Ich kam und sah und lachte - Gerhard Branstner - E-Book

Ich kam und sah und lachte E-Book

Gerhard Branstner

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Beschreibung

In einer der in diesem Buch nachzulesenden „Neulichkeiten“ geht es um eine Nonne in einem Wahllokal in Jena, wo sie zur Zeit der ersten Wahl zur Volkskammer für ein besonderes Vergnügen und herzliches Gelächter sorgte. Und damit sind wir schon bei den beiden großen Themen dieses Autors, der sich immer wieder mit der menschlichen Heiterkeit und deren Voraussetzungen sowie mit dem Lachen befasst hat – und zwar mit dem Lachen zur richtigen Zeit. Um das besser verstehen zu können, sei hier die vollständige Nonnen-Heiterkeit zitiert: Von einer Nonne, die sich der Polizei überliefern wollte; sie wurde aber nicht genommen Während der ersten Wahl zur Volkskammer erlebten die Wähler in einem Wahllokal in Jena ein besonderes Vergnügen. Eine junge und hübsche Nonne hatte ihren Stimmzettel in einer der Kabinen ausgefüllt und trat an die Urne heran. Nach einem Blick gen Himmel steckte sie den Stimmzettel in die Öffnung der Urne und rief bewegt: „So, jetzt könnt ihr mich verhaften.“ Sie hatte nämlich mit „Nein“ gestimmt und dachte nicht anders, als dass sie nun unvermeidlich hinter Gittern schmachten müsse. Als die übrigen Wähler die Situation begriffen hatten, brachen sie in ein herzliches Gelächter aus, das sich an der Verlegenheit der hübschen Nonne immer aufs Neue entzündete. Die Nonne blickte sich im Raume um, ihre Augen suchten den „Geheimpolizisten“, der nach ihrer Meinung unbedingt anwesend sein musste. Doch es wollte sich keiner blicken lassen. Weitere in das Wahllokal eintretende Wähler umringten die Nonne und stimmten in das Gelächter ein, sobald sie unterrichtet wurden. Die Nonne sah sich noch immer nach der Polizei um, ihr Blick hatte jetzt aber etwas Hilfesuchendes an sich. Es schien, als ob sie den Polizisten als Retter aus höchster Not erwarte. Aber auch jetzt trat er nicht auf die Bildfläche. Schließlich machte ein Angehöriger des Wahlausschusses die Nonne darauf aufmerksam, dass sie durch ihr Verhalten den ernsthaften Fortgang der Wahlaktion störe, und sie ging blutübergossenen Gesichts aus dem Raum. Das Bemerkenswerte an dieser Geschichte ist aber, dass die Nonne eine tiefe Enttäuschung über diesen Ausgang ihrer Wahlhandlung im Herzen nach Hause trug. Einige der Umstehenden jedenfalls wollten es so gesehen haben. Und zum Schluss noch zwei andere spannende Aphorismen von Gerhard Branstner: Manche Leute sind, wie sie sagen, nur deshalb gegen die Revolution, weil sie unhöflich sei. Worüber man sich nicht einigen kann, darüber kann man nicht streiten.

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Impressum

Gerhard Branstner

Ich kam und sah und lachte

Balladen, Anekdoten und Aphorismen

Das Buch erschien 1976 im Henschelverlag Kunst und Gesellschaft Berlin.

ISBN 978-3-96521-752-2 (E–Book)

Titelbild: Ernst Franta

© 2022 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E–Mail: [email protected]

Internet: http://www.edition-digital.de

I Nepomuk‘s

Später Genuss

Seitdem Nepomuk nicht mehr rauchte, sammelte er mit leidenschaftlichem Eifer alle Artikel, die gegen diese schädliche Gewohnheit gerichtet waren. Darauf aufmerksam gemacht, dass diese Artikel jetzt doch keinen Nutzen mehr für ihn hätten, sagte er:

„Aber jetzt erst lese ich sie mit Genuss.“

Vorsorge

Ein Mann, dem in Kürze ein einigermaßen wichtiges Amt übertragen werden sollte, erzählte Nepomuk davon, wie er sich auf seine neue Aufgabe freue. Aber eine Sorge, so sagte er, bedrücke ihn sehr. „Ich mag gar nicht daran denken, was werden wird, wenn ich dieses verantwortungsvolle Amt einmal nicht mehr selber betreuen kann.“

„Dann sollten Sie es gar nicht erst übernehmen“, sagte Nepomuk und ging seiner Wege.

Das Ding an sich

Ein Herr, der den Sozialismus das erste Mal aus eigener Anschauung erlebt hatte, äußerte Nepomuk gegenüber seine Anerkennung für die einzelnen Einrichtungen sozialer, kultureller und anderer Natur. „Nur“, so glaubte er sagen zu müssen, „gegen den Sozialismus an sich habe ich meine Bedenken.“

Darauf erwiderte Nepomuk: „Von einem Menschen, der den Sonnenschein lobt, aber die Sonne an sich nicht mag, sagt man, dass er nicht auf gutem Fuße mit der Logik stehe.“

Medizin und Politik

Nepomuk wurde vorgehalten, dass die revolutionäre Entwicklung stets eine schmerzhafte Geschichte sei.

