In Liebe, dein Dad - Garth Callaghan - E-Book

In Liebe, dein Dad E-Book

Garth Callaghan

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Beschreibung

Seit Emma fünf Jahre alt ist, findet sie jeden Tag eine kleine Nachricht in ihrer Lunchbox, die ihr Vater Garth liebevoll für sie vorbereitet. Es sind Ermutigungen, Lebensweisheiten, humorvolle Ratschläge – alles, was ein Vater seiner Tochter fürs Leben mitgeben kann, formuliert in einer Notiz auf einer Papierserviette.

Als Garth unheilbar an Krebs erkrankt, beschließt er dafür zu sorgen, dass Emma bis zu ihrem Schulabschluss jeden Tag beim Lunch eine Botschaft findet. So wird sie sich täglich an ihn erinnern, denn es ist mehr als wahrscheinlich, dass er diesen Moment nicht mehr erleben wird.

Dieses Buch enthält nicht nur viele der schönsten Ratschläge von Garth für seine Tochter, sondern auch die bewegende Schilderung vom Umgang mit seiner Krankheit. Es ist eine Aufforderung an jeden, das Leben wirklich zu leben und seinen Nächsten zu zeigen, dass man sie liebt.

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Seitenzahl: 206

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Garth Callaghan

In Liebe, dein Dad

Das Vermächtnis eines todkranken Vaters an seine Tochter

Aus dem Englischen von Maja Ueberle-Pfaff

Kösel

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Napkin Notes. Make Lunch Meaningful, Life Will Follow« bei Harper Collins, New York. Published by arrangement with Harper One, an imprint of Harper Collins Publishers, LLC.

Copyright © 2014 by Garth Callaghan

Unter Mitarbeit von Cynthia DiTiberio

Copyright für die deutsche Ausgabe © 2015 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlag: Weiss Werkstatt München

Umschlagmotiv: shutterstock/goldnetz

ISBN 978-3-641-16422-5

Weitere Informationen zu diesem Buch und unserem gesamten lieferbaren Programm finden Sie unter

www.koesel.de

Für Emma:

826 Servietten werden nie genug sein

Inhalt

Einleitung

1. Mit einer Serviette fing alles an

Erste Runde

2. Sangria-Rot

3. »Ausgezeichnet geht’s mir!«

4. Wo ist das Pony?

5. Mein Gamer-Girl

6. Botschaften mit Bedeutung

7. Das Sammelalbum

Zweite Runde

8. Die Prostata ist wie Popcorn

9. Anlegen! Feuer frei! Zielen!

10. Aktive Überwachung

11. Acht magische Worte

12. Der Ruf

Dritte Runde

13. Hau den Maulwurf!

14. Ein Actionheld des Alltags

15. Das schönste Weihnachtsgeschenk aller Zeiten

16. Die Geschichte wird öffentlich

17. Ich bin nur einer, der auf Servietten schreibt

18. Das Geschenk der Worte

Vierte Runde

19. Nebenwirkungen

20. Was mich am Leben hält

21. Liebe Emma

22. eine Liste

Zum Schluss

Anhang

Emmas Top 5

Eine kleine »Serviettenphilosophie«

Wie man einen Serviettenbrief schreibt

Mehr als Servietten

Dank

Einleitung

Als meine Tochter noch ein Baby war, schaukelte ich sie häufig in den Schlaf. Sie lag in einer Wiege, die wir extra zu diesem Zweck ins Kinderzimmer gestellt hatten. Meine Frau Lissa verbrachte viele Stunden mit Stillen, weswegen ich fand, es sei doch das Mindeste, dass ich die Kleine regelmäßig ins Bett brachte. Ehrlich gesagt, genoss ich dieses Ritual sehr – die leisen Laute, die Emma von sich gab, während der Schlaf sie überkam, und die Minuten, in denen ich in aller Ruhe ihre winzigen Fingerchen und Wimpern und ihren süßen Schmollmund betrachten konnte. Das war meine Zeit. Ich schaukelte die Wiege, ließ meinen Gedanken freien Lauf und freute mich an meiner kleinen Tochter.

