Johannes Tauler und die Gottesfreunde - Bernhard Baehring - E-Book

Johannes Tauler und die Gottesfreunde E-Book

Bernhard Baehring

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Beschreibung

Agentur des Rauhen Hauses, 1853 Johannes Tauler (* um 1300 in Straßburg; - 16. Juni 1361 ebenda) war ein deutscher Theologe, Mystiker und Prediger. Er war Dominikaner und zählte in seinem Orden zur neuplatonischen Strömung. Mit Meister Eckhart und Heinrich Seuse gehört er zu den bekanntesten Vertretern der spätmittelalterlichen deutschsprachigen Dominikaner-Spiritualität.

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Johannes Tauler und die Gottesfreunde

Johannes Tauler und die GottesfreundeUnter welchen Zeitverhältnissen Tauler aufwuchs.Wie die Gottesfreunde innere Mission trieben.Wie der gelehrte Doktor Johannes Tauler ein vollkommener Freund Gottes ward.Wie Tauler die geistliche Armut lehrte.Wie Tauler in dem Herrn Jesu sein Leben selig vollendete.Impressum

Johannes Tauler und die Gottesfreunde

Bernhard Baehring

Vorwort.

Durch die Studien über die Brüderschaft vom gemeinsamen Leben und ihre innere Missionstätigkeit am Niederrhein [Gerhard Groot und Florentius, die Stifter der Brüderschaft vom gemeinsamen Leben. Lebensbilder aus der Geschichte der inneren Mission von V. Baehring. Agentur des Rauhen Hauses. 1849. - Thomas von Kempen, der Prediger der Nachfolge Christi, von V. Baehring. Berlin bei Hermann Schultze. 1819.] wurde ich veranlasst, der geistesverwandten und nicht minder bedeutungsvollen Wirksamkeit der Gottesfreunde am Oberrhein weiter nachzuforschen. Verschiedene Bibliotheken zu durchstöbern und vergessene Handschriften wieder aufzusuchen, war mir freilich bei meinen äußeren Verhältnissen, die mich mit mehr als einem Bande an ein ziemlich abgelegenes Pfarrdörfchen fesseln, nicht möglich. Was jedoch ältere und neuere Literatur über diesen höchst interessanten Gegenstand zu allgemeinerer Kenntnis gebracht hat, wurde mit Fleiß gesammelt, mit Sorgfalt ausgewählt und in dieser vorliegenden Schrift zum Dienste der inneren Mission in ein Ganzes verarbeitet. Wie unter den Brüdern des gemeinsamen Lebens Thomas von Kempen, so steht Johannes Tauler unter den Gottesfreunden als der geistige Central- und Höhepunkt da. Daher wurde die denkwürdige Persönlichkeit Taulers, dieses tiefsinnigen und glaubensinnigen Predigers der geistlichen Armut, in den Vordergrund des ganzen Gemäldes gestellt, und nicht allein sein äußeres, sondern auch sein inneres Leben und seine geistige Einwirkung auf seine Zeit und Bedeutsamkeit für alle Zeit berücksichtigt.

Die Darstellung will durchaus nur Geschichtliches bieten und keineswegs jenen immer noch so beliebten Mixturen von Wahrheit und Dichtung angehören, die den Sinn für Wahrheit durch ihre pikanten Leckerbissen nur zerstören und die erhabensten Erscheinungen der Vorzeit in den Dunst romanhafter Schwärmereien auflösen. Sie möchte mitwirken, die Liebe zur Geschichte und insbesondere zur Geschichte unserer evangelischen Kirche zu beleben und zu nähren. Ich halte es für eine Hauptaufgabe der inneren Mission unserer Kirche ihre Vergangenheit wieder mehr zum Bewusstsein zu bringen und den eitelen Wahn ihr zu benehmen, als könnte sie ohne beständiges Zurückgehen auf dieselbe und ohne geistiges Vertiefen in dieselbe sich selbst geistig generieren und gedeihlich weiter bauen. Die Lichtfreunde hätten keinen so großen Rumor gemacht, es wäre keine „Mission der Deutschkatholiken" erschienen, die Demokraten hätten unsern Luther nicht neben Robert Blum den „Männern des Volkes" eingereiht, lebte in unserm evangelischen Christenvolke mehr Kenntnis seiner Geschichte, mehr Ehrfurcht vor jenen hehren Glaubenshelden, die unserer Kirche ihre Existenz mit so großen Opfern erfochten haben. Das Band, das unser Geschlecht mit seinen Vorfahren verknüpft, ist durch die phantastische Wissenschaft der neueren Zeit zum dünnen, kaum noch haltbaren Faden gesponnen. Der feste Grund, auf dem unsere Väter, standen, kämpften und siegten, ist mit lockerem Sandboden vertauscht. Unter solchen Verhältnissen tut uns nichts mehr not, als Belebung echt geschichtlichen Sinnes, als Wiederzurückführung unserer Kirche auf ihre festen geschichtlichen Grundlagen. Die aber werden wir wieder lieben und ehren lernen, wenn wir uns bekannter machen mit den erhabenen Persönlichkeiten, die sie zu erzeugen fähig waren.

