Im Namen des Königs - Alexander Kent - E-Book

Im Namen des Königs E-Book

Alexander Kent

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Beschreibung

Adam Bolitho auf Mission im Atlantik: In Freetown, an der Küste Westafrikas, soll er im Auftrag der Admiralität eine geheime Depesche übergeben. Aber noch bevor er mit seiner Fregatte Onward sein Ziel erreicht, stößt der Kapitän mit seiner Crew auf einen zerstörten Schoner. Niemand an Bord hat den Angriff auf das Schiff überlebt. Und auf seiner gefahrvollen Reise, die ihn immer weiter gen Süden führt, kommt Adam Bolitho einer ungeheuren Wahrheit auf die Spur …

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Das Buch

Das Jahr 1819 steht vor der Tür. Kapitän Adam Bolitho, der bei der Royal Navy längst schon in die Fußstapfen seines Onkels, des legendären Seehelden Sir Richard Bolitho, getreten ist, der 1815 als Admiral im Gefecht mit französischen Kriegsschiffen fiel, ist soeben von seiner gefahrvollen Mission in der Karibik in die Heimat zurückgekehrt. Doch seine Tage an Land, in denen er endlich auch mit seiner großen Liebe, der bezaubernden Lowenna, vor den Traualtar tritt, währen nur kurz. Die britische Admiralität in London überträgt ihm das Kommando über die ebenso schnelle wie kampfstarke Fregatte Onward und beordert ihn mit dringlichen Geheimbefehlen nach Freetown an der afrikanischen Westküste, der sogenannten Sklavenküste. Auf ihrem Kurs entdecken die Ausgucke der Onward in den Weiten des Atlantiks das hilflos im Wasser treibende Wrack der Moonstone, eines britischen Schoners. Bei der Durchsuchung des Schiffes stößt der junge Fähnrich Napier in den Tiefen des Rumpfes auf einen im Sterben liegenden Schwerverletzten, der ihm mit letzter Kraft noch den Namen Ballantyne und das Wort Meuterei zuzuflüstern vermag. Als Bolitho schließlich Freetown erreicht, wird er postwendend von Konteradmiral Langley zu dem neuen Siedlungsgebiet New Haven weitergeschickt, in dem der dubiose Gouverneur Ballantyne das Sagen hat. Adams erbitterter Kampf gegen die skrupellosen Sklavenhändler wie auch die Renegaten beginnt …   Das ist der sechste Band der Adam-Bolitho-Romane.

Der Autor

Alexander Kent kämpfte als Marineoffizier in der Schlacht um den Atlantik, im Mittelmeer und in der Normandie. Nach dem Zweiten Weltkrieg wandte er sich der Marinegeschichte zu und wurde mit seinen Romanserien um Richard Bolitho zum meistgelesenen Autor dieses Genres neben C. S. Forester. Seit 1958 sein erstes Buch erschien, hat er über fünfzig Romane veröffentlicht. Alexander Kent, dessen wirklicher Name Douglas Reeman lautet, wohnt heute in Surrey, England. Er ist Mitglied der Royal Navy Sailing Association. Die deutschsprachigen Taschenbuchausgaben der Werke von Alexander Kent sind exklusiv bei Ullstein versammelt.

Alexander Kent

Im Namen des Königs

Adam BolithosEinsatz im Atlantik

Roman

Aus dem Englischen vonWolfram und Helma Schürer

Ullstein

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ISBN 978-3-8437-0791-6

Deutsche Erstausgabe im Ullstein Taschenbuch 1. Auflage Juli 2013 © für die deutsche Ausgabe: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2013 Titel der Originalausgabe:ln the King’s Name (Century, London 2011) © Bolitho Maritime Productions 2011 Umschlaggestaltung: Buch und Werbung, Berlin Titelabbildung: Geoffrey Huband

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

eBook: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Für meinen Tiger mit all meiner Liebe

Inhalt

I

  

Wir und sie

II

  

Die Befehlskette

III

  

Die Zeugen

IV

  

Gefährliches Zusammentreffen

V

  

Flaggschiff

VI

  

»Schau nicht hinunter!«

VII

  

Keine Gnade

VIII

  

Kein Wettlauf

IX

  

Gerechtigkeit oder Rache

X

  

Klinge gegen Klinge

XI

  

Sonnenuntergang

XII

  

Stimme aus der Vergangenheit

XIII

  

Stolz und Neid

XIV

  

Überleben

XV

  

Suchen und vernichten

XVI

  

Kein Pardon

  

Epilog

IWir und sie

»Käpten, Sir?«

Die ruhig gesprochenen Worte wurden vom Knarren und Murmeln der Geräusche des Schiffes überlagert, aber Adam Bolitho war augenblicklich hellwach, falls es ihm gelungen war, überhaupt zu schlafen. Und wenn, dann nur kurz, drei Stunden maximal, seit er sich in den alten Lehnsessel hatte fallen lassen, um sich innerlich vorzubereiten und für die kommenden Aufgaben gerüstet zu sein.

Abgesehen von der kleinen brennenden Laterne war es noch dunkel in der großen Kajüte.

Bolitho blickte auf zu dem Gesicht über ihm. Die Hand des Fähnrichs, mit der er die Schulter seines Kommandanten berührt hatte, zuckte sofort zurück.

»Mit einer Empfehlung des Ersten Leutnants, Sir.« Er zögerte, als Füße auf dem Deck über ihnen einem Halt entgegenschlitterten, bis sie aufschlugen und eine Stimme eine Warnung schnauzte. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um einige der neu angeheuerten Männer, die noch nicht wussten, dass direkt unter dem Skylight sich die Kapitänskajüte befand.

Der Fähnrich unternahm einen erneuten Anlauf. »Sir, ich bin geschickt worden, weil die Morgenwache gemustert wird.«

Er blickte unverwandt seinen Kapitän an, als dieser seine Füße auf den Boden schwang und sich aufrecht hinsetzte.

