Immer montags beste Freunde - Laura Schroff - E-Book
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Immer montags beste Freunde E-Book

Laura Schroff

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Beschreibung

Eine Frau, die alles hat. Ein Junge, dem alles fehlt. Eine untrennbare Freundschaft.

Laura ist eine erfolgreiche Verkaufsleiterin, die an einem normalen Montag durch die Straßen von New York hetzt. Sie hat keine Zeit, achtet kaum auf ihre Mitmenschen – auch nicht auf den kleinen Jungen, der sie um Kleingeld anbettelt. Sie ist schon an der nächsten Straßenecke, als sie plötzlich stehen bleibt – und umkehrt. Sie kauft dem hungrigen Maurice etwas zu essen und erfährt von seinem Leben. Von dem Tag an treffen sich Maurice und Laura jede Woche über Jahre hinweg, immer montags. Dies ist die Geschichte ihrer einzigartigen Freundschaft – die bis heute anhält.

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Seitenzahl: 360

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Das Buch

Wir trafen uns in Manhattan. Ich war damals 35, Single und erfolgreiche Verkaufsleiterin, Maurice war ein 11-jähriger Straßenjunge. Warum ich ihn ansprach und zum Essen einlud, kann ich im Nachhinein nicht sagen. Doch am Montag darauf trafen wir uns wieder, und an jedem Montag der folgenden vier Jahre. Heute, fast 30 Jahre später sind wir noch immer beste Freunde.

Wie jeden Montag läuft Laura Schroff zur Arbeit durch die Straßenschluchten von New York. Sie hat keine Zeit, achtet kaum auf ihre Mitmenschen – auch nicht auf den kleinen Jungen, der sie um Kleingeld anbettelt. Sie ist schon an der nächsten Straßenecke, als sie plötzlich stehen bleibt – und umkehrt. Sie kauft dem hungrigen Maurice etwas zu essen, und sie unterhalten sich. Von dem Tag an treffen sich Maurice und Laura jede Woche, immer montags. Im Laufe der Jahre verändert der kleine Junge ihr Leben – und sie seines.

Die Autoren

Laura Schroff, geboren und aufgewachsen auf Long Island, hat als Verkaufsleiterin und Marketingspezialistin für mehrere große Medienunternehmen gearbeitet, darunter People, InStyle und Bribes. Laura Schroff lebt mit ihrem frechen Pudel Coco in New York City.

Alex Tresniowski schreibt und arbeitet seit vielen Jahren für die Zeitschrift People. Sein Buch The Vendetta wurde unter dem Titel Public Enemies mit Christian Bale und Johnny Depp für das Kino verfilmt.

LAURA SCHROFF

ALEX TRESNIOWSKI

IMMER

MONTAGS

BESTE

FREUNDE

Der Junge,

der mein Leben veränderte

Aus dem Amerikanischen

von Marie Rahn

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
An Invisible Threadbei Howard Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., New York
Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel Copyright © 2011 by Laura L. Schroff and Alex Tresniowski Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015 by Diana Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion | Claudia Krader Umschlaggestaltung | Eisele Grafik∙Design, München Umschlagmotiv | © Truax & Company and Bruce Gore unter Verwendung von Fotos von © Getty Images Bildmaterial auf den Umschlagklappen | Mit Genehmigung von Simon & Schuster, Inc., New York Satz | Leingärtner, Nabburg Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-641-16660-1V002
www.diana-verlag.de

Maurice in Lauras Wohnung, 1986. Er trägt die Uhr,

die sie ihm gekauft hat, um pünktlich in der Schule zu sein.

Sein erstes Thanksgiving –

Maurice zwischen Lauras Nichten und Neffen.

Karussellfahrt im Central Park, 1986.

Auf der Laufbahn im 10. Stock

von Lauras Apartmenthaus in Manhattan.

Maurice öffnet das erste Weihnachtsgeschenk von Laura –

ein ferngesteuertes Rennauto. Ihre Schwester Nancy

hilft ihm dabei.

Michael und Laura in Italien, 1989. Sie heirateten acht Monate später.

Maurice und seine Familie heute (v.l.n.r.):

Jalique, Laura, Jahleel, Maurice Jr., Ikeem, Princess,

Jahmed, Maurice, Michelle und Precious.

Laura, Maurice und seine Frau Michelle

auf Lauras 50. Geburtstag, Oktober 2001.

Maurice’ Traum ist wahr geworden:

Hier ist seine Familie um den großen Esstisch versammelt.

»Für alle, die ein bewegendes Beispiel dafür suchen,

welch großen Unterschied kleine

Gesten machen können.«

Kirkus Reviews

»Lesen Sie dieses Buch, reichen Sie es weiter

und ermutigen Sie Ihre Freunde,

das Gleiche zu tun.«

Huffington Post

»Eine komplexe, berührende Geschichte über

zwei Leben, die sich auf schicksalhafte Weise

überschneiden.«

Book Revue

»Eine wahre Geschichte über die weitreichenden

Folgen von Nächstenliebe.«

Publishers Weekly

Für all die Kinder wie Maurice, deren Leben unvorstellbar hart ist. Verliert niemals die Hoffnung, den Teufelskreis durchbrechen und Euer Leben verändern zu können. Hört nie auf zu träumen, denn die Macht der Träume gibt Euch Auftrieb.

INHALT

VORWORT

PROLOG

1   EIN BISSCHEN KLEINGELD

2   DER ERSTE TAG

3   EINE EINMALIGE CHANCE

4   DAS GEBURTSTAGSGESCHENK

5   DER BASEBALLHANDSCHUH

6   WAR’S DAS?

7   DAS LIED EINER MUTTER

8   DAS VERMÄCHTNIS DES VATERS

9   DIE BRAUNE PAPIERTÜTE

10   DER GROSSE TISCH

11   DER VERPASSTE TERMIN

12   AUSSEN VOR

13   BITTERSÜSSES WUNDER

14   EIN EINFACHES REZEPT

15   DAS NEUE FAHRRAD

16   DER WINTERMANTEL

17   DER DUNKLE WALD

18   EIN LETZTER TEST

19   DAS GRÖSSTE GESCHENK

EPILOG

DANK

INTERVIEW MIT LAURA SCHROFF

Ein unsichtbares Band verbindet ungeachtet von Zeit, Raum und Umständen diejenigen, deren Begegnung vorherbestimmt ist. Auch wenn dieses Band aufs Äußerste gespannt oder völlig verheddert ist, wird es niemals reißen.

CHINESISCHES SPRICHWORT

VORWORT

Als Laura Schroff 1978 zu einem Vorstellungsgespräch in mein Büro in Manhattan kam, war ich zwar beeindruckt von ihrer Persönlichkeit und bezaubert von ihrem Charme, doch nicht so überwältigt, dass ich sie vom Fleck weg eingestellt hätte. Ich mochte sie und hatte ein gutes Gefühl, wollte aber mehr über sie erfahren. Nicht nur über ihre Fähigkeiten, sondern auch über ihre Wertvorstellungen. Ich wollte herausfinden, was für ein Mensch sie war.

