Immer schön auf Augenhöhe - Gesine Lötzsch - E-Book

Immer schön auf Augenhöhe E-Book

Gesine Lötzsch

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Beschreibung

Gesine Lötzsch ist die Berliner Powerfrau der Linkspartei. Seit 2002 sitzt sie im Bundestag und hat als Stellvertretende Fraktionsvorsitzende manche Schlacht geschlagen. Ob im Kampf gegen Schikanen bei der Raumvergabe oder bei der Erfüllung von Wahlkampfversprechen - Gesine Lötzsch hat sich ihren politischen Schneid bis heute erhalten. Für wen der Osten Deutschlands noch immer Ausland ist, wieso jede Zahl im Bundeshaushalt besser frisiert wird als sämtliche Finanzminister zusammen und warum gewisse Parteien über Fußfesseln für ihre Abgeordneten nachdenken sollten, darüber schreibt Lötzsch so heiter wie klug. Entstanden ist ein kurzweiliges Buch, das zum Lachen, Ärgern, aber vor allem zum Nachdenken über Politik in Deutschland anregt.

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Seitenzahl: 167

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Alle Rechte der Verbreitung vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist nicht gestattet, dieses Werk oder Teile daraus auf fotomechanischem Weg zu vervielfältigen oder in Datenbanken aufzunehmen.

Bildnachweis:

Die Bilder stammen, soweit nicht anders angegeben, von Klaus Singer.

S. 10 – Uwe Völkner/Fotoagentur FOX

ISBN E-Book 978-3-359-50067-4

ISBN Buch 978-3-359-01732-5

© 2017 Eulenspiegel Verlag, Berlin

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin, unter Verwendung eines Fotos von Uwe Völkner/Fotoagentur FOX

Die Bücher des Eulenspiegel Verlags erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

www.eulenspiegel.com

INHALT

Einstieg links

Tierische Neujahrskarten

Im Rücken der Kanzlerin

Tango-Therapie

Jedem nach seinen Bedürfnissen

Horst Schlämmer – Isch kandidiere!

Ich will einen See kaufen

Geburtstagsparty im Kanzleramt

Fußfesseln für Abgeordnete?

Nachts auf der Elsenbrücke

Bersarin wieder Ehrenbürger

An apple a day keeps the doctor away!

Für Clara und die anderen – im roten Wartburg unterwegs

Was geschah am 4. Oktober 1957?

Unsere Bundespräsidentinnen

Bundestag live

Erste Rede – Beifall von allen?

In der Rumpelkammer

Jackett für die Kanzlerin

Auslandseinsatz ohne Schuhcreme?

Knifflige Fragen von der vierten Klasse

Mehr Stimmen als Frau Merkel

Stalin im Raucherraum

Zweierlei Maß

Zwischenfall im Plenarsaal

Lobbyisten in den Ministerien

Nichts geht über ein Selfie mit der Kanzlerin

Spitzabrechnung

Hartz-IV-Diskussion unterm Kreuz

Sommerfest

Hartz IV – Armut per Gesetz

Tag der Befreiung

Internationales

Reise ohne Jugendliche?

Manolis Glezos wartet am Flughafen

Eine Inschrift aus Charkow

Porto Alegres Exportschlager

»Das hat Joschka Fischer nie geschafft!«

Kochen, essen, mehr verstehen

Zur Wahl durch den Checkpoint

Taliban in Nadelstreifen

Die größte Frauentagsfeier der Welt

Brexit aus der Nähe

Ein Feiertag für Europa

Wo sind die Russen-Flüche geblieben?

Unterton beim ZDF

Wladimir Gall – Im Goldenen Buch von Spandau

Martha aus Griechenland

Extraausgabe des Spiegel für Fidel Castro

Zwischen Anschluss und Vereinigung

Tierpark für alle!

Stromausfall im Schloss Bellevue

»Völkerstadien oder so«

Ost- und West-Orden

Attac?, attac? Attacke!

Sozialistische Wärmestuben

Osten immer noch Ausland?

Unrechtsstaat?