»Danke.« Nunmehr vermochte Bolitho auch die Feuchtigkeit auf dem Rock des Fähnrichs zu erkennen, die das Laternenlicht reflektierte. »Regnet es noch?« Adam hatte nicht einmal seine Schuhe ausgezogen, als er sich nach unten begeben hatte, um mit seinen Gedanken allein zu sein. Er konnte die Onward spüren, die sich ständig unter und mit ihm leicht hin- und herbewegte. Noch lag sie in Plymouth, geschützt unter Land, aber nicht mehr lange. »Haben Sie sich schon an das Leben an Bord gewöhnt, Mister Radcliffe?«

Er spürte die Überraschung des Jungen, weil er sich an dessen Namen erinnerte; der Fähnrich war erst vor wenigen Tagen an Bord gekommen, und die Onward war sein erstes Schiff. Kleinigkeiten wie diese waren daher von Bedeutung, heute vor allem.

»Jawohl, Sir. Mister Huxley hat mir vieles etwas erleichtert.«

Radcliffe war der Ersatz für Deacon, den Oberfähnrich, der das Schiff verlassen hatte, um sich auf die Offiziersprüfung vorzubereiten, die über seine Zukunft entscheiden würde, jenen Schritt vom Fähnrichslogis zur Offiziersmesse und einer Karriere als Offizier des Königs. Über die grimmig aussehenden Vollkapitäne, aus denen üblicherweise jeder Prüfungsausschuss bestand, machten zwar alle ihre Witze und sparten nicht mit Spott – aber immer erst hinterher. Adam hatte dies nie vergessen, und das tat auch sonst keiner, der seine Sinne noch beisammenhatte.

Sie würden Deacon vermissen. Mit seiner scharfen und raschen Auffassungsgabe war er für den Signaldienst der Onward verantwortlich gewesen, die »Augen« des Schiffes. Adam erinnerte sich noch genau, wie es war, als die Onward ihre Annäherung an Gibraltar begann, oder an ihren Weg heimwärts aus dem Mittelmeer nach dem heftigen Zusammenstoß mit der abtrünnigen Fregatte Nautilus und deren Kaperung. Männer waren getötet worden, andere verwundet, und das Schiff trug noch immer die Narben als Erinnerungen. Und er erinnerte sich auch mit Stolz an jenen Morgen, als sich der Felsen von Gibraltar gegen den klaren, wolkenlosen Himmel abhob und Deacon Adams Signal vollständig niedergeschrieben hatte, ehe es zu den Rahen emporstieg: »Seiner Britannischen Majestät Schiff Nautilus ist zur Flotte zurückgekehrt. Gott erhalte den König!«

Der Fähnrich stand nach wie vor wartend neben Adams Platz, wobei sein Körper mit den Bewegungen der Onward schwankte, als von Land her ein weiterer Windstoß gegen den Schiffskörper fauchte.

»Meine Empfehlung an Mister Vincent. Ich werde an Deck direkt zu ihm stoßen.«

Vincent würde es verstehen. Allerdings waren sie sich, seit die Onward in Dienst gestellt und Adam zu deren Kommandanten ernannt worden war, einander fremd geblieben, bis … . Ja, bis wann eigentlich?

Adam hörte, wie die Tür zu seiner Kajüte geschlossen wurde, als Fähnrich Radcliffe sich mit der Botschaft seines Kapitäns auf den Weg zurück zum Achterdeck machte.

Doch jetzt war nicht der rechte Zeitpunkt, um über seine Besatzung nachzudenken, die fehlenden Gesichter der toten Männer wie auch jene, die schwer verwundet an Land zurückgeblieben waren. Einige würden sie heute bestimmt von Plymouth aus mit bitteren Erinnerungen beobachten, sobald der Anker frei vom Grund war.

Selbst wenn er glaubte, er wäre immun dagegen, so konnte der Schmerz darüber ihn noch immer unvermutet packen. Nicht wenigen der Seeleute stand das Los der Versehrten bevor, die in Gruppen im Hafen von Falmouth auf nichts Bestimmtes mehr warteten und die Manöver der mit der Tide kommenden oder gehenden Schiffe durchhechelten. Oder über ihn herzogen, wenn er in Falmouth als Kapitän mit seiner schönen Braut Lowenna an ihnen vorbeiging.

Bolitho setzte sich in Richtung seiner Schlafkajüte in Bewegung. Es war die Zeit der Morgenwache, vier Uhr, eine Stunde, zu der die meisten ehrenwerten Leute im Bett ihre Beine anzogen und einige sich noch von Weihnachten erholten oder andere sich auf das neue Jahr – 1819 – vorbereiteten. An die Vorstellung, wieder in See zu stechen, hatte er sich noch nicht gewöhnt, doch daran konnte es keinen Zweifel geben. Die offizielle Meldung mit dem üblichen Wortlaut »In jeder Hinsicht bereit zum Auslaufen …« trug schließlich seine Unterschrift.

Er wusste, dass es viele gab, die ihn darum beneideten. Auf der Flottenliste existierten die Namen von neunhundert Kapitänen, von denen etliche sich keinerlei Hoffnungen zu machen brauchten, ein Kommando zu erhalten. Selbst hier im Marinehafen von Plymouth lagen viele leere Schiffsrümpfe herum, deren einzige Bestimmung die Abbruchwerft war. Und bekannt war auch, dass es keinen Admiral gab, der seine Flagge gesetzt hatte und jünger als sechzig Jahre war.

Die alten Veteranen der Meere spannen ihr Seemannsgarn über die Zeiten der großen Seeschlachten, als es nie genug Schiffe geben konnte. Bei Trafalgar war »Unser Nelson« gerade mal 47 Jahre alt.

Adam Bolitho war 38, frisch verheiratet und hatte nun nach nur wenigen Wochen des Beisammenseins mit Lowenna sie wieder verlassen müssen.