Damals war ich stellvertretende Herausgeberin von Ms., einer richtungsweisenden, monatlich erscheinenden Zeitschrift, die seit 1972 erschien. Das Anliegen des Magazins war schlicht, aber anspruchsvoll: Wir wollten ein Katalysator für Veränderungen in unserer Gesellschaft sein. Ms. setzte sich für die Gleichberechtigung ein und wollte Frauen inspirieren, ihnen Mut machen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen, eigene Entscheidungen zu treffen und sich in die von Männern dominierte Welt großer amerikanischer Unternehmen zu wagen. Damals in den Siebzigern gab es nicht viele Frauen, die Betriebswirtschaft studiert hatten. Ganz im Gegensatz zu heute, wo die Zahl der weiblichen Absolventen der Harvard Business School bei annähernd vierzig Prozent liegt. Es gab auch keine Fernsehsendungen mit Oprah Winfrey, in denen Frauen fünfmal pro Woche ermutigt wurden, wagemutig zu sein und ein erfülltes Leben zu führen. 1978 war noch nicht einmal die Idee zu Oprahs Zeitschrift O geboren.

In vielerlei Hinsicht war Ms. ein Prototyp, bahnte Frauen wie Oprah den Weg und versuchte, eine Generation zukünftiger Entscheidungsträgerinnen zu inspirieren. Diese Aufgabe bürdete den dort Beschäftigten eine enorme Verantwortung auf. Wir hatten nicht nur einen Job, sondern trugen dazu bei, die Welt zu verändern. Als Mitherausgeberin gehörte es zu meinen Aufgaben, Frauen einzustellen, die Werbeplatz in unserer Zeitschrift verkauften. Das war bei jedem Presseorgan ein wichtiger und anspruchsvoller Job, aber ganz besonders bei Ms.

Wenn man neu und anders ist, wissen die Leute noch nicht, wofür man steht. Eine ganze Weile betrachtete die Werbebranche unsere Zeitschrift mit ziemlichem Widerwillen. Daher mussten unsere Anzeigenverkäufer nicht nur Werbeplatz verkaufen, sondern auch die Botschaft, die Werte und die Standpunkte des Magazins vertreten. Ich brauchte Frauen, denen diese Herausforderung bewusst war und die sich mit der gleichen Hingabe den Zielen der Zeitschrift widmeten wie ich. Frauen, die auf feindliches Gebiet vordringen und die Überzeugungen der Menschen ändern konnten. Ich brauchte jemanden, der wirklich seinen Wertvorstellungen entsprechend lebte und den Mut hatte, für sie zu kämpfen.

Daher stellte ich mir bei Lauras Vorstellungsgespräch die Frage: Ist ihr wirklich wichtig, was wir hier tun, oder will sie nur einen Job?

Ich vereinbarte ein zweites Gespräch mit ihr, in dem ich sie dann bat, mir zu sagen, was im Leben wirklich wichtig für sie sei. Ohne zu zögern erzählte sie mir von ihrer Familie und ihren Freunden, von Loyalität und Gemeinsinn, von dem Wunsch, andere Menschen zu inspirieren. Ich erkannte, dass Laura eine Frau war, die sich für andere Menschen interessierte. Wegen ihrer Begeisterung für die Ziele unserer Zeitschrift verstand sie auch, wie wichtig es war, Menschen dazu zu ermutigen, sich Ziele zu setzen und ein besseres Leben anzustreben. Kurz nach diesem zweiten Gespräch boten wir Laura die Stelle an. Es war keine Überraschung, dass sie ihre Aufgabe mit Leidenschaft und Bravour meisterte und der Zeitung viele neue Anzeigen einbrachte.

Doch wie bemerkenswert Laura wirklich ist, erkannte ich erst einige Jahre später.

Damals verließ ich die Zeitschrift Ms., um für USA Today zu arbeiten, einer ebenso revolutionären neuen Zeitung, die um jede einzelne Anzeige kämpfen musste. Als Leiterin der Anzeigenabteilung musste ich Unternehmen dazu bringen, uns einen Vertrauensvorschuss zu geben. Sie sollten ihre Produkte und Dienstleistungen in einer bunten, großformatigen und überregionalen Tageszeitung bewerben, die das Land so noch nicht kannte.

Die Aufgabe war schwierig. Ich merkte schnell, dass ich dazu gewiefte Mitarbeiter brauchte, denen ich vertrauen konnte. Laura war die Erste auf meiner Liste. Sie kam an Bord, leistete erneut Großartiges und verkaufte Werbeplatz für Millionen Dollar in der USA Today.

Doch noch immer erkannte ich nicht, wie bemerkenswert sie wirklich ist.

Im Laufe der Jahre wurden Laura und ich Freundinnen. Wir verbrachten die Mittagspausen zusammen, redeten über Privates, gingen shoppen und machten, was Freundinnen eben so tun. Wir interessierten uns aufrichtig füreinander. Daher war es nicht ungewöhnlich, dass Laura 1986 am Dienstag nach dem Labor Day in mein Büro kam und erzählte, was ihr am Tag zuvor passiert war.

Ich hatte keine Ahnung, dass diese Geschichte eines Tages in Buchform erscheinen würde. Ich konnte nicht wissen, dass der Vorfall, den sie mir schilderte, deutlich zeigen würde, was für ein Mensch Laura ist. Damals war es nur eine von vielen Geschichten. Ganz bestimmt ahnten wir nicht einmal, dass wir noch fünfundzwanzig Jahre später darüber sprechen würden.

Laura erzählte mir damals, ein kleiner, elfjähriger Junge habe sie bei einem Spaziergang in der Nähe ihrer Wohnung in Manhattan angesprochen und um Kleingeld gebeten. Sie sagte, der Junge habe sehr traurige Augen und großen Hunger gehabt. Sie sei zunächst weitergegangen, dann aber aus einem unerfindlichen Grund umgekehrt. Anstatt ihm eine Münze zu geben, habe sie ihn zum Essen eingeladen.

Zuerst war ich verblüfft. Da ich längst immun gegen den Anblick von Bettlern auf den Straßen Manhattans war, zweifelte ich keine Sekunde, dass ich an dem Jungen vorbeigegangen und ganz bestimmt nicht umgekehrt wäre. Ich bewunderte Laura für ihr Verhalten.

Am Abend gingen wir zusammen essen und unterhielten uns über diesen Jungen: Maurice. Ich glaube, ich hatte sie noch nie so aufgeregt und begeistert erlebt. Obwohl sie dieses Kind nur ein einziges Mal gesehen hatte, war sie bereits an seinem Wohlergehen interessiert. Offenbar hatte etwas an ihm sie angerührt.

