Ich habe die Welt erschaffen [1992 bis 2015 - Berlin, Deutschland, Europa, Nordamerika] - Armin Heining - E-Book

Ich habe die Welt erschaffen [1992 bis 2015 - Berlin, Deutschland, Europa, Nordamerika] E-Book

Armin Heining

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Beschreibung

Eine geheimnisvolle Pflanzengottheit, eine angriffslustige Tante und eine Mentaltrainerin am Abgrund. Wer wird zu Armins Absturz beitragen? Wer kann ihn vor dem tiefen Fall bewahren? Nachdem wir den geläuterten Mönch Frater Christoph im ersten Band seiner Autobiographie auf dem Gipfelpunkt zurückgelassen haben, finden wir nun einen desillusionierten jungen Mann Armin Heining vor. Zu seiner Überraschung hat sich der Wind gedreht und ihn in die Niederungen des Alltags hinabgeweht. Hier hat niemand auf den frisch gebackenen Tantralehrer gewartet. Eine Zufallsbekanntschaft gibt sich jedoch als Helfer in der Not zu erkennen. Aber ist dieser Mann wirklich vertrauenswürdig? Oder ist er der Gestalt gewordene Nachtmahr? Armin tut sich immer schwerer Freund von Feind zu unterscheiden, als er daran zweifelt, ob er für diese Erde überhaupt geschaffen ist. Die Menschen, auf die er zählt, lotsen ihn in eine Welt, die am Abgrund münden wird. Die Vertreibung der bösen Geister stellt sich als Prüfung seines wahren Charakters heraus. Hat er genug gelernt, um auch diese Herausforderung zu meistern? Drogen oder Liebe, Wahn oder Wirklichkeit, Verrat oder Vertrauen – in schonungsloser Ehrlichkeit erzählt Armin Heining auch in seinem zweiten Band mitreißend von seinem Leben: Den Anfängen und seinem Wirken als Tantra-Lehrer, dem verzweifelten Ringen um ein authentisches Leben in Privat, Familie und Beruf, Sexualität und Spiritualität, der Hoffnung auf Heilung seelischer Verwirrungen sowie der erneuten Erkenntnis, dass auch der verschlungenste Weg einem Plan folgt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 421

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Als Spiegel für deine Selbsterforschung.Für alle, die nach Erwachen streben.

Armin Heining

Ich habe die Welt erschaffen

Wie ich als Tantra-Lehrer ein Junkie wurde und die Liebe wiederentdeckte

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© 2025 Armin Heining

Umschlag und Design: Marko Bußmann, www.bussmann-design.de

Druck und Distribution im Auftrag von Armin Heining:tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg

ISBNSoftcover:978-3-384-37729-6Hardcover:978-3-384-37730-2e-Book:978-3-384-37731-9

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich, zu erreichen unter:Institut Armin Heining, Mehringdamm 32-34, 10961 Berlin, Deutschland, [email protected] Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Zum Autor

Armin Heining, geboren 1960, wuchs in Cham/Oberpfalz auf. Nach dem Abitur trat er in das Benediktinerkloster von Metten/Niederbayern ein und studierte Katholische Theologie in Würzburg.

Nach Jahren tiefer innerer Auseinandersetzung und therapeutischen Prozessen verließ er 1990 im Einvernehmen die Abtei.

Seinem Herzen folgend gründete er 1992 in Nürnberg GAY-TANTRA und lebt heute als Großstadtmönch in Berlin. Von dort bereist der Autor und Regisseur zahlreicher wegweisender Lehr- und Ratgeberfilme die Welt. Als internationaler Coach lehrt er seine Philosophie der Liebe:»Meditation ist die intimste Weise, mit sich – die tantrische Vereinigung die intimste Weise, mit einem Menschen zu sein. Und die Geistesschulung von ›Ein Kurs in Wundern‹ führt durch Vergebung zu einem offenen Herzen – frei von Ego, voller Liebe.

www.armin-heining.com

[email protected]

Inhaltsverzeichnis

Erzählwelten

Kapitel 1: Herzlich Willkommen

Kapitel 2: Die Göttin

Kapitel 3: Erfolg ist eine Denkweise

Kapitel 4: Erleuchtung

Kapitel 5: Zuckersüß

Kapitel 6: Auf der Klippe

Kapitel 7: Voll des Mondes

Nachwort

Erzählwelten

Was machst du, wenn Träume wahr werden?

Frag dich das lieber rechtzeitig, ehe auch dein Lebenstraum reale Gestalt annimmt und dein Leben zu einem Graus wird!

Ich weiß, wovon ich schreibe, weil es sich so und nicht anders bei mir ereignet hat. Mein Traum hat sich erfüllt und anschließend habe ich mein Leben nicht wieder erkannt. Von mir selbst ganz zu schweigen. Ich wusste nicht mehr, wer ich bin und was ich will. Habe an meiner Aufgabe im Leben gezweifelt, bin an mir selbst und den Entscheidungen, die ich traf, verzweifelt, sah mich in einem Gefängnis wiederkehrender Verhaltensmuster und tat mich schließlich schwer, Freund von Feind zu unterscheiden.

Und das Schlimmste: Ich hab's nicht kommen sehen. Dabei hatte ich den schönsten Aussichtspunkt meiner Welt erklommen, als ich dich am Ende von Band eins verließ, um meine nächsten Abenteuer zu bestehen. Ich war der festen Überzeugung, ich sei erleuchtet, hab's geschafft und alles erreicht, was ich mir je vorgestellt hatte. Vor mir breiteten sich die schönsten Aussichten aus – bis sie es eben nicht mehr taten.

Wenn man wieder scheinbar ganz unten angekommen ist, verschwinden auch der Panoramablick und mit ihm die Chancen und Möglichkeiten, die man einst am Horizont zu erkennen glaubte.

Dieser Abschnitt meiner Erzählwelten handelt von Demütigung, Enttäuschung, Verzweiflung und Zurückweisung. Enthält explizite Sex-Szenen und Beschreibungen von Drogenkonsum. Daher gibt es entsprechende Triggerwarnungen für die Kapitel drei und vier (emotionaler Missbrauch) und Kapitel fünf (Ü 18!).

Ich verstehe jede Person, die sich so eine Lektüre nicht zumuten will, weil sie von einem ehemals so geläuterten Mönch ein anderes Wissen, ein anderes Verhalten, andere Lebensereignisse erwartet hätte. Auch ich hätte nie gedacht, dass mein Lebensweg sich so entwickelt, anders als der von Kollegen und Gefährt*innen; äußerlich alles in Ordnung und vermeintlich glücklich – und doch immer tiefer hinein in Isolation, Trennung und Verstrickung.

Wer sich aber dieser Wahrheit nicht stellen mag, ist herzlich eingeladen, gleich bis zum Kapitel sechs vorzublättern.›Auf der Klippe‹ erahne ich wieder, wer ich wirklich bin, welche Schätze in mir beheimatet sind und wie ich dies Vermögen sinnvoll nutzen kann.Richtig: Zum Ende meines Buches wird das Erzählen immer freier, weil die äußerst starken psycho-spirituell therapeutischen Prozesse, die ich mehrmals durchlaufen hatte, rechtlich geschützt sind und auch in deren Beschreibungen mit rechtsanwaltlichem Beistand streng überwacht werden: ›Get your mind right with Guruinda‹ findest du genauso wenig im Internet, wie auch die ›Aurora Heaven Foundation for Peace and Awareness‹.

Im persönlichen Leben wieder auf der Spur musste dann auch für mich 2020 die Pandemie und 2022 der Krieg in Europa kommen, Ereignisse, die mich erneut so in die Enge trieben, dass tatsächlich die ›Liebe für Alle‹ mich erreichen und berühren konnte: Durch die Weisheitslehre von ›Ein Kurs in Wundern‹ [Originalausgabe ›A Course in Myracles‹, Herausgegeben von der ›Foundation for Inner Peace, Mill Valley/USA, Greuthof Verlag 2008] spricht sie seitdem täglich zu mir, hilft, Gedanken der Angst, der Kontrolle, den vermeintlichen Druck meines Machens, des Egos aufzuspüren und diese dem Universum abzugeben: »›Suscipe me Domine, secundum eloquium tuum et vivam. Et ne confundas me ab expectatione mea.‹«Mein Gesang der Lebensübergabe zu den feierlichen Gelübden als junger Benediktinermönch 1984, jetzt befreit übersetzt: ›Schon längst hast du mich gesehen, erkannt, liebst mich und erweist mir die Ehre seit Ewigkeiten. Ich kann mein Leben gar nicht vermasseln. Ein glücklicher Ausgang aller Dinge ist gewiss!‹

Seit 1990 habe ich die Welt erschaffen, in der ich lebe, die Hingabe an ein größeres ›Du‹ vergessen, die ich während meiner Klosterjahre so bewusst gepflegt und mich anheimgegeben hatte. Ich war – trotz allerhand angelernter spiritueller Übungen und regelmäßiger Praxis – eingeschlafen, schlummerte tief und fest und hatte meinem ›kleinen Ich‹ die Führung überlassen.

