Ich liebe das Meer wie meine Seele - Karsten Eichner - E-Book

Ich liebe das Meer wie meine Seele E-Book

Karsten Eichner

0,0

Beschreibung

Sie fuhren in den Orient oder gleich um die ganze Welt, jagten Wale und Robben in der Arktis oder seltene Käfer in Asien, erkundeten Fjorde und Weltstädte am Was-ser. Sie trotzten Atlantikstürmen, besuchten ihre Sehnsuchtsorte, erfüllten sich Südseeträume oder brachen auf zu neuen Ufern – und verarbeiteten ihre Seereisen anschließend literarisch. "Ich liebe das Meer wie meine Seele": Dieser Ausspruch des Dichters Heinrich Heine anlässlich eines Norderney-Aufenthalts beschreibt treffend die tiefe Sehnsucht des Menschen nach der See, wie sie auch Schriftsteller immer wieder empfunden und zu Papier gebracht haben. Das Buch spannt den Bogen vom frühen 19. bis ins be-ginnende 21. Jahrhundert, umfasst also die gesamte Epoche, in der die Schiffsreise in ihrer heutigen Form entstanden ist. Viele Schriftsteller gingen gleich für Wochen oder Monate an Bord: Die Spanne reicht von klassischen maritimen Autoren wie Gorch Fock und Robert Louis Stevenson über reisende Dandys wie Thomas Mann und Jean Cocteau bis hin zu Reiseliteraten wie Mark Twain oder dem "rasenden Reporter" Egon Erwin Kisch. Ihre Erlebnisse haben sie mal spannend, mal humor-voll und mitunter höchst akribisch in persönlichen Aufzeichnungen, Briefen oder literarisch überhöht zu Papier gebracht. Die Palette ihrer Beobachtungen reicht da-bei vom Bordleben über interessante Landausflüge bis hin zur Schönheit des Mee-res. Das Buch bietet eine nautische tour d'horizon durch die Reise- und Weltliteratur – und ist eine Schatzkiste für Kreuzfahrtpassagiere, Shiplover und Literaturfans. Der Titel ist als reflowable ebook erschienen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 140

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Charles Dickens (1842)Der seekranke Atlantikpionier

William M. Thackeray (1844)Auf dem Basar der Eitelkeiten

Mark Twain (1867)Pilgerreise ins Heilige Land

Robert Louis Stevenson (1879)Im Zwischendeck in die Neue Welt

Arthur Conan Doyle (1880)Das Arktisabenteuer des Doktor Watson

Jules Verne (1881)Yachtausflug durch Schleswig-Holstein

Harry Graf Kessler (1892)Ein Schöngeist auf Weltreise

Herman Bang (1912)Letzte Sturmfahrt auf dem großen Kahn

Gorch Fock (1913)Nordlandreise mit Lohengrin

Egon Erwin Kisch (1914)Der rasende Reporter im Kesselraum

Thomas Mann (1934)Meerfahrt mit Katia

Egon Erwin Kisch (1934)Hechtsprung nach Australien

Jean Cocteau (1936)Weltenbummel in 80 Tagen

Ernst Jünger (1965)In Sturmgewittern

Cees Noteboom (2005)Dichterreise rund um Kap Hoorn

Karsten Eichner

ICH LIEBE DAS MEERWIE MEINE SEELE

Berühmte Schriftsteller und ihre Seereisen

Koehlers VerlagsgesellschaftHamburg

Bildnachweis

Umschlag: Internationales Maritimes Museum, Michael Zapf; alle Autorenabbildungen: wikipedia, gemeinfrei; Karte: Konrad Algermissen

Seite 2: Dampfschiff DEUTSCHLAND, wikipedia

Seite 12: Modifizierte Abbildung aus Helmut Cauer, Fernweh auf Schiffsplakaten, Koehlers Verlagsgesellschaft, 2006

Ein Gesamtverzeichnis der lieferbaren Titel schicken wir Ihnen gerne zu.

Bitte senden Sie eine E-Mail mit Ihrer Adresse an:

[email protected]

Sie finden uns auch im Internet unter: www.koehler-books.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-7822-1220-5

eISBN 978-3-7822-1186-4

Koehlers Verlagsgesellschaft, Hamburg

© 2015 by Maximilian Verlag, Hamburg

Ein Unternehmen der Tamm Media

Alle Rechte vorbehalten.