Christliche Persönlichkeiten, Männer voll Glaubens und Geistes wünscht man und braucht man für die Wiederherstellung unserer zerrütteten Verhältnisse in Kirche und Staat. Wohlan! Lassen wir unsere in Gott ruhenden Väter geistig wieder mehr in uns und unter uns leben, dann steht ein ganzes Heer von Glaubenshelden uns zur Seite im Kampfe gegen den satanischen Geist widerchristlichen Fortschrittes. Unser Kleinod und Augapfel, die Augsburgische Konfession, sagt im 21. Artikel: „Von dem Heiligendienst wird von den Unsern also gelehrt, dass man der Heiligen gedenken soll, auf dass wir unsern Glauben stärken, so wir sehen wie ihnen Gnade widerfahren, auch wie ihnen durch Glauben geholfen ist, dazu, dass man Exempel nehme von ihren guten Werken, ein Jeder nach seinem Beruf." Wohlan! machen wir diese evangelische Verehrung unserer Lehrer, diese christliche Dankbarkeit gegen unsere Väter zur Wahrheit, und unser Geschlecht wird sich heben aus seiner imaginären Größe zu einer wahrhaften und substantiellen, und Persönlichkeiten empfangen, deren Namen noch nach Jahrhunderten mit Segen genannt werden.

Heiligenerschel in der Pfalz,

im März 1852.

B. Baehring.

Unter welchen Zeitverhältnissen Tauler aufwuchs. 


Das schöne Straßburg mit seinem herrlichen Münster und seinen zahlreichen Denkmalen frommer Kunst und aufopfernden Glaubens ist im Mittelalter, wo es noch als deutsche Reichsstadt blühte, die Würze und Werkstätte manches erhabenen Geistes gewesen, dessen Früchte uns jetzt noch mit dankbarer Bewunderung erfüllen. Zahlreich waren dort die Kräfte, welche an der äußeren Verherrlichung der Kirche des Mittelalters arbeiteten; aber es fehlte dort auch nicht an Meistern, welchen die innere Herrlichkeit eines gläubigen und in der Betrachtung Gottes geheiligten Gemütes höher stand als alle Pracht der steinernen Tempel und aller Pomp der äußeren Gottesverehrung und die vorzüglich an der Erbauung des Tempels arbeiteten, der da lebendig ist und darstellen soll eine Behausung Gottes im Geist. Einer der gesegnetsten Baumeister dieser Art und erleuchtetsten Prediger evangelischer Heiligung aus den sinkenden Tagen des Mittelalters war Johannes Tauler. Er war im Jahre der Gnade 1290 zu Straßburg geboren. Über seine Abkunft und Jugendgeschichte ist uns sehr wenig Sicheres überliefert worden. Möglich ist es, dass sein Vater ein gewisser Nicolaus Tauler gewesen ist, der unter den Ratsherren der Stadt im Jahre 1313 genannt wird. Doch scheint es zufolge einiger Worte Taulers selbst in seiner Predigt am 19. Sonntag nach Trinitatis, dass sein Vater ein Arbeitsmann und nicht sonderlich bemittelt gewesen ist. Denn in jener Predigt, wo er nach Anleitung der Epistel Ephes. 4,22-32 unter Anderm über den Missbrauch des Bettelns als einer Art Diebstahls spricht, sagt er von sich selbst, der als Dominikanermönch auch von Almosen lebte: „Mir, der ich ein ordentlicher Priester bin, ist es erlaubt, Almosen zu empfangen; aber glaubt mir, bis auf diese Stunde empfange ich sie mit lauter Furcht und Zittern, und wenn ich so viel davon gewußt hätte, da ich noch in meines Vaters Brot war, als ich jetzt weiß und gelernt habe, ich wollte in meines Vaters Haus geblieben sein und mich von der schweren Handarbeit ernährt haben." 

