Ihr kriegt mich nicht klein! - Ulrike Schramm-de Robertis - E-Book

Ihr kriegt mich nicht klein! E-Book

Ulrike Schramm-de Robertis

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Beschreibung

Eine Frau, die Nein sagtEin Buch, das Mut macht Ulrike Schramm-de Robertis arbeitet schon immer im Einzelhandel. Bei KiK, Plus und Lidl erlebte sie schlechte Arbeitsbedingungen, Leistungsdruck und autoritäre Vorgesetzte. Doch alles wollte sich die Mutter von fünf Kindern nicht gefallen lassen. Sie hat sich gewehrt – mit Erfolg. Heute ist sie eine von weniger als zehn Betriebsräten in den über 3000 Lidl-Filialen in Deutschland. In diesem Buch erzählt sie ihre Geschichte. Hauptsache billig – dieses Motto von Lidl und anderen Discountern gilt nicht nur für die Produkte, sondern auch für den Umgang mit ihren Mitarbeitern. Unbezahlte Überstunden, ungeheurer Arbeitsdruck und Willkür von Vorgesetzten gehören zum Alltag. Setzen sich Beschäftigte dagegen zur Wehr – zum Beispiel durch die Gründung von Betriebsräten –, ist systematische Einschüchterung bis hin zu Psychoterror die Reaktion. Dies musste auch Ulrike Schramm-de Robertis erleben, als sie in einer süddeutschen Lidl-Filiale die Wahl einer Beschäftigtenvertretung initiierte. Doch sie blieb standhaft. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen setzte Schramm-de Robertis sich schließlich durch.Dieses Buch soll Mut machen. Es zeigt, dass eine einfache Angestellte gegen einen scheinbar allmächtigen Großkonzern bestehen kann. Dabei will sie nichts anderes als ihr Recht – das Recht auf faire Arbeitsbedingungen, freie Meinungsäußerung und die Wahl eines Betriebsrats. In ihrem Buch schildert sie ihre Erlebnisse als Beschäftigte eines Konzerns, der in der Öffentlichkeit wie kaum ein zweiter mit Skandalen und Ausbeutung assoziiert wird. Es ist ein Plädoyer, nicht alles widerstandslos hinzunehmen.

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Seitenzahl: 235

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Für meine Mutter, von der ich das Kämpfen gelernt habe unddie sich so auf das Erscheinen des Buchs gefreut hat.

Leider konnte sie es nicht mehr erleben.In Liebe und ewiger Erinnerung.

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Inhalt

Vorbemerkung

Geleitwortvon Frank Bsirske, ver.di-Vorsitzender

1 Filialbesuch

2 Traumberuf Verkäuferin

3 Der Fehlschlag

4 Auf nach Spanien!

5 Neuer Discounter, alte Probleme

6 Stress mit System

7 Ersetzt

8 Das Eis bricht

9 Ein Grundrecht

10 Die Wahl

11 Schnaps statt Lidl

12 Psychoterror

13 Aufbauhilfe

14 Skandale ohne Ende

15 Lernt Lidl?

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Vorbemerkung

Wir haben versucht, alle Ereignisse möglichst genau und authentisch darzustellen. Die Dialoge geben zwar womöglich nicht in jedem Fall wortgetreu, aber immer sinngemäß das tatsächlich Geschehene wieder. Sämtliche Namen – außer die einiger Prominenter, des ver.di-Sekretärs Hilmar Müller, des Journalisten Günter Wallraff und natürlich mein eigener – sind frei erfunden. Zudem sind einige Ortsnamen aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes abgekürzt.

Ich möchte betonen, dass es mir mit diesem Buch nicht um eine persönliche Abrechnung mit einzelnen Unternehmen oder Personen geht. Ich will vielmehr zeigen, dass es allen Ängsten und Widerständen zum Trotz möglich ist, sich gegen menschenunwürdige Arbeitsbedingungen – die nicht nur bei Discountern, sondern auch in vielen anderen Unternehmen vorherrschen – zur Wehr zu setzen. Ich will Menschen ermutigen, sich gemeinsam mit anderen für ihre Rechte einzusetzen. Denn die Würde des Menschen muss unantastbar sein.

Unser Dank gilt Frank Bsirske für seinen Beitrag zu diesem Buch. Günter Wallraff danken wir dafür, dass er uns stets mit Rat und Tat zur Seite stand. Dank schulden wir Hilmar Müller, ohne den viele Details nicht mehr zu rekonstruieren gewesen wären. Wir danken Lutz Dursthoff, Stephanie Kratz, Ulla Brümmer und Gaby Callenberg vom Verlag Kiepenheuer & Witsch für die sehr angenehme Zusammenarbeit. Dem Rechtsanwalt Rüdiger Helm danken wir herzlich für die juristische Überprüfung des Manuskripts. Unser ganz besonderer Dank gilt Kathrin Hedtke, die das Ergebnis unserer Arbeit durch ihre geduldige, solidarische Kritik maßgeblich geprägt hat.

