Im Schatten der Pineta / Die Schnelligkeit der Schnecke - Marco Malvaldi - E-Book

Im Schatten der Pineta / Die Schnelligkeit der Schnecke E-Book

Marco Malvaldi

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  • Herausgeber: Piper ebooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Zwei Fälle für Barista Massimo und seine SeniorenIn diesem Doppelband ermitteln die kultigen Alten aus Massimos BarLume gleich in zwei Fällen: In »Im Schatten der Pineta« wird ganz in der Nähe der Bar ein junges Mädchen ermordet aufgefunden, in »Die Schnelligkeit der Schnecke« gilt es, den mysteriösen Todesfall eines Professors aufzuklären, der auf einem Kongress im malerischen Küstenstädtchen Pineta war.

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Inhaltsverzeichnis

Cover & Impressum

Im Schatten der Pineta

Einführung

Prolog

Anfang

Zwei

Drei

Vier

Wurzel aus fünfundzwanzig

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Neuneinhalb

Zehn

Elf

Epilog

Schluss

Die Schnelligkeit der Schnecke

Motto

Prolog

Anfang

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zwischen neun und zehn

Epilog

Zum Schluss

Guide

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

© dieser Ausgabe Piper Verlag GmbH, München 2018 Covergestaltung und -abbildung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck  

Im Schatten der PinetaFür meinen Großvater und meine Großmutter   Aus dem Italienischen von Monika Köpfer   © 2007 Sellerio Editore, Palermo Titel der italienischen Originalausgabe: »La briscola in cinque« © der deutschsprachigen Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2011 Coverkonzept: semper smile, München Covergestaltung und -abbildung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich (Hintergrund, Olivenzweig und Crodino-Korken), unter Verwendung eines Fotos von Paul Edmondson / Getty Images (Vespa) Die Schnelligkeit der SchneckeFür Vittorio, der, als er ins Licht ging, uns ein bisschen tiefer, im Dunkeln gelassen hat. Aus dem Italienischen von Sigrun Zühlke © 2008 Marco Malvaldi Titel der italienischen Originalausgabe: »Il gioco delle tre carte«, Sellerio editore, Palermo Deutschsprachige Ausgabe: © Piper Verlag GmbH, München 2012 Covergestaltung: Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, Zürich Coverabbildung: Hauptmann und Kompanie (Hintergrund und Echse), plainpicture (Lampe), Getty Images (Auto)

Caminante, son tus huellas

el camino, y nada más;

caminante, no hay camino,

se hace camino al andar.

Wanderer, deine Spuren

sind der Weg und sonst nichts;

Wanderer, es gibt keinen Weg,

ein Weg entsteht, wenn man geht.

Antonio Machado

Prolog

Wenn man sich kaum mehr auf den Beinen halten kann und sich noch eine Zigarette anzündet, damit weitere fünf Minuten vergehen, obwohl einem die Kehle schon brennt und der Mund vom vielen Rauchen so pelzig ist, dass es sich anfühlt, als hätte man einen Reifen verschluckt, dann stecken sich die anderen auch noch eine an, und man bleibt noch ein bisschen – kurz und gut, wenn es so läuft, ist es wirklich höchste Zeit, ins Bett zu gehen.

Es war frühmorgens, zehn nach vier, mitten im August, und drei junge Männer standen neben einem grünen Micra. Sie hatten alle deutlich mehr als nötig getrunken, der Besitzer des Micra noch mehr als die beiden anderen, von denen einer gerade versuchte, ihn davon zu überzeugen, sich besser nicht mehr hinters Steuer zu setzen.

»Ich bring dich nach Hause, komm schon«, sagte der Kleinste, dessen Schädel bis auf ein Haarbüschel auf dem höchsten Punkt des Scheitels kahl rasiert war, was ihm das Aussehen einer Palme verlieh. »Lass den Wagen hier, ich fahr dich.«

Der Angesprochene sträubte sich. Er war gerade aus der Disco gekommen, und abgesehen von einem Alkoholspiegel, der einem russischen Arbeitslosen alle Ehre gemacht hätte, war er noch dermaßen mit halluzinogenen Stoffen zugedröhnt, dass es ihm schwerfiel, klar zu denken. Was ihn nicht daran hinderte, seine Argumente vorzubringen: »Hör mal, wenn mein Alter sieht, dass ich die Karre hab stehen lassen und mit dir gefahren bin, sagt er, ich wär stockbesoffen heimgekommen, und macht mich aber so was von zur Sau. Mein Alter ist schließlich nich auf’n Kopf gefallen.«

»Aber wenn er sieht, dass du in diesem Zustand nach Hause kommst«, beharrte Palmschädel, »macht er dich zur Sau, weil du gefahren bist, und mich, weil ich dich erstens nicht begleitet hab. Und zweitens …«

»Nein, nein, ich fahr allein nach Hause. Kein Problem, ich komm schon an.«

»Warum sagst’n du nichts?«, fragte Palmschädel besorgt den Dritten im Bunde, der am Abend zuvor beim Friseur gewesen war und verlangt hatte, ihm das Haar maisgelb mit einem kecken Muster aus violetten Flecken zu färben – mit einer gewissen Bestimmtheit vermutlich, denn seinem Ansinnen war stattgegeben worden, und er hatte den Salon mit einem aparten Punk-Leopardenmuster verlassen. Zwei lebhafte Kuhaugen und der halb offen stehende Mund komplettierten seine Erscheinung.

»Wenn er meint, er kann noch fahren – is’ doch seine Sache …«, war sein einziger Kommentar.

»Mann, du Depp! Der ist doch so hacke, dass er spätestens nach zehn Metern einen Baum umarmt!«

»Hör zu, ich mach mich auf die Socken. Wenn ich nich klarkomm, klingel ich auf dem Handy durch, dann kannst du mich immer noch abholen.«

Palmschädel sah den anderen mit einer Miene an, als wollte er sagen: »Also wenn das nicht mal ein Dickschädel ist«, und erhielt zur Antwort einen Blick, der noch ausdrucksloser war und ungefähr bedeutete: »Ist mir scheißegal, in zwei Minuten lieg ich in der Kiste.«

»Dann fahr halt, wir bleiben noch zehn Minuten hier und warten. Wenn …«

»Keine Sorge, wenn ich’s nich schaff, ruf ich an.«

Der Junge hatte im Rahmen seiner Möglichkeiten versucht, klar und deutlich zu sprechen, um den Eindruck zu erwecken, es ginge ihm schon etwas besser, doch in Wirklichkeit war ihm so schwindlig, dass er bei jeder noch so kleinen Kopfbewegung das Gefühl hatte, die Umgebung folge mit einer gewissen Verzögerung.

Er atmete tief ein, tastete nach dem Schlüssel in der Hosentasche und nahm es als gutes Zeichen, dass er ihn auf Anhieb fand. Einen Augenblick lang sah er ihn an, quittierte das Fundstück mit einem zufriedenen, wenngleich unsicheren Nicken und ließ sich auf den Fahrersitz plumpsen.

Er zog die Fahrertür zu, drehte den Zündschlüssel um und fuhr alles in allem ohne große Schwierigkeiten davon.