Er hatte die Kajütentür erreicht, hielt jedoch inne und öffnete sie nicht. Lowennas Porträt hing dort direkt unter der Decke der Kajüte, wo es leicht erreicht und weggestaut werden konnte, wenn das Schiff klar zum Gefecht gemacht wurde, selbst dann, wenn dies nur drillmäßig geübt wurde. Wie wohl mochte es ihr jetzt ergehen? Lag sie schlaflos vor Sorgen in ihrem Bett in dem alten grauen Haus und wartete auf das Anbrechen der Dämmerung? Das Unvermeidliche traurig hinnehmend? Nicht umsonst gilt die See als Witwenmacher …

Adam drehte sich weg von der Tür, dankbar für den Klang der Stimmen, die von der anderen Seite her zu vernehmen waren. Mochte auch der Marineinfanterist, der dort Wache stand, mehr oder weniger in seinen Stiefeln vor sich hin dösen, so änderte das nichts daran, dass er stets bereit sein würde, jeden sofort anzurufen, der versuchen könnte, in die Abgeschiedenheit des Kommandanten vorzudringen.

Adam war froh, als er erkannte, dass es sich offenbar um Luke Jago, seinen Bootssteuerer, handelte, der da gekommen war und natürlich Zutritt zu ihm erhalten würde.

Sein erster Leutnant war Mark Vincent und trotz ihrer anfänglichen Differenzen ein guter dazu, der zudem bereit zu sein hatte, sofort das Kommando zu übernehmen, sollte sein Kommandant durch Verwundung oder Tod ausfallen. Beides waren sehr reale Möglichkeiten, die nur ein Narr ignorieren würde. Adam berührte im Vorbeigehen das kleine Pult, ohne wirklich hinzusehen. In einer von dessen Schubladen lag die lädierte Epaulette, die während des Gefechtes mit der Nautilus von einer Musketenkugel getroffen worden war. Für ihn hatte es sich nicht weiter gefährlich angefühlt, eher so, als habe ihn eine Hand oder ein Stück fallendes Tauwerk flüchtig an der Schulter berührt. Hätte ihn Jago nicht eigens auf die Sache aufmerksam gemacht, hätte er sie nicht einmal zur Kenntnis genommen. Und er hatte mächtig Glück gehabt. Ein paar Zoll tiefer und Vincent hätte seinen Platz einnehmen müssen. Er wäre gestorben wie sein geliebter Onkel, Sir Richard Bolitho, den während der Flucht Napoleons aus Elba ein französischer Scharfschütze niedergestreckt hatte. Fast vier Jahre lag dies nun zurück, aber nicht nur ihm, sondern auch vielen, die in den Straßen oder im Hafen von Falmouth umherliefen, kam es vor, als sei es erst gestern gewesen.

Unbewusst hatte sich Adam gestreckt und an seine Schulter gefasst, wobei ihm wieder Jagos Worte einfielen: »Das Beste ist, immer schön in Bewegung zu bleiben, Käpten.« Jago hatte versucht, den Vorfall herunterzuspielen. »Die haben es nämlich vermutlich auf mich abgesehen.« Er sagte dies ohne sein übliches trockenes Grinsen.

Adam fragte sich, wie Jago es wohl fand, dass sie nach einer nur kurzen Atempause im Hafen, in der die notwendigen Reparaturen durchgeführt wurden, England bereits wieder verließen. Jago hatte den größten Teil seines Lebens auf See zugebracht, auf diversen Schiffen, vor allem auch in Kriegszeiten. Für ihn gab es nichts anderes. Beim Anblick einer Horde von Faulenzern, die von Land aus das rege Schiffstreiben beobachteten, hatte er einmal im Brustton der Überzeugung erklärt: »Besser, irgendwann in eine Hängematte eingenäht zu werden, als wie diese Burschen auf dem Strand da zu enden!«

Zu den in die Kirche eingeladenen Gästen, als Lowenna seinen Kapitän heiratete, hatte auch Jago zusammen mit John Allday und dessen Frau Unis gehört. Im Anschluss an die Zeremonie sollen sie einen Schwung abenteuerlicher Geschichten und Erinnerungen zum Besten gegeben haben.

»Morjen, Käpten! Schon auf und munter, seh ich!« Jago stellte einen dampfenden Pott ab und drehte die Laterne hoch, ohne sich um die Bewegungen der Onward zu scheren, deren Deck sich gerade eben wieder neigte. »Wind is’ stetig genug – Nordost. Wir wer’n ein paar zusätzliche Helfer am Spill brauchen.« Er klappte das Rasiermesser auf, wobei die blanke Klinge im Lichtschein kurz gefährlich aufblitzte. »Bereit, wenn Sie es auch sind, Sir.«

Er sah zu, wie der vom Salzwasser verblasste Uniformrock auf eine Bank geworfen wurde und Adam sich in dem Sessel mit dem »Froschfresser-Namen« Bergère, wie Hugh Morgan, der Kajütensteward, es ausdrückte, zurücklehnte. Bolitho wusste, dass Jago, geschickt wie er war, ihn bei jedem Wetter, selbst bei Sturm, problemlos zu rasieren vermochte. Adam warf einen kurzen Blick auf die Heckfenster, und wenn er sich nicht täuschte, dann wurde es draußen bereits eine Spur heller.

»Dann wollen wir mal, Sir!« Jago stellte Adams Kinn mit seinen dicken Fingern ruhig und machte sich behände ans Werk.

Über ihnen huschten Schritte über das Deck, flüsternde Stimmen waren zu vernehmen. Die Morgenwache war dabei, die letzten Vorbereitungen zu treffen. Der Erste Leutnant würde schon sicherstellen, dass nichts schiefging, denn zahlreiche Marinefernrohre würden auf die Onward gerichtet sein, um auch den kleinsten Fehler beim Auslaufen zu entdecken, der einer nicht zutreffenden Einschätzung beim Manövrieren entsprang. Und angelastet werden würde der Fehler dem Mann, dem Jago soeben das Gesicht mit einem Handtuch abtupfte, das noch heiß vom Kombüsenfeuer war. Ihm fiel auf, dass der Kapitän ungewöhnlich ruhig war. Vermutlich gingen ihm tausend Dinge durch den Kopf, an die gedacht werden musste, sobald es losging. Jago hatte auf einmal wieder das Bild der schönen Frau in der Kirche vor Augen, die Art, wie sie und Bolitho einander angesehen hatten, umgeben von all den Leuten und dennoch allein für sich. Es war unvergleichlich gewesen. Und nun war nur noch das Gemälde von ihr bei seinem Kapitän, das sie eigens für ihn hatte anfertigen lassen.