Im Verlauf der folgenden Tage, Wochen und Monate sprachen wir häufig von Maurice. Je mehr sie von ihm erzählte, desto mehr erkannte ich Lauras Beweggründe für ihr Verhalten. Dennoch muss ich zugeben, dass ich Lauras Beziehung zu diesem Jungen und seiner total kaputten Familie ziemlich problematisch fand. Ich machte mir Sorgen, ihr Verhalten könnte fehlinterpretiert werden und sie irgendwie Schaden nehmen. Manchmal war ich geradezu wütend auf sie, weil ich das Gefühl hatte, sie bringe sich in Gefahr. Ich fragte mich, ob Laura eigentlich klar war, welch eine riesige Verantwortung sie übernahm. Was war, wenn Maurice durch ihre Freundlichkeit von ihr abhängig wurde? Was, wenn dieses ungeliebte und vollkommen vernachlässigte Kind mehr von ihr brauchte, als sie geben konnte? Ich sprach mit Laura sehr nachdrücklich über meine Sorgen und Befürchtungen. Ich hatte das Gefühl, ich müsste ihre »Stimme der Vernunft« sein.

Bald wurde jedoch deutlich, dass nicht Vernunftgründe Laura antrieben. Was sie antrieb, waren Glaube, Überzeugung und Liebe.

Laura überzeugte mich mehr durch Handlungen als durch Worte, dass sie Maurice niemals im Stich lassen würde. Im Laufe unserer unzähligen Gespräche wurde mir klar, dass Laura Maurice wertvolle Erfahrungen bescherte, die ihm sein ganzes Leben lang nutzen würden. Sie tat das einfach, indem sie ihn in ganz normale Rituale ihres Alltags einband. Sie sagte zu mir, sie empfinde ihre Verpflichtung gegenüber Maurice als unaufkündbar, ganz gleich, wie erfolgreich sie sei, wie viel sie zu tun habe oder wie sehr sich ihr Privatleben verändern mochte. Ich kannte Laura gut genug, um zu wissen, dass dies nicht nur leere Worte waren. Sie nahm ihre Verantwortung gegenüber Maurice sehr ernst und würde sich niemals davor drücken.

Da endlich dämmerte mir, wie bemerkenswert Lauras Geschichte eigentlich ist.

Wir leben in einer zynischen Welt. Manchmal versperrt uns unser Zynismus den Blick darauf, wie die Dinge wirklich sind. Ich selbst war durch mein Leben in New York so zynisch geworden, dass ich die besondere Verbindung zwischen Laura und Maurice nicht begriff. Doch Laura hatte sämtliche Probleme, alle Risiken und die offensichtliche Unvernunft ihres Verhaltens ignoriert. Für sie zählte nur die liebevolle und innige Beziehung zweier Menschen, die einander brauchten.

Heute bin ich überglücklich, dass Laura die ganze Welt an ihrer Geschichte teilhaben lässt. Ich glaube, in ihren schlichten, alltäglichen Handlungen steckt eine mächtige Botschaft, und ich hoffe, ihre Geschichte inspiriert die Leser genauso wie mich.

Ich erinnere mich an ein Zitat von Dr. Martin Luther King Jr.: »Habe Vertrauen und nimm die erste Stufe. Du musst nicht die ganze Treppe schaffen, nur den ersten Schritt.«

Ich danke Laura, dass sie diese erste Stufe mit Maurice genommen hat.

Valerie Salembier

Senior Vice President, Publisher and Chief Revenue Officer von Town & Country

PROLOG

Der Junge steht allein auf einem Bürgersteig in Brooklyn und sieht, dass eine Frau um ihr Leben rennt und eine andere Frau sie mit einem Hammer jagt. Er kennt die fliehende Frau: Es ist die Freundin seines Vaters. Die Frau mit dem Hammer kennt er nicht.

Der Junge ist in seiner ganz persönlichen Hölle gefangen. Er ist sechs Jahre alt, herzzerreißend dünn und hat überall Flohbisse. Sein Bauch schmerzt vor Hunger, aber das ist nichts Neues. Mit zwei war er einmal so ausgehungert, dass er den Müll durchwühlte und Rattenkot aß. Daraufhin musste ihm der Magen ausgepumpt werden. Sein Zuhause ist die winzige, vor Schmutz starrende Wohnung seines Vaters in einem Elendsviertel von Brooklyn. Er schläft mit seinen bettnässenden Stiefbrüdern auf einer Matratze und überlebt an einem Ort, an dem es überall nach Tod stinkt. Seine Mutter hat er seit drei Monaten nicht mehr gesehen, den Grund kennt er nicht. Seine Welt besteht nur aus Chaos, Drogen und Gewalt. Mit seinen sechs Jahren ist ihm bereits klar, dass er es vielleicht nicht schafft, wenn sich nicht bald etwas ändert.

Er kann nicht beten, aber er denkt: Bitte erlaube nicht, dass mein Vater mich sterben lässt. Was in gewisser Weise ein Gebet ist.

Dann sieht der Junge seinen Vater die Straße heraufkommen. Die Frau mit dem Hammer sieht ihn auch und brüllt: »Junebug, wo ist mein Sohn?«

Der Junge erkennt die Stimme und fragt: »Mom?«

Die Frau mit dem Hammer mustert verwirrt den Jungen, dann sieht sie genauer hin und sagt schließlich: »Maurice?«

Der Junge hatte seine Mutter nicht erkannt, weil ihr von den Drogen die Zähne ausgefallen waren.

Die Mutter hatte ihren Sohn nicht erkannt, weil er so mager und ausgezehrt war.

Jetzt jagt sie Junebug und schreit: »Was hast du meinem Baby angetan!«

Der Junge sollte Angst oder Verwirrung empfinden, doch mehr als alles andere verspürt er Glück. Er ist glücklich, dass seine Mutter gekommen ist, um ihn zu holen. Er wird nicht sterben – zumindest nicht hier und jetzt.

Das war der Augenblick, in dem er sich der Liebe seiner Mutter bewusst wurde.

1

EIN BISSCHEN KLEINGELD

»Verzeihung, Lady, haben Sie ein bisschen Kleingeld?«

Das waren seine ersten Worte, damals, an einem sonnigen Septembertag in der Nähe des Broadways, auf der 56. Straße in New York.

Ich hörte sie zwar, achtete aber kaum darauf. Seine Worte gehörten wie Autohupen und Taxirufe zur Geräuschkulisse. Man könnte sagen, sie waren nur Hintergrundlärm – eine Belästigung, die New Yorker auszublenden gelernt haben. Also ging ich an ihm vorbei, als wäre er gar nicht da.

Nach ein paar Metern blieb ich stehen.

Und dann machte ich kehrt. Warum, weiß ich bis heute nicht.