Als heranwachsender Jüngling trat Tauler in den Dominikanerorden, der damals in hohem Ansehen stand. Derselbe war 1215 zu dem Zwecke gegründet die durch Sektierer in ihrer Einheit sehr bedrohte römische Kirche vermittelst freier Predigt und Seelsorge wieder nach innen zu stärken, und wurde bald einer der mächtigsten und einflussreichsten Träger aller derjenigen Glaubensarbeit, welche wir heute unter dem Gesamtnamen „Innere Mission" zusammenzufassen gewohnt sind. Weil die Predigt die Hauptaufgabe dieser Mönche war, so nannten sie sich auch gewöhnlich Prediger, Praedicatores. Sie zählten unter ihren Reihen manchen gelehrten und erleuchteten Geist. In Straßburg hatten sie ein schönes und geräumiges Kloster, dessen Kirche im Jahre 1308 eingeweiht worden ist. In demselben entsagte der fromme Jüngling Johannes Tauler der Welt, um fortan neben seinen geistlichen Beschäftigungen sein Brot durch Betteln, wie es Regel des Ordens war, zu erwerben. In einem Nonnenkloster desselben Ordens in der Krautenau zu St. Claus in den Unden ließ sich seine Schwester für das jungfräuliche Leben einkleiden, woraus sich wohl schließen lässt, dass in ihrem elterlichen Hause hohe Ehrfurcht vor dem geistlichen Stand und Liebe zu frommem Leben geherrscht hat. 

Mit Tauler trat wahrscheinlich im Jahre 1308 sein Freund Nikolaus von Dambach, einem Dorf bei Straßburg, in den Orden ein. Dieser war später sein Begleiter auf die hohe Schule zu Paris, wo sie in dem Predigerkollegium zu St. Jacob Theologie studierten. Tauler, der mit einem scharfsinnigen Geist und regen Eifer von Gott begabt war, zeichnete sich bald vor Vielen in dieser Wissenschaft aus und erwarb sich bei seinen Zeitgenossen die ehrenvollen Beinamen eines „Meisters der heiligen Schrift" und eines „hocherleuchteten Lehrers." Aber sein Geist blieb nicht in eitler Selbstgefälligkeit an der Schale der Wahrheit hängen, noch weniger suchte er den Ruhm der Gelehrsamkeit. Ein edleres Verlangen zog ihn beständig in die Tiefe, um zu gelangen zu dem wahren Grunde Gottes, und, sich selbst verlierend, in Gott seine wahre Vollkommenheit zu finden. Seine Lehrer zu Paris, Gelehrte vom Fach, erstorben in den toten Begriffen ihrer Schulweisheit, verstanden diesen Zug seines jugendlichen Geistes wenig zu befriedigen. Das hat Tauler selbst später erkannt und öfters ausgesprochen. Er sagte von jenen gelehrten Meistern und Doktoren, dass sie zwar mit Fleiß große Bücher lesen und fleißig die Blätter umlehren, dass sie aber das wahre lebendige Buch, darinnen Alles lebet, und das er erst später gefunden, nicht kannten; wer daher wahre Weisheit erlernen wolle, der müsse sie nicht in Paris, sondern in den Leiden Christi suchen.