Er wischte die Klinge ab und meldete mit einem leisen Grinsen: »Vollzug: Glatt rasiert, Sir.«

Adam stand auf und sah ihn direkt an. »Luke, Sie sind ein wahrer Fels in der Brandung!« Aus der kleinen Pantry drang ein schwaches Geräusch herüber. Aha, Morgan konnte anscheinend auch nicht schlafen.

»Ich muss noch einen Brief zu Ende bringen«, erklärte Bolitho. Wie schwer ihm dieser fiel, ließ er unerwähnt und fuhr stattdessen fort: »Mir ist daran gelegen, dass er noch an Land gelangt.«

»Ich werde dafür sorgen, dass das Wachboot ihn mitnimmt, Sir«, erklärte Jago. An der Kajütentür wartete er kurz, ob noch etwas folgen würde, aber es gab nichts weiter. »Dann lasse ich Sie jetzt allein, Sir.«

»Danke, Luke«, rief der Kapitän ihm nach.

»Sir?«

Aber Bolitho war bereits zu den Heckfenstern gegangen und stand dort: eine schlanke Figur von mittlerer Größe, mit Augen so dunkel wie sein Haar, eine Gestalt, die sich in ihrem blassen Hemd wie ein Gespenst gegen die umgebende Dunkelheit abhob. Es hatte den Eindruck, als könne er von seiner Position tatsächlich das Land sehen.

Adam hörte, wie sich die Tür schloss. Der Wachtposten räusperte sich, während ihm Jago mitteilte, dass der Käpten nicht gestört werden dürfe.

Bolitho ging zu dem kleinen Pult und zog eine Schublade auf, in der sich sein zur Hälfte fertig geschriebener Brief befand. Nachdenklich blickte er zu dem Haken hin, an dem sein bester Uniformrock von der Decke herabhing, vervollständigt mit den neuen Epauletten. Ihn hatte er bei seiner Hochzeit in Falmouth getragen. Dann tauchte er die Feder ein und schrieb bedächtig, als wolle er die Worte hören. Aus dem morgigen Tag, von dem anfänglich in seinen Zeilen die Rede gewesen war, war der heutige geworden.

Mark Vincent, der Erste Leutnant, stand an der Reling des Achterdecks und musterte die Onward auf ihrer gesamten Länge, um sicherzustellen, dass er nichts versäumt hatte. Alles war so, wie es sein musste, und er spürte förmlich, wie sein Körper sich Muskel um Muskel entspannte wie bei einem Geschützführer, nachdem die endgültige Entscheidung zur Eröffnung des Feuers gefallen war. Vor etwas über einem Jahr war er auf die Onward berufen worden, als sie hier in Plymouth in Dienst gestellt worden war, und Vincent war der Ansicht, dass er mittlerweile jeden Zentimeter des sechsundvierzig Meter langen Schiffes über und unter Deck kannte und zudem haargenau wusste, wie es sich in See verhielt. Selbst wie die Onward von einem anderen Schiff aus betrachtet aussah, welches sie passierte, war ihm bekannt. Oder für einen Feind. Sie war eine Fregatte, die sich während ihrer kurzen Dienstzeit mehr als bewährt hatte, und ein Schiff, auf das jedermann stolz und in diesen Tagen glücklich sein durfte, es zu führen.

Den Anflug von Neid, der in ihm aufstieg, unterdrückte er aber erst einmal. Selten waren an Deck so viele Menschen zu sehen wie jetzt. Das untere Deck war aufgeklart, und die Hängematten waren sorgfältig, aber ohne große Hektik in den Netzen verstaut worden.

Er blickte kurz zum Himmel hinauf, an dem die Fetzen aufgerissener Wolken mit nur ein paar fahlen eisblauen Streifen vor dem kalten Nordost dahinjagten.

»Wachboot legt ab, Sir!«

Vincent bemerkte schroff: »Wie befohlen.« Das Gesicht des Seemanns, der nach ihrem kurzen erbitterten Gefecht mit der Nautilus als Ersatz für irgendeinen der Getöteten oder Verletzten an Bord gekommen war, kannte er noch nicht, aber nach einigen Drillübungen würde sich das bald ändern. Die meisten der Neuen waren, anders als früher, Freiwillige. Damals, zu Beginn seiner Laufbahn auf See, hatten sie es überwiegend mit gepressten Männern zu tun gehabt oder, schlimmer noch, mit irgendwelchem Gesindel, Taugenichtsen, die von lokalen Greifern aufgesammelt wurden, weil sie zu betrunken waren, um zu kapieren, was vor sich ging.

Unwillkürlich dachte er an die nicht gerade wenigen Nichtstuer, die er im Hafen sich rumtreiben gesehen hatte, wenn er mit irgendeinem Auftrag an Land gewesen war; unter denen befanden sich zweifellos etliche Kerle, die jede Minute verflucht hatten, die sie einst an Bord eines Schiffes des Königs verbringen mussten.

Das Wachboot begann, von der Anlegestelle loszurudern, aus der Eingangspforte winkte ein Offizier irgendjemandem zu, und die Riemen spiegelten sich im kabbeligen Wasser, als die Rudergasten sie anhoben, um sie zum ersten Schlag einzusetzen. Vincent nahm das Fernrohr von seiner Schulter und richtete es über das sich langsam bewegende Boot hinweg auf einen Zweidecker mit vierundsiebzig Geschützen, der zwischen der Onward und den Festmachern vor der Küste ankerte. Erste Sonnenstrahlen fielen auf dessen hohes Achterdeck mit den überladenen Verzierungen und auf die Flagge eines Konteradmirals am Kreuzmast. Als sei dies eine Warnung – oder vielleicht nur aus einem Instinkt heraus –, schob Vincent das Fernrohr mit einem Schnappen zusammen. Drüben an Deck standen trotz der frühen Stunde mehrere Offiziere, ebenfalls mit Fernrohren bewaffnet, die auf die Onward gerichtet waren.