Ja: Die Wiederentdeckung der allumfassenden Liebe ist für mich so heilend und heilsam, so glücklich machend und sinnstiftend. Ich entdecke in ihr eine Rückkehr zur Führung von Innen, von Jesus, von Gott, vom Heiligen Geist wie ich diese schon so intensiv in den Klosterjahren erfahren hatte – jetzt aber auf einer noch erlösteren, friedlicheren, glücklicheren, liebevolleren Ebene als vor, während und nach den Jahren des einvernehmlichen Klosteraustrittes. Es scheint mir, dass sich erneut ein Kreis meines Lebens schließt und mich emporhebt.

Das Entwerfen, Konzipieren und Schreiben meiner Lebensgeschichte Band zwei hat so viel Zeit in Anspruch genommen, weil es herausfordernd war, diese für Außenstehende, auch jene, die nichts mit Spiritualität zu tun haben, nachvollziehbar zu machen. Zugleich möchte ich dir meine Geschichte ganz genauso erzählen, wie sie war. Und das fiel enorm schwer. Und liest sich auch genauso. Weil ich vermeintlich jetzt ein anderer Armin als der von Band eins bin. In den hier erzählten Jahren und Jahrzehnten scheint von dem erwachten jungen Mann, dem du im ersten Erzählband begegnet bist, nicht viel geblieben zu sein. Und deswegen sind vielleicht einige Passagen auch schwer auszuhalten.

Aber wer kennt das nicht? Ist das nicht das echte Leben? Die Tage, Wochen oder gar Jahre, die vielleicht schwer auszuhalten sind? Und dann tut sich leider keine Möglichkeit auf zu den glücklicheren, erkenntnisreichen und strahlenden Seiten des Lebens vorzublättern.

Und die Menschen, die solche Phasen auch kennen, spreche ich ausdrücklich hiermit an: Ihr seid sehr herzlich eingeladen, nicht chronologisch zu lesen. Es gibt safe Spaces im Leben. Das sind die Kapitel sechs, sieben und mein Nachwort – abzüglich einiger Wendungen in der Handlung, die wichtig sind, um die Spannung zu halten.Ihr müsst nicht aushalten, was nicht geht. Ganz klar.

Jene, die allerdings von unbändiger Neugier erfüllt sind, die ganze Geschichte zu erfahren, sind ebenso herzlich eingeladen, mich durch höchste Höhen, ziemliche Tiefen und erstaunliche Niederungen des Lebens zu begleiten, die selbst der Biographin, die – wie auch in Band eins – wieder die kreative Federführung übernommen hat, die Sprache haben verschlagen lassen.

Manche Dinge sind kaum zu glauben und haben sich trotzdem so zugetragen. Und mein Herz staunt und strahlt zugleich ob der inneren Führung und wie alles – wenn ich nur das ›kleine Ich‹ loslasse – wie von selbst auf seinen Platz fällt und sich fügt.

Aus Gründen des Persönlichkeitsrechts war es wichtig, wieder korrigierend einzugreifen. Nicht jeder Mensch möchte sich mit meiner Lebensgeschichte öffentlich assoziiert wissen.Nicht alle Namen sind die echten.Nicht alle Charaktere sind echte Menschen. Manche wurden aus mehreren Persönlichkeiten zu einem Typ Mensch zusammenge-setzt, der mir vielleicht das Leben zur Hölle machte oder – am anderen Ende des Extrems – sich unendlich viel Mühe gab, mich seiner nie endenden Freundschaft zu versichern.

Wer real ist und noch auf Erden wandelt oder gottlob nur in den Seiten dieses Buches existiert, spielt letztlich keine Rolle. Denn worum geht es tatsächlich?Dass sich für alle Menschen, die es sich wünschen, dieses Ziel erfüllen möge:Vollständig aufzuwachen. Zu erkennen, dass ich mir selbst die Welt erschaffen habe, die ich sehe und in der ich lebe und dafür die volle Verantwortung übernehme. Dass sie eine Projektion meiner bewusst und unbewusst ablaufenden Gedanken ist und ich diese jederzeit stoppen und dem Universum übergeben kann, das nur Glück für mich will. Die Welt an sich und ihre Protagonisten sind vollkommen neutral.

Was früher war, ist vorbei: Die Jagd der Wortwürmchen auf meinen Idealismus läuft ins Leere. Die Angst, die sie mir einjagen wollten, gibt es nicht mehr. Ihre Pfeilspitze kann mich dort, wo ich jetzt bin, unmöglich treffen:

Bei angenehmen Temperaturen sitze ich auf wunderbar grünem Rasen unter duftenden Pfirsichbäumen, deren dichtes Blattwerk das Sonnenlicht angenehm filtert. Zuverlässig wie jeden Tag zieht zur Nachmittagszeit der kosmische Nebel durch meine Landschaft. Sein blasses Türkisblau mit dem richtigen Hauch Glitzer bringt mir immer zur selben Stunde fein prickelnde Energie und etwas Pflanzenkraft zurück in den Körper. Nichts Wildes, nur einfach ein paar munter leuchtende Energiebahnen entlang der Chakren; gelegentlich tauchen auch rosa Teerosen auf, wenn ich mich besonders beansprucht fühle und ich mich gern wie auf Rosen gebettet erleben möchte.

Nachdem ich wieder in meine Kraft gekommen bin, wachsen üppige Orangenblüten über den Ohren bis zum höchsten Punkt auf der Spitze meines Kopfes. Sie stellen meine unverbrüchliche Verbindung zum Universum her.

Das ist das Ideal.

Das mir 1991, als diese Geschichte beginnt, allerdings noch nicht mal mehr im Traum vorschwebt.

Ich bin ganz woanders unterwegs. Ein Tagebucheintrag fasst meine Misere kurz und bündig zusammen.

Kapitel 1: Herzlich Willkommen

Im Jahr des Herrn 1991.

»Ich stelle bei mir fest, dass starke Triebhaftigkeit in Konflikt mit Strukturen, Autoritäten führt.«Und meine Zukunft schließt sich vor mir wie ein Vorhang, möchte ich hinzufügen.Was nicht an mir liegt. Man kann mir nicht die Schuld geben an den Verletzungen, die Andere mir zufügen. Das wäre ja noch schöner!

Mit meinem Umfeld stimmt etwas nicht. Ich habe nicht die richtigen Menschen um mich, denen ich so sehr am Herzen läge, dass sie mein inneres Wachstum förderten.Niemand hat ein Interesse daran, dass ich zu meiner wahren Größe heranwachse. Aus diesem Grund werde ich bewusst eingehegt und mit Grenzen konfrontiert, die für mich nicht mehr existieren sollten. An diesen Strukturen reibe ich mich dann so auf, dass ich naturgemäß mit den Autoritäten in Konflikt gerate, die diesen Pferch errichteten. Ich bin nicht dafür gemacht, blind zu folgen und im stillen Gehorsam zu üben. War ich noch nie. Wird sich auch nie ändern.

Wie konnte ich in eine so brenzlige Lage geraten?Ich weiß es nicht.

Sicher ist nur: Die schönsten und strahlendsten Aussichten, die vor wenigen Monaten noch mein Gemüt erhellten, sind weg, verschwunden, auf und davon. Haben mich einsam und verloren zurückgelassen unter Menschen, die mich nicht mochten und denen ich nicht vertraute. Und vor denen ich trotzdem nicht davonlaufen konnte, weil ich auf sie angewiesen war.

Meine Ausbildung zum Tantra-Lehrer konnte ich nur in dieser Runde abschließen. Jede andere Möglichkeit war mir verbaut. Womit auch festgestellt ist, dass Horsts ›Werkstatt für Neo-Tantra und spirituelles Wirken‹ meine einzige, weil letzte Chance war, mir zumindest die Reste meines Traums zu erfüllen: Spiritualität und meine Sexualität so zu vereinen, dass ich ein Leben als schwuler Heiler führen darf – in den Diensten meiner Gemeinschaft.