Darum zog es ihn aus der unfruchtbaren Wissenschaft seiner Zeit zu jenen echten Gottesgelehrten zurück, die das Verständnis; der göttlichen Geheimnisse nicht bloß durch Studieren in Büchern, sondern vielmehr durch die Hingabe ihres ganzen Gemütes an Gott und durch die Heiligung in seiner Liebe gesucht hatten. Seine liebsten Lehrer, deren er auch in seinen Predigten oft Erwähnung getan hat, waren die sogenannten Mystiker der älteren besseren Zeit, der heilige Bernhard, die großen Meister zu St. Viktor und vor Allem Augustinus, dieser Freund aller reformatorischen Geister. Über Allen stand ihm jedoch die heilige Schrift, deren Geist und Inhalt er sich in einem unter seinen Zeitgenossen seltenen Grade zu eigen gemacht hatte.

In Straßburg war die mystische Richtung unter den Gottesgelehrten und Predigern schon seit langer Zeit heimisch. Als Tauler daher von Paris, wo er wohl schon durch das Missbehagen an der herrschenden Schulweisheit auf dieselbe hingewiesen war, in seine Vaterstadt zurückkehrte, fand er in dieser Beziehung reiche Nahrung. Doch leicht wäre er damals auf einen sehr gefährlichen Abweg geraten, der sich gerade denen, die in die Tiefe der göttlichen Geheimnisse einzudringen suchen, leicht eröffnet. Der gelehrte und tiefsinnige Meister Eckart, ein angesehenes Mitglied des Dominikanerordens, trug nämlich zu jener Zeit (um 1320) mit glühend begeisterten Worten seine die Welt und die Natur vergötternden, panteistischen Lehren vor. Er predigte in mehreren Klöstern und wusste seine grundstürzenden Irrtümer mit so großem Scheine der Wahrheit und solcher Eindringlichkeit anzupreisen, dass sich Viele dadurch täuschen und von dem Wege der heilsamen Erkenntnis abführen ließen. Es entstand im Elsaß durch die Verbreitung dieser widerchristlichen Lehren, welche alle göttlichen und menschlichen Ordnungen auflösen, und indem sie den Menschen mit dem Wahne erfüllen, er selbst mit seiner ganzen natürlichen Sündhaftigkeit sei die höchste Offenbarung Gottes, durch lasterhafte Zügellosigkeit ihn unter das Tier herabsetzen, eine die Kirche tief erschütternde Bewegung. Große Scharen von Männer und Frauen schieden von der Kirche, die die einzig siegreichen Waffen des göttlichen Wortes, diesen Geist zu bannen, nicht besaß oder nicht zu gebrauchen verstand, aus, und zogen Verwirrung und Laster verbreitend im Lande umher. Brüder und Schwestern des freien Geistes nannten sie sich, während ihr Geist doch aufs Tiefste durch die Sünde geknechtet war. Sie hatten zahlreiche Anhänger unter Laien und Mönchen, und droheten Alles, nicht nur am Ober-, sondern auch am Unterrhein in bodenlose Verwirrung zu stürzen. Der damalige Bischof von Straßburg, Johann von Ochsenstein, verdammte in einem Circulaire [Rundschreiben] an die Geistlichkeit seines Sprengels ihre Grundsätze und forderte die bürgerliche Obrigkeit zur Unterdrückung derselben auf. Viele wurden mit Gefängnis, viele mit dem Scheiterhaufen bestraft. Aber neue Scharen entstanden aus ihrer Asche, weil der Geist des Widerchristes nur durch die geistlichen Waffen des Evangeliums, durch rechtschaffenen Glauben, aufopfernde Liebe, unerschütterliche Geduld aus dem Felde geschlagen werden kann. Meister Eckart, der mit diesen gefährlichen Sektierern, dieser Geißel Gottes für die faul gewordene Kirche, im Zusammenhang stand, wenn er auch nicht alle ihre Schritte leitete, starb um 1329 in Köln, nachdem er vom dortigen Bischof bereits wegen Förderung der Ketzerei in Anklagestand versetzt worden war. Dass der junge strebsame Tauler mit jenem merkwürdigen Manne in Berührung gestanden, ist außer Zweifel. Er erwähnt ihn jedoch nur ein einziges Mal in seinen Predigten. Er hat gewiß von ihm auch Manches, sowohl in seiner mystischen Sprache, als auch in seinen religiösen Anschauungen angenommen, und es gehörte eine so gründliche Bekehrung, wie sie Tauler später erfahren hat, dazu, um alle Überbleibsel jenes falschen Geistes von sich abzustreifen. Mit jenen schwärmerischen Sektierern jedoch, die das praktisch auszuführen suchten, was Eckart nur theoretisch begründete, hat Tauler nie Gemeinschaft gehabt. Sie hat er vielmehr stets entschieden bekämpft; denn die Gnade Gottes hatte in ihm trotz der Verirrungen des Verstandes, in die auch er geraten, doch das Bedürfnis nach einer wahrhaftigen Einigung des Herzens mit seinem Schöpfer und vollkommenen Heiligung des Lebens nicht erlöschen lassen. In diesem Verlangen nach der Erneuerung seines eigenen Lebens, wie dessen seiner ganzen Zeit durch den Geist Christi, musste der fromme Tauler durch die verheerenden Stürme, welche damals die Kirche wie die amtlichen Reiche erschütterten, nur bestärkt werden.