Ich danke meiner Familie, die in den vergangenen Jahren viel mitmachen musste und immer zu mir gehalten hat. Danke, Angelika – für alles!

Vor allem aber möchte ich mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen bedanken. Ohne euch gäbe es keinen Betriebsrat und kein Buch.

Ulrike Schramm-de Robertis

Daniel Behruzi

Bamberg/Frankfurt am Main, im Dezember 2009

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Geleitwort

Frank Bsirske, Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di

Die Arbeitsbedingungen im Handel sind hart. Besonders hart geht es bei bundesdeutschen Discountern wie Lidl zu. Das zeigt das Buch von Ulrike Schramm-de Robertis auf eindrucksvolle Weise. Es basiert auf langjährigen Erfahrungen: Ulrike hat viele Jahre bei Discountern gearbeitet, seit über acht Jahren ist sie Filialleiterin bei Lidl und eine der wenigen Betriebsrätinnen im Unternehmen.

Wegen der skandalösen Zustände beim zweitgrößten deutschen Lebensmitteldiscounter hatte ver.di bereits 2002 ein Lidl-Projekt für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Mitbestimmung initiiert. Im »Schwarzbuch Lidl«, das ver.di 2004 veröffentlichte, berichteten viele Beschäftigte über die miserablen Arbeitsbedingungen bei dem Discounter, über permanenten Arbeitsdruck, respektlose Behandlung durch Vorgesetzte, Drohungen, Kontrollen und unbegründete Kündigungen. Und noch etwas kam ans Tageslicht: Gewerkschaftsmitgliedschaft und Betriebsratswahlen waren bei Lidl regelrecht verpönt.

Anfang 2005 startete ver.di die »Lidl-Kampagne«. Mit zahlreichen Aktionen etwa zum Internationalen Frauentag, der regelmäßig erscheinenden Zeitung »Schwarz-Markt« und örtlichen Initiativen zur Unterstützung von Betriebsratswahlen bei Lidl gelang es, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die inakzeptablen Arbeitgeberpraktiken beim Lebensmitteldiscounter zu lenken. Das war auch dringend nötig, so etwa, als im Sommer 2005 die Betriebsratswahl in einer Münchener Lidl-Filiale vom Arbeitgeber ausgehebelt wurde. Oder als einige Zeit später einer der wenigen existierenden Betriebsräte im baden-württembergischen Calw im Zuge der Filialschließung beiläufig mit abgewickelt wurde.

Zwar verbesserte sich einiges durch die stärkere öffentliche Aufmerksamkeit und die Wachsamkeit von Gewerkschaften und – sofern es welche gab – Betriebsräten: Überstunden wurden genauer notiert und vergütet. Zeitweise änderte sich auch das Arbeitsklima in manchen Filialen. Und das Unternehmen suchte erstmals in seiner Geschichte die Öffentlichkeit, stellte gar einen Pressesprecher ein, der »gut Wetter« für Lidl machen sollte.

Grundsätzlich änderte das alles jedoch wenig. Im Sommer 2006 legte eine Autorengruppe im Auftrag von ver.di das »Schwarzbuch Lidl Europa« vor. Was hier zwischen Spanien und Polen, Italien und Irland recherchiert und dokumentiert wurde, zeigte, dass die Unternehmensgruppe Schwarz ihre Discounterfilialen in ganz Europa nach denselben Prinzipien betrieb: wenig Personal, extrem verdichtete Arbeit, ständige Kontrollen durch Vorgesetzte und die Verweigerung jeglicher betrieblicher Mitbestimmung.

Immer mehr Menschen in der Gewerkschaft, aber auch außerhalb engagierten sich für die Einhaltung von Arbeitnehmerrechten bei Lidl. Unterstützerteams entstanden, die als Filialbegleiter/innen Beschäftigte bei Lidl über ihre Möglichkeiten informierten, Betriebsräte zu wählen und damit selbst aktiv für bessere Arbeitsbedingungen zu werden. In mehreren Lidl-Filialen konnten Betriebsräte gewählt werden.

Das sind wichtige Fortschritte – aber das ist nicht genug. Denn Lidl verstößt weiterhin systematisch gegen geltendes Recht. Schon in den beiden Schwarzbüchern hatten die Autoren aufgedeckt, dass in Lidl-Filialen Beschäftigte mit versteckt angebrachten Videokameras überwacht wurden. Für diese Praktiken hatte Lidl-Gründer Dieter Schwarz bereits 2004 den »Big Brother Award« erhalten.

Es kam aber noch schlimmer: Durch eine Veröffentlichung im stern wurde 2007 bekannt, dass in vielen Lidl-Filialen jahrelang nicht nur die illegale Videoüberwachung, sondern auch die Ausforschung durch Detektive gang und gäbe war. Unter dem öffentlichen Druck sagte das Unternehmen ein neues, gesetzeskonformes Überwachungskonzept zur Diebstahlprävention zu.