Dafür nahm ich viel in Kauf. Zu viel?Wenn ich meinen Tagebuchaufzeichnungen Glauben schenke, auf jeden Fall. Jeder Eintrag klingt genervter als der vom Tag davor. Meine Nerven lagen bloß, was meinen sozialen Fähigkeiten nicht zuträglich war. Ich strahlte eine Schwäche aus, die das Rudel witterte und nutzte.

Ein treffliches Beispiel lag noch gar nicht lange zurück: Wir sollten unsere Führungsqualitäten in einer kleinen Übung unter Beweis stellen. Als ausgebildeter Pädagoge bin ich es gewohnt anzuleiten und gehört zu werden. Dennoch musste ich scheitern.

»Ich fänd’s gut, wenn ihr jetzt die Matten zusammenräumen könntet.« Ist doch eine klare, unmissverständliche Anweisung. Was passierte? Nichts. Die Gruppe schwatzte einfach weiter.

Natürlich versuchte ich es wieder. Gab meiner Stimme nun einen strengeren Ton. »Habt ihr mich gehört?«

»Sprichst du mit uns?« Ausgerechnet Tom meldete sich zu Wort; einer der dominantesten Teilnehmer, mit alteingesessener Praxis für Physiotherapie. Er nimmt sich überaus wichtig, was ihn oft selbstgefällig erscheinen lässt.

Aber mich einschüchterte. In seiner Gegenwart fühlte ich mich unbedeutend und schwach.

»Ja, es geht um die Matten«, hörte ich mich so kleinlaut sagen, dass es mich selbst ärgerte.

»Ach so. Prima, dass du das übernimmst, Armin. Dann können wir nochmal die letzte Übung durchgehen.«

Ich war sprachlos. Als ob Tom meinen geringen Selbstwert wittern könnte, hatte er genau die Kerbe gefunden, in der ein Hieb die größte Wucht erzielte: Ich gehörte nicht dazu, war ein ewiger Außenseiter, dazu verdammt, immer am Rande zu stehen, während er und die anderen Halt in ihrer fest zusammengeschweißten Gruppe fanden.

»Ist das so, weil ich der einzige Homosexuelle hier bin? Nehmen sie mich deswegen nicht ernst?«, fragte ich abends besorgt mein Tagebuch.

»Selbstverständlich«, lautet immer wieder die naheliegendste Antwort. Die verbindende Gemeinsamkeit der Anderen ist ihre Heterosexualität. Deswegen gingen die Männer und Frauen, die mit mir dieses Trainingsmodul besuchten, auch so herzlich und ungezwungen miteinander um. Sie waren sich einig: Der Fremde war ich.

Also betrachtete ich es als meine Aufgabe, aktiv zu werden, um die Gräben zwischen uns zu überwinden.

Möglicherweise zeigte ich manchmal etwas zu viel Initiative:

»Ich habe in unsere Gruppe massiv den sympathischsten Mann herbeigerufen. Ob das im Gleichgewicht der Gruppe war? Beim Massieren habe ich zu diesem tollen Typ, als er endlich vor mir lag, geistreiche Bemerkungen über seine tantrische Freundin gemacht. Der uns zugeteilte Assistent kam herbeigeeilt und wehrte ab:

›Gehört nicht hierher, Armin!‹ Nun habe ich Angst, mich selbst aus der Gruppe heraus zu manövrieren.«

Sollte nicht wenigstens für mich sprechen, dass ich mir bewusstwurde, eine Grenze überschritten zu haben? Ich bin nicht perfekt, sondern manchmal außer Rand und Band. Ist das nicht menschlich?

Tagebucheintrag: »Selbstliebe mit Dildo. Etwas Schmerz anschließend, über die Stränge geschlagen zu haben. Wie wenn die Selbstliebe nicht rein gewesen wäre; Show vor den Anderen. Darin die Bitte um Anerkennung, Beachtung etc... So wie auch der Schmerz, wenn in der Sauna alle geil auf mich sind.«

Mir tun solche Aussetzer selbst am meisten weh. Als wäre ich mir trotz bester Absichten selbst in den Rücken gefallen, hätte mich gleichsam selbst sabotiert und mich ganz schlimm verletzt.

»Roter Faden: Verletzung – Rückzug (in Meditation) nach Selbstlieberitual oder am Sonntagabend, als ich Mirko als Konkurrent zur Kursleitung empfand oder am Samstagabend, als ich mich so einsam und allein fühlte, nachdem einiges schiefgelaufen war.«

Das macht etwas mit mir, wenn ich in so einer Situation keine Unterstützung erfahre, sondern mir selbst überlassen bleibe.

»Beim Abschied war ich bockig und störrisch; warum kommt Isabelle nicht auf mich zu? Warum verabschiedet sich Mirko nicht von mir? Das Team? Eigentlich auch wieder positiv: Ich will ohnehin alleine sein: Mich zurückziehen, meditieren und mit dem Herzen beten.«

Folgerichtig suchte ich im stillen Kämmerlein meine innere Mitte auf, um mich mit meinem Chi zu verbinden und in die Balance zu kommen. Was dem Wohle der Gruppe zugutekommen sollte: War ich ausgeglichen, profitierten alle.

Leider sahen ›alle‹ das anders:

»Du stellst Anhaftungen an dein Ego über die Gruppe. Dein ›Ich‹ dominiert uns.«, so der Hauptvorwurf in einem Gruppen-Sharing zur Halbzeit des Lehrer-Trainings, von dem ich mir so viel versprochen hatte.

Das muss man sich mal vorstellen! Einen größeren Unsinn war mir selten zu Ohren gekommen. Bin ich ein Team-Player oder nicht? Habe ich je etwas anderes unter Beweis gestellt bei meiner Arbeit für das Nürnberger Caritas Pirckheimer Haus oder in den guten Zeiten als Diakon? Und wie ich mich einzufügen und einzubringen wusste, sobald es darauf ankam.

Aber wenn man mir natürlich suggeriert, es hätte einen Preis, ich zu sein, was erwarteten die Leute dann? Dass ich mein Licht unter dem Scheffel verkümmern ließ?

Nicht mit mir! Folglich wurde es zu meinem ehrgeizigsten Antrieb, denen zu zeigen, wer ich wirklich bin.

Nach der Sommerpause präsentierte sich die Gelegenheit, auf die ich so lange gewartet hatte. Wir sollten berichten, welche Fortschritte wir in den vergangenen Wochen mit unseren Selbststudien erzielt hatten. Der naive Stolz, mit dem Isabelle, Claus, Tom, Mirko, Tamara und wie sie alle hießen ihre Sex-Abenteuer als tantrische Hausaufgabe verkauften, die sie bienenfleißig erfüllt hatten, brachte mich beinahe zum Lachen.

Aber natürlich ließ ich mir nichts anmerken, sondern gab vor mit angemessenem Ernst zu lauschen, obwohl ich kaum erwarten konnte, endlich selbst an die Reihe zu kommen. Ich wusste, meine Story würde einschlagen wie ein Meteorit. Vom Himmel niedergegangen, um Ansichten aus der Steinzeit vom Angesicht der Erde zu fegen.

Hinter mir lag nämlich ein viertägiges Intensivseminar, exklusiv für Männer, geleitet von dem amerikanischen Meister Ruben Mayer in der taoistisch-erotischen Massage, die er neu definiert hatte. Während die anderen Kursteilnehmenden lediglich eingeübt und weitergegeben hatten, was Horst sie lehren konnte, konnte ich als Einziger mit brandneuem Wissen angeben. Was ich jetzt zu erzählen wusste... davon hatten Isabelle, Claus, Tom, Mirko, Tamara und wie sie alle hießen, noch nie gehört:

»Es ist – auch unter homosexuellen Männern – ein weit verbreiteter Irrglaube, dass ohne Erektion und Ejakulation keine sexuelle Befriedigung möglich sei. Stimmt so nicht. Zum einen ist wahr: ›Softness ist okay.‹ Zum anderen soll sexuelle Energie nicht nur erweckt werden und als Ejakulat wieder verschwinden, sondern im Körper zirkulieren und ihren Höhepunkt in einer Transformationserfahrung finden.

Mir ist dieser Ansatz nicht fremd. Während meiner Klosterjahre habe ich so meine sexuellen Bedürfnisse umwandeln können. Aber welcher gewöhnliche Mann bringt Tao mit erotischer Massage in Verbindung?«

Die Antwort auf diese rhetorische Frage lag auf der Hand.

