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Wie begegnet der Islam den Herausforderungen der Moderne? Dieses Buch beleuchtet zentrale ethische und gesellschaftliche Fragestellungen, mit denen Muslime in der heutigen Zeit konfrontiert sind. Es thematisiert islamfeindliche Semantiken, kulturelle Missverständnisse und die oft verzerrte Wahrnehmung des Islams in öffentlichen Diskursen. Gleichzeitig wird der Islam in seinem Verhältnis zur Digitalisierung, künstlichen Intelligenz, Umweltschutz, Bioethik und interkulturellen Familienarbeit reflektiert. Dabei wird deutlich, wie islamische Ethik auf moderne Phänomene antwortet, welche Perspektiven der Islam in gesellschaftlichen Diskursen bietet und wie islamische Prinzipien Orientierung bieten können, inmitten komplexer gesellschaftlicher Entwicklungen. Ein fundiertes Werk für alle, die den Islam in seiner zeitgemäßen Bedeutung verstehen wollen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Vorwort
Wer gehört zu Deutschland und wer nicht?
Herausforderungen in der Antidiskriminierungsarbeit
Nicht noch eine Studie zur Islamfeindlichkeit und zum Bild des Islams in den Medien – sondern konkrete Veränderungen
Antimuslimischer Rassismus und seine Mechanismen im Alltag
Islamfeindliche Semantik
Der Begriff “Islamismus“ – Ein sprachliches Problem mit realen Folgen
Begriffe wie Ehre und Stolz kulturell verstehen
Die Rechtsschulen des Islams
Definition und Verständnis von Bidah
Fake News im Kontext eines Koranverses
Vertrauenswürdigkeit – eine unverrückbare Eigenschaft des Muslims
Astronomie, Astrologie und Sternzeichen im Islam
Esoterik, Aberglaube und Glücksbringer: Ein Widerspruch?
Glücksspiel im Islam und die Wette von Abu Bakr: Eine historische Einordnung
Künstliche Intelligenz im Kontext der islamischen Ethik und Verantwortung
Künstliche Intelligenz, Sprache und Technologie
Künstliche Intelligenz und Fatwa-Erstellung – Chancen und Gefahren
Die Unnachahmlichkeit und Wunderhaftigkeit des Korans. Könnte eine KI ein Buch wie den Koran schreiben?
Verschwendung im Kontext von Flatrates und Datenvolumen
Hygienemaßnahmen im Islam mit Blick auf ansteckende Krankheiten
Spiritueller Impfstoff
Bioethik im Islam – Antworten auf ethische Grenzfragen der modernen Medizin, wie Gentechnik, Organspende und Lebensverlängerung
Suizid aus religionspsychologischer Perspektive
Thanatologie - Fragen am Lebensende im Kontext des Islams
Rolle der Senioren im Islam und die interkulturelle Seniorenarbeit in Deutschland
Moscheen als soziale Räume – eine Reise durch Raum, Zeit und Gemeinschaft
Das islamische Gebet im öffentlichen Raum – zwischen Alltag, Identität und Akzeptanz
Die steigenden Kosten der Pilgerfahrt nach Mekka
Die Psychologie des Sündigens – Warum wir das Falsche tun, obwohl wir es besser wissen
Das Gleichgewicht im Islam – Die Kunst des Maßhaltens
Schweinefleischgebot im Islam
Wann wird Schweinefleisch halal und Wasser haram? – Eine Betrachtung des Kontextes im islamischen Recht
Musikverständnis im Islam
Kopftuchdebatten – Emanzipation oder Unterdrückung?
Interreligiöser Dialog in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung
Die Juden im Osmanischen Reich und in muslimischen Gesellschaften
Die Ursprünge der modernen Wissenschaft – Die entscheidende Rolle der islamischen Zivilisation
Goethes Beziehung zum Islam – Eine spirituelle Annäherung
Muslimisches Denken bei Franz Kafka
Malcolm X – Seine Bedeutung für Heute
Aischa und ihr Alter bei der Heirat mit dem Propheten Muhammed
Literatur
Inmitten rasanter technischer Entwicklungen, gesellschaftlicher Umbrüche und globaler Krisen wirkt Religion für viele wie ein Anker in stürmischer See. Doch wie steht es um eine Religion, die über 1400 Jahre alt ist? Kann der Islam in einer Welt bestehen, die sich scheinbar täglich neu erfindet? Die Antwort liegt nicht im Festhalten an Formen, sondern im tiefen Verständnis des Kerns dieser Religion. Insbesondere in ihrer Fähigkeit, sich jeder Zeit anzupassen, ohne sich selbst zu verlieren.
Oft wird angenommen, der Islam sei eine starre Ordnung, die sich nur schwer mit der Gegenwart versöhnen lässt. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Der Islam hat sich seit seiner Entstehung immer wieder neu erklärt. Nicht durch Neuerfindung, sondern durch tiefes Nachdenken über seine Prinzipien im Licht der jeweiligen Zeit. Der Prophet Muhammad sagte: „Zu Beginn eines jeden Jahrhunderts wird Gott jemand in dieser Gesellschaft berufen (Mujaddid), der die Religion aktualisiert und wiederbeleben wird“ (Abu Dawud, Melahim, 31). Das bedeutet nichts anderes, als dass der Glaube in jeder Epoche eine Stimme bekommt, die ihn versteht, lebt und übersetzt; für die Menschen von heute.
Dabei ist der Mujaddid kein Revolutionär, der alles infrage stellt. Es ist jemand, der inmitten von Staub, Ablenkung und Verlust wieder zum Wesentlichen führt (vgl. Şahinöz, 2020b, S. 128ff). Er zeigt, wie der Islam in einer Zeit voller Individualismus, Konsum und Orientierungslosigkeit Antworten geben kann. Nicht als moralische Keule, sondern als Quelle für Sinn, Hoffnung und Halt. Jede Generation bekommt so die Chance, den Islam in ihrer Sprache, ihrer Kultur und ihren Herausforderungen zu entdecken.
Muslime in der Gegenwart stehen zwischen zwei Polen: der Treue zur Tradition und der Notwendigkeit zur Gegenwartsbewältigung. Wer nur die äußeren Formen verteidigt, verliert oft das Herz der Botschaft. Wer alles Alte abstreifen will, riskiert, sich vom Ursprung zu lösen. Doch der Islam kennt einen Mittelweg. Er fordert Denken, nicht bloßes Nachplappern. Er verlangt Herz, nicht nur Regeln. Und er lebt von zeitgemäßer Interpretation, ohne seine Wurzeln zu kappen.
Ob im 9. Jahrhundert oder heute, der Mensch sucht nach Orientierung, nach Antworten auf das Warum und Wohin. Der Islam bleibt lebendig, weil er diese Fragen stellt und Wege aufzeigt. Nicht durch Anpassung an den Zeitgeist, sondern durch klare Antworten, die sich aus der Zeit heraus formulieren lassen. Die Welt mag sich drehen, Kulturen sich wandeln, doch der Islam trägt in seinem Kern eine zeitlose Botschaft. Und weil jeder neue Tag neue Fragen bringt, braucht es Menschen, die zuhören, verstehen und weitergeben. Genau das ist die Aufgabe eines Mujaddid.
Der Islam ist daher kein Museumsstück!
Wer den Islam als starr betrachtet, hat ihn nicht verstanden. Wer ihn als Hindernis für Fortschritt sieht, kennt seinen Kern nicht. Er lebt, weil er sich bewegt. Er bleibt, weil er sich treu bleibt. Und er zeigt, dass Glaube kein Relikt ist, sondern eine lebendige Verbindung zwischen Himmel und Erde, gestern, heute und morgen.
Eins der unnötigsten politischen Diskussionen der letzten Jahrzehnte ist die Frage danach, wer zu Deutschland gehören und wer nicht zu Deutschland gehört. Diese Frage ist unnötig und zeitverschwendend, weil sie in der Realität, in der Lebenswelt und im Alltag der Menschen überhaupt gar keine Bedeutung hat.
Wenn man z.B. sagt, dass Rechtsextremisten nicht zu Deutschland gehören, ändert das nichts an der Tatsache, dass Rechtsextremismus Tag für Tag steigt. Diese Aussage trifft also nicht die Lebenswirklichkeit der Menschen.
Fakt ist: Juden, Christen, Muslime, Atheisten, Buddhisten, Linksextreme, Rechtsextreme, religiöse Fanatiker, Kinder, Jugendliche, Senioren, Arbeiter, Arbeitslose. Sie alle sind Teil der Gesellschaft. Wenn gesagt wird, dass diese oder jene nicht zu Deutschland gehören, löst man nichts anderes aus, als eine polemische Diskussion. Wochenlang wird dann über ein Thema diskutiert, dass weder Hand noch Fuß hat.
Schauen wir uns hierfür nur die “Evolution der Zugehörigkeit“ der Muslime an, um diesen Sachverhalt besser zu verstehen: Wolfgang Schäuble, damals Innenminister, sagte 2006 dass der Islam ein Teil Deutschlands und Europas sei. Damals wurde das kaum in Frage gestellt oder diskutiert. Als Christian Wullf 2010 als Bundespräsident sagte, dass der Islam ein Teil Deutschlands ist, wurde monatelang über diese Aussage diskutiert. Wullfs Nachfolder Joachim Gauck sagte dann 2012, dass nicht der Islam aber die Muslime ein Teil Deutschland wären. 2015 sagte die Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass der Islam zu Deutschland gehört. Also wieder doch? 2018 meinte dann der damalige Innenminister Horst Seehofer, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört. Also doch nicht? Alle diese Aussagen seit 2006 kamen von CDU/CSU Politikern. Nun legte die CDU Anfang Dezember 2023 mit einem neuen Grundsatzprogramm nach und behauptete, dass nur die Muslime zu Deutschland gehören, die bestimmte Werte teilen.
Diese willkürlichen und konjunkturbedingten, politischen Aussagen treffen (Gott sei Dank) nicht die Realität. Sonst müssten sich die Muslime alle Jahre wieder die schizophrensten Fragen stellen: Gehöre ich zu Deutschland? Zu welchem Teil Deutschlands gehörige ich? Welcher Teil von mir gehört zu Deutschland? Welche Werte muss ich teilen, damit ich dazu gehöre? Gilt das nur für Muslime? Gehören Nichtmuslime, die diese Werte nicht teilen, trotzdem zu Deutschland?
So sinnlos diese undifferenzierten Aussagen sind, so haben sie auf Grund der Tatsache, dass sie immer wieder geführt werden, selbstverständlich einen bleiben bitteren Nachgeschmack. Einerseits bei Muslimen, die ihre Dazugehörigkeit und Akzeptanz in der Gesellschaft hinterfragen und sich vielleicht sogar ausgegrenzt fühlen. Und andererseits die Rechtsextremisten, die sich durch solche Aussagen bestätigt fühlen.
Daher ist die Antwort auf die Dazugehörigkeits-Frage, ob und wie, irrelevant. Alleine schon die Diskussion darüber, bringt langfristig Schaden, weil sie eine Behauptung in den Raum wirft, die ohne diese Aussagen gar nicht in Frage gestellt werden würde.
Antidiskriminierungsarbeit ist kein Luxus, keine freundliche Geste und kein nachrangiges Thema, das man dann angeht, wenn gerade keine dringenderen Probleme vorliegen. Sie ist eine grundlegende gesellschaftliche Aufgabe, weil sie das Fundament schützt, auf dem ein demokratisches und gerechtes Miteinander überhaupt erst möglich ist. Wer an einer inklusiven Gesellschaft interessiert ist, kommt an der Frage nicht vorbei, wie mit Diskriminierung umgegangen wird – und ob überhaupt etwas dagegen unternommen wird. Denn solange einzelne Gruppen systematisch ausgegrenzt oder benachteiligt werden, kann von Gleichwertigkeit aller Menschen keine Rede sein.
Zunahme von Diskriminierungsfällen
Ein erster, alarmierender Befund ist, dass die Zahl der gemeldeten Diskriminierungsfälle seit Jahren ansteigt. Und während sich die Dunkelziffer kaum erfassen lässt, ist anzunehmen, dass das tatsächliche Ausmaß weit über dem Bekannten liegt. Ob am Arbeitsplatz, in der Schule, auf Wohnungssuche oder in der medizinischen Versorgung – Diskriminierung tritt in vielen Facetten auf und trifft Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, Religion, Behinderung oder sozialen Stellung. Diese Entwicklung verweist auf eine strukturelle Tiefe, die nicht allein durch Informationskampagnen oder Appelle aufgefangen werden kann.
Ein gesellschaftliches Klima der Abstumpfung
Was ebenso beunruhigend ist, ist die Gleichgültigkeit zu diesem Thema. In großen Teilen der Gesellschaft herrscht eine Haltung, die Diskriminierung als etwas beinahe Alltägliches betrachtet. Es fehlt an Sensibilität. Abfällige Bemerkungen, herabwürdigende Blicke, systematische Ausschlüsse – all das wird hingenommen, belächelt oder sogar gerechtfertigt. Wer sich dagegen ausspricht, gilt schnell als überempfindlich oder ideologisch. Das Problem liegt nicht nur bei den Tätern, sondern in der Normalisierung durch die Umgebung. Solange Diskriminierung als gesellschaftlicher Alltag betrachtet wird, fehlt der nötige Widerstand – und damit auch der notwendige Wandel.
Die Hemmschwelle sinkt
Da eine Gleichgültigkeit herrscht, sinkt die Hemmschwelle, andere bewusst zu diskriminieren. Was früher mit Scham, wenigstens aber mit Vorsicht behaftet war, wird heute offener zur Schau gestellt. Beleidigungen, Ausgrenzung oder Benachteiligung geschehen nicht mehr im Verborgenen. Digitale Räume wie soziale Netzwerke verstärken diesen Effekt. Dort fehlt es nicht nur an Regulierung, sondern auch an sozialen Korrektiven. Wenn Diskriminierung nicht sanktioniert, sondern gelikt, geteilt und bestätigt wird, entsteht ein Raum, in dem sich Täter sicher fühlen und Opfer allein bleiben.
Verinnerlichte Diskriminierung bei Betroffenen
Hinzu kommt ein Phänomen, das besonders tragisch ist: Viele Betroffene haben sich bereits an ihre Diskriminierung gewöhnt. Sätze wie „Ich kenne das schon“ oder „Ich reg mich gar nicht mehr auf“ sind in Gesprächen mit Opfern keine Seltenheit. Diese Haltung ist kein Zeichen von Resilienz, sondern Ausdruck von Ohnmacht. Wer immer wieder die gleiche Erfahrung macht, ohne dass sich etwas ändert, verliert mit der Zeit die Kraft, sich zu wehren. Man richtet sich ein, nicht weil man einverstanden ist, sondern weil man müde geworden ist. Die Folgen reichen tief, denn sie untergraben nicht nur das Selbstwertgefühl, sondern auch das Vertrauen in gesellschaftliche Strukturen.
Fehlende Zuständigkeiten und Strukturen
Ein weiteres Problemfeld ist die institutionelle Schwäche der Antidiskriminierungsarbeit. In vielen Regionen, Städten oder Bereichen gibt es keine klaren Zuständigkeiten. Die Arbeit gegen Diskriminierung wird oft von Ehrenamtlichen getragen, die sich mit viel Engagement, aber wenig Ressourcen stemmen. Es fehlt an hauptamtlichen Stellen, an systematischer Förderung, an rechtlicher Unterstützung. Wer Hilfe sucht, stößt allzu oft auf ein Netz aus Weiterleitungen, Zuständigkeitsdiffusion und Unsicherheit. Dabei müsste die Bekämpfung von Diskriminierung eine Kernaufgabe staatlicher und zivilgesellschaftlicher Arbeit sein – nicht ein Nebenschauplatz, auf den man mit Glück ein Förderprojekt werfen kann.
Mangel an Konsequenzen
Ein besonders zermürbender Aspekt ist das Fehlen von Sanktionen. Viele Opfer berichten, dass sie Vorfälle nicht mehr melden, weil sich dadurch nichts ändert. Verfahren verlaufen im Sande, Täter werden nicht belangt, Strukturen bleiben unangetastet. Diese Konsequenzlosigkeit wirkt wie eine Einladung zur Wiederholung. Sie vermittelt den Eindruck, dass Diskriminierung folgenlos bleibt – für die, die sie ausüben, wie für die, die sie dulden. Und sie entmutigt jene, die bereits verletzt wurden. Warum sich noch einmal dem Stress aussetzen, wenn am Ende doch nichts geschieht? Diese Frage ist eine Ohrfeige für jede Hoffnung auf Gerechtigkeit.
Fazit
Antidiskriminierungsarbeit ist kein Feld für Idealisten, die sich mit gutem Willen zufrieden geben. Sie ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit – unbequem, konfliktreich und voller Widerstände. Doch genau deshalb darf sie nicht den Ehrenamtlichen allein überlassen werden. Sie braucht Strukturen, Konsequenzen, Zuständigkeiten – und vor allem eine Gesellschaft, die Diskriminierung nicht hinnimmt, sondern aktiv zurückweist. Wer sich für Menschenwürde starkmacht, verdient mehr als Applaus. Er verdient Unterstützung, Schutz und den langen Atem einer Gesellschaft, die bereit ist, sich selbst infrage zu stellen.
Die Diskussion um Islamfeindlichkeit und das Bild des Islams in den Medien ist längst kein neues Phänomen. Seit Jahren füllen wissenschaftliche Studien, Berichte und Statistiken ganze Regale, die eindringlich belegen, dass islamfeindliche Angriffe stetig zunehmen und der Islam in den Medien überwiegend negativ dargestellt wird. Doch was hat all diese Datenerhebung bewirkt? Wenig bis gar nichts.
Trotz der unbestreitbaren Beweislage stagnieren die Fortschritte, und der gesellschaftliche Diskurs bleibt gefangen in einer Endlosschleife der Problembeschreibung. Was wir brauchen, ist kein weiterer empirischer Nachweis, sondern ein umfassender gesellschaftlicher Haltungswechsel – ein Wandel, der tief in den sozialen, politischen und kulturellen Strukturen verankert ist.
Der Kreislauf der Wiederholung: Warum Studien allein nicht ausreichen
Die stetige Produktion neuer Studien hat zwar wissenschaftlichen Mehrwert, doch ihre praktische Wirkung verpufft oft. Die meisten dieser Berichte erreichen bestenfalls Fachkreise, werden von der breiten Öffentlichkeit jedoch kaum wahrgenommen. Hinzu kommt, dass viele politische Entscheidungsträger, Medienvertreter und gesellschaftliche Akteure Studien zwar anerkennen, sie aber nicht in konkrete Maßnahmen übersetzen. Das liegt vor allem daran, dass solche Daten oft als abstrakt empfunden werden und keine emotionale Verbindung zum Thema herstellen. Zahlen allein lösen keine Veränderung aus – sie liefern lediglich das Fundament, auf dem Veränderung aufgebaut werden könnte. Doch dieser nächste Schritt bleibt aus.
Warum ein gesellschaftlicher Haltungswechsel notwendig ist
Islamfeindlichkeit ist kein isoliertes Phänomen, sondern Ausdruck tiefer gesellschaftlicher Spaltungen. Sie wurzelt in Ängsten, Vorurteilen und einem Mangel an interkulturellem Verständnis. Medien, Politik und Bildung spielen dabei eine zentrale Rolle, da sie entweder bestehende Narrative verstärken oder neue Perspektiven fördern können. Solange der gesellschaftliche Diskurs von Misstrauen und Polarisierung geprägt ist, bleibt jede wissenschaftliche Erkenntnis wirkungslos. Was wir brauchen, ist ein fundamentaler Sinneswandel, der auf Empathie, Respekt und einem inklusiven Miteinander basiert.
Realistische und umsetzbare Lösungsvorschläge
Ein Haltungswechsel entsteht nicht von heute auf morgen. Er erfordert ein Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen, die auf unterschiedlichen Ebenen greifen. Dabei ist Pragmatismus entscheidend – hochtrabende Idealvorstellungen helfen wenig, wenn sie nicht realisierbar sind.
Medienethik und verantwortungsvolle Berichterstattung
Die Medien tragen eine immense Verantwortung für das Bild des Islams in der Gesellschaft. Negative Schlagzeilen und einseitige Berichte verstärken Stereotype und schüren Vorurteile. Journalisten sollten nicht nur für Sensationsmeldungen sensibilisiert werden, sondern auch für die langfristigen Folgen ihrer Berichterstattung. Dies kann durch verpflichtende Weiterbildungen in interkultureller Kompetenz und ethischem Journalismus erreicht werden. Medienhäuser können Redaktionsrichtlinien entwickeln, die ausgewogene und differenzierte Darstellungen fördern. Eine regelmäßige Überprüfung durch unabhängige Ethikkommissionen trägt dazu bei, diese Standards einzuhalten.
Bildungsreform und interkulturelles Lernen
Eine nachhaltige Veränderung beginnt in den Schulen. Interkulturelle Kompetenz und Religionsverständnis sollten fester Bestandteil des Lehrplans sein. Dabei geht es nicht nur um theoretisches Wissen, sondern um gelebte Praxis. Begegnungsprojekte, in denen muslimische und nicht-muslimische Jugendliche gemeinsam arbeiten, lernen und interagieren, können Vorurteile abbauen und Brücken schlagen. Lehrer sollten in der Lage sein, interkulturelle Konflikte sensibel zu moderieren und Diversität als Bereicherung zu vermitteln.
Politische Verantwortung und gesetzliche Rahmenbedingungen
Die Politik muss klare Zeichen gegen Islamfeindlichkeit setzen. Dazu gehört nicht nur die Verurteilung von Hassverbrechen, sondern auch deren konsequente strafrechtliche Verfolgung. Antidiskriminierungsgesetze müssen verschärft und besser durchgesetzt werden. Gleichzeitig müssen Politiker darauf verzichten, Islamfeindlichkeit als populistisches Instrument zu nutzen. Stattdessen sollten sie den interreligiösen Dialog aktiv fördern und sich öffentlich für eine pluralistische Gesellschaft starkmachen, auch wenn dies gegenwärtig den Verlust von Wählerstimmen bedeutet.
Förderung muslimischer Stimmen in der Gesellschaft
Muslimische Akteure müssen stärker in öffentliche Debatten eingebunden werden. Ihre Perspektiven und Erfahrungen sind unverzichtbar, um das Narrativ über den Islam zu verändern. Plattformen für muslimische Intellektuelle, Künstler und Aktivisten sollten geschaffen und gefördert werden. Ihre Präsenz in Medien, Kultur und Wissenschaft hilft, ein differenziertes Bild des Islams zu zeichnen und bestehende Klischees aufzubrechen.
Gemeinschaftsprojekte und lokale Initiativen
Veränderung geschieht oft auf lokaler Ebene. Projekte, die den interkulturellen Austausch fördern, haben das Potenzial, gesellschaftliche Barrieren abzubauen. Gemeinsame Veranstaltungen, Workshops und Nachbarschaftsinitiativen können direkte Begegnungen schaffen und den Dialog fördern. Besonders in strukturschwachen Regionen, in denen Vorurteile oft stärker ausgeprägt sind, können solche Projekte wichtige Impulse setzen.
Fazit: Von der Theorie zur Praxis
Islamfeindlichkeit ist ein Phänomen, das tief in den gesellschaftlichen Strukturen verankert ist. Studien können wertvolle Erkenntnisse liefern, doch sie sind kein Selbstzweck. Der Fokus muss von der Analyse auf die Handlung verlagert werden. Der Wandel beginnt mit der Bereitschaft, alte Denkmuster zu hinterfragen und neue Wege zu gehen. Dazu braucht es nicht nur politischen Willen und gesellschaftliches Engagement, sondern auch die Überzeugung, dass ein respektvolles und inklusives Miteinander möglich ist. Nur so kann die Spirale der Islamfeindlichkeit durchbrochen und der Weg für eine gerechtere Gesellschaft geebnet werden.
Manche Diskriminierung tarnt sich gut. Sie kommt nicht immer mit Schimpfwörtern oder Gewalt. Oft zeigt sie sich in Blicken, in Fragen, in Entscheidungen. Sie nistet sich in Sprache ein, in Behördenakten, in Schulbüchern, in Bewerbungsgesprächen, in Gedanken. Wer als Muslim lebt, spürt das. Manchmal offen. Meist subtil. Und immer öfters täglich.
Woher der Hass kommt
Die Geschichte antimuslimischen Rassismus reicht weiter zurück, als viele denken. Sie beginnt nicht mit den Anschlägen des 11. Septembers. Sie beginnt auch nicht erst mit Menschen, die über das Mittelmeer flüchteten. Sie hat tiefere Wurzeln.
Schon im Mittelalter entstanden Bilder vom Islam als Bedrohung. Damals stand Europa in Auseinandersetzung mit den muslimischen Reichen. Die Kreuzzüge, der Fall von Andalusien, die Expansion des Osmanischen Reichs, all das erzeugte Feindbilder. Nicht auf einmal, sondern Stück für Stück. Die europäische Vorstellung vom Muslim wurde geprägt von Angst, Abgrenzung und Überlegenheit.
Mit dem Kolonialismus nahm das Ganze eine neue Form an. Europäische Mächte regierten muslimisch geprägte Gebiete in Afrika, Asien und dem Nahen Osten. Sie sahen sich selbst als fortschrittlich und modern, die Muslime als rückständig und irrational. Diese Sicht wurde gelehrt, gedruckt, verbreitet. Sie formte Bücher, Filme und Schulpläne. Und heute lebt sie wieder auf.
Wie sich alte Bilder halten
Der moderne antimuslimische Rassismus ist selbstverständlich keine direkte Fortsetzung der Vergangenheit, aber er greift auf sie zurück. Er nutzt alte Muster. Er spricht von einer “islamischen Bedrohung“, von “Parallelgesellschaften“, von “Integrationsverweigerung“. Das sind keine neuen Ideen. Es sind alte Vorurteile in neuer Verpackung.
Muslime gelten schnell als fremd, egal wie lange sie hier leben. Ihre Namen, ihre Kleidung, ihre Feiertage, ihre Moscheen, alles wird als anders gesehen. Und dieses Anderssein wird bewertet. Es wird oft mit Gefahr verbunden. Mit Gewalt, Rückständigkeit oder Fanatismus. So entsteht ein Bild, das ständig zwischen Skepsis und Abwehr schwankt.
Wie sich das im Alltag zeigt
Antimuslimischer Rassismus geschieht nicht nur auf der Straße. Er findet überall statt. In Bewerbungsgesprächen zum Beispiel, wenn ein Lebenslauf mit dem Namen “Ahmed“ schneller aussortiert wird als einer mit dem Namen “Lukas“ bei gleichen Qualifikationen. Oder in Schulen, wenn Lehrer bestimmte Schüler strenger kontrollieren oder ihnen weniger zutrauen. Bei der Polizei, wenn muslimische Verdächtige härter behandelt werden. In Medien, wenn über Muslime oft in Zusammenhang mit Terror berichtet wird.
