Jost Seyfried - Cäsar Flaischlen - E-Book

Jost Seyfried E-Book

Cäsar Flaischlen

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Beschreibung

1905 konnte Flaischlen seinen ziemlich autobiographischen Roman Jost Seyfried veröffentlichen. Mit diesem Werk erregte Flaischlen Aufsehen, da es im herkömmlichen Sinn kein Roman war, sondern eine scheinbar willkürliche Aneinanderreihung rhythmischer Prosa mit eingestreuten Aphorismen, Epigrammen etc. Bereits hier merkte man auch Flaischlen Begeisterung für den modernen Impressionismus, ohne dass er bewusst sich vom Naturalismus abgekehrt hätte.

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Jost Seyfried

Cäsar Flaischlen

Inhalt:

Vorvermerk

Erstes Buch - »Sprüche eines Steinklopfers«

[I]

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

XXII

XXIII

XXIV

XXV

XXVI

XXVII

XXVIII

XXIX

XXX

XXXI

XXXII

XXXIII

XXXIV

XXXV

XXXVI

XXXVII

XXXVIII

XXXIX

XXXX

XXXXI

XXXXII

XXXXIII

XXXXIV

XXXXV

XXXXVI

XXXXVII

XXXXVIII

XXXXIX

XXXXX

Zweites Buch - »Sturmbruch«

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

XXII

XXIII

XXIV

XXV

XXVI

XXVII

XXVIII

XXIX

XXX

XXXI

XXXII

XXXIII

XXXIV

XXXV

XXXVI

XXXVII

XXXVIII

XXXIX

XXXX

XXXXI

XXXXII

XXXXIII

XXXXIV

XXXXV

XXXXVI

XXXXVII

XXXXVIII

XXXXIX

XXXXX

Drittes Buch - »Lieder eines Schwertschmieds«

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

XXII

XXIII

XXIV

XXV

XXVI

XXVII

XXVIII

XXIX

XXX

XXXI

XXXII

XXXIII

XXXIV

XXXV

XXXVI

XXXVII

XXXVIII

XXXIX

XXXX

XXXXI

XXXXII

XXXXIII

XXXXIV

XXXXV

XXXXVI

XXXXVII

XXXXVIII

XXXXIX

XXXXX

Viertes Buch - »Herzblut«

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

XXII

XXIII

XXIV

XXV

XXVI

XXVII

XXVIII

XXIX

XXX

XXXI

XXXII

XXXIII

XXXIV

XXXV

XXXVI

XXXVII

XXXVIII

XXXIX

XXXX

XXXXI

XXXXII

XXXXIII

XXXXIV

XXXXV

XXXXVI

XXXXVII

XXXXVIII

XXXXIX

XXXXX

Fünftes Buch - »Tor auf!«

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

XXII

XXIII

XXIV

XXV

XXVI

XXVII

XXVIII

XXIX

XXX

XXXI

XXXII

XXXIII

XXXIV

XXXV

XXXVI

XXXVII

XXXVIII

XXXIX

XXXX

XXXXI

XXXXII

XXXXIII

XXXXIV

XXXXV

XXXXVI

XXXXVII

XXXXVIII

XXXXIX

XXXXX

Jost Seyfried, C. Flaischlen

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849612757

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Vorvermerk

Dieses Buch will einen Menschen auf seinem Wege begleiten, der da auszog: ›Dichter zu werden‹, und will eine Zeitlang mit ihm gehen durch seinen Kampf mit sich und mit der Außenwelt um Durchsetzung seines Lebensglaubens und durch seine Wandlungen in der für jeden Schaffenden so kritischen Zeit zwischen Dreißig und Vierzig.

Der erste Entwurf stammt aus dem Jahre 1892. Die Ausführung war für die Bühne gedacht und sollte den Gedankenkreis schließen, aus dem ›Toni Stürmer‹ und ›Martin Lehnhardt‹ entstanden waren.

Alle drei Stücke zusammen sollten eine Art gedanklicher Trilogie geben, unter dem Gesamttitel: ›Zwischen Charfreitag und Ostern. Die Not unserer Jugend‹.

Ihren gemeinsamen inneren Kern bildete der Zwiespalt, in den man sich geworfen sieht, wenn man aus der Heimat in das Leben kommt ... und der schließliche Niederbruch unserer Jugendwelt mit ihren allzu idealisierenden Anschauungen im Ringen mit den entgegengesetzten der Wirklichkeit.

Jedes der drei Stücke sollte, in sich selbständig und unabhängig, jeweils eine der drei Seiten dieses Kampfes auslösen, die mir besonders entscheidend schienen ...

alle drei zusammen jedoch, in ihrem Schlußpunkt, sozusagen nur ein und denselben Menschen zeigen: den Menschen unserer Jugend, nur in getrennten Gestalten ...

wie auch im wirklichen Leben sich ja wohl jeder, sei es früher oder später, in dieser oder jener Weise durch alle diese Kämpfe mit der Großstadt: Welt durchzukämpfen hat, und ob er nun Gelehrter, Pfarrer, Dichter oder anderes werden wollte oder geworden ist.

Die Seele lebt im letzten Grunde immer und in jedem das gleiche Leben, wenn auch auf verschiedener Höhe.

Es kam damals aber nicht dazu, den begonnenen Entwurf weiterzuführen. Um jedoch, was ich wollte, festzuhalten und den Boden vorzupflügen, entstand 1895 die novellistische Studie ›Flügelmüde‹.

Man hängt an liebgewordenen Gedanken, und sie selbst hängen einem ihrerseits an. Neue Gewichtspunkte verbinden sich mit ihnen, sie gestalten sich um, klären sich durch und drängen mit lösenderen Worten, mit bestimmteren Formen, mit weiter auslegenden Linien immer aufs neue in den Weg, und so nahm ich eine Reihe von Jahren später den Plan wieder auf.

Das Ganze war inzwischen freilich mehr und mehr über den ursprünglich szenisch gedachten Rahmen hinausgewachsen.

Auch schien es mir schöner, für das, was nun daraus geworden war, eine eigene Form zu schaffen, zumal ich Dinge, die ich für wertvoll und notwendig erachtete, nicht den Forderungen opfern mochte, die man heute als unanfechtbar feste Gesetze für die Bühne ansieht.