Covergestaltung: Peter Plasberg

Layout: Inge Mellenthin

Inhalt

Vorwort

An BordEine kleine Geschichte der Seereise

Charles Dickens (1842)Der seekranke Atlantikpionier

William M. Thackeray (1844)Auf dem Basar der Eitelkeiten

Mark Twain (1867)Pilgerreise ins Heilige Land

Robert Louis Stevenson (1879)Im Zwischendeck in die Neue Welt

Arthur Conan Doyle (1880)Das Arktisabenteuer des Doktor Watson

Jules Verne (1881)Yachtausflug durch Schleswig-Holstein

Harry Graf Kessler (1892)Ein Schöngeist auf Weltreise

Herman Bang (1912)Letzte Sturmfahrt auf dem großen Kahn

Gorch Fock (1913)Nordlandreise mit Lohengrin

Egon Erwin Kisch (1914)Der rasende Reporter im Kesselraum

Thomas Mann (1934)Meerfahrt mit Katia

Egon Erwin Kisch (1934)Hechtsprung nach Australien

Jean Cocteau (1936)Weltenbummel in 80 Tagen

Ernst Jünger (1965)In Sturmgewittern

Cees Noteboom (2005)Dichterreise rund um Kap Hoorn

Nachwort

Literaturverzeichnis

 

Zur Erinnerung an

Hans Eichner(1902–1977)

und seine Liebe zum Meer

Vorwort

Schifffahrtsgeschichte ist Weltgeschichte. Ohne das Schiff hätte es keinen Austausch über Kontinente hinweg gegeben, gäbe es keinen florierenden Welthandel. Schiffe haben die Entwicklung der menschlichen Zivilisation entscheidend geprägt und mehr als einmal auch beschleunigt. Mitunter haben maritime Ereignisse sogar dem Lauf der Geschichte eine neue Wendung gegeben – beispielsweise mit der Landung von Christoph Kolumbus in Amerika oder durch den Untergang der Spanischen Armada.

Schifffahrtsgeschichte ist aber auch Literaturgeschichte. Viele Schriftsteller haben Reisen auf See unternommen, haben die Schönheit und Faszination des Meeres ebenso wie seine rauen Seiten am eigenen Leibe erlebt. Manche überquerten die Ozeane eher widerwillig und aus purer Notwendigkeit wie etwa Charles Dickens, manche aber auch bewusst, gern und aus Muße wie Jules Verne, Jean Cocteau oder Ernst Jünger. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sie bunt und facettenreich über ihre maritimen Erlebnisse berichtet haben – ihre Reisebeschreibungen sind nicht weniger als ein faszinierendes Kaleidoskop aus zwei Jahrhunderten Schifffahrtsgeschichte. Man kann mit Fug und Recht behaupten: Die Seereise hat Literaturgeschichte geschrieben.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern dieses Buchs eine spannende literarische tour d’horizon durch die Welt- und Schifffahrtsgeschichte.

Hamburg, im September 2015

Prof. Peter Tamm

An Bord

Eine kleine Geschichte der Seereise

»Ich liebe das Meer wie meine Seele«: Dieses Zitat des Dichters Heinrich Heine anlässlich eines Norderney-Aufenthalts beschreibt treffend die tiefe Sehnsucht des Menschen nach der See – und steht damit exemplarisch für das, was viele von Heines Schriftstellerkollegen in den folgenden Jahrzehnten ganz ähnlich empfanden. Denn seit jeher übt das Meer eine ganz besondere Faszination auf die Menschen aus. Erst recht, seit eine Schiffsreise mit immer weniger Beschwerlichkeiten verbunden ist und sich der Fokus von einem reinen Personentransport immer mehr in Richtung Vergnügungsreise verschoben hat.