Doch auch dieses Mal zeigte sich: Die Unternehmensspitze bei Lidl gibt immer gerade so viel zu, wie ohnehin schon bekannt ist, und gelobt so viel Besserung, wie nötig ist, um den Imageschaden in Grenzen zu halten. Erst unlängst, im Frühjahr 2009, wurde bekannt, dass noch lange nach dem öffentlichen Skandal um die Bespitzelungen illegal Krankendaten von Beschäftigten gesammelt wurden. Nur dank einer Nachlässigkeit, weil solche Datenblätter in einer Abfalltonne gefunden wurden, kam diese neueste Lidl-Affäre ans Licht.

Das alles macht deutlich: Klare Regelungen, die solche Unternehmenspraktiken unterbinden, sind überfällig. Es darf einem Unternehmen nicht möglich sein, gesetzlich garantierte Mitbestimmungsrechte auszuhebeln. Ebenso wenig kann hingenommen werden, dass entgegen geltendem Recht Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kontrolliert, überwacht und bespitzelt werden.

»Lidl lohnt sich« – mit diesem Slogan wirbt das Unternehmen. Für wen gilt das eigentlich? Sicher nicht für die geringfügig Beschäftigten, die oft auf Abruf arbeiten und in ihrer Filiale zwischen Kasse, Warenverräumung und Putzdiensten hin und her hetzen. Sicher nicht für die Arbeiterinnen in Bangladesch, die auch für Lidl billige Kleidung als Aktionsware schneidern. Lidl lohnt sich – in erster Linie für diejenigen, die den großen Anteil am Milliarden-Umsatz-Kuchen für sich vereinnahmen. Lidl-Gründer Dieter Schwarz gehört heute immerhin zu den reichsten Bundesbürgern.

Wie das System Lidl viele Jahre funktionierte, was für menschenverachtende, gesetzeswidrige Praktiken dort an der Tagesordnung waren, wie versucht wurde, Menschen, die sich dagegen wehren, kleinzukriegen und kaltzustellen, beschreibt der Erfahrungsbericht von Ulrike Schramm-de Robertis äußerst einprägsam.

Den Beschäftigten bei Lidl geht es um etwas ganz Einfaches: Sie wollen gute Arbeit unter guten, menschenwürdigen Arbeitsbedingungen leisten. Wie Ulrike geht es den meisten Verkäuferinnen: Sie lieben ihren Beruf, sie sind aus Überzeugung im Verkauf tätig. Aber sie verlangen dafür Respekt, Anerkennung und das Recht auf Mitbestimmung im Betrieb. ver.di wird nicht locker lassen, anständige und faire Arbeitsbedingungen auch bei Lidl, Aldi, Schlecker und Co. einzufordern und durchzusetzen. Die Würde des Menschen ist unantastbar.

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1Filialbesuch

Der Bezirksleiter Schulz eilt im Geschäft mit ernstem Blick auf mich zu. »Frau Schramm, eine Filialbegehung steht an«, ruft er aufgeregt. »Was bedeutet das genau?«, frage ich. Seit etwa anderthalb Jahren leite ich die Filiale des Textildiscounters KiK in H. Schulz erklärt: »Nächste Woche kommen die Leute vom Ein- und Verkauf, von der Dispo und so weiter.« Auch der Geschäftsführer sei dabei. »Die Filiale muss tipptopp ausschauen«, sagt Schulz in strengem Ton.

Die folgende Woche ist für mich und meine Stellvertreterin Martina Stress pur. Alles muss geordnet werden: rote T-Shirts zu roten T-Shirts, schwarze Jacken zu schwarzen Jacken. Sämtliche Kleidungsstücke werden akkurat gefaltet und in Regale gelegt oder einzeln auf Bügel gehängt. Das Problem: Das Geschäft ist in dieser Zeit nicht geschlossen. Jeden Tag laufen bis zu 400 Kunden durch den Laden und bringen alles wieder durcheinander. Sie hängen die Kleidung sonst wohin, durchstöbern die Ablagen mit Socken oder Unterwäsche, sodass es in kürzester Zeit aussieht wie auf einem Wühltisch. Wir laufen ständig hinterher und bringen alles wieder in Ordnung. Auch der Fliesenboden ist eine Herausforderung. Jeden Tag vor Feierabend müssen wir mit einfachen Reinigungsgeräten 600 Quadratmeter reinigen – und das bei den vielen Flusen, die von der Kleidung fallen.