Doch nach etwa einem Kilometer musste er anhalten und bog auf den Parkplatz des Pinienwäldchens ab. Beim Fahren hatte er das Gefühl gehabt, als sei das Auto aus Gummi und ziehe bedenklich immer in dieselbe Richtung – nie in die andere: Es war wie in einer Waschmaschine zu stecken, während das Bullauge um einen herumwirbelt – wusch, wusch, wusch.

Er öffnete die Fahrertür, nicht ganz ohne Schwierigkeiten diesmal, und stieg mit Mühe aus.

»Ein bisschen frische Luft tut mir bestimmt gut«, sagte er.

Obwohl er allein war, bemühte er sich weiterhin, deutlich zu sprechen, um sich selbst davon zu überzeugen, dass es ihm gut ging, einigermaßen jedenfalls. Und auch um wach zu bleiben, was nicht ganz einfach war.

»Jetzt muss ich auch noch pissen. Was soll denn das? Ausgerechnet jetzt. Na ja. Muss wohl sein.«

Während er dieses Selbstgespräch führte, ging er auf einen der Müllcontainer zu.

In der Nacht zuvor hatte es geregnet, und der Boden des Parkplatzes war trotz der Hitze noch schlammig. Er bemühte sich, den Pfützen auszuweichen, und nachdem er einigermaßen unversehrt beim Container angekommen war, wählte er ihn in einem kurzen mentalen Zwiegespräch als Pissoir aus.

Als es ihm nach einer gefühlten Ewigkeit endlich gelungen war, den Reißverschluss wieder hochzuziehen, bemerkte er, dass in dem Container ein Mädchen lag. Ein hübsches noch dazu. Ungefähr im selben Moment sagte ihm irgendetwas, dass sie tot sein musste. Und das erstaunte ihn zunächst nicht weiter. Im Gegenteil, in einer hartnäckigen Trägheit befangen, die ihn immer nur in Verbindung mit Alkohol befiel, begann er laut nachzudenken. Die Entdeckung hatte ihn keineswegs, wie Krimis einen immer glauben machen wollen, mit einem Schlag nüchtern gemacht.

»Kenn ich die? Ne, glaub nich. Muss die Bullen verständigen. Ich geh mal zum Wagen zurück und hol’s Handy.«

Das tat er, nur um zu bemerken, dass der Akku leer war.

»Heilige Kuhscheiße, muss das jetzt sein? Unn was jetz?«

Der Junge blickte sich um, als suchte er nach jemandem, der ihm die Antwort liefern könnte.

»Wart mal! Auf’m Weg hab ich doch ’ne Bar gesehen, die war offen. Tief durchatmen, dann geht’s schon wieder. Muss mich konzentrieren, damit dieses Drehen endlich aufhört, sonst komm ich da nie an.«

Bevor er sich in den Wagen setzte, streckte er die geöffneten Hände vor sich aus und konzentrierte sich weitere zwei, drei Minuten. Komischerweise fühlte er sich jetzt leichter: Er hatte eine Heidenangst gehabt, zu dieser Uhrzeit und in diesem Zustand nach Hause zu kommen, doch die Entdeckung der Leiche würde sowohl seine Verspätung als auch seinen Alkoholpegel erklären, schließlich hat man, wenn man eine Tote findet, das Recht auf eine Stärkung, oder etwa nicht? Ergo, wenigstens die Angst war verflogen.

»Siehste, geht doch. Und jetzt ganz ruhig einfach der gestrichelten weißen Linie nachfahren, dann kann gar nichts mehr schiefgehen.«

Nach einer weiteren Angstminute erreichte er tatsächlich sein Ziel. Er schälte sich aus dem Wagen und ging auf die Bar zu. Reiß dich zusammen, forderte er sich im Geiste auf. Er drückte die Klinke der Glastür herunter und trat ein. Hinter dem Tresen trocknete der Barista Gläser ab und räumte sie weg. Er sah ihn neugierig an. Der junge Mann bemühte sich lächelnd um Haltung, was seinen Zustand noch unterstrich, und fragte, immer noch lächelnd: »Tschuldigung, gibt’s hier ’n Telefon?«

»Da drüben, hinter der Eistheke.«

Der Junge machte ein paar Schritte, doch dann ließ eine innere Stimme ihn innehalten. Er hob den Zeigefinger und sagte: »Ich muss doch wohl nichts bestellen, oder?«

»Nicht nötig, das Telefon funktioniert auch so«, sagte der Barista.

Der Junge trat an den Apparat, wählte und sagte: »Hallo, ist da die 113? Hören Sie, ich wollte Ihnen Bescheid sagen, dass ich eine Leiche gefunden hab, eine tote junge Frau, in einem Müllcontainer; die ist wirklich tot, da bin ich mir sicher.«

Kurze Pause.

»Aber ja, auf dem Parkplatz des Pinienwäldchens, wo die Deutschen immer Picknick machen, aber das Mädchen ist Italienerin, jedenfalls hat sie dunkle Haut.« – »Ja, in einem Müllcontainer. Dem grauen neben dem Camperparkplatz, wo immer die Deutschen stehen.« – »Ja, um Picknick zu machen.« – »Weiß ich selbst, dass ich betrunken bin, aber glauben Sie mir, es stimmt! Also wirk… entschuldigen Sie, aber Sie sind vielleicht schwer von Begriff! Wie gesagt …«

Stille.

Der Junge schwieg und starrte einen Augenblick lang den Hörer an.

»Der hat einfach aufgelegt«, verkündete er ungläubig und ein wenig gekränkt.

Unterdessen war der Barista hinter dem Tresen hervorgekommen und betrachtete ihn mit einer Mischung aus Erstaunen und Ernst.

»Und da liegt tatsächlich eine Leiche?«

»Herrgott noch mal, ja. Sie ist auf dem Parkplatz des Pinienwäldchens, da wo …«

»Ja, ja, ich weiß. Komm, lass uns hinfahren. Du zeigst mir, wo du sie gesehen hast, und ich rufe die Polizei an.«

Der Barista nahm die Zigarettenpackung vom Tresen, steckte sich eine an und blickte auf die Uhr, dann verließ er, gefolgt von dem Jungen, die Bar.

»Gib mir den Schlüssel, ich fahre.«

Anfang

An einem Tag mitten im August, um zwei Uhr nachmittags, um genau zu sein, wenn man das Gefühl hat, dickflüssige Luft einzuatmen, und versucht, nicht daran zu denken, dass es bis zum Abendessen noch sechs oder sieben Stunden sind, rettet einen nur noch eines: mit ein paar Freunden zusammen in die Bar zu gehen, um etwas zu trinken.

Man setzt sich an eines der Tischchen im Freien, zupft die im Schritt klitschnasse Hose zurecht, dampft zehn Sekunden lang aus, und schon ist man, o Wunder, wieder halbwegs ein Mensch; derjenige aus der Runde, der noch am rüstigsten ist, geht hinein, um zu bestellen, da der Barista einen beim Kommen nur finster angesehen und einen ansonsten keines Blickes mehr gewürdigt hat, sondern geflissentlich Gläser spült (das heißt: ein Glas – dasselbe, das er schon seit fünf Minuten spült), was heißt, wenn dann niemand hineingeht, um sich der Getränke anzunehmen, wartet man bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.