Reichsbahner mit »Fremdrenten«

Die Mutter aller Heuschrecken

Erste Landtagswahl

Schwester Agnes fehlt

Palast der Republik

Politik hautnah

Der Zauber von 1500 Rosen

Silvestertouren

Chor ist mehr als nur Singen

Immer nah am Wasser

Wie geht man mit Gewalt um?

Wo ist mein Lieblingsbuch?

Hol dir das Har(t)z-Feuer!

»Ich stehe direkt unter Ihrer Uhr!«

Kein Sommerloch in Lichtenberg

Lesen macht Aha

Tanz in den Mai

Team Gesine Lötzsch gegen Zementwerk

Der Fall Emmely

Was tun?

Autogramm auf dem Örtchen

Mach deinen eigenen Film

Weihnachten bei Jenny De la Torre

Alle Plätze besetzt

Opposition ist nicht Mist

Republikaner-Aufkleber an den Büroschränken

»Jede Zahl in diesem Haushalt ist besser frisiert …«

Pfeifen zur Wahl

Zählgemeinschaften

Umbau für Millionen?

Vizepräsidentenwahlen

Fischer und Schily als Trittbrettfahrer

Mövenpick-Partei

Revolte im Bundesrat

Mein Stern-Interview wird nicht gedruckt

Zivilcourage

Lesen gegen das Vergessen

Gesicht zeigen

Puccini und der Streit um die Zuwanderung

Solidarität im Weitlingkiez

Loch im Tagesablauf

Zug der Erinnerung

Solidarität oder Gier

EINSTIEG LINKS

Tierische Neujahrskarten

In jedem Jahr, kurz vor Weihnachten, wird uns von der Bundestagsverwaltung ein dicker Katalog mit Weihnachtskarten frei Haus ins Büro geliefert. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, und ich mag meinen Kolleginnen und Kollegen, die Weihnachtsbäume vor dem verschneiten Brandenburger Tor oder lustige Schneemänner vor dem Reichstag schön finden, nicht zu nahe treten. Ich persönlich finde sie kitschig und langweilig. Wann gab es eigentlich in den vergangenen Jahren mal so viel Schnee vor dem Brandenburger Tor, dass man einen Schneemann hätte bauen können? Ehrlich, ich kann mich daran nicht erinnern …

Wir setzten uns also im Büro zusammen und dachten nach. Wir wollten eine Weihnachtskarte gestalten, die weihnachtlich aussieht, aber sich trotzdem für Grüße zum Jahreswechsel eignet. Schließlich kam uns die Idee: In meinem Wahlkreis befindet sich der Tierpark. Wir könnten doch jedes Jahr mit einem anderen Tier Werbung für unseren großartigen Tierpark machen!

Seit 2005 gibt es nunmehr jeden September einen festen Termin in meinem Kalender: das Fotoshooting mit mir und einem Vierbeiner. Jedes Jahr ist ein anderes Tier der Star meiner Neujahrskarten und jedes Mal ist es aufregend und wert, kleine Geschichten über die Begegnung von Mensch und Tier zu erzählen.

Politik auf Augenhöhe. Gut für den Osten. Meine Neujahrskarte 2005.

Angefangen habe ich mit einer Giraffe. Ich musste auf eine sehr große Leiter steigen, um ihr in die Augen schauen zu können. Mein Motto war damals: »Politik auf Augenhöhe. Gut für den Osten.« Diese Fotoshootings sind wirkliche Mutproben.

Besonders aufregend war mein Treffen mit Patna, dem fünfzehnmonatigen Nashorn. Ich glaubte, ein träges Tier zu treffen. Doch Patna rannte wie wild durch den Käfig. Immerhin kann ein Nashorn eine Spitzengeschwindigkeit von 45 Stundenkilometern erreichen. Der Fotograf stand sicher hinter der Absperrung und forderte mich unentwegt auf, dichter an Patna heranzugehen. Das war leichter gesagt als getan. Mein Herz klopfte bis zum Hals, und der Mut verließ mich zusehends. Doch der Pfleger rettete mich. Er brachte eine große Stiege mit Äpfeln. Patna wurde plötzlich zahm wie ein Hamster, und ich konnte fast mit ihm kuscheln.

