Ich kann mich nicht erinnern - Sabine Hofstadler - E-Book

Ich kann mich nicht erinnern E-Book

Sabine Hofstadler

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Beschreibung

Nach einer wahren Geschichte! Nach einer Gehirnblutung kämpft sich Frau Binder mit eisernem Willen mühsam ins Leben zurück, doch ein Teil davon bleibt immer verloren. Beklemmend, berührend und tragisch komisch.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 225

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhaltsverzeichnis

Dienstag, 30. Juli 2002

Mittwoch, 31. Juli 2002

Donnerstag, 1. August 2002

Freitag, 2. August 2002

Samstag, 3. August 2002

Sonntag, 4. August 2002

Montag, 5. August 2002

Dienstag, 6. August 2002

Mittwoch, 7. August 2002

Donnerstag, 8. August 2002

Freitag, 9. August 2002

Samstag, 10. August 2002

Sonntag, 11. August 2002

Montag, 12. August 2002

Dienstag, 13. August 2002

Mittwoch, 14. August 2002

Donnerstag, 15. August 2002

Freitag, 16. August 2002

Samstag, 17. August 2002

Sonntag, 18. August 2002

Montag, 19. August 2002

Dienstag, 20. August 2002

Mittwoch, 21. August 2002

Donnerstag, 22. August 2002

Freitag, 23. August 2002

Samstag, 24. August 2002

Sonntag, 25. August 2002

Montag, 26. August 2002

Dienstag, 27. August 2002

Mittwoch, 28. August 2002

Donnerstag, 29. August 2002

Freitag, 30. August 2002

Samstag, 31. August 2002

Sonntag, 1. September 2002

Montag, 2. September 2002

Dienstag, 3. September 2002

Mittwoch, 4. September 2002

Donnerstag, 5. September 2002

Zwei Wochen später

Sechs Wochen später

Dezember 2002

Februar 2003

März 2003

4 Monate später

1 Jahr später

Dezember 2019

Dienstag, 30. Juli 2002

Es war ein heißer und schwüler Tag, der Wetterbericht meldete bis zu 33 Grad. Ich saß im Büro und freute mich auf einen schönen Badenachmittag in einem Freibad ganz in der Nähe meines Wohnortes. Mein Mann Jürgen hatte diese Woche noch Urlaub und ich arbeitete derzeit nur bis Mittag. Ich sah auf die Uhr. Es war jetzt 10:00 Uhr und der Zeiger kroch betont langsam weiter. Noch zwei Stunden trennten mich von meinem Arbeitsende. Wir würden sofort nach der Arbeit ins Schwimmbad fahren und die Vorfreude darauf veranlasste mich noch schneller in die Tastatur meines Computers zu klopfen. Nur nicht ständig auf die Uhr sehen, damit die Zeit schneller verging. 10:30 Uhr. Warum verging heute die Zeit nicht? Ich betätigte die Jalousien, weil bereits die Sonne auf meinen Computer schien und mich blendete. 11:00 Uhr. Ich ging auf die Toilette und ließ mir kaltes Wasser über die Hände laufen. Mein Kreislauf war nicht sehr stabil und ich versuchte mich wieder auf Touren zu bringen. Ich dachte an Jürgen, er würde bereits die Badesachen packen und mich von der Arbeit abholen. Beschwingt ging ich wieder ins Büro. Ich verbuchte gerade eine Rechnung als das Telefon klingelte. Auf dem Display erkannte ich die Nummer meines Bruders. Ich nahm den Hörer ab.

„Hallo“, hier spricht Herwig

„Hallo, was gibt’s?“ fragte ich und er schwieg kurz.

„Das Krankenhaus hat mich angerufen. Mama liegt im Spital, sie hatte einen Schlaganfall.“

„Was?“

Natürlich hörte ich jedes einzelne Wort aber ich verstand es nicht. Ich konnte es nicht fassen.

Mein Gehirn weigerte sich es zu begreifen. Mein Bruder sagte nochmals.

„Sie hatte einen Schlaganfall und ich wurde vom Krankenhaus angerufen ob ich mit ihr verwandt sei. Sie fragten mich nach ihren Daten und ob ich kommen könne“, er wartete auf Antwort und ich erwiderte.