„Das ist nicht wahr“, behauptete Nepomuk. „Hinsichtlich der sozialistischen Revolution sind wir gerade dabei, die Methode der schmerzarmen Entbindung einzuführen. Ihre Möglichkeit besteht darin, dass auch in der Gesellschaft die Geburt des Neuen ein völlig natürlicher Vorgang ist.“

Das Vermögen des Menschen

„Was glauben Sie“, fragte Nepomuk einen Mann, der einen ungenügenden Begriff von den Wirkungen der Zeit offenbarte, „was glauben Sie, welches Vermögen entstanden wäre, wenn Jesus einen Pfennig auf Zins gelegt hätte? Die Erben dieses Herren würden heute Millionäre sein.“

Der andere gab zu, dass das seine Schätzung weit übertraf.

„Wie unschätzbar“, fuhr Nepomuk fort, „muss Ihnen dann erst das Vermögen der Menschheit, die doch von Anbeginn an Tag für Tag mehr als nur einen Pfennig auf Zins legte, erscheinen? Und wie wollen Sie dieses Vermögen verwalten, wenn Sie keinen Begriff von seinem Werte haben?“

Das Paradoxon der Lebenskunst

„Gewöhnlich wird das Leben für eine Kunst, das Sterben gemeinhin jedoch für etwas gehalten, was selbst der Dümmste, ohne es gelernt zu haben, allemal und im rechten Augenblick zuwege bringt. Das aber ist ein Irrtum“, erklärte Nepomuk. „In Wirklichkeit sterben wir täglich, von Kind auf, denn täglich sterben uns Gefühle, Gedanken, Erinnerungen und andere Lebensinhalte (wie täglich neue geboren werden). Und damit fertig zu werden ist oft sehr schwierig, nicht damit fertig zu werden aber immer schmerzhaft, wenn nicht sogar tragisch. Daher besteht die Kunst des Lebens recht eigentlich darin, das Sterben frühzeitig und immer besser verstehen zu lernen.“

Der heilige Martin

Nepomuk wurde von einem Bettler um eine Gabe angehalten. Er gab ihm die Hälfte seines letzten Geldscheines.

Die unmoralische Tugend

Als Nepomuk hörte, wie einmal mehr das Lob der Bescheidenheit gesungen wurde, rief er aufgebracht: „Wer seine Fähigkeiten unter dem Mantel der Bescheidenheit verbirgt, erschwert ihren richtigen Einsatz oder macht ihn unmöglich. Daher ist Bescheidenheit nichts als Drückebergerei!“

Schnupfen und Schnupfen lassen

Ein Bekannter Nepomuks hatte in der Zeitung von dem geplanten Bau einer sowjetischen Orbitalstation, die auf unbegrenzte Zeit um die Erde fliegen solle, gelesen und meinte, bei dieser erstaunlichen Leistungsfähigkeit der sozialistischen Wissenschaft sei nicht daran zu zweifeln, dass bald ein sicheres Mittel gegen den Schnupfen entwickelt werde.

„Geduld“, gab Nepomuk zu bedenken, „Schnupfen ist kein Schwerpunkt.“

Die dritte Seite

Als einmal ein Wortgefecht kein Ende nehmen wollte, da es um eine Scheinfrage ging, zog Nepomuk eine Münze aus der Tasche, betrachtete sie kopfschüttelnd und fragte schließlich:

„Ach bitte, wo ist hier die dritte Seite der Medaille?“

Dilemma der Kritik

In einer Gesellschaft wurde die Behauptung aufgestellt, viele Fehlurteile über Kunstwerke rührten nur daher, dass deren Schöpfer noch nicht berühmt seien. Nepomuk stimmte dem zu, bemerkte jedoch ergänzend, dass wohl ebenso viele Fehlurteile der Berühmtheit geschuldet seien.

Bilanzierte Dichtung

Nepomuk hatte sich die Mühe gemacht, einen Gedichtband in Prosa zu übersetzen. Die Übersetzung lautete: Die Welt ist schön. Die Welt ist nicht schön.

Autorenschicksal

Nepomuk verfasste einen Roman, der ihm bald so spannend erschien, dass er es nicht mehr erwarten konnte und sogleich das Ende schrieb.

Das Streitgespräch

Ein überlaut eingestelltes Radio störte Nepomuk bei der Arbeit, und er bat den Wohnungsnachbarn um Mäßigung, worauf dieser sogleich einen Streit vom Zaune brach. Nepomuk meinte, dass sie doch zunächst einmal versuchen sollten, die Sache in aller Ruhe zu bereinigen. Wenn sich das als erfolglos erweise, könnten sie es immer noch mit einem Streit versuchen.