›Jost Seyfried‹ führt auf seine Art nun weiter, was meine beiden Gedichtsammlungen ›Von Alltag und Sonne‹ und ›Aus den Lehr- und Wanderjahren des Lebens‹ anstreben. Er ergänzt sie in seinem Zielpunkt, wie er in seinem Ausgangspunkt auf die erwähnten dramatischen Werke zurückgreift.

Es wäre mein Wunsch gewesen, den Druck so zu sehen, wie das ganze gedacht und entstanden ist, und zwar: daß jedes Stück mit einer besonderen Seite begonnen hätte, da der fortlaufende Druck einzelnes mitunter zu nahe zusammenbringt, seine Selbständigkeit verschiebt und Beziehungen in den Vordergrund spinnt, die mehr im Hintergrund liegen sollten ... um den äußeren Umfang jedoch nicht übermäßig auszudehnen, schien es ratsamer, hiervon abzusehen.

Berlin, 12. Mai 1904. Cäsar Flaischlen.

Ich möchte nicht bloß gelesen sein und dann vergessen wo im Schranke gleichgültig zwischen Fremdem stehn!

ich möchte euch im Herzen klingen, ich möchte immer mit euch gehn und um euch sein, tagaus, tagein! ich möcht euch trösten, seid ihr traurig, und seid ihr froh, mich mit euch freun!

Aus einem alten Familienbuch

Erstes Buch - »Sprüche eines Steinklopfers«

Ja, was willst du denn?! wie denkst du dir die Welt?! Allein, auf die eigene Kraft nur gestellt dein eigener Zähler, dein eigener Nenner, ohne Freunde, die den Rücken dir decken, bei ärmlichstem Neid an allen Ecken, ohne Vettern, ohne Gönner, ohne Namen, ohne Geld ... allein, auf die eigene Kraft nur gestellt ... ja, wie denkst du dir die Welt!?

»Doch ... nur Groll nicht und Hassen Herr werden lassen! Es ist so wenig, was das Leben gibt, es ist so viel, was jeden Tag zerstiebt ... such lieber zu fassen, wo es dich liebt!«

[I]

O nur ein paar Tage nun, Liebste, so köstliche Sonne, so strahlenden Himmel, so lockende Luft ... und alle Brunnen beginnen zu springen, und alle Gärten beginnen zu singen, alle Farben beginnen zu glühn, und alle Harfen fangen an zu klingen, und alle Herzen fangen an zu blühn ...

Frühlingsverse ... mitten im Winter! ... aber es ist vielleicht das Beste, das man hat, gleich so töricht werden zu können, wenn einmal ein bißchen Sonne durchkommt!

Wenn ich gewußt, wo dich finden, hätt ich dir sogar ein paar Veilchen gebracht.

Sonst war nichts. Eine kurze Karte von der Mutter: auch dieser Winter müsse ja wohl einmal ein Ende nehmen! Wie es gehe? und viele Grüße! auch von Helmut!

Seit die Sonne wieder weg, ist alles freilich wie immer: man fühlt Armeen in der Faust und steht wie ein Betteljunge vor dem Leben ... selig ein paar elende Abfälle zu erwischen!

Dieses ewige Zersplittern und Zerreiben mit Artikelschreiben! und dieses Feilschen-müssen um halbe Pfennige!

Und seit du die Abendstunden bei Dreiwegs angenommen hast, hat man vollends nichts mehr!

Fünfzig Mark monatlich!

Gewiß! gewiß! ... aber ... unsere ganze Freude! alles, was wir hatten! unsere Quellen! unsere Kraft, den ganzen Sinn unseres Daseins ... für fünfzig Mark!!

Wir haben lange genug darüber geredet, ich weiß, ich weiß! wir vertrösteten uns: es sei ja nur für den Winter und wir hätten Frühling und Sommer dafür dann um so schöner! wir wollten vernünftig sein ... und stark! ja ja! vernünftig!! vernünftig!!!

O wenn ich doch einmal so vernünftig sein dürfte: nicht mehr so ›vernünftig‹ zu sein! wenn ich doch einmal den Mut fände, alle Einwände und Bedenken über den Haufen zu lachen und keine Brücken mehr zu suchen, um über den Bach zu kommen ... sondern dich auf den Arm zu nehmen und durchzuwaten!

Es gibt ja doch Menschen, die in ihrem gesamten Dasein nicht ein Mal so ›vernünftig‹ sind, wie wir tagaus tagein ... und denen alles trotzdem dreimal besser glückt als uns! wie machen sies? wie fangen sie das an?!

Es ist besser, sagen wir, erst aufzuräumen und sauberen Tisch zu machen ... und die Hände frei zu kriegen ... wir haben dann den Frühling dafür und den Sommer! gewiß! doch wenn es Frühling und Sommer wird, räumen wir immer noch auf ... immer neuen Kram! und vertrösten uns auf den Herbst! und vom Herbst wieder auf den Frühling ... und so betrügen wir uns das ganze Leben entlang!

Es ist die Schwere unserer eigenen Seele, Hannie, die uns so zu Boden bindet!

II

Von Hannie

Aber Jost! Liebster! Herzliebster! wozu das alles wieder! du machst dir nur das Herz schwer und mir mit!

Wir müssen unser Leben nun doch einmal nehmen, wie es ist! und wenn wir weiter wollen, müssen wir nun einmal erst das Geröll bei Seite schaffen, das uns den Weg verschüttet! sind wir auf der Höhe, ist die Bahn frei!

Lach lieber! es dankt es dir kein Mensch, wenn du nicht lachst! du selber nicht!

Und ... weißt du: ich glaube, die andern haben auch nicht mehr! man vergleicht zu viel von der Straße aus! ich glaube, es ist alles nur, wie du immer sagst: der eine wohnt im ersten, der zweite im zweiten, der dritte im dritten Stock und der vierte im vierten. Aber was in den Zimmern steht und was die Menschen darin leben, ist im Grund immer das gleiche. Tisch bleibt Tisch, und Stuhl Stuhl! und ob es sich in dem einen ein bißchen bequemer sitzt als in dem andern, ist am Ende Nebensache! man kann doch nicht den ganzen Tag darin sitzen! und die Ersten-Stock-Menschen haben ebenso ihr Geröll bei Seite zu schaffen und müssen ebenso ›vernünftig‹ sein wie wir!