Das Wichtigste jedoch ist, dass ein Lüftchen weht.

Ein Windhauch, gerade stark genug, um das Hemd von der Haut zu lösen, einem Wirbel für Wirbel den Rücken hinabzustreichen und die Zwischenräume zwischen den Zehen zu erfrischen, die in den Plastikbadeschlappen schier ersticken, aber nicht so stark, um einem die sorgfältig über die Glatze drapierten Haarsträhnen zu zerzausen. Außerdem macht die jodhaltige Meeresbrise die Nase frei und lässt einen tief durchatmen, und bis dann der Held, der inzwischen in die Rolle des Kellners geschlüpft ist, mit den Getränken und der Speisekarte zurückkommt, ist die gute Laune ebenfalls zurückgekehrt und der Nachmittag, im Vergleich zu vorher, schon erheblich kürzer geworden.

Diese Dinge sind mit zwanzig angenehm, mit achtzig sind sie das Salz des Lebens.

Das Grüppchen vor der BarLume, die sich im Zentrum des Örtchens Pineta befindet, besteht aus vier rüstigen alten Männern – einem Typus, der in der Gegend weit verbreitet ist. Die anderen beiden Parteien, die mit Ersterer konkurrieren – zum einen die vereinzelten alten Männer mit Gehstock nebst Enkelkind und zum anderen die alten Frauen, die vor ihrer Haustür hocken und stricken –, sind im Vergleich dazu in der Minderzahl, und man sieht sie immer seltener.

An der nur allzu oft gepriesenen Schwelle zum zweiten Jahrtausend hat sich Pineta zu einem angesagten Badeort entwickelt, mit allen Konsequenzen, und die Tourismusförderung wird nicht müde, die gewachsene Architektur des Dorfes zusehends zu verschandeln: Wo früher die Bar mit der Bocciabahn war, hat man einen Freiluft-Discopub errichtet, anstelle des Spielplatzes ist im Pinienwäldchen ein Bodybuildingstudio unter freiem Himmel aus dem Boden gestampft worden, und eine Parkbank sucht man vergeblich, dafür findet man neuerdings ausreichend Parkgestelle für Mopeds.

Danach zu urteilen, wie sie sich streiten, kann es sich bei den vier Männern nur um gute Freunde handeln: Drei von ihnen sitzen würdevoll auf ihren Plastikstühlen, während der vierte neben ihnen steht und ein Tablett in den Händen hält, auf dem sich ein Kartenspiel, ein Glas Fernet, ein Bier und ein Glas Sambuca mit der obligatorischen Kaffeebohne darin befinden.

Einer der Sitzenden wedelt mit den Armen.

Offensichtlich fehlt etwas.

»Und der caffè?«

»Hat er mir nicht gemacht.«

»Wie – hat er dir nicht gemacht? Und warum nicht?«

»Er sagt, es wäre zu heiß dafür.«

»Das geht ihn einen feuchten Kehricht an, ob es zu heiß für einen caffè ist oder nicht. Mir reicht schon dieser Plagegeist von einer Tochter, die jede Zigarette zählt, die ich mir genehmige, muss sich jetzt auch noch der Barista um meine Gesundheit sorgen? Der kriegt jetzt was zu hören!«

Ampelio Viviani, zweiundachtzig, pensionierter Eisenbahner, ehemaliger leidlich guter Amateurradrennfahrer und unbestrittener Sieger des Fluchwettbewerbs, der (offiziell) 1956 bei der Festa dell’Unità von Navacchio eingeführt und anschließend sechsundzwanzig Jahre lang ohne Unterbrechung abgehalten wurde, erhebt sich stolz mit Hilfe seines Stockes und betritt unerschrocken wie Garibaldi die Bar.

»Schaut ihn euch an, wie der jetzt losstürmt. Man könnte meinen, er ist Ronaldo!«

»Du meinst, so wie er den Stock beherrscht?«

Beim Tresen angekommen, richtet Ampelio mit erhobener Stockspitze das Wort an den Barista: »Massimo, mach mir einen caffè.«

Massimo steht mit gebeugtem Kopf am Spülbecken, wo er Zitronen zerteilt, eine Aufgabe, die ihn so vollkommen in Anspruch zu nehmen scheint wie einen Buddhisten die Meditation. Und in der gleichen seelenruhigen Art antwortet er: »Es gibt keinen caffè. Zu heiß heute. Später. Vielleicht.«

»Jetzt hör mir verdammt noch mal gut zu. Ich hab den Krieg in Abessinien mitgemacht, und da meinst du, es wär hier zu heiß, um einen caffè zu trinken?«

Den Kopf noch immer über den Ausguss gebeugt, erwidert Massimo: »Es ist nicht zu heiß, um einen zu trinken. Es ist zu heiß, um einen zu machen. Würdest du tatsächlich von mir verlangen, mich vor dieses türkische Dampfbad zu stellen und wie ein Schwein zu schwitzen? Für einen erbärmlichen, mickrigen caffè, der mir nicht einmal besonders gut gelingen würde, bei dieser Luftfeuchtigkeit? Trink lieber einen schönen Eistee, ich lad dich ein.«

»Einen Eistee, ja? Wenn ich gewollt hätte, dass mir schlecht wird, hätte ich auch zu Hause bleiben und mir mit deiner Großmutter diesen Michele Cucuzza in der Glotze anschauen können! In diese Bar setze ich nie wieder einen Fuß!«

Schließlich hebt Massimo doch den Kopf.

Er ist um die dreißig, hat lockiges Haar, Bart; sein leicht arabischer Einschlag wird noch unterstrichen durch das lange Piratenhemd, das ihm bis zu den Knien reicht und auf wundersame Weise unempfindlich gegen Schweißflecken zu sein scheint. Er hat einen Silberblick, ein wenig verdrießlich, den er jetzt kurz zur Decke wendet, aber nicht theatralisch. Dann, den Blick wieder auf die Zitronen gesenkt, sagt er: »Schau, Großvater, das hier ist die einzige Bar in ganz Pineta, wo man dich duldet, und zwar nur deshalb, weil sie mir gehört. Also, wenn du unbedingt einen caffè willst, warte zwei, drei Stunden, schließlich musst du ja nicht zur Arbeit.«

»Dann gib mir halt einen Grappa, und der Schlag soll sie treffen, meine Tochter!«

Ampelio ist wieder an den Tisch zurückgekehrt; Aldo, der Besitzer des Restaurants Boccaccio, mischt die Karten. Er fragt: »Scopa, Briscola oder Tressette?«

Die anderen zwei Gäste am Tisch heben die Köpfe; Gino Rimediotti, dem man jedes seiner fünfundsiebzig Jahre ansieht, antwortet wie immer: »Mir ist jedes Spiel recht, solange ich nicht mit dem da zusammenspielen muss.«

»Schlaumeier. Als ob das immer meine Schuld wär …«

»Und ob das deine Schuld ist! Du kannst dir nie merken, welche Karten schon abgelegt worden sind, nicht mal unter Androhung der Todesstrafe.«

»Gino, ich mag dich wirklich, aber jetzt hör mir mal zu: Jemand, der so auffällig zwinkert, als hätte er Sand in den Augen, sollte lieber den Mund halten. Wenn du die Drei hast, muss man Angst haben, dass du gleich ’n Herzinfarkt kriegst. Da merken sogar die Leute drinnen in der Bar, welche Trümpfe du auf der Hand hast.«

Der vierte Mann heißt Pilade Del Tacca; er schaut auf vierundsiebzig ruhige Lenze zurück und schleppt zufrieden ein paar überzählige Pfunde mit sich herum. Die Jahre harter Arbeit bei der Gemeinde von Pineta, wo man nichts gilt, wenn man nicht mindestens viermal an einem Morgen frühstückt, haben ihn sowohl physisch als auch charakterlich geformt: Nicht nur sein Benehmen lässt zu wünschen übrig, er ist auch eine ziemliche Nervensäge.