Geöffnet ist ab 9 Uhr. Doch in den letzten drei Tagen vor der Begehung sind wir von 7 Uhr früh bis spätnachts im Laden. Schließlich kann die normale Arbeit nicht liegen bleiben. Weiterhin wird ständig neue Ware angeliefert. Jede Hose, jeder Pullover, jedes T-Shirt muss ausgepackt und auf Bügel gehängt werden – das kostet Zeit. Am Ende wissen wir nicht mehr, wo uns der Kopf steht. Mit dem vorhandenen Personal ist die zusätzliche Arbeit nicht zu bewältigen. Und von den Aushilfen oder meinem Handelsassistenten kann ich schlecht verlangen, dass sie zwölf Stunden oder noch länger arbeiten. Also bleibt alles an Martina und mir hängen. Gut, dass mein Mann zu Hause auf die Kinder aufpasst, sonst ginge das gar nicht.

Das größte Problem ist der fehlende Platz. Denn KiK hat kein Lager. Alles, was angeliefert wird, muss im Verkaufsraum untergebracht werden. Just zwei Tage vor der Begehung dann die Katastrophe: Wir bekommen eine Palette mit mehr als hundert Kartons mit T-Shirts, Unterwäsche usw. zu viel geliefert. Wohin damit? Die Kartons einfach in den Aufenthaltsraum stellen? Geht nicht, der Chef wird sich sicher nicht nur den Verkaufsraum ansehen. Also müssen wir auch diese Sachen noch in die Regale einsortieren. Um Platz dafür zu schaffen, müssen wir wieder alles umräumen.

Wir arbeiten und arbeiten. Um 3 Uhr nachts geht es einfach nicht mehr. »Wir können ja bei mir übernachten«, schlägt Martina vor, die im Gegensatz zu mir im Ort wohnt.

»Martina, das lohnt sich doch gar nicht. Wir können ohnehin maximal zwei, drei Stunden schlafen, dann müssen wir weitermachen, sonst schaffen wir es nicht.«

Ich habe zum Glück noch ein paar Decken im Auto, die holen wir. Im Aufenthaltsraum breiten wir zerrissene Kartons auf dem Fußboden aus und legen uns darauf, eine Decke unter dem Kopf, eine zum Zudecken. Ich schlafe schlecht. Um 6 Uhr stehen wir wieder auf und holen uns beim Bäcker einen Kaffee. Dann geht es wieder an die Arbeit.

Einige Stunden später erscheint der Bezirksleiter. Er ist begeistert, als er den blitzblanken Laden sieht: »Super habt ihr das gemacht. Das sieht hier ja aus wie bei der Neueröffnung.« Dass wir in der Nacht im Laden übernachtet haben, sagen wir ihm nicht. »Ist gestern denn noch Ware gekommen?«, fragt er. »Ja, aber das haben wir alles schon weggeräumt«, sage ich. Schulz ist sichtlich beeindruckt. Mir geht das runter wie Öl.

Am Abend vor der Filialbegehung kommen gegen 18 Uhr zwei elegant gekleidete junge Männer herein. Das können keine normalen Kunden sein, solche Leute kaufen nicht bei KiK ein, denke ich. Die beiden gehen schnurstracks an uns vorbei in die Kinderabteilung, wo sie anfangen, Jeanshosen von einem Kleiderständer zu reißen. Das gibt es doch nicht, man kann sich ja wohl zumindest vorstellen, denke ich. Schließlich bin ich hier die Filialleitung. Ich gehe also hin und sage: »Grüß Gott, ich gehe davon aus, dass Sie von der Firma KiK sind?«

»O ja, ja, grüß Gott. Sie sind die Filialleiterin? Wir haben keine Zeit«, sagt einer von ihnen, der braun gebrannt, mit modisch hochgegelten Haaren vor mir steht.

»Sie könnten sich zumindest mal vorstellen, wenn Sie hier reinkommen. Wir kennen uns schließlich nicht.« Ich bin völlig übermüdet, mein Ton ist entsprechend gereizt.

»Wir sind vom Einkauf und haben neue Ware mitgebracht, die wir der Geschäftsführung präsentieren wollen«, erklärt der eine, während er wahllos Kleidungsstücke über nebenstehende Ständer wirft. Und im Befehlston ergänzt: »Räumen Sie das weg.«

Die beiden packen Sweatshirts und Hosen aus Kartons und hängen sie auf den frei gemachten Rundständer, sodass die neuen Waren ansehnlich präsentiert sind. Dann marschieren sie in die Damenabteilung und machen dort weiter. Innerhalb von einer halben Stunde machen sie so unsere tagelange Arbeit zunichte.

»Martina, was machen wir denn jetzt? Wo tun wir bloß die Hosen hin?«, frage ich meine Kollegin verzweifelt. »Sollen wir sie aus dem Fenster oder ins Klo werfen, oder was?« Wir haben schließlich überhaupt keinen Platz mehr. Die einzige Lagerfläche ist ein entlang der Wände in etwa zweieinhalb Metern Höhe angebrachtes Regalbord, auf dem rote Körbe mit Nachfüllware stehen. Aber auch hier ist alles voll. »Ach, Chefin, wir stellen die Körbe einfach quer, sodass wir mehr reinkriegen«, schlägt Martina vor. Das ist tatsächlich die einzige Möglichkeit, auch wenn die Körbe dann überstehen.