Sei nicht so mutlos! Ein großes Ziel ergeht sich nur, erstürzen kannst dus nicht!

Und wir sind ja noch so jung! Man fängt ja doch eigentlich erst an mit Dreißig!

Vorher ist alles nur ein Hin- und Hersuchen und Probieren und Punkte-abstecken!

Lach, Liebster, lach! du hast es mich gelehrt, ich wills dich wieder lehren!

III

Ja ja! es ist ein ewiges über Gestrüpp und Zaun und Hecken Klettern-müssen und ...

Glauben haben an das, was über den Bergen liegt, ist alles! ... aber:

Man muß es jung zu was bringen, sonst bringt mans überhaupt zu nichts! man muß im Frühling siegen, wenn man siegen will! so lange man noch Glauben hat!

Später ... siegt man nicht mehr! später ... läßt man den Dingen ihren Lauf und sagt: es geht auch so!

Nur ... jung auf den Thron kommen, ist schön!

IV

Es ist wieder wunderherrlich! die Sonne flittert auf meinem Schreibtisch hin und her, neugierig wie ein kleines Mädchen ... und deine Schwarzwälderuhr tickt: Hab Mut! hab Mut! 's wird gut! 's wird gut! und ich sitze und freue mich und lerne lachen und denke an meine Liebste und grüße dich!

Bloß wollen, was man kann, ist Handwerkerei!

Können, was man will! da liegts!

Aber die Sonne muß scheinen!

Das Klingeln draußen hört heute wieder kaum auf! doch immer Leute, denen man helfen soll! niemand, der einem selber einmal hülfe! Und

du

stehst nie da!

und ich hätte so Sehnsucht,

dir über das Haar zu streichen ... und dir in die Augen zu kucken und dich zu küssen! Nicht auf den Mund: nein, nein! nur auf die Stirne! nur auf die Hände!

und ganz still mich zu deinen Füßen zu legen, wie dein alter Bernhardiner und dir zuzusehen ...

wie man als Junge auf der Wiese oder im Wald lag und einer Quelle oder einem Bach zusah: wie es aufperlte und rann und rieselte ...

oder den Baumwipfeln, wie sie im Sommerwind sich hin und herbogen ...

oder den Wolken, wie sie über das Tal hinzogen, still und weiß!

Eine Frage, Liebste ... so klein, daß man darüber lachen kann, und doch so groß, daß man ganze Bücher darüber schreiben könnte:

was ist klüger: wie ein Kind die besten Bissen bis zuletzt aufzuheben?

oder: sie zu nehmen, wie sie kommen?

Ich weiß es nicht!

V

Gestern war der junge Dichter da ... der vorige Woche die Manuskripte geschickt hatte. Einundzwanzig ganze Jahre!

Ob ich Zeit gehabt? obs was sei? mein Urteil entscheide sein Schicksal! Seine Familie sei natürlich dagegen, und er selber könne vorläufig auch noch nichts Greifbares aufweisen, aber ...

wie man selber einmal redete! Wort für Wort!

Weiß Gott, ich möchte gerne helfen, wenn jemand so kommt und Rat möchte ... ich weiß, wie froh ich selber an einem freundlichen Wort gewesen wäre! und wie dankbar, selbst für den kleinsten Fingerzeig!

Ich hab alles immer selber finden müssen und mir überall immer erst den Kopf einrennen ... und bis auf dich und Helmut hat mir eigentlich kein Mensch auch nur einen Buchstaben weit geholfen ... und gerade in Zeiten der Entscheidung. Aber es war vielleicht ganz gut! ... die Leute raten immer rückwärts, anstatt vorwärts, auch wo sie selber sagen müßten, daß ein Rückwärts kaum mehr möglich! Sie raten immer von ihrem Standpunkt aus, anstatt von dem Punkt aus, auf dem man selber steht.

Doch ... was soll man sagen?! Was heißt Talent? was ist aus einer Handvoll Papier mit Versen oder Novellen viel zu sehen?!

Was er geschickt hatte, war, wie dergleichen immer ist. Es war gut, wenn er in einem Jahr was Besseres macht! es war schlecht, wenn er in einem Jahr nichts Besseres macht!

Es war, wie man eben anfängt! wie vielleicht auch Goethe angefangen! wie ein Kind anfängt, Mensch zu werden, mit bruchstückhaftem Wiedergeben irgendwo gehörter Dinge.

Aber so ein junger Mensch will eine Antwort, an die er sich halten kann. Was soll man da sagen? Soll man sagen: Sieh mal: Verse, wie der und der und der sie macht ... das muß man nachgerade können! das ist heute einfach Voraussetzung! und was du gemacht hast, ist ganz viel für den Anfang, aber ... aber ... was denkst du dir? wo willst du hin? willst du ... Schriftsteller werden oder Dichter? Du meinst, das sei dasselbe! und Schriftsteller nur allgemeine Bezeichnung für Adreßbuch und Steuererklärung, ein harmloserer Ausdruck für etwas, das ... na ja!

aber das ist falsch!

ich habe Jahre gebraucht, bis ich es auseinander halten lernte, und ich kann es stellenweise heute noch nicht ... und dabei ist Schriftsteller und Dichter so zweierlei wie Maurermeister und Baumeister oder Marmor und Marmorstuck!

Oder soll man brutal sein: wie steht es denn? Hast du so viel Geld, daß du zur Not davon leben kannst, sind alle andern Fragen zunächst Nebensache! Hast du das nicht ... dann ...

ja, dann laß es lieber bleiben!

dann werde lieber überhaupt nichts!

wer heute den Ehrgeiz hat, etwas Besonderes werden zu wollen, einerlei was, muß zuerst den Ehrgeiz haben, über so viel Geld verfügen zu können, daß er tun und lassen kann, was er will, und warten bis man zu ihm kommt! Ob ers erbt, erjobbert oder pumpt, ist gleichgültig! nur haben muß ers!

Die Hauptfrage ist fast selbstverständlich immer: ob man mehr Talent für Lyrisches oder für Dramatisches oder Novellistisches habe?

