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Wenn eine Frau das erste Mal schwanger ist, steht sie vor vielen Herausforderungen, hat Ängsten und Sorgen. Noch schwieriger wird es, wenn zur gleichen Dinge passieren, die einen komplett aus der Bahn werfen. Bei mir war es die Inhaftierung meines Mannes. Um meine Gefühle besser ordnen zu können, habe ich angefangen dieses Buch zu schreiben. Es ist angelehnt an die unzähligen Briefe, die ich ihm in dieser Zeit geschrieben habe.
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Seitenzahl: 555
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Lia Wessel
In Liebe deine Frau
Texte: © Copyright by Lia Wessel
Umschlaggestaltung: © Copyright by Lia Wessel
Verlag:
Lia Wessel
c/o autorenglück.de
Franz-Mehring-Str.15
01237 Dresden
Druck: epubli –ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Ich wünschte mir, dass du dieses Buch liest, es fühlst und mich verstehst. Oder
zumindest den Kauf nicht bereust. Wahrscheinlich wünscht sich genau das aber jeder Autor. Besonders dann, wenn er den Lesenden etwas Persönliches anvertraut.
Und doch weiß ich, dass dieses Buch nicht allen Menschen da draußen gefallen wird. Manchen wird meine Ausdrucksweise an der einen oder anderen Stelle zu hart sein. Jedoch beschreibt sie genau, wie ich mich in diesem Moment gefühlt habe. Zudem wiederhole ich mich immer mal wieder. Auch mit meiner Einstellung zu Covid19, werde ich bei vielen anecken, das ist mir bewusst.
Doch wäre es nicht aber auch langweilig, würden wir alle gleich fühlen, denken und dieselben Hoffnungen haben? Ist es nicht genau das, was das wahre Leben ausmacht?
Und davon handelt mein Buch schließlich. Von meinem wahren Leben. Oder zumindest von einem Teil davon. Von einer der schwersten Zeiten meines Lebens.
Von der Zeit, als mein Mann inhaftiert wurde und ich schwanger mit unserer gemeinsamen Tochter war. Es war das Ende meiner, bis dato, ersten Schwangerschaft.
Die Situation hat mich in ein tiefes Loch geworfen, in dem ich später zu ertrinken drohte. Um nicht völlig den Verstand zu verlieren und meine Gefühle besser ordnen zu können, habe ich angefangen dieses Buch zu schreiben. Angelehnt an die unzähligen Briefe, die mein Mann bis heute von mir bekommt.
Auch auf die Gefahr hin, dass du mich nicht verstehen wirst, möchte ich dir einen Einblick in diese Zeit geben.
Bitte verurteile niemanden. Bedenke, dass jeder Fehler macht oder mal eine Entscheidung trifft, die er später bereut. Oder die ein anderer als falsch ansieht. Das gilt ebenso für die Menschen die ich liebe, wie auch für alle anderen.
Oh Gott Baby. Sag mir bitte, dass es ein Alptraum ist! Sag mir bitte, dass das alles nicht wahr ist! Ich will das nicht glauben…
Ich dachte wirklich es wäre ein Scherz, als der Bulle mich angerufen hat und meinte, dass ich meinen Mann für einige Jahre nicht sehen werde. Ich kann nicht glauben, dass sie dich festgenommen haben. Es macht doch auch gar keinen Sinn. Warum? Warum jetzt? Jetzt wo du dich geändert hast und wir dabei sind, uns ein neues Leben aufzubauen. Haben wir nicht genug Probleme? Ich verstehe gerade wie unwichtig all unsere anderen Probleme sind. Die blöde Wohnung. Die Löcher in der Wand. Ich scheiß drauf, dass wir keinen Fernseher, keine Couch, kein Tisch und kein Geld haben. Jetzt scheiß ich auf das alles. Ich will doch nur dich. Ich brauche doch nur dich. Ich hatte so Angst, dass Latifa kommt, wenn die Wohnung noch nicht fertig ist. Ich hatte Angst, dass wir ihr nicht genug bieten können. Ich hatte Angst, dass nicht alles perfekt sein würde, wenn sie kommt. Und jetzt? Ich wünschte das wären jetzt unsere Probleme. Aber jetzt bin ich alleine. Wie soll ich das denn alles machen? Wie soll ich denn jetzt weiter machen können? Wie soll ich die Geburt ohne dich schaffen? Wie? Schatz, ich habe Angst. Bitte, ich brauche dich! Ich brauche dich so sehr…
Es ist mitten in der Nacht und ich kann dass alles gar nicht fassen. Es fühlt sich an wie der schlimmste Traum, den ich je hatte. Ich kann nicht richtig atmen. Ich kann nicht aufhören zu weinen. Mein Herz tut so verdammt weh. Und mein Bauch auch. Es fühlt sich an, als müsste ich sterben. Ich kann nicht glauben, dass ich ohne dich einschlafen muss. Du mich nicht umarmen kannst... Das ist das zweite Mal in unserer Beziehung. Ein paar Jahre...Ich kann dich doch besuchen, oder? Ich halte es ja nicht einmal eine Nacht ohne dich aus. Wer streichelt denn jetzt meinen Bauch und sagt Latifa Gute Nacht? Das schlimmste ist, dass du mir nicht mal sagen kannst, dass alles wieder gut wird. Normalerweise würdest du genau jetzt neben mir liegen, mich in den Arm nehmen, küssen und sagen „Alles kommt gut“. Jetzt bin ich alleine. Baby, ich vermisse dich so sehr. Ich will dich umarmen. Nur umarmen…Tut mir Leid, dass ich so rum jammere, ich möchte das gar nicht. Dir wird es schon schlecht genug gehen. Wahrscheinlich sitzt du jetzt gerade alleine in deiner Zelle und zerbrichst dir den Kopf, wie es mir geht, und kannst nichts machen. Ich will dich nicht noch mehr besorgen. Du musst jetzt Stark sein. Wir müssen jetzt positiv denken. Wir können die Situation nicht ändern und müssen das Beste daraus machen.
Die ganze Zeit hattest du Kopfschmerzen. Du konntest nicht schlafen. Du wusstest, dass es passieren wird.
Aber ich verstehe nicht warum jetzt? Du hast dich doch verändert. Du hast dein ganzes Leben geändert. Gott ist unser Zeuge. Du hast ein gutes Herz, und das weiß Gott. Also wird er uns beistehen. Oder? Ich hoffe! Mach dir keine Sorgen Schatz.
Oh Mann, fang ich gerade echt an, an Gott zu glauben?!…
Wahrscheinlich wird es so sein, dass du raus kommen wirst, wenn Latifa schon auf der Welt ist. Unsere Wohnung wird fertig sein, und dein Kopf frei. Dann werden wir ganz von vorne anfangen. Dann ziehen wir dahin, wohin du willst. Ich koche jeden Tag dein Lieblingsessen und mache auch sonst nur was du willst, ok? Ich werde alles dafür tun, dass du glücklich bist Baby…
Das wichtigste ist, dass du nie vergisst, dass ich dich liebe. Und, dass ich auf dich warten werde. Was immer passieren wird, wir sind eine Familie. Wir sind eins. Niemand wird das zerstören können.
Also bitte sei nicht besorgt um mich. Ich bin stärker als du denkst. Konzentriere dich nur darauf, schnell wieder raus zu kommen. Ich will dich zuhause haben. Ich brauche dich hier.
Bleib stark. Du bist der Beste!
Deine Tochter und ich, wir lieben dich. Dir gehört unser Herz.
In Liebe deine Frau
Hi Baby.
Ich kann nicht schlafen und es auch immer noch nicht glauben. Jedes Mal wenn ich in unser Bett gehe, muss ich wieder anfangen zu weinen. Mir tut alles weh. Mein Bauch, meine Augen, mein Kopf, mein Herz. Ich kann nicht schlafen und nicht essen. Und am wenigsten kann ich aufhören zu heulen und an dich zu denken. Ich will dir das eigentlich gar nicht sagen, dich nicht noch mehr beunruhigen. Andererseits weiß ich, dass du es so oder so bist. Wahrscheinlich liegst du genauso wach wie ich und dir werden mindestens genauso viele Gedanken durch den Kopf gehen, wie mir. Getrennt von dir zu schlafen bringt mich um.
Es ist Wochenende und man kann nichts machen, sagt die Anwältin. Sie meint, wir müssen bis Montag warten. Ich werde mich direkt Montag mit ihr treffen. Aber wie soll ich solange warten? Es macht mich verrückt, nichts tun zu können. Ich habe das Gefühl ich drehe durch. Ich habe auf das Stillkissen ganz viel Parfum von dir drauf gesprüht. Jetzt stell ich mir vor, dass du es bist. Ich rede mit dem Kissen und kann einfach nicht aufhören es zu umarmen.