Aldo beendet das Kartenmischen; ein kritischer Moment. Mit neutraler Stimme erklärt er, es gehe nicht an, dass jedes Mal er oder Ampelio entscheiden müssten, nur damit sich Del Tacca anschließend beschweren könne, »dass immer wir entscheiden. Entweder ihr entscheidet, oder wir machen was anderes.«

Ampelio meldet sich zu Wort. »Mir macht’s nichts aus, zu entscheiden, und wenn’s nicht passt, ändern wir halt die Paare.«

Del Tacca fragt: »Wenn’s wem nicht passt?«

Gino schlägt vor: »Der Schlampe von deiner Mutter – wem sonst? Uns allen, oder was?«

Die Luft ist zum Schneiden dick, von der frischen Brise ist nichts mehr zu spüren.

Mitten in das Schweigen tritt jetzt Massimo, der aus der Bar kommt und sich einen Stuhl heranzieht, um sich zu dem Grüppchen zu setzen.

Er zündet sich eine Zigarette an, nimmt den Kartenstapel und sagt: »Tiziana kann sich ’ne Weile allein um die Bar kümmern, um die Zeit kommt sowieso niemand. Wie wär’s mit einer Fünfer-Briscola?«

Es müssen nicht mal mehr Blicke gewechselt werden; die Augen werden wieder lebhaft, die Gläser geleert, Ellbogen auf den Tisch gestemmt, und los geht’s.

Briscola zu fünft ist immer gut.

Ungefähr sechs Monate zuvor übertönte Ampelios Stimme wie üblich den Lärm in der Bar. Geschickt lotste der Pensionär sie um die gewundenen intellektuellen Kehren seiner Rede, während er keine Gelegenheit ausließ, urbi et orbi seine Meinung über Gott und die Welt kundzutun.

»Ich versteh ums Verrecken nicht, was die jungen Leute bloß daran finden! Da wird man in einen Raum mit ohrenbetäubender Musik gesperrt, zusammengequetscht wie die Ölsardinen; statt zu tanzen, muss man sich aufführen, als hätte man Juckpulver in der Unterhose, und am Ende kommt man vollkommen verblödet aus dem Schuppen wieder raus. Und für diese Behandlung lassen sie einen auch noch bezahlen! Sag du mir, ob es richtig ist, dass …«

»Großvater, sprich erstens leiser, und zweitens hör auf, so einen Radau zu veranstalten. Danke. Im Übrigen, was kümmert es dich, wie sich die Leute vergnügen? Soll doch jeder machen, was er will, solange er keinem wehtut.«

Ampelio stellte das Glas ab und brummte in seinen Bart: »Pah, solange man keinem wehtut! Sich selbst tut man weh, sich selbst. Herrgott, wer unbedingt will, dass ihm der Schädel dröhnt, dem kann ich gern eins mit dem Stock überbraten, und zwar gratis …«

Aldo stand auf, um den Klappaschenbecher aus seiner Manteltasche zu holen. Das Boccaccio hatte Ruhetag, und wie immer war er – ein sorgenfreier Witwer, der gern in Gesellschaft war – abends in die Bar gegangen, wo er sich sicher sein konnte, ebendiese zu finden.

»Das Problem ist«, sagte er, während er vorsichtig in der Tasche nach dem Aschenbecher tastete, um den Mantel nicht vom Haken zu reißen, »dass sich heutzutage viele junge Leute nur noch amüsieren, wenn das, was sie machen, richtig teuer ist. Aber im Grunde war das schon immer so. Eine Art von vielen, den großen Macker zu spielen und den anderen zu zeigen, dass man die Taschen voller Geld hat. Nur, dass sich die Vorlieben ändern. Heutzutage ist es angesagt, so zu tun, als würde man sich mit Wein auskennen, zu meinem Glück, muss ich sagen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viele junge Typen nach dem Abendessen ins Restaurant kommen, die Weinkarte studieren, und dann ihre Bestellung aufgeben: ›Mir ist heute Abend nach einem Soundso …‹, und dann verwechseln sie womöglich noch den Namen des Weinguts mit dem des Weins, oder wollen einen ’87er Chianti, wo doch jeder, der sich auch nur ein bisschen auskennt, wissen müsste, dass ein ’87er Chianti bestenfalls als Treibstoff taugt, und als ob das noch nicht genügen würde, essen sie auch noch Käse mit Honig. Ziemlich schwierig, dabei ernst zu bleiben und sich nichts anmerken zu lassen.«

»Dabei wäre es besser, du würdest ihnen auf den Kopf zusagen, dass sie keinen Funken Ahnung haben«, unterbrach ihn Pilade mit gewohntem Feingefühl. »Und ihnen zeigen, wie der Hase läuft, damit sie mit der Zeit was dazulernen.«

»Ach ja, und dann? Dann haben sie was dazugelernt, aber den Wein trinken sie nächstes Mal woanders«, erwiderte Aldo. »Denen geht’s nicht um gutes Essen und Trinken, die wollen nur angeben und die Schlaumeier spielen. Sollen sie doch machen, was sie wollen. Ich verkaufe Wein und Essen, keine Vorträge.«

Dem wurde nicht widersprochen: Aldo hatte vollkommen recht, wenn er sagte, er verkaufe Wein und Essen ohne Firlefanz. Das Boccaccio hatte einen schier unerschöpflichen Weinkeller, mit besonderem Schwerpunkt auf den Weinen des Piemont und eine exzellente Küche. Punkt, Schluss. Der Service war akkurat, aber wenig förmlich, passend zu der nicht gerade erlesenen Einrichtung; sollte ein Gast etwas am Essen auszusetzen haben – was selten vorkam –, wurde das unverzüglich dem Chef de Cuisine, Otello Brondi, genannt Tavolone, zugetragen. Mit einem unbestrittenen Talent in der Kochkunst gesegnet, war dieser ansonsten nicht gerade von der Muse geküsst. Wenn er an den Tisch trat, sah sich der kritische Gast einem Bären von einem Mann mit etwa einem Kubikmeter Bauch gegenüber, flankiert von zwei mächtigen behaarten Unterarmen, der in alles andere als unterwürfigem Ton sagte: »Was soll das heißen, es schmeckt Ihnen nicht?«