„Wir wollten eigentlich baden fahren.“

Ich hörte mich selber diesen Satz sagen und er klang völlig absurd in dieser Situation.

„Wenn du willst, dann fahr baden“, sagte Herwig.

Er klang irgendwie ärgerlich aber auch irgendwie trotzig oder sogar hilflos.

„Natürlich fahr ich nicht ins Freibad, ich hätte keine ruhige Minute, ich werde gleich um zwölf Uhr ins Krankenhaus fahren“, sagte ich. Mein Bruder schien sichtlich erleichtert.

„Wo liegt sie?“

„Im Neurologiezentrum.“

„Gut ich fahre Mittag dort hin und rufe dich dann an. Bleibst du noch in der Arbeit?“

Mein Bruder bejahte und erklärte, man habe ihm gesagt, dass man erst später kommen sollte, weil sie noch untersucht wird.

„Wer hat dich angerufen?“

„Ein Arzt.“

„Wie hieß er?“

„Ich weiß es nicht mehr.“

„Gut, ich werde nach Mama fragen, wo sie genau liegt.“

„Okay, ruf mich an, wenn du etwas weißt.“

„Ja, hast du unsere Schwester verständigt?“

„Ja!“

Er legte auf. Ich zitterte. Meine Hände zitterten. Ich konnte sie nicht ruhig halten. Ich stand auf und ging auf die Toilette. Mir wurde plötzlich übel. Ich setzte mich auf den Boden im Waschraum vor der Toilette und zitterte am ganzen Körper. Beruhige dich.

Ich versuchte krampfhaft autogenes Training zu machen um nicht zu kollabieren. Ich stand auf und trank von der Wasserleitung kaltes Wasser und befeuchtete Stirn, Nacken und Hände. Ich zitterte immer noch. Schlaganfall? Natürlich, Schlaganfall. Aber doch nicht meine Mutter. Nein, nur nicht sie, jeder, aber nicht sie. Sie war immer so robust und nie krank. Nein, das muss eine Verwechslung sein. Ich stand auf und sah mich in den Spiegel. Ich sah unverändert aus. Meine Gesichtsfarbe war weder weiß noch rot, sondern völlig normal, meine Hände zitterten immer noch. Nein, nein das war sicher eine Verwechslung. Ich sah auf die Uhr. 11:45. Ich wusste nicht wie lange ich im Waschraum stand, ich hatte jedes Zeitgefühl verloren. Ich atmete tief ein und wieder aus um mich zu beruhigen. Dann ging ich wieder ins Büro. Mein Kollege sah mich fragend an, sagte jedoch kein Wort. Irgendwie presste ich zwischen meinen Lippen hervor. „Meine Mutter, im Krankenhaus, Schlaganfall.“

Mein Kollege schüttelte den Kopf, als ob er mich nicht verstanden hätte.

„So etwas“, sagte er.

Ich packte meine Sachen in meine Handtasche und zog mir die Schuhe an.

Ich verabschiedete mich von meinem Kollegen und ging. Es war fünf Minuten vor offiziellen Arbeitsschluss, doch das war mir egal, ich stürmte die zwei Stockwerke hinunter und hoffte, dass Jürgen bereits wartete. Er ist immer sehr pünktlich. Ich atmete erleichtert auf, weil er schon da war. Ich stieg ins Auto und Jürgen sah mich fragend an.

„Hat dich dein Bruder erreicht?“

„Ja. Warum weißt du das?“

„Er fragte mich nach der Telefonnummer deiner Firma, er wusste nicht mehr wo du arbeitest.“

„Bitte?“ Jürgen wiederholte.

„Er fragte nach deiner Telefonnummer.“

„Ja“, ich fiel ihm ins Wort, „ich habe dich verstanden.“ Ich dachte, er wusste nicht mehr wo ich arbeitete. Mein Bruder schien genauso geschockt gewesen zu sein wie ich. Ich sagte zu Jürgen.

„Hat er es dir erzählt?“

„Ja.“

Mein Mann sagte.

„Ich glaube du willst ins Spital fahren und nicht ins

Freibad.“

Ich nickte erleichtert für sein Verständnis und bat ihn, nach Hause fahren und in etwa einer Stunde ins Krankenhaus zu fahren.