»Richtig, kaum einer. Deswegen waren auch nicht alle teilnehmenden Männer bereit für diese andere Erfahrung von Lust. Nicht jeder mochte sich an die strikten Regeln halten, denen gemäß wir uns gegenseitig massieren sollten. Rubens Technik umfasst mehrere Dutzend verschiedene Handgriffe, von denen kein einziger etwas mit bloßem Auf und Ab zu tun hat. Diese exquisite Massagetechnik zu erlernen, braucht Zeit. Damit sind nicht nur die Stunden gemeint, um mit ihr zu arbeiten bzw. sie zu genießen und ihren Effekt voll auszukosten. Sie zu verinnerlichen bedingt Selbstvertrauen und den absoluten Willen sich auf eine Erfahrung einzulassen, die deine Gedankenwelt, dein erlerntes Verständnis von Sex, vollkommen verändern wird.

Um so weit zu kommen, bedarf es natürlich einer ausreichen-den Vorbereitung. Am ersten Tag widmeten wir uns ausschließlich Dehn- und Atemübungen, lernten Nacktheit in der Gruppe aushalten, übten Augenkontakt, versuchten eigene Wünsche und Ängste zu thematisieren. Alles Teil der Vorbereitung auf den zweiten Tag, an dem jeder Stressfaktor ausgeschaltet sein sollte und wir bereit sein würden, entweder selbst zu massieren oder die Massage zu empfangen. Reihum nach dem Rotationsprinzip – über eine Dauer von mehreren Stunden – wechselten sich die Masseure ab. War die Zimbel zu hören gingen sie im Uhrzeigersinn einen Massagetisch weiter und setzten am nächsten Mann die Genitalmassage fort.

Aber das war noch nicht alles. Wer massiert wurde, sollte sich einzig auf tiefe und bewusste Atemarbeit im Rhythmus der Trommel fokussieren, die Ruben schlug. Mit dem ›Herzatem‹ sollten die Sinne erweckt und der Körper mit Sauerstoff angereichert werden, was uns zu glückseligsten Freuden führen würde. Ich glaube für alle Männer sprechen zu dürfen, wenn ich sage, wir alle erlebten im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubende Momente.

Der Lehrer zeigt – die Schüler machen. Und alle Männer, die massiert werden, machen. Wenn einer anfängt zu schreien, schreien fast alle oder weinen oder zerfließen in Ekstase, bis die Erregung der gesamten Gruppe ihren chaotischen Höhepunkt erreicht, während die Masseure die Stimulation vertiefen und die Empfänger der Massagen noch intensiver und noch schneller atmen – und dann kommt das Allerbeste.«

Schönes rhetorisches Päuschen.

»Auf ein Stichwort des Lehrers verstummte die Trommel, stoppte die Massage, alle Männer auf den Tischen hielten gleichzeitig den Atem an und spannten für 30 Sekunden alle Muskeln aufs Höchste in diesem sogenannten ›Big Draw‹ an.

Dann läuft der Countdown: fünf - vier - drei - zwei – eins - ... und ... Entspannung.

Euch fehlt die Fantasie, um euch auszumalen, welche Sensationen sich dann in unseren Körpern abspielten. Stellt euch eure intensivste orgiastische Erfahrung vor, potenziert sie mit hundert und ihr seid immer noch Lichtjahre entfernt von der vollkommenen Glückseligkeit, die uns Männer beseelte. Nicht nur ich, sondern auch viele andere Teilnehmer weinten vor Glück und berichteten später, dass sie plötzlich uralte Blockaden, Schmerz und Traurigkeit überwunden hatten. Sie fühlten sich nicht nur gereinigt, sondern wie neu geboren – und geborgen in einer Welt vollkommener Liebe für sich selbst und jeden anderen Menschen.

Was war passiert? Untermalt vom konstanten Rhythmus der Trommel wurde die Lebensenergie auf eine Reise durch den Körper geschickt. Mit dem Atem floss das Chi durch die verborgenen Energiekanäle des Körpers.

Unwillkürlich entfachte der Takt der Trommel in mir den ›Feueratem‹, den ich bereits im Jahrestraining mit euch erlernt hatte. Während also die Genitalmassage den sexuellen Höhepunkt vorbereitete, führte mich die Schnellatmung direkt in den Energieorgasmus. Im ›Big Draw‹ vereinten sich feinstofflicher und sexueller Orgasmus in einem Erlebnis kosmischer Dimension: Ich war in eine direkte Verbindung mit dem Göttlichen eingetreten; die ganze Schöpfung erstrahlte in einem gleißenden Licht, das direkt aus meinem Sonnengeflecht zu strömen schien, Körper und Geist erleuchtete.«

Mein verehrtes Publikum starrte mich mit großen Augen an und schwieg ergriffen. Und auch ich war wieder hin und weg. Allein die Nacherzählung dieser spektakulärsten Erfahrung seit vielen Monaten hob mich erneut auf ein überirdisches Energielevel. Aus dem Nichts hatte ich mich aus dem schwelenden Aschehäufchen des ewigen Außenseiters befreit, um wie ein Phönix über allen Menschen zu kreisen, die sich weigerten, mich ernst zu nehmen.

Die größte Genugtuung: Meinen Erzfeind Tom zu sehen, wie er mucksmäuschenstill ins Leere starrte. »So sah jemand aus, der gerade außer Gefecht gesetzt worden war«, dachte ich voller Genugtuung. Goldwert dieser Anblick.

Währte nur nicht lange.

»Ist das deine Aufgabe gewesen? Du solltest Eigenstudien betreiben. Eigenstudien bedeuten, und das haben wir schon im ersten Modul gelernt: Erworbenes tantrisches Wissen in die Welt zu tragen. Nicht wir müssen befruchtet werden, sondern diejenigen, die uns nicht zugewandt sind, müssen von uns lernen.«

Zustimmendes Gemurmel von allen Seiten. Tom, der geborene Anführer, fand immer eine Mehrheit, die ihm bereitwillig zustimmte.

»Außerdem scheint es, als wärst du wieder abgerutscht in deine Partywelt. Ist der wirkliche Sinn unserer Sache?«, mischte sich auch noch Isabelle ein. Ich starrte sie wütend an, während sie Beifall heischend in die Runde blickte. Sie war eine der wenigen Frauen, zu denen ich eine echte Verbindung zu haben glaubte. Umso mehr verwunderte mich ihr Einwand. Im Gespräch mit mir hatte sie sonst immer ihre Weltoffenheit betonte. Nun stellte auch sie sich als falsche Schlange heraus.

»Hatten wir das nicht auch schon in einem Einzelgespräch besprochen, Armin? Zu welchem Schabernack das hedonistische Ego fähig ist?«

Die sanfte Stimme Horsts konnten nicht über seine Verärgerung hinwegtäuschen. Die zusammengezogenen Augenbrauen, der stechende Blick ließen mich an Pater Antons unnachgiebige Strenge denken.

Plötzlich fühlte ich mich zurückversetzt in Zeiten, in denen ich mich meiner Homosexualität schämte; ich ein minderer Mensch zu sein schien, weil ich mein Begehren verleugnen musste, nicht frei sein durfte.

Ist es jetzt anders? Bin ich nicht immer noch gezwungen, im Verborgenen zu leben?

Das einzig Gute: Zumindest werde ich in meiner Szene gesehen, anerkannt und muss mich nicht verstellen.

Und warum ist das so? Weil es idealerweise keine Diskrepanz gibt zwischen mir und den schwulen Anderen. Ich gehöre dazu, werde, als einer der ihren, als schwuler Mann akzeptiert – so wie ich bin. An einem besonders langen Wochenende stehe ich einfach meinen Mann und erfahre Anerkennung am eigenen Leib, solange ich will. Dann fühle ich mich wie der individuierte Mensch, als der ich eigentlich gemeint bin: Angekommen in mir, vereint mit dem Kern meines Wesens, Abgespaltenes ist wieder integriert. Ist das nicht die innere Einheit, die mir als Heilsversprechen des alchemistischen Wandelweges in Aussicht gestellt wurde?