Schon als Junge aber schien mir eine solche Frage sinnlos ... und diese Scheidung ist immer noch sakrosanktes Dogma!

Ich glaube nicht an spezialisiertes Dichtertum! ich glaube nicht an verschiedenartig angeborene Begabungen! ich glaube nicht an naturgetrennte Talente!

Der liebe Gott ist kein Apotheker! der liebe Gott ist Künstler! und macht aus dem Vollen, was er macht!

Ich glaube an gar nichts als an die Kinderstube, in der einer aufwächst, und an den Willen, den man als Gehirn mitbekommt!

Und wenn hundert und tausend Sach-und Fachverständige kommen und es hundert- und tausendmal besser wissen ...

es ist doch so! der liebe Gott stammt aus einer Zeit, in der es noch keine Spezialisten gab! und ist Künstler und nicht Sachverständiger und Fachmann, Gott sei Dank!

und das ist das Ur-Göttliche an ihm!

›Man hat es oder hat es nicht!‹

Entweder: es kann einer reiten, und dann kann er es ebenso gut auf einem Rappen als auf einem Schimmel und lernt es auch auf einem Maultier ...

oder:

es kann einer nicht reiten, und dann bricht er sich auf einem Schaukelpferd das Genick!

Und wenn einer wissen will: ob er Talent habe? ob er was könne? quäl ihn nicht mit Zweifeln und Bedenklichkeiten, sondern frag ihn einfach:

was er damit mache, wenn er auf der Straße einen Bierflaschenverschluß finde? ob er sich zutraue, eine Dampfmaschine daraus zu machen?! Sieht er dich dumm an, so nimm ihm das nicht übel! aber er soll dann auch sein Dichten- oder Musikmachen- oder Malen-wollen bleiben lassen!

Sagt er ja, mag er versuchen, obs ihm glückt!

Goethe konnt es!

und konnt es ... obschon es damals noch gar keine Dampfmaschinen gab!

VI

Von Hannie

Heute Nachmittag war Hella bei mir zum Kaffee. Mit drei prachtvollen Marschall-Niel-Rosen und mit einer kleinen Vase von ihrer Mutter!

Sie wollte gerne meine Wohnung sehen ... und war begeistert. So möchte sies auch haben! das sei schon lange ihr Traum! ... und dabei hat sie es dreimal schöner und besser!

Sie staunte über meine vielen Bücher ... und wollte gar nicht mehr von unserem Fensterplatz weg.

Es ist ein prächtiges Mädel ... so gar nicht Berlin. Du solltest sie wirklich kennen lernen. Du hättest Freude an ihr!

Es ist was Köstliches, um solch aufwachende Menschenseele! dieses durstige Wissen-wollen und dieses selige Sich-Blenden-lassen-können von jedem schönen Schein!

Das Bild von dir, das du damals für den Vater eingerahmt, hab ich ruhig hängen lassen! die anderen habe ich weggetan!

Wir spielten dann noch eine Zeitlang vierhändig, bis ich wieder weg mußte.

Ob sie wiederkommen dürfe? Es sei zu schön und zu gemütlich hier! so ganz anders, als bei ihren Freundinnen: das sei alles nur Flitterkram! und sie habe mich so gerne! ich sei so klug!

Übrigens ... Recht gegeben hab ich dir ja immer! ... aber empfunden hab ichs heute sozusagen zum ersten Mal, Hella gegenüber:

was du meinst, wenn du sagst: Hauptsache bei einer Frau sei: daß sie gutes Wachs wäre! nicht zu weich und nicht zu hart!

Es ist vielleicht überhaupt Hauptsache!

Und dann kam noch ein Brief von deiner Mutter. Ich hab ihn in meiner Schulschublade liegen lassen! Verzeih!

Wir hätten so lange nichts von uns hören lassen! sie würde sich so freuen, wenn es dir endlich mit etwas glückte!

und ob du nicht kommen könntest dieses Jahr? die Menschen dort nähmen alles so ernst und schwer und niemand wolle mit ihr lachen!

und ob wir wieder Backwerk haben möchten?

Mir ist immer, als ob es meine eigene Mutter wäre. Ich habe die meine ja kaum gekannt. Auch wenn sie nicht mehr so kann, wie sie wohl möchte. Es ist ein stiller, fester Punkt in all dem Geschiebe.

Ich sehe sie immer noch, wie wir damals ankamen, in dem großen Stuhl, am Fenster mit den Blumen, und wie sie mir die Hand gab: So also siehst du aus?! und wie sie mich dann küßte ... daß all die Angst weg war, die mir das Herz zugeschnürt hatte.

Wir müssen wieder einmal hin ... im Sommer! was meinst du? all die Tage war eine Sehnsucht nach ihr um mich herum. Ich schreibe ihr gleich heute Nacht noch:

Du seiest vergnügt und ich auch! und es gehe gut und aufwärts!

Und dahin müssen wir es bringen, Liebster, daß sie deiner Mutter einmal ein Denkmal setzen wie in Frankfurt der Frau Rat! du brauchst keines!

Tausend Grüße und Küsse.

VII

Ich hätte Lust, mich einmal an einen Roman zu versuchen! Was meinst du?

Mit der Übersetzung für Imhof bin ich allmählich zur Hälfte durch. Es ist eine Pferdearbeit. Und ob mit ›Herzblut‹ noch viel zu wollen ist, wird mir immer zweifelhafter. Ich fürchte nur: ich komme nicht darüber weg und es bleibt mir wie ein wüstes Bergsturzfeld im Leben liegen.

Bloß ein Buch zu machen freilich, wie es alle können, ist ein kümmerliches Vergnügen.

Unser ganzer Roman von heute ist überhaupt kaum mehr ernst zu nehmen. Er ist längst bloßes Handwerk geworden und hat so wenig mehr mit Kunst zu tun, wie ein modernes Mietshaus. Man hat sich daran gewöhnt und denkt, es müsse so sein. Gewiß, aber ...

seine ganze Form und Technik, seine ganze Art hat sich innerlich längst so überlebt und erledigt, wie die alte Landpost von Thurn und Taxis! Mumie! Ins Museum damit! und in die Leihbibliotheken!