Eine Hauptschuld an dem tiefen Verderben der Kirche, welches nur nach seiner gefährlichsten Seite in den Brüdern und Schwestern des freien Geistes offenbar geworden war, trugen die Leiter der Kirche, die Päpste, selbst. Von der irdischen Armut und der Weltentsagung, der Demut und Sanftmut Christi war bei ihnen, die sich Statthalter Christi nannten und eine fast göttliche Verehrung für sich in Anspruch nahmen, keine Spur mehr zu finden. Innozenz  III. hatte den päpstlichen Stuhl in den Jahren 1198 bis 1216 auf den höchsten Gipfel seiner irdischen Macht erhoben. Das Heldengeschlecht der Hohenstaufen, das edelste, das je das deutsche Reich regiert, war durch Innozenz  und seine Nachfolger zu Grunde gerichtet worden. Dadurch kühn gemacht, maßten sie sich das Schiedsrichteramt in allen weltlichen Händeln an, erweckten aber gerade durch solche Anmaßung bei Fürsten und Völkern einen Widerstand, der ihnen selbst später den Fall bereiten musste. Mit Bonifatius  VIII. (1294 - 1303) begann das gerechte Gericht über den aufs Höchste gestiegenen päpstlichen Übermut hereinzubrechen. Der schlaue und von leidenschaftlicher Sucht nach Machtvergrößerung getriebene König Philipp der Schöne von Frankreich hatte zur Deckung der Kriegslasten auch von der Geistlichkeit Abgaben gefordert; Bonifatius aber über alle diejenigen Laien den Bann ausgesprochen, welche von Geistlichen Abgaben fordern würden. Der dadurch erbitterte König brach schnell mit dem Papste alle weiteren Unterhandlungen ab, und führte sein Vorhaben gewaltsam aus. Da schrieb ihm der Papst kurz und bündig: „Wir tuen dir kund und zu wissen, dass du sowohl in geistlichen als in weltlichen Dingen uns zu gehorchen hast. So du andere Gesinnung hast, bist du als ein Ketzer zu betrachten." Der König blieb ihm die angemessene Antwort nicht schuldig, sagte, dass er nichts davon wisse, in weltlichen Dingen irgend einem untergeordnet zu sein, und erklärte Denjenigen, der anderer Ansicht sei, für einen Narren. Als ihn der Papst darauf vor seinen Richterstuhl zitierte, ließ Philipp die päpstlichen Schreiben verbrennen und versicherte sich durch eine Ständeversammlung im Jahre 1302 der Gesinnung seines Volkes. Jener, dadurch zu neuem Zorn entbrannt, schleuderte neue Bullen mit noch maßloseren Grundsätzen gegen den König von Frankreich. „Gott hat uns," sagte er, Bibel, Glauben und alles Heilige für seine widerchristlichen Zwecke missbrauchend, „über Könige und Königreiche gesetzt; uns legte er das Joch der apostolischen Knechtschaft auf, um in seinem Namen und nach seinem Worte die Völker und die Königreiche auszurotten, zu zerbrechen, zu verstören und wiederum zu pflanzen und zu bauen. (Jerm. 1,10.) Darum soll alle Welt hören, was der Herr, unser Gott, in uns redet. Es stehet geschrieben, Gott habe zwei große Lichter gemacht, ein großes, das den Tag regiere und ein kleines, das die Nacht regiere (1.Mos. 1,16); das heißt: es sind zwei Gewalten, um das Recht zu ordnen und auszuteilen, die geistliche und die weltliche. Dem Papste ist die geistliche verliehen, dem Kaiser und den Königen die weltliche. Da aber jener zu allen Zeiten das Recht gehabt hat, über die Sünde zu erkennen und zu richten, und die Frage mithin entsteht, wem die weltliche Gewalt von Rechtswegen gebührt, so folgt mit Notwendigkeit, dass Niemand außer dem Statthalter Christi und des heiligen Petrus mit Recht darauf Anspruch machen kann. Wer anders meint, der verstößt gegen den Artikel unsers christlichen Glaubens: von dannen er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten, so wie gegen den andern Artikel: die Gemeinschaft der Heiligen. Deshalb was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden. Die eine heilige Kirche muss einen Leib und ein Haupt haben, nicht wie ein unförmliches Ungeheuer zwei Häupter. Und dieses rechte, einige Haupt, der Statthalter Christi, hat nach der Lehre des Evangeliums zwei Schwerter, das geistliche und das weltliche. Denn als die Apostel sprachen: Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter, da antwortete er nicht: Das ist zu viel; sondern: es ist genug. Diese beiden Schwerter, das geistliche und das weltliche, sind in der Kirche, das eine, dass es für die Kirche gezogen, das andere, dass es von der Kirche gebraucht werde. Allein das eine Schwert muss notwendig dem andern untergeordnet sein; denn der Apostel sagt: es ist keine Obrigkeit, ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet (Röm. 13,1); dies würde aber mitnichten der Fall sein, wenn nicht das eine Schwert unter dem andern stände. Wenn also die weltliche Macht ausschweift, muss sie von der geistlichen gerichtet werden, wie das der Apostel in den Worten bezeugt: der geistliche Mensch richtet Alles, und wird von Niemandem gerichtet (1 Kor. 2,15). Wer mithin dieser Macht widerstrebt, der widersetzt sich der göttlichen Ordnung, es wäre denn, dass er nach Weise der Manichäer von zwei Prinzipien träumen wollte. Deshalb urteilen und setzen wir, dass kein Mensch selig werden könne, er erkenne denn diese Macht des Statthalters Christi an."