Es ist mittlerweile 19.30 Uhr. Martina steht auf einer Leiter, ich gebe ihr die Körbe mit den überzähligen Waren an und schimpfe: »Was hier abgeht, ist doch unmöglich. Man rödelt tagelang rum, und dann kommen einfach welche, stellen sich nicht einmal vor und machen unsere Arbeit innerhalb von einer halben Stunde zunichte.« Martina nickt zustimmend, während sie die Körbe verrückt. »Aber das interessiert die einfach nicht. Das geht denen am Arsch vorbei. Und so ein arrogantes Auftreten, als wären wir der letzte Dreck. Nur weil sie Schlipsträger sind, oder was? Wer bringt denn den Umsatz, das sind ja wohl nicht die, sondern wir. Wenn man so behandelt wird, wundert es mich nicht, dass KiK keine guten Leute findet oder die bald wieder kündigen. Und die Bezahlung passt auch nicht.«

Martina schimpft kräftig mit. Es sind ohnehin kaum noch Kunden in der Filiale, so kurz vor Ladenschluss. Nur einer steht etwa drei Meter entfernt von mir und wühlt in einer Sockenkiste. Er ist ungefähr in meinem Alter, so Mitte 30, trägt einen Jogginganzug und hat eine Mütze auf. Der Mann ist durchtrainiert und braun gebrannt. Der kommt wohl gerade aus dem Urlaub – meiner ist auch schon wieder viel zu lange her, schießt es mir durch den Kopf. Er lächelt nett und nickt mir ermutigend zu. Ich beziehe ihn ins Gespräch mit ein: »Normalerweise bin ich ja nicht so, aber irgendwann reicht es einem auch.« Martina steigt wieder ein: »Ich hab auch die Schnauze voll. Komm, Chefin, wir hören hier auf und suchen uns eine andere Arbeit. Was Besseres als hier finden wir allemal. Denn an uns kann es nicht liegen: Unser Umsatz passt, die Kunden sind zufrieden – wir finden bestimmt überall was.« Der Mann nickt uns zu und lächelt, sagt aber nichts. Ich unterhalte mich weiter mit meiner Kollegin: »Martina, eins sag ich dir: Ich kenne diesen Herrn Geschäftsführer ja nicht. Aber wenn der morgen kommt und nur ein Wort darüber verliert, dass das jetzt nicht so passt oder dass die Körbe da oben überstehen, dann nehme ich ’ne Knarre und puste den weg. Ich hab nichts mehr zu verlieren, ist mir so was von egal.«

Später denke ich mir: Na, das war vielleicht nicht so gut, so etwas zu sagen, wenn noch ein Kunde im Laden ist. Dann aber: Macht jetzt auch nichts mehr. Für mich steht an diesem Tag fest: Ich werde kündigen. Wir arbeiten wie die Tiere, bekommen die Überstunden nicht bezahlt, und dann kommen auch noch irgendwelche Manager, die den ganzen Laden wieder durcheinanderbringen. Am meisten hat mich gekränkt, dass sie reingekommen sind – und sich nicht einmal vorgestellt haben. So etwas verbietet der Anstand. Schon im Kindergarten lernt man, dass man »Guten Tag, Grüß Gott, Auf Wiedersehen« sagt. Aber die Herren haben das einfach nicht für nötig befunden. Die zeigen damit, dass sie sich für etwas Besseres halten.

Wie immer nach Geschäftsschluss machen wir an diesem Abend die Kassenabrechnung. Während wir das Geld zählen, klingelt das Telefon. Was ist denn jetzt noch, denke ich. Wir sind zu diesem Zeitpunkt schon völlig am Ende, wollen nur noch nach Hause und schlafen. Der Bezirksleiter Schulz ist am Apparat: »Frau Schramm, sitzen Sie?«

»Nein, ich stehe. Ich mache gerade die Abrechnung.«

»Die Geschäftsführung hat mich angerufen. Sie und Ihre Stellvertretung sollen morgen bei der Besprechung im Hotel Göller dabei sein.«

»Aha, ist in Ordnung.« Ich vermute nichts Schlimmes.