Möglichkeiten der Kritik

Nepomuk hatte sich eine Hose anfertigen lassen, deren Beine verschieden lang geraten waren. Auf diesen Umstand aufmerksam gemacht, fragte der Schneider, ob er in Nepomuk einen Fachmann vor sich habe. Als Nepomuk verneinte, wurde ihm bedeutet, dass er in diesem Falle zu einer Kritik nicht berechtigt sei.

Nepomuk ging davon und pries allen Orts die unfehlbare Kunst des Schneiders, zeigte dabei jedoch stets auf seine Hosenbeine.

Gefährdete Helden

Als einmal die Beobachtung gemacht wurde, dass der heiteren Helden der Menschheit, wie Till Eulenspiegel und seinesgleichen, weit weniger gedacht werde als der ernsten Helden, obgleich sie doch, was man von den ernsten nicht immer sagen könne, niemals einen Menschen ernstlich in Gefahr gebracht hätten, meinte Nepomuk: „Wenn wir der heiteren Helden mehr gedächten, so könnten sie die ernsten durchaus in Gefahr bringen.“

Die förmliche Nachfrage

Gefragt, wie es ihm gehe, erkundigte sich Nepomuk zunächst, was er denn das vorige Mal auf die gleiche Frage geantwortet habe. Der andere konnte sich nicht erinnern.

„Sehen Sie“, erklärte Nepomuk, „so geht es mir.“

Der stille Teilhaber

Nepomuk litt einmal an Appetitlosigkeit. Er ging aus dem Hause und beobachtete einige mit einer schwierigen Verrichtung beschäftigte Bauleute. Als diese ihre Arbeit beendet hatten, wischte sich Nepomuk den Schweiß von der Stirn und aß darauf mit gutem Appetit zu Mittag.

Der Knalleffekt

Nicht des Weges achtend, stieß Nepomuk mit einem Herrn zusammen. Indem er den Hut lüftete, erkannte er sein Gegenüber. Erfreut entschuldigte sich Nepomuk, Herrn Keuner so unversehens auf den Fuß getreten zu haben. Auch Herr Keuner lüftete den Hut, war jedoch ein wenig verfremdet.

II Balladeskes

Beschreibung einer Weitumfahrt aus dem Jahre 1798

(nach Matthias Claudius)

Wer einmal eine Reise tut,

der kann uns was erzählen.

Drum nahm ich meinen Stock und Hut

und wollt’ nicht länger fehlen.

Zuerst gings an den Nordpol hin,

da war es kalt, bei Ehre.

Da dacht ich so in meinem Sinn,

dass warm es besser wäre.

In Grönland freuten sie sich sehr,

mich ihres Orts zu sehen,

und setzten mir den Trankrug her.

Ich ließ ihn aber stehen.

Da grinsten still die Eskimos

und gingen ihrer Wege.

Da schalt ich einen einen Kloß

und kriegte viele Schläge

Nun fuhr ich nach Amerika,

da sagt’ ich zu mir: Lieber,

entdeckt hat es Columbia,

wer deckt es zu nun wieder?

Von hier ging ich nach Mexiko

– ist weiter als nach Bremen –,

da, dacht’ ich, liegt das Geld wie Stroh.

Du sollt’st ’n Sack voll nehmen.

Allein, allein, allein, allein,

wie kann ein Mensch sich trügen.

Ich fand da nichts als Sand und Stein

und ließ den Sack da liegen.

Drauf kauft’ ich etwas kalte Kost

und Branntewein und Kuchen

und setzte mich auf Extrapost:

Land Asia zu besuchen.

Der Mogul ist ein großer Mann

und gnädig übermaßen.

Und klug: Er war jetzt eben dran,

’n Kopf abschlahn zu lassen.

Dabei furzt er ins Hosenbein –

bei aller Größ und Gaben.

Was hilfts dann noch, Mogul zu sein?

Das kann ich so wohl haben.

Ich sucht im Land die kreuz und quer,

fand aber nichts zu beißen.

Und ist der Magen hohl und leer,

so lässt sich‘s auch schlecht reisen.

Ich gab dem Wirt mein Ehrenwort,

ihn nächstens zu bezahlen.

Und damit zog ich weiter fort

nach China und Bengalen.

Nach Java und nach Otaheit,

nach Afrika nicht minder.

Und sah bei der Gelegenheit

viel Tier und Menschenkinder.

Und fand es überall wie hier,

fand Weise und fand Narren.

Die Menschen grade so wie wir:

zum Weinen und zum Lachen.

Da kam der Ritter Waterlo

Die Königin sah kühn hinaus,

sah übers weite Feld.

Dort ritt der Ritter Waterlo,

er kam zum Schloss in Bäld.

„Wer ist der schöne Rittersmann?“,

so fragt die Königin.

„Das ist der Ritter Waterlo“,

so sagt die Dienerin.