Ich ging zurück, musterte ihn und stellte fest, dass er noch ein Kind war. Zwar hatte ich aus dem Augenwinkel registriert, dass er jung war. Aber als ich ihn richtig ansah, erkannte ich, dass er ein kleiner Bub war: schmaler Körper, dürre Ärmchen, große, runde Augen. Er trug ein dunkelrotes Sweatshirt mit Flecken und Löchern, dazu eine schäbige Jogginghose in gleicher Farbe. Die Schnürsenkel seiner schmuddelig weißen Sneakers waren offen, seine Fingernägel schmutzig. Doch seine Augen strahlten klar, und er war richtig süß. Wie ich bald erfahren sollte, war er elf Jahre alt.

Er streckte mir seine Handfläche entgegen und fragte noch einmal: »Verzeihung, Lady, haben Sie ein bisschen Kleingeld? Ich habe Hunger.«

Meine Antwort kam für ihn vielleicht überraschend, doch für mich war sie ein Schock.

»Wenn du Hunger hast, dann spendiere ich dir was bei McDonald’s«, sagte ich.

»Kann ich einen Cheeseburger haben?«, fragte er.

»Ja«, sagte ich.

»Und einen Big Mac?«

»Ja, auch das geht.«

»Und eine Cola light?«

»Ja, in Ordnung.«

»Äh, und einen Schokoshake und Pommes?«

Da sagte ich, er könne alles haben, was er wolle. Und ich fragte ihn, ob ich ihm beim Essen Gesellschaft leisten dürfe.

Darüber dachte er kurz nach.

»Okay«, sagte er.

Also aßen wir an jenem Tag gemeinsam bei McDonald’s zu Mittag.

Danach trafen wir uns jeden Montag.

Die nächsten 150 Montage.

Sein Name ist Maurice, und er veränderte mein Leben.

***

Warum ich stehen blieb und zu Maurice zurückging? Ich kann besser erklären, warum ich ihn zuerst ignorierte. Ich ignorierte ihn, weil er ganz einfach nicht auf meinem Plan stand.

Ich bin eine Frau, die ihr Leben bis ins Letzte plant. Ich mache Termine, fülle Zeitlücken und lebe nur nach der Uhr. Ich hetze von Meeting zu Meeting, arbeite Listen ab. Ich bin nicht nur pünktlich, sondern komme zu jedem Termin fünfzehn Minuten zu früh. Das ist mein Leben, das bin ich. Aber manches im Leben lässt sich nicht planen.

Regen zum Beispiel. Am 1. September 1986, dem Tag, an dem ich Maurice kennenlernte, fegte ein gewaltiges Unwetter über New York hinweg. Ich wachte bei Dunkelheit und prasselndem Regen auf. Es war das Wochenende des Labor Day, der Sommer neigte sich dem Ende zu. Ich hatte Karten für das US-Open-Tennisturnier am Nachmittag – super Plätze, drei Reihen vom Center Court entfernt. Zwar war ich kein großer Tennisfan, fand es aber toll, solche Plätze zu haben. Sie waren der sichtbare Beweis meines Erfolgs. 1986 war ich fünfunddreißig und hatte eine leitende Position in der Anzeigenabteilung bei USA Today. Ich war ziemlich gut in meinem Job, der darin bestand, persönliche Kontakte zu knüpfen. Vielleicht hatte ich mir mein Leben früher einmal etwas anders vorgestellt. Ich war immer noch Single, und ein weiterer Sommer war vergangen, ohne dass ich den Richtigen gefunden hätte. Doch nach normalen Maßstäben ging es mir ziemlich gut. Mit Kunden zu den US Open zu gehen und gratis direkt am Center Court zu sitzen, war nur ein weiteres Zeichen dafür, dass ich nicht mehr das Mädchen aus einem Arbeiterviertel auf Long Island war.

Der Regen spülte meine Pläne einfach weg, gegen Mittag wurde das Tennisturnier verschoben. Ich werkelte in meinem Apartment herum, räumte ein bisschen auf, tätigte ein paar Anrufe und las Zeitung, bis am Nachmittag endlich der Niederschlag aufhörte. Ich schnappte mir einen Pulli und machte einen Spaziergang. Zwar hatte ich kein Ziel, aber ein eindeutiges Vorhaben, nämlich die kühle Herbstluft und die zwischen den Wolken hervorblitzende Sonne auf meinem Gesicht zu genießen, ein bisschen Bewegung zu bekommen und mich vom Sommer zu verabschieden. Stehen bleiben jedoch stand nicht auf dem Plan.

Daher ging ich einfach weiter, als Maurice mich ansprach. Außerdem muss man bedenken, dass das während der 1980er in New York geschah. Damals waren Obdachlose und Bettler ein genauso vertrauter Anblick wie Kinder auf Fahrrädern oder Mütter mit Kinderwagen. Im ganzen Land herrschte wirtschaftlicher Aufschwung, und die Wall Street brachte täglich neue Millionäre hervor. Die Kehrseite der Medaille war, dass die Schere zwischen Arm und Reich auseinanderklaffte. Das zeigte sich nirgendwo krasser als auf den Straßen New Yorks. Die Mittelklasse bekam etwas vom Aufschwung ab, bei den Ärmsten und Elendsten der Stadt war aber nichts davon zu spüren. Vielen von ihnen blieb gar nichts anderes übrig, als auf der Straße zu leben. Allmählich gewöhnte man sich an sie: harte, ausgezehrte Männer und traurige, verhärmte Frauen, die Lumpen trugen, in Ecken lagerten, auf Lüftungsgittern schliefen und bettelten.

Man kann sich nur schwer vorstellen, dass jeder sie sehen konnte, ohne von ihrem Elend angerührt zu werden. Es waren so viele, dass die meisten Menschen unbewusst beschlossen wegzugucken. Im Grunde taten alle so, als wären die Armen nicht da. Das Problem schien so riesig und unlösbar, dass es einem vollkommen sinnlos vorkam, einem Einzigen zu helfen. So eilten wir täglich an ihnen vorbei, lebten unser Leben und akzeptierten, dass es nichts gab, was wir tun konnten.

Allerdings hatte es vor meiner Begegnung mit Maurice bereits einen Obdachlosen gegeben, den ich näher kennenlernte. Er hieß Stan und lebte in der Nähe der Sixth Avenue auf der Straße, nicht weit von meinem Apartment entfernt. Stan war ein gedrungener Mann Mitte vierzig, der ein paar Wollhandschuhe, eine marineblaue Mütze, alte Arbeitsschuhe und ein paar andere Habseligkeiten besaß, die er in Plastiktüten mit sich herumtrug. Dagegen besaß er nichts von alledem, was wir für selbstverständlich halten, eine warme Decke zum Beispiel oder einen Wintermantel. Er schlief auf einem Lüftungsgitter der U-Bahn, und die warmen Abgase der Züge hielten ihn am Leben.

Eines Tages fragte ich ihn, ob er gern eine Tasse Kaffee hätte. Er antwortete, ja gern, mit Milch und vier Zuckerstückchen, bitte. Danach machte ich es mir zur Gewohnheit, ihm jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit einen Kaffee zu bringen. Ich fragte ihn, wie es ihm gehe, und wünschte ihm viel Glück für den Tag. Eines Morgens war er weg und das Lüftungsgitter nicht mehr Stans Platz, sondern nur ein leeres Gitter. Er verschwand einfach aus meinem Leben, ohne die geringste Spur zu hinterlassen.