Hundertfünfzig Jahre sind ja auch ein aller Ehren wertes Alter! aber nur Lebendiges schafft Leben!

Du hast immer Angst, wenn ich so etwas sage!

Doch, was soll diese uferlose Breimacherei um die willkürlichsten, äußerlichsten und nebensächlichsten Dinge?! was sollen all diese ...

ausführlichen Schilderungen seltener Landschaften und merkwürdiger Begebenheiten! und ... als ob alles für kleine Kinder wäre, denen Punkt für Punkt immer erst erklärt werden müsse! Weiß der Himmel, wer in seinem Leben niemals einen grünen Esel mit roten Flügeln gesehen hat, wird sich trotz spannendster Darstellung kein Bild von ihm machen können!

Der Mensch ist die Hauptsache und am Menschen wieder seine Seele! nicht der Kram um ihn herum!

Doch es kommt eben ganz darauf an: was einem wertvoller scheint: Einer oder Auch-einer zu sein?!

und was einem mehr Spaß macht: in ausgetretenem Mietshaus zu wohnen und mit Hinz und Kunz und Hans und Gans zusammen Feste zu feiern oder auszuziehen und sich eigenen Grund und Boden wo zu schaffen und zu versuchen: selbst zu bauen!

VIII

Schwarzer Schnee wieder auf den Dächern ... graugrauer Himmel von früh bis Abend ... nirgendwo ein Tropfen Sonne ... nirgendwo ein froher Klang ... und die Tage so kurz und die Nächte so lang! und der Frühling so weit ... und nirgends ein Ende und nichts, drauf man sich freuen könnte!

Schwarzer Schnee auf allen Dächern ...graugrauer Himmel von früh bis Abend ... nirgendwo ein Tropfen Sonne ... nirgendwo ein froher Klang!

IX

Von Hannie

Himmele grau! . ach ja! . und wenn es noch lange so bleibt, kann ich auch nicht mehr!

und ich hätte mich so freuen können, wenn es wieder ein bißchen hell gewesen. Ich war eingeschlafen gestern, so als ob beim Aufwachen heute die Sonne scheinen müsse oder als ob irgend etwas Schönes auf dem Tisch läge, wenn ich ins Zimmer käme ... aber deine Verse waren das einzige und ein Guten-Morgen-Triller-Liedchen unseres Dompfaffs!

Himmele grau! ...

beim Frühstück fiel mir ein, wie du mir einmal erzähltest, du habest nie im Dunkeln einschlafen wollen als Kind, es hätte immer Licht sein müssen! oder es hätte jemand da sein müssen und ...

eines Abends einmal hättest du durchaus aufstehen wollen und Adda gehen und so lange gequält, bis man dich ans Fenster getragen. Du hättest dann hinausgeguckt, aber höchst enttäuscht den Kopf geschüttelt: ›Himmele grau!‹ und zu weinen angefangen ... ›Baba gehen!‹

Addio! Schule gehen!

X

Himmele grau! ja ja! ja ja!

ich muß Sonne haben! ich hab immer Sonne haben müssen! trotz aller Sehnsucht aber geht es mir eigentlich heute noch so ...

jeden Tag! so oft ...

ich wo ein Fenster aufmache:

Himmele grau!!

Man ist im Grunde freilich bloß selber daran schuld!

Man kommt immer und ewig mit Voraussetzungen und Forderungen und will Dinge und Menschen, wie sie gar nicht sein können und wie sie nie gewesen sind, so lange die Welt steht ... und ist dann ... enttäuscht!!

Warum lernt man nicht endlich, sich auf das Wirkliche einzustellen! und sich an dem, was möglich ist, zu freuen!

alt genug wäre man wahrhaftig dazu!

Wer bei Nacht Sonne will, ist ein Kind!

Wir könnten das allmählich wiesen und lassen dennoch immer und überall wieder den Kopf hängen und jammern! wozu?

Es kann nicht immer gut Wetter sein,

es muß auch regnen zwischenhinein!

Man verklärt zu viel! und

belügt sich damit und läßt sich belügen!

unsere Wünsche belügen uns!

unsere Bücher!

unsere Kunst!

Wir müssen realer werden! wirklichkeitsmöglicher! von Uranfang an!

Seifenblasen sind Seifenblasen und können nur Sekunden dauern! warum sind wir unglücklich, wenn sie zerplatzen? anstatt uns zu freuen, so lange sie leuchten!

Die Welt ist, wie sie ist! die Menschen sind keine Engel! Könige liegen nicht mit der Krone im Bett! Warum begreifen wir das noch immer nicht?!

Es ist kein Verzicht: Grenzen zu erkennen und sich auf das, was möglich ist, zu beschränken! Im Gegenteil!

Luftschlösser bauen ist keine Kunst!

aber ein Haus, das auf der Erde steht, fest und froh! und war es noch so klein und bescheiden!

Darin ... werde Meister!

XI

Ich glaube, das ist die ganze Not:

wir messen unsere Träume an dem zu kurzen Maßstab der Wirklichkeit

und die Wirklichkeit an dem zu großen unserer Träume!

XII

Meine Streichholzzeit fiel mir heute ein, ich weiß nicht, wie so! das halbe Jahr bei Erdmannsdörfer! Eine arge Dummheit! wie alles, das man nicht durchführt! aber ...

Was hat man seiner Kunst nicht alles schon zu Liebe getan! mein Gott!

und du mit! und vielleicht noch mehr, als ich selber!

was haben wir ihr nicht schon für Opfer gebracht!

jahraus, jahrein!

bei hundert und tausend unscheinbaren kleinen Dingen!

Alles, wonach man sich sehnte, hat man vertagt und immer wieder vertagt! noch nicht! später! auf alles, was einem Freude gemacht, verzichtet und immer wieder verzichtet! noch nicht! später!

Das ganze Leben hat man sich verpfuscht!

und was hat man dafür gehabt?!

und was wird man dafür haben?!

›Ein berühmter Mann zu werden‹!

Vielleicht! wenn man lange genug Geduld hat! Doch: ob das am Ende nicht das allertörichteste aller Truggebilde ist?!

Imhof will seine Übersetzung zum 1. Juli. Er soll sie am 1. Juni haben. Ich bin selber froh, wenn ich damit fertig.