Natürlich weiß ich selbst, dass wiederkehrender Szene-Sex mit meinem spirituellen Anspruch an Sexualität nur wenig vereinbar ist. Gleichwohl bleibt eines immer wahr: Jagderfolge beim Cruising sind auch Erfolgserlebnisse. Auf diese Weise feiere ich Triumphe und spüre meine wiedergekehrte, innere Zerrissenheit nicht mehr. Aber sie vergesse ich eben nur an meinem Lieblingsort:

»In der Sauna erlebe ich, dass sich bei Sexualität mein Herz so stark öffnet oder das des anderen. Immer wieder kommt ›kleben‹ zustande oder entwickelt sich Beziehung. Ich suche Beziehung.«

Und in dieser tantrischen Lerngruppe fand ich sie nicht. Darüber waren sich alle Teilnehmenden im Klaren. Und Horst, der Inhaber der hoch gelobten ›Werkstatt für Neo-Tantra und spirituelles Wirken‹, sowieso. Allzu oft hatte ich mich gefragt, ob er mich scheitern sehen wollte. Nur darauf wartete, dass ›starke Triebhaftigkeit und ordinäre Fleischeslust‹, die er in einem Einzelgespräch ansprach, mich in so einen Konflikt stürzen würde, dass ihm keine andere Wahl bliebe, als mich vor die Tür zu setzen. Auch wenn er schließlich so weit nicht ging, hatte er sich nicht gescheut, mir das Gefühl zu vermitteln, die von ihm gesteckten Kursziele konsequent zu verfehlen.

Ich bekam zwar ein Abschlusszeugnis – aber auch eine Auflage, wie ich es nutzen darf. Nämlich am besten gar nicht:

»Du würdest dir und vor allem uns einen großen Gefallen tun, wenn du dein Zertifikat nicht der Öffentlichkeit vorstellen würdest. Die Welt ist noch nicht so weit, um eine Verbindung wie diese zu begreifen.« Horst musste gar nicht deutlicher werden, um seinen Wünschen einen unmissverständlichen Ausdruck zu verleihen, als er sich den Anschein gab, mich während der Abschiedszeremonie herzlich zu umarmen.

Nun habe ich in seinem Training einen Titel erworben, der mich als voll ausgebildeten Tantra-Lehrer ausweist. Nur in Anspruch nehmen soll ich ihn bitte nicht, als existiere er gar nicht, als sei ich seiner nicht würdig; als hätte ich gar nicht so viel arbeiten können, um ihn mir zu verdienen.

Anderes habe ich dagegen im Überfluss: Keine Einkünfte, keine Klienten und keine besseren Aussichten. Dafür zu viel Zeit zum Grübeln, schlechte Laune und drei leere Teetassen neben mir. Das ist jetzt mein neues Leben: Vornübergebeugt über meiner Kladde zu kauern und in mein Tagebuch zu kritzeln. Der einzige Mann, der in dem gut besuchten Schwulen-Café allein am Tisch sitzt. Niemanden an seiner Seite hat, mit dem er scherzt oder tiefe Gespräch führt oder in innigem Schweigen verbunden ist. Ein wunderlicher Kauz, dem nur ein Stapel alter Tagebücher Gesellschaft leistet, in denen er gelegentlich blättert, um sich die goldenen Zeiten ins Gedächtnis zurückzuholen.

Ja, ich kann’s nicht ändern: Die Welt ist glücklich und ich bin es nicht.

Auch das ist meine Wahrheit. Auch dazu stehe ich. Auch wenn es mich traurig macht. Auch wenn ich mir Beziehung wünsche.

Aber in diesem Augenblick bin ich alleine, spreche gelegentlich mit mir selbst, weil es das ist, was ich brauche, um zu verstehen. Und um mir selbst beizupflichten, dass es an mir nicht gelegen hat. Ich bin nicht derjenige gewesen, der etwas falsch gemacht hat. Ich habe getan, was ich konnte: Ich bin offen gewesen. Weit offen für neue Erlebniswelten. Es sind andere gewesen, die nicht über sich hinauszuwachsen vermochten.

»Herzlich willkommen in der Vorhölle«, murmele ich voller Verdruss, während ich mit einem kräftigen Tintenstrich meine Aufzeichnungen abschließe.

»Darf ich das als Aufforderung begreifen, mich zu dir zu setzen?«

»Was? Nein!«, rufe ich automatisch. »Natürlich nicht! Ich war in Gedanken und habe mit mir ...« Ich verstumme augenblicklich, als ich den Blick von meinem Tagebuch hebe, um zu sehen, wer sich so rüde in meine Selbstgespräche einmischt und mir meine Privatsphäre auch noch räumlich wegnehmen will.

Ich muss gar nicht weitersprechen.

Der sehr attraktive Mann hat bereits beherzt an der Lehne des freien Bistrostuhls gezogen, sich zu mir an den Tisch gesetzt, mit einem Wink den Kellner an den Tisch gezaubert und bei ihm nicht nur einen Kaffee bestellt, sondern ihn auch noch dazu gebracht, endlich meine Teetassen abzuräumen.

Ich bin hin und weg und studiere ihn genauer. Seine melodische Stimme passt zu seinem Äußeren: Schulterlanges, gewelltes Haar, bemerkenswert grüne Augen und edle Gesichtszüge. Vermutlich sind wir sogar gleichaltrig, was mich gleich für ihn einnimmt. Ältere Männer sind oft so von oben herab. Insgesamt macht er einen sehr guten, beinahe vertrauten Eindruck auf mich. Als würden wir uns schon sehr lange kennen.

Umso unerklärlicher ist dieses leise Unbehagen, das sich an mich heranschleicht. War er nicht zu forsch? Was gehen ihn meine Teetassen an? Will ich diese Nähe jetzt?

Ich will in erster Linie diese trüben Gedanken nicht und fege sie energisch beiseite. Jetzt gilt es aus dieser überraschenden Situation das Beste herauszuholen: aus heiterem Himmel bin ich nicht mehr allein. Auch ich habe jetzt Gesellschaft, genau wie die anderen.

»Danke, dass du mich in dein Boot geholt hast. Ich bin Umesh. Und du?«

»Armin«, antworte ich mit leicht zitternder Stimme. Begeistert ergreife ich die ausgestreckte Hand Umeshs. Sein Händedruck ist unerwartet fest.

»Armin. So, so. Dann bist du der Allumfassende, der Große. Imposant in seiner Kraft. Fühlst du die Stärke, die dein Vorname verheißt? Bist du dir ihrer bewusst?«

Umesh schaut mir tief in die Augen. Es fühlt sich an, als dringe er in meinen Kopf ein und ergründe meine Persönlichkeit. Ich wende meinen Blick nicht ab, sondern halte ihm stand, weil ich glaube, dass gerade etwas ganz Wundersames mit uns geschieht und meine Ehrlichkeit gefragt ist. Deswegen mag ich mich nicht verstellen:

»Ganz im Gegenteil. Ich habe massiv an meinen Fähigkeiten und Möglichkeiten gezweifelt, ehe du dich zu mir an den Tisch setztest. Ich weiß, dass meine Stärke da ist. Aber ich komme nicht an sie ran.«

»Ist es wirklich klug, einem Fremden gegenüber so offenem Worte zu wählen? Und dein Herz so weit zu öffnen?«, meldet sich ungefragt der Selbstzweifel zu Wort. Vielleicht tue ich das ja, weil er ein Fremder ist? Man spürt eine gemeinsame Basis, öffnet sich und sieht sich nie wieder. Dann ist es okay. Oder nicht? Die innere Stimme schweigt. Ich werte das als Zustimmung.

»Wenn du dich einsam, isoliert und missverstanden fühlst, liegt das an deinem Umfeld, Armin. Unfähige Leute untergraben dich, höhlen dich aus und unterminieren deine Kraft. Das kann so schmerzhaft sein, sich seines Potenzials gewiss zu sein und es trotzdem nicht nutzen zu können.«

Ich fühle mich, als ginge die Sonne auf. Endlich jemand, der mich versteht. Der sieht, was mit mir los ist. Mich erkennt. Auf den ersten Blick.

Habe ich so eine Schicksalswende noch für möglich gehalten? Nein! Ich war schon wieder zu weit unten angekommen; dort, wo keine Hoffnung auf ein wirklich gutes Leben mehr wächst. Ich war bereit, mich damit abzufinden, mit der Welt nicht kompatibel zu sein. Weil die Welt mich das hat glauben lassen. Und nun sitze ich hier einem Mann gegenüber, dessen Strahlen sich auf mich zu übertragen scheint und ein inneres Leuchten, vielleicht sogar ein Feuer in mir neu entfacht hat.