Auf dem Heimweg redete ich nichts. Ich war geschockt. Ist es wirklich wahr? Neben Jürgen hatte ich mich etwas beruhigt und zitterte nicht mehr. Als wir zu Hause ankamen, legte ich mich auf die Couch und mein Mann packte die Badesachen aus.

„Jürgen?“ Ich rief nach meinem Mann und er kam vom Schlafzimmer zu mir ins Wohnzimmer.

„Ja?“

„Was hat mein Bruder gesagt?“

„Er sagte, dass deine Mutter einen Schlaganfall hatte und sie im Krankenhaus liegt, daher brauche er deine Telefonnummer.“

„Sonst nichts?“

„Nein.“

Ich schwieg wieder. Jürgen sah mich an. Nein ich konnte nicht weinen. Ich war überrascht, verblüfft, geschockt. Sämtliche Nuancen von Gefühlen überfielen mich. Ich sah auf die Uhr 12:30. Jürgen bat mich, etwas zu essen. Ich verneinte.

„Ich habe keinen Hunger!“

„Aber du musst was essen!“

„Ich kann nicht!“

Es hatte bereits 30 Grad und in der Wohnung war es sehr schwül und merkwürdig still.

Jürgen schaltete den Fernseher ein. Ich wollte fernsehen um mich abzulenken, aber ich konnte mich nicht konzentrieren und schweifte ständig mit meinen Gedanken ab. Ich kannte einige Schlaganfallpatienten und wusste wie die Krankheit verlaufen konnte. Lähmungen, Gleichgewichtsstörungen, Sprachstörungen. Nein nicht meine Mutter, nein ihr würde kein Schaden bleiben. Plötzlich fiel mir meine Oma ein, die Mutter meiner Mutter. Wusste sie es schon? Mittag ging Mama immer mit dem Hund meiner Oma spazieren. Wartete sie bereits? Ich musste sie anrufen. Ich wählte die Nummer und fing wieder zu zittern an. Schnell legte ich auf. Meine Oma war 82 Jahre alt und sie durfte sich nicht aufregen. Ich nahm Beruhigungstropfen und atmete bewusst langsam ein und aus. Nach zehn Minuten hatte ich mich unter Kontrolle und wählte nochmals die Nummer. Oma meldete sich, ich sagte.

„Hallo hier spricht Sandra.“

Meine Oma war sichtlich erfreut über meinen Anruf. Ich bemühte mich locker zu sprechen und fragte.

„Kommt Mama heute zu dir?“

„Ja, wir fahren in eine Konditorei, aber sie ist noch nicht da“, sagte Oma, ich erwiderte.

„Sie wird auch nicht kommen, sie ist im Krankenhaus.“ „Ach, ist sie gestürzt?“

Meine Oma dachte immer an etwas was auch ihr passieren konnte. „Nein, sie hatte einen Schlaganfall, aber ich fahre dann gleich mit Jürgen ins Spital.“ Oma antwortete.

„In Ordnung, dann werde ich nicht auf sie zu warten, danke dass du mir Bescheid gesagt hast.“

Ich hörte mich weit weg reden.

„Mach dir keine Sorgen, ich rufe dich an, wenn ich etwas erfahre.“

„Ja“, hörte ich meine Oma sagen. Ich legte auf. Konnte sie es nicht realisieren? Wusste sie eigentlich was ein Schlaganfall ist? Sie hatte es ausgesprochen locker aufgenommen. Ich hörte mich nochmals sagen, mach dir keine Sorgen. Natürlich, ich sagte zu ihr, mach dir keine Sorgen, sie dachte es ist nicht so schlimm. Ich wusste auch nicht wie es um meine Mutter stand, aber ich machte mir große Sorgen. Ich sah wieder auf die Uhr. Jürgen fragte, ob ich jetzt ins Krankenhaus fahren will, oder ob ich vorher dort anrufe.