Aldo zündete sich eine Zigarette an und fuhr fort: »Ich für meinen Teil hasse Lokale, wo sie einen wie einen Idioten behandeln, wenn man einen Wein bestellt, der nicht perfekt zum Essen passt, oder es sonst wie wagt, gegen die heiligen Gesetze der gehobenen Küche zu verstoßen. Lokale, in denen sie einem sagen: ›Aber nein, Sie wollen sich doch den köstlichen vom Knochen gelösten Kaninchenrücken nicht verderben, indem Sie einen Flan aus weißen Bohnen und Cashewnüssen als Beilage wählen? Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf …‹ Und das ist noch die harmlose Variante. In manchen Restaurants wird man sofort in eine Schublade gesteckt: Entweder man ist ein Kenner, dann rollt der Wirt den roten Teppich aus und bereitet einem einen Empfang, wie er nicht einmal Wanda Osiris zuteil geworden wäre, oder man ist ein ahnungsloser Fresssack, der vom Wein nicht das Geringste versteht, in welchem Fall sie einem ziemlich unverhohlen zu verstehen geben, dass man besser zu Hause geblieben wäre, statt herzukommen und den Betrieb zu stören, wo es doch Leute gibt, die auf einen Tisch warten und die Mühe zu schätzen wissen. Deine Scheinchen sind zwar gern gesehen, aber du nicht.«

Nach dieser Ansprache breitete sich Schweigen aus.

Der Mittwoch war ohnehin ein eher ruhiger Tag, außerdem ging draußen ein schneidender Wind, der hin und wieder die Deckel der Aschetonnen hochhob, Äste über Fensterscheiben schaben ließ und durch den Spalt unter der doppelten Glastür heulte. Allein dieses Geräusch ließ einen die Kälte erahnen, die draußen herrschen musste.

Massimo hielt es nicht mehr aus, hinter dem Tresen zu stehen und den Barmann zu spielen. Er trat durch die Schwingtür am Ende des Tresens und unternahm einen zaghaften Vorstoß, die Alten loszuwerden – sosehr er sie auch mochte, nach einer Weile gingen sie ihm gewaltig auf die Nerven –, in der Hoffnung, früher als sonst Feierabend machen zu können.

»Wollt ihr nicht lieber tanzen gehen, statt Karten zu spielen? Habt ihr nicht schon am Abend eine Partie gespielt?«, fragte er listig, indem er durchblicken ließ, dass der Abend schon eine Weile zurücklag, um ihnen durch die Blume zu verstehen zu geben, dass er gern schließen würde.

»Stimmt, doch wir haben ja immer noch Zeit«, erwiderte Ampelio.

»Aber wir sind zu fünft«, sagte Massimo und verfluchte sich innerlich. »Während ich wegen euch die Bar bis Mitternacht geöffnet habe, nur um euch beim Kartenspielen zuzusehen, werdet ihr immer vergesslicher, und Kartenspiele für fünf Spieler müssen meines Wissens nach erst noch erfunden werden.«

»Mag ja sein, dass du studiert hast, Massimo, aber was hat es dir gebracht? Gar nichts. Hast du wirklich noch nie Briscola zu fünft gespielt?«

»Nein …«

»Du kennst Briscola mit fünf Spielern nicht? Oh, Ampelio, was hast du deinen Enkel eigentlich gelehrt, als er noch klein war?«

»Meine Großmutter dreimal hintereinander um Schokolade anzubetteln und ihm dann die Hälfte davon abzugeben, weil sie sie ihm wegen seines Zuckers rationiert hat.«

»Ach so? Dein Großvater ist halt ein Dummkopf. Hör mal, willst du es nicht mal probieren? Ich garantier dir, du wirst dich amüsieren. Ich hab noch keinen getroffen, dem Briscola zu fünft nicht Spaß gemacht hätte.«

Massimo überlegte kurz. Draußen war es affenkalt, und der Gedanke, in die eisige Nacht hinauszugehen, war in der Tat nicht besonders verlockend.

Dann lerne ich wenigstens mal richtig Bluffen, dachte er; im Grunde war die Aussicht, den Gang in die Kälte noch ein bisschen aufzuschieben, gar nicht so übel.

Er trottete hinter den Tresen, um seine Zigaretten einzustecken, während der Wind durch die Rollläden pfiff und heftige Böen an den Straßenlaternen rissen, deren Licht verzerrte Schatten auf die Straße warf und die Welt da draußen gespenstisch aussehen ließ. Er machte sich einen Espresso, ohne die anderen zu fragen, ob sie auch einen wollten, ging damit zum Tisch, setzte sich auf einen Stuhl und streckte die Beine aus. Dann stützte er die Ellbogen auf die Armlehnen, zündete sich eine Zigarette an und sagte: »Bitte.«

Die vier nahmen ohne die üblichen Schmähungen und Beschimpfungen ihre Plätze ein und legten ein ganz neuartiges Verhalten an den Tag: eine Mischung aus Zufriedenheit und Konzentration, als wären sie im Besitz eines großartigen Geheimnisses und hätten endlich jemanden gefunden, der es zu würdigen wusste.

Hosen wurden hochgezogen, Ärmel hochgekrempelt und mit sakraler Inbrunst und großer Genugtuung Zigarettenpackungen auf dem Tisch zurechtgerückt. Kurzum: das typische Verhalten von Menschen, die Vorfreude empfinden.

Auch Massimos Laune besserte sich zusehends; während er beobachtete, wie sie es sich am Tisch bequem machten, überkam ihn ein merkwürdiges Gefühl, wie er es manchmal als kleiner Junge empfunden hatte, wenn die größeren Kinder ihn zum Spielen aufgefordert hatten: von sich aus, ohne dass ihre Mama sie dazu angehalten hätte. Das war, wie zu einem Ritual zugelassen zu werden: Egal, was für einen Quatsch man auch anrichtet, man amüsiert sich königlich und denkt später noch oft an diesen Tag zurück. Den Bruchteil einer Sekunde lang fragte er sich, ob ihm die Tatsache, dass er sich darauf freute, mit vier alten Männern Karten zu spielen, nicht vielleicht etwas absonderlich vorkommen müsste, doch er verscheuchte den Gedanken sogleich wieder.

Man wird ja wohl noch selbst entscheiden können, was einem Spaß macht, dachte er trotzig und konzentrierte sich auf den Hohepriester, der gerade dabei war, für ihn das Tor zum Tempel aufzuschließen.