Vincent schaute nun hinüber zur Kajütskappe, den überdachten Niedergang zur Kajüte, und sah den Bootssteuerer des Kapitäns in sein Blickfeld klettern. Vor den Offizieren der Marineinfanterie, die daneben aufgereiht eine Gruppe aus scharlachroten Röcken bildeten, hielt er inne, um grüßend seinen Hut zu berühren.

Vincent überquerte das Deck, das aufgeklart worden war, um Raum für die Spillspaken zu schaffen, die an den vorgesehenen Plätzen eingesetzt werden mussten. Jago ging an dem großen Doppelrad vorbei und nahm seine Station an der Reling ein.

Ein weiterer rascher Blick galt den Signalgasten am Flaggenspind und dem verantwortlichen Fähnrich Hotham, dessen schmales Gesicht ernst aussah. Der Sohn eines Geistlichen, der stets gern mit Aussprüchen Nelsons aufzuwarten pflegte, war sich der Bedeutung dieses Augenblicks bewusst.

Die Stiefel der Marineinfanteristen klickten zusammen, und irgendeiner salutierte. Der Kapitän tippte an seinen Hut, und Vincent hatte den Eindruck, Bolitho habe seinem Bootssteuerer leicht zugenickt. Er sah Vincent an und lächelte.

»Es wird lebhaft werden, sobald wir klar vom Sund sind.« Sein prüfender Rundblick über Deck galt den jeweiligen Gruppen der Seeleute auf ihren Stationen, von denen die meisten von ihnen nach achtern zu ihrem Kapitän starrten.

Vincent schluckte; sein Mund fühlte sich knochentrocken an. Wie wohl mochte man sich in solchen Entscheidungsmomenten fühlen? Erleben wollte er das eigentlich nie.

Die Stimme des jungen Hotham riss ihn aus seinen Gedanken. »Signal vom Flaggschiff, Sir!« Eine Pause entstand, in der ein Fernrohr beim Ausziehen quietschte, als jemand anderes seine Aufmerksamkeit auf die Flaggen richtete, die sich im Wind bauschten. »Fahrt aufnehmen, wenn bereit!«

Adam Bolitho sah als Bestätigung die Heißleinen hochsteigen. Hotham blickte gespannt nach vorn, als die Glocke erklang, gerade so, als wolle sie die Bedeutung des Augenblicks betonen.

»Bemannt das Ankerspill!«, schrie Vincent. »Back klar zum Manöver!«

»Hievt rund, ihr Burschen, hievt rund!«

Adam wandte sich um, denn wieder hatte es ihn ungewollt erwischt; er würde einfach noch Zeit brauchen, um sich an eine fremde neue Stimme zu gewöhnen. Harry Drummond, der Bootsmann, war zwar als Seemann ein Profi bis in die Spitzen seiner eisenharten Finger, aber Adam war es dennoch unmöglich, den großen und schweren Guthrie zu vergessen, um den sich die Besatzung des Schiffes zu drehen schien, so wie die Teerjacken dem Spill gehorchten. Er war wie ein großer Baum gefallen, und seine Männer waren über ihn hinweggeschritten, um seinen letzten Befehl zu befolgen.

Die Sperrklinken des Ankerspills bewegten sich und klackten ein, als weitere Männer zusätzlich ihr Gewicht auf die Spaken brachten. Einer von ihnen rutschte aus und fiel der Länge nach hin; das Deck war vom Regen nach wie vor trügerisch glatt.

Adam registrierte eine Stimme, die versuchte, zum Kratzen einer Fiedel ein Seemannslied anzustimmen: »Da war ein Mädchen in Bristoltown – hievt rund, mein Engel, hievt rund!«

Bei dem Sänger handelte es sich um Lynch, den Oberkoch und Kombüsenchef, der mit geschlossenen Augen bei jedem Klack des Spills mit einem Fuß wippte.

Adam blickte zu den Rahen empor, wo die auslegenden Toppgasten vor dem Hintergrund der schnell ziehenden Wolken wie Puppen wirkten. Der lange Wimpel im Masttopp deutete die Stärke des Windes an, und er konnte zudem die Silhouette der Onward ausmachen, wie sie als scharfkantiger Schatten langsam und geschmeidig auf den eingebetteten Anker zutrieb.

»Hievt rund, mein Engel, hievt rund!«

Bolitho vernahm zudem auch Julyan, den für die Segel zuständigen Master, wie er mit dem Steuermann sowie mit Calm, seinem zusätzlichen Rudergänger, bedächtig und gerade laut genug sprach, um den Chor aus Wind und Takelage oben zu übertönen. Ein Auge auf den Kompass und das andere auf seinen Kapitän gerichtet, dessen letztliche Verantwortung dies war.

Adam behielt seine Stellung an der Achterdecksreling bei, und trotz des geschäftigen Treibens rund um ihn herum auf dem Schiff machte er den Eindruck, als ob er ganz allein wäre. War dies in einer derartigen Situation eigentlich immer so, oder entsprang dies bloß vertrauter Routine?

Der Kapitän bewegte sich nur geringfügig und langsam, aber dafür stetig. Weitere Matrosen wurden beordert, ihr Gewicht zusätzlich auf die Spaken zu legen. Bolitho konnte ihren Atem wie in den Wind geblasenen Dampf sehen und die Luft auf seiner vom Gischt nassen Wange wie Raureif spüren.

Er blickte erneut nach vorn und über den Backbordbug. Der Zweidecker ankerte abseits von den anderen Schiffen; das schachbrettförmige Muster der geschlossenen Stückpforten leuchtete in dem sich verstärkenden Morgenlicht. Längsseits lagen festgemachte Leichter, leer wie auf Kundschaft wartende Bestattungsunternehmer. Welche Gefühle mochte das Schiff wohl haben?