Diese individuellen Neujahrskarten verteile ich vor allem in meinem Wahlkreis. Das Besondere an meinem Neujahrsgruß ist zudem eine tierische Preisfrage, die die Empfänger beantworten sollen. Unter den vielen richtigen Antworten werden zwei Gewinner gezogen, die eine Jahreskarte für den Tierpark bekommen. Natürlich verschicke ich die Neujahrskarte auch an Abgeordnete und Journalisten. Bereits im November werde ich auf den Gängen des Bundestags von Kollegen gefragt, wann denn die Neujahrskarte komme und ob es noch Tiere im Tierpark gäbe, mit denen ich noch nicht fotografiert wurde.

Im Rücken der Kanzlerin

Der Finanzminister hatte seine Rede zum Haushalt 2017 beendet, und ich trat als Vertreterin der größten Oppositionspartei an das Rednerpult, um unsere Position zum Entwurf der Bundesregierung darzustellen. Als mich Bundestagspräsident Lammert ankündigte, verließ die Hälfte der Bundesminister und Parlamentarischen Staatssekretäre die Regierungsbank. Auch die Reihen der CDU/CSU-Fraktion lichteten sich. Johannes Kahrs von der SPD rief: »Frau Kollegin, ich würde die zahlreichen Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion erst einmal aus dem Saal gehen lassen. Das ist ja eine Massenflucht!« Auch die Kanzlerin verließ ihren Platz, ging hinüber zum CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Kauder, der in der ersten Reihe saß, und begann mit ihm ein intensives Gespräch, den Rücken zu mir gewandt. Deutlicher kann man kaum sein Desinteresse an einer politischen Debatte bekunden. Das ging selbst dem Bundestagspräsidenten zu weit. Er sagte zu mir: »Einen Augenblick, Frau Kollegin«, dann zur Kanzlerin: »Frau Bundeskanzlerin und Herr Kollege Kauder, dass Sie sich hier vorne unterhalten, das muss so jetzt nicht sein, und wenn, dann muss es jedenfalls nicht hier vorne sein.« Diese Rüge für die Kanzlerin stand am nächsten Tag in allen Zeitungen. Ich wurde von vielen Menschen auf der Straße angesprochen, die über das Verhalten der Kanzlerin empört waren und Norbert Lammert lobten.

Ich habe schon häufiger erlebt, dass Menschen sich eher über das schlechte Verhalten von Politikerinnen und Politikern empören als über die schlechte Politik. Das ist es nicht, was ich kritisiere. Im Gegenteil, wenn wir uns heute über die Verrohung der Sitten in unserer Gesellschaft zu Recht ärgern, dann müssen wir uns fragen, ob wir nicht einen Anteil daran haben. Wenn CDU/CSU-Abgeordnete massenhaft die Flucht ergreifen, während die Opposition ihre Politik kritisiert, dann zeitigt das seine öffentliche Wirkung. Immer wieder beschweren sich Besucher – unter anderem auch Schüler – über die schlechten Umgangsformen der Abgeordneten im Plenarsaal. Diese Abgeordneten wollen Menschen, die eine andere Meinung vertreten, nicht zuhören. Das ist gefährlich. Wenn keiner mehr dem anderen zuhört, dann ist das das Ende der Demokratie.

Die Kanzlerin hat nach mehreren Wahlniederlagen ihrer Partei eingestanden, dass sie in den vergangenen Jahren Fehler gemacht hat. Diese Fehler beging sie auch deshalb, weil sie die Opposition geringschätzt. Wir haben die Kanzlerin immer wieder und mit Nachdruck aufgefordert, Italien und Griechenland mit den Flüchtlingen nicht alleinzulassen. Sie blendete unsere Kritik einfach aus und verließ sich auf das Dublin-Abkommen, das die Aufnahme von Geflüchteten in Europa regelt. Dort wo Geflüchtete ankommen, müssen sie ihren Asylantrag stellen. So konnte sich die Bundesregierung jahrelang zurücklehnen, denn Deutschland ist auf direktem Wege nahezu unerreichbar. Die Regierung Merkel überließ das Problem den Italienern und den Griechen. Das Dublin-Abkommen ist gescheitert. Die Kanzlerin steht vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik.