Ich war traurig darüber und fragte mich oft, was aus ihm geworden war. Mein Leben ging weiter, und nach einer Weile dachte ich nicht mehr an Stan. Mir widerstrebt zwar die Vorstellung, dass mein Mitgefühl für ihn und seine Schicksalsgenossen willkürlich war, doch wenn ich wirklich ehrlich bin, entspricht es der Wahrheit. Ihr Schicksal berührte mich zwar, aber nicht genug, um mein Leben zu verändern und zu helfen. Ich war kein selbstloser Gutmensch. Wie die meisten New Yorker lernte ich, die Belästigung auszublenden.

***

Dann kam Maurice. Ich ging an ihm vorbei zur Ecke Broadway und blieb dort mitten auf der Straße stehen. Ein paar Sekunden stand ich vor der Autoschlange, die auf das Umspringen der Ampel wartete, bis eine Hupe mich aufschreckte. Ich machte kehrt und eilte auf den Bürgersteig zurück. Ich weiß nicht mehr, ob ich überhaupt nachdachte oder eine bewusste Entscheidung traf. Ich weiß nur, dass ich es machte.

Wenn ich nach all den Jahren daran zurückdenke, glaube ich, dass eine starke, unsichtbare Verbindung mich zu Maurice zurückzog. Ich nenne diese Verbindung das unsichtbare Band. Wie ein chinesisches Sprichwort uns erklärt, ist dieses Band die Verbindung zwischen zwei Menschen, denen es bestimmt ist, sich ungeachtet von Zeit, Raum und Umständen zu begegnen. Manche Redewendungen bezeichnen diesen Umstand auch als roten Faden des Schicksals oder schicksalhafte Fügung. Ich glaube, das war es, was Maurice und mich in einer riesigen, übervölkerten Stadt zusammenführte. Zwei von acht Millionen Menschen, die irgendwie miteinander verbunden und dazu bestimmt waren, Freunde zu werden.

Keiner von uns ist ein Superheld oder besonders tugendhaft. Als wir uns begegneten, waren wir nur zwei Menschen mit komplizierter Vergangenheit und zerbrechlichen Träumen. Irgendwie fanden wir uns und wurden Freunde.

Das veränderte unser beider Leben.

2

DER ERSTE TAG

Als wir über die Straße zu McDonald’s gingen, sagte keiner von uns ein Wort. Was wir da machten, war schon ziemlich komisch. Das fanden wir beide jedenfalls. Zwei Fremde, ein Erwachsener, ein Kind, die gemeinsam essen gingen.

Schließlich sagte ich: »Hi, ich heiße Laura.«

»Und ich Maurice«, erwiderte er.

Wir reihten uns in die Schlange ein. Ich bestellte, was er sich gewünscht hatte. Big Mac, Pommes, Schokoshake. Und dasselbe für mich. Wir suchten uns einen Tisch, setzten uns, und Maurice stürzte sich auf sein Essen.

Er ist völlig ausgehungert, dachte ich. Vielleicht weiß er nicht, wann er das nächste Mal wieder etwas bekommt.

Nach wenigen Minuten hatte er alles verputzt. Als er fertig war, fragte er mich, wo ich wohnte. Wir saßen am Fenster und konnten von dort aus mein Apartmenthaus sehen, das Symphony. Also zeigte ich darauf und sagte: »Direkt da drüben.«

»Wohnst du in einem Hotel?«, fragte er.

»Nein«, erwiderte ich. »In einem Apartment.«

»Wie die Jeffersons?«

»Die aus der Fernsehsendung? Nein, so groß ist es nicht. Es hat nur ein Zimmer. Wo wohnst du?«

Nach kurzem Zögern erzählte er, er wohne im Bryant, einem Sozialbau an der Ecke 56. Straße West und Broadway.

Ich fasste es nicht, dass er nur zwei Blocks von mir entfernt lebte. Unsere Welten wurden lediglich durch eine einzige Straße getrennt.

Später erfuhr ich, dass es ein riesiger Vertrauensvorschuss von Maurice gewesen war, mir zu erzählen, wo er wohnte. Normalerweise traute er Erwachsenen nicht, schon gar nicht weißen. Hätte ich darüber nachgedacht, wäre mir vielleicht klar geworden, dass sich noch nie jemand mit ihm unterhalten oder nach seiner Wohnung erkundigt hatte, dass noch nie jemand nett zu ihm gewesen war oder ihm etwas zu essen gekauft hatte. Wieso sollte er mir trauen? Wie konnte er wissen, dass ich keine Sozialarbeiterin war, die ihn aus seiner Familie reißen wollte? Als er später zu Hause einem seiner Onkel erzählte, eine Frau sei mit ihm zu McDonald’s gegangen, sagte der: »Sie will dich schnappen. Halt dich von ihr fern. Geh nicht mehr zu der Ecke, vielleicht kommt sie zurück.«

Ich dachte mir, ich sollte Maurice etwas von mir erzählen. Zum einen fand ich es gut, dass ich mit ihm essen gegangen war, zum anderen fühlte ich mich nicht ganz wohl dabei. Schließlich war er ein Kind und ich eine Fremde. Brachte man Kindern nicht immer bei, niemals mit Fremden mitzugehen? Verstieß ich gegen ein Tabu?

Ich kann mir vorstellen, dass einige mein Verhalten rundweg für falsch erklären. Dazu kann ich nur sagen: Tief in meinem Herzen weiß ich, dass es in dieser Situation das einzig Richtige gewesen ist. Dennoch konnte ich verstehen, dass er vielleicht skeptisch war. Also dachte ich mir, wenn ich ihm etwas von mir erzählte, wäre ich ihm nicht mehr ganz so fremd.

»Ich arbeite bei USA Today«, sagte ich und merkte, dass er keine Ahnung hatte, wovon ich sprach. Ich erklärte ihm, dass das eine neue Zeitung sei und wir uns bemühten, die wichtigste überregionale Zeitung des Landes zu werden. Außerdem verkündete ich, mein Job sei es, Werbeplatz zu verkaufen, womit die Zeitung sich finanziere.

Nichts davon half ihm weiter.

»Was machst du den ganzen Tag?«, fragte er.

Aha, er wollte etwas über meinen Stundenplan wissen. Also erläuterte ich ihm den: Verkaufsgespräche, Meetings, Arbeitsessen, Präsentationen, manchmal Geschäftsessen.

»Jeden Tag?«

»Ja, jeden Tag.«

»Lassen Sie auch mal was ausfallen?«

»Nur wenn ich krank bin«, antwortete ich. »Aber ich bin selten krank.«

»Sie lassen nie einfach so einen Tag ausfallen?«

»Nein, nie. Das ist mein Job. Außerdem habe ich großen Spaß dabei.«

Maurice begriff kaum etwas von dem, was ich sagte. Erst später erfuhr ich, dass er vor mir noch nie jemanden mit einem richtigen Job kennengelernt hatte.