„Ja, fahren wir ins Krankenhaus“, sagte ich und dachte, nein, ich kann nicht anrufen, womöglich erfahre ich etwas Unangenehmes aber nein, sie werden sie untersucht haben und ich werde bereits mit ihr sprechen können. Ich versuchte mich selbst zu beruhigen, aber es gelang mir nicht. Wir gingen zum Auto, es war drückend heiß. Die Klimaanlage im Auto kühlte angenehm aber mir war plötzlich schlecht. Ich sagte nichts zu Jürgen. Sicher waren es meine Nerven. Je näher wir zum Krankenhaus kamen je unruhiger wurde ich. Wir sprachen kein Wort miteinander, ich wollte nicht sprechen, mein Mund war trocken und ich war sicher, dass mir beim Sprechen die Stimme versagte. Wir bogen beim Krankenhaus ein und Jürgen suchte einen Parkplatz. Neben dem alten Krankenhaus wurde ein großer Neubau errichtet und wir gingen zum alten Gebäude zur Infostelle. Die Portierstelle war nicht besetzt und ich ging zu einem provisorischen Portierhäuschen und fragte.

„Meine Mutter, Frau Binder wurde mit einem Schlaganfall eingeliefert, ich wurde vom Arzt verständigt, können sie mir sagen wo sie liegt?“

Der Portier sah mich sorgenvoll an, oder bildete ich es mir nur ein?

„Gehen sie bitte zum Neubau, zum Infopoint, dort erfahren sie näheres.“

Er beschrieb den Weg, ich hatte mir die Beschreibung nicht gemerkt, ich war so aufgewühlt. Jürgen ging vor und ich rannte hinterher.

Dort saßen in einem runden Portal vier Personen zur Auskunft. Ich ging zu einem freundlich lächelnden Herrn und wiederholte meine Frage, in welchem Zimmer meine Mutter, Frau Binder, denn läge. Das Gesicht des netten lächelnden Herren wurde plötzlich zu einem sorgenvollen Gesicht. Mit ernster Miene erklärte er mir.

„Frau Binder liegt auf der Intensivstation.“

Er erklärte uns den Weg. Ich bedankte mich und ging wieder hinter Jürgen zur Station. Wieder hatte ich mir die Wegbeschreibung nicht gemerkt. Der Weg war lang, wir mussten über eine Stiege hinauf und je höher wir kamen umso stickiger wurde die Luft. Wir gingen schweigend nebeneinander. Mir ging es nicht gut und ich fing wieder leicht zu zittern an. „Intensivstation“, immer wieder wiederholte ich im Gedanken dieses Wort. „Intensivstation.“ Warum lag sie auf der Intensivstation, ging es ihr so schlecht, war sie womöglich schon tot? Ich schüttelte mich, als wollte ich den Gedanken abschütteln. Wir kamen zu einem kleinen Warteraum mit einer verglasten Eingangstür darauf stand groß INTENSIVSTATION. Der Warteraum bestand aus einigen Sesseln und einem Tisch. Im Eck stand ein Ständer mit Folder der Station. Der Raum war karg und nicht einladend. Es war niemand da. Neben einer Tür auf einem Schild, las ich die Besuchszeiten. 15 bis 16.30 und 18 bis 19 Uhr. Jetzt war es 13:30. Ich versuchte die Tür zu öffnen, aber sie ließ sich nicht öffnen, denn sie hatte keine Türschnalle, sondern einen Knauf. Jürgen bemerkte neben der Tür eine Klingel. Intensivstation A, darunter Intensivstation B. Er läutet und einige Zeit verging. Ich läutete nochmals. Aus der Sprechanlage neben der Klingel hörte ich eine Frauenstimme.

„Ja bitte?“ Ich war überrascht das man uns nicht hinein ließ und fing zu stottern an.

„Äh, meine Mutter, sie ist auf der Station, wir kommen sie besuchen“, die Stimme fragte.

„Wie heißt ihre Mutter?“

„Binder.“ Die Stimme antwortete.

„Moment, ich komme!“ Ich sagte zu Jürgen.

„Sie kommt.“

Kurz darauf öffnete sich die Tür und eine lächelnde

Schwester sah uns an.

„Ihre Mutter ist noch im Untersuchungsraum und wir erwarten sie jeden Moment haben sie noch einen Weg?“ Ich sagte.