Gerade ist das erste Mal, dass ich keine Angst verspüre, wenn ich darüber nachdenke, dass Latifa zu früh kommt. Sie wird in einer schwierigen Zeit geboren werden. Ob sie jetzt kommt, in zwei Wochen oder in zwei Monaten. Ich denke sogar, dass es besser ist, wenn sie schnell kommt, denn dann habe ich wenigstens ein Teil von dir bei mir. Ich bin mir sicher: Sie wird sein wie du. Und aussehen wie du. Ich hoffe es…
Jedes Mal wenn ich nach Hause komme, steigen mir die Tränen, mit jedem Schritt, mehr und mehr in die Augen. Dieses Gefühl, die Wohnung zu betreten, in der du normalerweise auf mich warten würdest, die jetzt aber leer ist, ist unbeschreiblich. Es macht mich krank. Ich habe Angst davor ins Bett zu gehen, weil dann der schrecklichste Teil des Tages beginnt. Dann fangen mich die Fragen wieder an zu quälen. Was kann ich machen? Wie geht’s dir? Mit wem bist du auf einer Zelle? Sind die Leute gut zu dir? Brauchst du etwas? Einen Fernseher vielleicht? Oder wie wär es mit Backgammon? Bist du sauer auf mich? Wann kann ich dich wiedersehen? Wann kommst du raus? Warum bist du überhaupt festgenommen worden? Was soll ich allen sagen? Deiner Mutter, unserem Geschäftspartner, was sag ich denen jetzt? So viele Fragen, auf die ich keine Antwort weiß…
Montag werde ich in der JVA anrufen und fragen, wie es mit Besuchen aussieht. Dann frage ich auch, was ich dir alles schicken kann, und wie andere Angehörige sich verhalten. Ich war noch nie in so einer Situation und hätte auch nie gedacht, dass ich es einmal sein werde. Ich habe keine Ahnung davon, wie jetzt alles weiter geht, wie man sich verhält. Ich weiß nur, dass ich Angst davor habe.
Ich habe Angst vor allem. Ich habe Angst schlafen zu gehen, zu träumen, aufzuwachen,… Ich habe Angst vor heute und vor morgen. Und auch vor der nächsten Zeit.
Ich frage mich, was das schlimmste wäre, was jetzt noch passieren könnte. Und was das Beste… Ich versuche jetzt aufzuhören zu denken. Ich werde jetzt mein Kissen umarmen und mir wieder vorstellen, dass du es bist. Ich werde es küssen und streicheln und wenn es richtig dunkel ist und ich nur noch dein Parfum rieche, werde ich vielleicht einschlafen können. Ich muss es wenigstens versuchen.
Eine schöne Sache vielleicht noch zum Abschluss: Mama, ihre Freunde und ich, haben heute die Rahmen, die Türen und die Abstellkammer fertig gestrichen. Wir waren ein richtig gutes Team. Das hat mich gut abgelenkt. Aber was kann ich morgen machen? Ich will gar nicht darüber nachdenken. Außerdem habe ich ein bisschen was gegessen. Zwar nicht so viel, aber mein Bauch tut nicht mehr ganz so sehr weh, wie gestern. Ich hoffe du hast auch etwas gegessen.
Ich konnte nicht mehr schlafen und bin weinend aufgewacht. Ich kann es nicht verstehen. Warum haben sie dich jetzt festgenommen? Warum jetzt? Ich fühle mich so kraftlos. Ich lüge mich die ganze Zeit selbst an. Ich versuche mir ein zureden „Nur noch diesen Tag und diese Nacht und dann kommt er wieder“.
Ich hoffe ich sehe dich ganz bald. Gleichzeitig macht es mir aber auch Angst. Ich hoffe du sagst „Keine Problem. Alles kommt gut“. Und dass ich dir das glaube und mir keine Sorgen mehr mache.
Ich weiß ich sollte positiv denken. Aber wie, bevor ich dich nicht gesehen oder gehört habe? Wie soll ich da positiv denken?
Ich vermisse deine Haut, deine Haare, deine Augen und deine Stimme so sehr.
Ich fühl mich einfach so verdammt hilflos. Ich kann einfach nichts machen.
Ich will gar nicht wissen, wie viel du gerade nachdenkst. Ich fühle mich als würde mein Kopf gleich explodieren. Aber ich kann wenigstens mit meiner Familie reden und mich bei ihnen ausheulen. Aber du? Du bist so alleine. Du weißt nicht wie es mir geht, wie es Latifa geht. Du musst dich noch viel hilfloser fühlen. Aber keine Sorge, Latifa geht es gut.
Ich weiß du gibst und wirst immer alles geben, um schnell wieder bei uns zu sein. Das weiß ich und da vertraue ich dir zu 100%. Du bist mein Mann. Ich weiß du wirst die Situation irgendwie gelöst bekommen. Du hast mit deiner Vergangenheit abgeschlossen. Du hast dein Leben komplett geändert. Du hast mit der ganzen scheiß Kriminalität aufgehört. Das können alle bezeugen. Keiner wird Beweise haben, dass du die letzten Jahre gedealt hast, denn die gibt es nicht. Das gibt mir Hoffnung. Ich habe jetzt ein gutes Gefühl. Ich fühl mich gerade sogar richtig stark. Jedenfalls für die nächsten Stunden.
Heute habe ich von einer Freundin ihren alten Tisch abgeholt und Stühle von meiner Mama. Morgen fährt Mama mit mir in den Baumarkt und wir werden zusammen eine Küchenzeile bauen. Das ist die günstigste und schnellste Alternative. Die Wohnung habe ich auch richtig gut geputzt. Ein Kollege war da hat die Rahmen und Türen ein zweites Mal gestrichen. Jetzt gerade komm ich von meiner Mama. Sie wollte sehen, dass ich was esse. Als ich gerade nach Hause gekommen bin, habe ich vor der Tür noch eine Katze getroffen. Ich habe ihr Futter geholt und mich noch ein bisschen zu ihr gesetzt. Jetzt liege ich im Bett.
Ich habe heute gemerkt, dass ich auf einmal Angst vorm dunkeln habe. Nicht normale Angst, sondern richtig Panik. Keine Ahnung warum. Deswegen lasse ich jetzt immer irgendwo das Licht an.
Ich glaube heute war ich echt stärker als gestern. Gestern war ich sogar eine ganz kurze Zeit sauer auf dich und habe mich gefragt, wie du mich in der Situation bloß alleine lassen kannst. Aber heute weiß ich erstens, dass du es ja nicht freiwillig tust und zweitens, dass ich ja nicht alleine bin. Ich habe Latifa. Dein Blut ist in mir und das ist das Beste was ich in dieser Situation habe. Sie ist bei mir, das bedeutet, dass auch ein Teil von dir bei mir ist. Aber wer ist bei dir?
Meine Mutter hat heute gesagt „Er ist nicht tot“. Und sie hat Recht. Du bist nicht tot. Du lebst, ich lebe. Wir müssen einfach nur warten. Wir können die Zeit sinnvoll nutzen. Du könntest besser Deutsch lernen. Und ich arabisch. Ich würde gerne wissen wo dein Fenster ist. Vielleicht können wir uns ja sehen?!Ich habe heute gelesen, dass du den Sozialarbeiter fragen kannst, ob du mich anrufen darfst. Frag das bitte. Und es würde mich freuen, wenn du mir zurück schreiben würdest. Ich weiß du schreibst nicht gerne. Und wenn dann auch nicht viel. Aber bitte schreib mir doch wenigstens, wie es dir geht. Das würde mir wirklich Kraft geben.
Ich hoffe, dass du nicht davon genervt bist, dass ich dir so viel schreibe. Ich habe mir vorgenommen, dir auf jeden Fall, jeden Tag, ein bisschen was zu erzählen. Das hilft mir und vielleicht tut es dir ja auch gut. Ich weiß zwar nicht, ob ich überhaupt so viel schreiben darf, oder ob es da Grenzen gibt, aber das werde ich dann ja noch erfahren. Vielleicht werden die Wärter ja meine Briefe lesen?! Aber egal, da steht ja nichts Verbotenes drin, oder?