***

Noch etwas wusste ich nicht, als ich an jenem Tag mit Maurice zusammensaß. Ich wusste nicht, dass er ein Messer in der Tasche seiner Jogginghose hatte.

Eigentlich war es kein richtiges Messer, sondern ein kleiner Kartonschneider. Er hatte ihn aus einem Geschäft am Broadway gestohlen. Wie wenig ich mit seiner Welt vertraut war, zeigte sich daran, dass ich nicht einen Moment daran dachte, dass er eine Waffe haben könnte. Ich konnte mir so etwas einfach nicht in seinen kleinen, zarten Händen vorstellen. Mir war die Vorstellung völlig fremd, er könnte eine Waffe benutzen oder gar eine brauchen, um sich vor der in seinem Leben allgegenwärtigen Gewalt zu schützen.

Einen großen Teil von Maurice’ Kindheit bescherte ihm der Mann, der ihm das Leben geschenkt hatte, den schlimmsten Schmerz und Kummer.

Maurice lebte nicht sehr lange bei seinem Vater, doch in der kurzen Zeit stellte er eine ständige Bedrohung dar – wie eine tickende Zeitbombe. Auch er hieß Maurice, nach seinem verschollenen Dad. Als er geboren wurde, wusste niemand, wie man den Namen aussprach. Also wurde er Morris genannt, bis er den Spitznamen Lefty bekam, weil er alle mit der Linken k.o. schlug, obwohl er Rechtshänder war.

Morris war nur knapp einen Meter sechzig groß, zäh und aggressiv. Er verhielt sich, als müsste er ständig etwas beweisen. Er lebte in einer bekanntermaßen gefährlichen Gegend im Osten Brooklyns, in einem Viertel namens Brownsville. Dort wurde in den Vierzigerjahren die berüchtigte Gang Murder Inc. gegründet und wüteten später ein paar der schlimmsten Verbrecherbanden des ganzen Landes. Morris gehörte in dieser Umgebung zu den gefürchtetsten Männern.

Er war ein sehr erfolgreicher Teil der verrufenen Tomahawks-Gang und hatte sich auf Raubüberfälle spezialisiert. Er raubte sogar Leute aus, die er kannte. Auf der Howard Avenue wurde gewürfelt – fünfzehn, zwanzig Leute trafen sich und warfen Zehner und Zwanziger in einen Pott. Morris spielte ganz gern. Eines Abends verkündete er, er werde den Pott mitnehmen. »Mir klaut niemand was«, entgegnete einer der Männer. Morris knockte ihn mit dem Knauf seiner Waffe aus, raffte mehrere Hundert Dollar an sich und ging einfach. Keiner sagte ein Wort. Am nächsten Tag stand Morris an ein Auto vor seinem Wohnhaus gelehnt, als die Männer vorbeigingen, die er beraubt hatte. Er lächelte und forderte sie damit heraus, etwas zu sagen. Wieder machte keiner den Mund auf.

In einer Frau namens Darcella fand Morris schließlich sein Gegenstück. Sie hatte helle Haut und weiche Gesichtszüge, war schlank und hübsch und eines von elf Kindern einer Alleinerziehenden namens Rose, die aus Baltimore nach Brooklyn gezogen war. Darcella wuchs mit ihren Brüdern auf und wurde ebenso tough wie sie. Sie war bekannt dafür, dass sie sich mit jedem anlegte, der ihren Weg kreuzte, ganz gleich, ob Mann oder Frau. Sie traktierte ihn unermüdlich mit blitzschnellen Schlägen. Man wusste nicht, ob sie verrückt war oder nur bösartig. Als Teenager war sie eines der wenigen weiblichen Mitglieder der Tomahawks, und sie trug die schwarze Lederjacke der Gang mit Stolz.

Dann verliebte sie sich in ein Gangmitglied, das sie mit seinem großspurigen Gehabe beeindruckte. Aber Morris und Darcella waren nie ein gutes Gespann. Sie waren sich zu ähnlich, zu explosiv. Dennoch wurden sie ein Paar. Sie nannte ihn Junebug, von Junior, da er genau genommen Maurice Jr. war. Er nannte sie Red, von Red Bone, einem Spitznamen für hellhäutige farbige Frauen. Bevor Darcella zwanzig wurde, hatte sie drei Kinder. Zwei Mädchen, Celeste und LaToya, und einen Sohn, den sie Maurice nannte.

Zum Unglück der Kinder kommunizierten Darcella und Morris meist nicht mit Worten, sondern in der Sprache der Gewalt. Vor allem Morris war schwer alkohol- und drogensüchtig. Wenn er kokste, kiffte oder trank, geriet er sehr leicht in Rage. Kam er in diesem Zustand nach Hause, traktierte er seine Familie mit Beschimpfungen und Fäusten. Er schlug seine Töchter regelmäßig auf den Kopf. Einmal verprügelte er Celeste so heftig, dass ihr das Trommelfell platzte. Darcella ohrfeigte, schlug und boxte er mit derselben Skrupellosigkeit, die alle in Brownsville in Angst und Schrecken versetzte. Auch sein einziger Sohn Maurice bekam seinen Teil ab. Wenn der Junge dann weinte, brüllte er: »Schnauze, du Scheißgör!«, und schlug ihn weiter.

Morris verschwand oft tagelang zu seiner Freundin Diane, um hinterher wieder zu Hause aufzutauchen und Darcella zu warnen, ja keinen anderen Mann anzuschauen. Irgendwann trieb Morris’ Untreue sie dazu, ihre Kinder zu nehmen und in die berüchtigten Marcy Projects in Bed-Stuy zu ziehen. Das war ein Wohnkomplex mit siebenundzwanzig sechsstöckigen Gebäuden. 1700 Wohnungen mit über 4000 Menschen. Drogen und Gewalt waren an der Tagesordnung. Also kaum eine geeignete Zufluchtsstätte. Dorthin wollte sich Darcella vor einer noch größeren Gefahr flüchten.

Morris fand sie natürlich. Eines Nachts drang er in ihre Wohnung ein und verlangte, Darcella zu sprechen. »Red, du darfst mich nicht verlassen«, heulte er. »Ich liebe dich.« Da der kleine Maurice zusah, blieb Darcella fest.

»Nein, auf gar keinen Fall«, sagte sie. »Du bist nicht gut für uns. Verschwinde.«

Da ballte Morris seine Linke zur Faust und schlug Darcella ins Gesicht. Sie fiel zu Boden, und Maurice umklammerte das Bein seines Vaters, damit der nicht noch einmal zuschlagen konnte. Morris schleuderte den Jungen gegen die Wand. Wie sich herausstellte, war das ein Fehler: Als Darcella ihren Sohn am Boden liegen sah, rannte sie in die Küche und kam mit einem Steakmesser zurück.