Menschen haben ein feines Gespür. Auch wenn sie die ständig komplizierter werdende Politik nicht immer verstehen, haben sie klare Vorstellungen, wie man sich benimmt. Und wer kein Benehmen hat, der kann auch keine anständige Politik machen. Das sehe ich auch so.

Tango-Therapie

Unser Wahlkreisbüro in Lichtenberg befand sich viele Jahre in einem ehemaligen Kindergarten. Heute heißen sie ja leider Kindertagesstätte, kurz Kita. Dabei finde ich Kindergarten viel schöner. Wer denkt sich nur solche Namen im Beamtendeutsch aus?

Auf jeden Fall wurden nach der Wende viele Kindergärten geschlossen und abgerissen, weil immer weniger Babys zur Welt kamen. Die Zukunftsängste führten in Ostdeutschland zum stärksten Geburtenrückgang seit dem Zweiten Weltkrieg.

In der Ahrenshooper Straße mieteten wir drei Räume in einer ehemaligen Kita an und bauten sie zu einem Wahlkreisbüro um. Schnell war es mehr als das. Es entstand ein kleines Kulturhaus. Dank der Tanzlehrer Max und Ute konnten wir auch Tanzkurse in unserem Programm anbieten. Die beiden brachten uns erste Tangoschritte bei. Wie so oft meldeten sich jedoch mehr Frauen als Männer an. Der Frauenüberhang wurde von mir kurz entschlossen behoben, indem ich meine männlichen Mitarbeiter als Teilnehmer »verpflichtete«. Klaus, mein Büroleiter, erzählte mir nach dem fröhlichen Abend von seiner Tanzpartnerin. Ihr sei es gar nicht so sehr ums Tanzen gegangen, hatte die Mittsechzigerin gesagt. Sie habe seit drei Wochen mit keinem mehr gesprochen. Sie wollte endlich einmal wieder unter Menschen sein.

Diese Geschichte hat mich sehr nachdenklich gestimmt. Immer wieder stelle ich fest, dass Menschen vereinsamen. Sie leben allein und fühlen sich ausgeschlossen. Sie igeln sich ein, verlassen nur noch selten ihre Wohnung. Ihnen fehlen Gesprächspartner, sie vermissen sicher auch Anerkennung. Diese ungewollte Isolation nimmt in unserer Gesellschaft zu. Das ist beunruhigend. Ich möchte anders leben, und deshalb lautet mein Lebensmotto: Solidarisch geht es besser! Zur Solidarität gehört für mich auch, dass wir uns stärker um Menschen kümmern, die den Kontakt zur Gesellschaft verloren haben.

Heute werden wieder mehr Kinder in Lichtenberg geboren, und nun fehlen Kitaplätze. Deshalb zogen wir nach vielen Jahren aus unserem schönen »Kulturhaus« aus und machten Platz für eine neue Kindergartengruppe.

Jedem nach seinen Bedürfnissen

Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte, auch wenn das immer wieder gebetsmühlenartig behauptet wird. Der Philosoph Slavoj Žižek meint, dass es uns leichterfiele, uns das Ende der Welt als das Ende des Kapitalismus vorzustellen: »Als würde der Kapitalismus selbst dann intakt bleiben, wenn das gesamte Leben auf dem Planeten verschwindet.«

Die Finanzkrise 2008 hat deutlich gemacht, welch unglaubliche Zerstörungskraft im Kapitalismus steckt. Es war nicht so, dass nur einige Bankangestellte nicht gewusst hätten, was sie taten. Auch die Kritik an Spekulanten ist berechtigt. Es gibt keinen Kapitalismus ohne Krisen. Besorgniserregend ist, dass die Zahl der Krisen zunimmt und deren Wucht immer größer wird. Die FAZ schrieb 2012: »Der Zusammenbruch des Finanzkapitalismus 2008 und die Eurokrise haben die Legitimation eines Systems infrage gestellt, das sich nur noch um sich selbst – sprich seine Schulden – dreht.« Kürzer hat es Papst Franziskus formuliert: »Diese Wirtschaft tötet.«

In Anbetracht der vielen existenziellen Probleme, die der Kapitalismus hervorruft, suchen immer mehr Menschen nach Alternativen. Können die Probleme überhaupt in diesem System gelöst werden? Schon Marx hat diese Frage mit Nein beantwortet. Der Verkauf des Marxschen »Kapital« stieg während der Finanzkrise sprunghaft an.