„Nein, wie geht es ihr?“

„Ich weiß es nicht“, sagte die Schwester, „sind sie von hier?“ Ich sah sie erstaunt an.

„Ja in der Nähe.“

„Könnten sie vielleicht um 15 Uhr nochmals kommen, dann ist sie sicher schon auf der Station.“ Sie lächelte immer noch.

„Ja, natürlich“, sagte ich. Die Tür schloss sich. Ich sah Jürgen fragend an.

„Wie lange dauert so eine Untersuchung, sie wurde doch schon am Vormittag eingeliefert.“ Jürgen meinte. „Vielleicht wird sie gleich operiert.“

Irgendwie war ich wegen der lächelnden Schwester beruhigt, auch die eventuelle Operation fand ich plausibel. Aber warum hat die Schwester von einer möglichen Operation nichts gesagt? Wir gingen vom Krankenhaus wieder zum Auto. Plötzlich fiel mir ein, dass ich meinen Bruder verständigen musste. Ich wählte die Nummer und Herwig meldete sich sofort. Ich berichtete ihm, dass Mama noch untersucht wurde und wir um 15 Uhr nochmals kommen sollten, dann würde sie bereits im Zimmer sein. Wir vereinbarten, uns um diese Zeit beim Krankenhaus zu treffen und gemeinsam zur Station zu gehen. Schweigend fuhren wir nach Hause. Zuhause schaltete Jürgen wieder den Fernseher ein.

Mein Hals war wie zugeschnürt, ich hatte keinen Hunger, aber ich versuchte zumindest eine Kleinigkeit zu essen. Ich nahm eine Zeitschrift zur Hand und bemühte mich zu lesen. Aber immer wieder schweiften meine Gedanken ab und ich dachte an das Krankenhaus, an die lächelnde Schwester und natürlich an Mama. Wie ging es ihr, war sie in Narkose? War sie bei Bewusstsein? Ich fragte Jürgen. „Glaubst du, dass es ihr gut geht?“ Jürgen erwiderte.

„Ich weiß es nicht, wir werden es bald erfahren.“ Wieder schwiegen wir. Ich sah auf die Uhr. 14 Uhr. Ich ging ins Bad und sah mich in den Spiegel. Ich sah aus wie immer. Schlaganfall! Immer wieder hörte ich in meinem Kopf diese Worte. Schlaganfall! Ich dachte an Bekannte, die auch einen Schlaganfall hatten. Einer war wieder ganz der Alte, aber die anderen hatten Gehstörungen, Sprechstörungen, Lähmungen. Was würde meiner Mutter bleiben? Nein, ich versuchte mich wieder selbst zu beruhigen Ich ging in die Küche und trank ein Glas Wasser. Jürgen sagte wir müssen dann fahren. Das Handy von Jürgen läutete. Es war der Bruder meiner Mutter der mit meiner Oma in die Konditorei fuhr. Er erkundigte sich ob es von Mama schon Neuigkeiten gäbe. Ich verneinte und versprach Bescheid zu geben. Im Auto war es wieder heiß und die Klimaanlage lief auf vollen Touren. Als wir zum Krankenhaus kamen war der Parkplatz fast voll und wir mussten einige Runden drehen, bis wir einen Platz fanden. Als wir ausstiegen, sahen wir meinen Bruder und seine Frau mit dem Auto einparken. Sie stiegen aus und Herwig fragte mich ob ich etwas Neues weiß und ich verneinte und sagte wir würden gleich zur Station gehen.

„Wo liegt sie“, fragte Herwig.

„Auf der Intensivstation“, erwiderte ich.

„Wie bitte?“

Herwig sah mich verständnislos an.

„Auf der Intensivstation, warum?“ Ich sagte.

„Ich weiß es nicht, aber ich weiß von einer Bekannten die auch einen Schlaganfall hatte, dass diese auch auf der Intensivstation war, weil sie im Koma lag.“

Plötzlich wurden mir die Worte bewusst. Im Koma! Mein Gott, ich dachte daran, dass ein Bekannter vom Koma nicht mehr erwachte und drei Tage später verstarb. Mir wurde richtig schlecht. Der Gesichtsausdruck von meinem Bruder wechselte von überrascht zu sorgenvoll. Jürgen behielt die Ruhe und erklärte.