»Aber das ist ganz und gar ungewöhnlich, Frau Schramm. Ich habe hin und her überlegt, was da los ist. Haben Sie irgendwas gemacht?«

»Was sollen wir denn gemacht haben? Und überhaupt: Zu was bin ich denn da genau eingeladen?«

»Das müssen Sie sich so vorstellen: Bei diesem Treffen kommen die ganzen Kollegen vom Einkauf, vom Vertrieb, alle Verkaufsleiter der Region und der Geschäftsführer zusammen, um über die Verkaufszahlen zu sprechen und darüber, was verbessert werden könnte. Warum die Filialleitung bei so einem Meeting dazugeladen ist, kann ich mir überhaupt nicht erklären.«

»Also, wenn die meinen, dass wir dabei sein sollen, gehen wir halt hin. Warum auch nicht? Mir ist das inzwischen eh egal. Ich hatte nämlich gerade eine Begegnung mit zwei Herren, die mir den ganzen Laden durcheinandergebracht haben. Wir haben zwar versucht, das alles wieder so hinzubekommen, wie Sie es heute Morgen gesehen haben. Aber ich habe eigentlich genug von dem Ganzen hier.«

»Jetzt drehen Sie mal nicht durch, Frau Schramm. Der Laden hat doch gepasst. Ist doch alles in Ordnung.«

»Nein, ist es nicht. Und Martina reicht es auch. Für Sie machen wir das morgen noch, aber wir möchten Sie gleich schon mal informieren, dass wir uns was anderes suchen.«

»Sie sind jetzt wahrscheinlich auch ziemlich abgespannt. Ruhen Sie sich erst einmal aus, dann reden wir noch mal drüber.«

Am nächsten Morgen stehen Martina und ich um 7.30 Uhr in der Filiale. Wir putzen noch die Kassen, als eine halbe Stunde später auch schon der Bezirksleiter mit Frau Vollmer, seiner nächsten Vorgesetzten, vor der Tür steht. Sie nimmt mich sofort zur Seite. Die etwa 40-jährige Frau blickt nervös hin und her, schaut mir aber nicht in die Augen. Sie fragt: »Was war denn gestern los bei Ihnen?« Auch sie wundert sich, dass ich an dem Treffen teilnehmen soll. Ich bin langsam genervt: »Ich weiß auch nicht, warum. Aber wieso machen Sie denn so ein großes Ding daraus? Was ist denn daran so ungewöhnlich?« Schließlich nehme sogar der Chef des Konzerns daran teil, versucht Frau Vollmer zu erklären. Ich kann die ganze Aufregung nicht verstehen.

Kurz vor Ladenöffnung kommt ein Tross von Schlipsträgern zur Tür herein. Ich traue meinen Augen nicht: Inmitten von ihnen der gut aussehende, braun gebrannte Mann, der gestern im Jogginganzug neben der Sockenkiste stand. Mir wird schlagartig heiß. Das ist der Geschäftsführer! Sofort fällt mir ein, was ich gestern Abend alles von mir gegeben habe. Ausgerechnet der! Das kann doch nicht sein. Das darf nicht sein, denke ich. Ich möchte mich am liebsten in Luft auflösen, in einem Loch versinken. Doch er kommt geradewegs auf mich zu, gibt mir die Hand und sagt: »Zunächst möchte ich mich einmal vorstellen: Ich bin Herr Hinze.« Offenbar hat er meine Empörung darüber mitbekommen, dass die zwei Männer nicht gegrüßt haben. Ich stammele: »Ich bin Frau Schramm-de Robertis.«

Wir stehen an der Tür zum Aufenthaltsraum, die anderen verteilen sich im Laden, sodass sie unser Gespräch nicht mit anhören können. Mit einem vielsagenden Lächeln meint Herr Hinze: »Aber Ihre Knarre haben Sie nicht dabei, oder?«

»Es tut mir leid, ich habe gestern vielleicht ein bisschen übertrieben. Aber wissen Sie, ich bin einfach total am Ende, ich kann nicht mehr. Und meiner Kollegin geht es genauso.«

Sein Gesicht wird ernst. »Ich wundere mich ohnehin schon seit Langem, warum gute Kräfte, die ordentlichen Umsatz machen, auf einmal kündigen. Das ist nicht in unserem Interesse. Denn wir wollen ein Unternehmen aufbauen – und gutes Personal zu finden ist heutzutage nicht einfach.«

»Na, und bei der Bezahlung sowieso«, bricht es spontan aus mir raus. Ich verfluche mich erneut für mein loses Mundwerk.

Er sieht einen Moment verwirrt aus, spricht dann aber weiter: »Frau Schramm, Sie wissen ja, dass Sie heute Nachmittag eingeladen sind. Und ich möchte Sie bitten, alles zu sagen, was Sie gestern gesagt haben, und alles, was Ihnen sonst noch einfällt. Sie brauchen keine Angst zu haben, dass Ihnen irgendetwas deswegen passiert.«

Das Gespräch dauert nur wenige Minuten. Ich atme tief durch und gehe wieder meiner Arbeit nach. Die Anzugträger sind noch eine Stunde im Laden, dann verschwinden sie. Um 12 Uhr holt mich mein Bezirksleiter ab. Gemeinsam fahren wir zum Hotel. Zunächst sind alle zum Essen in der rustikalen »Frankenstube« eingeladen – ich auch. Mir wird ein Platz am Tisch des Geschäftsführers zugewiesen. Es gibt Weißwürste mit süßem Senf und Brezeln. Herr Hinze fragt mich, wie man sie in Bayern isst, und ich zeige ihm das »Zuzeln«. Er ist locker und sympathisch, irgendwie habe ich mir den Chef eines solch riesigen Unternehmens anders vorgestellt.

