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Wenn eine Welt aus den Fugen gerät: Bericht einer prominenten Zeitzeugin über ihre Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg. In diesem Einzelbeitrag: Beate Uhse.
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Seitenzahl: 54
Veröffentlichungsjahr: 2015
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© für die Originalausgabe und das eBook: 2015 F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel
Satz und eBook-Produktion: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering
ISBN 978-3-7766-8231-1
BEATE UHSE
Beate Uhse (* 25. Oktober 1919 auf Gut Wargenau bei Cranz/Ostpreußen, † 16. Juli 2001 in St. Gallen/Schweiz) war die Tochter des Rittergutsbesitzers Otto Köstlin und dessen Ehefrau, der Kinderärztin Margarete Köstlin-Räntsch. Unter ihrem Mädchennamen Beate Köstlin wurde sie auf der größten deutschen Flugschule in Rangsdorf bei Berlin als Fliegerin ausgebildet. Sie war Testpilotin, Sport- und Kunstfliegerin und flog während des Zweiten Weltkriegs bei einem Überführungsgeschwader der Luftwaffe im Rang einesHauptmanns neue Maschinen zu den Einsatzplätzen im In- und Ausland. Nach Kriegsende wurde sie Unternehmerin, Gründerin des größten Erotik-Imperiums Europas.
In letzter Stunde der Schlacht um Berlin entkommen
Ich trage Ihren Koffer. Ich bin stark.« So begrüßte mich Beate Uhse am 1. Oktober 1979 vor ihrem Firmensitz in Flensburg. Seit ihrer zweiten Eheschließung hieß sie zwar amtlich Beate Rotermund-Uhse. Aber für die Öffentlichkeit blieb sie Beate Uhse, die »Sex-Pionierin«, die viele Tabus gebrochen hatte. So war sie zu einer der bekanntesten Deutschen jener Epoche geworden. Über sie privat, ihre Herkunft und Geschichte, ihr abenteuerliches Leben auf der Achterbahn des Schicksals, war hingegen nur wenig bekannt. Davon wollte ich berichten. Umfangreiche Recherchen standen also bevor. Beate Uhse wollte mir sowohl an ihrem Firmensitz als auch in ihrem Privathaus Rede und Antwort stehen. Daher mein Gepäck, das der Taxifahrer eben entladen hatte, und besagter Koffer, den sich Beate Uhse gleich schnappen wollte. Dabei war sie eher klein und zierlich (1,68 Meter groß, 58 Kilo Gewicht), allerdings auch sportlich-drahtig. Ihr 60. Geburtstag stand kurz bevor, doch mit ihrer Sonnenbräune, den aschblonden Haaren mit Pagenschnitt und den hellwachen Augen wirkte sie zeitlos jung.
An den folgenden Tagen erzählte sie mir ihre Lebensgeschichte. Eine sehr deutsche Geschichte voller Wechselfälle und Kämpfe, mit der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs als tiefstem Einschnitt, zugleich jedoch auch als Wendepunkt in ein gänzlich neues Leben.
Viele Stunden saßen wir am Kamin ihres Privathauses, das dicht beim Leuchtturm von Schausende bei Glücksburg, nur zwei Kilometer entfernt vom nördlichsten Punkt der Flensburger Förde, stand. Auf der anderen Seite lag Dänemark. »Man kann hinüberspucken«, sagte Beate Uhse. Wir schauten auf die Ostsee. An der riesigen Panoramascheibe im Wohnzimmer ihrer Villa zogen wilde Schwäne vorbei. Fast konnte man meinen, in Ostpreußen zu sein.