Er drehte sich um, aber nicht, ohne zuvor auch noch einen Blick auf die mächtige Gestalt von Leutnant James Squire geworfen zu haben, der von seiner Station aus das Einholen des Kabels beaufsichtigte. Squire war ein geborener Seemann und Navigator und zudem einer der Dienstältesten an Bord. Er war aus dem Unterdeck aufgestiegen und hatte sich auf harte Weise Respekt und Ansehen erworben. Neben ihm standen zwei Fähnriche, David Napier und John Radcliffe, der letzte Zugang im Fähnrichslogis. Für ihn begann, ob gut oder schlecht würde sich noch zeigen, sein erster Tag in See auf einem Schiff des Königs, ein Tag, der in seinen Erinnerungen wohl ewig weiterleben würde.

Adam konnte sich ziemlich gut an seinen eigenen erinnern, auch wenn die meisten der damaligen Gesichter im Laufe der Zeit verblasst oder zumindest verschwommen waren.

»Morgan hat Ihren Bootsmantel gebracht, Käpten«, tat nun Jago kund, ohne dabei seine Stimme zu erheben. »Hat aber wohl noch nicht ausgelernt!«, schickte er murmelnd hinterher und ließ sein übliches Glucksen folgen.

Der Kabinensteward hatte an alles gedacht, was sein Kapitän wie jeder Kapitän unter allen Umständen brauchen könnte.

Adam blickte nach unten zu Maddock, dem Artillerieoffizier, der etwas ratlos mit dem Stückmeister neben einem der Achtzehnpfünder auf dem Oberdeck stand. Maddock war ein verlässlicher Mann, den allerdings der jüngste Befehl aus dem Hauptquartier des Admirals an Land verunsichert haben mochte.

Es wird kein Salut geschossen werden, bis …

Adam bemerkte, wie Maddock zu ihm aufblickte, seine Rechte ruhte auf dem feuchten Verschluss, den Kopf hatte er halb gedreht, weil er auf einem Ohr taub war. Seine Aufgaben erfüllte er aber dennoch, und das Handzeichen, das Bolitho ihm vom Achterdeck aus gab, verstand er auf Anhieb.

Adam hatte mitbekommen, wie der Erste Leutnant Maddocks entsprechende Nachfrage wegbügelte, weil er vollständig damit beschäftigt war, die Onward in Fahrt zu bringen.

»Sir John Grenville, Admiralität. Heute ist sein Begräbnis. Das ist der Grund!« Mit diesen barschen Worten hatte der Leutnant sich abgewandt, um sich mit für ihn wichtigeren Dingen zu befassen.

Adams letzte Begegnung mit Grenville hatte in der Kapitänskajüte der Onward stattgefunden. Als sie sich zum Abschied die Hand reichten, hatten beide gewusst, dass sie sich kein weiteres Mal mehr treffen würden.

Ihm persönlich hatte Grenville neue Hoffnung gegeben, indem er ihm die Onward anvertraute. Doch nun hatten sich ihre Wege unwiderruflich für immer getrennt.

Adam beobachtete Squire, wie er zum Kranbalken ging und wild gestikulierte, als ob der Anker ein Teil seines eigenen Körpers wäre.

»Klar zum Manöver an Deck!« Der Befehl kam von Drummond, dem neuen Bootsmann, der über eine scharfe, fast metallische Stimme verfügte, die locker alle anderen Geräusche um ihn herum übertönte. Er war zudem mit einem erstaunlichen Erinnerungsvermögen, was Gesichter und Namen anging, gesegnet. Während seiner kurzen Zeit an Bord hatte Adam ihn nie gesehen, wie er ein Notizheft oder eine Schiefertafel dafür zu Rate zog.

Wie ein menschliches Rad drehten sich die Spillspaken noch eine Spur schneller.

»Anker is’ kurzstag gehievt, Sir!« Über die Länge des Schiffes hinweg blickten sie einander an. Squire bewegte nicht einmal seine Hände.

»Anker lichten!«

Das war stets ein kritischer Moment, falls das Kommando zu früh erfolgt sein sollte. Die Onward schob sich über ihren eigenen Anker und war auf die Gnade von Wind und Tide angewiesen.

Adams Augen fixierten den Masttopp, der Regen hatte zugenommen, und der lange Wimpel bewegte sich im Wind nur schwerfällig. Bolitho war inzwischen gehörig durchnässt, und sein Halstuch wand sich wie ein durchweichter Verband fest um seinen Hals. Er konnte die Spannung an Deck fühlen und teilte sie. Kleine Einzelheiten traten deutlich hervor: Ein Lotgast eilte an die Rüsten, um die gelotete Tiefe ständig auszurufen, für den Fall, dass sie in flaches Gewässer trieben, ehe sich die Onward in Fahrt befand. Auf alle Fälle würde Vincent heute keinerlei Risiko eingehen wollen.

Jenseits des sich drehenden Spills stapelte Jago Musketen, um Platz zu schaffen für einige Marineinfanteristen als zusätzlichen Ballast für die letzten paar Faden.

»Anker ist gelichtet, Sir!«

Schreie und ein paar saftige Flüche wurden laut, als die Segel freikamen und aus deren flatterndem Tuch schwallweise Wasser herabstürzte.

Adam spürte, wie das Deck sich jäh neigte, als die Obersegel sich füllten und prall standen. Der Steuermann und ein weiterer Rudergänger hatten sich vor dem großen Doppelrad breitbeinig aufgebaut, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten.

Auch wenn er sich das nach außen hin nicht anmerken ließ, so war Julyan doch aufs Höchste angespannt, als Bugspriet und der sich verjüngende Klüverbaum begannen, auf das Ruder anzusprechen, wodurch sich das ankernde Flaggschiff scheinbar bewegte, also ob es den Bug der Onward kreuzen wollte.

»Recht so! – Passier sie.« Julyan schaute angestrengt auf den Kompass, Regen tropfte von seinem Hut herunter. »Recht so, wie sie läuft.«

Adam entging nicht, wie er den Steuermann ansah, etwas überrascht vielleicht. Dessen Vorgänger war Julyans Freund gewesen und während des Gefechtes mit der Nautilus am Steuerruder tödlich getroffen worden.