Nach dem Essen geht es nach oben in den Tagungsraum. Ich nehme zusammen mit Herrn Hinze an der Stirnseite des langen, u-förmigen Tisches Platz. Rechts und links sitzen die Verkaufsleiter, Einkäufer und anderen Manager. Alle schauen uns an. Der Geschäftsführer beginnt: »Ich habe Frau Schramm eingeladen. Sie ist Leiterin unserer Filiale in H. Zufällig habe ich gestern eine sehr interessante Unterhaltung mitbekommen. Frau Schramm, ich möchte Sie nun bitten, alles zu sagen, was Ihnen am Herzen liegt, wie Sie die Situation des Unternehmens und die Arbeitsbedingungen einschätzen.« An die anderen am Tisch gewandt, fügt er mit lauter und erboster Stimme hinzu: »Denn wir wollen schließlich aus Fehlern lernen. Das geht aber nur, wenn mir die Informationen auch mitgeteilt werden. Und das, was Frau Schramm gestern gesagt hat, habe ich bisher noch von niemandem erfahren. Das geht so nicht. Ich möchte nicht immer nur hören, dass alles super ist, sondern auch, wenn etwas nicht läuft und wenn es Kritik gibt.«

Ich fange also an zu reden. Am Anfang habe ich einen Kloß im Hals. Vor solchen Leuten zu sprechen bin ich schließlich nicht gewohnt. Nach einer Weile geht es besser. Ich erzähle, wie es tatsächlich ist. »Man ist zwölf Stunden in der Filiale und kann nicht mal Pause machen, manchmal hat man nicht mal die Zeit, auf Toilette zu gehen.« Und über die Bezahlung: »Wir arbeiten von morgens acht bis abends acht. Dafür bekommt man als Filialleiterin am Ende des Monats gerade mal 2000 D-Mark ausgezahlt. Wer macht denn das auf Dauer? Da mache ich doch lieber irgendeinen Idiotenjob in der Fabrik. Dann muss ich nicht nachdenken, bekomme aber jede Stunde bezahlt. Und wenn Feierabend ist, ist Feierabend. Als Filialleiterin bin ich dagegen den ganzen Tag angespannt. Ich möchte für diese Arbeit auch vernünftig bezahlt werden. Es kann schließlich nicht sein, dass ich nebenher noch putzen oder bedienen gehen muss, um meine Familie zu ernähren. Wann soll ich das auch machen? Am Sonntag?«

Ich spreche weiter: »Außerdem stört mich, dass ich keinen freien Tag mehr kriege, wenn ein Feiertag in der Woche ist. Ich bin mein ganzes Leben im Verkauf. Und da ist es normal, dass man einen Tag in der Woche frei bekommt, auch wenn es einen Feiertag gibt. Ich kann ja schließlich nichts dafür, wenn zum Beispiel Ostern ist. Ich habe dann ja trotzdem Dinge zu erledigen, Arztbesuche oder so.«

Langsam rede ich mich in Rage. Doch alles sage ich nicht. Meinen Bezirksleiter und die Verkaufsleiterin lasse ich zum Beispiel außen vor. Dabei sind sie es, die den Druck machen. Doch ich denke: Egal, was der Geschäftsführer sagt – wenn ich hier rausgehe, bin ich denen ausgeliefert. Zum Schluss sage ich: »So ist die Situation für die Beschäftigten. Hier hält es niemand lange aus. Ich frage Sie: Ist es gut für ein Unternehmen, wenn jede Woche in der Zeitung steht: ›Wir suchen motivierte Mitarbeiter‹? Da merkt doch jeder, dass irgendwas faul ist: Entweder stimmt das Geld nicht oder die Arbeitsbedingungen sind schlecht. Gerade wenn man ein Unternehmen aufbauen will, kann das doch nicht funktionieren.«

Ich rede eine gute halbe Stunde. Danach sagt Herr Hinze: »Frau Schramm, ich möchte mich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie alles so offen und frei von der Leber weg gesagt haben.« Und zu den anderen: »So, meine Damen und Herren. Was lernen wir jetzt daraus?« Alle sind mucksmäuschenstill. Keiner der Angesprochenen sagt ein Wort. Nach einigen Augenblicken spricht der Geschäftsführer weiter: »Lassen Sie sich das durch den Kopf gehen. Jetzt machen wir erst einmal eine Kaffeepause.« An den weiteren Gesprächen nehme ich nicht mehr teil.

Als ich aus dem Hotel komme, bin ich innerlich total aufgewühlt. Vor so vielen »hohen Tieren« habe ich noch nie geredet. Ich bin stolz, dass ich nicht gekniffen und ihnen reinen Wein eingeschenkt habe. Ob ich jetzt wohl Ärger kriege? Aber schließlich will ich ja ohnehin aufhören. Und vielleicht bewirkt es doch etwas. Dann der Gedanke: Warum habe ich eigentlich immer Angst gehabt, etwas zu sagen? Es geht doch – man muss sich nur trauen.