Wie war das damals im alten Ostpreußen? Was hatte sie in ihrer Kindheit und Jugend dort erlebt? Beate Uhse erinnerte sich gerne daran. Sie sagte: »Ich war in einer sehr glücklichen Lage, da meine Mutter bereits eine voll berufstätige Frau war. In meiner Generation eine Seltenheit. Ich war ihr jüngstes Kind. Mutter, Jahrgang l880, im Berlin der Kaiserzeit als Tochter begüterter Eltern streng und dennoch liberal erzogen, war eine der ersten deutschen Ärztinnen und hochgebildet. Sie konnte Latein und Altgriechisch, spielte gut Klavier und hat auch nach ihrer Hochzeit und der Geburt meiner zwei älteren Geschwister voll weitergearbeitet. Später übernahm sie alle kaufmännischen Aufgaben im großen landwirtschaftlichen Betrieb meines Vaters und dirigierte unser zahlreiches Personal, das wir für den Haushalt benötigten, sozusagen mit links. Unsere ärztliche Versorgung lag natürlich ebenfalls in ihrer Hand.
Meine Mutter gab mir als Lateinerin den passenden Vornamen: Beate, die Glückliche. Ich hatte wirklich immer Glück im Leben. Mein Vater, ein heiterer, lebenslustiger Mann, stammte aus Württemberg. Meine Mutter, eine äußerst disziplinierte Preußin, und er haben sich blendend verstanden. Das ist auch uns Kindern gut bekommen.
Zu unserem Gut gehörten 1800 Morgen Land. Das Gutshaus lag in einem ausgedehnten Park, dahinter ein großer Apfelgarten. Ich war ein kräftiges, vitales Kind, bin wie ein Junge aufgewachsen, durfte auch alles, was Mädchen früher verboten war: meine Haare kurz schneiden, Lederhosen tragen, mich mit Jungen kloppen, im Sommer mit dem Pferd zur Schule reiten. Im Winter fuhren wir mit dem Schlitten, dick eingemummelt in Pelzen, denn bei uns herrschte häufig eine Kälte bis unter minus 40 Grad.
Von Kindesbeinen an wollte ich fliegen. Fliegen wie ein Vogel. Mit zehn Jahren baute ich mir Flügel nach dem Prinzip von Flugdrachen: aus Peddigrohr, mit Linnen bespannt und Halterungen für die Arme. Damit sprang ich dann flügelschlagend aus dem zweiten Stock unseres Hauses. Vorsichtigerweise hatte ich zwar als Landeplatz ein umgepflügtes Gartenbeet ausgewählt, verletzte mich dennoch recht schmerzhaft, zum Glück nicht mit Knochenbruch. Daraufhin verboten mir die Eltern weitere Flugversuche, versprachen mir aber, wenn ich älter sei, dürfe ich fliegen.
1932, ich war noch nicht ganz 13 Jahre alt, fuhren zwei junge Männer auf klapprigen Fahrrädern auf den Hof von Gut Wargenau. Sie fragten meinen Vater, ob sie auf einem unserer abgeernteten Felder Rundflüge veranstalten dürften, was er gestattete. Ich verbrachte gerade meine Schulferien zu Hause und war natürlich begeistert von diesem Unternehmen.
Während der Ferien hielt ich mich nun von früh bis spät bei den beiden Piloten auf dem Stoppelfeld auf, versorgte sie mit Kaffee, Milch, belegten Broten und Zigaretten, bewachte auch ihr Flugzeug, wenn sie mal wegfuhren. Starteten sie zu einem Rundflug mit Gästen und hatten noch einen Platz frei, durfte ich mit. Von da an stand für mich fest, dass ich Fliegerin werden würde.
Meine Eltern hätten es gerne gesehen, wenn ich Medizin studiert hätte und Ärztin geworden wäre wie meine Mutter. Aber schließlich ließen sie mir meinen Willen. In der Obersekunda durfte ich vom Gymnasium abgehen. In einem Punkt blieb Mutter freilich hart. Sie sagte: ›Bevor du in einen Beruf gehst, musst du perfekt im Haushalt sein. Auch wenn du einen Millionär heiraten, einen Butler und zehn Bedienstete haben solltest, bist du arm dran, wenn du den Haushalt nicht aus dem Effeff beherrschst. Denn bist du nicht die ›Seele vons Janze‹, funktioniert nichts.‹