XIII

Große Gesellschaft bei Försters.

Merkwürdig ...

es sind drei ganz verschiedene Welten, in denen ich hier lebe. Drei große Kreise.

In dem einen kennt man mich gewissermaßen nur als Freund ... in dem andern gelte ich als Dichter ... im dritten als einstiger Schriftleiter!

Juppe, Gehrock, Frack!

Manchmal lach ich darüber, manchmal stimmt es mich auch traurig!

Im Grunde sitz ich überall immer zwischen allen Stühlen! und wenn man frägt: was ich sei? welchen Beruf ich hätte? ... ja, was bin ich eigentlich?! ich weiß es nicht! ... Nichts!! nichts bin ich!

Ich war ... Pfarrer, wenn man so will, und bins nicht mehr!

ich war Buchhändler und bins nicht mehr!

ich war Philologe und bins nicht mehr!

ich war Schriftleiter und bins nicht mehr!

Streichholzkorrespondent! Theaterbesprecher!

ich war, was ihr wollt, und bins nicht mehr! ... ich ... ich bin ... Mensch und ... heiße Jost und ... Seyfried ...

und lebe von meinen ... Renten!

und in stillen Stunden habe ich mitunter den verwegenen Wunsch, ganz am Ende:

es unserem Herrgott nachzutun und mir eine Welt zu schaffen im Kleinen, nach meinem Herzen, und mit Menschen darin, die alles waren, was man sein kann, und nichts mehr sind, als eben Menschen.

XIV

Es wird nun doch Frühling! es wird nun doch Frühling!

Warm und die Luft so wunderbar weich und weiß, und der ganze Himmel so licht, so tief, so weit, und die Sonne zwischen großen und kleinen balligen Wolken so treu, so gut und gütig, wie ein altes liebes Großmütterchen, das alles erlebt hat, was zu erleben ist ... mit stillen heiteren Augen heruntergrüßend zu ihrer Erde ...

Ich sitze am Fenster und lasse sie mir ins Gesicht scheinen und über die Hände ...

weder Mensch noch Schriftsteller noch Dichter noch sonst was ... nur ein Blumenkern in der Erde, der den Frühling spürt und zu quellen und zu schwellen anfängt und Luft und Licht und Sonne entgegen will!

Und draußen überall heimliches Lachen und Seligkeit, und Jung und Alt in blitzblank weißen Kleidern mit bunten Bändern und lustig hellen Hüten auf dem Kopf ...

Woher haben sie das alles so schnell?

haben sie alle auch nur gewartet wie wir?!

O wie froh es macht, diese Frühlingsfröhlichkeit und diese weißen Kleider überall!

Und nun ist sie plötzlich wieder weg und verschwunden ... hinter Wolken ...

wie die Mutter zu Hause ... wenn junges Volk da war ...

wenn sie ein Stündchen mit uns geplaudert hatte, nahm sie mich in eine Ecke: es wird mir zu viel, weißt du! ich gehe jetzt! ich wollte ja bloß sehen, ob ihr vergnügt seid!

XV

Wann werden wir wohl einmal unsere weißen Kleider antun dürfen, Hannie?

Wozu lebt man?!

Hundert Jahre habe ich dich nicht gesehen! hundert Jahre habe ich deine Stimme nicht gehört! hundert Jahre habe ich deine Hand nicht in der meinen gehabt!

wozu lebt man ... wenn man immer und immer auf alles und alles verzichten soll?!

Wenn wir Könige wären, die da sonst hätten, was ihr Herz begehrt ... Könige können auf viel verzichten!

aber wir? es ist unser alles! unsere Krone!

Ich weiß kaum mehr, wie du aussiehst!

wie geht es dir? was treibst du? was machst du? lachst du? oder bist du traurig?

ich möchte deine Stimme wieder einmal hören! ich möchte deine Hand wieder einmal in der meinen haben!

mir ist, als wärest du bloß ein Traum!

Ich habe Sehnsucht zu dir, wie ein müdes Kind zu seiner Mutter, und Heimweh, wie man in der Fremde Heimweh nach der Heimat hat!

Es ist ja alles Fremde!

wo ich gehe und wo ich stehe und wohin ich sehe!

was soll ich mit meinem Herz voll Sonnenfreude zwischen allen diesen kalten Menschen?!

was soll ich mit ihrer Welt voll Sorge, Not und Zweifel und Bedenken und Kleinlichkeiten?!

Ich möchte fröhlich sein und singen und lachen, und sie drohen mit der Faust: wie kannst du lachen, wo so viel Jammer um dich her!

ich möchte trösten, und sie schreien: nimm uns unsere Not, und wir wollen fröhlich sein!

ich möchte sagen: wollt und versuchts und ihr werdets! und sie höhnen: schaff uns Brot und Vergnügen! und wir sinds!

Nicht einer weiß, wer ich bin!

nicht einer weiß, woher ich komme!

nicht einer weiß, wohin ich gehe!

Ich möchte Schild und Schwert bei Seite stellen, und sie zwingen mich zum Kampf und nennen mich Träumer und Bettler und sehen die Krone nicht, die ich ihnen bringen möchte!

Doch sie haben Recht:

ich bin Träumer! ich bin Bettler!

und du bist es mit, Hannie, und alle, die an die Sonne glauben! und ... wir werden immer Bettler bleiben in dieser Welt!

XVI

Warum sind wir nicht beisammen? warum ... warum ... heiraten wir nicht wie andere ehrenhafte Bürgersleute?! warum haben wir nicht längst geheiratet?!

Weil wir alles immer zu schwer nehmen ... und keinen Mut haben!

weil wir jeder Forderung von außen mehr Berechtigung zuerkennen als uns selbst und dem, das uns heilig, und glauben: das sei stark!

weil wir zum Leben aufsehen, wie zu etwas Großem! wie zu etwas, das über uns steht! und auf den Knieen vor ihm liegen, wie Hörige vor ihrem Herrn! Anstatt ... anstatt:

Warten und Karten über Bord zu werfen und die Anker zu lichten und frisch und fröhlich unserm Glück und unserer guten Sache zu vertrauen!

anstatt ... zu nehmen, was wir wollen! verdient oder unverdient! was man erzwingt, entscheidet!

anstatt ... aufzustehn und zu brechen, was sich nicht biegen lassen will! entweder ... oder! und selbst Herr zu sein: ich habe Recht, nicht du! und ... so will ich und so geschieht!

