurden sie in Hörnum teils direkt vom Waggon aus erntefrisch an Gäste und Einheimische verkauft.

Im Laden hielt in der Zwischenzeit Heinz, der jüngste Bruder meiner Mutter, die Stellung. Er war 15 Jahre jünger als seine Schwester und bei meinen Eltern als Lehrling in Ausbildung. Später kam er auch mehrere Jahre als Saisonkraft nach Hörnum, um im Sommer bei ihnen tätig zu sein.

Strandweg: rechts im Bild das Kurhaus, daneben das sich im Bau befindliche Geschäft meiner Eltern, dahinter das Restaurant „Helgoland“. Das Gebäude links ist das „Strandbazar“, in der Mitte ehemals Schlachterei „Machler“. Alles andere ist naturwüchsige Dünenlandschaft.

2 Und dann kam ich

1954 wurde ich in der Nordseeklinik in Westerland geboren. Selbstverständlich mit der Flut, so wie es sich für eine waschechte Insulanerin gehört. Damals kamen die Babys immer mit der Flut. Ob das heute noch so ist, weiß ich nicht.

Klein Rosi

Seit Januar 2014 gibt es nur noch waschechte Sylter, wenn sie als Hausgeburt auf der Insel zur Welt gekommen sind. Anfang dieses Jahres wurde nämlich die Geburtsstation in Westerland geschlossen und alle schwangeren Frauen müssen sich seitdem zur Entbindung auf das Festland begeben. Man stelle sich einmal vor, mit welchen Umständen das für die werdenden Mütter verbunden ist. Ganz abgesehen von der eigentlichen Aufregung der Geburt selbst.

Die Kinder kommen ja nicht wie ein bestelltes Paket pünktlich zum errechneten Termin, so dass man mal eben einen oder zwei Tage vorher ins Krankenhaus fahren kann. Für schwangere Frauen von der Insel ist von den Krankenkassen vorgesehen, dass sie sich 14 Tage vor dem errechneten Geburtstermin in eine vorgeburtliche Unterkunft, dem sogenannten „Boarding“, begeben. Diese Unterkunft wird über die Krankenkasse organisiert und die Kosten trägt auch die Krankenkasse.

So wie es vorgeschrieben war hat sich die Tochter meiner Freundin 14 Tage vor dem Geburtstermin bei ihren Schwiegereltern auf dem Festland einquartiert. Auch das ist möglich. Ihr Mann blieb natürlich auf der Insel zurück. Er musste arbeiten und sie die Wartezeit bis zu den Wehen allein ausharren. Aber gerade in dieser spannenden Phase hätte sie ihren Mann bestimmt an ihrer Seite haben wollen…

Wenn ich an die Geburten meiner drei Kinder denke, verliefen diese bis auf den geplanten Kaiserschnitt bei meinem Sohn, auch nicht gerade nach Plan. Bei meiner Ältesten wurden wir beim ersten Anlauf vom Krankenhaus wieder nach Hause geschickt. „Mit diesen Wehen könne man kein Kind zur Welt bringen“ hieß es dazu. Aber woher sollte ich beim ersten Kind wissen, welche Wehen ich dafür brauchte und welche nicht? Bei der Geburt meiner jüngsten Tochter wollte mich die Hebamme -dieses Mal vom Krankenhaus Bremen- schon wieder nach Hause schicken. Aber jetzt wusste ich ja wie es geht! Die Wehen waren so stark, dass ich kurz davor war, mein Frühstück auf dem Fußboden des Krankenhauses auszubreiten. Eine andere, ältere Hebamme erkannte die Problematik und schloss mich ein zweites Mal an den Wehen Schreiber an. Sie erklärte dazu, dass man beim dritten Kind ja wohl davon ausgehen kann, dass ich die Anzeichen kennen würde und weiß, wann das Kind sich auf den Weg macht. Ich musste bei jedem Mal, wenn eine Wehe kam, ein Zeichen geben. Und siehe da, es stellte sich heraus, dass der Wehen Schreiber defekt war. Kurze Zeit darauf war unser Baby da.

Wie dramatisch und unvorhersehbar sich eine Geburt entwickeln kann, zeigte sich Anfang 2021 auf Sylt. Ein Ungeborenes konnte es nicht abwarten und ist als Frühgeburt zur Welt gekommen. Es musste aber dringend zur weiteren ärztlichen Versorgung in ein Krankenhaus gebracht werden. Mit dem Krankenwagen und Autozug auf das Festland zu fahren ging nicht, da um diese aktuelle Uhrzeit kein Autozug mehr fuhr. Der Einsatz eines Hubschraubers kam nicht infrage, weil es dafür zu stürmisch war. Somit blieb nur der Seeweg übrig. Mit dem Seenot- Rettungskreuzer sollte das Kind über List und Dänemark nach Flensburg gebracht werden. Aber nur das Kind, weil für die Mutter keine medizinische Notwendigkeit bestand. Das wollte die Mutter aber auf keinen Fall zulassen. Letztendlich und wie auch immer durfte sie doch mitfahren.