Der Kapitän schirmte seine Augen ab, um besser die Toppgasten beobachten zu können, die nunmehr über die Rahen auslegten, nachdem sie mit Fäusten und Füßen das Segeltuch in glatte Bahnen gezwungen hatten. Eine gleichermaßen kräftezehrende wie gefahrvolle Aufgabe. Ein Sturz auf das Deck oder neben das Schiff in die See, verursacht durch eine Windböe, lag stets im Bereich des Möglichen.

Leutnant Squire ließ den Anker nicht aus den Augen, bis dieser den Kranbalken erreicht hatte und gesichert war. Schlamm und Wasserpflanzen vom Meeresgrund hingen noch am Stock und den Flunken des Ankers. Als die Backsmannschaft ihn an seinem Platz festgezurrt hatte, wischte Squire sich den Gischt mit der Faust aus dem Gesicht. Bis zum nächsten Mal …

Er schaute nach achtern und wartete, bis er sicher sein konnte, dass der Kapitän auch ihn sah, bevor er seine Hände kreuzte, um zu signalisieren, dass der Anker gesichert worden war. Auch das verbliebene Ankerkabel war mittlerweile eingeholt worden, wobei den Schiffsjungen nun die Aufgabe zukam, den Dreck abzukratzen und es gründlich zu schrubben, ehe es unten verstaut wurde. Eine verdammt schmutzige Arbeit für diese Dreikäsehochs, die in der Tat noch halbe Kinder waren. Sie erinnerten ihn an die ärmlichen Mudlarks, Jugendliche zwischen acht und fünfzehn Jahren, die bei Ebbe in den Hafenbecken nackt nach Wertgegenständen tauchten, was einige von ihnen das Leben kostete.

Nachdenklich betrachtete Squire die beiden Fähnriche: Napier und der Neuankömmling Radcliffe waren offenbar zwei ganz gute Leute, wobei es allerdings etwas schwierig war, dies jetzt schon zutreffend sachlich zu beurteilen, weil dafür die nötige Erfahrung mit ihnen einfach noch fehlte. Über Napiers Herkunft war so gut wie nichts bekannt. Angeblich bestanden irgendwelche Beziehungen zur Familie des Kapitäns, weshalb er in gewisser Weise als dessen Schützling galt.

Von Radcliffes Vater hieß es, er bekleide eine wichtige Position in der Bankenwelt. Von daher war sein Sohn von der Seefahrt völlig unbeleckt, steckte dafür aber voller Fragen und war stets ungeheuer wissbegierig.

»Bootsmannsmaat! Pfeif die Kuhlgasten heraus. Sie sollen sich bereithalten, ihr Gewicht an den Brassen einzusetzen!«

In der Erwartung, gleich die ihm hinlänglich vertraute Stimme zu vernehmen, drehte sich Squire herum, bevor ihm schlagartig aufging, einer irrigen Annahme aufgesessen zu sein. Sie hatten ja jetzt einen neuen Bootsmannsmaat, der frisch befördert worden war. Zuvor war er einer der besten Toppgasten der Onward und ein prächtiger Seemann gewesen – bis zu seiner Beförderung. Tucker hatte Fowler ersetzt, einen Mann, den Squire über Jahre hinweg gekannt hatte, nachdem sie ursprünglich zusammen auf dem Unterdeck gedient hatten. Fowler war ein schickanöser Tyrann und Rüpel gewesen und zu seinem ausgemachten Feind geworden.

Bisweilen hatte er ihm den Tod an den Hals gewünscht.

Doch zunächst einmal war Fowler jetzt weg; er war in Plymouth an Land gegangen, danach nicht wieder aufgetaucht, und sie hatten ihn im Musterungsbuch als »Verschwunden!« vermerkt. Desertiert? Niemand wusste es wirklich. Vielleicht war er tot; vielleicht hatte jemand anderer das Glück gehabt, ihn zum Schweigen zu bringen. Aber solange Squire darüber keine Gewissheit hatte, würde er für ihn als Gefahr weiterbestehen.

Squire gab dem neuen Fähnrich einen Wink, und dieser reagierte augenblicklich.

»Meine Empfehlung an den Ersten Leutnant, und teilen Sie ihm mit, dass bei uns alles in trockenen Tüchern ist.« Als Radcliffe Anstalten machte, loszurennen, bremste er dessen Eifer: »Gemach, Gemach! Unseren Sold haben wir uns alle heute schon hinreichend verdient!«

Squire wartete, bis Radcliffe außer Sicht war, und wandte dann seine Aufmerksamkeit den Seeleuten zu, die das Deck feudelten und das Tauwerk aufschossen. Sie bei diesen öden, aber notwendigen Routinearbeiten zu beobachten bot ihm die Gelegenheit, sich innerlich zu beruhigen. Die Sache war ausgestanden.

Sie befanden sich in Fahrt, das Flaggschiff lag mehr achterlicher als querab, und lediglich seine Flaggen wehten, während seine Decks verlassen waren. Squire blickte wieder nach vorn; das blaugraue Wasser floss beiderseits des Bugs vorbei, und der Klüverbaum wies ebenso wie die nackte Galionsfigur mit ihrem ausgestreckten Dreizack und einem Delphin darunter den Weg.

Der Leutnant schaute zum Land hinüber, wo er trotz des heftigen Starkregens vage die Silhouette einer Kirche oder eines Turms ausmachen konnte. Dass sich dort noch Leute aufhielten, um die Fregatte zu beobachten, die mutterseelenallein auf die offene See zuhielt, war nicht auszuschließen.

Was dies betraf, durften unter Zivilisten gemischte Gefühle herrschen, Stolz, vielleicht eine Spur Traurigkeit, aber bestimmt kein Neid. Dafür war es noch zu früh nach den langen Jahren des Krieges, der Sorge vor einer Invasion und nicht zuletzt der ständigen Furcht vor den verhassten Presskommandos.