Das waren die leitenden Grundsätze des Papstes im Kampfe gegen den König von Frankreich, die ohne die Strafe des gerechten Gottes nicht bleiben konnten. An die Stelle des allmächtigen Gottes hatte sich auf Erden ein ohnmächtiger Mensch in frevelhaftem Übermute zu drängen gesucht, und die allein Christo als dem einigen Oberhaupte zustehende oberste Leitung der Kirche wollte der in seine Hand nehmen, dessen Habsucht und Hochmut keine Grenzen finden konnte. Wie wenig hatten die Nachfolger Petri von dem Geiste des heiligen Apostels selbst, der seine Presbyter ermahnte: „Weidet die Herde Christi, so euch befohlen ist, . . nicht um schändlichen Gewinnes willen, sondern von Herzens Grunde, nicht als die über das Volk herrschen, sondern werdet Vorbilder der Herde." (1.Petr. 5,1f.)

Schon Bonifatius musste die göttlichen Strafgerichte erfahren. Der schlaue König Philipp bewirkte seine Gefangennehmung in Anagni, in Folge deren sich der Grimm des 86jährigen Papstes bis zur Raserei steigerte und er am Morgen des 11. Oktobers 1303, das weiße Haar mit Blut befleckt, Schaum vor dem Munde, seinen Stock mit den Zähnen benagt, tot auf seinem Bette gefunden wurde. Fortan mussten die Päpste ihre Residenz nach Arignon in Frankreich verlegen und waren siebenzig Jahre lang elende Sklaven des Willens der französischen Herrscher.

Von Frankreich aus her fanden die Päpste bald Gelegenheit, auf die deutschen Reichsangelegenheiten den verderblichsten Einfluss auszuüben, was den französischen Königen nur erwünscht war.

Das deutsche Reich war seit dem Tode des edeln Kaisers Rudolph von Habsburg (1291) von den traurigsten Parteiungen und Bürgerkriegen zerrüttet worden. Gegen den deutschen König Adolf von Nassau war, als er die Würde, die auch er mehr zur Vergrößerung seiner eigenen Hausmacht als nach Wunsch der Fürsten gebrauchte, nicht freiwillig wieder niederlegen wollte, Rudolphs rauher, herrschsüchtiger Sohn, Albrecht der Erste von Österreich, gewählt worden (1298). In der Schlacht bei Göllheim in der Nähe des Donnersberges verlor Adolf Krone und Leben. Aber auch Albrecht starb, nachdem die Schweizer ihre Eidgenossenschaft vom österreichischen Joche befreit hatten, keines natürlichen Todes. Auf einem Ritte nach Rheinfelden wurde er von seinem eigenen Neffen Johann von Schwaben bei Windisch an der Reuß überfallen und ermordet (1308). Schon damals suchte der König Philipp von Frankreich mit Hilfe des Papstes die deutsche Königskrone auf das Haupt seines Bruders Karl von Valois zu bringen. Nachdem der von den Fürsten gewählte tapfere und edelmütige Graf von Luxemburg als König Heinrich der Siebente wieder einigermaßen Ruhe und Ordnung im Reiche hergestellt, aber nach kurzer Regierung schon 1313 in Italien plötzlich, man sagt durch Gift, das er beim Abendmahl empfangen, gestorben war, entstand in Deutschland zwischen den Gegenkönigen Ludwig von Bayern und Friedrich von Österreich ein Bürgerkrieg, der alle Verhältnisse, geistliche und weltliche, aufs Tiefste erschütterte und auch die Straßburgische Geistlichkeit und darunter unsern Tauler in manche harte Bedrängnis brachte.