XVII

Von Hannie

Liebster, herzliebster Jostel! du sollst dir doch nicht diese Sorgen machen. Du hast es mir so oft nun doch versprochen!

Auch unsere Gärten werden blühn!

auch unsere Felder werden noch reifen!

Glaubs doch endlich!

Natürlich wär es schön und niemand wäre seliger als ich! aber, mein Gott, es kann nun doch einmal nicht sein fürs Erste!

und so ins Blaue hinein wie Kinder fröhlichen Herzens fröhliche Dummheiten zu machen ...

dazu sind wir allgemach zu alt geworden, Liebster, da hilft nichts! das ist so!

Sobald fünftausend Mark in der Sparkasse sind, werf ich alles weg und komm und komm!

Wenn wir zehn Jahre jünger wären, ja!

Mit zwanzig-fünfundzwanzig kann man alles wagen! und es glückt auch meist! man ist eben jünger und anspruchsloser!

Mit dreißig-fünfunddreißig trägt alles gleich ein ganz anderes Gesicht:

man ist überlegsamer geworden! hat sich mehr verzweigt und verwurzelt! und nimmt es schwerer, in der Tat! weil man eben ... weniger leicht wurde!

man hat mehr zu hüten und vergeudet sich weniger! man greift nicht mehr so nach den Sternen, wie als Kind! man weiß, es reicht nicht! man übersieht mehr! sich, seine Wünsche, die Welt! und ist haushälterischer!

Nicht, weil man weniger möchte! nein, nein! man will sogar mehr! man ist zehnmal anspruchsvoller und wählerischer ... eben weil man reicher, freier und gesammelter wurde ...

sieh: so, wie wir uns ja auch immer nur lieber haben, von Jahr zu Jahr ...

nicht mehr so waghalsig, nicht mehr so blind stürmisch wie zuerst und doch ... viel froher, viel stolzer, viel tiefer und verwurzelter!

Also! ... tausend Küsse! und ... mehr Selbstvertrauen! mehr Herr-Bewußtsein!

XVIII

Ja, ja! wenn wir zehn Jahre jünger wären!

da liegts!

Zehn Jahre jünger sein, ist alles!

.......................

Du bist ein liebes kluges tapferes Mädel, Hannie! ich küsse dich und hab dich lieb!

Mehr Herr-Bewußtsein!

ja ja! ja ja!

das ist ein gutes Wort!

mehr Herr-Bewußtsein!

der Hausknecht in uns ist unser ganzes Elend!

Diesen Hausknecht tot schlagen können, wäre zehn Jahre jünger werden!

XIX

Hast du vielleicht Verdruß gehabt irgendwo? Meine Barometer und Seismographen sind so sonderbar unruhig seit ein paar Tagen! Oder sollte mit der Mutter etwas los sein? oder mit Helmut? oder mit Hiesel Heinz?

Du schüttelst immer den Kopf, wenn ich dergleichen sage, aber

ich glaube nachgerade doch immer mehr, daß die Menschen viel enger zusammenhängen und weit unmittelbarer miteinander leben, durch jede Ferne hindurch, als unser armseliger Verstand uns erkennen und begreifen läßt ...

ganz stofflich!

All die Rätsel und Wunder sind ja Rätsel und Wunder nur in Folge unserer Unzulänglichkeit, und alles wäre höchst einfach und natürlich,

und trotzdem noch viel wunderbarer,

wenn wir die Lösung hätten!

Aber: es ist zu laut geworden in der Welt, und es wird immer lauter, und man verliert sich immer mehr an all dem Lärm ob Äußerlichkeiten und findet immer weniger Ruhe:

den stillen Strömen zu lauschen, die in der Tiefe unseres Lebens gehen, und auf die Wunderwelt, durch die sie führen, jenseit des groben Scheins der Dinge, mit dem wir uns genügen müssen!

Vielleicht aber findet der Mensch doch eines Tages noch das Wort, das die verschlossenen Türen öffnet ...

in einer Zeit, in der er aus dem Lärm der Täler sich hinausgerungen endlich auf die Berge!

XX

Ich küsse dich und sag dir guten Morgen! Wie hast du geschlafen? was hast du geträumt?

Wie ferne Musik klingt es noch um mich her und mir ist, als säßen wir immer noch am ›großen Fenster‹ in den Dünen und du lachtest: guck, die vielen Schwalben! und wie herrlich grün schon alles wieder!

und als horchten wir auf das breite Rauschen der Wipfel über uns und schritten am Waldsaum hin ...

die Havel zu Füßen, mit ihren Kähnen, weit und offen ... und der ganze Himmel ein einziges flammendes Abendrot ...

und hinter uns, schwarz und brausend der Wald, durch den wir uns durchgesucht ... ans ... Meer!

und hinter dem Wald die Stadt ... der wir entronnen! ...

Tausend Grüße! tausend Küsse! und hat man auch nur alle vier Wochen einmal ein paar solche Stunden ... man fühlt wieder Leben! Liebe! Freude! man ist wieder jung und hat wieder Flügel!

Wer nichts hineinfühlen kann freilich in diese stillen märkischen Landschaften, wird auch nichts herausfühlen!

wie bei allem!

Wer Stein ist, dem wird ewig alles Stein sein!

wer nicht klingt, wird nie was klingen machen!

es liegt an dir, an mir, nicht an der Welt!

wer nicht Gott ist, wird Gott nie begreifen!

An Dichtern fehlts nicht ... weder an alten noch an jungen! Es ist wie ein weiter Frühling über der Erde ... aber an Menschen!

an Menschen, die sich mit ihnen freuen wollen, die mitdichten und mitleben, was sie machen, und ... darüber hinausschaffen!

an Menschen, die sich losfinden können aus ihren dunkeln Häusern und hinausgehen und sagen zu sich und denen, die um sie sind:

Seht einmal: lauter junges köstliches Leben an allen Enden, frisches Grün und Keime und Knospen! und wie das drängt und treibt und singt und klingt!