Häufig kam unser Hund Lucy dazu und rollte sich neben uns auf dem Teppich zusammen. Lucy liebte Emma und wollte immer im selben Raum sein wie ihre »Schwester«.

Als Emma schon fast ein Jahr alt war, aber immer noch gern zuließ, dass ich sie in den Schlaf schaukelte, fiel mein Blick eines Abends auf Lucy. Und ich weiß nicht, wieso, doch ging mir auf einmal der Gedanke durch den Kopf, dass ich Emma eines Tages würde eröffnen müssen, dass Lucy gestorben war. Lucy war damals drei, und angesichts der Lebenserwartung von Hunden würde das vermutlich um Emmas achten oder neunten Geburtstag herum passieren. Ich würde ihr erklären müssen, dass Lucy nicht mehr lebt und Emma damit sehr traurig machen.

Meine Stimmung war plötzlich getrübt. Wie sollte ich das nur schaffen? Es bereitete mir große Freude, mit Emma die schönen Seiten des Lebens zu teilen, aber sie mit den Tragödien zu konfrontieren – das hätte ich ihr gern erspart.

Damals ahnte ich noch nicht, dass ich ihr viermal während ihres jungen Lebens würde sagen müssen, dass ich Krebs hatte. Und sie im Grunde viermal würde belügen müssen, denn ich versprach ihr jedes Mal, dass ich überleben würde. Das werde ich aber nicht. Inzwischen weiß ich, dass der Krebs mich umbringen wird. Es ist nur eine Frage der Zeit. Kürzlich eröffneten mir meine Ärzte, dass ich eine achtprozentige Chance hätte, die nächsten fünf Jahre zu überleben.

Emma ist jetzt vierzehn. Ich habe eine achtprozentige Chance, ihren Highschool-Abschluss mitzuerleben.

Es ist mir fast unmöglich, diese Worte niederzuschreiben. Manchmal kann ich die Tatsache, dass mein Leben bald zu Ende geht, nicht an mich heranlassen. Ich hätte sicher weniger Angst vor dem Tod, wenn es Emma nicht gäbe. Ich könnte sagen: »Es war doch alles in allem eine tolle Zeit.« Aber ich ertrage den Gedanken nicht, meine Tochter alleinzulassen, nicht da zu sein, wenn sie heranwächst, sie nicht unterstützen und beraten zu können, nicht mit ihr zu lachen. Nicht ihr Vater zu sein.

Deshalb musste ich eine andere Möglichkeit finden. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, doch ich habe eine Methode gefunden, durch die ich ihr jeden Tag zeigen kann, wie sehr ich sie liebe, wie unerschütterlich ich hinter ihr stehe und wie viel mir der Mensch bedeutet, der sie ist und der sie einmal sein wird. Ich schreibe ihr jeden Morgen ein paar Worte auf die Papierserviette, die ich ihr in die Lunchbox lege.

Davon erzähle ich hier, denn keiner von uns weiß, wie viel Zeit er noch hat. Ja, sicher, wir alle laufen auf diesem Planeten herum, als wären wir unsterblich. Aber das Leben kann uns von einer Sekunde auf die nächste genommen werden. Mir wurde das Wissen, dass mein Ende nah ist, als »Geschenk« gegeben. Ich nehme mir nun die Zeit, Bilanz zu ziehen, und sage den Menschen, die ich liebe, wie viel sie mir bedeuten. Denn das ist das Einzige, was zählt. Dein Haus, dein Konto, deine Talente, dein Beruf – nichts davon ist wirklich von Bedeutung. Es geht allein um die dauerhaften Beziehungen, die wir mit anderen aufbauen. Nur um sie. Sie sind das Wesentliche.