Ich wurde von der Zeitung Junge Welt gebeten, einen Artikel über die »Wege zum Kommunismus« zu schreiben. Wer den Artikel gelesen hat, weiß, dass der Weg zum demokratischen Sozialismus beschrieben wurde. Doch wer liest heute noch Artikel, die mehr als 1000 Zeichen haben? Der latente Antikommunismus in unserem Land brach wie eine Lawine über mich herein. Der CSU-Vorsitzende forderte wegen des Artikels eine flächendeckende Überwachung der LINKEN, und sein Generalsekretär wollte gleich ein Parteiverbotsverfahren anstrengen. Es fand sogar eine CDU-Demonstration vor meiner Wohnung statt. Dieses kleine Häuflein von Antikommunisten wirkte erbärmlich und leistete keinen wirklichen kreativen Beitrag zur Frage, was nach dem Kapitalismus kommen soll. Natürlich wurden Kommunismus, Stalinismus, Mauer und Stacheldraht in einen Topf geworfen und kräftig umgerührt. Mir wurde vorgeworfen, dass ich mich in dem Artikel nicht zu den Opfern des Stalinismus geäußert habe. Das Neue Deutschland schrieb dazu: »Das kann man vereinbaren – wenn fortan auch das Wort Christentum nie mehr gebraucht wird, ohne dessen blutige Spur der Brandmorde an Hexen und Ketzern, der Kreuzzüge und der Kumpanei des Vatikans mit dem Hitler-Faschismus einen Viertelsatz zu widmen.«

Ähnliches lässt sich natürlich auch über den Kapitalismus sagen. Der Kapitalismus war nach dem Zweiten Weltkrieg so diskreditiert, dass man die »soziale Marktwirtschaft« erfand. Das klingt zwar netter, ist aber nur alter Wein in neuen Schläuchen.

In unserem Fraktionssaal im Bundestag hängt ein Plakat mit dem Bild eines freundlichen Lothar Bisky und dem Satz: »Wir stellen die Systemfrage!« Wenn wir das System infrage stellen, müssen wir natürlich den Menschen sagen, was danach kommt. Nach meinem Artikel habe ich in meiner Partei Zustimmung und Ablehnung erfahren. Im Berliner Abgeordnetenhaus wurde sogar von SPD und LINKE der Entschließungsantrag »Keine Verklärung kommunistischer Irrwege« beschlossen, in dem es heißt: »Das Abgeordnetenhaus lehnt entschieden Ideologien ab, die auf die Abschaffung von Grund- und Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gerichtet sind. Das Abgeordnetenhaus hält die Debatte über Wege zum Kommunismus für absurd und überflüssig …« Ich glaube, es ist ein einmaliger Vorgang, dass ein Parlament beschließt, dass eine Diskussion überflüssig ist.

Obwohl also das Parlament beschlossen hatte, die Diskussion zu beenden, veröffentlichte die FAZ einen Beitrag unter der Überschrift: »Lob des Kommunismus« von David Graeber. Der erste Satz lautet: »Ich definiere Kommunismus hier als jede menschliche Beziehung, die nach dem Prinzip funktioniert: ›jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen‹.«

Horst Schlämmer – Isch kandidiere!

Meine Praktikantin Jessica kam aufgeregt in mein Büro. Eine Mitarbeiterin von Horst Schlämmer oder Hape Kerkeling hätte angerufen. Ich solle in einem Film mitspielen. Ich war von der Idee nicht begeistert. Die Gefahr war zu groß, von Horst Schlämmer veralbert zu werden. Doch Jessica ließ nicht locker. Horst Schlämmer sei einfach Kult, da müsse ich mitmachen, meinte sie.