„Wir werden gleich mehr wissen, es hat keinen Sinn sich jetzt Sorgen zu machen.“

Ich war erleichtert, dass mein Mann bei mir war, ich war wieder etwas beruhigt. Inzwischen waren wir bei der Intensivstation angekommen. Es war bereits Besuchszeit, aber der Warteraum war leer und ich klingelte. Gleich darauf meldet sich eine Stimme.

„Ja, bitte?“ Ich sagte, dass wir unsere Mutter, Frau Binder besuchen würden.“

„Ich komme gleich“, sagte die Stimme. Wir sahen uns an. Ich dachte, warum öffnet sie nicht einfach die Tür und kurz darauf kam eine Schwester. Es war eine andere als vorher. Ich erklärte ihr, dass wir schon einmal hier waren und wir sollten nochmals um 15 Uhr kommen, dann könnten wir unsere Mutter sehen. Die Schwester sagte, dass unsere Mutter noch immer nicht von der Untersuchung gekommen ist, aber sie würden sie jeden Moment erwarten. Ob wir inzwischen in die Neurochirurgie gehen könnten um einige persönlich Sachen meiner Mutter zu holen. Wir fragten, warum ihre Sachen auf einer anderen Station wären und die Schwester erklärte uns, dass unsere Mutter vorerst in der Neurochirurgie aufgenommen wurde und erst später auf die Intensivstation verlegt wurde. Wir nickten und die Schwester meinte, wir sollen dann nochmals kommen. Auf meine Frage wie es meiner Mutter gehe, antwortete sie, sie wisse es nicht und wir müssten mit einem Arzt sprechen. Dann verschwand sie wieder hinter der Tür. Wir standen da und sahen uns an. Jürgen ergriff das Wort.

„Gut, gehen wir in die Neurochirurgie.“ Wir gingen zum Infopoint und fragten, wo die Neurochirurgie lag. Der Portier erkläre uns den Weg. Ich hörte zu, merkte mir aber wieder kein einziges Wort. Jürgen ging voraus und wir liefen schweigend hinter ihm her. Als wir in der Neurochirurgie ankamen, fragte ich eine Schwester um die persönlichen Sachen unserer Mutter. Die Schwester sah uns erfreut an und fragte uns, wie es ihr gehe. Wir sahen sie verwundert an und erklärten, dass wir es selbst noch nicht wüssten und sie noch immer untersucht wurde. Die Schwester sah uns plötzlich eigenartig an, drehte uns aber gleich den Rücken zu und ging mit uns in ein Zimmer. Sie holte aus einem Nachtkästchen zwei Taschen heraus und drückte sie uns in die Hand. Ich fragte, ob meine Mutter nach der Untersuchung wieder in dieses Zimmer komme und die Schwester nickte und erklärte. „Ja, das ist ihr Bett und sie würde voraussichtlich wieder in dieses Zimmer kommen.

„Voraussichtlich?“ fragte mein Bruder.

„Ja, ich weiß nicht ob sie vielleicht operiert wird, aber ich vermute, dass sie wieder auf diese Station kommen werde“, erklärte die Schwester.

„Wer hat mich eigentlich verständigt?“ fragte mein Bruder.

„Ich weiß es nicht.“

„Wie wussten sie den Namen meiner Mutter“, fragte mein Bruder weiter.

„Nun, sie hat uns ihren Namen gesagt.“

„Sie hat gesprochen?“ fragte ich erstaunt.

„Ja, sie hat mit uns gesprochen und dann wurde sie bewusstlos und sofort zur Untersuchung gebracht.“ Wir bedankten uns bei der Schwester für die Auskunft und die Schwester rief uns nach, wir sollten ihr schöne Grüße ausrichten. Wir gingen wieder den Gang zurück zur Intensivstation und überlegten. Sie war noch bei Bewusstsein, daher ist es sicher nicht so schlimm wie wir dachten. Wir werden mit ihr sprechen können und sie wird bald wieder zu Hause sein. Wir redeten uns gegenseitig Mut zu. Inzwischen waren wir wieder bei der Intensivstation angekommen und man sah durch die Glasfront jemanden im Wartezimmer sitzen. Es war ein Mann. Er starrte an die Decke und sah nur kurz zu uns rüber als wir ins Wartezimmer eintraten. Wir setzten uns und ich fragte den Mann ob er bereits geklingelt hätte.