Dieses Buch ist ein Appell: Wach auf. Öffne dich. Zeig deine Gefühle. Greif zum Telefon. Schreib diesen einen Brief, den du schon lange schreiben wolltest. Ich kenne die Zerbrechlichkeit des Lebens nur allzu gut und weiß, wie wichtig es ist, sich den liebsten Menschen zuzuwenden, solange wir hier sind – solange wir es noch können.

Liebe Emma, du kannst nicht die zweite Base erobern und gleichzeitig den Fuß auf der ersten lassen.

In Liebe, dein Dad

1

Mit einer Serviette fing alles an

Langsam faltete ich die Papierserviette zusammen und legte sie in Emmas Lunchbox. In letzter Zeit kreisten meine Notizen um das Thema »Baseball«. Emma begeisterte sich immer mehr für Softball, und ich nutzte gern die Parallelen zu ihrem Lieblingssport. Ich beispielsweise halte mich für einen guten Base Stealer, suche also immer nach neuen Wegen und bin offen für neue Richtungen im Leben. Aber auch bei mir gab es einen Punkt, an dem ich – im übertragenen Sinne – die Füße nicht mehr vom Boden bekam, an dem ich nicht mehr lossprinten konnte, obwohl mein Team das gebraucht hätte.

Meine Frau Lissa ist fünf Jahre älter als ich. Ich habe mich immer glücklich geschätzt, dass sie mich jungen Schnösel überhaupt ernsthaft als Lebenspartner in Betracht gezogen hatte. (Interessanterweise ist auch meine Mutter fünf Jahre älter als mein Vater.) Die Ehe mit einem älteren Partner bringt allerdings Herausforderungen mit sich, und eine davon ist, dass man sich gelegentlich Veränderungen stellen muss, bevor man wirklich dazu bereit ist. Ich war der Erste in meinem Freundeskreis, der ein Haus besaß. Ich heiratete lange vor meinen engsten Freunden. Immer wieder gab es Momente, in denen ich mich erwachsener verhalten musste, als ich eigentlich war.

Anfang 1999 kam Lissa zu mir und erklärte rundheraus: »Es ist Zeit.« Bestimmt waren ihrer Feststellung einige Überlegungen vorausgegangen, aber diese drei Worte waren die entscheidenden. Es war an der Zeit, schwanger zu werden. Ich war neunundzwanzig, Lissa vierunddreißig. Wir waren erst zwei Jahre verheiratet, und ich war mir nicht sicher, ob ich zu diesem nächsten Schritt schon bereit war. Ich wünschte mir seit Langem eine Tochter, aber noch nicht gleich. Irgendwann in der Zukunft. Wenn ich mich erwachsen genug fühlen würde.

Lissa meinte es ernst, das wusste ich. Na gut, dachte ich mir, der Beginn dieses Abenteuers ist ja auch für mich nicht ohne Reiz. Außerdem schienen neuerdings praktisch alle Paare eine Fertilitätsberatung zu brauchen: Ich hielt es für sehr unwahrscheinlich, dass es mit der Schwangerschaft gleich klappen würde; ich hätte also genug Zeit, mich darauf vorzubereiten.

Es klappte tatsächlich nicht sofort, aber besonders lange dauerte es auch wieder nicht. Der Beginn des Abenteuers war schneller vorbei, als ich es mir erhofft hatte. Ich wurde Vater.

Die nächsten achteinhalb Monate waren angefüllt mit den verschiedensten Aktivitäten und Vorbereitungen. Wir nahmen an allen möglichen Kursen teil, suchten einen Kinderarzt aus, verbrachten zahllose Stunden in Geschäften für Babybedarf, machten das Haus kindersicher und richteten das Kinderzimmer ein.

Und natürlich studierten wir jeden Vornamen, der je in einem Buch veröffentlicht worden war. Ich bevorzugte »Elizabeth« oder »Matthew«. Am liebsten mochte ich »Matthias«, die deutsche Version von »Matthew«, aber mir war klar, dass ich damit nicht durchkommen würde. Ich versuchte es gar nicht erst. Gegen »Elizabeth« legte Lissa ihr Veto ein, weil der Name sie an eine ehemalige Zimmergenossin erinnerte, mit der sie sich nicht verstanden hatte. Ihr gefielen »Benjamin« und »Chloë«. Leider hatten wir schon eine Katze namens »Ben«, und auch unser Kind »Ben« zu nennen kam uns dann doch sehr merkwürdig vor. Ich sprach mich gegen »Chloë« aus, weil ich mir lebhaft vorstellen konnte, welche Sprüche sich die Kleine schon im Sandkasten würde anhören müssen.

Beim Ultraschall in der zwanzigsten Schwangerschaftswoche erfuhren wir, dass mein Gebet erhört worden war. Wir würden eine Tochter bekommen. Endlich konnte ich mir ein konkretes Bild von dem Baby machen, das in Lissa heranwuchs, und mir wurde das Herz weit. Ein kleines Mädchen. Die Vorstellung, Vater zu werden, erschien mir nun noch etwas verlockender.

Und wir konnten uns auf einen Namen einigen. Ich hatte den Vornamen »Claire« schon immer gemocht, weil er die Hoffnung auf Klarheit und Licht in sich trug. Lissa war einverstanden. »Claire Delany Callaghan« sollte unsere kleine Tochter heißen.

Es war keine leichte Schwangerschaft. Lissa litt fast sechs Monate lang unter Morgenübelkeit. Sie klagte oft, es sei eigentlich völlig egal, was es zum Abendessen gäbe, es bliebe sowieso nicht lange genug drin. Ihr Blutdruck stieg und stieg, und wir machten uns Sorgen um ihre Gesundheit und die des Babys. Ich war ratlos und wusste nicht, wie ich ihr helfen sollte (da ging es mir wohl wie vielen anderen Männern auch). Meine Aufgaben bestanden darin, das Haus für den Familienzuwachs vorzubereiten und uns zu diversen Terminen zu chauffieren, ansonsten hatte ich mich aus allem herauszuhalten.

Es wurde Oktober. An einem ganz normalen Werktag, einem Dienstag, ging ich wie üblich zur Arbeit. Lissa hatte einen Arzttermin, bei dem ihr Blutdruck gemessen werden sollte. Um die Mittagszeit rief sie mich aufgeregt an. Der Arzt war beunruhigt. Ihr Blutdruck hatte sich gefährlichen Werten genähert, und es war entschieden worden, dass das Baby auf die Welt kommen sollte. Heute noch. Ich sah zu, dass ich so schnell wie möglich aus dem Büro kam, und fuhr hektisch in die Klinik. Als ich das Wartezimmer betrat, erhob sich Lissa mühsam. In ihren Augen glänzte die Vorfreude. Wir lächelten uns an. Heute würden wir unsere Claire in den Armen halten.

Nachdem Lissa in die Klinik aufgenommen worden war, begann das lange Warten. Sie hatte das Wehenhormon Oxytocin erhalten, und nun mussten wir uns gedulden, bis die Wirkung einsetzte. Lissa schwitzte, ich fröstelte. Ich rollte mich angezogen auf dem kleinen Sofa zusammen und zog eine Decke über mich, aber mir wurde einfach nicht warm. Es war eine lange Nacht. Das Oxytocin wirkte nur langsam. Wir sahen uns im Fernsehen die Frühnachrichten und dann die Vormittagssendungen an. Ich war nervös und fühlte mich ziemlich nutzlos. Ich konnte Lissa Eisstückchen besorgen, aber abgesehen davon war ich überflüssig. Ärzte und Krankenschwestern kamen und gingen, alle warfen einen prüfenden Blick auf das Krankenblatt und die Apparate, um zu sehen, ob es vorwärtsging. Nach vierundzwanzig Stunden war es dann endlich so weit. Die Presswehen begannen.

Nur ich war noch nicht so weit.

Obwohl Lissa vermutlich das Gefühl hatte, dass das Pressen endlos dauerte, war ich vollkommen überrascht, als mir der Arzt plötzlich ein Instrument reichte und mir helfen wollte, das Blut aus der Nabelschnur zu drücken, damit ich sie durchtrennen konnte. Ich hatte aber überhaupt nicht die Absicht, die Nabelschnur zu durchtrennen! Ich hatte dem Arzt extra gesagt, dass ich das nicht tun wollte! Und nun stand ich am Bett, umgeben von Krankenhauspersonal, und mir blieb keine andere Wahl.

Ich biss die Zähne zusammen und tat meine Pflicht, und dann trat ich zurück, so schnell ich konnte, während der Arzt und die Schwestern den Apgar-Score bestimmten. Unser Baby Claire war da.

Ich war noch nicht so weit.

Ich stand da wie gelähmt, wusste nicht, was ich tun sollte, und hatte auch gar kein Bedürfnis, irgendetwas zu unternehmen. Es ging mir alles viel zu schnell.

Ich war noch nicht so weit.

Lissa riss mich aus meiner Versunkenheit. »Geh zu ihr«, bat sie von ihrem Bett aus.

Ich ging hinüber zu Claire, die noch von den Schwestern versorgt wurde, und berührte sie vorsichtig. Ich hatte immer noch keine Ahnung, was ich tun sollte, aber ich war immerhin jetzt mehr bei der Sache. Ich begriff, dass es geschehen war. Ich war Vater geworden …

Doch insgeheim kämpfte ich weiterhin gegen die Tatsachen an. Nach der Geburt fuhr ich nach Hause, um mich endlich einmal auszuschlafen. Ich gebe es ungern zu, aber am nächsten Morgen ließ ich mir viel Zeit, bevor ich in die Klinik fuhr. Ich gönnte mir geruhsam ein ausgiebiges Frühstück. Ich spülte Geschirr. Ich ging mit dem Hund spazieren. Ich wollte im Grunde nicht in die Klinik zurück.

Schließlich rief Lissa an. »Sag mal, Schatz, wo steckst du denn?« Ich spurtete los.

Die Anfangszeit in der Klinik war nicht leicht. Claire hatte Neugeborenengelbsucht und musste am ersten Tag ihres Lebens mehrere Stunden zur Phototherapie in einer Plastikbox verbringen. Da lag nun unser armes, wenige Stunden altes Baby mit einer Schutzbrille im Gesicht, damit die Strahlen seine Augen nicht schädigten! Wir konnten Claire während der Behandlung nicht halten oder berühren, sondern sie nur durch ein Fenster hindurch betrachten. Es war die reinste Tortur. Allerdings hatte dies zur Folge, dass sich bei mir eine Art Besitzanspruch regte. Da drinnen lag meine Tochter, ganz allein! Sie brauchte mich. Mir wurde immer stärker bewusst, dass sie zu mir gehörte.

Was mir endgültig half, die Umstellung zu bewältigen, war das Eingeständnis, dass der Name »Claire« einfach nicht zu unserem Baby passte. Je länger wir es kannten, desto klarer wurde uns: Wir hatten einen Fehler gemacht. Unser Baby trug den falschen Vornamen, und wir waren schuld daran!

Etwas kleinlaut fragten wir eine Schwester, was wir dagegen unternehmen könnten. Ich fürchtete Berge von Papierkram. Vielleicht war sogar ein Gerichtsbeschluss notwendig, um den Irrtum zu korrigieren. Doch die Schwester lächelte nur milde und antwortete, so etwas käme häufiger vor, als man glaube, und wir müssten vor der Entlassung aus der Klinik nur ein einziges Formular ausfüllen.

An jenem Nachmittag verließen wir mit Emma Claire Callaghan als Familie die Geburtsstation. Ich weiß nicht, was es mit dem Namen auf sich hatte, aber kaum hieß unsere Tochter »Emma«, waren wir uns nahe. Sie wurde real.

Wir legten sie behutsam in ihren Kindersitz, Lissa rutschte vorsichtig neben sie auf die Rückbank, und ich setzte mich ans Steuer. Endlich hatte ich eine bedeutende Aufgabe zu erfüllen – ich brachte meine Familie nach Hause.

Ich warf einen Blick in den Rückspiegel. Emma war nicht in meinem Blickfeld, aber ich wusste, dass sie da war. Mein kleines Mädchen. Wir fuhren zusammen nach Hause.

Ich war bereit.

Liebe Emma, manchmal, wenn ich mir wünsche, dass ein Wunder geschieht, schaue ich in deine Augen und erkenne, dass ich bereits eins erschaffen habe.

In Liebe, dein Dad

Zuerst bestand meine Rolle als Vater darin, Emma zu wickeln, herumzutragen und zu trösten. Ich fütterte sie, beruhigte sie und legte sie schlafen. Als Emma zu einem kleinen Mädchen heranwuchs, änderte sich meine Rolle. Mir wurde sehr schnell deutlich, dass Vater zu sein mehr heißt, als einen Namen auszusuchen (was ich sowieso schon verkorkst hatte) und für Nahrung zu sorgen. Ich half mit, einen kleinen Menschen zu formen. Von den ersten Lauten über die ersten Schritte bis zu den ersten Worten bildete sich bei Emma eine eigene Persönlichkeit heraus. Sie war ein ganz eigenständiger kleiner Mensch. Und meine Aufgabe war es, sie auf die Welt vorzubereiten.

Es begann damit, Emma beizubringen, Richtig und Falsch zu unterscheiden – und das bedeutete, konsequent zu sein. Konsequenz war jedoch noch nie meine Stärke. Wenn Emma so hoffnungsvoll zu mir aufblickte, wollte ich einfach nur einlenken, ganz gleich, was sie ausgefressen hatte.

Ehe ich mich’s versah, wurde sie eingeschult, und unsere gemeinsam verbrachte Zeit verringerte sich drastisch. Wir hatten noch frühmorgens vor der Schule ein paar Minuten miteinander, dann vom Abendessen bis zum Schlafengehen, und wenn wir tagsüber zusammen im Auto saßen. Ich hatte in der Regel nur drei Gelegenheiten am Tag, mich direkt mit meiner Tochter zu beschäftigen: während des Frühstücks, des Abendessens und der Zubettgehzeit. Wenn ich alles zusammenrechnete, ergab das ungefähr eine Stunde täglich.

Obwohl mir bewusst war, dass man ein Kind in die Welt und in die Selbstständigkeit entlassen muss, damit es sich weiterentwickeln kann, fehlte mir die Zeit mit Emma sehr. Und mir fehlte das Gefühl, dass ich ihren Tag mitgestaltete. Mir wurde klar, dass Freunde und die Schule den größten Teil ihrer Zeit beanspruchten und immer wichtiger für sie wurden, und ich suchte nach einer Möglichkeit, mir einen Platz zwischen all ihren Aktivitäten zu sichern.

Emma aß von Anfang an für ihr Leben gern. Ich weiß nicht, ob andere Kinder auch so aufs Essen fixiert sind – sie jedenfalls sprang schon als kleines Mädchen morgens aus dem Bett, die Kuscheldecke noch in der Hand, und fragte: »Was gibt’s denn heute zum Abendessen?«

Glücklicherweise arbeitete ich in einem Unternehmen, das seine Mitarbeiter ermutigte, Zeit mit der Familie zu verbringen. So fing ich an, mittags ehrenamtlich im Kindergarten auszuhelfen. Ich öffnete Milchkartons, quetschte Ketchup aus der Flasche, verteilte Strohhalme und wischte Flecken auf. Es war die anstrengendste Stunde des Tages. Aber auf diese Weise konnte ich ein Weilchen neben meiner Tochter sitzen, ihre Freunde kennenlernen und zusehen, wie sie miteinander umgingen.

Außerdem sah ich, was sie aß, wenn sie sich in der Cafeteria ihr Mittagessen zusammenstellte, und wurde schnell zum Verfechter von Lunchpaketen, die sie von zu Hause mitnahm.

Da ich am Morgen ohnehin meistens als Erster aufstand, entwickelte ich mich zum Lunchpaket-Experten. Ich hackte, säbelte, mischte und packte Essen ein. Meistens schmuggelte ich eine kleine Süßigkeit dazu, einen Keks oder einen Becher Pudding. Ich wollte Emma eine Freude machen, ihr Gesicht sollte strahlen.

Ab und zu schrieb ich ihr etwas auf ihre Serviette.

Es fing ganz einfach an: »Ich liebe dich. Ich wünsche dir einen schönen Tag. Mach jemandem eine Freude.«

Ich wusste nicht mal, ob sie die Worte überhaupt las. Ich war mir nicht sicher, ob sie ihr etwas bedeuteten. Aber ich wollte, dass jeder Tag für sie ein besonderer war.

Eines Tages hatte ich gerade ihr Lunchpaket hergerichtet, aber noch nichts auf die Serviette geschrieben. Emma sah das Essen auf der Theke liegen, und ich merkte, wie es in ihrem Kopf arbeitete. Sie schnappte sich den Beutel, stellte sich vor mich hin und sagte in fragendem Tonfall: »Und das Serviettenbriefchen?«

Da wusste ich, dass ich meine Notizen nicht umsonst geschrieben hatte.

Von da an machte ich es mir zur Gewohnheit, ihr kleine Botschaften mitzugeben, gewissermaßen als Teil meiner Erziehung. Emma bekam immer ihre Serviettennotiz, auch wenn ich sehr viel zu tun hatte. Als sie älter wurde, überlegte ich genauer, worauf ich sie hinweisen wollte, und die Botschaften wurden gehaltvoller. Manchmal schrieb ich Zitate ab, die mir besonders gefielen, zum Beispiel »Warum sich einfügen, wenn man dazu geboren ist herauszuragen?« von Dr. Seuss. Auf diese Weise konnte ich bei ihr sein und sie auf ihrem Weg ins Erwachsenendasein begleiten. Vater zu sein hieß für mich, dass ich meiner Tochter helfe, sich zu einer jungen Frau zu entwickeln, die etwas bewirkt in der Welt. Das war meine Art, ihr etwas von mir in den Tag mitzugeben.

Ich hatte keine Ahnung, dass diese Servietten einmal zu meinem Vermächtnis werden sollten.

Lektion 1

Lerne, mit Kritik umzugehen

Kritik bietet dir die Gelegenheit, etwas zu lernen. Du musst nicht gleich in die Verteidigungshaltung gehen. Danke zuerst der Person, die Kritik übt. Hör genau hin. Kannst du aus der kritischen Bemerkung etwas Positives heraushören?

Weißt du noch, wie ich einmal deine Schlagtechnik kommentiert habe? Ich fand, du solltest den Schläger länger mit beiden Händen festhalten. Für mein Empfinden hast du ihn zu früh losgelassen und dadurch an Schlagkraft verloren. Du hast innerlich protestiert, das sah ich dir an. Du hast dich über meine Kritik geärgert. Ich habe aber nicht gesagt, dass ich dich für einen schlechten Menschen halte. Ich habe nicht auf dir herumgehackt. Ich habe dich nicht als Person angegriffen.

Kritik ist keine Beleidigung. Nimm sie an. Es könnte sich lohnen, sie zu beherzigen.

Erste Runde

Mögest du alle Tage deines Lebens leben.

Jonathan Swift

Wenn Gott dich auf einen steinigen Pfad schickt, dann möge er dir feste Schuhe geben.

Irisches Sprichwort

2

Sangria-Rot

Ich hatte ihn schon wieder aus den Augen verloren. So schnell ich auch rannte, er war schneller. Während ich auf dem Weg bleiben musste, flitzte er um die Bäume herum und zwängte sich durchs Unterholz. Ich kam nicht mit, der Weg war zu kurvig und der Boden zu hart und uneben. Durch das rotgoldene Laub brannte die Nachmittagssonne auf mich herunter. Meine Frau und meine Nachbarn waren ein Stück hinter mir zurückgeblieben und riefen gemeinsam mit mir seinen Namen. Ich gab mir große Mühe, an der Spitze zu bleiben, aber allmählich ging mir die Puste aus. Ich war beunruhigt. Er war noch nie so lange unbeaufsichtigt unterwegs gewesen. Ich musste ihn im Auge behalten.

Wir waren das Wochenende auf einem Campingplatz – eine Freizeitaktivität, die ich nicht sonderlich schätzte. Bei einer Wanderung mit unseren Freunden hatte unser neuer Hund Noël etwas gewittert und war losgespurtet. Wir hatten ihn vor knapp einem Jahr aus dem Tierheim geholt, in dem er neunundfünfzig Tage gewesen war. In dieser Einrichtung konnten die Tiere nicht lange bleiben, nach sechzig Tagen wurden sie eingeschläfert. Vor diesem Schicksal hatte eine örtliche Gruppe von Tierschützern Noël bewahrt. Als wir ihn zum ersten Mal zu Gesicht bekamen, sah er kaum mehr wie ein Hund aus und bestand nur noch aus Haut und Knochen. Sein Fell war stumpf und wies kahle Stellen auf.

Noël war offensichtlich lange allein gewesen. Die meisten Menschen machten ihn nervös. Vor mir schien er sich zu fürchten. Trotzdem waren sich Lissa und Emma rasch einig: Wir mussten Noël retten!

Ich wollte keinen neuen Hund, denn ich hatte ja schon einen gehabt – Lucy, einen Schäferhund-Rottweiler-Mischling. Sie war dreizehn Jahre um mich gewesen, und ich hatte sie geliebt. Sie war gerade erst vier Monate tot, als Lissa und Emma mich mit Bildern aus dem Tierheim bedrängten. Ich war noch zu traurig, in meinem Herzen war kein Platz für ein neues Haustier.

An jenem Tag rannte ich weiter, obwohl sich meine Lungen anfühlten, als würden sie gleich explodieren. Nur Bailey, der Golden Retriever der Nachbarn, hielt noch mit Noël Schritt. Ihn erspähte ich weit vor mir als gelben Fellblitz. Ich konnte nur hoffen, dass Noël ihm nicht allzu weit voraus war.

Schließlich sah ich, wie die Hunde langsamer wurden, weil offenbar irgendein Geruch sie von ihrem fröhlichen Toben abgelenkt hatte. Ich konnte zu ihnen aufschließen und Noël an die Leine nehmen. Ein Seufzer der Erleichterung entfuhr mir. Wir würden das restliche Wochenende nicht damit zubringen müssen, auf der Suche nach dem Hund die Wildnis zu durchkämmen.

Es war Spätsommer, und unsere Nachbarn Mike und Sheryl hatten uns zu einem letzten Familiencamping vor dem Herbst eingeladen. Wenigstens schliefen wir in einem Blockhaus und nicht in Zelten. Feldbetten hielt ich deutlich besser aus als Luftmatratzen auf dem Boden. Sheryl wollte ihren Geburtstag feiern, und Mike grillte am Abend für alle fantastische Steaks. Wir prosteten dem Geburtstagskind mit Rotwein zu und aßen köstliche Muffins. Danach spielten wir Gesellschaftsspiele und fühlten uns rundum wohl. Der Abend neigte sich viel zu schnell dem Ende zu. Bevor ich schlafen ging, musste ich noch auf die Toilette. Ich pinkelte im Stehen – und erschrak. Mein Urin war rot wie Sangria.

Wie konnte das sein? Ich hatte überhaupt keine Schmerzen. Nichts deutete darauf hin, dass bei mir gesundheitlich etwas nicht in Ordnung war.