»Also«, sagte Pilade, der als Zeremonienmeister fungierte, »es geht so: Zuerst werden die Karten ausgegeben, alle auf einmal, das heißt jeder bekommt acht. Dann kommt das sogenannte Reizen. Dabei erklärt jeder der Reihe nach, wie viele Punkte er bei dem Blatt, das er auf der Hand hat, voraussichtlich machen wird. Das Reizen beginnt bei sechzig, und der erste Spieler – der rechts vom Geber fängt an – sagt zum Beispiel: ›Ich biete einundsechzig‹, der zweite sagt: ›Ich biete dreiundsechzig‹ und so weiter und so fort, bis einer eine so hohe Punktzahl nennt, dass die anderen passen. Der höchste Bieter hat das Recht, die Briscola, die Trumpfkarte, zu bestimmen: Nehmen wir mal an, du hast das Reizen gewonnen und hast Münz-Ass und die Münz-Drei auf der Hand … Kannst du mir folgen?«

»Ja, ja, kann ich.«

»Also dann bestimmst du als Trumpffarbe die Münzen. Du sagst: ›Münz-König ist Trumpf.‹ Damit legst du zweierlei fest, erstens die Trumpffarbe. Zweitens deinen Mitspieler, nämlich denjenigen, der Münz-König auf der Hand hat. Die anderen drei spielen gegen euch. Um zu gewinnen, musst du, oder besser gesagt, müsst ihr beide die Punkte machen, die du zu Beginn angegeben hast. Indem du die Briscola bestimmst, stehen die Chancen zwar nicht schlecht, aber du musst dich dennoch mächtig ins Zeug legen, denn die anderen werden alles daransetzen, dass du verlierst. Außerdem spielt ihr zu zweit gegen drei.«

»Gut, nachdem die Teams bestimmt sind, wie geht das Spiel dann weiter?«

»Der Spieler rechts neben dem Geber fängt an, und dann immer der Reihe nach. Das Schöne am Fünfer-Briscola ist, dass du nicht weißt, wer mit dir spielt. Sobald du die Trumpfkarte genannt hast, beginnen die anderen vier, sich schiefe Blicke zuzuwerfen, sich gegenseitig zu verdächtigen, der Verräter zu sein, so zu tun, als hätten sie nicht auch einen Trumpf auf der Hand. Einer von ihnen lügt. Doch ehe die genannte Trumpfkarte nicht auf dem Tisch liegt, weiß keiner, wer mit wem spielt, weder man selbst noch die Gegner. Nur derjenige, der den Münz-König hat, weiß Bescheid und wird natürlich den Teufel tun, sich zu erkennen zu geben. Möglicherweise wird er sogar auf einen Stich verzichten, um erst so spät wie möglich entdeckt zu werden. Hast du alles verstanden?«

»Gib aus und lass uns ein Probespiel machen.«

Es wurde eine lange Nacht, und Massimo kam erst um vier Uhr früh heim, nachdem er zuvor Großvater Ampelio zu Hause abgeliefert und aufs Sofa verfrachtet hatte, denn Großmutter Tilde war wie immer um elf ins Bett gegangen und hatte die Schlafzimmertür abgeschlossen – wer zu spät kommt … Seither spielte Massimo hin und wieder, sofern die Kundschaft und die Anwesenden es zuließen, eine Partie Fünfer-Briscola und hatte einen Heidenspaß dabei.

Zwei

Anderthalb Stunden später war die Partie zu Ende: Pilade hatte gewonnen, Massimo und Aldo hatten sich wacker geschlagen, und Ampelio und Rimediotti waren hoffnungslos untergegangen. Während Massimo die Gläser abräumte – er hatte sich wohl oder übel wieder in den Barista zurückverwandelt –, rückten die Jünglinge ächzend ihre Stühle zur Promenade hin aus. Nachdem der Teufelskreis in das Halbrund eines Amphitheaters verwandelt worden war, konnten sie sich endlich der Beschäftigung widmen, die hier in Pineta der wahre Nationalsport ist.

Die Nase in die Angelegenheiten anderer stecken.

»Also, habt ihr das mitbekommen? Jetzt haben wir sogar einen Mord hier.«

»Also, so was. Das arme Ding, in der eigenen Wohnung umgebracht, stellt euch das mal vor! Nicht genug, dass man nicht mal mehr in Ruhe auf die Straße gehen kann, bei all den Albanern, die hier herumlaufen, nein, jetzt murksen sie einen auch schon zu Hause ab.«

»Entschuldige, Gino, erklär mir mal, was die Albaner damit zu tun haben. Und abgesehen davon: Woher weißt du, dass sie zu Hause ermordet worden ist?«

»Sie hatte Pantoffeln an, welche aus Plüsch. Mit solchen Pantoffeln geht sonst nur die Siria vor die Tür, und die lebt bekanntlich noch, auch wenn sie nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, also muss das Mädchen zu Hause umgebracht worden sein.«

»Ach, die Arme …«

Massimo, der den vollen Aschenbecher in den Abfalleimer leerte, konnte sich nicht mehr verkneifen, zu fragen: »Und was ist mit den Albanern?«

Gino sah ihn von unten her an und deutete mit einer Kinnbewegung gen Decke (eine jahrtausendealte Geste, mit der man eine Ansicht untermauert, in gewisser Weise himmlischen Zuspruch anruft: Sie ist unerlässlich bei Diskussionen in der Bar, besonders wenn es um Kommentare geht, die möglicherweise nicht auf einhellige Zustimmung stoßen, etwa über die Leistung eines Mittelstürmers, die Vertrautheit der Damenwelt mit Oralsex und Ähnliches) und sagte: »Findest du, dass es zu wenige gibt? Ist es etwa in Ordnung, dass all diese Leute hierherkommen, ohne irgendwelche Papiere, sodass man nicht mal weiß, wer die sind? Und da soll ich glauben, dass das alles anständige Menschen sind? Gauner sind das! Sie handeln mit Drogen, stehlen und halten sich für wer weiß wen …«

»Nein, das meinte ich nicht«, sagte Massimo hinterhältig. »Ich meinte, was sie hiermit zu tun haben. Erklär mir doch mal, wieso du jedes Mal, wenn etwas passiert, mit den Albanern daherkommst, zum Beispiel neulich, als der armen Frau am Lomi-Strandbad die Handtasche entrissen wurde?«

Gino errötete und verlor einen Moment lang den Faden. Drei Wochen zuvor war vor dem Strandbad einer Frau die Handtasche gestohlen worden, und der alte Herr hatte sich drei geschlagene Tage lang über die albanische Gefahr ausgelassen, prophezeit, dass man noch sein blaues Wunder mit denen erleben werde, und gefordert, dass der Staat etwas unternehmen müsse. So ging es bis zum Abend des dritten Tages, als herauskam, dass der Dieb der Enkel seines Nachbarn war.

Pilade nutzte die Gunst des Augenblicks, um sich in die Diskussion einzumischen. »Und woher weißt du das mit den Pantoffeln?«

»Massimo hat es uns erzählt, bevor du gekommen bist. Er hat die Unglückliche gefunden«, sagte Gino, ziemlich kleinlaut geworden. »Er hat sie gefunden.«

»Wie, jetzt, wo ich dir die Albaner madig gemacht hab, verdächtigst du stattdessen mich?«

»Du hast sie gefunden?«

»Nein, nicht wirklich, ein Typ hat sie hier um die Ecke in einem Müllcontainer entdeckt. Er hat versucht, die Polizei anzurufen, aber der Akku von seinem Handy war leer. Da morgens um Viertel nach fünf nur die Bar geöffnet hat, ist er zu mir gekommen, um die Polizei zu verständigen. Nur, dass er so hackedicht war, dass der Kerl in der Zentrale es für einen Scherz gehalten und aufgelegt hat. Also bin ich mit dem Jungen hingefahren, hab mir zeigen lassen, wo er die Leiche gefunden hat, und dann hab ich selbst die Polizei angerufen. Fünf Minuten später waren sie da, nach zehn Minuten hatten sie die Tote identifiziert, und da sie bereits den Dottore benachrichtigt hatten, haben sie alle ein Gesicht gemacht wie …«

Massimo, der mit dem Lappen den Tisch abwischte, hielt einen Moment lang inne, dann tauchte er ihn in den Eimer und wrang ihn aus. Er musste sich nicht anstrengen, um sich die Szene, die er an diesem Morgen erlebt hatte, ins Gedächtnis zu rufen – er erinnerte sich an jedes Detail.