Ich kann nicht anders, als ihn anzustarren und seinen Worten zu lauschen. Jedes einzelne sauge ich auf wie ein Verdurstender das lebensspendende Wasser.

»Was den meisten Menschen in ihrem Leben fehlt, ist eine elementare Bindung zu ihren Nächsten. Manifestiert sie sich jedoch, erkennt das Ich, dass es nicht mehr allein ist. An seiner Seite gibt sich ein Du zu erkennen, das in Wahrheit ein anderes Ich ist.«

Weil mich Umeshs jadegrüne Augen in einen Bann ziehen, den ich nicht für möglich gehalten hätte, weiß ich, dass er die Wahrheit spricht. Und ich bin bereit für jede Art der elementaren Dimension des Menschseins.

»Das Ich ist intuitiv bestrebt, eine höhere Lebensform zu erreichen. Was ihm nur gelingt, wenn es seine Einsamkeit ultimativ hinter sich lässt und sich dem Du anvertraut. Dem Ich muss gelingen, das Wort zu entdecken und dem Alter Ego von seiner Welt mitzuteilen. Denn erst die Intersubjektivität lässt dich zu dem Menschen werden, der du sein kannst. Aber wähle mit Sorgfalt die Menschen aus, mit denen du dich umgibst, da ihre Energien zu deiner werden.«

Kann ich anders als tiefe Dankbarkeit empfinden für den Impuls, diesem Du ein vermeintlich unbedachtes Willkommen ausgesprochen zu haben? Wenn ich je einem Menschen begegnet bin, der richtig ist, dann sitzt er in diesem Moment an meinem Tisch. Stimmiger kann sich ein Gleichklang von Wesenheiten gar nicht anfühlen. Wenn ich also von irgendjemandes Energie etwas abhaben möchte, dann ist es definitiv Umeshs.

Mich drängt es danach, ihn um Hilfe zu bitten, um einen Ausweg aus meiner Lebenskrise zu finden. Stattdessen frage ich ihn nach seinem Hintergrund,

»Wer bist du? Was machst du? Woher weißt du so viel?«

Umesh lacht aus vollem Herzen, was ihn noch sympathischer wirken lässt, weil seine jadegrünen Augen regelrecht zu strahlen begannen.

»Was soll ich dir sagen, Armin? Ich bin selbst ein Suchender gewesen, habe mich als einsames Ich erlebt. Es dauerte sehr lange, bis sich mein steiniger Weg mit dem jener Menschen kreuzte, die ihr Glück bereits gefunden hatten. Was sie mir beibrachten, versuche ich nun anderen Seelen angedeihen zu lassen.«

Das ist das Stichwort, auf das ich gewartet habe. Ungefiltert bricht aus mir heraus, was mich umtreibt: Von meinem Kampf gegen den Rest der Welt und die Ungerechtigkeit derselben. Dass ich mir von der Zusatzqualifikation als Tantra-Lehrer so viel versprochen hatte, immerhin war mir ›Horsts Werkstatt‹ wärmstens empfohlen – allerdings während der letzten klösterlichen Monate von einer Bekannten, die mich noch als Mönch hat ins Tantra initiiert. Und nun bin ich auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, meine Tantra-Karriere, ohne jegliche Schützenhilfe, an den Start zu bringen.

»Irgendwie muss ich an den Punkt kommen, an dem mich Horsts Zurückweisung nicht länger schwächt. Ich muss so tun, als würde ich seine Worte nicht als persönliche Beleidigung auffassen. Ich darf mich nicht gemeint fühlen, sondern muss frei von jedem Ballast endlich durchstarten können. Nichts davon ist mir in den letzten Wochen gelungen. Stets obsiegt die Verbitterung. Dieses monumentale Empfinden mal wieder der verdienten Anerkennung beraubt worden zu sein, erstickt jeden Anflug von Hoffnung auf ein neues Leben im Keim. Und ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll? Weißt du Rat, Umesh?«, höre ich mich tatsächlich diesen Wildfremden fragen.

Aber es ist natürlich etwas vollkommen anders, ob ich mich nur den linierten Seiten meines Tagebuches anvertraue oder mich einem leibhaftigen Menschen aus Fleisch und Blut zuwende, der sich soeben als vertrautes Du entborgen hat. Es gibt Chancen, die wollen einfach genutzt werden.

Nach einer Weile des stillen Überlegens, in der Umesh versonnen seinen Kaffee umrührte und mir die Gelegenheit gab, seine sehr gepflegten Hände anzuschauen, antwortete er mir mit Bedacht.

»Ist es nicht so, dass sich aus dem Hindernis bereits Kapital schlagen lässt?

Wenn du feststellst, dass du in diese Welt nicht gehörst, woran dich ein Hindernis nach dem nächsten immer wieder erinnert, könnte es daran liegen, dass es deine Aufgabe ist, für dich eine neue Welt zu erschaffen.«

Hatte ich das nicht schon mal gehört? Von Horsts Partnerin Sadaya, die ich als ›gute Mutter‹ hatte annehmen wollen. Und was war daraus geworden? Lieber nicht dran denken. Eigentlich habe ich eine spektakulärere Antwort erwartet. Schade. Ich packe langsam meine Siebensachen zusammen.

»Nur die Ruhe, Armin, und nicht gleich die Flinte ins Korn werfen. Nur wer alle Facetten des Bewusstseins kennt, kann in ihm navigieren und bewusst handeln. Es ist ein breitgefächertes Methodenspektrum vonnöten, um jede Schicht des menschlichen Bewusstseins zu erfassen, es in die Weite und zu angewandtem Erfolg zu führen. Denn jeder Mensch ist individuell definiert. Für die einen ist es materieller Reichtum, für die anderen ein inneres Königreich, das sie begehren. Das Einzige, was für das Erreichen der persönlichen Zielmarke vonnöten ist, ist der Mut, vertraute Begrenzungen hinter sich zu lassen, den unbedingten Willen, keine Einschränkungen hinzunehmen. Schon gar nicht von Menschen, die deine Vision nicht verstehen. Jetzt sind wir mal ehrlich: Ist Horsts ›Werkstatt für Neo-Tantra und spirituelles Wirken‹ ernsthaft ein Türöffner, um Tantra in der schwulen Szene bekannt zu machen? Klingt das für dich plausibel? Kann ich mir nicht vorstellen. Meines Erachtens spielt sein Institut für Homosexuelle keine Rolle. Warum auch? Sie sind nicht seine Zielgruppe. Er muss sie weder ansprechen noch sich um sie bemühen. Er kommt bestens ohne sie zurecht. Wenn jemand tantrische Liebeskunst in diese Szene bringt, wird es nicht seine Person sein. Aber vielleicht jemand, der bei ihm gelernt hat?«

Jetzt spricht Umesh mit mir, als habe er eine Vision für mich, sähe etwas in mir, an das ich nicht mehr glauben mochte.Nun legt er sogar seine Hände auf meine, sein Blick durchbohrt mich förmlich:

»Hast du Vertrauen, Armin?«

In diesem Moment? Unbedingt. Entschlossen nicke ich mit dem Kopf.

»Alles ist jetzt. Du und ich, jetzt und hier. Auf diese Wahrheit des Augenblicks kommt es an. Sauge die Energie aus diesen Sekunden unseres Zusammenseins und lasse sie in die Vision des angewandten Erfolgs einfließen: Du bist der Tantra-Meister. Schwule Männer sind dein Klientel. Ihre Energie fließt zu dir. Du gibst ihnen deine Kraft.«

Während Umesh mir in leuchtenden Farben meine Zukunft ausmalt, halte ich die Augen geschlossen, um mir keine Facette meines neuen Lebens entgehen zu lassen: Ich werde eigene Seminare geben, die von meinen Teilnehmern als geheiligter Ort wahrgenommen werden, der sie mit ungeahnter Lebenskraft erfüllen wird. In ihnen werden tiefgreifende Prozesse in Gang gesetzt, an deren Ende auch ehedem verunsicherte Männer zu sich stehen können und mit einem positiven Wertgefühl nach Hause gehen. Sie werden ihre Wünsche klar machen und ohne Umschweife kommunizieren können, denn ihr Leben ist nun um eine neue Dimension reicher: Den tantrischen Weg, auf dem sich Lust, Kraft und Entschlossenheit mit innerer Ruhe, Stille und Einkehr vereinen.

In diesen Bildern könnte ich ewig schwelgen.

»Kannst du erkennen, was ich meine, Armin?«

Ich nicke begeistert mit geschlossenen Augen und wohligem Gefühl.