Ich habe in der JVA angerufen und einen Termin bekommen. Für Morgen. Ich bin so glücklich. Nur noch einen Tag und eine Nacht und wir werden uns sehen. Ich werde dir Klamotten mitbringen. Ich weiß nicht, was du alles brauchst, aber das kannst du mir ja jetzt morgen sagen. Ich werde dir heute auch Geld schicken. Du weißt, wir haben nicht so viel, deswegen schick ich dir erstmal nur 50€, ok? Ich werde versuchen dir jeden Monat mindestens 100€ zu überweisen. Falls du mehr brauchst, kriegen wir auch das schon irgendwie hin. Und wenn ich dich besuche, bringe ich dir jedes Mal was vom Kiosk mit. Ich habe übrigens auch nachgefragt, und ich darf dir so viel schreiben wie ich möchte. Ich darf dir sogar Fotos senden. Der Mann am Telefon meinte, ich dürfte dich nur alle 14 Tage besuchen. Aber wir sollen uns informieren, ob wir eine Sonderregelung bekommen können, da ich schwanger bin.
Ich werde jetzt ein kleines bisschen Frühstücken und dann meine Tabletten nehmen. Dann fahre ich Fotos ausdrucken. Eins von mir, eins von Latifas letztem Ultraschall und vielleicht eins von dir und mir zusammen. Ich hoffe du wirst sie bekommen. Da Wochenende war, kann ich erst heute alle Briefe zusammen los schicken. Ich denke nicht, dass du sie heute noch bekommst. Also wenn du das liest, habe ich dich schon besucht. Alles wird gut Baby. Glaub mir.
Es ist mitten in der Nacht, aber ich kann nicht schlafen. Ich bin so aufgeregt. In weniger als 6 Stunden sehe ich dich. Ich habe schon eine Tasche mit Klamotten fertig für dich gepackt. Ich hoffe, ich habe an alles gedacht. Ich bin so nervös und ich habe Angst, dass ich weinen muss. Dabei will ich dir auf jeden Fall zeigen, dass ich stark bin.
Ich werde jetzt versuchen zu schlafen um morgen fit zu sein.
In Liebe deine Frau
Hallo Habibi.
Ich liebe dich so sehr und ich vermisse dich so sehr. Es tut mir so leid. Es tut mir so leid, dass ich dich in diese Situation gebracht habe. Das wollte ich nie. Ich habe gewusst, dass es so kommt. Ich habe es geahnt, aber ich wollte das nicht. Du hast das nicht verdient. Doch jetzt kann ich es nicht mehr ändern. Jetzt bin ich hier. Aber nicht mehr lange Baby. Ich komme bald raus. Mach dir keine Sorgen. Bald kommt alles wieder gut. Ich kann eine Haftprüfung beantragen und ich bin sicher, sie werden mich gehen lassen. Meine Straftat ist von 2013. Es ist 5 Jahre her. Also bitte Schatz, mach dir keine Kopfschmerzen. Wichtig ist jetzt nur, dass du an Latifa und dich denkst. Du musst gut essen und du darfst nicht schwer Arbeiten. Ich bin nicht da, deswegen musst du jetzt alleine auf euch beide aufpassen. Erzähl mir bitte immer wie es dir geht und auch wie es Latifa geht. Wenn es euch gut geht, geht es mir auch gut. Bitte sag mir auch, was der Doktor sagt. Ich kann jetzt nicht mehr mit zu den Untersuchungen kommen. Das tut mir so weh. Ich will bei euch sein. Mein Herz schmerzt. Aber egal. Mach dir keine Sorgen um mich. Mir geht es gut. Hier sind viele Libanesen. Ich kenne viele und wir essen jeden Tag zusammen und spielen Spiele. Vielleicht kann ich sogar nächste Woche in die Schule. Wenn ich dann noch hier bin. Wir haben einen Fernseher im Raum und jede Menge Kaffee. Ich habe alles was ich brauche, außer euch. Bitte schick mir kein Geld. Gib nichts für mich aus. Mach das, was das Beste für euch ist. Meine zwei Mädchen. Ich vermisse euch. Ich vermisse auch deine Mama und deine Schwester und deinen Bruder. Deine ganze Familie vermisse ich. Aber bald bin ich draußen. Dann mach ich meine Papiere fertig und alles kommt gut.
Ich denke jede Sekunde an dich und Latifa. Ich träume von euch, ihr seid immer bei mir. Bitte vertraue niemand, nur deiner Familie. Lass auch niemanden in die Wohnung.
Küss alle von mir. Und sag Latifa, dass ich sie liebe.
P.S.: Ich sehe an dem Papier wie viel du geweint hast. Baby, bleib stark. Wir schaffen das schon! Bald bin ich wieder bei euch!
Hola Baby.
Ich habe gerade deinen Brief bekommen. Danke, Danke, Danke! Es ist so schön deine Schrift zu lesen. Damit hast du mich so glücklich gemacht! Nur eine Sache macht mich noch glücklicher: Dass ich dich heute gesehen habe.
Ich kann dieses Gefühlschaos gar nicht beschreiben. Alles war so neu für mich. Die erste Beamtin die ich gesehen habe, war so freundlich und hat mir alles erklärt und mich danach durchsucht. Sie hat direkt erkannt, dass ich zum ersten Mal da war. Sie hat mir sogar kurz über die Schulter gestreichelt. Aber der Glatzköpfige Beamte, der mich dann zu dir gebracht hat, war so kalt und so schroff zu mir. Dann hat er mich noch angeraunzt, was ich mir einbilden würde, ob das hier ein Hotel ist, dass ich dir so dicke Hausschuhe versuche rein zu bringen. Aber woher sollte ich denn wissen, dass das nicht erlaubt ist. Als ich dich dann gesehen habe, musste ich einfach weinen. Und ich konnte nicht aufhören zu weinen, als du mich in den Arm genommen hast. Es war so schön und ich habe mich so sicher in deinen Armen gefühlt. Aber in demselben Moment konnte ich es gar nicht genießen. Die Wärter, die uns beobachtet haben, die Spiegel, die Kameras, die anderen Leuten, den Abstand den wir zu einander halten sollten. Das war mir einfach alles zu viel. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so klein gefühlt. Als du dann angefangen hast, so euphorisch zu behaupten, dass du bald wieder draußen sein wirst, hast du mich sauer gemacht. Ich habe mich gefragt, wie es sein kann, dass du so stark bist, und ich so schwach. Aber du hast deine Kraft mit mir geteilt. Es ist das eingetroffen, was ich gehofft habe. Ich muss mir keine Sorgen um dich machen, weil du stark bist und gleichzeitig hast du mir die Hoffnung gegeben, dass bald alles wieder „gut kommt“. Und ob du es glaubst oder nicht, habe ich bis jetzt noch nicht einmal wieder geweint. Ich bin nachhause gegangen, habe gefrühstückt und eine Couch gekauft. Sie ist gebraucht und wird dir wahrscheinlich nicht sonderlich gefallen, aber fürs erste reicht es. Der Kollege war da und hat die Türen und Rahmen fertig gestrichen. Jetzt gucke ich gerade diese eine Serie, die wir letztens zusammen angefangen haben.
Ich komme gerade von der Anwältin. Zu hören, dass der Grund für deine Verhaftung wirklich nur Aussagen sind, ist einfach so unfassbar. Eigentlich war es mir ja klar. Du hast es immer prophezeit und etwas Aktuelles gibt es ja nicht. Aber, dass es so einfach ist… Unglaublich! Sie sagte auch, dass es wirklich in zwei bis drei Wochen eine Haftprüfung geben wird und unsere Chancen, dass du bis zu den Verhandlungen raus kommst, gar nicht so schlecht stehen. Das gibt mir total die Kraft, nur leider habe ich auch eine schlechte Nachricht. Ich war heute bei meiner Frauenärztin und sie macht sich Sorgen. Durch den ganzen Stress in den letzten Tagen ist Latifa viel zu weit nach unten gerutscht. Sie meinte es sieht so aus, als würde sie jeden Augenblick kommen. Ich habe so Angst. Ich will das nicht. Ich muss die Zeit bis zur Haftprüfung noch überstehen. Ich will unsere Tochter nicht ohne dich kriege. Ich werde alles dafür geben, dass das nicht passiert.
Meine Schwester fragt die ganze Zeit nach dir. Sie ist noch zu klein um das alles zu verstehen, deswegen habe ich ihr gesagt, dass du deine Familie im Libanon besuchen bist. Sie vermisst dich so sehr.
Aber nicht nur sie, sondern auch andere Leute fragen nach dir. Ich wurde heute von einem fremden auf der Straße angesprochen, der gesagt hat, dass ich dir sagen soll, dass du nichts sagen sollst. Auch zwei Typen haben hier geklingelt und mir sogar Geld geboten, damit du nichts erzählst. Es ist wie in einem schlechten Film. Ich habe schon gar keine Lust mehr nach draußen zu gehen, weil ich Angst habe, wieder angesprochen zu werden. Du hast mir schon bevor wir nach Deutschland gekommen sind gesagt, dass du dich stellen möchtest und alles erzählen willst. Ich weiß nicht ob das eine gute Idee ist. Ist das nicht gefährlich für uns?