Schriftsteller aus den unterschiedlichsten Ländern haben diese Entwicklung mit begleitet – und ihre Beobachtungen mal in persönlichen Aufzeichnungen oder plastischen Briefen, mal in literarisch überhöhter Form zu Papier gebracht. Sie fuhren dabei in den Orient oder gleich um die ganze Welt, jagten Wale und Robben in der Arktis oder Käfer in Asien, erkundeten Fjorde und Weltstädte am Wasser. Sie besuchten ihre Sehnsuchtsorte, erfüllten sich Südseeträume oder brachen auf zu völlig neuen Ufern. Angefangen bei Charles Dickens, der 1842 eine der ersten fahrplanmäßigen Reisen per Dampfer über den Atlantik buchte (die ihm prompt durch einen veritablen Sturm verleidet wurde), bis hin zum zeitgenössischen Reiseschriftsteller Cees Nooteboom, der auf einem modernen Kreuzfahrtschiff bequem und gewissermaßen en passant das sagenumwobene Kap Hoorn umrundete und dabei noch genügend Muße fand, im Salon seine Erlebnisse an Bord niederzuschreiben. Andere wie Thomas Mann sezierten in bester Chirurgenmanier ihre Mitpassagiere und deren Verhalten an Bord, zeigten sich wie Herman Bang erschüttert angesichts der bedrohlichen Naturgewalten oder freuten sich wie Mark Twain nach anstrengenden Landausflügen auf die Rückkehr zum Schiff.

Dabei ist die Seereise in ihrer heutigen Form eine vergleichsweise junge Erscheinung. Erst die Dampfkraft macht es Anfang des 19. Jahrhunderts überhaupt möglich, nach einem verlässlichen Fahrplan und unabhängig von Wind und Strömungen die Meere zu befahren. Zu den Pionieren gehört beispielsweise die Cunard Line, die seit 1840 einen fahrplanmäßigen Post- und Passagierdienst von Europa nach Amerika etabliert. In der entgegengesetzten Himmelsrichtung erschließt die P&O Line den Seeverkehr bis nach Britisch-Indien. Der Schriftsteller und Journalist William Makepeace Thackeray kommt bei P&O in den Genuss einer der ersten Mittelmeer-Pressereisen, auch wenn sein Abenteuer von einer Kreuzfahrt im heutigen Sinn noch weit entfernt ist. Für seine Rundreise muss er mehrfach das Schiff wechseln – nämlich von einem fahrplan- und routengebundenen Liner zum nächsten.

Bequemer hat es da schon Mark Twain, dessen Reise Ende der 1860er-Jahre tatsächlich schon Züge einer modernen Kreuzfahrt trägt, auch wenn das Schiff extra für diese spezielle Reise gechartert ist. Immerhin: Der hölzerne Raddampfer folgt einer vorgegebenen Route zu verschiedenen touristischen Destinationen rund um das Mittelmeer, und der Schriftsteller genießt die Vorzüge der eigenen Kabine, in die er nach ausgedehnten und anstrengenden Landausflügen zurückkehren kann – ein winziges Stück Heimat mitten auf dem Wasser. Dennoch bleibt diese Reiseform vorerst eine kurzlebige Episode, und auch Anfang der 1890er-Jahre müssen sich schwerreiche Weltreisende wie der junge Harry Graf Kessler ihre einzelnen Teilstrecken rund um den Globus noch mühsam bei verschiedenen Reedereien zusammenstellen.

Aber etwa zur gleichen Zeit sind auch die Anfänge unserer heutigen Kreuzfahrtindustrie zu verorten: 1891 schickt der visionäre Hapag-Chef Albert Ballin den Liner AUGUSTA VICTORIA erstmals zu einer »Vergnügungsreise« in Richtung Mittelmeer, und die neue Art des Reisens findet rasch Anklang beim vermögenden Publikum. Jetzt stehen nicht mehr die reine Transportmöglichkeit und das pure Ankommen-Wollen im Vordergrund; vielmehr leistet man es sich nun, individuell und höchst komfortabel zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten befördert zu werden und so aufs Angenehmste seine Reiseeindrücke sammeln zu können. Ganz hoch im Kurs steht das Mittelmeer – seit jeher das bevorzugte Ziel jeder klassischen Grand Tour. Aber gerade für die deutschen Schiffspassagiere (die im Grunde jetzt keine »Passage« mehr von A nach B buchen, sondern eine touristische Rundreise absolvieren) entwickelt in den Sommermonaten auch die norwegische Fjordlandschaft hohe Anziehungskraft. Die jährlichen »Nordlandreisen« von Kaiser Wilhelm II. auf seiner Staatsyacht HOHENZOLLERN machen dieses Reiseziel bei seinen Untertanen höchst populär – auch der Schriftsteller Gorch Fock kommt 1913 in den Genuss einer Freipassage auf einem eigens dafür gebauten Hapag-Dampfer.