Alles in allem war ihm Dr. Carli ziemlich sympathisch, und als er auf den Parkplatz gefahren kam, war Massimo gespannt zu sehen, wie er es aufnehmen würde, in dem Müllcontainer jemanden zu erblicken, den er kannte. Möglicherweise nur vom Sehen, aber er kannte sie. Und obendrein war sie noch die Tochter einer Person, mit der er sehr gut befreundet war.

Tatsächlich hatte er das Mädchen sofort erkannt und war, gelassen und ruhig, wie man es von ihm gewohnt war, nur einen Augenblick still vor der Leiche stehen geblieben, ehe er nachdenklich den Kopf geschüttelt hatte.

Einen besonders niedergeschmetterten Eindruck machte er auf Massimo nicht: Möglicherweise hatte er bereits etwas geahnt, als man ihn verständigt hatte. Erst nachdem er die Leiche untersucht hatte, war er ein wenig aus der Fassung geraten.

»Wissen Sie, was das Problem ist?«

Massimo sagte nichts, sondern sah den Dottore fragend an, dessen Augen jetzt leise Beunruhigung verrieten. Es war nicht zu übersehen, dass ihm davor graute, nach Hause zu gehen: Gewiss fühlte er sich in der Rolle des effizienten Mediziners wohler als in der des mitfühlenden Freundes.

»Das Problem ist, dass ich es Arianna sagen muss.«

Genau, dachte Massimo.

»Wollen Sie das tun?«, fragte Massimo. Was für eine idiotische Frage, aber er brachte es einfach nicht fertig, weiter schweigend dazustehen, während Dr. Carli zum soundsovielten Mal seine Brille putzte. An die zwei Meter groß, um die fünfzig, mit seinem grau melierten Haar und der gelassenen Miene entsprach er genau dem Bild des Gerichtsmediziners am Tatort. Entfernt erinnerte er Massimo an Guccini, da er sich auf diesem Parkplatz ebenso in seinem Element zu fühlen schien wie der Musiker auf der Bühne. Er habe sich in aller Eile anziehen müssen, wie immer, sagte er, noch dazu sei er erst spät von einem Empfang zurückgekommen und habe nur wenig geschlafen.

»Nun ja … Es wird mir wohl kaum etwas anderes übrig bleiben. Die Arme. Das heißt, die beiden Armen.«

Er schien sich sehr viel mehr Sorgen um die Mutter zu machen als um die Tochter. Aber das war ja auch verständlich: Die Mutter, die einen Teil des Sommers in Pineta verbrachte, war eine alte Freundin von ihm. Die Tochter hingegen hatte er wohl nur flüchtig gekannt, gingen die jungen Leute (Ariannas Tochter, der Sohn von Dr. Carli und andere Jugendliche aus dem Ort) doch meist ihrer eigenen Wege. Ausgerechnet die dröhnende Stimme von Kommissar Fusco, der in Massimo stets beunruhigende Gefühle weckte, war es, die ihn aus der unangenehmen Situation erlöste.

Wie es der Zufall wollte, hatte er mit ebenjenem Dr. Carli vor nicht allzu langer Zeit über Fusco gesprochen: Sie waren sich einig darin gewesen, dass es beinahe menschenunmöglich war, auch nur einen Funken Sympathie für den »Dottor Commissario«, wie Fusco gern genannt werden wollte, aufzubringen. Nachdem sie außerdem übereingekommen waren, dass Vinicio Fusco überempfindlich, arrogant, dickköpfig, überheblich und eitel war, hatte Dr. Carli abschließend den Satz geprägt: »Dieser Mann ist ein wandelndes Buch mit Witzen über Kalabresen.«

Und Massimo, der dieser Schlussfolgerung voll und ganz zugestimmt hatte, musste sich jedes Mal, wenn er an Fusco dachte, fragen, ob er vielleicht unter Rimediottis Einfluss bereits auf dem besten Wege war, rassistisch zu werden. Doch dann tröstete er sich mit einer Episode aus seiner Studentenzeit in Pisa. Damals hatte ein Freund von ihm, ein Sizilianer, von dem man alles behaupten konnte, nur nicht, dass er rassistische Neigungen hegte, im Zustand der Trunkenheit ein »Phantombild für den perfekten Idioten« entworfen und unter anderen sicheren Identifikationsmerkmalen, an die Massimo sich nicht mehr erinnern konnte, auch Ingenieur, Juventus-Fan und Kalabrese aufgeführt.

Wie auch immer, jetzt jedenfalls erschien der Kommissar im richtigen Augenblick. Gut gelaunt – man konnte sehen, dass er seine Arbeit liebte, vor allem, wenn er sie vor Publikum ausüben durfte –, trat er unvermittelt hinter die beiden.

»Also, Walter, verraten Sie mir alles: Alter, Geschlecht, Zeitpunkt des Todes, Ursache und sonstige Auffälligkeiten.«

Den Blick auf seine Schuhspitzen gerichtet, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, begann der Dottore: »Alter neunzehn, Geschlecht weiblich – nicht, dass für diese Erkenntnis ein Arzt nötig gewesen wäre –, Zeitpunkt des Todes ungefähr vor zwei bis fünf Stunden, und das war’s auch schon. Sonstige Auffälligkeiten: Die Welt ist voller Scheißkerle.«

Fusco war beeindruckt. Höchstwahrscheinlich hatte er vergessen, dass Dr. Carli die Tote gekannt hatte. Einen Moment lang stand er reglos da, den Unterkiefer vorgeschoben und die Hände in die Hüften gestemmt, ehe er zu dem Schluss kam, dass es besser war, sich geschäftig zu zeigen, statt weiter den Idioten zu geben. Er bellte die Fotografen an, dass er die Abzüge noch im Laufe des Morgens haben wolle, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf den dunkelgrünen Clio, der in der Nähe des Containers abgestellt war und dessen rechte Räder halb in einem Schlammloch versunken waren.

»Und was macht der da?«

Er ging zu dem Fahrzeug, blickte durch das Seitenfenster in das Innere und machte ein Gesicht, als wäre ihm alles klar. Er zeigte auf einen Polizisten und winkte ihn mit einer Geste zu sich.

Massimo beobachtete amüsiert, wie der lange Lulatsch mit weit ausholenden Schritten auf den kleinen Fusco zuging und vor ihm strammstand, um weitere Befehle entgegenzunehmen.

»Rühren Sie sich, Pardini. Das ist der Wagen des Jungen, der die Leiche gefunden hat. Der Schlüssel steckt noch. Fahren Sie ihn weg, der steht hier nur im Weg rum«, befahl er dem Brustkorb des Polizisten.