Seenotrettungskreuzer „Pidder Lüng“, Standort List (kostenkose Bildfreigabe durch DGzRS)

Das sind Zustände, die mich traurig machen. Sie sind den werdenden Müttern, egal wo auch immer, und schon gar nicht auf einer Insel Sylt unwürdig. Eine Lobby haben diese Mütter nicht, denn die viel gepriesenen „Schönen und Reichen“ leben ja nicht 365 Tage im Jahr auf der Insel. Sie kommen somit gar nicht erst in so eine Bedrängnis. Wäre es anders, hätte man sich bestimmt schon für die Erhaltung einer Entbindungsstation auf der Insel stark gemacht. Mit Geld ist hier schon so viel möglich geworden. Nicht selten werden Babys auf dem Weg ins Krankenhaus nach Flensburg auf der Fahrt dorthin im Rettungswagen geboren. Auch das ist ein für Mutter und Kind prägendes Erlebnis. Ostern 2021 ist sogar ein Baby auf dem Seenotrettungskreuzer „Pidder Lüng“ zur Welt gekommen. Auch dieses Baby hatte sich nicht an den vorgegebenen Zeitplan gehalten und somit die Pläne der Mutter und allen anderen Beteiligten durchkreuzt. Sie konnte nicht mehr wie vorgesehen 14 Tage vor dem errechneten Geburtstermin die Insel verlassen. Auch an dem Tag konnte der Hubschrauber nicht fliegen, um sie schnell ins Krankenhaus nach Flensburg zu bringen. Eine Hebamme vom Hebammen-Notruf Sylt befand sich glücklicherweise mit ihr an Bord des Rettungskreuzers und somit ist die Geburt unter diesen widrigen Umständen dennoch gut verlaufen. Mutter und Kind brauchten gar nicht erst nach Flensburg gefahren werden, sondern konnten schon nach kurzer Zeit zurück zu ihrer Familie auf die Insel gebracht werden. Unvergesslich wird es für Mutter und Kind immer bleiben. Sie hätten aber bestimmt gut auf diesen Kick verzichten können. Ihr Vater, der Großvater und eine Initiative machten sich seitdem dafür stark, dass Sylt wieder eine Geburtsstation erhalten soll. Zugespitzt hat sich die Situation inzwischen dadurch, dass es seit dem 1. Juli 2021 auch keinen Hebammennotruf mehr auf der Insel gibt….

Auch, wenn es heißt, dass auf dem Festland geborene Kinder im Herzen Sylter sind, so wird doch nie mehr der Geburtsort Sylt in den Papieren stehen. Und so wie ich es zum Beispiel mehrfach erlebt habe, wird es auch nicht mehr zu zufälligen Gesprächen kommen, wenn man irgendwo seinen Ausweis vorzeigen muss und sein Gegenüber beim Lesen über den Geburtsort „Sylt“ stolpert. Oftmals hieß es dann spontan und erfreut: „Was, Sie sind auf Sylt geboren! Das ist ja toll! Da wollte ich schon immer mal hin“ oder „Da verbringe ich auch regelmäßig meine Urlaube.“ Und schon ist man zwanglos in ein Gespräch eingebunden.

Meine Mutter und ich (1956)

Ich musste dann auch nicht selten erklären, warum ich jetzt nicht mehr auf dieser wunderschönen Insel wohne. Aber Urlaube auf der Insel zu verbringen oder auf ihr ständig zu leben, sind zweierlei Paar Schuhe. Das sehen die Gesprächspartner dann ein.

Bei der Namensgebung haben meine Eltern sich etwas Besonderes für mich ausgedacht. Ich wurde auf den Vornamen Rosgitta-Linda getauft. Und dann noch der Nachname Karnetzki hinterher, machte das Chaos perfekt. Das Standesamt sah keine Probleme und nickte meinen ungewöhnlichen Namen ab. Was es für neue Wordfindungen ergab, wenn ich irgendwo meinen vollen Namen angeben musste, kann man sich nicht vorstellen. Von Rossgitta oder Roswitha über Grosgitta oder nur Gitta (wenn ich die zweite Silbe besonders betonte) war alles vertreten. Der Vorname Rosgitta ist einzigartig geblieben. Ich habe ihn bis heute kein zweites Mal gehört und auch jetzt noch bringt der Name entsprechende Reaktionen hervor. Meine Freunde kannten mich jedoch nur unter dem Rufnamen Rosi und waren oftmals nach jahrelanger Freundschaft total erstaunt, wenn sie meinen „richtigen“ Namen zufällig hörten oder auf einem Papier gelesen haben. Dann glaubten sie, dass es sich wohl um einen Schreibfehler handeln würde.

3 Das Geschäft am Strandweg