Ein anderer Wind weht derweil noch auf dem Nordatlantik: Hier prägt bis zum Ersten Weltkrieg die Massenauswanderung von Europa nach Amerika das Geschäft. Die Bedingungen auf dem Zwischendeck sind anfangs menschenunwürdig; selbst noch um 1880, als Robert Louis Stevenson eine Passage auf einem britischen Auswandererschiff bucht. Und auch als die Unterkünfte im Zwischendeck größer, sauberer und komfortabler werden und die Massenschlafsäle deutlich bequemeren Viererkabinen weichen, bleiben die Lebensbedingungen an Bord zumindest für eine Berufsklasse hart: die Heizer im Kesselraum. Egon Erwin Kisch, der »rasende Reporter« mit den feinen Antennen für soziale Missstände, hat ihnen ein beeindruckendes literarisches Denkmal gesetzt. Erst mit der Ölfeuerung, die sich nach dem Ersten Weltkrieg allmählich durchsetzt, verbessern sich die Arbeitsbedingungen unter Deck spürbar.

Etwa zur gleichen Zeit kommt auch eine neue Form der Seereise auf – die Weltreise. Erneut ist die Cunard Line Vorreiter und schickt 1923 mit der LACONIA ein Schiff rein zum Vergnügen der zahlungskräftigen Reisenden einmal rund um den Globus. Das exklusive Vergnügen ist wahrlich First Class, denn eine Klassentrennung wie auf den Linienreisen gibt es hier – wie auch bei anderen Kreuzfahrten – nicht, was sicherlich ebenfalls zum Reiz dieser Reiseform beiträgt. Manch umfunktionierter Liner fährt so in den notorisch schwachen Wintermonaten zwar mit leeren Dritte-Klasse-Kabinen, aber dennoch profitabel zu attraktiven Zielen und spült damit dringend benötigtes Geld in die Kassen seiner Reederei. Selbst berühmte Nordatlantikliner der 1930er-Jahre wie die französische NORMANDIE oder die deutsche COLUMBUS werden gelegentlich zu Fahrten in den sonnigen Süden beordert – etwa zum Karneval nach Rio, in die Karibik oder zu einer Tour rund um Afrika. Eine Weltreise auf einem einzigen Schiff bleibt dennoch weiterhin die Ausnahme. Selbst ein eleganter Weltenbummler wie Jean Cocteau muss Mitte der 1930er-Jahre auf seiner Reise rund um die Erde in 80 Tagen mehrfach Schiff und Reederei wechseln – wie schon mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor sein literarisches Vorbild Phileas Fogg.

Der Zweite Weltkrieg bedeutet auch für die internationale Schifffahrt eine Zäsur. Es dauert Jahre, bis der Verkehr auf dem Nordatlantik wieder das Vorkriegsniveau erreicht hat. Erneut sind die Auswanderer aus Europa ein erheblicher Wirtschaftsfaktor – diesmal vor allem auf der Südostasienroute in Richtung Australien. Egon Erwin Kisch hat eine dieser schier endlosen Fahrten durch die Hitze der Tropen bereits Jahre zuvor literarisch verewigt. In den 1950er-Jahren erlebt die internationale Passagierschifffahrt auf dem Atlantik dann einen letzten Höhepunkt, bevor das Flugzeug endgültig zum Massenverkehrsmittel Nummer eins wird. Die Reise des »Jahrhundertschriftstellers« Ernst Jünger im Jahr 1965 nach Japan mit einem kombinierten Fracht- und Passagierschiff ist im Grunde schon der Abgesang an eine ganze Ära. Denn gleichzeitig beginnt überall das große Liner-Sterben; Mitte der 1970er-Jahre ziehen sich fast alle Reedereien aus dem unrentabel gewordenen Liniendienst zurück. Nur die QUEEN ELIZABETH 2 pendelt noch einsam streng nach Fahrplan zwischen Alter und Neuer Welt – doch im Winterhalbjahr unternimmt auch sie exklusive Kreuzfahrten.