Kommt und freut euch dran und singt und klingt mit! es ist alles ja nur für euch! ... und viel wichtiger und nützlicher, als all der Staub und Kram, mit dem ihr tagelang zu Haus euch Mühe macht!

Hierist das Leben!

O es wäre so viel, so viel Freude, so viel Liebe in der Welt, so viel siegende Kraft, daß gar kein Leid aufkäme ...

wenn man den Mut hätte, sie offen zu zeigen!

wenn man sie nicht immer scheu und ängstlich in dunkle Winkel verstecken müßte, vor Neid und Mißgunst, bis sie schließlich versinkt und erstickt wie Glut unter Asche!

O diese ewig schwarzen und grauen Kleider überall!!

XXI

Laß sie reden, Liebste, so viel sie wollen!

Ibsen ... nein, keine Million Schattenmännlein wird seine Sonne in die Tiefe zwingen!

Laß dich nicht irre machen!

Ibsen ... ist Hochgebirge!

Es glückt freilich nur dem, der Glauben hat und ihm entgegengeht und Mühe und Geduld nicht scheut, zu warten und wochen- ja vielleicht monatelang:

seine Firnen nebelfrei und wolkenlos in ihrer Pracht und Klarheit zu erfassen.

Blutlose Schemen! ... mag sein!

Aber diese blutlosen Schemen werden noch leben, wenn die ganze Traraherrlichkeit von heute längst wie ein dorrer Kehrichthaufen hinter den großen Zaun gefegt sein wird!

Ich grüße dich, einsamer König in Thule du!

XXII

Kunst! Kunst! ...

mein Gott, was meinen sie, wenn sie so von ... Kunst reden!

Was ist Kunst?

was sie auf den Theatern spielen? was in Ausstellungen, Museen, Galerien an Bildern hängt? was auf Plätzen und in Gärten und Palästen an Denkmälern steht? was in Opernhäusern und Konzertsälen an Musik gemacht wird? oder was die Tausende von Büchern bringen, die jedes Jahr durch die Buchläden wandern?

Ist es das, was sie meinen? und wenn ...

wozu macht sich der Mensch das alles? wozu erfand er es? was will er damit?

Sie sagen: Kunst müsse sich Selbstzweck sein? Was heißt: sich Selbstzweck sein? Entweder ist alles sich Selbstzweck oder nichts!

Aber sie ereifern sich darüber: Kunst solle nichts sollen! Kunst solle nur sein? Ja, kann denn Etwas sein, ohne etwas zu wollen? und ist ein Wollen ohne Sollen denkbar? Was ist, trägt einem Ziele zu! bewußt oder unbewußt! und was einem Ziele zuträgt, wird die Beziehungen und Bedingungen dieses Zieles in sich haben und diese Beziehungen und Bedingungen sind der Zweck und das Soll, das jeder Sinn sich selber setzt.

Es ist ein ewiger Streit, ob ein Hecht lebendig oder tot mehr wiegt.

Kunst sei Leben, nicht Kunst!

Kunst für das Volk! Kunst für das Haus!

Kunst für die Schule! Kunst für den Alltag!

mein Gott! wollt lieber doch den Alltag endlich für die Kunst! ... Herauf, statt hinunter!

XXIII

Einmal ist Jeder ... Dichter!

aber er bleibt es nicht, wenn nicht jedes neue Buch eine Sprosse höher greift und weiter sieht oder tiefer lotet!

Stehen-bleiben ist Handwerk!

Wir grübeln zu viel und vergrübeln uns immer tiefer in Graben und Gruben!

wir begreifen bloß noch Bäume und keinen Wald mehr! wir sehen bloß noch Lichtspielflecken und keine Sonne!

Was soll das? was schafft das?

was schafft das an dem, das so not täte?!

XXIV

Ich weiß nicht: sollte es wirklich das Höchste und Letzte sein: eine Handvoll Menschen mit irgendwelchem Schicksal möglichst wirklichkeitsmöglich auf die Bühne zu stellen?

Wär es nicht auch ein Ziel: zu versuchen: diese Menschen über ihre Wirklichkeit hinauszutragen zu Höherem?

Wär es nicht auch ein Ziel, und vor dem allem noch: zuerst sich selbst zu einem Menschen zu machen, der der Wirklichkeit gewachsen und über sie hinaus weiß?!

und sich erst dann das Wort zu erlauben?

nicht bloß nachzugestalten, sondern voranzugehen?

Aber ... Mensch und Dichter ist ja ... zweierlei!! ich vergesse das immer wieder!

XXV

Bleib fest! es eilt mit nichts: gut Ding will Weile! nur sei dir klar, wohin du zielst und wisse, ob du Wohnhaus oder Wirtshaus oder Kirche bauen willst! Dann aber weg- und wag-gemut ans Werk von Berg zu Berg!

Und wenn sie kommen und ... sie kommen immer und wissen immer besser, was du sollst, als je du selbst: baust du ein Wohnhaus, wollen sie ein Wirtshaus! baust du ein Wirtshaus, wollen sie eine Kirche! und ihre Gründe o! sind immer gut: für sie ists ein Geschäft, das du bezweckst! für dich ein Teil von dir!

Laß sie und lach! und bau und mach getrost, was du für gut hältst, weiter! nur hüte dich vor Schnörkelei'n! Die großen Linien sind es, die entscheiden! die halte rein!

XXVI

Der liebe Gott ist immer mit den großen Bataillonen! ist das nicht ein prachtvolles Wort?!

ob du wohl herausfindest, von wem es ist!

Der . liebe . Gott . ist . immer . mit . den . großen . Bataillonen!

Aber das eben ist das Trübe!

das man alles immer mit so ganz unzulänglichen Mitteln bewältigen muß ... und unwilligen Menschen gegenüber! Großes wie Kleines!

Doch es wird wohl immer so gewesen sein und wohl immer auch so bleiben:

man wird immer nur Sträflinge haben, um Amerika zu entdecken!

XXVII

Nein, nein, Hannie! sprich nicht von ›selbstverständlich siegender Überlegenheit des Höheren‹! ...

wir lassen uns nur immer wieder Sand in die Augen streuen und täuschen, weil wir ... eben gerne glauben möchten, es sei, wie du sagst: