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Drei Brüder. Drei Geheimnisse. Eine letzte Hoffnung, die Shifter von Seattle zu retten.
Der ehemalige Navy SEAL Jaxson River würde sein Leben für seine Brüder und sein Rudel geben, aber wenn er nicht bald eine geeignete Partnerin findet, wird er gezwungen sein, als ihr Alpha zurückzutreten. Doch niemand weiß, dass Jaxson ein dunkles Geheimnis in sich trägt, das jede Wolfsshifterin beim Paarungsritual sofort töten würde. Und da gerade immer mehr Shifter auf offener Straße entführt werden – und nur Jaxson und seine Brüder Jace und Jared dies verhindern können – ist jetzt definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, um irgendjemanden einzuweihen.
Die kurvige Olivia Lilyfield hat sich ihre halbe Kindheit durch miese Pflegefamilien geschlagen – dass sie eine Halbhexe und für den Tod ihrer Eltern verantwortlich ist, hat sie dabei die ganze Zeit geheim gehalten. Jetzt, wo sie auf eigenen Füßen steht, will sie Buße für ihre Vergangenheit tun, indem sie ihrem Leben einen Sinn gibt und Gutes bewirkt. Als sie also einen Wolf entdeckt, der in einer Gasse gefoltert wird, eilt sie ihm ohne zu zögern zu Hilfe… obwohl Wölfe und Hexen so gut zusammenpassen wie Streichhölzer und Sprengstoff.
Die gefährliche Magie, die in Olivia schlummert, hält sie davon ab, irgendwen zu nahe an sich heranzulassen – doch Jaxson fühlt sich unbändig zu ihr hingezogen und sie kann seinen Küssen nicht widerstehen. Während die beiden alles dafür tun, Seattles verschwundene Shifter zu retten, liegt die wahre Gefahr darin, dass sie sich ineinander verlieben. Sie spielen mit magischem Feuer… und ihre Geheimnisse könnten sie am Ende beide zerstören.
Jaxson ist ein vollständiges und in sich abgeschlossenes Buch, das erste in der River Pack Wolves Trilogie.
Alle Teile der "River Pack Wolves" Trilogie:
River Pack Wolves 1 - Jaxson
River Pack Wolves 2 - Jace
River Pack Wolves 3 - Jared
Und noch mehr Shifter-Action von Alisa Woods!
Alle Teile der "Wilding Pack Wolves":
Wilding Pack Wolves 1 - Wild Game
Wilding Pack Wolves 2 - Wild Love
Wilding Pack Wolves 3 - Wild Heat
Wilding Pack Wolves 4 - Wild One
Wilding Pack Wolves 5 - Wild Fire
Wilding Pack Wolves 6 - Wild Magic
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Text copyright © 2015 by Alisa Woods
All rights reserved.
Kein Teil dieser Publikation darf ohne die Erlaubnis des Herausgebers reproduziert, in einem Datenspeichersystem hinterlegt oder in jeglicher Art und Form weitergegeben werden, elektronisch oder mechanisch, inklusive Fotokopien, Aufnahmen oder Sonstigem.
English Copyright 2015 by Alisa Woods
Juni 2019 Deutsche Übersetzung von Michael Drecker
Herausgeber: Michael Drecker, Stühmeyerstr. 54, 44787 Bochum, Deutschland
Cover by Steven Novak www.NovakIllustration.com
Drei Brüder. Drei Geheimnisse. Eine letzte Hoffnung, die Shifter von Seattle zu retten. Der ehemalige Navy SEAL Jaxson River würde sein Leben für seine Brüder und sein Rudel geben, aber wenn er nicht bald eine geeignete Partnerin findet, wird er gezwungen sein, als ihr Alpha zurückzutreten. Doch niemand weiß, dass Jaxson ein dunkles Geheimnis in sich trägt, das jede Wolfsshifterin beim Paarungsritual sofort töten würde. Und da gerade immer mehr Shifter auf offener Straße entführt werden – und nur Jaxson und seine Brüder Jace und Jared dies verhindern können – ist jetzt definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, um irgendjemanden einzuweihen.
Die kurvige Olivia Lilyfield hat sich ihre halbe Kindheit durch miese Pflegefamilien geschlagen – dass sie eine Halbhexe und für den Tod ihrer Eltern verantwortlich ist, hat sie dabei die ganze Zeit geheim gehalten. Jetzt, wo sie auf eigenen Füßen steht, will sie Buße für ihre Vergangenheit tun, indem sie ihrem Leben einen Sinn gibt und Gutes bewirkt. Als sie also einen Wolf entdeckt, der in einer Gasse gefoltert wird, eilt sie ihm ohne zu zögern zu Hilfe… obwohl Wölfe und Hexen so gut zusammenpassen wie Streichhölzer und Sprengstoff.
Die gefährliche Magie, die in Olivia schlummert, hält sie davon ab, irgendwen zu nahe an sich heranzulassen – doch Jaxson fühlt sich unbändig zu ihr hingezogen und sie kann seinen Küssen nicht widerstehen. Während die beiden alles dafür tun, Seattles verschwundene Shifter zu retten, liegt die wahre Gefahr darin, dass sie sich ineinander verlieben. Sie spielen mit magischem Feuer… und ihre Geheimnisse könnten sie am Ende beide zerstören.
Jaxson ist ein vollständiges und in sich abgeschlossenes Buch, das erste in der River Pack Wolves Trilogie.
Olivia stand im Büro ihres Chefs und starrte aus dem Fenster. Die glänzenden Hochhäuser der Innenstadt Seattles sahen hell und unschuldig aus, aber sie wusste, dass in den verborgenen Ecken der Stadt auch Dunkelheit lauerte. Nicht zuletzt in den schäbigen Büroräumen der örtlichen Klatschzeitung, der Tales. Olivia verschränkte die Arme vor der Brust. Es musste eine Möglichkeit geben, diesen Auftrag abzulehnen.
„Kannst du das übernehmen?“, fragte ihr Chef erneut. William Cratchton, Herausgeber der Tales, nahm einen tiefen Zug von seiner E-Zigarette und paffte eine einzelne widerliche Dampfwolke aus. Er sollte sich dringend diesen schäbigen graumelierten Bart abrasieren, bevor er anfing, gänzlich wie ein verrückter alter Einsiedler auszusehen.
Olivia öffnete die Arme wieder und wedelte mit der Aktenmappe voller Hochglanzfotos, die sie in der Hand hielt. „Ja, kann ich. Ich hab einen Hacker zur Hand, der den Job liebend gerne machen würde. Ich hatte nur gehofft, es würde etwas weniger… schmierig sein.“
Ein dünner Rauchfaden drang durch seinen grinsenden Mundwinkel. „Für diesen schmierigen Kram bezahle ich dich, Liv.“
Eigentlich zahlst du mir kaum was. Doch sie konnte es sich nicht leisten, das laut auszusprechen. In ihren fünfundzwanzig Jahren auf diesem Planeten hatte sie schon so ziemlich jeden Job gemacht, von Barista über Hundesitterin bis hin zu einem menschlichen Hot Dog, um ein neues Fastfood-Restaurant zu bewerben. Doch sie war nie wirklich vorangekommen. Und ausgerechnet jetzt, wo sie endlich eine Stelle in ihrem Traumjob als Reporterin gelandet hatte, war ihre finanzielle Lage noch prekärer geworden. Die Miete war fällig und irgendjemand hatte ihr Handy gehackt und damit alle möglichen Dinge gekauft, die sie immer noch abbezahlte. Zum Glück war es Juni und sie musste nicht heizen, denn mit der Gasrechnung war sie schon zwei Monate im Verzug. Sie war wirklich nicht in der Position, diesen Auftrag abzulehnen.
Sie behielt all diese Gedanken für sich und versuchte es mit Betteln. „Was ist mit der Story über das Obdachlosenheim, die ich letzte Woche vorgeschlagen habe? Ich bin mir sicher, dass da irgendwas im Busch ist. Zu viele Fördergelder und viel zu wenig Essensausgaben…“
„Die Leute kümmern sich nicht um Gerechtigkeit, Liv.“ Cratchton betrachtete sie, als hätte sie sich vor seinen Augen in eine Nonne verwandelt. „Niemand interessiert sich für Obdachlose. Wir brauchen nackte Promis, um unsere Auflage zu verkaufen. Komm schon, du bist doch ein cleveres Mädchen. Du weißt doch, wie es läuft.“
Das war nicht das, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte.
Letzte Woche hatte Cratchton sie dazu gebracht, sich und einen Fotografen mit Hilfe von Bestechung in ein Nobelrestaurant zu schleusen, nur um Bilder von einem angesagten Teenie-Star bei einem Date zu bekommen. Diese Woche verlangte er, dass sie sich in private Cloud-Accounts hackte, um Promibilder abzustauben und im Idealfall ein Sextape zu finden. Was würde als Nächstes kommen? Tatsächlich in die Schlafzimmer der Reichen und Glamourösen einzubrechen? Wo würde sie die Grenze ziehen?
Vielleicht würde er es ja verstehen, wenn sie ihm einfach die Wahrheit sagte. Mit weicher Stimme erklärte sie: „Ich hab dabei etwas Bauchschmerzen, Bill.“
„Tja, naja, warte noch ein paar Jahre.“ Wieder zog er an seiner E-Zigarette. „Man gewöhnt sich dran.“
Ein bitterer Geschmack kroch ihren Rachen hoch – er hatte recht. Sie spürte bereits, wie es leichter wurde. Wie ein schwarzer Schleim, der in ihre Lungen sickerte und sie mehr und mehr füllte, bis sie vergessen haben würde, wie saubere Luft schmeckte. Das machte es einfacher… bis es dich eines Tages plötzlich ertränkte.
„Wie gesagt, ich hätte gern, dass du das übernimmst, Liv. Aber wenn du die Arbeit nicht willst…“ Er legte seine E-Zigarette weg und beugte sich in seinem Stuhl vor. Sein anzüglicher Blick landete auf ihren Brüsten. „Können wir bestimmt eine andere Lösung finden, damit du diese Woche deinen Scheck bekommst.“ Er leckte sich buchstäblich die Lippen.
Oh Gott. Widerlich.
Ihr Gesicht wurde heiß. Erneut verschränkte sie die Arme vor der Brust und Cratchton verzog enttäuscht das Gesicht. Sie wünschte sich, sie hätte einen Rollkragenpullover angezogen, anstatt dieser aufknöpfbaren Bluse, die immer zur falschen Zeit Falten zu werfen schien. Olivia war schon immer eher vollschlank gewesen, mit einer üppigen Oberweite und breiten Hüften, aber das schien sie bloß zu einem Magneten für lüsterne ältere Männer zu machen. Sie ignorierte Cratchtons missmutigen Gesichtsausdruck und wandte sich ab, um wieder aus dem schmutzigen Fenster im vierzehnten Stock zu sehen.
Es gab Dunkelheit in dieser Stadt, aber es gab auch Gutes – oder zumindest das Potential dafür. Gute Menschen, die gute Dinge taten und die Welt zu einem besseren Ort machten. Ich will doch bloß etwas Sinnvolles mit meinem Leben anfangen.
„Tja, also ich bezahle dich nicht, um einen Pulitzer-Preis zu gewinnen.“
Sie blinzelte und sah zurück zu ihrem Chef. Sie hatte nicht vorgehabt, diesen Gedanken laut auszusprechen. Und sie musste keine Preise gewinnen, ihr ging es nicht darum, berühmt zu sein oder Auszeichnungen zu bekommen. Sie wollte lediglich, dass ihre Arbeit etwas bedeutete.
Sie war schon seit Ewigkeiten auf sich selbst angewiesen. Nachdem ihre Eltern gestorben waren, hatte sie ihre halbe Kindheit in den Pflegeheimen und -familien Seattles verbracht und war von einem miesen Pflegeelternpaar zum nächsten gewechselt. Ihr war es bloß darum gegangen, zu überleben. Aufzuwachsen. Die Welt zum Besseren zu verändern. Sie hatte es sich nicht leisten können, zur Uni zu gehen, aber sie schaffte es, ein paar Journalismuskurse an der Volkshochschule zu belegen. Die Tatsache, sich erst hocharbeiten zu müssen, hatte ihr nichts ausgemacht… sie hatte nur nicht erwartet, dass sie auf dem Weg nach oben durch so viel Schleim waten würde.
Nach Promi-Sextapes zu fischen war sogar noch jämmerlicher, wenn man bedachte, dass sie in ihrem eigenen Bett immer allein war. Sie war zu sehr damit beschäftigt, zu arbeiten, um flüssig zu bleiben und die Miete zahlen zu können, während sie ihre Abende in der öffentlichen Bibliothek verbrachte und sich selbst beizubringen versuchte, wie man eine gute Journalistin wurde. Sie hatte keine Zeit für einen Freund.
Außerdem hatte ihr erster Freund sie betrogen. Und der zweite auch. Der hatte ebenfalls ein Sexvideo von ihnen beiden drehen wollen. Bastard. Sie hatte ihn rausgeschmissen, als sie die Videos fand, die er mit einem Dutzend anderer Frauen gemacht hatte. Doch zu dem Zeitpunkt wusste sie eh längst, dass sie sich nur auf sich selbst verlassen konnte. Und bei dem, was ihren Eltern zugestoßen war… nun ja, es war wohl besser, wenn sie sich nie verlieben würde. Sie war nicht dafür gemacht, in einer Beziehung zu sein. Nicht jetzt. Und auch nicht in Zukunft. Alles, was sie jemals haben würde, war ihre Arbeit – und jetzt war selbst die darauf reduziert worden, sich in das Privatleben von Berühmtheiten zu hacken.
„Wissen Sie was?“ Sie schleuderte ihrem Chef die Mappe entgegen und die Hochglanzfotos flatterten auf dessen Schreibtisch. „Ich mache nicht länger die Drecksarbeit für Sie, Cratchton.“
Er beeilte sich, die Bilder wieder einzusammeln. Ganz offenbar hatte er mit dieser Reaktion nicht gerechnet. „Komm schon, Liv, sei nicht dumm—“
Aber sie war bereits auf halbem Weg zur Tür, wobei ihre flachen Absätze über das billige Linoleum hämmerten. Dann drehte sie sich nochmal um. „Sie sind ein kleiner, schmieriger Maulwurf, der dreckigem Geld nachjagt, Cratchton. Ich werde nicht so wie Sie enden, Sie mit Ihrem Verdampfer und dem billigen Scotch in der Schreibtischschublade. Ich werde etwas Sinnvolles mit meinem Leben anfangen.“ Ihr Gesicht wurde rot und sie riss die Tür auf, bevor sie noch Schlimmeres sagen konnte.
„Wenn du zurückgekrochen kommst, erwarte bloß nicht—“
Sie schlug die Tür hinter sich zu, damit sie den Rest nicht hören musste. Das Drama hatte die Aufmerksamkeit der restlichen Büroangestellten erweckt – bei denen es sich im Prinzip nur um zwei weitere Cratchtons handelte, bloß jünger und weniger versaut, und um das eine Mädchen, das sich in seiner Arbeitsnische versteckte, bis jemand ein Problem mit seinem Computer hatte. Olivia hatte hier sechs Monate lang gearbeitet, aber sie kannte keinen von ihnen wirklich. Was typisch für sie war. Sie sparte sich die Mühe, ihnen zu sagen, dass sie nicht zurückkommen würde… sie reckte einfach das Kinn hoch und marschierte mit einer glorreichen Ich habe gekündigt!-Miene zum Aufzug. Ihre triumphale Fahrstuhlfahrt nach unten konnte sie ganz allein genießen und als sie das Erdgeschoss erreichte, schritt sie nach draußen in den strahlenden Sonnenschein Seattles.
Doch bereits einen Straßenblock später kamen die ersten Zweifel in ihr auf.
Was hatte sie bloß getan? Kein Auftrag bedeutete keinen Scheck am Ende der Woche… was wiederum bedeutete, dass sie kein Geld für die Miete hatte. Sie war bereits ein paar Mal spät dran gewesen – eine weitere Verzögerung und ihr Vermieter würde sie einfach auf die Straße setzen. Ihr ungutes Bauchgefühl kehrte mit Wucht zurück. Was sie zusätzlich daran erinnerte, dass sie bis zum Ende der Woche auch nicht viel zu essen haben würde.
Sie verlangsamte ihren zornigen Gang. Irgendwie würde sie schon über die Runden kommen – das hatte sie bisher immer geschafft – aber sie musste auch zugeben, dass sie es noch nie so sehr darauf hatte ankommen lassen. Sie hatte noch nie gekündigt, ohne einen neuen Job in der Tasche zu haben. Es war ein weiter Fußweg zurück zu ihrer Wohnung, der teilweise durch eine ziemlich zwielichtige Gegend führte, aber eine Busfahrkarte konnte sie sich jetzt nicht mehr leisten.
Sie straffte ihre Schultern und ging weiter. Der Spaziergang würde ihr Gelegenheit zum Nachdenken geben. Zeit, um einen Plan zu schmieden und zu überlegen, wo sie nach einem Job suchen konnte, irgendeinem Job, bei dem man sie sofort einstellen würde. Danach konnte sie nach etwas Lohnenswerten Ausschau halten, mit dem sie die Welt verbessern konnte. Etwas, das ihre Seele nicht mit Schleim überziehen würde.
Sie sah in die Schaufenster, die sie passierte, und hielt nach Aushilfe gesucht- Schildern Ausschau, aber in diesem Teil der Stadt standen die meisten Läden leer. Dann realisierte sie, dass sie sich in der Nähe des Obdachlosenheims befand – und einmal mehr grummelte ihr Magen. Da sie jeden Tag mit dem Bus daran vorbei fuhr, war sie davon überzeugt, dass an diesem Ort irgendetwas nicht stimmte. Und jetzt hatte sie eine reelle Chance, selbst dort zu landen. Vielleicht konnte sie das ja nutzen und undercover recherchieren, um herauszufinden, warum dort immer wieder Leute abgewiesen wurden, als gäbe es nicht genug Essen oder Betten dort, obwohl das Gebäude riesig war – ein umgebautes Lagerhaus, das einen ganzen Block einnahm. Und die flüchtigen Nachforschungen, die sie betrieben hatte, zeigten, dass das Heim jede Menge Regierungsgelder erhielt.
Es war ein guter Plan, außer dass ein Enthüllungsbericht über das Obdachlosenheim ihre Miete nicht bezahlen würde. Und dann würde sie nicht einmal vorgeben müssen, obdachlos zu sein. Sie seufzte und blieb am Anfang der langen Fassade des Heims stehen. Die Straße war leer und jetzt, da ihre Absätze nicht mehr auf dem Asphalt klackerten, hörte sie ein seltsames elektrisches Knistern, wie von einem Kurzschluss. Dann ein schwaches Stöhnen.
Ihr Herz pochte. Das Stöhnen wurde zu einem Grunzen und dann ertönte ein Klang, als würde etwas heftig auf dem Boden aufschlagen… gefolgt von einem herzzerreißenden Wimmern. Sie stand wie festgefroren da – das Geräusch kam aus einer dunklen Gasse direkt vor ihr, einem düsteren Durchgang zwischen dem Heim und dem angrenzenden Betongebäude.
Irgendetwas Schlimmes passierte dort.
Ihre Beine zitterten, aber sie schaffte es, sie in Bewegung zu setzen. Sie schob sich vorwärts, bis sie an die Ecke der dunklen Gasse gelangte. Das Knistern erklang immer noch und verursachte ein Gefühl in ihr, als wäre ihr Magen mit hunderten elektrischer Schmetterlinge gefüllt. Aber sie zwang sich aus ihrer Deckung hervor, sodass sie die lange, schattige Gasse hinunter sehen konnte.
Was sie dort sah, ließ Eis durch ihre Adern fließen.
Am Ende der Gasse befanden sich zwei Männer in schwarzen Arbeitsuniformen und schweren Stiefeln, die lange Metallstäbe mit blauen elektrischen Lichtbögen an den Enden hielten – mit denen sie ein Tier quälten. Es wandte sich wimmernd auf dem schmutzigen Boden vor einem zugeketteten Maschendrahttor, halb durch einen überquellenden Müllcontainer verborgen. Immer wieder machten die Männer Ausfallschritte, stachen auf das Tier ein, und wichen dann zurück, wenn es nach ihnen schnappte.
Es war ein Wolf.
Sie erstarrte. Das war kein gewöhnlicher Wolf, wenn so ein Ding es überhaupt in die Innenstadt von Seattle schaffen würde. Er war gewaltig und hatte locker die Größe eines Menschen, mit schwarz glänzendem Fell, das sich wild sträubte, und Reißzähnen, die größer als ihre Finger waren. Es musste ein Shifter sein – und die Männer folterten ihn mit ihren Viehtreiberstöcken.
Olivia schluckte ihre Angst hinunter, schob sich weiter in die Gasse und fummelte ihr Handy aus ihrer Rocktasche. Shifter waren gefährlich – sie gehörten zu einer Reihe magischer Kreaturen, die sich in den Schatten von Seattle verbargen, und Olivia wusste genau, wie tödlich übernatürliche Wesen sein konnten. Aber egal wie furchteinflößend Shifter auch waren, ihr war trotzdem bewusst, dass sich ein Mensch darunter verbarg. Und jeder, der einen Shifter in einer dunklen Gasse folterte, war wahrscheinlich schlimmer als der Shifter selbst.
Außerdem konnte sie nicht einfach herumstehen und dabei zusehen, wie sie ihn vor ihren Augen umbrachten.
Mit zitternder Hand schaffte sie es, ihr Handy zu entsperren und ein Video aufzunehmen. Doch irgendwie bemerkten die Männer das Klicken der Videoaufnahme, trotz der funkensprühenden Folterstäbe und des Knurrens der Bestie. Ihre Köpfe wirbelten zu ihr herum und beide sahen erst sie und dann einander an.
Das Herz sprang ihr beinahe aus der Brust und dennoch brachte sie eine feste Stimme hervor: „Ich habe die Polizei gerufen“, log sie. „Und ich habe Sie gefilmt. Legen Sie einfach die Stäbe weg, dann haben die Beamten vielleicht ein Nachsehen.“ Gott, was machte sie da nur?
Die Angreifer schienen dasselbe zu denken. Aber während sie abgelenkt waren, machte der Shifter einen Satz nach vorne und biss nach einem von ihnen. Der kräftigere der beiden Männer schlug dem Shifter mit seinem Stab ins Gesicht, während der schlankere sich ihr zuwandte und mit seiner Waffe in der Hand durch die Gasse auf sie zu gesprintet kam.
Ach, du Scheiße.
Doch Olivia blieb tapfer stehen. „Ich nehme das auf!“, quietschte ihre Stimme, was den Mann aber nicht langsamer werden ließ. Sie sollte wegrennen, wollte wegrennen, aber ihre Beine waren unter ihr zu Gelee geworden. Gerade als der Mann eine Hand nach ihrem Smartphone ausstreckte, das sie immer noch vor sich hielt, tauchte ein Schatten aus Fell und schnappenden Kiefern zwischen ihnen auf. Mann und Wolf krachten beide gegen die Ziegelsteinwand und prallten davon ab. Der Mann schrie auf, als der Wolf seine Zähne in ihm vergrub. Olivia hastete aus dem Weg, als das kämpfende und kratzende Bündel aus Mann und Bestie an ihr vorbei rollte. Sie drückte sich an die kühle Steinwand, um aus der Gefechtszone zu bleiben.
Es war schnell vorbei – der Shifter drückte den Mann zu Boden und nahm dessen Kehle zwischen seine Kiefer. Der Arm des Mannes war blutverschmiert, sein Hals aber nicht. Der zweite Kerl, der kräftigere, kam durch die Gasse geeilt, um seinem Partner zu helfen, aber der Shifter stieß ein Knurren aus, bei dem sich Olivias Nackenhaare aufstellten... und bei dessen Klang der Mann augenblicklich stehenblieb. Der Shifter hätte die Kehle des Typen am Boden mit einem Bissen durchtrennen können. Doch stattdessen knurrte er eine zweite Warnung. Der Mann, der noch stand, kapierte endlich, ließ seinen Folterstab fallen und hob die Hände. Der Shifter ließ langsam von der Kehle des anderen Mannes ab. Dann stieß er ein weiteres markerschütterndes Knurren direkt in dessen Gesicht aus, bei dem Speichel und Schaum auf seine vor Entsetzen blassen Wangen tropften. Er rührte keinen Muskel, bis der Shifter langsam zurückwich. Dann flüchteten beide Männer panisch aus der Gasse. Als sie weg waren, zog sich der Wolf zum Müllcontainer zurück und verschwand dahinter.
Olivias Herz hämmerte in ihrer Brust und sie umklammerte immer noch ihr Handy. Sie tippte darauf, um die Aufnahme zu beenden, und versuchte, ihren abgehackten Atem zu beruhigen. Sie sollte abhauen und ihren dummen Hintern so schnell wie möglich aus dieser Gasse befördern, aber sie vertraute ihren Beinen nicht. Sie zitterte von Kopf bis Fuß und schaffte es bloß, aufrecht stehen zu bleiben, weil sie immer noch an der Wand lehnte. Gerade als ihr keuchender Atem wieder etwas abflachte, lenkte der Klang rascher Schritte ihre Aufmerksamkeit zurück in die Gasse.
Der umwerfendste Mann, den sie je gesehen hatte, eilte auf sie zu.
Das musste der Shifter sein – und er war als Mann noch massiger, als er es als Wolf gewesen war. Groß und gebaut wie ein Berg. Breite Schultern mit Muskeln, die sich anspannten, während er sich sein T-Shirt über den Kopf zog. Auf seiner Brust waren irgendwelche Worte tätowiert, aber sie konnte sie nicht lesen, bevor sie unter seinem zerfetzten Shirt verschwanden. Durch die Löcher und dank seiner noch nicht zugeknöpften Jeans konnte sie immer noch seine Bauchmuskeln sehen. Sie riss ihren Blick wieder hoch. Sein Haar war schwarz wie die Nacht, so wie sein Fell es gewesen war, und es glänzte im Sonnenlicht, welches endlich die Schatten der Gasse zurückdrängte.
Er war unbestreitbar heiß, aber er stürmte regelrecht auf sie zu und er war immer noch ein Shifter. Olivia löste ihren zitternden Körper von der Wand und hob hastig einen der Viehtreiberstäbe auf, die die Männer zurückgelassen hatten. Dann sackte sie zurück gegen die Ziegelsteine und hielt ihn vor sich, um den Shifter abzuwehren.
Er verfiel in ein Joggen und blieb dann außerhalb ihrer Reichweite stehen. „Whoa! Hey…“ Er hob beide Hände hoch. „Ich tue dir nichts. Versprochen.“ Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln, das einen Hitzewall durch ihr Becken schickte, aber sie richtete weiterhin den Stab auf ihn.
„Du bist ein Shifter“, sprach sie das Offensichtliche aus, während ihr benebeltes Hirn noch versuchte, die ganzen Vorkommnisse zu verarbeiten.
„Und du bist ein Mensch“, sagte er lachend. „Das vermute ich zumindest, wenn du einen Elektrostab als Waffe brauchst.“
Verdammt. Selbst seine Stimme triefte vor Sex. Genau genommen hatte er nur teilweise recht damit, dass sie ein Mensch war, aber das würde sie bestimmt nicht richtigstellen. Ihre Hand zitterte, aber immerhin konnte sie ihn mit dem Stab auf Abstand halten.
Er hielt die Hände jetzt etwas entspannter hoch. „Komm schon. Du wirst mir doch keinen Schlag mit diesem Teil verpassen.“ Er streckte eine Hand nach ihr aus, die Handfläche nach oben. „Wie wär’s, wenn du mir das Ding einfach gibst und wir legen es weg und vergessen die ganze Sache hier?“ Er kam einen Schritt näher und griff langsam nach dem Viehstab, als wäre sie ein schüchternes, aber schwer bewaffnetes Reh, während er ihren Blick mit wunderschönen hellblauen Augen, so klar wie der Himmel über Seattle, festhielt.
Ihre Hand wurde unsicher, aber wem machte sie was vor? Dieser Mann würde ihr nichts tun. Sie seufzte erschöpft und händigte ihm das Foltergerät aus. Sein Gesicht wurde von einem Lächeln erleuchtet und er schleuderte den Viehstab hinter sich, wo dieser klappernd auf dem Asphalt aufschlug. Jetzt, wo er die Hände frei hatte, ließ er sie sinken, um sich die Hose zuzuknöpfen. Er war ihr viel zu nahe und es war eindeutig, dass er unter seiner zerrissenen Jeans nackt war. Sie schluckte und versuchte, irgendwo anders hinzusehen, als auf den prachtvollen Mann vor ihr.
Ihr verzweifelter Versuch blieb nicht unbemerkt. „Sorry“, sagte er und lenkte so ihren Blick wieder auf sich. „Nacktheit ist eines meiner Berufsrisiken.“ Sein Lächeln hatte sich zu einem breiten Grinsen gewandelt. „Aber was hast du dir bloß dabei gedacht, diese beiden Typen mit einem Handy einschüchtern zu wollen?“ Er nickte zu dem Gerät in ihrer Hand, welche jetzt kraftlos an ihrer Seite herabhing.
„Ich… ehm…“ Gott, warum funktionierte ihr Mund nicht? Oh, richtig. Weil ein griechischer Gott vor ihr stand und… Moment mal, musterte er sie etwa? Sein Blick wanderte über ihren Körper und schien jeden Quadratzentimeter gründlich zu studieren.
„Geht’s dir gut?“, fragte er und seine Augen begegneten endlich wieder ihren.
Ihre Wangen flammten auf. Er hatte sich bloß um sie gesorgt und sich nicht nach ihrem molligen Körper verzehrt. Natürlich. Es war ihr peinlich, dass ihr überhaupt der Gedanke gekommen war. Ganz offensichtlich war sie immer noch ziemlich durcheinander.
Sie schluckte und schaffte es, ihre Stimme wiederzufinden. „Mir geht’s gut.“ Doch der Satz kam als ein Quietschen heraus, was ihn zur Antwort die Stirn runzeln ließ.
Wieder musterte er sie, lehnte sich dann langsam vor, stützte seine Hände links und rechts von ihrem Kopf ab und umgab sie mit einem Berg von Muskeln. Sie zog scharf den Atem ein und presste sich noch fester gegen die Wand. Er berührte sie nicht, aber sie konnte die Wärme seiner muskulösen Arme spüren. Ein Geruch von Kiefern, warmer Erde und die Hitze des Kampfes strömten von ihm aus. Sie hätte wohl Angst haben und versuchen sollen, abzuhauen, aber stattdessen war sie überwältigt von dem rauen Sexappeal, das in Wellen von ihm ausging.
„Dir geht es nicht gut“, sagte er sanft und sah sie fest an. „Du stehst unter Schock. Du hast gerade eine gewaltsame Auseinandersetzung in einer dunklen Gasse miterlebt und bist von gefährlichen Männern bedroht worden. Es tut mir leid, dass du das durchmachen musstest, aber es ist jetzt vorbei. Du bist in Sicherheit. Und ich verspreche dir, ich lasse nicht zu, dass dir etwas zustößt.“ Er senkte den Kopf und beugte sich noch weiter zu ihr. „Glaubst du mir das?“
Sie nickte zögerlich. Aber sie glaubte ihm tatsächlich – er könnte sie offensichtlich töten, wenn er wollte, doch stattdessen versuchte er, sie zu beruhigen. Mit seinen Worten. Seinem Körper. Und dieser unfassbar sexy Stimme.
Wieder lächelte er und wich etwas zurück, blieb aber nahe genug, um ihr Herz weiter so heftig hämmern zu lassen, dass sie Schmerzen in der Brust bekam.
„Danke, dass du versucht hast, mich zu retten“, sagte er in immer noch sanftem Ton. „Das war sehr süß von dir. Mutig und süß. Aber ziemlich dumm.“
Sie zuckte leicht die Schultern, für größere Bewegungen stand er immer noch zu eng bei ihr. Denn was hätte sie schon tun sollen? Einfach weitergehen? „Die wollten dich umbringen.“ Seine Nähe machte es ihr schwer, zu atmen. Schwer, zu reden.
Sein Grinsen wurde noch strahlender. „Ehrlich gesagt hatte ich sie gerade genau dort, wo ich sie haben wollte.“
Das ließ ihre Augenbrauen nach oben klettern. „Von diesem Ende der Gasse sah das aber nicht so aus.“
„Naja, da musst du mir wohl einfach vertrauen.“ Sein Lächeln war fast zu viel für sie, besonders weil er ihr so nahe war, doch dann schwand es plötzlich. Rasch beugte er sich nach vorne und drückte ihr einen leichten Kuss auf die Wange. „Aber trotzdem danke“, flüsterte er ihr ins Ohr.
Olivia stockte der Atem und eine Gänsehaut jagte über ihren gesamten Körper.
Sie erwartete, dass er wieder zurückweichen würde, doch stattdessen schien er tief einzuatmen, die Lippen immer noch an ihrer Wange. Nahm er ihren Geruch auf? Sie hatte gehört, dass Shifterwölfe das konnten – viel mehr wittern als normale Menschen. Und vielleicht auch mehr hören. Gott, sie betete, dass er die Feuchtigkeit nicht riechen konnte, die sich zwischen ihren Beinen bildete. Als er endlich zurücktrat, sah er sie stirnrunzelnd an. Als hätte er eine unausgesprochene Frage und würde in ihren Augen nach der Antwort suchen.
„Kann ich dich küssen?“, sagte er mit weicher Stimme und fragendem Unterton.
Was? „Das hast du doch gerade.“ Es fiel ihr wirklich, wirklich schwer, zu atmen.
Wieder blitzte sein Grinsen auf. „Das war doch kein richtiger Kuss.“
Dann überwandte er die wenigen Zentimeter zwischen ihnen und drückte seine Lippen auf ihre. Sie waren kräftig und weich und hungrig nach ihr. Seine Hände legten sich auf ihre Wangen, hoben sie von der Wand weg und drehten ihren Kopf so, dass seine Lippen mehr verlangen konnten. Ein loderndes Feuer erwachte in ihr zum Leben und brennende Hitze wanderte direkt von ihrem Mund zwischen ihre Beine. Und als seine Zunge um Erlaubnis bat, sie zu schmecken, öffnete sie ohne nachzudenken die Lippen. Er tauchte in ihren Mund ein und küsste sie so tief und innig, dass ihre Beine komplett nachgaben – sie wurde nur noch durch seine Hand an ihrer Hüfte aufrecht gehalten, die ihren Körper an seinen zog. Als er langsam den Kuss beendete und zurückwich, spürte sie seinen heißen Atem auf ihrem Gesicht und sah, dass sich seine Augen geweitet hatten.
Sie keuchte, als wäre sie eine Meile gerannt. Ihr Körper dürstete nach mehr und das Letzte, was sie wollte, war, dass er sie losließ… doch das tat er. Sein Stirnrunzeln wurde noch tiefer, als wäre er nicht sicher, was er von ihr, ihrem Kuss oder dem Rest von alledem hier halten sollte.
Er machte einen Schritt zurück, hielt sie aber weiterhin auf Armlänge fest und betrachtete ihre wackeligen Beine. „Kannst du stehen?“
„Ich bin durchaus in der Lage zu stehen, danke.“ Sein Grinsen ließ ihre aufgeheizte Haut noch weiter aufflammen. Sie straffte ihre Bluse, die vom Kuss ganz zerknittert war. Es war offensichtlich, was für eine Wirkung er auf sie hatte. Und dass sie nicht annähernd dasselbe bei ihm hervorrief.
Aber sie konnte nichts gegen die Erregung tun, die durch ihren Körper strömte, als er ihren Arm nahm, um sie zu stützen. Langsam führte er sie zur Straße, dann ließ er seine Hand herabgleiten, nahm ihr das Handy ab und verschränkte seine Finger mit ihren. Er sah sie mit einem Lächeln an, bei dem sie all ihre Verlegenheit vergaß, und nickte mit dem Kopf die Straße herab.
„Warum rufst du uns nicht ein Taxi?“, fragte er.
Das war eine eigenartige Bitte – außerdem konnte sie sich kein Taxi leisten – aber es beruhigte sie, dass er immer noch ihre Hand hielt. Und irgendwie erfüllte es sie mit einem Gefühl der Sicherheit. Also hob sie die Hand und winkte einem gelben Auto in der Ferne. Es dauerte eine Weile, bis das Taxi heranrollte. Als es ankam, öffnete der umwerfende Mann an ihrem Arm die Tür und deutete ihr, einzusteigen. Dann beugte er sich in den Wagen, holte ein Bündel Geldscheine aus seiner zerrissenen Jeans und gab es dem Fahrer.
„Bringen Sie sie nach Hause. Und sorgen Sie dafür, dass sie sicher ins Haus kommt, bevor Sie weiterfahren.“ Jetzt strotzte seine Stimme nur so vor Autorität. Er sah auf die Fahrerplakette. „Markus Trenton, Taxischeinnummer 4523974. Falls ihr irgendetwas zustößt, werde ich Sie ausfindig und persönlich verantwortlich machen. Haben wir uns verstanden?“
Die Augen des Taxifahrers wurden groß, aber er nahm das ihm hingehaltene Geld an. „Klar, Mann. Was immer Sie wollen.“
Dann richtete der Shifter seine strahlend blauen Augen auf sie und lächelte. „Stell keine weiteren Dummheiten an, Kameramädchen.“ Bevor sie protestieren konnte, schlug er die Taxitür zu.
Der Wagen schoss vom Bordstein weg, während sie fassungslos auf dem Rücksitz saß. Er hatte sie alleine weggeschickt. Und irgendwie das Geld für ein Taxi gehabt, obwohl seine Klamotten voller Löcher waren, wie die der Obdachlosen im Heim nebenan. Erst eine oder zwei Minuten später realisierte sie, dass der Shifter immer noch ihr Handy hatte.
Natürlich. Sie fluchte laut genug, dass der Taxifahrer ihr einen Blick über den Rückspiegel zuwarf. Der sexy Shifter hatte ihr Handy gewollt. Der Rest, die sanften Worte, der heiße Kuss, hatte alles nur zur Ablenkung gedient. Sie ließ sich in ihren Sitz zurücksinken. Jetzt hatte sie keinen Job und kein Handy mehr.
Aber dieser Kuss…
Sachte berührte sie mit den Fingern ihre Lippen. Sie waren immer noch geschwollen.
Das war es fast schon wert gewesen.
Auch eine Dusche und frische Klamotten schafften es nicht, ihren Duft aus seinem Kopf zu vertreiben.
Nicht dass Jaxson das wirklich wollte. Sein innerer Wolf war immer noch eingeschnappt, weil er diesem flammend heißen Kuss nichts Substantielleres, und länger Andauerndes, hatte folgen lassen. Das Tier in ihm würde nie verstehen, was der Mann nur allzu gut wusste – für beide von ihnen würde es nie eine Partnerin geben. Aber es war nicht sein Wolf gewesen, der in der Gasse von den süßen Lippen dieser herrlich kurvigen Brünetten gekostet hatte. Sondern er ganz allein.
Also konnte er diese idiotische Tat auch sonst niemandem ankreiden.
Jaxson schwang seine Füße auf den Schreibtisch, auf dessen poliertes Holz der helle Morgen Seattles einzelne Lichtflecken warf. Auf dem Weg in sein Büro hatte er die besorgten Blicke seines Bruders Jace ignoriert und die Tür hinter sich zugeschlagen. Hoffentlich würde das die Nachbesprechung seiner gescheiterten Mission etwas hinauszögern, während er sich die Sache mit dem Mädchen nochmal durch den Kopf gehen ließ.
Warum fühlten er – und sein Wolf – sich so zu ihr hingezogen?
Jaxson entsperrte zum zehnten Mal ihr Handy… und schaltete es wieder aus. Es war nicht in Ordnung, durch ihre privaten Dateien zu stöbern. Er sollte einfach das Video löschen, genug Informationen aus dem Handy ziehen, um ihre Adresse herauszufinden, und es ihr mit der Post zurückschicken. Als Alphatier des River-Rudels und CEO von Riverwise, der privaten Sicherheitsfirma, die er mit seinen beiden Brüdern betrieb, hatte er schon an einem normalen Tag haufenweise Verpflichtungen – ganz abgesehen von dem fehlgeschlagenen Einsatz und dem Druck, eine Partnerin zu finden.
Er hatte keine Zeit für eine mysteriöse Frau.
Wenn sie bloß nicht so gut geschmeckt hätte.
Doch darum ging es nicht wirklich – er hatte schon mit einer Menge menschlicher Mädels Spaß gehabt, aber ihre Haut hatte seine Lippen nie mit dieser heißen Magie knistern lassen, wenn er sie küsste. Und sein Wolf hatte nie geheult, als würde er entzwei gerissen, wenn er eine von ihnen in einem Taxi wegschickte.
Dieses Mädchen war anders. Er wusste nur nicht, wieso.
Wieder entsperrte Jaxson das Smartphone und sah sich das Video an, das sie aufgenommen hatte. Er musste zugeben, dass es von ihrer Position aus wirklich ziemlich übel ausgesehen hatte. Die Schläge hatten ihn zwar nur gezwickt, aber er hatte eine gute Schauspieleinlage hinlegen müssen, um überhaupt eine Möglichkeit zu haben, diese Organisation im Obdachlosenheim infiltrieren zu können. So brutal das Video auch aussah, das Mädchen hatte eine erstaunlich ruhige Hand bei der Aufnahme gehabt. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, als ihre Worte aus dem Handy drangen. Ich habe die Polizei gerufen. Und ich habe Sie gefilmt. Erstklassig geblufft von einem Mädel mit sinnlichen Kurven und einem etwas vorlauten Mundwerk.
Okay, er konnte verstehen, warum der Mann in ihm sich zu ihr hingezogen fühlte – aber warum hatte der Wolf unter seiner Haut gewütet und verlangt, dass er sich direkt in der Gasse über sie hermachte? Jaxson sah stirnrunzelnd auf das Video, dann hielt er es an und löschte es. Wenn sein Wolf dachte, dass er in ihr sein Weibchen gefunden hatte, war das nur ein weiterer Grund, das Handy loszuwerden und sie zu vergessen. Diese mutige, bewundernswerte Frau hatte es nicht verdient, in sein chaotisches Leben gezogen zu werden… oder unter seinem Schicksal zu leiden.
Er schmiss das Smartphone in den Papierkorb an seinem Schreibtisch.
Dort blieb es ganze zehn Sekunden, bis er es wieder herausfischte.
Verdammt.
Er scrollte durch ihre Bilder. Keine Selfies, leider. Nur ein Haufen Fotos von einem Restaurant und irgendeinem Typen mit einer professionellen Kamera. Beschattete sie jemanden? Jaxson konnte den Kameramann augenblicklich nicht leiden – nicht zuletzt, weil er einigermaßen gut aussah und viel zu aufdringlich für ihr Foto grinste. Für sie. Sein Wolf knurrte vor komplett irrationaler Eifersucht. Jaxson war froh, dass es nur ein Bild von diesem Typen gab.
Der Rest waren Bilder vom Sonnenuntergang über der Bucht, Schnappschüsse von ein paar Möwen und eine beinahe schon künstlerisch anmutende Aufnahme vom Inneren eines Raums mit einem Dach aus Glas und Stahlgitter. Der orangene Schein der untergehenden Sonne schien die Fensterscheiben in Flammen zu setzen und ließ eine magische Lichtshow durch den Raum tanzen. Er brauchte einen Moment, um das Gebäude zu erkennen, aber dann war er sich ziemlich sicher, dass es sich dabei um Seattles Stadtbücherei handelte.
Die Stadtbücherei. Also ging sie in die Bibliothek, führte nebenbei Observierungen durch und versuchte, gefolterte Shifter aus dunklen Gassen zu retten.
Wer war diese Frau?
Eine kurze Suche in ihrem Smartphone förderte zwar ihren Namen zu Tage – Olivia Lilyfield – aber praktisch keine anderen persönlichen Informationen. Es schien fast, als wäre dieses Telefon ein Wegwerfhandy. Ihr Adressbuch war so gut wie leer, aber zwei der Kontakte darin waren sehr aufschlussreich. Cratchton von der Tales. Google verriet ihm, dass es sich dabei um den Herausgeber handelte. Und der zweite Kontakt, als Mark abgespeichert, hatte das Gesicht des Kameramanns als Profilbild. Der dritte war einfach als Xenon aufgeführt. Kein Bild. Eine örtliche Telefonnummer.
Kameramann. Die Tales. Also war sie Journalistin. Ein weiterer Grund, sich von ihr fernzuhalten… und doch juckte es ihm in den Fingern, die Nummer des Klatschblattes zu wählen, um zu sehen, ob er sie ausfindig machen konnte. Nur um ihre Stimme zu hören. Und um sicherzugehen, dass sie unbescholten angekommen war.
Nur hatte er sie nach Hause geschickt und nicht ins Büro. Und in dem Handy fand sich absolut kein Hinweis auf ihre Privatadresse. Doch die ließ sich bestimmt über eine einfache Onlinesuche in Erfahrung bringen… er tippte bereits die Suchanfrage ein, als Jace seine Tür aufstieß.
Sein Bruder ließ die Tür gegen die Wand schlagen, dann lehnte er sich mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen und starrte ihn finster an. Jace war zwei Jahre jünger als er, aber auf seine Art ebenfalls zu einem Alpha geworden, als er als Sanitäter in die Armee eintrat. Seine Zeit in Übersee war… durchwachsen gewesen. Jace hatte seinem Land würdig gedient, aber die Narben, die er mit zurückgebracht hatte, gehörten zu der Sorte, die man nicht von außen sah… und die bisher niemand hatte heilen können. Jaxson hatte es weiß Gott versucht.
„Und, bist du bereit zuzugeben, was für eine unglaublich schlechte Idee das war?“, fragte Jace süffisant. „Ich hab nämlich zehn Piepen darauf gesetzt und es wird Zeit, dass Jared mal wieder ‘ne Wette verliert.“ Ihr älterer Bruder war ein berüchtigt schlechter Verlierer, weshalb Jace es als persönliche Herausforderung betrachtete, ihm so oft wie möglich kleine Niederlagen beizufügen.
Jaxson war froh, dass er das Video bereits gelöscht hatte. Er stand auf und ließ das Handy in seine Hosentasche gleiten. „Das kann ich noch nicht sagen. Ich wurde aufgehalten, bevor ich rein konnte.“
Jace runzelte die Stirn. „Aufgehalten?“ Er musterte Jaxson kurz. „Kann ja nicht so wild gewesen sein, du gehst immer noch aufrecht.“ Shifter heilten zwar schnell, aber er war weniger als eine Stunde weg gewesen. „Was ist passiert?“
Jaxson seufzte, während er um den Schreibtisch herum ging, sich mit verschränkten Armen daran lehnte, und seinen Bruder ansah. „Das spielt keine Rolle. Was eine Rolle spielt, ist, dass wir kein Stück näher dran sind, in dieses Gebäude zu kommen. Und uns läuft die Zeit davon, Jace.“
„Ja, ich weiß.“ Sein Bruder fuhr sich mit der Hand über seine Bartstoppel, was Jaxson einmal mehr mit Sorge erfüllte. Eine weitere schlaflose Nacht, nur um sich irgendwann aus dem Bett zu rollen und ins Büro zu torkeln. So konnte Jace nicht weitermachen. Aber sie hatten andere Probleme, um die sie sich zuerst kümmern mussten.
„Ich könnte nochmal versuchen, mich dort einzuschleusen“, sagte Jaxson, „aber nicht sofort. Es wäre zu auffällig, wenn ich direkt am nächsten Tag wieder auftauche und anbiete, mich einfangen zu lassen. Vielleicht hast du recht. Womöglich müssen wir es doch mit einem Frontalangriff versuchen.“
Sein Bruder zog eine Augenbraue hoch. „Jared wird bestimmt gerne hören, dass du zur Vernunft gekommen bist.“
Jaxson schüttelte den Kopf. Es war riskant, aber ihm gingen die Optionen aus. „Wann kommt er aus den Bergen zurück?“ Ihr älterer Bruder hatte den Rest des Rudels für das Wochenende in die Olympic Mountains mitgenommen – für Taktik- und Waffentraining, das Übliche. Nur wenn Jared diesen Einsatz leitete, war Jaxson sich auch sicher, dass am Montag alle ins Büro gehumpelt kamen. Oder sie würden sich direkt für den Tag krankmelden, um zu Hause ihre Wunden zu lecken. Aber alle würden leben.
„Am Freitag meinte er noch, er würde heute Nachmittag für Vorstellungsgespräche im Büro sein“, sagte Jace achselzuckend. Sie wussten beide, dass Jared seinen eigenen Zeitplan hatte. Auch er hatte eine dunkle Last zu tragen, die ihm niemand abnehmen konnte. Jaxson und Jace hatten schon vor langer Zeit aufgegeben, mit ihm darüber zu sprechen – das war die einzige Möglichkeit, wie sie Jared bei sich halten konnten und er nicht zu einem wilden Shifter-Anarchisten irgendwo in Idaho wurde. Sie würden ihn nie wiedersehen.
„Moment mal… Vorstellungsgespräche?“, fragte Jaxson und runzelte die Stirn. „Hat Jared sich entschieden, eine Sekretärin einzustellen?“ Er hatte gehofft, dass Jared sich mit dem Papierkram beschäftigen und so mehr Zeit im Büro verbringen würde, wo sie ein Auge auf ihn haben konnten. Aber offenbar war dem nicht so.
„Büroassistentin.“ Jace beschrieb Anführungszeichen in der Luft. „Aber ja. Schätze, er hat festgestellt, dass es doch nicht so einfach ist, die Gehaltsabrechnungen zu machen.“ Jace grinste – das war sein Job gewesen, bevor Jared entschieden hatte, dass der jüngste River-Bruder zu inkompetent war, um Schecks auszustellen und Klienten Rechnungen zu schicken. Seitdem hatte Jared nichts anderes getan, als sich darüber zu beschweren, dass er den ganzen Bürokram erledigen musste, anstatt Trainingseinheiten leiten oder sich seinen Schießübungen widmen zu können. Er war Scharfschütze bei den Marines gewesen und verbrachte den Großteil seiner Freizeit auf dem Schießstand.
Was wirklich für niemanden gut war.
„Und warum höre ich jetzt zum ersten Mal, dass wir jemanden einstellen?“ Jaxson unterdrückte ein Grollen. „Wen haben wir für die Gespräche eingeladen?“
„Menschen.“ Jace hielt dies ganz offensichtlich für einen Fehler.
Jaxson ebenfalls. „Was? Hat er einfach vergessen, dass das hier eine verdeckte Shifter-Organisation ist? Oder wie empfindlich unsere Klienten bezüglich ihrer persönlichen Daten sind?“ Riverwise Private Security hatte eine äußerst geheime Liste absoluter Top-Klienten. Die Reichen und Berüchtigten unter Seattles umtriebigen neuen Internet-Berühmtheiten verstanden sehr gut, wie einfach sie bloßgestellt werden konnten. Und sie vertrauten auf Riverwise, dies zu verhindern. „Was ist mit Thea? Die kennt sich doch mit Buchhaltung aus, oder nicht?“
„Thea?“ Jace sah aus, als hätte er sich an seiner eigenen Spucke verschluckt. „Die heiße Tochter vom Alpha des Blue Mountain Rudels? Ich dachte, du hättest ein Auge auf die scharfe Rothaarige vom Nordrudel geworfen? Du weißt doch, dass sie nach einem Partner sucht. Da solltest du dich besser bald ran machen oder du wirst ausgestochen.“
„Wir reden nicht über eine Partnerin.“ Diesmal mischte sich Jaxsons Knurren definitiv in seine Stimme. „Wir reden über eine Sekretärin.“
„Büroassistentin.“ Jace grinste über beide Ohren.
Jaxson bleckte seine Fangzähne.
Jace lachte bloß. Dann wurde er jedoch schnell wieder ernst. „Komm schon, Jaxson.“ Er hob beschwichtigend die Hände. „Du weißt doch, wie es läuft. Du bringst Thea hierher und jeder wird denken, dass du dich endlich binden willst. Wir haben drei Rudel, mit denen wir Allianzen eingehen könnten, und wir können es uns nicht leisten, auch nur einem davon ans Bein zu pissen. Wir brauchen jede Hilfe, die wir bekommen können. Besonders wenn wir zu Direktangriffen übergehen.“
„Ja, ich weiß.“ Er hatte nicht gewollt, dass das Gespräch diese Richtung nahm. Jaxson ließ eine Hand in seine Hosentasche gleiten und strich mit dem Daumen über das Smartphone. Olivia. Ihr Name geisterte durch seinen Verstand und erweckte alle möglichen Gefühle, auf die er kein Recht hatte. Besonders nicht für einen Menschen.
Nur… vielleicht war sie das gar nicht. Dann wäre es sogar noch gefährlicher, sie in der Nähe zu haben. Aber alleine die Möglichkeit ließ seinen Wolf aufsitzen und verlangen, dass sie sich auf die Suche nach ihr machten. Jaxson betrachtete den Teppich unter sich und versuchte zu entscheiden, wie idiotisch er sich genau benahm. Das Handy persönlich zurückzubringen war eine sehr schlechte Idee. Wahrscheinlich dachte er genau deswegen darüber nach.
„Erde an Jaxson.“ Jace wedelte mit einer Hand vor seinem Gesicht.
Verdammt. Er sollte sich dringend zusammenreißen.
Knurrend schlug Jaxson seine Hand weg.
Jace wich zurück und runzelte die Stirn. „Was ist los?“
„Nichts“, sagte er und nahm seine Hand vom Smartphone und aus seiner Hosentasche.
„Du kannst dich nicht ewig davor drücken, Jaxson. Du bist fast dreißig. Wenn du dir keine Partnerin nimmst, werden die Leute vermuten, dass du wie Jared bist.“
„Ich bin nicht gebrochen, Jace.“ Zumindest nicht auf diese Weise.
„Ja. Ich weiß das.“ Das Stirnrunzeln seines Bruders wurde noch tiefer – so als hätte er das vorher nicht in Frage gestellt, jetzt aber anfangen würde, darüber nachzudenken. Und Jaxson konnte es sich nicht erlauben, dass Jace argwöhnisch wurde, denn sein Bruder war zu schlau, um nicht irgendwann dahinter zu kommen.
Jaxson starrte ihn bloß düster an.
Jace stieß einen frustrierten Seufzer aus. „Mann, ich bin wirklich der Letzte, der dich dazu drängen will, aber du kennst die Situation. Das Rudel braucht einen Alpha – einen verkuppelten Alpha, einen Anführer, der uns alle zusammenbringt – und das bist du. Wir brauchen dich, gerade jetzt. Und das Rudel braucht eine Allianz, wenn wir all das erreichen wollen, was wir uns vorgenommen haben. Du weißt, dass wir das nicht allein mit dem River-Rudel schaffen können.“
„Ich weiß.“ Sein Frust war ihm deutlich anzuhören.
„Also, such dir eine der heißen, paarungswilligen Wölfinnen dort draußen, die dich anmacht, und nimm sie dir… jetzt, bevor kein Weibchen zu haben alles zerstört, für das wir gearbeitet haben.“
Jaxson rieb sich mit einer Hand über die Stirn, hinter der sich ein unangenehmes Pochen eingenistet hatte. „Ich brauche nur noch etwas mehr Zeit, Jace. Um mir über alles klar zu werden.“ Er hatte keine Lösung und das wusste er. Er zögerte nur das Unausweichliche hinaus – den Tag, an dem er seine Brüder, sein Rudel, und unzählige andere endgültig im Stich lassen würde.
„Hey.“ Jace kam auf ihn zu und legte Jaxson eine Hand auf die Schulter. Sein Griff war fest, aber er sah aus, als würde er sich bemühen, die Stimmung aufzulockern. „Ich will dir ja keinen Druck machen, Mann. Wenn ich die Bürde auf mich nehmen könnte, mich mit dem heißesten Weibchen da draußen zu paaren, würde ich es tun. Vielleicht könnte ich ja ein paar für dich testen.“
Jaxson schob die Hand seines Bruders weg, konnte aber ein Grinsen nicht unterdrücken. „Halt’s Maul.“
Jace grinste, hielt die Hände hoch, als würde er sich ergeben, und machte einen Schritt zurück. „Ich mein ja bloß… es gibt schlimmere Schicksale.“
Das ließ Jaxsons Lächeln erlöschen. Denn er wusste, dass Jace und Jared ohne zu zögern mit ihm tauschen würden, wenn sie könnten. Jeder von ihnen hatte seine eigenen dunklen Gründe, warum er keine Partnerin haben konnte. Was bedeutete, dass es an ihm war, den Stammbaum fortzusetzen… ganz davon zu schweigen, das Rudel anzuführen und Allianzen zu schmieden. All das lag in seiner Verantwortung und natürlich sahen sie keinen Grund, warum er das nicht übernehmen sollte. Aber das lag bloß daran, weil sie nicht wussten, dass er schon vor Jahren versagt hatte.
„Also, wie sieht unser neuer Plan aus?“, fragte Jace und kehrte glücklicherweise zum Thema ihrer Mission zurück.
„Bis Jared zurück ist, werde ich einen haben.“ Ohne sein Zutun wanderte seine Hand erneut in seine Hosentasche. Das Handy war immer noch warm von seiner letzten Berührung. „Ich bin rechtzeitig für die Vorstellungsgespräche wieder hier, aber vorher muss ich mich noch um was kümmern.“
Jace warf ihm ein wissendes Grinsen zu und dachte wahrscheinlich, dass er sich endlich daran machen würde, eine Partnerin zu finden. Aber sein Bruder hätte nicht weiter daneben liegen können – Jaxson würde das Handy zurückbringen und diese Sache aus der Welt schaffen, damit er sich endlich wieder auf all die anderen Dinge konzentrieren konnte, die er in Ordnung bringen musste.
Olivia wünschte sich inständig ihr Smartphone zurück.
Sie konnte zwar die Computer in der Stadtbücherei benutzen, um Onlinebewerbungen zu verschicken und nach kurzfristigen Jobs in der Nähe zu suchen, um ihre Miete bezahlen zu können, aber wie sollte sie dann ihre Emails kontrollieren? Oder das GPS nutzen, um die Adressen für die Vorstellungsgespräche zu finden? Wenn ein Arbeitgeber sie erreichen wollte, konnte er sie nicht einmal anrufen. Bis jetzt hatte sie sich auf zehn Stellen beworben, von Kassiererin über Büroassistentin bis hin zu Donutverkäuferin, aber bei all diesen Jobs sollte sie eine Telefonnummer für Rückrufe angeben. Selbst wenn sie darum bitten würde, sie über Email zu kontaktieren, konnte sie nicht jeden Tag von morgens bis abends in der Bibliothek hocken und auf eine Antwort hoffen.
All diese Sorgen zur Seite schiebend machte Olivia sich daran, eine weitere fünfzehnseitige Onlinebewerbung auszufüllen.
„Sieht aus, als wärst du schwer beschäftigt“, sagte eine tiefe, sexy Stimme hinter ihr.
Sie fuhr so heftig in ihrem Stuhl zusammen, dass sie gegen den Tisch schlug und ihr Becher mit den Bleistiften umfiel. Maskuline Hände griffen an ihr vorbei, um den Becher wieder hinzustellen, wobei der Besitzer der Stimme in ihrem Sichtfeld auftauchte. Er lehnte sich gegen den Computertisch und sah sie an.
Es war der Shifter.
Ihr Herz machte einen überraschten Satz und reflexartig rollte sie mit ihrem Stuhl vor ihm zurück. „Was machst du hier?“
„Naja, ich hab’s in deinem Büro versucht, aber da scheinst du nicht mehr zu arbeiten.“ Er wirkte leicht besorgt deswegen. „Und der Taxifahrer meinte, er hätte dich hierher gebracht, statt nach Hause.“
„Also… verfolgst du mich jetzt?“ Sein plötzliches Erscheinen hatte sie aus der Fassung gebracht. Sie brauchte heute bestimmt nicht noch mehr Drama.
„Nein!“, protestierte er. Er senkte den Blick und sein Stirnrunzeln wurde etwas tiefer. „Naja, genau genommen schon.“ Er streckte die Hand aus und hielt ihr etwas entgegen – ihr Handy! „Ich dachte, das hier hättest du bestimmt gerne zurück.“
Langsam beugte sie sich vor, um das Telefon aus seiner ausgestreckten Hand zu nehmen.