Die Einwohner Straßburgs teilten sich in zwei Parteien. Der Bischof Johann von Ochsenstein und mit ihm die Familie der Zorn waren Anhänger Friedrichs; die nicht weniger angesehene Familie der Mülnheim erklärte sich dagegen für Ludwig und mit ihr der größere Teil der Bürgerschaft. Bald nach seiner Krönung zu Bonn am 23. November 1314, an welchem Tage auch Ludwig zu Aachen die Krone erhielt, zog Friedrich mit seinem Heere den Rhein herauf und kam im Januar des folgenden Jahres nach Straßburg. Während der Magistrat und die Bürger ihn nicht als König, sondern nur als Gast aufnahmen, bereitete ihm der Bischof mit der Geistlichkeit einen königlichen Empfang, und erwarb sich dadurch verschiedene Beweise seiner Gunst. Ludwig war indes im Lager bei Speier, von wo er mit Hilfe der Speierer die Stadt Landau eroberte. Als er das Verhalten der ihm ergebenen Straßburger Bürgerschaft vernahm, bestätigte er aus Erkenntlichkeit unterm 27. Febr. der Stadt ihre Rechte und Freiheiten. Damals wurde er jedoch durch Leopold, den tapfern Bruder Friedrichs, von einem Zuge durch Elsaß zurückgetrieben. Im Jahre 1320 wurde es endlich Ludwig dem Bayer möglich, selbst mit seinem Heere nach Straßburg zu kommen. Die Bürger erwiesen ihm königliche Ehre und erkannten ihm im Münster feierlich an. Die Geistlichkeit dagegen stellte die Gottesdienste ein und auch der größte Teil des Adels hielt immer noch zu Friedrich. Ludwig konnte sich nur kurze Zeit in Straßburg halten und wäre fast in die Gewalt seiner Gegner gekommen, wenn ihn nicht sein treuer Hauswirt gerettet hätte. Zwei Jahre darauf wurde zwischen den beiden Gegenkönigen, welche beide Enkel des großen Rudolphs von Habsburg und Jugendfreunde waren, die entscheidende Schlacht bei Mühldorf am Inn (28. Sept. 1322) geschlagen. Das Glück entschied sich für Ludwig. Friedrich, der mit heldenmütiger Tapferkeit sich bis zum Banner Ludwigs durchgeschlagen, dasselbe genommen und zerbrochen hatte, wurde, nachdem ihm sein Pferd durchbohrt war, gefangen genommen, und von Ludwig im Schlosse Trausnitz in der Pfalz in Verwahr gebracht. Nun traten die meisten Reichsstädte des Elsasses offen zu dem jetzt allein regierenden Ludwig über. Aber Ruhe und Eintracht war damit noch nicht in das Land zurückgekehrt; im Gegenteil erhoben sich Verwirrungen, die noch tiefer als die vorigen Land und Leute zerrütteten. Der 1316 zum Papst gewählte Franzose Johann XXII. wurde immer Mehr der heftigste und hartnäckigste Gegner Ludwigs. Der Papst, der sich als oberster Schiedsrichter in allen weltlichen Streitigkeiten betrachtete, und gern dem Könige von Frankreich die höchste weltliche Würde der Christenheit verschafft hätte, hatte es bisher geflissentlich vermieden, sich für einen der deutschen Gegenkönige entschieden auszusprechen. Ludwig zeigte ihm zwar seinen Sieg an, unterstützte aber zugleich die Feinde des Papstes in Italien, was den Zorn desselben aufs Höchste steigerte. Deshalb schlug er ohne weitere Verhandlung einen Erlass an die Kirchentüren zu Arignon, worin er dem „Herzog" Ludwig von Bayern seine Verbrechen, vornehmlich die Unterstützung von Ketzern vorwarf, und ihn aufforderte, die Reichsregierung niederzulegen, bis der heilige Vater, wie seines Amtes sei, seine Würdigkeit zum Könige geprüft und approbiert habe, wofern ihn nicht der Bann der Kirche treffen sollte. Auch sollte bis dahin bei Strafe des Bannes kein Geistlicher oder Weltlicher ihn als König anerkennen. Ludwig erwiderte: er sei ein treuer Anhänger und Beschützer der Kirche, werde aber auch die Würde des Reichs nicht antasten lassen, sondern aufrecht erhalten. Er fand seine treuen Anhänger unter den Geistlichen, vorzüglich unter den Franziskanern, deren Viele mit dem weltlichen Treiben und der unermesslichen Habsucht des päpstlichen Hofes längst unzufrieden waren. Dennoch war Ludwig in keiner geringen Verlegenheit, als der Papst 1324 den Bann mit Interdikt über ihn und Deutschland aussprechen ließ, und selbst mehrere deutsche Fürsten in Gemeinschaft mit dem Papste Anstalten trafen, den König Karl den Vierten von Frankreich zum römischen Könige wählen zu lassen.

Furchtbar wurde nun die Lage vieler Ortschaften und ganzer Gegenden, der Geistlichen und der Gemeinden. Denn welche Folgen führte ein solcher Machtspruch des Papstes mit sich? Sobald das Interdikt an einem Orte publiziert war, musste aller öffentliche Gottesdienst aufhören. Die Altäre wurden entkleidet, die Kruzifixe zur Erde geworfen, die Heiligenbilder abgestellt, endlich auch die Kirchen geschlossen. Keine Glocke durfte mehr geläutet, kein Sakrament ausgeteilt werden; die Ehen wurden nicht mehr in der Kirche, sondern auf dem Gottesacker eingesegnet. Selbst die Verstorbenen durften nicht in geweiheter Erde begraben werden, und wurden ohne Gebet und Gesang verscharrt. Der christliche Gruß, wenn man einander begegnete, verstummte. Es wurden somit nicht die Gottlosen, sondern gerade die Frommen gestraft, während die Gottlosigkeit ungestört ihr Haupt erheben durfte. Interdikte waren darum der schändlichste und verderblichste Missbrauch des göttlichen Herrscheramtes, so weit es sich die Päpste auf Erden angemaßt hatten.