Umesh hält noch immer meine Hände. Es fühlt sich jedoch an, als umschließe er meinen ganzen Körper und hebe ihn auf sein Niveau, auf ein ganz neues Level.

»Siehst du, jeder Mensch agiert auf vielerlei Ebenen mit zahllosen Menschen in einem vieldimensionalen Beziehungsgeflecht. Wir haben alle eine Geschichte, mit verschiedenen Erzähllinien, die sich hie und da überschneiden. Schau uns an Armin, wie wir hier zusammengefunden haben. Eben noch Fremde, nun uns zugewandt, weil wir einander erkannt haben.«

»Als sollte es genauso kommen!«, rufe ich begeistert dazwischen und reiße die Augen weit auf, um der Wahrheit ins schöne Antlitz zu blicken.

Umesh formuliert Zusammenhänge, die mir völlig neu sind. Dieser Mann bringt mich zum Staunen wie niemand sonst. Ich könnte ihm noch stundenlang zuhören. Er hält Erklärungen für die Welt bereit, die sich so aufregend und neu anhören. Liegt es daran, dass er so feine Worte wählt?

»Das freie Selbst hat Vertrauen in das Jetzt, weil es der Ort ist, an den es die Strömung seines Lebens getrieben hat. Dieses Ich soll sich zu diesem Zeitpunkt genau hier aufhalten, um an dieser Schnittstelle auf dieses Du zu treffen. Lassen wir den Dingen ihren Lauf, fließt alles in die richtigen Gefilde. Deswegen sind wir uns hier begegnet, um einander Kraft zu schenken.«

»Ja, nicht wahr? So muss es sein. Jetzt kann ich es ganz sicher fühlen.«

»Das ist gut, Armin! Das ist sehr gut. Bewahre dir dies Gedächtnisbild: Pure Lebensenergie mündet in solche Augenblicke reinster Gegenwärtigkeit.«

Das klingt so wahr. Ich spüre die unmittelbare Resonanz in mir. Hier wendet sich jemand auf Augenhöhe an mich, setzt mich nicht herab, sondern hat mich zu sich emporgehoben, indem er mich ernst nimmt. Wie selbstverständlich traut er mir zu, dass ich ihn verstehe, so wie umgekehrt er in mir liest wie in einem Buch, dessen Lektüre es ihm angetan hat. Ein erhabenes Gefühl, das mich mit enormem Stolz erfüllt, dass so jemand tatsächlich einen Wert in mir erkennt.

»Diese wundersame Begegnung hat mir einen fast vergessenen Blickwinkel neu vor Augen geführt: Wie es sich anfühlt, wenn das ›Mysterium des Göttlichen und der Mensch wahrhaftig eins sind im gleichen Raum‹, auch wenn es sich dabei um ein öffentliches Café handeln mag. Gemessen an einem spirituellaufgeladenen Tantra-Seminartempel ein erstaunlich profaner Ort.

Und dennoch sind mir hier – in all dieser lebhaften Betriebsamkeit – die Augen geöffnet worden. Hier bahnte sich eine Schau der wesentlichen Dinge an, vollkommen organisch abgeleitet aus dem Lauf meines Le ...«

Schon wieder verharrt der Füllfederhalter über dem Papier. Natürlich bin ich noch einmal zu meinen Aufzeichnungen zurückgekehrt, kaum, dass Umesh weg war. Auch wenn ich gar nicht mehr weiß, wie es dazu gekommen ist. Oder wie viel Zeit wir überhaupt miteinander verbracht hatten. Seltsam, oder? Als ob mir ein Stück meiner Erinnerung fehlt. Oder vielleicht auch gar nicht seltsam. Vielleicht ist Sinn der Sache einfach, das Schönste in einem besonders abgelegenen Winkel meines Gedächtnisses abzuspeichern – für schlechte Zeiten. Wenn die berauschende Wirkung seiner unglaublichen Präsenz nachgelassen haben sollte.

Obwohl ich mir diesen unwahrscheinlichen Fall nicht vorstellen kann. Im Moment werde ich noch beherrscht von einem reißenden Gedankenstrom, den ich kaum zu kontrollieren vermag. Auch wenn ich bemüht bin, die jüngste Wendung der Ereignisse so akribisch wie möglich zu dokumentieren, komme ich nicht gut voran. Just in diesem Moment bin ich wieder von einem derart gleißenden Geistesblitz erhellt worden, sodass ich innehalten muss, um einen Moment durchzuatmen.

Was ich gemeinsam mit Umesh erlebte, war nicht ein x-beliebiger Lauf. Eine immens lange, mehrmonatige Talfahrt hat mich exakt am heutigen Tag zum richtigen Zeitpunkt an jenen Bistrotisch gebracht, an dem Umesh den einzig freien Platz vorfinden würde.

Auf diese Begegnung zielte alles ab. Sollte alles abzielen. Das war Gottes Werk, das ist ganz deutlich zu erkennen. Anderenfalls wäre ich Umesh sicherlich schon früher begegnet. Aber es sollte nicht früher sein, die Zeit war noch nicht reif, ich noch nicht am tiefsten Punkt angekommen. Denn nur dort, würde Umesh mich finden.

Genau so muss es sein, anders als göttlich inspiriert ist dieses heutige Wunder ja kaum zu erklären. Eine höhere Macht hat mein inständiges Flehen erhört und sich meiner wieder angenommen.

Denke ich jetzt noch einen Schritt weiter, bedeutet das in der Konsequenz unendliche Dankbarkeit. Ohne die eminente Sinnkrise, in die mich Horst, Tom oder auch Isabelle gestoßen hatten, hätte Umesh mich nicht auf ein höheres Bewusstseins-Niveau bringen können. Wäre ich nicht ganz unten gewesen, hätte er mich nicht erheben können, buchstäblich auf die Höhe seiner faszinierenden Augen.

Alle, die mich glauben ließen, eigentlich gehöre ich nicht dazu – sie haben Recht gehabt: Ich bin ganz woanders unterwegs! Auf die bin ich nicht angewiesen. Das hätte ich eigentlich auch schon nach dem Traum der letzten Nacht erkennen können: »An einem Baum hochgeklettert; oben in der Krone ein Haus; innen ist es voll eingerichtet.«

Wenn man die Zeichen zu deuten weiß, ist alles in schönster, himmlischer Ordnung. Mein Leben ist vollständig eingerichtet, ich habe alles, was ich brauche, um jeglichen Traum wahrwerden zu lassen. Es gibt Leute, die mir das zutrauen.

Von den Zehenspitzen bis hinauf in den Haarwurzeln beginnt eine Energie aufzusteigen, die mich in die Aktion zwingt. Eilends winke ich den Kellner herbei, um meine Tees zu bezahlen – und dann nichts wie raus hier. In Windeseile sind meine Habseligkeiten zusammengerafft und dann finde ich mich schon tief durchatmend auf dem Gehweg wieder.

»Ist heute nicht ein herrlicher Tag?«, rufe ich spontan einem Passanten zu. Dessen mürrisches Kopfschütteln vermag meine aufrichtig empfundene Lebensfreude nicht zu dämpfen. Ich bin so dankbar, endlich wieder mehr als Demütigung und Kränkung zu empfinden. Dieser außergewöhnliche Vormittag hat mich wieder spüren lassen, was ich erreichen will und kann. Aus eigener Kraft versteht sich.

Ich bin niemand, der sich auf Protektion verlassen muss, um durchzustarten: Ich brenne für das, was ich tun will. Und dies Feuer für meine Leidenschaft werde ich hoffentlich auch in anderen Männern entfachen können – unter meinem eigenen Namen. Besser noch: Meiner eigenen Marke. Die ihre eigene Reputation haben wird. Meinen guten Ruf.Wird mir der Boden unter den Füßen weggezogen, bastele ich mir eben einen neuen. Der ganz mir gehört. Und den ich gestalten kann, wie es mir gefällt.Auf einmal bin ich wieder hoch motiviert. Warum ist mir diese schlichte Logik nicht viel früher in den Sinn gekommen?

Von diesem Überschwang muss die Welt erfahren. Von meinen neuen Ideen auch. Am besten jetzt gleich. Am besten alle.Gut, das ist vielleicht etwas überambitioniert. Aber über den fränkischen Tellerrand sollte ich schon hinausblicken. Bis weitins Bundesgebiet definitiv.Weil ich beschlossen habe, dass mir ab sofort das Glück wieder hold ist, entdecke ich kurze Zeit später in der führenden schwulen Zeitschrift unserer Region, der ›Nürnberger Schwulenpost‹ einen Artikel über das zweite schwule Kulturfestival ›HOMOLULU‹. Nach 1979 würde es kommenden Monat, im November 1992, in Berlin erneut stattfinden. Darin eingebettet die erste ›AGORÁ‹ -Messe, die die Vielfalt schwulen Lebens abbilden sollte. Was für eine Plattform um meine Arbeit einem breiten, aufgeschlossenem Publikum vorzustellen: Meiner Zielgruppe.

Hierfür muss ich mich noch professioneller aufstellen: Ich brauche einen Namen für meine Arbeit, ein Logo und dann will ich Anzeigen schalten. Nicht nur an einem beliebigen Stand Tantra anpreisen. Sondern ich stelle mir vor, dass die Männer abends in einer persönlichen Tantra Sitzung mit mir fühlen können, wie Safer Sex in Zeiten der AIDS-Epidemie eben auch sein kann: Erotisch, vielfältig und göttlich. Das Spirituelle ist mir besonders wichtig und will betont werden. Lauter frische Ideen purzeln nur so durch meinen Kopf; ich komme kaum mit den Notizen hinterher. Ich fühle mich so energiegeladen, dass ich am liebsten alles auf einmal auf den Weg bringen würde. Aber so geht’s natürlich auch nicht. Ordnung muss schon sein. Deswegen will zuerst mein Name kreiert werden. Das scheint erstaunlich einfach, es braucht gar nicht viel. Ich muss nur in mich hineinhorchen und finde alles vor was ich brauche: Freude, Frohsinn, mein Selbstverständnis lassen sich in einem einzigen, überaus glücklichen Wort zusammenfassen: ›gay‹. Tantra umfasst die Heilarbeit, die ich für Gays anbiete. GAY-TANTRA – dafür stehe ich ab sofort.

Bei der Gestaltung des GAY-TANTRA Signets verlasse ich mich auf eine befreundete Grafikdesignerin. Das von ihr gestaltete Signet zeigt schließlich schwarz auf weiß – zwei männliche Genitalien, die vor dem Hintergrund eines gleichschenkeligen Winkels das Yin- und Yang-Symbol nachbilden. So wie das Dreieck eine Referenz zum Rosa Winkel darstellt, der im Dritten Reich KZ-Häftlinge als Homosexuelle brandmarkte, spiegelt sich im Yin und Yang die ausgleichende Kraft der Spiritualität. Sobald ich den Druck voller Stolz in Händen halte, bin ich bereit, meine erste bundesweite Anzeige im ›Magnus‹ zu schalten. Die Messebesucher dürfen sich auf drei Informationsabende mit praktischen Übungen freuen. Veranstaltet von GAY-TANTRA! Oh, wie ich bin ich stolz, als es endlich so weit ist: Ich reise nach Berlin!

Mein GAY-TANTRA Signet, vorgestellt 1992 auf dem Kulturfestival ›HOMOLULU‹ in Berlin: Die Energie aus zwei männlichen Genitalien in Yin-Yang Stellung heilen tiefe seelische Verwundungen und kollektive Brandmarkungen, dargestellt in der Andeutung des rosaroten Winkels

Vor Ort laufen die Dinge leider schleppend an. Nicht, dass das meinen Enthusiasmus gebremst hätte. Es ist nur etwas ernüchternd auf so wenig Gegenliebe für einen schwulen Mann und sein idealistisches Anliegen zu stoßen. Vielleicht liegt’s auch an der Umgebung? Berlin hat doch Messehallen. Warum begegnen wir uns dann in einem alten Bahnhof? Eigentlich hatte ich mir das ganze Ambiente anders vorgestellt. Weniger von diesem Berliner Charme vielleicht. Das alte Straßenbahndepot im Stadtteil Moabit ist nicht nur sehr gewöhnungsbedürftig, sondern mir ist auch eiskalt. Die hohen Hallen sind unbeheizt, der nackte Boden beschert mir kalte Füße. Ich habe das falsche Schuhwerk eingepackt. Und dann diese Kommentare:

»Warum? Was soll das?«

»Verstehe ich nicht, will ich nicht, ist nichts für mich ...«

»Ich habe geilen Sex.«

»Ist das dieses New Age? Davon halte ich nichts.«

»Was du erzählst, ist Sektenideologie. Bist du ein Guru?«Natürlich vertrete ich keine dubiose religiöse Gemeinschaft und bin auch kein Seelenfänger. Das glaubt mir nur niemand.

Warum nicht? Ich habe nichts falsch gemacht. Ich habe mich akribisch an das gehalten, was Horst uns allen mit auf den Weg gegeben hat: »Purismus pur! Überzeuge mit deiner Persönlichkeit: Wende dein inneres Licht nach außen und deine Klientel findet den Weg zu dir. So sicher wie Motten den Weg ins Licht nie verfehlen.«

Deswegen verzichte ich bewusst auf reißerische Deko bei der Herrichtung meines Verkaufsstandes: Nichts darf von mir und meiner Botschaft ablenken. Der karge Tapeziertisch verschwindet lediglich unter einem sonnengelben Tuch, auf dem ich meine frisch gedruckten Flyer ausbreite. Hinter mir prangt eine Plakat-wand mit meinem wunderbaren Logo, das von dem Namen meines Unternehmens gekrönt wird: GAY-TANTRA.

Das bin ich. Dafür stehe ich. Dafür stehe ich auch ein – hier und jetzt. Kommt auf mich zu, sprecht mich an, stellt mir eure Fragen. Ich bin für euch da, lade euch ein von ganzem Herzen ein, mit mir zu sein.

Ein sonniges und herzliches Willkommen möchte ich ausstrahlen. Die Einladung, eine ganz außergewöhnliche Reise mit mir zu wagen. Sich auf mich einzulassen, um ein eigenes tantrisches Wunder zu erleben.

Ist alles fix und fertig in meinem Kopf. Dort sitzt jede Antwort. Im Geiste antworte ich schlagfertig auf jede Frage, bin eloquent und geistreich und hole sie alle zu mir ins Boot.

Wenn’s nur schon in Wirklichkeit so weit wäre. Das hier darf nicht schief gehen. Ich habe einfach zu viel investiert.

Für einen Moment schließe ich die Augen, atme tief aus und wieder ein, versuche die aufkommende Panik zurückzudrängen. Jetzt darf ich nicht die Nerven verlieren, sondern muss mich als strahlende Persönlichkeit zu erkennen geben, statt als Jammerlappen untergehen.

»Gehörst du zur Schule dieses Amerikaners Ruben Mayer?«

Überrascht reiße ich die Augen auf. Das ist nicht wahr, oder? Er hat mich gefunden: Der erste Mann, der zumindest weiß, dass es alternative Angebote für schwule Männer gibt! Nach beinahe drei Stunden hat er sich zu erkennen gegeben. Und was für ein Mann: In einem extravaganten Anzug ohne Hemd, dafür trägt er auffälliges Make-up. Die blondierten Haare sind sorgfältig frisiert, jedes Strähnchen ist an seinem Platz.

»Du, ich vergleiche mich mit niemanden. Ich setze meine eigenen Fußstapfen, indem ich hier in Deutschland Pionierarbeit leiste. Ich bin aufgebrochen, um einen Sinneswandel voranzubringen in Bezug auf schwule Sexualität und Persönlichkeitsentwicklung im täglichen Leben ... «, setze ich zu meinem kleinen Vortrag an. Leider komme ich nicht weit.

»Na, Cliff. Mal wieder auf der Suche nach dem letzten, neuesten Schrei?«»Cassidy, du auch hier? Seit wann bist du dort, wo was los ist?«

Der nächste Mann ist herangetreten. Macht auf mich nicht den besten Eindruck. Sein Gesicht lässt mich an ein Wiesel denken, die mausgraue Kleidung wirkt nicht gepflegt und seine Körperhaltung ist schlecht. Aber kann ich mir aussuchen, wer mein Angebot wahrnimmt?

»Glaubst du, ich lasse mir diese Show entgehen, Cliff? So und jetzt trittst du mal aus dem Rampenlicht und überlässt mir die Bühne.« Mit einem kleinen Stoß des Ellenbogens drängelt sich das Wiesel Gesicht vor Cliff und reicht mir die Hand:

»Hallo, ich bin Cassidy. Du bist, Armin, nicht wahr? Umesh hat mir von dir erzählt.«