»Commissario, entschuldigen Sie, aber der Wagen …«, sagte der Junge, der darauf wartete, verhört zu werden und bei der Nennung seiner Person offenbar dachte, endlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, doch Fusco unterbrach ihn mit einer brüsken Handbewegung.

»Immer mit der Ruhe, mein Junge, während dein Auto weggefahren wird, unterhalten wir beide uns ein bisschen. Um wie viel Uhr hast du die Leiche entdeckt?«

»Vielleicht sollte ich Ihnen erst noch was anderes sagen. Hören Sie, der Wagen …«

Mit grimmigem Blick, den er wahrscheinlich lange vor dem Spiegel einstudiert hatte, die Hände nach wie vor in die Hüften gestemmt, stapfte Fusco auf den Jungen zu.

»Hör mal zu, mein Junge, erst beantwortest du meine Fragen. Ich wiederhole es noch einmal ganz langsam, damit du Zeit hast, deinen Rausch loszuwerden und es auch wirklich zu kapieren: Um-wie-viel-Uhr-hast-du-die-Leiche-gefunden?«

Inzwischen war Pardini eingestiegen, hatte den Sitz nach vorn geschoben, den Zündschlüssel umgedreht und den Motor angelassen. Das Auto rührte sich nicht vom Fleck, die im Schlamm steckenden Räder drehten durch. Zwei weitere Polizisten liefen herbei und schoben, bis es ihnen schließlich gelang, den Wagen aus dem Schlamm zu befreien.

»Ungefähr um vier, ziemlich sicher.«

»In welcher Position hast du sie vorgefunden?«

»Sie saß in dem Müllcontainer, und der Kopf hat rausgeragt. Genau so, wie Sie sie gesehen haben.«

»Ich weiß, ich weiß. Und dann bist du sofort zur Bar gefahren?«

»Nein, nicht sofort. Ich hab eine Weile gewartet, weil mir schwindelig war; dann bin ich losgefahren. Hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte den niegelnagelneuen Micra zu Schrott gefahren.«

Fusco ließ den Blick schweifen, zu dem Jungen, dem dunkelgrünen Clio, wieder zurück zu dem Jungen, dann zu der großen Schlammpfütze, und sagte, die Augen fest auf Letztere gerichtet: »Wie bitte?«

»Ich habe gesagt, ich hab ein bisschen gewartet und …«

»Halt!«, brüllte Fusco dem Polizisten zu, der dabei war, den Clio wegzufahren, und rief, die Augen zum Himmel gerichtet: »Scheiiiiße!« Wütend brüllte er den Jungen an: »Und das hättest du mir nicht gleich sagen können, oder, dass das nicht dein Auto ist! Ein Wagen mit dem Schlüssel im Zündschloss an einem Tatort, an dem eine Leiche gefunden wurde, und ich lasse ihn wegfahren! Und warum? Weil mir nie jemand was sagt! Was hast du eigentlich verdammt noch mal in deinem Schädel?«

»Aber, Commissario«, sagte der Junge, dem es aufrichtig leidzutun schien, der gleichzeitig aber auch etwas eingeschüchtert aussah, »genau das wollte ich Ihnen doch sagen, als Sie mir ins Wort gefallen sind …«

Fusco vergrub die Hände in den Taschen und starrte vor sich hin. Dann blickte er mit der finstersten Miene, zu der er fähig war, die Umstehenden der Reihe nach an, ehe er sich umdrehte und fortging, während er hörbar murmelte: »Klar, und schuld bist wie immer du, Fusco. Tja.«

Der Junge betrachtete schweigend den Rücken des Kommissars, und seine Miene verriet, dass sein Vertrauen in den Staat leise zu schwinden begonnen hatte.

Massimo und Dr. Carli, auf dessen Gesicht die Andeutung eines Lächelns lag, wechselten einen einvernehmlichen Blick.

»Jedes Mal, wenn ich ihn in Aktion erlebe, entdecke ich etwas Neues an ihm«, sagte Dr. Carli.

Unmittelbar darauf verdüsterte sich seine Miene jedoch wieder.

Teils aus Neugierde, teils um ihn noch ein wenig in ein Gespräch zu verwickeln, sagte Massimo: »Wenn Sie mir eine Frage erlauben: Sie sagten, der Mord liege etwa zwei bis fünf Stunden zurück; haben Sie einfach nur eine so große Zeitspanne genannt, um auf der sicheren Seite zu sein, auch wenn Sie eine Vermutung über den genauen Zeitpunkt haben, oder wissen Sie es tatsächlich nicht genauer?«

Der Arzt schüttelte den Kopf, dann antwortete er, ohne ihn anzusehen: »Im Moment kann ich wirklich nicht mehr sagen. Um sicher zu sein, braucht es weitere Untersuchungen. Man stellt den Abfall der aurikularen oder rektalen Temperatur fest, untersucht den Inhalt des Magens, falls man die genaue Uhrzeit des Abendessens kennt, und erst dann kann man eine präzise Aussage über den Zeitpunkt des Todes machen. Aber es hängt davon ab, wie lange das alles her ist. Je kürzer der Exitus zurückliegt, desto präziser kann man ihn bestimmen. Wie auch immer …« Der Arzt blickte Massimo an. »Ich denke, dass das Mädchen gegen Mitternacht gestorben ist, eine Stunde hin oder her. Aber mit Sicherheit kann ich das erst hinterher sagen … also … später.«

Fusco kam wieder zurück. Mit einem Handzeichen winkte er Dr. Carli zu sich, und während er auf ihn wartete, sagte er mit lauter Stimme zu Massimo und dem Jungen: »Ihr beide haltet euch zur Verfügung, ich muss euch noch offiziell verhören. Heute Nachmittag lass ich euch anrufen.«

»Dann musst du also zu Fusco und dich von ihm befragen lassen?«

In der Bar waren jetzt keine anderen Gäste mehr.

Alle waren an den Strand gegangen, und vor sechs Uhr abends würde sich niemand mehr blicken lassen; dann kehrten die Strandbesucher in kleinen Grüppchen zurück, um auf dem Heimweg noch eine Schiacciatina zu essen und ein Bierchen zu trinken. Ab sieben begann dann das Leben erneut und dauerte so lange, wie es dem da oben gefiel. Massimo stellte sich vor, wie es später in der Bar zugehen würde, rief sich die Gesichter vor sein geistiges Auge, die er begrüßen würde. Muskelpakete in Begleitung von Mädchen, die über jedes vernünftige Maß hinaus gebräunt waren, Livorneser mit ärmelloser Weste auf nackter Haut und um den Hals eine protzige Goldkette, außergewöhnlich schöne Frauen, so geschniegelt und gestriegelt, dass es sich nur um Edelnutten handeln konnte, bevölkerten den ganzen Abend lang die Bar, alle verschieden und doch austauschbar, dachte er. Um sich sogleich dafür zu schämen – warum, wusste er selbst nicht –, dass ihm beim Gedanken an diese interessanten Leute ausgerechnet eine Zeile von Luis Miguel in den Sinn gekommen war.