Wie auch immer, wir schaffen das schon. Mach dir keine Sorgen.
In Liebe deine Frau
P.S.: Deine Familie ruft mich die ganze Zeit an Schatz. Was soll ich ihnen sagen? Ich weiß deine Mutter ist krank und die Wahrheit könnte sie umbringen. Deswegen gib mir bitte schnell eine Antwort.
Hallo Schatz.
Du musst auf dich und Latifa aufpassen. Bitte versprich mir, dass du dich ab jetzt mehr schonst. Es macht mir große Sorgen, wenn ich lese, dass Latifa zu weit unten liegt. Aber ich verspreche dir, ich werde da sein. Du wirst die Geburt nicht alleine machen müssen. Ich werde für dich da sein. Das ist mein erstes Kind, es ist meine Tochter und du meine Frau. Ich werde alles tun um euch nicht im Stich zu lassen. Ich habe der Anwältin erlaubt dir alles zu sagen. Es soll nichts vor dir verheimlicht werden, und du sollst immer fragen können und auch Antworten bekommen.
Ich habe mich auch sehr gefreut dich zu sehen Baby, aber es bricht mir das Herz dich weinen zu sehen. Bitte bleib stark. Es ist dauert nicht mehr lange, und ich werde wieder bei euch sein.
Es tut mir auch Leid, dass du jetzt alleine mit der Wohnung bist. Du bist im 9ten Monat schwanger und musst dich zusätzlich noch um eine Baustelle kümmern. Ich schäme mich dafür. Sag allen die dir helfen bitte danke von mir.
Und diese ganzen dreckigen Leute… Rede mit keinem. Wenn du was sagen willst, sag nur „Lasst mich in Ruhe“, oder „Mein Mann wird euch noch alle rein bringen“. Sie werden Angst haben und das sollen sie auch, denn ich werde alles erzählen. Ich werde niemanden schützen, denn niemand ist so wichtig wie ihr. Ich will abschließen, für immer. Wenn ich will, bringe ich die halbe Stadt in den Knast. Und ich will. Wenn du Angst hast, ruf die Polizei. Doch du brauchst keine Angst haben. Niemand wird dir etwas tun. Eher sterbe ich.
Bleib stark. Ich liebe dich.
Hi mein Engel.
Du kennst mich doch wohl ganz gut, dass ich niemanden sagen würde „Lass mich in Ruhe. Mein Mann wird dich in den Knast bringen“. Mit Sicherheit werde ich auch nicht die Polizei um Hilfe bitten. Du weißt von meinen Erfahrungen mit der Polizei und die sind allesamt schlecht. Ich vertraue dir. Wenn du sagst, es ist richtig auszupacken und, dass ich mir keine Sorgen um mich und meine Familie machen muss, dann glaube ich dir das. Habe ich dir schon mal gesagt, dass ich mich mit dir immer so unbesiegbar fühle? Danke dafür.
Jetzt hast du mir nur immer noch nicht geantwortet, was ich deiner Mama sagen soll. Sie ruft die ganze Zeit an. Ich trau mich gar nicht mehr bei WhatsApp rein zugehen.
Die Kaution für unsere Wohnung wird übrigens nicht vom Jobcenter übernommen. Ich weiß gar nicht was ich dazu sagen soll. Das hat mir echt noch gefehlt. Wie soll ich die denn zahlen? Ich habe überhaupt kein Geld. Wir haben nicht mal eine Küche. Ich verstehe das einfach nicht. Das ist das erste Mal, dass ich auf das Jobcenter angewiesen bin und die fallen mir nur in den Rücken. Keine Umzugskosten, keine Erstausstattung, 3 Monate bis das erste Geld kam und jetzt keine Kaution. Erst jetzt verstehe ich, warum sich so viele immer darüber aufregen. Was machen denn die Leute, die niemanden haben? Ich bin so froh, dass ich so viele Leute um mich herum habe, die mich unterstützen.
Ich kann schon wieder nicht aufhören zu weinen. Ich liege ihm Bett und fühle mich so alleine. Ich habe das Gefühl, dass keiner mich versteht. Vielleicht ist das auch ungerecht, weil ich niemanden überhaupt erst die Chance gebe mich zu verstehen. Ich versuche mich an diesem Gedanken fest zuhalten, dass du durch die Haftprüfung raus kommst und wieder bei mir bist. Bei uns. Aber was ist wenn nicht? Meine Gedanken bringen mich noch um. Ich will einfach einschlafen und wenn ich aufwache, möchte ich, dass du wieder neben mir liegst und mich in den Schlaf kraulst. So wie normalerweise jede Nacht. Ich vermisse dich so stark.
In Liebe deine Frau
Hallo mein Schatz.
Mach dir keine Sorgen. Um nichts. Ich beschütze dich. Auch wenn du mich nicht siehst, nicht anfassen oder hören kannst, bin ich dennoch da. Ich lasse dich nicht alleine, also sei stark, bitte.
Ich habe ein gutes Gefühl wegen der Haftprüfung und als du mich heute besucht hast, meintest du, dass du auch ein gutes Gefühl hast, oder? Also, es sind nur noch ein paar Tage, das halten wir doch aus, oder?
Falls meine Mutter dich nochmal anrufen sollte, sag ihr wie besprochen, dass ich noch mal nach Spanien musste und mein Handy kaputt ist. Denk gar nicht darüber nach ob sie dir glauben wird oder nicht. Du bist meine Frau. Sie sollte und wird dir glauben. Egal was du ihr sagst. Und selbst wenn sie Zweifel hat, weiß sie, ich bin erwachsen.
Alles wird gut mein Engel.
Hallöchen mein Prinz.
Morgen ist Haftprüfung. Ich bin schon total aufgeregt. Die Anwältin sagt, dass ich vielleicht vor dem Haftrichter vorsprechen muss. Sie hat mich beruhigt und meinte, er wäre einer der letzten, der mit Herz dabei ist. Ich hoffe sie hat Recht. Ich bete so sehr, dass der Alptraum morgen ein Ende hat. Ich habe nur meiner Mama von morgen erzählt, weil mir sonst bestimmt alle Glück wünschen und danach fragen werden wie es war. Aber wenn es schlecht ausgeht, werden mich die Fragen runter ziehen. Und wenn es gut ausgeht möchte ich mit dir die ersten Stunden genießen und keine Fragen beantworten. Du hast gesagt, du möchtest als erstes wenn du raus kommst zu meiner Familie fahren. Aber was hältst du davon, wenn wir erst mal ganz viel kuscheln und erst abends zusammen mit meiner Familie essen?
Wahrscheinlich wirst du diesen Brief gar nicht kriegen, weil du dann schon wieder bei mir bist.
Ich hoffe es so sehr.
In Liebe deine Frau
Wie kann man so viel Pech haben wie wir?
Genau wo der Haftrichter dich gehen lassen will, kommt noch ein Haftbefehl gegen dich rein. Ich kann das nicht fassen. Und alles wegen dem Fernseher deiner Ex Freundin?! Sie hat die Anzeige doch schon längst zurück genommen, oder nicht? Das ist Jahre her, warum kommt das überhaupt jetzt erst? Die Ausrede, dass der Haftbefehl jetzt erst vollstreckt wurde, weil du nicht aufzufinden warst, ist so gelogen. Du warst nicht aufzufinden? Du warst vor ein paar Monaten noch bei denen auf der Wache, inklusive eine Nacht in PG. Außerdem bist du doch gemeldet. Ich habe den blöden Zettel ja auch heute dem Haftrichter gezeigt. Jeder der dich hätte finden wollen, hätte einfach klingeln müssen. So ein Scheiß, ehrlich. Ich hoffe, dass der Haftrichter es schafft dich gehen zu lassen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wärst du heute schon draußen. Auch ein Witz oder? Dass er das nicht alleine entscheiden kann?! Ach man…
Tut mir auch Leid, dass ich schon wieder so rumgeheult habe. Ich schwör es dir, ich habe es mir so fest vorgenommen stark zu bleiben. Aber dich so zusehen, in Handschellen, das bricht mir das Herz.
Ich hoffe morgen kann ich dich wieder in den Arm nehmen. Und dann lasse ich dich nie wieder los.
In Liebe deine Frau
Hallo Prinzessin.