Ich bat meinen Büroleiter Klaus, »die Lage« zu sondieren. Er kam mit der Regieassistentin überein, welche Fragen Horst Schlämmer an mich stellen würde. Klaus meinte, es könne gar nichts schiefgehen.

Wir trafen uns in einer Berliner Kneipe. Horst Schlämmer und ich saßen am Tresen und lächelten uns an. Die Kamera lief, und er stellte keine einzige abgesprochene Frage. In der Drehpause bat ich meinen Büroleiter noch einmal, mit der Regie über den Inhalt des Gesprächs zu reden. Es entstand ein kleiner Disput. Horst Schlämmer kam dazu und wollte wissen, welche Schwierigkeiten es gäbe. Er meinte, das sei kein Problem, er würde die abgesprochenen Fragen stellen. Die Drehpause war zu Ende. Die Kamera lief, und Horst stellte nun wieder ganz andere Fragen. Irgendwie war es lustig und machte auch mir Spaß. Jessica meinte, es sei ein sehr nettes Gespräch gewesen, und wir sollten nichts ändern. So kam es dann auch. Die Szene wurde nicht herausgeschnitten. Der Film selbst ist schnell erzählt: Der stellvertretende Chefredakteur des Grevenbroicher Tagblatts, Horst Schlämmer, hat von seinem Job genug. Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung beschließt er, in die Politik zu gehen. Er gründet die HSP, die »Horst-Schlämmer-Partei«. Er will Kanzler werden. Die HSP ist liberal, konservativ und links. Unter dem Motto »Yes Weekend« tritt er im TV-Kanzlerduell gegen Angela Merkel an. Er schlägt den Bundeshasen als neues Wappentier vor. Ein weiteres Ziel ist, seinen Heimatort Grevenbroich zur Bundeshauptstadt zu machen. Den Film haben immerhin 1,3 Millionen Zuschauer gesehen, und ich natürlich auch.

Ich will einen See kaufen

Die Nachfolgeorganisation der Treuhand, die BVVG – Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH –, verkauft in Ostdeutschland Häuser, Seen, Wälder und Äcker – alles muss raus. In der Regel sind es nicht die Ostdeutschen, die das Geld haben, um einen See oder einen Acker zu kaufen. Auch die Gemeinde Wandlitz sah sich nicht in der Lage, das nötige Geld aufzubringen.

Der Wandlitzer See soll 2003 für nur 420000 Euro an den Düsseldorfer Anwalt Werner Becker veräußert worden sein. Das sorgte für große Aufregung. Die Medien berichteten ausführlich über das Geschäftsgebaren des Herrn Becker. Ich stritt mit diesem Anwalt in einer RBB-Sendung über den Umgang mit ehemaligem Volkseigentum. Die Wellen schlugen hoch, und unzählige Zuschauer riefen an und machten ihrem Ärger Luft.

Anwalt Becker gründete die Wandlitzsee-Aktiengesellschaft. Jeder Besitzer eines Bade- oder Bootssteges sollte Aktien kaufen oder eine jährliche Miete zahlen. Die Jahrespacht für einen Steg sollte 10000 Euro betragen. Im Jahr 2004 gab es rund 120 Stegbesitzer. Nur sechs Grundstückseigentümer machten von diesem Angebot Gebrauch. Anwohner berichteten, dass auch bei Entnahme von Wasser aus dem See eine Zahlung an den Eigentümer fällig wurde. Ein grotesker Vorgang!

Ich habe meine Praktikantin Annetta gebeten, für mich einen See in den alten Bundesländern zu kaufen. Sie suchte einen ganzen Tag im Internet, rief sogar Makler an und stieß immer nur auf Verwunderung. »Wir können Ihnen ein Seegrundstück verkaufen, aber Seen verkaufen wir nicht. Wie soll das gehen?«

Was in den alten Ländern auf völliges Unverständnis stieß, ist im Osten absurde Realität. Absurd ist aber nicht nur die Aktiengesellschaft von Anwalt Becker, sondern sind auch die Gesetze, die es der BVVG erlauben, Seen, Äcker und Wälder zu verkaufen.

Wir müssen uns doch die Frage stellen, was aus unserer Demokratie wird, wenn der letzte See, der letzte Acker, der letzte Wald und die letzte Wohnung privatisiert sind. Dann kann in den Parlamenten eigentlich über nichts mehr entschieden werden, dann haben wir keine Demokratie mehr. Ich kann mich noch gut erinnern, dass zu Beginn der 90er Jahre das Berliner Abgeordnetenhaus über die Fahrpreise der BVG abstimmte. Seitdem wurden viele demokratische Entscheidungen aus den Parlamenten ausgelagert. Jetzt werden Entschlüsse, die alle Menschen angehen, immer häufiger von Gremien getroffen, deren Mitglieder sich nie einer demokratischen Wahl gestellt haben. Es wird Zeit, dass der Privatisierungswahn beendet wird. Verkehrsbetriebe, Krankenhäuser und alle Einrichtungen, die für eine Gesellschaft unverzichtbar sind, müssen wieder durch Parlamente kontrolliert werden. Das würde auch wieder mehr Menschen dazu bewegen, an Wahlen teilzunehmen.

Geburtstagsparty im Kanzleramt

Josef Ackermann gehörte als Chef der Deutschen Bank zu den Spitzenverdienern in unserem Land. Ackermanns Fixgehalt soll seit 2003 1,15 Millionen Euro pro Jahr betragen haben. Zusätzlich soll er erfolgsabhängige Vergütungskomponenten bezogen haben, die in manchen Jahren zehn Millionen Euro überstiegen. Öffentliche Empörung löste Ackermann im Frühjahr 2005 aus, als er ein neues Rekordergebnis der Deutschen Bank und gleichzeitig den Abbau von über 6000 Arbeitsplätzen ankündigte. Er war im Vorstand unter anderem für das Investmentbanking zuständig. Das, was so abstrakt technisch klingt, sind Spekulationsgeschäfte mit Wertpapieren, aber auch mit Spareinlagen von Privatkunden. Michael Endres, ehemals Vorstand der Deutschen Bank, verließ 1998 aus Protest gegen die Fixierung auf das Investmentbanking die Bank. Der Mann sah durch, denn er wusste, dass in den damaligen Bankbilanzen nur zehn bis zwanzig Prozent auf das eigentliche Kreditgeschäft zurückzuführen waren. Alles andere sei »artifiziell«, aufgebläht durch kaum überschaubare Finanzinstrumente. Deren Nutzung führte 2008 direkt in die schwerste Finanzkrise nach dem Zweiten Weltkrieg.

Diese Krise wurde möglich, weil die Bundesregierung ihre Kontrollpflicht gegenüber den Banken sträflich vernachlässigt hatte. Mehr noch, die gesetzlichen Vorgaben wurden unter der CDU/CSU-SPD-Regierung sogar gelockert, die neue undurchschaubare Finanzinstrumente für den deutschen Markt zuließ. Einer der einflussreichsten Lobbyisten war Josef Ackermann. Er hatte den direkten Draht zur Kanzlerin.

»Der Chef der Deutschen Bank, Dr. Josef Ackermann, hat seinen sechzigsten Geburtstag nicht im Kanzleramt gefeiert. […] Den sechzigsten Geburtstag des Chefs der Deutschen Bank hat die Bundeskanzlerin vielmehr zum Anlass genommen, am Dienstag, dem 22. April 2008, im repräsentativen Bereich ihres Kanzlerbüros ein Abendessen mit Vertretern der Wirtschaft und Gesellschaft auszurichten.« So die merkwürdige Antwort aus dem Kanzleramt auf eine Anfrage von mir.

Joseph Ackermann erinnerte sich: »Sie [Angela Merkel] hat mir damals gesagt, sie würde gerne etwas für mich tun. Ich solle doch einmal etwa dreißig Freunde und Freundinnen einladen aus Deutschland und der Welt, mit denen ich gerne einen Abend zusammen sein würde im Kanzleramt. Und ich muss Ihnen sagen, es war ein wunderschöner Abend«.