„Ja, aber es ist niemand gekommen.“ Er stand auf und klingelte nochmals. Aus dem Lautsprecher meldete sich eine Stimme. Der Mann sprach leise in die Sprechanlage, dass seine Frau nach einem Unfall eingeliefert wurde. Die Stimme fragte nach seinen Namen. Der Mann antwortete wieder leise. Kurz darauf ging die Tür auf und eine Schwester kam. Sie fragte nochmals nach dem Namen des Mannes und dann fragte sie mich, ob für uns schon jemand kommen würde. Ich sagte.

“Nein, unsere Mutter, Frau Binder ist auf dieser Station, aber sie wurde untersucht und wir wollen sie jetzt besuchen, wenn sie schon da ist.“ Ich sah die Schwester fragend an und sie nickte.

„Ja, ich weiß Bescheid, ich schicke jemanden.“ Die Tür schloss sich wieder.

„Warum lässt sie uns nicht gleich rein?“ fragte ich, schüttelte den Kopf und sah meinen Bruder an.

„Ich weiß es auch nicht“, erwiderte mein Bruder. Kurz darauf öffnete sich die Tür und eine Schwester erschien.

„Sie sind Angehörige von Frau Binder?“ fragte sie. Mein Bruder und ich bejahten.

„Sie dürfen aber nur zu zweit rein“, erklärte die Schwester und sah uns vier an.

„Wir sind die Kinder, ich deutete auf meinen Bruder und mich und das sind die Schwiegerkinder“, ich zeigte auf Jürgen und die Frau meines Bruders. Die Schwester nickte und bat uns ihr zu folgen. Sie schloss die Tür hinter sich und wir standen in einem kleinen Raum indem sich ein Waschbecken und ein Regal mit einem Stapel von weißen Mänteln befand. Die Schwester sagte, wir sollen uns die Hände waschen und desinfizieren, danach gab sie uns weiße Mäntel und half uns beim Anziehen. Als wir angezogen waren, fragte die Schwester ob wir wissen wie es auf einer Intensivstation aussehe.

„Nur vom Fernsehen“, sagte ich. Mein Bruder schwieg. Die Schwester ging voraus und wir folgten ihr durch einen langen Gang. Links und rechts davon waren Glasfronten und man sah Betten hinter dem Glas stehen. Sie waren nicht belegt und teilweise noch in Plastik verpackt. Am Ende des Ganges befand sich wieder eine Glastür und diese öffnete sich plötzlich automatisch. Wir kamen in einen Raum in dem zwei Betten standen dann war eine Trennwand dazwischen dann wieder zwei Betten. Die Schwester blieb bei einem Bett stehen und wir stellen uns daneben und die Schwester erklärte.

„Hier ist Frau Binder.“

Wir sahen auf das Bett und auf das was darin lag.

„Sie können zu ihr gehen“, sagte die Schwester und ging in einen Raum der wieder mit Glasfronten abgeteilt war. Wir standen da und ich ging zu der Person die angeblich meine Mutter war. In der Mitte vom Bett blieb ich stehen. Ich sah eine Frau die ihre Haare merkwürdig zurückgekämmt hatte. In ihrem Mund steckte ein Schlauch mit einem Metallstück und der Mund stand weit offen. Unwillkürlich dachte ich an einen Zahnarzt. In der Nase hatte sie einen durchsichtigen Schlauch in dem sich weiße Flüssigkeit befand. Die Bettdecke ging über die Brust und ich sah einen dünnen Schlauch der aussah wie ein Kabel, dieser ging direkt in ihren Körper Herznahe hinein. Ich sah ihr wieder ins Gesicht. Sie hatte die Augen geschlossen und irgendwie sah sie verändert aus. Aber es war Mama. Ich traute mich nicht näher zu gehen und sie zu berühren. Ich sah mich zu meinem Bruder um. Er stand mit dem Rücken zum Bett und rief plötzlich, ich brauche einen Arzt, wo ist ein Arzt, holen sie mir einen Arzt. Die Schwester kam wieder zum Bett und fragte ob sie einen Arzt rufen solle damit wir mit ihm sprechen könnten. Mein Bruder bejahte und fragte:

„Wie geht es ihr, was ist passiert?“ Die Schwester sagte:

“Sprechen sie bitte mit dem Arzt, ich kann ihnen keine Auskunft geben.“

Wir sahen uns an, und die Schwester tippte am Handy eine Nummer ein. Sie drehte sich von uns weg und wir hörten nicht was sie sprach, dann sagte sie, der Arzt kommt gleich. Wir nickten und standen beide am Fußende des Bettes und schwiegen. Ich sah hinter einer Trennwand eine Frau, oder war es doch ein Mann der nackt auf dem Bauch im Bett lag. Ein Mann mit weißer Kleidung, vermutlich ein Pfleger wusch diese Gestalt. Jetzt drehte er die Person um. Ich sah nicht mehr hin. War dieser Mensch tot? Er bewegte sich jedenfalls nicht. Ich fühlte mich nicht mehr wohl und versuchte mit meiner kalten Hand meinen Nacken zu kühlen. Jetzt erst bemerkte ich wie angenehm kühl es hier war. Die Lamellenvorhänge waren zugezogen und offensichtlich gab es hier eine Klimaanlage. Es piepste ständig irgendwo und ich sah gegenüber noch ein Bett stehen in dem ein Mann lag. Anscheinend schlief er.

Wir waren die einzigen Besucher in diesen Raum. Der Arzt kam, gab uns die Hand und stellte sich vor.

„Guten Tag ich bin Dr. Waller, wer sind sie?“

„Hofer, ich bin die Tochter von Frau Binder.“ Mein Bruder sagte.

„Binder, Sohn.“ Ich wunderte mich, warum er nicht einen ganzen Satz sagte. Der Arzt fing zu reden an.

„Also, ihre Mutter“, ich unterbrach ihn und fragte ob wir hierbleiben müssten oder hinaus gehen könnten, mir ist nicht so gut. Der Arzt bejahte und ging voraus. Wir folgten ihm wieder zurück durch den langen Gang. Am Ende des Ganges war ein Zimmer in das wir eintraten. Darin stand ein Tisch und vier Sesseln. Der Arzt bat uns Platz zu nehmen. Er setze sich gegenüber und fing zu sprechen an.

„Nun, ihre Frau Mutter hatte keinen Schlaganfall wie wir vorher hofften, sondern eine Gehirnblutung. Durch die Blutung wurde das Gehirn überflutet und wir wissen nicht wie weit es ins Rückenmark eingedrungen ist. Die Blutung ereignete sich im Kleinhirn, ungefähr hier.“ Er zeigte an eine Stelle an seinem Hinterkopf.

„Und was heißt das“, fragte Herwig. Ich dachte warum unterbricht er den Arzt? Der Arzt sprach weiter.

“Ich war bei der Operation als Anästhesist dabei und wir versuchten die Blutung zu stoppen.“ Ich dachte, sie wurde also doch gleich operiert nicht nur untersucht.

„Die Operation ist leider nicht gelungen, weil andere lebenswichtige Gefäße von dieser Arterie weggingen und somit die vorgesehene Operation nicht möglich war.

„Was wird jetzt getan“, fragte mein Bruder. Ich dachte er solle den Arzt doch endlich ausreden lassen und nicht immer dazwischenreden. Der Arzt sprach weiter. „Nun, die Blutung haben wir jetzt stoppen können, aber sie muss nochmals operiert werden. Im Fall ihrer Frau Mutter warten wir die nächsten drei Tage ab.

Die kritischen Tage sind vom ersten bis zum dritten Tag und dann bis zum vierzehnten Tag. Bis dahin ist sie in Lebensgefahr. Bei ihrer Frau Mutter kann man sagen das die Gehirnblutung in einer Skala von eins bis zehn, eins ist leicht, zehn ist tödlich, ihre Mutter bei Stufe neun war. Diese enden aber auch in den meisten Fällen tödlich.“ Der Arzt schwieg kurz und redete dann weiter.