Morgen ist der große Tag. Ich habe ein gutes Gefühl. Ich bin mir sicher ich werde raus kommen. Ich bin so froh Baby, dass diese Zeit dann um ist. Jetzt traue ich mich zu sagen: ich glaube ich wäre kaputt gegangen. Der Gedanke, bei der Geburt nicht dabei zu sein, dir bei der Wohnung nicht helfen zu können, dich mit allem alleine zu lassen,... Es hätte mich zerstört. Ich habe Fehler gemacht und ich muss dafür eine Strafe bezahlen, aber nicht du und nicht Latifa. Du weißt ich habe mich geändert. Aber die meisten Menschen die hier drin sind, versuchen mich wieder auf schlechte Gedanken zu bringen. Mach dir keine Sorgen, ich weiß was ich will und ich werde mich zu nichts hinreißen lassen. Aber es ist schwer. Mit dir an meiner Seite, ist mein Teufel im Kopf wie ausgestorben. Ich vermisse dich.
Wenn du diesen Brief liest, wirst du nicht alleine sein. Ich werde neben dir liegen. Vielleicht schmeißen wir ihn auch einfach weg. Man muss immer nach vorne schauen und nie zurück. Ich hoffe morgen kriege ich die Chance zu beweisen, dass ich mich geändert habe. Ich werde direkt am Montag zur Polizei gehen und eine Aussage machen. Ich will meine Vergangenheit endlich hinter mir lassen. Ich will endlich anfangen richtig mit dir zu leben. Mach dir keine Sorgen mein Schatz. Ab morgen fängt unser neues Leben an. Ich liebe dich!
Mein Schatz…
…Ich habe gerade deinen Brief bekommen. Ich kann nicht aufhören zu weinen. Bitte sag mir, dass das es nicht wahr ist. Du warst so euphorisch. Du hast dich so gefreut. Es tut so weh. Es ist so unfair. Ich kann einfach nicht mehr.
Der Haftrichter hat dich gehen lassen, mit der Auflage, dass du dich drei Mal in der Woche bei der Polizei meldest. Und direkt beim ersten Mal melden, nehmen sie dich wieder fest?! Nach nicht mal 24 Stunden?! Und müssen dich auch noch wie einen Schwerverbrecher schubsen und herumwirbeln, obwohl wir freiwillig zur Wache gekommen sind und du deine Hände nach Aufforderung direkt gehoben hast?! Heute ist noch das letzte bisschen Achtung, dass ich vor dieser Wache hatte, gestorben. Was sind das für Menschen?
Ich weiß gar nicht, ob die nicht einen Fehler gemacht haben. Vielleicht ist es noch nicht bis zur Polizei durch gekommen, dass du gestern vorerst entlassen wurdest. Sobald die Anwältin mich zurück ruft haben wir Klarheit.
Ich kann nicht mehr. Mein Körper fühlt sich tot an. Baby, warum? Bitte sag mir, warum? Warum sind wir wieder nach Deutschland gekommen? Warum hasst Gott uns so sehr? Was haben wir gemacht, dass wir so leiden sollen? Ich kriege keine Luft mehr. Mein Herz tut so weh und mein Bauch ist so verkrampft. Ich will nicht mehr. Ich habe gerade mit der Anwältin telefoniert. Es ist einfach alles noch schlimmer als vorher. Du hast wieder einen Haftbefehl bekommen. Diesmal geht’s zum Landgericht und nicht wie davor zum Amtsgericht. Du sitzt jetzt nicht mehr nur in Untersuchungshaft, sondern du hast jetzt auch noch den Paragrafen 119. Das heißt, du kannst mir nur noch auf Deutsch schreiben, also gar nicht! Ich darf dich nur noch mit einer Besuchserlaubnis von der Staatsanwaltschaft besuchen und unter Aufsicht von 2 Kriminalkommissaren. Und das alles in einem gesonderten Raum. Meine Briefe werden natürlich auch kontrolliert. Was soll das alles? Was denken die, was wir reden, schreiben oder tun? Deine Straftat ist verdammt noch mal 5 Jahre her. Wie sollen wir das schaffen? Ich habe so Angst. Ich brauch dich doch…
Ich kann mich gar nicht beruhigen. Ich kann nicht Essen, ich kann nicht reden, ich will auch niemanden sehen. Wenn ich nicht schwanger wäre, würde ich mich jetzt so abschießen, oder wenigstens eine Zigarette rauchen, aber es geht nicht.
Alle Fragen mich was los ist. Wie soll ich das erklären, wenn ich es selbst nicht begreife? Baby, ich kann nicht mehr wirklich. Mein Herz tut so verdammt weh.
Ich weiß nicht was ich dir sagen soll. Ich vermisse dich.
Ich habe wieder mit der Anwältin telefoniert. Es wird nochmal eine Haftprüfung geben, aber wir sollen uns keine großen Chancen ausmalen. Der neue Haftbefehl kommt wegen einer Aussage von Abu Abu. Was für ein scheiß Lügner. Ich habe der Anwältin gesagt, dass ich nicht glaube was er erzählt. Ihr hattet nie etwas mit einander zu tun. Sie hat mich gefragt woher ich ihn kenne. Ich habe ihr erzählt, dass er total vernarrt in mich war. Wahrscheinlich, ist das unter anderem ein Grund, weshalb er Lügen über dich verbreitet. Ich könnte mich da jetzt so reinsteigern, aber mir fehlt die Kraft mich aufzuregen. Ich bin viel zu traurig. Ich fühle mich noch leerer und noch einsamer als letzten Monat, bei deiner ersten Festnahme.
Es tut mir Leid, dass ich schon wieder so in Selbstmitleid versinke. Wie geht es dir wohl? Ich weiß du gibst dir die Schuld. Ich weiß, dass du dich noch hilfloser fühlst und du dir auch Sorgen machst, wie es mir geht. Ich würde dir so gerne sagen, dass ich stark bin und du dir keine Sorgen machen musst, aber ich fühle mich so schwach wie noch nie. Doch auch, wenn die Anwältin sagt, wir sollen uns keine zu großen Hoffnungen machen, verliere ich dennoch nicht die Hoffnung, dass wir die nächste Haftprüfung noch einmal für uns gewinnen könnten.
Ich habe schon eine Besuchererlaubnis beantragt und einen Termin gemacht. Ich will dich einfach ganz schnell sehen. Ich muss wissen, wie es dir geht. Ich hoffe, es ist wie beim letzten Mal und du kannst mir Kraft geben. Denn die brauche ich dringend.
Heute war der erste Besuchstermin mit Polizeilicher Begleitung. Ich habe mich so klein gefühlt und auch wenn die Beamten einigermaßen nett waren, war der Besuch einfach nur schlimm. Ich habe dich noch nie so gesehen wie heute. Auch wenn du versucht hast es zu überspielen, ich habe dir angesehen, wie die Situation dich mitnimmt. Du hast in diesen paar Tagen so abgenommen und bist so blass geworden, dass ich dich kaum erkannt habe. Ich muss leider sagen, dass dich so zu sehen, mich noch schwächer gemacht hat. Wahrscheinlich ist es andersrum genauso. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass wir deutsch reden mussten, oder ob du wirklich nicht so viel zu sagen hattest, aber es war so seltsam. Ich schätze du hast dich genauso beobachtet gefühlt wie ich. Dich nicht richtig anfassen zu können… Tut mir Leid Baby, dass alles ist wirklich zu viel für mich.
Meine Mama und ihre Freundin sind heute hier. Sie versuchen mich mal wieder abzulenken. Es gelingt nicht richtig, aber trotzdem ist es schön nicht alleine zu sein. Ich fühle mich in dieser Wohnung so unwohl. Durch den Besuch geht es aber und weine ich wenigstens nicht durchgehend.
Ich wünschte du hättest auch jemanden bei dir. Aber am meisten wünsche ich mir natürlich, dass du bei mir wärst. Ich dich in den Arm nehmen könnte und du meinen Bauch streicheln würdest.
Ich versuche die ganze Zeit auszublenden, dass die Geburt bald vor der Tür steht. Ich habe unfassbare Angst davor alleine, ohne dich zu entbinden. Ich brauche dich da an meiner Seite und ich weiß, dass das auch dein größter Wunsch ist. Es ist dein erstes Kind… Doch jedes Mal, wenn Latifa sich bewegt, überkommt mich eine Welle der Panik. Bitte, bitte, lass uns wenigstens das gemeinsam durchstehen können.
Ich vermisse dich unendlich Doll.
In Liebe deine Frau
Hallo Babe.