Wiederum dauert es Jahre, bis ein erneuter Seereiseboom einsetzt. Noch in den 1980er- und 1990er-Jahren gilt in Deutschland eine Kreuzfahrt als elitäre Urlaubsform für Reiche, als ein Nischenmarkt im internationalen Reisegeschäft. Dies ändert sich erst mit neuen Anbietern wie AIDA und TUI Cruises, die Seereisen auch für ein breites Publikum attraktiv machen. Die USA sind da schon weiter – hier gelten »Fun Cruises« von Florida in Richtung Karibik seit vielen Jahren als erschwingliches Vergnügen für jedermann. Mit ihrem schier unerschöpflichen Freizeitangebot sind es dort immer häufiger die Schiffe selbst und nicht so sehr die angelaufenen Häfen, die für viele den Reiz einer solchen Kurzreise ausmachen. Blickt man heute auf den internationalen Seereisemarkt, ist das Angebot äußerst vielfältig: Von der Expeditionskreuzfahrt in die Antarktis bis zur Golfreise auf dem Mittelmeer, vom kleinen Segelschiff bis zum 4.000 Passagiere fassenden Mega-Cruiser ist für jeden Geschmack und Geldbeutel etwas dabei. Und so mancher Kreuzfahrtpassagier wird vielleicht beim Anblick des abendlichen Sonnenuntergangs weit draußen auf See ganz ähnlich wie Heinrich Heine empfinden: »Ich liebe das Meer wie meine Seele.«

Charles Dickens – 1842

Der seekranke Atlantikpionier

Der berühmte Autor ist enttäuscht und wütend: Nein, so hat er sich seine Reise in die Neue Welt nicht vorgestellt. Hatten die schönen, künstlerischen Lithografien im Büro des Schifffahrtsagenten nicht geräumige Luxuskabinen versprochen? Bequeme Aufenthaltsräume mit allem Komfort? Und nun dies: Gesellschaftsräume, die den Namen kaum verdienen. Der Speisesaal klein, mit langen Tischen und wenig Ellbogenfreiheit. Die Kabine ein winziges Kämmerlein mit Bullauge, Waschtisch und Doppelstockbetten – eben »eine schrecklich unpraktische, ganz und gar hoffnungslose und zutiefst lächerliche Schachtel«, wie der verwöhnte Erfolgsautor des »Oliver Twist« beleidigt moniert. Charles Dickens notiert später auch, er habe zunächst an einen Scherz des Kapitäns geglaubt, der ihm nach diesem Schock dann die eigentliche, höchst bequeme Kabine zeigen würde. Aber nichts da, es bleibt bei dem kleinen Gelass, an dem ein Schildchen die Passage von »Charles Dickens, Esquire, and Lady« im Januar 1842 von Liverpool über Halifax nach Boston ankündigt.

Ganz so dramatisch, wie Charles Dickens (1812–1870) später in den ersten Kapiteln seiner »American Notes«, seines Reiseberichts aus Amerika, die erste Begegnung mit dem Cunard-Postdampfer beschreibt, dürfte sie sich freilich nicht abgespielt haben. Eher schon liegt es an den Umständen der Überfahrt, dass Dickens so gehörig über die ganze Reise, die zugleich seine erste Seereise überhaupt ist, herzieht. Denn vor allem der Zeitpunkt der Fahrt ist schlecht gewählt: Im Winter zeigt sich der Nordatlantik nun einmal gern von seiner extrem ungemütlichen Seite – so auch im Januar 1842. Der Erfolgsautor auf dem Weg zu einer Lesereise durch die USA wird prompt seekrank – und schreibt sich seinen Frust später von der Seele.

Wer Dickens’ Schilderung heute liest, kann sich eines Schmunzelns kaum erwehren. Teilweise tendenziös, mäkelig und missgelaunt, überzeichnet und durch und durch von gekränkter Eitelkeit geprägt erscheinen uns seine Zeilen heute. Doch trotz aller persönlichen Färbung gibt Dickens ein ungeschminktes Bild von den Strapazen der damaligen Reise – ein wertvolles Dokument für die Geschichte der Nordatlantik-Schifffahrt. Und was man bei aller Voreingenommenheit Dickens’ nicht vergessen sollte: Auf anderen Schiffen ist es kaum besser. Eine Atlantiküberquerung Mitte des 19. Jahrhunderts ist keine Lustreise. Erst in den folgenden Jahrzehnten setzen sich allmählich Standards wie Dampfheizung, Gas- und später elektrisches Licht, fließendes Wasser und Wannenbäder durch – Dickens muss 1842 auf solche Annehmlichkeiten noch verzichten.