Morris blieb unbeeindruckt. Schließlich war ihm schon oft mit dem Messer gedroht worden. »Was willst du denn damit?«, fragte er.

Darcella machte einen Satz auf ihn zu. Da er schützend die Arme hochriss, traf sie ihn nur dort. Wieder und wieder stach sie auf seine Arme ein, während er sie abzuwehren versuchte. Schließlich taumelte er in den Flur, ging blutüberströmt zu Boden und schrie: »Red, du hast mich erstochen! Du willst mich umbringen. Ich glaub’s einfach nicht!«

Maurice beobachtete alles mit weit aufgerissenen Augen. Schließlich kam die Polizei und fragte Morris, wer ihn so übel zugerichtet habe.

»Ein paar Typen«, sagte der nur.

Dann humpelte er davon. Der gerade mal fünfjährige Maurice sah seinen Vater gehen. Die Familie, wie er sie kannte, gab es nicht mehr.

***

Mein erstes Essen mit Maurice war nach einer halben Stunde vorbei, aber ich wollte ihm noch nicht Lebewohl sagen. Als wir hinaus auf die Straße traten, schien die Sonne hell und warm, daher fragte ich Maurice, ob er Lust habe, im Central Park spazieren zu gehen.

»Meinetwegen«, sagte er achselzuckend.

Wir betraten den Park am südlichen Ende und schlenderten über einen Pfad Richtung Great Lawn. Radfahrer, Jogger, Mütter mit Kleinkindern, lachende Teenager, sie alle wirkten sorglos und unbeschwert. Auch jetzt sagten wir kaum etwas, sondern gingen nur nebeneinander her. Ich wollte mehr über Maurice und die Umstände erfahren, die ihn zum Betteln gezwungen hatten, aber ich hielt mich zurück, weil er mich nicht für eine Schnüfflerin halten sollte.

Nur eines fragte ich ihn.

»Und du, Maurice? Was willst du machen, wenn du groß bist?«

»Keine Ahnung«, antwortete er, ohne zu zögern.

»Nicht? Denkst du nie darüber nach?«

»Nein«, sagte er nur.

Maurice verbrachte seine Tage nicht damit, sich vorzustellen, dass er später einmal Polizist oder Astronaut oder Baseballspieler oder Präsident werden wollte. Er wusste nicht einmal, dass die meisten Jungs von solchen Dingen träumten. Selbst wenn er sich ein Leben jenseits des Elends hätte vorstellen können, das seine Welt ausmachte, wäre es sinnlos gewesen, sich solchen Träumen hinzugeben. Maurice wollte gar nichts sein, weil es keinen Grund gab anzunehmen, er könnte jemals etwas anderes werden, als er schon war: ein Schnorrer, ein Bettler, ein Straßenkind.

Im Park fegte der kühle Herbstwind die Blätter von den Bäumen, und durch die riesigen Ulmen blitzte die Sonne. Wir schienen meilenweit vom steinernen Stadtkern weg zu sein. Ich stellte Maurice keine Fragen mehr, sondern ließ ihn einfach nur seine Pause vom Alltag auf der Straße genießen. Als wir den Park verließen, kamen wir an einem Häagen-Dazs-Stand vorbei, und ich fragte ihn, ob er ein Eis wolle.

»Kann ich ein Schokohörnchen haben?«, fragte er.

»Aber ja«, erwiderte ich.

Ich bestellte zwei Hörnchen. Als ich Maurice seines reichte, sah ich ihn zum ersten Mal lächeln. Es war kein breites Grinsen wie bei den meisten Kindern. Es huschte nur kurz über sein Gesicht und war sofort wieder verschwunden. Aber ich sah es, und es war für mich etwas Wunderschönes und Kostbares.

Als wir unser Eis aufgegessen hatten, fragte ich: »Hast du sonst noch Lust auf etwas?«

»Könnten wir Videospiele spielen?«

»Na klar.« Also gingen wir in eine Einkaufspassage am Broadway. Ich gab Maurice ein paar Münzen und sah ihm zu, wie er Street Fighter spielte. Er verlor sich darin wie jedes andere Kind, ruckte am Joystick, steckte vor lauter Konzentration die Zunge zwischen die Lippen, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Geräusche von sich, während er mit seinem Avatar auf einem Martial-Arts-Turnier kämpfte. Es machte Spaß, ihm dabei zuzusehen.

Später an diesem Tag fiel mir auf, dass ich mich in den wenigen Stunden mit Maurice außerordentlich wohlgefühlt hatte. Mit wenig Geld und geringem Zeitaufwand. Sofort verspürte ich Schuldgefühle. War ich nur stehen geblieben und hatte ihm ein Essen spendiert, um mich gut zu fühlen? Hatte ich mich statt mit Kino oder Schaufensterbummeln damit amüsiert, Maurice einen Burger und ein Eis zu kaufen? War an meinem Verhalten etwas unterschwellig Gönnerhaftes oder gar Ausbeuterisches?

Hilf einem armen Kind, dann fühlst du dich besser?

Damals hatte ich keine Antwort darauf. Ich wusste nur, dass es sich richtig angefühlt hatte, mit Maurice zusammen zu sein.

Wir verließen die Einkaufspassage und schlenderten über den Broadway, bis wir an der 56. Straße landeten, genau dort, wo wir uns begegnet waren. Ich öffnete meine Tasche und gab Maurice meine Visitenkarte.

»Hör zu, solltest du jemals Hunger haben, ruf mich bitte an. Ich sorge dafür, dass du etwas zu essen bekommst.«

Maurice nahm meine Karte, betrachtete sie und stopfte sie in seine Tasche.

»Danke für das Essen und das Eis«, sagte er. »Das war ein toller Tag für mich.«

»Für mich auch«, erwiderte ich. Dann gingen wir auseinander.

Ich fragte mich, ob ich Maurice je wiedersehen würde. Die Chancen dafür standen schlecht. Damals wusste ich nicht, wie schwer Maurice es hatte, in welcher Not seine Familie lebte. Sonst hätte ich ihn bestimmt nicht einfach gehen lassen. Wahrscheinlich hätte ich ihn in die Arme genommen und festgehalten.

Aber ich ging weg, und als ich mich umdrehte, um ihn im Trubel des Broadways zu suchen, war er nirgendwo mehr zu sehen. Ich musste akzeptieren, dass er vielleicht aus meinem Leben verschwunden war und dass unsere seltsame Freundschaft endete, kaum dass sie begonnen hatte.

Doch glaubte ich auch damals schon, dass es etwas im Universum gibt, das Menschen zusammenbringt, die einander brauchen. Eine Kraft, die zwei völlig fremden Menschen hilft, miteinander in Kontakt zu treten. Vielleicht ist sie genau das, was uns am meisten quält, was uns dazu bringt, auf andere zuzugehen, um Trost zu suchen. Vielleicht brachte mich meine eigene Vergangenheit dazu, an jenem Tag kehrtzumachen und zu Maurice zurückzugehen. Und vielleicht, nur vielleicht, würde jenes unsichtbare, schicksalhafte Band uns wieder zusammenbringen.