Wenn du den Brief bekommst, weist du es wahrscheinlich schon längst, da die Briefe ja mindestens 14 Tage brauchen, bis sie bei dir ankommen. Die Haftprüfung wurde abgelehnt. Wir mussten nicht mal erscheinen, da die Staatsanwältin es ohne Anhörung beschlossen hat. Und genau diese Staatsanwältin liest auch die Briefe die ich dir schreibe?! Sorry, aber mir vergeht gerade die Lust zu schreiben. Eine Person, die dich gar nicht kennt und die dir nicht mal die Chance gibt, dich dazu zu äußern. Der Schlampe soll ich mein Herz öffnen und zeigen wie ich leide?! Wahrscheinlich freut sie sich sogar noch darüber, geht später nach Hause und lacht über mich. Nein, Danke.
Gleichzeig gibt mir das auch Kraft. Niemand wird uns brechen können. Es wird eine harte Zeit werden, aber wir werden das gemeinsam durchstehen. Keine Sorge, ich lasse dich nicht alleine. Und auch meine Familie steht hinter dir. Gemeinsam sind wir stark.
In Liebe deine Frau
Hallöchen mein alles.
Tut mir Leid für meinen letzten Brief, aber diese Situation überfordert mich maßlos. Ich fühl mich gedemütigt und bin enttäuscht. Aber natürlich weiß ich auch, dass alle nur ihren Job machen. Mir ist auch egal, wer was liest und was darüber gedacht wird. Ich schreibe für dich. Dir. Und einzig und alleine das zählt. Nachdem ich die letzten Tage nur geweint habe, habe ich heute wieder einen einigermaßen guten Tag. Ich habe mich nun damit abgefunden, dass ich Latifa ohne dich gekommen werde. Die Wahrscheinlichkeit, dass du mit Polizeilicher Bewachung dabei sein kannst, ist gering. Außerdem habe ich mich heute dazu entschieden, dass selbst wenn es gehen würde, ich es nicht möchte. Ich möchte nicht, dass wieder eine Hoffnung die ich habe zerstört wird. Auch der Gedanke, dich erst als Stütze zu haben, um dich dann ein drittes Mal mir wegnehmen zu lassen, ertrage ich nicht. Ich weiß, dass es egoistisch und hart ist und dennoch hoffe ich, dass du diese Entscheidung verstehst und akzeptierst. Wenn ich dich morgen Besuche, werde ich es dir auch selbst nochmal sagen.
Heute beim Einkauf habe ich dir das erste Mal nichts mitgebracht. Ich bilde mir ein, dass das Beweise dafür sind, dass ich die Situation akzeptiert habe. Aber das habe ich nicht. Es war auch nicht so, dass ich ganz automatisch nichts für dich mit eingekauft habe, sondern ich musste mich dazu zwingen. Ich wäre fast zusammengebrochen, weil ich alleine den Gedanken, dass du mindestens die nächsten Monate getrennt von mir, besser gesagt uns bist, nicht ertrage. Ich kann und will es nicht akzeptieren. Ich habe Familien gesehen und Väter alleine mit deren Kindern und bin sauer geworden. Sauer auf mich selbst, weil es unfair ist sauer zu werden. Und einfach, weil ich das Glück, als Familie zusammen zu sein, nicht haben werde. Jedenfalls nicht bald. Auch diese ganzen glücklichen Pärchen, die ich sehe, nerven mich. Dabei weiß ich, dass ich doch eigentlich nur eifersüchtig bin. Ich hasse es so zu fühlen und dennoch kann ich nichts daran ändern.
Ich will einfach nur, dass dieser Alptraum endet.
Heute sahst du wieder ganz schlecht aus. Deine Augen waren so leer und so Hoffnungslos. Ich denke, dass bei dir auch immer mehr ankommt, dass wir uns an die Situation gewöhnen müssen. Es ist so seltsam, die ganzen 14 Tage warte ich nur darauf dich zusehen und wenn ich dann bei dir war, weiß ich nicht wie ich mich fühlen soll. Auf der einen Seite ist es so schön dich zu sehen, auf der anderen Seite zieht es mich auch runter. Ich wollte mich aber auf jeden Fall nochmal dafür bedanken, dass du meine Entscheidung mit der Geburt so akzeptierst. Ich weiß, du würdest jetzt sagen, dass ich mich nicht bedanken brauch und dass es dir gut geht, wenn es mir gut geht. Dennoch weiß ich, dass ich dir damit, das letzte bisschen Hoffnung, bei der Geburt deines ersten Kindes dabei zu sein, genommen habe. Ich hoffe, dass Latifa nicht unser einziges Kind bleiben wird und verspreche dir, dass du bei der nächsten Geburt dabei sein wirst. Du darfst dann auch den Namen entscheiden und alles was du willst. Hauptsache du bist glücklich. Und halt einfach dabei.
Ich habe mich gerade mit meiner Freundin unterhalten. Die, von der die Schwester im Knast ist. Sie hat mir versucht zu erklären, dass das zwar eine scheiß Situation ist, man da aber einfach durch muss. Dann ist sie mir noch mit so blöden Sprüchen gekommen wie „Gott gibt jedem nur die Last auf die Schulter, die er tragen kann“. Ich weiß, sie meint es gut und versucht mich aufzubauen. Aber mein Mann ist weg. Der Vater meiner Tochter. Mit dem ich jede Nacht verbracht habe. Der nie schlecht zu mir war. Der immer hinter mir stand. Den ich gerade am meisten brauche. Hallo?! Ich bin hoch schwanger. Wenn sie ihre Last tragen kann ist es ja ok, freut mich. Aber ich habe das Gefühl ich breche darunter zusammen. Ich habe gedacht, dass wenn mich jemand versteht, dann sie. Aber das kann sie nicht. Genauso wenig wie ich sie verstehe. Wenn die eigene Schwester im Gefängnis ist, ist das wahrscheinlich nicht einfacher, aber anders. Trotzdem fühle ich mich gerade noch einsamer und unverstandener. Dieses Gefühl wünsche ich wirklich niemandem.
Ich habe gerade mit der Anwältin telefoniert. Sie sagt, dass jetzt auch noch die Abschiebung im Raume steht. Weißt du noch letztes Mal, als ich 20 Minuten vor der Tür warten musste, um dann zu erfahren, dass der Besuchstermin um einen Tag verschoben wurde, weil du irgendwo hingebracht werden solltest? Du hast mir danach gesagt, dass dich die ins Auto gepackt haben und mit dir durch die Gegend gefahren sind, weil sie dich zu einem Konsulat bringen wollten, aber nicht wussten zu welchem?! Ist das jetzt der Plan? Dich so schnell wie möglich abzuschieben? Ich kann einfach nicht mehr. Haben wir nicht genug Probleme? Warum jetzt auch das noch. Ich habe keine Kraft mehr Baby. Was sollen wir denn jetzt machen? Was können wir jetzt machen? Nur abwarten?! Ich werde mich nach dem besten Anwalt für Ausländerrechte umgucken. Es muss eine Lösung geben. Nur wie sollen wir dann den Anwalt bezahlen. Ich weiß einfach nicht weiter. Mir ist alles zu viel. Und umso mehr ich weine, umso mehr krampft mein Bauch.
Wo bist du nur? Warum bist du nicht hier? Ich brauche dich doch so sehr.
In Liebe deine Frau
Hi Schatz.
Es ist mitten in der Nacht. Ich muss dir einfach schreiben, weil ich nicht aufhören kann zu weinen. Mal wieder. Dir zu schreiben, ist wie eine Therapie für mich. Es tut mir einfach nur gut und ich fühle mich dir näher. Um das Ganze noch zu romantisieren, liege ich währenddessen auf meinem Stillkissen und rieche dich. Ich kann nicht beschreiben, wie sehr ich dich vermisse. Das ich dich so sehr vermisse, dass es weh tut, beschreibt es wahrscheinlich noch mit am besten. Was würde ich nur dafür geben, jetzt neben dir zu liegen…
Heute ist das Datum, von dem du die ganze Zeit meintest, dass Latifa dort geboren wird. Doch leider muss ich dich enttäuschen. Es fühlt sich alles normal an, sogar ruhiger als sonst. Habe ich dir…
…Baby, ich weiß nicht was gerade mit mir passiert. Ich weiß nicht, ob ich inkontinent geworden bin, aber ich habe beim schreiben einfach Pipi gemacht. Ich habe versucht meine Mutter anzurufen, aber sie geht nicht dran. Das kann doch noch nicht die Fruchtblase sein, oder? Das wäre mehr als zwei Wochen zu früh. Oder vielleicht doch, wegen dem Stress? Ich rufe jetzt im Krankenhaus an.
Herzlichen Glückwunsch Schatz, du bist Vater.
Das ist mit Abstand der traurigste Satz, den ich jemals geschrieben habe. Es dir schreiben zu müssen und nicht sagen zu können… Wahrscheinlich wirst du nicht einmal von mir erfahren werden, dass du Vater geworden bist. Latifa schläft gerade und die Zeit möchte ich nutzen, dir ein bisschen von der Geburt zu schreiben. Das wichtigste vorweg: Latifa ist gesund!
Mir geht es soweit auch ok. Meine Mutter hatte mich noch zurück gerufen und wir sind zusammen zum Krankenhaus gefahren. Die Geburt hat 10 Stunden gedauert. Ich habe Latifa wie gewünscht auf natürlichem Wege und ohne Schmerzmittel bekommen. Bei der Geburt habe ich zu viel Blut verloren. Deswegen musste ich erstmal wieder aufgepäppelt werden und konnte sie nicht als erstes auf dem Arm nehmen. Das hat meine Mutter übernommen. Sie war wirklich fantastisch und ich bin sehr froh, dass ich sie noch erreichen konnte und sie dabei war.
Ich weiß nicht was ich dir noch schreiben soll. Mir wäre lieber, wenn wir abmachen, dass wir nie wieder über diesen Tag reden. Denn ich merke mit jedem einzelnen Satz, wie mein Herz mehr und mehr bricht. Jeder erzählt, dass die Geburt des eigenen Kindes der schönste Tag ist. Für mich ist es das Gegenteil. Es gab kaum einen Tag, an dem ich mich so leer gefühlt habe, wie heute. Ich kann mich nicht richtig freuen, weil du einfach fehlst. Ich will weder lachen, noch weinen, noch irgendetwas. Ich möchte nur einschlafen und hoffen, dass der Tag schnell vorbei geht.
Latifa ist nun einen Tag alt. Ich fühle mich besser, auch wenn ich kaum geschlafen habe. Ich habe an deine Worte vom letzten Besuch gedacht: Baby, du musst jetzt stark sein. Du bist jetzt Papa und Mama in einem. Bitte gib Latifa nicht nur deine Liebe, sondern auch meine. Und das werde ich nun tun.
Sie ist einfach so schön. Ich wünschte du könntest sie sehen. Sie sieht aus wie du. Wenn sie aus meiner Brust trinkt und die Brustwarze nicht richtig angesaugt bekommt, macht sie so ein grimmiges Gesicht. Es sieht eins zu eins aus wie dein grimmiges Gesicht, wenn du zum Beispiel verstehst, dass ich dich veräppelt habe. Ich könnte sie die ganze Zeit angucken. Ich bin so verliebt in sie. Danke!
Heute haben uns ein paar Freunde und etwas Familie besucht. Es war schön, aber ich bin auch jedes Mal froh wieder alleine zu sein. Ich bin müde. Wie schön wäre es nur, wenn du hier sein könntest. Diese Zeit ist einmalig. Niemand wird uns das je zurückgeben können. Ich finde wirklich, dass das, Strafe genug ist. Etwas Wichtigeres hätte dir nicht verwehrt werden können. Deine Mama fragt übrigens schon wieder die ganze Zeit nach dir. Ich habe ihr gesagt, dass du in Spanien bist, aber Schatz ganz ehrlich, ist doch klar, dass sie das nicht glaubt. Du bist in Spanien und hast nicht die Möglichkeit sie mal für eine Minute anzurufen!? Das würde ich auch nicht glauben. Ich denke, so macht sie sich wahrscheinlich sogar noch mehr Sorgen, als wenn sie die Wahrheit wüsste. Aber du kennst sie besser.
Ach man Schatz.
Alles ist komisch. Latifa ist so ein wunderschönes und süßes Baby und eigentlich möchte ich mich gar nicht beschweren, aber ich merke einfach jede Sekunde wie sehr du fehlst. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus, wollte meine Mama, dass ich für die ersten Tage, oder Wochen, bei ihr einziehe. Ich wollte und will es auch noch immer nicht. Doch ich bin so schwach. Direkt beim ersten Einkauf bin ich zusammen gebrochen. Mir ist einfach schwarz vor Augen geworden. Abgesehen davon, dass ich mich auch so nicht vorbereite habe, auf Fragen wie: Wie stillt man ein Baby? Wie wickelt man es? Wie zieht man sie an? Oder sonst was, merke ich wie schwierig sich einige Dinge, als alleinerziehende Mutter, jetzt schon gestalten. Meine größte Herausforderung bis jetzt: Baden. Ich habe erst versucht Latifa in einer Mini Badewanne zu baden, aber das hat überhaupt nicht funktioniert. Also habe ich mich mit ihr zusammen in die Badewanne gelegt. Kommt mir schließlich auch gelegen, da ich Angst habe duschen zu gehen und sie somit unbeaufsichtigt zu lassen. Aber in die Badewanne steigen und hinaussteigen und das alles mit einem paar Tage altem Säugling… Auch das Einkaufen ist schwer. Ich darf sowie so nicht viel tragen, aber selbst eine Tasche reicht schon aus, dass ich mich fühle, als hätte ich eine Stunde Sport gemacht. Du kennst die Parkplatz Situation bei uns und somit kannst du dir ja in etwa vorstellen, wie weit ich jedes Mal mit Maxi Cosi, in dem Latifa liegt, und Tüte laufen darf. Ich habe mir allerdings vorgenommen, für große Einkäufe, jemanden mit zunehmen. Auch wenn ich es hasse auf andere Angewiesen zu sein, geht dennoch die Gesundheit vor, das weiß auch ich. Die Nächte sind wie die Tage. Auch wenn sie so gut wie immer schläft, habe ich das Gefühl, dass sie immer wach ist. Ich schaffe es nicht eine Nacht, oder einen Tag, genug Schlaf zu bekommen. Der Rhythmus ist: eine Stunde stillen, eine Stunde schlafen, eine Stunde Stillen, eine Stunde schlafen. Jedenfalls gefühlt. Vielleicht auch wirklich. Latifa kann auch nur auf meinem Arm schlafen, sonst schreit sie. Ich komme zu nichts, aber noch habe ich Kraft, Energie und Hoffnung. Hoffentlich hält das noch etwas an. Jedes Mal wenn sie lächelt, Geräusche macht, sich bewegt oder sonst etwas, möchte ich es dir zeigen. Das ich diese Momente nicht mit dir teilen kann, beschäftigt mich so sehr und macht mich so traurig, dass ich sie nicht richtig genießen kann.
Morgen werde ich dich zum ersten Mal mit Latifa besuchen. Ab jetzt ist es so, dass wir, weil wir ein Kind haben, uns einmal in der Woche sehen dürfen. Trotzdem wird es aber, so lange du in Untersuchungshaft bist, keine Langzeitbesuche geben. Du wirst auch in der Untersuchungshaft nicht arbeiten dürfen. Nicht mal in die Schule darfst du gehen. Das ist doch total Hirnverbrannt oder nicht? Manchmal habe ich das Gefühl, die geben alles, um die Zeit noch unerträglicher werden zu lassen. Naja, morgen wirst du sie zum ersten Mal sehen. Ich bin so gespannt, wie du sie findest und wie du mit ihr umgehen wirst. Ich weiß für dich wird sie, wie für mich auch, die schönste sein. Du hast immer gesagt, du willst dein eigenes Kind nicht halten, wenn es noch so klein ist, weil du Angst davor hast, etwas falsch zu machen oder ihm weh zu tun. Ich bin gespannt ob es morgen wirklich so ist. Ich hatte auch Angst davor, doch sie passt in meinen Arm wie ein Puzzleteil. Ich hoffe es ist bei dir auch so. Ich hoffe, du fühlst die gleiche Verbundenheit zu ihr wie ich. Auch wenn du diese wichtigen ersten Stunden verpasst hast.
Ich mache mir jetzt schon Gedanken darum, wie ich alles managen soll. Ich weiß du hast ein Problem damit, wenn ich neben den Polizisten stillen würde. Um gar nicht erst eine Diskussion zu provozieren, werde ich versuchen vor dem Termin zu stillen. Also Aufwachen stillen, fertig machen, stillen, zu dir fahren. Hoffentlich klappt das alles so. Ich werde ein Kissen mitnehmen, weil ich noch nicht richtig sitzen kann. Das tut zu weh. Mit dem Kissen klappt auch das Autofahren. Und ich bete zu Gott, dass ich einen Parkplatz in der Nähe finden werde. Drück mir bitte die Daumen.
Ach Baby, ich bin so aufgeregt, dass ich gar nicht schlafen kann. Aber ich freue mich auch so sehr, auf unsere erste Stunde als kleine Familie.
Bis Morgen.
In Liebe deine Frau
Hallo Abu Latifa.