An den technischen Leistungen des Schiffs kann der Ärger Dickens’ aber kaum gelegen haben. Denn die BRITANNIA ist die Quintessenz des technisch Machbaren ihrer Zeit: ein eleganter hölzerner Raddampfer von 63 Meter Länge und zehn Meter Breite mit langem Bugspriet, drei großen Masten, einem dünnen, rot-schwarzen Schornstein und Kabinen für maximal 115 Passagiere. Mit einer Reisegeschwindigkeit von neun Knoten gehört die 1840 in Dienst gestellte BRITANNIA seinerzeit zu den schnellsten Transportmitteln über den Atlantik. Gut 14 Tage dauert die planmäßige Überfahrt – Segelschiffe benötigen für die gleiche Strecke deutlich länger, bei widrigen Umständen sogar manchmal etliche Wochen. Der kanadisch-britische Unternehmer Samuel Cunard garantiert hingegen mit vier Schiffen (neben der BRITANNIA die fast baugleichen ARCADIA, CALEDONIA und COLUMBIA) einen fahrplanmäßigen Transatlantikdienst mit festen Abfahrtzeiten – Grundlage dafür, von der britischen Admiralität das lukrative Geschäft der Postbeförderung nach Kanada und den USA übertragen zu bekommen.

Zudem ist die Passage auf dem Cunard-Schiff – wie sich auch in der Folgezeit zeigen soll – ein höchst sicherer Weg über den Ozean. Während etliche Segler und so mancher spätere Konkurrenz-Dampfer in den Weiten des Nordatlantiks dramatisch untergehen oder spurlos verschollen bleiben, setzt der Reeder bei seiner wachsenden Postdampferflotte von Anfang an auf Sicherheit und Zuverlässigkeit. Der auch heute noch von der Reederei gern zitierte Satz »Cunard never lost a life« soll so in späteren Jahren zum beinahe unbezahlbaren Werbeslogan werden.

Eine Sicherheit, die allerdings mit einigen Komforteinbußen erkauft wird – und die Dickens auch prompt aufs Korn nimmt. Wie eine »Giraffe im Blumentopf« empfindet er die Enge im Schiff – nicht einmal für das standesgemäße Gepäck ist ausreichend Platz. Kein Wunder, immerhin beansprucht allein die Dampfmaschine, eine höchst solide Konstruktion des berühmten Robert Napier aus Glasgow, rund ein Drittel der Schiffslänge. Und zwar genau in der Schiffsmitte, die in stürmischer See normalerweise den vergleichsweise angenehmsten Aufenthaltsort bieten würde. Doch der Passagierbereich liegt hinter der Maschine im Heck. Zuoberst kommen die Pantry und der Salon, der zugleich als Speisesaal dient. Hier sitzen die Passagiere zusammen mit Kapitän und Schiffsarzt auf Bänken an zwei langen Tischen. Dann, eine Treppe tiefer, kommen die Kabinen und ein kleiner Aufenthaltsraum für die Damen.

Auch der Speisesaal findet nicht die Zustimmung Dickens’: »Ehe wir in die Räume des Schiffes hinabstiegen, mussten wir von Deck her durch ein langgestrecktes, schmales Gelass, nicht unähnlich dem Inneren eines gigantischen Leichenwagens, aber mit Fenstern, an dessen oberem Ende ein trostloser Ofen stand, woran sich drei oder vier fröstelnde Stewards die Hände wärmten.« Dickens zieht es daher vor, seiner Frau im Damensalon Gesellschaft zu leisten. Auch am angeblich einfallslosen Essen mäkelt der Dichter herum – dabei sorgt sogar eine lebendige Kuh, die in einem Verschlag mitgeführt wird, für frische Milch, und mehrere Hühner liefern Nachschub an Eiern. Dickens aber hält sich dann doch lieber am reichlich vorhandenen Rotwein und Brandy schadlos ...