Auf dem Weg nach Hause übermannte mich die Reue, denn ich hatte Maurice zwar meine Visitenkarte gegeben, aber kein Geld für den Anruf. Damals gab es noch keine Handys, und ich konnte nicht davon ausgehen, dass er in seiner Wohnung ein Telefon hatte. Wenn er mich anrufen wollte, musste er wahrscheinlich in eine Telefonzelle, und das hieß, dass er um einen Vierteldollar betteln musste.

Aber am Ende war das völlig egal.

Denn auf dem Heimweg warf Maurice meine Karte in den Müll.

3

EINE EINMALIGE CHANCE

Am nächsten Tag wollte mir Maurice einfach nicht aus dem Kopf gehen. Ich erzählte meiner Chefin und Freundin Valerie von unserem gemeinsamen Nachmittag und sprach auch mit meinen Kollegen Paul und Lou über den tollen Jungen, den ich kennengelernt hatte. Die Reaktion war immer gleich: »Das ist ja toll.« – »Schön für dich.« – »Das hast du gut gemacht.« Für sie war es anscheinend nichts Besonderes.

Natürlich hatten wir alle ziemlich viel zu tun. Als ich Maurice traf, war es mein Job, Wirtschaftsunternehmen zu überreden, bei USA Today Anzeigen zu schalten. Ich verbrachte viel Zeit damit, meine Kontakte bei einer Investmentfirma anzurufen und über ihre Börsenveröffentlichungen zu reden, in denen Aktien von Unternehmen angeboten wurden. Diese Anzeigen waren langweilig, bestanden nur aus Buchstaben und Zahlen ohne Bilder, ohne Schnickschnack. Für uns waren sie trotzdem so wertvoll wie Gemälde von Picasso: Seite um Seite schöne Aufträge.

Ein richtiger Volltreffer für mich war American Express. Deren Werbeabteilung spielte mit dem Gedanken, Anzeigen bei uns zu schalten, war aber nicht ganz sicher, ob wir ihren Qualitätsansprüchen genügen konnten. Ich redete ihnen monatelang gut zu, es einfach zu versuchen. Ich wusste, ein derart angesehenes Unternehmen für uns zu gewinnen, wäre nicht nur für die Zeitung, sondern auch für mich ein großer Erfolg. Meine Kontakte dort waren zwei beeindruckend unzugängliche Frauen. Während endloser Besprechungen und Geschäftsessen hatte ich das Gefühl, keinen Schritt weiterzukommen. Aber eines Nachmittags saß ich gerade an meinem Schreibtisch, als eine der Stoikerinnen anrief: American Express war mit zwei Seiten dabei. Sollten sie mit der Präsentation und Positionierung der Anzeige zufrieden sein, würden sie weiteren Werbeplatz kaufen, da war ich mir ziemlich sicher. So kam es auch: Am Ende buchten sie fast hundert Anzeigenseiten. Das war ein Riesenerfolg für mich, mein größter Triumph bei USA Today. Als ich Maurice kennenlernte, befand ich mich gerade auf dem bisherigen Höhepunkt meiner Karriere.

Und weit, weit weg von dem, woher ich kam.

***

Als ich die Highschool in Huntington Station verließ, meiner Heimatstadt auf Long Island, hatte ich einen Traum, für den man keinen College-Abschluss brauchte. Denn ich wünschte mir sehnlichst, Stewardess zu werden. Ich war ohnehin eine extrem schlechte Schülerin gewesen und wusste nur, dass ich aus meiner Heimatstadt rauskommen und die Welt sehen wollte. Ich dachte mir, der beste Weg dazu wäre ein Job in der Flugbranche.

Zuerst bekam ich aber nur eine Stelle als Sekretärin bei einer Versicherung. Ich arbeitete für drei süße alte Kerle mit breiten Krawatten und kurzärmligen Hemden, tippte Briefe, nahm Diktate auf, stellte Anrufer durch. Da meine Bürokenntnisse nicht berühmt waren, meldete ich mich in einer Schule für Sekretärinnen an und lernte dort, zwischen klackernden Schreibmaschinen, eine Frau kennen, die bei Icelandic Airlines arbeitete.

Die erzählte mir, dass sie gerade jemanden fürs Büro suchten. Zugegeben, nicht gerade mein Traumjob. Schließlich wäre ich wieder nicht über den Wolken, sondern am Schreibtisch. Aber es war ein Anfang. Ich vereinbarte mit der Airline einen Termin für einen Schreibmaschinentest und übte Abend für Abend tippen. Beim Test bemühte ich meine gesamte Konzentration und war danach sicher, ich hätte sechzig absolut fehlerfreie Wörter pro Minute geschafft.

Aber ich fiel durch.

Ich war am Boden zerstört. Daher bat beziehungsweise flehte ich die Prüferin an, einmal um den Block gehen und den Test wiederholen zu dürfen. »Bitte, bitte, ich war nur nervös. Ich kann es viel, viel besser.« Die Prüferin hatte Mitleid mit mir, ließ mich einmal um den Block gehen, und als ich zurückkam, holte ich tief Luft und haute erneut in die Tasten.

Ich fiel ein zweites Mal durch.

Jetzt hatte die Prüferin wirklich Mitleid mit mir. Die beiden verhauenen Tests gaben mir die Möglichkeit, mit ihr zu reden, die Formalitäten zu umgehen und zu zeigen, wie ich wirklich war: verletzlich, aber entschlossen, etwas ungeschickt, aber sehr einfallsreich. Das, so fand ich schnell heraus, war meine Stärke. Die Prüferin fand Gefallen an mir und empfahl mich für eine Stelle am Empfang.

Als ich an meinem letzten Tag bei der Versicherung mit meinem geliebten beigen 1964er VW-Käfer über den Northern State Parkway zur Arbeit fuhr, hatte ich das Gefühl, mein Leben würde jetzt, mit neunzehn, endlich beginnen. Ich überholte einen Wagen mit zwei Nonnen, die mir ein seliges Lächeln schenkten. Ich lächelte so selig wie möglich zurück. Dann sagte ich: »Wir sehen uns, Mädels«, und gab Gas. Ich zog von der mittleren auf die linke Spur und verlor die Kontrolle über den Wagen, weil ich über einen Spalt im Asphalt gefahren war, der die Spuren trennte. Der Satz des Autos verschlug mir das Lenkrad, das Steuer glitt mir aus den Händen, und bevor ich michs versah, schleuderte ich auf die Leitplanke zu. Ich geriet in Panik, packte das Lenkrad und riss es nach rechts. Der VW drehte sich dreimal um die eigene Achse, bevor er sich überschlug und mit dem Dach auf dem Seitenstreifen landete.