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2 Traumberuf Verkäuferin

Auch wenn ich über die Arbeitsbedingungen bei KiK schimpfe, ist Verkäuferin doch mein Traumberuf – etwas anderes kam für mich nie infrage. Schon als Kind habe ich am liebsten mit meinem Kaufladen gespielt. Vor allem die Streitgespräche mit meinen »Kunden« – zumeist waren das meine beiden älteren Brüder – haben mir Spaß gemacht, obwohl es meinen Geschwistern dabei vor allem um den Puffreis ging, der in den kleinen Schächtelchen steckte. »Du wirst einmal Verkäuferin. Du kannst den Leuten notfalls auch Scheiße in Stanniolpapier verkaufen«, hat mein Opa deshalb immer gesagt. Mein Vater war selbstständiger Installateur und verkaufte auch Zubehör. Deshalb kamen immer wieder Kunden zu uns nach Hause, und schon mit sieben Jahren habe ich ihnen ein Rohrstück, einen Siphon oder Ähnliches aus dem Keller geholt und das Geld dafür kassiert.

Nach dem Schulabschluss in meinem Heimatort Scheßlitz bei Bamberg ging ich mit 15 Jahren also auf die Suche nach einer Lehrstelle im Einzelhandel. Ich musste nicht viele Bewerbungen schreiben – damals gab es den Ausbildungsplatzmangel heutiger Tage nicht. Beim Kaufhaus Honer, einem 1842 gegründeten Familienunternehmen in Bamberg, hatte ich Erfolg. Hier lernte ich in einer zweijährigen Ausbildung den Verkauf von Töpfen, Pfannen, Besteck und anderen Haushaltswaren. Gleich zu Beginn meiner Lehre sprach mich Monika, eine Kollegin aus dem dritten Lehrjahr, an: »Wir sind hier alle in der Gewerkschaft. Das ist die Interessenvertretung der Arbeitnehmer. Du solltest auch Mitglied werden.« Ohne viel darüber nachzudenken, trat ich daraufhin der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) bei.

Gebraucht habe ich zu dieser Zeit allerdings weder die Gewerkschaft noch den Betriebsrat, der in dem Unternehmen ebenfalls eine Selbstverständlichkeit war. Die Arbeit machte Spaß, und der Kontakt zu den Chefs, vor allem zum Senior, war sehr gut. Eine Episode werde ich nie vergessen: Ich wollte mit meinem Freund zum ersten Mal mit dem Reisebus nach Spanien in Urlaub fahren. Am Sonnabend kaufte ich bei uns im Laden einen Koffer, am nächsten Tag sollte es losgehen. Doch dann vergaß ich meine Neuerwerbung im Geschäft. Was mache ich denn jetzt? Ich brauche den Koffer doch, dachte ich. Ich fasste mir ein Herz und rief den Seniorchef zu Hause an. Nach einigem Erklären und Flehen kam dieser tatsächlich zum Laden, sperrte auf und gab mir den Koffer. Welcher Geschäftsführer bei Karstadt, Kaufhof oder einem anderen Konzern würde so etwas heute machen?

Nach meiner Ausbildung arbeitete ich weiter als Aushilfe in der Haushaltswarenabteilung. Kurz darauf begann Annika hier ihre Lehre. Die kleine Frau mit den langen schwarzen Haaren war genauso quirlig und aktiv wie ich. Wir verstanden uns auf Anhieb. Die damals 15-Jährige musste schon früh alleine zurechtkommen. Ich unterstützte sie, so gut es ging. Innerhalb kürzester Zeit wurden wir die besten Freundinnen – bis heute. Als ich 18 Jahre alt war, wurde meine Tochter Sabrina geboren. Danach arbeitete ich nur noch samstags bei Honer. Später wollte ich wieder mehr arbeiten, weshalb ich zur Firma Hergenröder wechseln musste.

Auch in diesem Unternehmen, das seit 1820 Haushalts- und Eisenwaren verkauft und in dem die ganze Eigentümerfamilie mit anpackte, fühlte ich mich wohl. Bei Problemen konnte ich ohne Angst mit den Chefs sprechen. Wenn zum Beispiel mein Kind krank war, rief ich einfach bei ihnen zu Hause an – sie waren immer verständnisvoll. Selbstverständlich war ich deshalb selbst auch bereit einzuspringen, wenn es nötig war. Als ich 22 Jahre alt war, bekam ich Marco, mein zweites Kind. Vier Jahre später folgte Carina, kurz darauf Robert. Ich arbeitete in dieser Zeit halbtags, die Kinder waren während meiner Arbeitszeit bei der Tagesmutter oder im Kindergarten.