Ein Beben lief durch das vorwärtsstrebende Schiff, als sei es darauf erpicht, bloß endlich freizukommen, und James Squire griff nach einem Halt.

Er vernahm Napiers Stimme und registrierte, wie dieser sich neben einem Seemann aus dem Ankerkommando an einem Block und mit dem Tauwerk in den Händen tief vornüberbeugte.

»So muss man das machen, damit er beim nächsten Mal frei läuft.« Er lächelte dazu.

Der Seemann war neu an Bord, und Squire konnte sich nicht an dessen Namen erinnern, aber augenscheinlich schien er nicht viel älter als Napier zu sein. Mit dem Anflug eines Grinsens streckte er die Hand aus, um dem Fähnrich behilflich zu sein, wieder auf die Beine zu kommen. Das war lediglich eine kleine Geste, aber Squire war sich bewusst, dass diese von größerer Bedeutung war, als er spontan erklären konnte.

Napier reagierte erfreut, wenn auch etwas scheu. Der Fähnrich hatte sich bereits in kürzester Zeit als verlässlich und als rasch lernfähig gezeigt. Squire blickte nachdenklich über das glänzende Deck, auf dem vor nicht allzu langer Zeit Männer und Jungen gestorben waren. Tapfer waren sie allesamt gewesen. Abrupt sprach er den Fähnrich direkt an: »Sie waren doch bei der Hochzeit. Erzählen Sie mal, wie es da war.«

Napier wischte sich verlegen zunächst einmal die Hände an einem Knäuel Putzwolle ab. Er war Squires Schärfe und dessen rasche Wechselhaftigkeit noch nicht gewöhnt. Der war ein Mann, den man nicht wirklich einzuschätzen vermochte, sofern er dies selbst nicht zulassen wollte.

»Jawohl, Sir. Da waren eine Menge Leute.«

»Und die Braut?«

Napier ließ in Gedanken nochmals die Szenen Revue passieren, in der Kirche, bei der feierlichen Trauungszeremonie, dazu die glänzenden Uniformen. Und dann gab es noch Adam Bolithos Cousine Elizabeth, als Blumenmädchen und gewandet wie ein Fähnrich. Sie sah wunderschön aus, und ihren Anblick würde er so schnell nicht wieder vergessen können.

»Sie sahen so richtig wie füreinander geschaffen aus.«

Squire schmunzelte. »Gut gesagt! Und so mag es ja wohl auch sein.« Aus irgendeinem Grund wusste er, Napier würde nichts mehr weiter dazu rausrücken.

»Nachricht vom Kapitän, Sir.« Radcliffe war zurück, atemlos, mit glühenden Wangen vom kalten Wind. Er hielt ein gefaltetes Blatt Papier vom Signalblock in der Hand, das er ihm reichte. »Außerdem hat der Regen aufgehört.«

Squire entfaltete es bewusst langsam. »Ich befahl Ihnen zu laufen, Mr. Radcliffe. Sie keuchen wie ein alter Mann!«, konstatierte er leicht vorwurfsvoll. »Und dass es nicht mehr wie aus Kübeln schüttet, habe ich auch ohne Ihren Hinweis schon mitbekommen.«

Radcliffe zuckte ob dieser deftigen Rüge zusammen.

Squire überflog rasch die Nachricht und erklärte dann: »Alle Mann auf ihre jeweiligen Stationen, sonstige Arbeiten einstellen. Besprechung der Offiziere zu Mittag achtern.« Er blickte Radcliffe an: »Und das schließt unsere beiden Fähnriche mit ein.«

Die zwei angesprochenen Jungspunde wandten sich ab und verfolgten die Manöver eines kleinen Schoners, dessen Schiffsführer sich schwertat, mit seiner Kursrichtung auf seinen Ankerplatz zu gelangen. Napier würde keine Probleme damit haben, an der Offiziersrunde teilzunehmen, hatte er zuvor doch schon einige Zeit unter Kapitän Bolitho gedient, aber Radcliffe war noch nicht lange genug bei der Flotte, um trocken hinter den Ohren zu sein. Squire wiederum war in all seinen Jahren auf See noch nie einem Kommandanten begegnet, der die von ihm geplanten Absichten mit seiner Befehlskette durchzusprechen gedachte.

Der Wind war stark genug, um zusätzlichen Druck auf die Brassen zu erfordern, als die Onward mehr Segel setzte. Squire schauderte es unwillkürlich. Nie zuvor hatte irgendetwas dazu geführt, seinen Kapitän aus der Fassung zu bringen, und natürlich auch jetzt nicht. Fast neidisch dachte er an den jungen Radcliffe, vor dem noch so viele Jahre lagen, um es zu etwas zu bringen.

Er sah, wie Napier sich nach achtern bewegte und kurz verharrte, als der nach Fowlers Verschwinden neu ernannte Bootsmannsmaat ihm über den Weg lief, der in die entgegengesetzte Richtung unterwegs war. Ihre Hände berührten sich scheinbar zufällig, und Tucker grinste, als ihn Napier ansprach.

Squire blickte in den Vormars.

»He, Willis! Beweg dich gefälligst! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«

Zu Squires Stärken gehörte es, jeden seiner Männer genau zu kennen.

Napier vernahm den Zuruf, schenkte ihm jedoch keine Beachtung und duckte sich unter den Durchgang auf der Backbordseite zwischen zwei der Achtzehnpfünder. Der Himmel war klarer geworden. Die See spritzte vom Vordersteven hoch, wo er gerade noch gestanden hatte, und glitzerte im harten Sonnenlicht. Die Gischtfetzen, die auf sein Gesicht trafen, waren eiskalt. Mit festem Griff packte er Tuckers Arm.

»Bisher habe ich nicht die Zeit gefunden, um dir alles genauer zu erzählen, David. Aber ich freue mich für dich über deine Beförderung. Die hast du dir auch redlich verdient.«

Tucker musterte kurz seine blaue Jacke und die silberne Signalpfeife, die ihm um den Hals hing.