Er zeigt sich auch in gewöhnlichen zwischenmenschlichen Gesprächen. In diesen beiläufigen Bemerkungen, die wie kleine Nadelstiche wirken. Fragen wie „Wo kommst du eigentlich her?“, „Du sprichst aber gut Deutsch“ oder „Darfst du das überhaupt essen?“ klingen harmlos. Aber sie markieren eine Grenze. Sie sagen: Du gehörst nicht richtig dazu.
Selbst wenn jemand keine Religion auslebt oder nicht einmal Muslim ist, reicht manchmal schon ein vermeintlich muslimischer Vorname, um als fremd zu gelten. Selbst wenn jemand seit Generationen hier lebt, wird er oft als neu, anders oder problematisch betrachtet. Das ist das Besondere an dieser Form von Rassismus. Sie richtet sich nicht nur gegen den Glauben, sondern gegen eine ganze Identität, die man nicht einfach ablegen kann.
Wie Sprache mitspielt
Sprache ist nicht neutral. Sie formt Wahrnehmung. Und sie kann ausgrenzen. Wenn über “islamische Problemviertel“ gesprochen wird, entsteht ein Bild. Wenn Politiker “den Islam“ problematisieren, obwohl sie einzelne Vorfälle meinen, verallgemeinern sie. Wenn Medien das Wort “Islamismus“ verwenden oder ständig nur dann über Muslime berichten, wenn es um Gewalt geht, bleibt beim Publikum ein bestimmter Eindruck hängen. Auch ohne offene Hetze. Auch ohne Parolen.
Es sind kleine Entscheidungen, die wirken. Ein Foto, ein Satz, ein Fokus. Und je öfter sich solche Darstellungen wiederholen, desto tiefer setzen sie sich fest. Nicht nur bei jenen, die Vorurteile haben. Auch bei denen, die gar nichts gegen Muslime haben. Und bei Muslimen selbst, die anfangen, sich ständig zu rechtfertigen oder sich zu distanzieren.
Was das mit Menschen macht
Wer immer wieder erklären muss, dass er kein Problem ist, wird irgendwann müde. Viele Muslime erleben das. Sie lernen früh, wie sie wirken. Sie passen sich dann an und reden weniger über ihre Religion, über Fasten oder Gebet. Vermeiden bestimmte Kleidungsstücke. Ändern ihre Namen in Lebensläufen. All das, um durchzukommen. Um nicht aufzufallen. Um dazuzugehören.
Andere wehren sich. Sie fordern Gleichbehandlung, Respekt und Sichtbarkeit. Doch selbst das wird oft als Provokation gesehen. Wenn Muslime über Rassismus sprechen, heißt es schnell, sie seien empfindlich oder wollten sich als Opfer inszenieren. Auch das ist Teil des Problems. Die Abwehr, das Schweigen, die Ignoranz.
Warum das alle betrifft
Antimuslimischer Rassismus ist kein Randproblem. Er betrifft nicht nur Muslime. Er betrifft den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wer bestimmte Gruppen systematisch benachteiligt, gefährdet die Demokratie. Wer immer wieder eine Religion als fremd markiert, spaltet. Und wer Hass duldet, macht ihn normal.
Gleichbehandlung ist kein Gefallen. Sie ist ein Recht. Und dieses Recht gilt für alle. Egal wie jemand heißt. Egal was er glaubt. Oder nicht glaubt.
Was sich ändern muss
Veränderung beginnt mit Wahrnehmung. Man muss erkennen, was oft übersehen wird. Zuhören, was Betroffene sagen. Fragen, warum bestimmte Vorurteile so hartnäckig sind. Und aufhören, alles mit Einzelfällen zu erklären.