Natürlich war kein Parkplatz frei und ich musste 2 Blocks weit laufen, mit Maxi Cosi, Latifa und einer Einkaufstüte voll mit frisch gewaschener Kleidung. Geil! Natürlich durfte ich auch das Kissen nicht mit rein nehmen, weshalb ich am liebsten vor Schmerzen geheult hätte. Außerdem wollte mein Lieblings Beamter nicht, dass ich den Maxi Cosi mit rein nehme, weshalb ich meine Jacke ausziehen, meine Sachen in den Spint legen und Geld raus suchen, alles mit Latifa auf dem Arm erledigen durfte. Aber all das hat sich gelohnt. Nein, wirklich Schatz. Ich habe dich heute das erste Mal weinen sehen und wahrscheinlich auch das vorerst letzte Mal. Du warst direkt verliebt, das habe ich dir angesehen. Deine Augen haben so gefunkelt wie noch nie zuvor. Und als du mir Latifa noch vor der Begrüßung abgenommen hast, wusste ich, du fühlst dasselbe wie ich. Auch wenn ich heute mehr oder weniger abgeschrieben war: Die zwei wichtigsten Menschen in meinem Leben beide bei mir zu haben, hat mich in dem Augenblick zur glücklichsten Frau gemacht. Als Latifa auf deinem Arm eingeschlafen ist und ich meinen Kopf gegen deine Brust gelegt habe, habe ich die Augen geschlossen. Und für einen winzigen Augenblick, habe ich alle Probleme und Sorgen vergessen können. Als der Beamte gesagt hat, dass die Stunde vorbei ist, hätte ich schwören können, dass wir nicht die volle Zeit bekommen haben. Wäre schließlich nicht das erste Mal. Egal. Ich fühle mich gut und stark und daran kann heute auch niemand mehr etwas ändern.
Drei Tage sind nun vergangen, seitdem wir uns gesehen haben und so langsam flacht meine Glückseligkeit immer mehr ab. Ich bin so nachdenklich. Hätte jemand mir vor ein paar Jahren erzählt, dass ich irgendwann mit einem Baby auf der Couch sitze und einen Brief an meinen Mann, den Vater meiner Tochter schreibe, der im Knast sitzt, hätte ich wahrscheinlich gelacht. Niemals hätte ich mir erträumen lassen, dass so mein Leben eines Tages aussehen wird. Umso härter ist es nun dieses Schicksal zu akzeptieren. Es werden noch viele Hürden auf uns zu kommen und ich frage mich: Hält unsere Liebe das aus? Ich hoffe es…
Gestern war ich bei einem neuen Anwalt. Bei dem angeblich besten in unserer Stadt, wenn es ums Thema Ausländer und Asylrecht geht. Das Gespräch war so kurz, dass er netterweise nicht mal das Beratungsgeld von mir haben wollte. Er hat mir nicht wirklich viel Hoffnung gemacht und mir gesagt, dass es so oder so zur Abschiebung kommen wird. Ich solle mich erst bei ihm melden, wenn es so weit gekommen ist. Das soll der beste Anwalt der Stadt sein? Na super! Ich versuche das einfach zu vergessen. So schnell geben wir nicht auf.
In Liebe deine Frau
Hey.
Die letzte Zeit ist einfach so scheiße. Ich bin überfordert mit der Situation. Es ist so hart die ganze Zeit keinen richtigen Schlaf zu bekommen und trotzdem voll und ganz da sein zu müssen. Latifa schläft nicht eine Nacht länger als 2 Stunden durch. Sie weint und schreit die ganze Zeit. Dann muss ich sie mindestens 2 Stunden durch die Gegend tragen, anders kriege ich sie nicht beruhigt. Alles tut mir weh. Mein Rücken, mein Kopf, meine Beine, mein Unterleib, einfach alles. Ich könnte die ganze Zeit heulen. Und dann noch die ganzen Entscheidungen, die ich alleine treffen muss. Soll sie nun geimpft werden oder nicht? Muss ich wenn sie zu viel weint ins Krankenhaus fahren? Ist es normal, dass sie so dünnen Stuhlgang hat?
Warum bist du nicht da? Warum hast du uns allein gelassen? Warum wolltest du mich kennenlernen, wenn du wusstest, dass sowas passieren kann? Hast du denn nicht einmal daran gedacht, wie es für mich sein wird? Warum hast du mich in diese ganze scheiße mit reingezogen? Weißt du eigentlich, was du mir und deiner Tochter antust, indem du nicht hier bist? Du hast mein Leben zerstört! Das einzige was ich mir immer gewünscht habe: eine glückliche Familie. Ich wollte, dass mein Kind es besser hat als ich. Das meine Tochter mit ihrem Vater aufwächst. Latifa ist so unschuldig. Sie hat einen Vater verdient, der für sie da ist und ihr die Welt erklärt. Auch ich habe das alles hier nicht verdient, das weiß ich. Ich will auch nicht mehr. Ich habe keine Kraft mehr. Ich fühle mich so leer, so kaputt. Ich kann einfach nicht mehr…
Latifa schläft gerade. Ich kann nicht schlafen, weil ich mich schlecht fühle mit dem, was ich dir geschrieben habe. Ich weiß zwar, dass es auch deine Schuld ist, dass wir jetzt gerade da sind, wo wir sind. Und dennoch weiß ich auch, dass du alles tun würdest um die Zeit zurück zu drehen. Du hast scheiße gebaut und dafür musst du nun gerade stehen. Aber es ist vor meiner bzw. unserer Zeit gewesen. Aus dem Grund kann ich gar nicht richtig böse auf dich sein. Du warst von Anfang an ehrlich zu mir. Ich wusste worauf ich mich einlasse. Ich habe dir eine Chance gegeben, denn jeder macht Fehler und ich weiß du schämst dich für deine. Ich weiß, dass so wie es jetzt ist, das letzte ist, was du wolltest und dass es dir mindestens so schlecht geht wie mir. Und auch weiß ich, dass du dir die Schuld gibst und das möchte ich gar nicht. Und das finde ich auch gar nicht so. Natürlich bist du irgendwo Schuld und natürlich musst du irgendwo auch eine Strafe dafür bekommen. Aber hätten die Bullen ihre Arbeit gemacht, hättest du deine Zeit schon abgesessen. Nach Jahren einen wieder so zurück zu werfen ist nicht fair. Ich will dich stark sehen. Die nächste Zeit wird verdammt hart und trotzdem möchte ich nochmal sagen, dass wir das zusammen schaffen werden. Ich liebe dich.
Baby, jetzt hat mich auch noch dein Vater angerufen und gesagt ich solle ihm die Wahrheit sagen. Er versteht nicht, wie dass sein kann, dass du nicht bei der Geburt deiner Tochter dabei warst, und es kein einziges Foto von dir mit Latifa zusammen gibt. Meinst du nicht, dass es schlimmer für deine Eltern ist, zudenken: Was haben wir falsch gemacht, dass unser Sohn in dieser wichtigen Zeit nicht für seine Familie da ist, als die Wahrheit zu erfahren? Es macht mich kaputt sie anzulügen. Ich weiß nicht wie lange ich das noch so durchziehen kann.
Als ich gerade einkaufen war, habe ich uns noch Partner Zahnbürsten gekauft und war kurz davor dir eine neue Haarschneidemaschine zu kaufen und jetzt sitze ich zuhause und hoffe, dass das alles nur ein Scherz ist. Denn ich habe einen Kollegen von dir auf der Straße getroffen, der mich über ein paar Sachen aufgeklärt hat, bei denen du mich anscheinend angelogen hast. Ich bin gerade echt richtig enttäuscht und frage mich warum?! Ich will hier nicht ins Detail gehen, weil alles was ich schriebe mitgelesen wird, aber du kannst dir denken worum es geht. Ich hoffe, dass wir bald die Gelegenheit bekommen unter vier Augen mit einander zu sprechen. Ich kann auf jeden Fall sagen, dass meine Laune, dich morgen zu besuchen, extrem gesunken ist.
Ich habe heute übrigens das erste Mal mit deinem Bruder geschrieben. Ich verstehe mich sehr gut mit ihm. Nicht nur vom sprachlichen her, sondern auch, weil er jung und westlich ist. Ich habe ihm erzählt du wärst in Abschiebehaft und er meinte, er wird es euren Eltern so beibringen, dass es sie sich nicht so viele Gedanken machen müssen. Ich hoffe, dass ist so ok für dich. Du sagst immer, dass das wichtigste für dich ist, dass es mir gut geht. Mir ging es damit, deine Eltern anzulügen, nicht gut. Mach dir keine Sorgen, er wird wissen, was er, wie, euren Eltern sagt.