Ich durfte alles und habe oft teuer bezahlt - Susanne Albers - E-Book

Ich durfte alles und habe oft teuer bezahlt E-Book

Susanne Albers

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Beschreibung

40 Jahre Epilepsie "Susanne, du kannst ja machen, was du willst, aber wenn du meine Meinung hören willst …" Mein Name ist Susanne Albers. Geboren wurde ich am 13. Februar 1965 im Krankenwagen zwischen Adendorf und Lüneburg. Meine richtige Mutter wollte mich nicht, also kam ich für die ersten 10 Lebensmonate in ein Kinderheim. Zu Weihnachten 1965 adoptierten mich Klaus und Ursela Knoop aus Bardowick. Sie gaben mir soviel Liebe, als wäre ich ihr richtiges Kind. Bis zu meinem 12. Lebensjahr verlief dann meine Kindheit völlig problemlos. Doch dann bekam ich die Krankheit Epilepsie. Von dem Tage an war vieles nicht mehr so unbeschwert. Ich hielt durch bis zum Abitur. Anschließend lernte ich technische Zeichnerin im Stahlhochbau und zog hinterher mit meinem damaligen Freund nach Berlin zum Studieren. Das Architekturstudium fesselte mich sehr, jedoch ging ich während des Studiums auch vielen Jobs nach. Mittlerweile hatten mein Freund und ich 1992 geheiratet. Die Ehe hielt aber nicht. Wir trennten uns 2000 nachdem ich feststellte, daß ich eine Vorliebe für Frauen entwickelt hatte, und diese neue Rolle ausleben wollte. Das Einzige, was uns wirklich verband, waren unsere Hunde, die Cocker Spaniels Benny, Lucy und Cora. Ich zog dann von Britz nach Friedrichshain. In den ganzen Jahren zuvor hatte ich einmal pro Monat unglaublich schlimme epileptische Anfälle. Es wurde einfach nicht besser, so daß ich mich 2000 exmatrikulierte und das Studium endgültig abbrach. In diesem Jahr kam es dann zu vielen existenziellen Problemen, alles wuchs mir über den Kopf. Es endete im Dezember 2000 mit einem Suizidversuch, den ich aber glücklicherweise überlebte.

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Seitenzahl: 136

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Susanne Albers - Ich durfte alles und habe oft teuer bezahlt

ISBN: 978-3-7418-6618-0

Susanne Albers - Kiehlufer 125-129 - 12059 Berlin

http://www.susannealbers.de

Inhaltsverzeichnis

1. Erster Anfall

2. Adoption

3. Dr. med. Arnold Blumenbach, der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie

4. Epi und Spasti

5. Blau angelaufen, 3 Anfälle im Schlaf

6. Kind im Gitterkäfigbett

7. Hamburg 1982, Alsterdorfer Anstalten bei Prof. Funke

8. In der Schule geschnitten, gemieden und gemobbt

9. 35km/h ohne Fahrradhelm

10. EC-Jugendbund oder Diskothek

11. Reizklima Nordsee und Schwarzwald

12. Achterbahn oder Wildwasserfahrt und 3D Kino

13. Trotz Anfall weiter Fahrrad gefahren

14. Alle beten für mich

15. 10 m und 300 m

16. Per Interrail nach Griechenland

17. Rauchen und Drogen

18. Berufswahl

19. Prof. Dr. med. Bettina Schmitz

20. Lucy und die Telepathie

21. Anfall am Steuer

22. Studium und viele Jobs

23. Doris und Carbamazepin

24. Lady Diana und Michael Jackson

25. Ich wollte Gott herausfordern

26. Chakren, Reiki und Bachblüten

27. Für 1,5 Stunden doppelt sehen

28. 15x die Nase gebrochen

29. 9 Minuten Nulllinie

30. Diagnose Epilepsie – was denn nun?

31. Erster Irakkrieg

32. Jens, mein treuer Fels in der Brandung, der immer für mich da gewesen ist

33. Jobablehnung nach Bewerbungsgespräch im Bundesministerium für Verkehr

34. Tina Turner

35. Suizidversuch

36. Falsche Freunde

37. Realistische Träume

38. EEG Video Monitoring

39. Gehirnblutung

40. Gesundheitsreform

41. Psychose 2004 und 2005

42. Epilepsie – Keppra – Psychose – Hand ab

43. Macht doof im Kopf

44. Ich habe einen Traum

1. Erster Anfall

Mein Name ist Susanne Albers. Ich wurde am 13. Februar 1965 im Krankenwagen zwischen Adendorf und Lüneburg geboren. Meine richtige Mutter wollte mich nicht, also kam ich für die ersten 10 Lebensmonate ins Kinderheim Wilschenbruch in Lüneburg. Zu Weihnachten 1965 adoptierten mich Klaus und Ursela Knoop aus Bardowick bei Lüneburg. Sie gaben mir so viel Liebe, als wäre ich ihr richtiges Kind. Bardowick bedeutet für mich persönlich eine wundervolle, aber angepasste Kindheit, eine schwierige Jugend und ein wehmütiges Klagen aus der Riesenstadt Berlin zu so einem schönen und beschaulichen Dorf. Wenn ich ganz früh anfange, dann waren wir viele Kinder, deren Mütter Hausfrauen waren, und deren Väter zur Arbeit gegangen sind. Wir hießen Annette, Karin, Ina, Tucky, Monika, Antje, Doris, Lolli, Jörg, Werner, Uwe, Karina, Franziska, Stefan, und Susanne. Und wir wohnten alle in einer Straße, sind nahezu gleichzeitig zur Schule gekommen und kennen uns heute noch, wenn wir jeweils Ostern oder Weihnachten unsere – wenn überhaupt noch lebenden Eltern und eventuell den Gottesdienst im Dom besuchen. Und all die anderen Kinder aus den Nachbarstraßen erwähne ich nicht, sonst wird die Liste zu lang. Aufgrund der örtlichen Lage gab es außer der üblichen Warnung vor einem "Mitschnacker", also einem Sexualstraftäter der sich an Kinder heran machte, so gut wie keine Gefahren. Wir konnten frei auf der Straße herumlaufen, denn diejenigen, die dort mit dem Auto fuhren, waren fast ausnahmslos unsere eigenen Eltern. Innerhalb von zwei Minuten waren wir im Wald, auf dem Feld, oder an einem Teich der sich Bühringsmoor nannte und konnten machen was wir wollten. Für uns war zum Beispiel eine typische Einschränkung: "Wenn ihr im Wald Baumhäuser oder Höhlen bauen wollt, dann dürft ihr keine Nägel in die Bäume schlagen". Außerdem gab es die Auflage, nicht zu nahe an Klein - Bühringsmoor heranzugehen, weil dort eine echte und in dem Sinne gefährliche Moorlandschaft war. Wenn wir abends nach Hause sollten, dann sagten uns unsere Eltern: "Du kommst dann nach Hause, wenn Lolli's Mutter ihn rein ruft". Das funktionierte total prima, denn die Stimme der besagten Mutter reichte kilometerweit. Und zur Entlastung der einzelnen Mütter haben wir an einem Tag im Garten von Familie X gespielt und am nächsten Tag war dann der Garten von Familie Y dran. Sicherlich haben wir uns genauso gestritten, wie alle anderen Kinder auch, aber unsere Eltern hatten dafür einen prima Trick bereit. Wenn ich zu meiner Mutter ging und herumzeterte, dass Annette mich geärgert hatte, bekam ich als Antwort: "geh zu Annette und vertragt Euch wieder". Als ich erwachsen war, habe ich sie mal gefragt, warum sie niemals Partei ergriffen hat. Darauf antwortete sie: "Ich bin doch nicht blöd, ihr habt Euch doch schon lange wieder vertragen, während wir uns dann mit den Nachbarn streiten." So hätte die Kindheit bis zur Jugend und zum Erwachsen werden für mich weiter gehen können. Dem war aber nicht so: Im Sommer 1976 waren Annette und ich mit etwa 10 christlichen EC-Jungschar Kindergruppen während der Pfingstferien zu einem Zeltausflug in der Lüneburger Heide. Am frühen Morgen eines der ersten Tage sagte Annette zu mir, dass während der Nacht etwas Beängstigendes und Merkwürdiges mit mir geschehen sei. Ich hätte mich mitten in der Nacht krampfend und keuchend um die Zeltstange in der Mitte des Zeltes gewunden; dabei sei Speichel aus meinem Mund geflossen und ich hätte mich sehr komisch verhalten, fast so, dass man Angst bekommen könnte. Annette sei davon aufgewacht. Ich konnte mir das nicht erklären, habe es kaum geglaubt. Es sollte ein Geheimnis bleiben, wir wollten niemandem davon erzählen, weder den Gruppenleitern, noch unseren Eltern. Das war dann also mein 1. Anfall. Da dieser Pfingstausflug aber noch viele weitere, schöne Überraschungen parat hielt, dachte ich kaum noch daran, obwohl Annette besorgt schien, und beteiligte mich an den Gruppenaktivitäten. Es war doch alles so aufregend und schön. Es dauerte nicht lange. Ich hatte mich gründlich getäuscht, ja es fast vergessen, denn schon kamen weitere Anfälle, dieses Mal in Gegenwart meiner Eltern. Ab dem Moment setzte in unserer kleinen Familie für einige Momente die Schockstarre ein. Meine Eltern waren in höchster Sorge und brachten mich zum Hausarzt Dr. Brunswig, dessen Praxis etwa 3 km von unserem Haus entfernt war. Er war ein außerordentlich umsichtiger Arzt, der meine Eltern über das Nötigste aufklärte und ihnen empfahl, mit mir zum Neurologen und Psychiater Dr. Blumenbach ins 10 km entfernte Lüneburg zu fahren. Hier darf man nicht vergessen, dass wir das Jahr 1976 schreiben, in einem 4000 Einwohner Dorf namens Bardowick, dass in seiner Urstruktur vom Gemüseanbau lebt und wo sich seit Kriegsende weiteres Gewerbe angesiedelt hat. Ein Kind – ja ein vor 10 Jahren adoptiertes Kind – zu haben, das Anfälle hat, das war sehr schwer zu verkraften.

2. Adoption

Meine "richtige" Mutter, Wiltraud jetzt G. früher M. geb. S. aus Adendorf brachte mich am 13.2.1965 um 21:00 Uhr im Krankenwagen zur Welt und gab mich anschließend sofort zur Adoption frei. Mein richtiger Vater heißt Klaus W. und kommt aus Winsen/Luhe. Mein Vater hat 2 eheliche Kinder, die Constanze und Andreas heißen, und ein weiteres uneheliches Kind mit dem Namen Thorsten W. gezeugt. All das weiß ich seit 1989, weil mir das erst die Amtspflegschaft und danach das Standesamt in Lüneburg einfach so am Telefon erzählt haben. Seine Telefonnummer habe ich auch. Angerufen habe ich nie. Dann kam ich für die nächsten 10 Monate in Lüneburg ins Kinderheim Wilschenbruch. Zu der Zeit lagen ca. 20 Babys in einem großen Saal und wurden vielleicht von 2 oder 3 Schwestern betreut. Es gab einen Zeitplan zum Windeln wechseln und zum Füttern. Zum Kuscheln gab es keine Minute. Und wenn eines der Babys seine Windel vollgeschissen hatte, musste es warten, bis es laut Schwesternplan an der Reihe war. Was machte das Baby also wenn es seinem Unmut Luft machen wollte, denn in der eigenen Scheiße zu liegen ist immer unangenehm? Es schreit..........aber es kommt keiner...........die anderen Babys haben vermutlich ein ähnliches Problem....auch sie schreien......es kommt immer noch keiner....so eine Schwester kann ja nicht gleichzeitig bei jedem Baby sein. Und sie kommt auch nicht, um zu trösten, sondern kommt, weil sie ihren Job machen muss, also um die Windel zu wechseln. Und wenn es ans Essen geht, dann ist sie nur deshalb da, weil sie dem Baby die Flasche gibt. Woran ich überhaupt nicht denken mag, ist die Tatsache, dass in jener Zeit die Hände und Füße der Babys an den Gitterstäben festgebunden wurden. usw. usw. usw. Ich heule immer wieder, auch jetzt wenn ich darüber nachdenke, aber es war so, und ich kann nichts daran ändern. So erging es mir also die ersten 10 Monate meines Lebens, und das war meine frühkindliche Prägung. Dann kam es zur Adoption durch meine jetzigen Eltern. Plötzlich kehrte sich die Situation um. Ich war der Mittelpunkt, umhegt und umsorgt, geliebt und beachtet. Ich wurde nur einmal bis heute von meinem Vater geschlagen und zwar weil ich mit 8 Jahren dem Zahnarzt vors Schienenbein getreten habe. Meine Eltern warteten lange auf das erste Wort, welches ich sprechen können sollte. Erwartet wurde "Mama" oder "Papa". Ich entschied mich anders. Ich stand im Gitterbettchen und wollte raus. Meine ersten gesprochenen Worte waren nicht ein einzelnes Wort, sondern der Satz: "Mama bitte hole mich". Aus meiner Perspektive war also genau bis zu meinem 3. Lebensjahr alles im grünen Bereich. Denn dann kam es zu dem Moment, der mein gesamtes späteres Leben nachhaltig vorbestimmte und glaube mir bitte, es können noch 1 Mio. epileptische Anfälle oder geplatzte Aneurysmen kommen, die mein Gehirn vernebeln, aber das werde ich niemals vergessen: Ich saß im Alter von 3 Jahren mit Spielkameraden in der Sandkiste. Dann klaute ich einem Nachbarsjungen seine Sandform. Der fand das doof und wollte mich zurückärgern. Er sagte: "Und außerdem hast du gar keine richtigen Eltern, meine sind wenigstens echt, du bist nur ein Adoptivkind." Ich war völlig entsetzt und rannte zu meiner Mutter. Bis dato wusste ich nicht was das war, vor allem nicht, dass ich es war. Ich erzählte meiner Mutter also, was derjenige gesagt hatte. Und sie hat aus heutiger Sicht überaus klug reagiert. Sie erzählte mir in den liebevollsten und schillerndsten Worten wie das war, wie sie mich ausgesucht hatten und schließlich zum Heiligen Abend 1965 auf einem blütenweißen Kissen in ihr Haus trugen, wie toll das war, wie glücklich meine Eltern waren, gerade mich gefunden zu haben und dass ich natürlich ihr richtiges Kind sei. Dann ging sie zum Schrank, zeigte mir (3 jährig) die Geburts- bzw. Adoptionsurkunde und sagte: "Siehst Du Susanne, wir sind Deine richtigen Eltern und das haben wir sogar schriftlich." (p. s. soweit ich weiß lebt meine richtige Mutter noch. Einmal wollte ich sie kennenlernen, nahm mit Hilfe eines Psychologen all meinen Mut zusammen und habe bei ihr geklingelt, mich vorgestellt und meinen Wunsch geäußert, sie kennenlernen zu wollen. "Das haben Sie ja jetzt getan" war ihre Antwort. Und dann schloss sie ihre Haustür wieder zu. Das ist alles was ich von ihr weiß.) Für mich als Dreijährige war alles klar, supertoll und so rannte ich wieder zurück in die Sandkiste, verschränkte meine Arme in den Hüften und stellte mich breitbeinig vor diesen Nachbarsjungen. Dann sagte ich: "Du hast gelogen, ich bin ihr richtiges Kind, das haben wir sogar schriftlich" Für den Nachbarsjungen war die Situation damit abgefrühstückt, wir vertrugen uns wieder und spielten weiter. Nur in meinem Kopf regten sich die Gedanken über das was ich gerade erfahren hatte. Um 16:15 Uhr kam mein Vater von der Arbeit nach Hause. Das war immer der Moment wo ich vom Spielen nach Hause lief, ihn begrüßte, mich an den Tisch zum nachmittäglichen Kaffeetrinken dazu setzte, und mein Glas Saft trank. Meine Gedankenwelt war mittlerweile dahingehend fortgeschritten, dass ich folgende Frage äußerte: "Hättet Ihr auch ein anderes Kind nehmen können, als gerade mich?" Meine Mutter war es, die wie auch zuvor eine perfekte Antwort auf den Lippen hatte: "Ja Susanne, da waren noch zwei andere Babys und sogar ein Negerbaby, aber wir fanden dich so lieb und süß, dass wir dich genommen haben." Natürlich war ich mit dieser Antwort überaus zufrieden, spiegelte es doch wieder, warum gerade ich die Auserwählte war und wie süß und lieb ich war. Deshalb war für mich alles ok, ich trank aus und lief los, um mit den Nachbarskindern weiterzuspielen. Und auch dann arbeitete mein Gehirn weiter an dieser neuen Information. Abends, als meine Mutter mich ins Bett brachte und mir "Gute Nacht" sagte, hatte ich die 3. Frage auf den Lippen. Es gab allerdings ein Problem, welches mich dazu veranlasste, sie niemals zu stellen. Dieses Problem war sehr einfach. Meine Frage konnte nur mit Ja oder mit Nein beantwortet werden. Und weil ich von Anfang an vor den Folgen einer möglichen "Ja" Antwort Angst hatte, wagte ich damals nicht diese Frage zu stellen: "Bringt Ihr mich wieder zurück, wenn ich nicht artig bin?" Diese Frage stellte ich also niemals, weil ich Angst vor der Antwort hatte, und es war eigentlich kein Drama, was ich erlebte. Denn was ich wusste war doch: "Wenn ich mich bemühe, immer artig zu sein und nicht über die Strenge schlage, dann bringen sie mich garantiert nicht zurück." Und so verhielt ich mich auch. Solange, bis ich fast das 30. Lebensjahr vollendet hatte. Ich wollte immer, dass sie stolz auf mich waren und ich sie glücklich machte. Und als ich erwachsen war, wollte ich, dass andere mit mir zufrieden sind. Natürlich bin ich auch einmal unartig gewesen, aber ich hatte mir den Grenzbereich selbst genau vor Augen gelegt. Das und das kannst Du noch machen... und das und das darfst Du nicht, weil sie dich dann bestimmt zurückbringen würden. So in etwa deutet sich meine psychische Störung in Sachen Adoption an. Ob ich mich von diesen Gedanken zum Ereignis jemals werde befreien können, ich weiß es nicht.

3. Dr. med. Arnold Blumenbach, der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie

Ich hab das extra so förmlich tituliert, weil er eine absolute Persönlichkeit in Lüneburg war. Meine Mutter hatte angerufen, einen Termin vereinbart und ging mit mir zum ersten Besuch hin. So, so, Nervenarzt und was? Psychia … klingt nach Klapsmühle … hmm … wenn ich das heute so überdenke, waren meine Eltern superlieb und mutig. Sie haben das Alles mit mir durchgestanden. Ja, wenn nur die Nachbarschaft nicht beobachtet, dass man dort in die Praxis hinein geht. Aber meine Mutter war unendlich tapfer, hatte mich an der Hand und öffnete die Tür.

Ich war aufgeregt und natürlich unendlich neugierig. Über die Dramatik meiner Erkrankung war ich mir zu dem Zeitpunkt noch nicht so ganz im Klaren. Ja, der Hausarzt Dr. Brunswig sprach schon in einigen Sätzen davon, dass Anlass zu Vorsicht geboten sei, ich dieses oder jenes nicht unbedingt tun sollte, aber mehr auch nicht.

Drinnen war es nicht so schön hell, wie Licht durchflutete Räume, alles war so ein bisschen altbacken. Wir warteten nach der Anmeldung kurz im Wartezimmer, dann bat uns die Sprechstundenhilfe ins große Sprechzimmer. Erst zu den folgenden Terminen empfing uns Dr. Blumenbach in einem der drei kleineren Sprechzimmer.

Dann kam er schweren, aber schnellen Schrittes herein, setzte sich und begrüßte erst mich, dann meine Mutter. Er hatte schwarze glatte Haare, einen Seitenscheitel, eine Brille und eine Hasenscharte. Das war mir sofort aufgefallen. Seine Sprache war schnell, laut, und Ehrfurcht einflößend.

Meine Mutter schilderte die vergangenen Anfälle und die häusliche und familiäre Situation. Mein Vater war in Bardowick bei Schulenburg Polstermeister, meine Mutter hatte während der Nazizeit auf Grundschullehramt studiert, zum Kriegsende wurde diese Lehrerinnenbildungsanstalt aber geschlossen. Es fiel ihr nicht leicht, dass sie sich „nur“ als Hausfrau und Mutter angeben konnte. Ich merkte es sehr deutlich, dass sie darüber traurig war.

Und nun, in gerade diesem wichtigen Arztgespräch fühlte sie sich klein, das tat mir leid. Dr. Blumenbach gab das Seinige dazu, er verhielt sich sehr stark, wie der Halbgott in Weiß.

Und das war er auch, Lüneburgs fast einziger, zumindest aber Top-Nervenarzt.

Er erklärte kurz, dass ich alle 3 Monate zur Gehirnstrommessung EEG und zu Blutabnehmen kommen sollte, dass (bevor er das fertige EEG gesehen hatte) meine Anfälle Grand Mal Anfälle von franz. Großes Übel genannt werden und dass ich keine Epilepsie, sondern unbedingt nur ein hirnorganisches Anfallsleiden hätte. Dann brachte mich eine Sprechstundenhilfe in den EEG Raum. Dr. Blumenbach und meine Mutter unterhielten sich weiter. Ich weiß bis heute nicht genau, was er ihr und sie ihm erzählt haben.

Ich erhielt eine Art Gumminetz auf den Kopf, welches unter dem Kinn mit einem Riemen gehalten wurde. Die Sprechstundenhilfe war erklärfreudig und ich sehr neugierig. Die Elektroden wurden im Netz befestigt und mit Wasser auf der Kopfhaut befeuchtet. Dann kamen noch die einzelnen Kabel von der Maschine an die vielen Elektroden und schon ging es los. Das EEG wurde geschrieben. Dr. Blumenbach hatte vorher erklärt, dass man Gehirnstromunregelmäßigkeiten im EEG erkennen könne.

„Augen auf, Augen zu hörte ich… Ruhig sitzen, nicht bewegen… jetzt 3 Minuten tief ein- und ausatmen, dann 2 Minuten mit geschlossenen Augen in ein Blitzflackerlicht schauen.“

Ich fand das Atmen das Schlimmste. Oh Graus, mir wurde ganz anders. Aber sonst hörte ich nur das Rattern der Maschine, die die Gehirnströme aufzeichnete… und sonst… nix weiter. Es war doof.