Kaisermord am Rhein - André Link - E-Book

Kaisermord am Rhein E-Book

André Link

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Beschreibung

Kaum aus dem Perserkrieg zurück, muss Kaiser Severus Alexander gegen die Alamannen ins Feld ziehen. in Mogontiacum (Mainz) schlägt er sein Hauptquartier auf und wartet zunächst ab. Seine Mutter, die den jungen Imperator völlig beherrscht (sie zwang ihn sogar zur Scheidung von seiner geliebten Frau), will, dass die Feinde gewaltsam zurückgedrängt werden, er zieht Verhandlungen vor. Seine aufmüpfigen Legionäre hält er mit Waffenübungen hin und diktiert in der Zwischenzeit seinem Vertrauten und Sekretär Encolpius seine Memoiren, in denen seine Vorgänger aus der Dynastie der Severer, Septimius Severus und Caracalla, als strahlende Vorbilder verklärt werden. Denen kann Alexander trotz aller Bemühungen allerdings nicht das Wasser reichen: Seine eigene Ohnmacht muss der überforderte Herrscher erkennen, als er gezwungen ist, bei einer Inspektionsreise am Limes einen Aufstand der Mithras-Anhänger, die die Garnison in Obernburg in Schutt und Asche gelegt haben, in einem strengen Strafgericht niederzuschlagen. Nach Mogontiacum zurückgekehrt, ist dem jungen Kaiser noch eine kurze Atempause und eine Romanze mit der reizenden keltischen Brötchenverkäuferin Boudica beschieden. Während Alexanders Mutter versucht, den ihr unbequemen Encolpius durch einen Giftanschlag aus dem Weg zu räumen, bahnt sich am Limes das Verhängnis an. Im zur Untätigkeit verurteilten Heer wächst die Unzufriedenheit, der Usurpator Maximinus rückt gegen Alexander vor und eine gewaltvolle Konfrontation erscheint unaufhaltsam. - In seinem neuen Roman skizziert der Autor nicht nur die dramatischen Ereignisse um historische Gestalten der Verfallszeit des Römischen Reiches, sondern entwirft auch ein plastisches Stimmungsbild des Alltags am Rhein- und Main-Limes: Römische und germanische Geschichte nimmt packende Gestalt an.

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Seitenzahl: 201

Veröffentlichungsjahr: 2016

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André Link

Kaisermord am Rhein

Die Erinnerungen des Severus Alexander

© 2016 André Link

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7345-7413-9

Hardcover:

978-3-7345-7414-6

e-Book:

978-3-7345-7415-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

André Link

Kaisermord am Rhein

Die Erinnerungen des Severus Alexander

Roman

„Imperatorem esse fortunae est – Kaiser sein ist Sache des Glücks“

Ausspruch des Kaiser Titus nach der „Historia Augusta“

Erster Teil

Severus Alexander, Italien, September des Jahres 987 nach der Gründung der Stadt (234 nach christlicher Zeitrechnung)

Es ging alles viel zu schnell. Kaum war ich aus dem Zweistromland zurück, wo ich mich körperlich und seelisch aufgerieben hatte, hagelten die Ehrungen auf mich herab. Rom bereitete mir einen Triumph, der eines Julius Caesar würdig gewesen wäre. Die Senatoren, denen ich persische Prunkgewänder und medische Kleinodien zu Füβen legte, überboten sich an Lobhudeleien. Unerschütterlich aber hielt ich den Sprechchören, die mir in der Kurie entgegenbrandeten, meine Rechte entgegen und wies, in meine purpurverbrämte Toga gehüllt, die mir angetragenen Ehrentitel „Parthicus“ und „Persicus“ zurück. Schmeicheleien sind nicht nach meinem Geschmack. Bereits bei meinem Regierungsantritt hatte ich es ablehnt, mich mit den Namen „Antoninus“ und „Alexander der Groβe“ zu schmücken, wie sehr der Senat mich auch bedrängte. Doch wie auch könnte ein Dreizehnjähriger sich solche pompösen Ehrennamen anmaβen? Ein Dreizehnjähriger kann höchstens brav die Antrittsrede hersagen, die ihm seine Mutter und sein Sekretär aufgesetzt haben. Julia Mammaea und Encolpius hatten ganze Arbeit geleistet. Und ihr Musterschüler machte ihnen keine Schande, damals vor zwölf Jahren, als Rom mich zu seinem Kaiser krönte.

Rom jubiliert, denn der persische Feldzug hat seine Kinder reich gemacht. In den Lobeshymnen gehen Stimmen unter, die mir Schwächen in der Kriegsführung vorwerfen mögen. Aber war es meine Schuld, dass sich die Illyrer in den armenischen Steinwüsten Frostbeulen holten und die Isaurer im mesopotamischen Glutofen wie Fliegen eingingen? Mir selbst machte die Ruhr so zu schaffen, dass meine vom Fieber geschwollenen Augen die Lage nicht mehr überschauten. So konnte es geschehen, dass meine drei vorrückenden Heereskolonnen den Zusammenschluss nicht schafften und uns die Perser mit ihren siebenhundert Elefanten und 1800 Sichelstreitwagen überrannten. Aber dem Emporkömmling Ardeschir habe ich es heimgezahlt, dass er das Friedensangebot eines römischen Imperators ausschlug. Wir haben die Scharte ausgewetzt und dem, der sich prahlerisch „König der Könige“ nennt, eine Niederlage beigebracht, die er so bald nicht vergessen wird. Und Rom jubiliert.

In all dem Jubel habe ich die Beute verteilt, die Kriegsgefangenen gegen ehrenvolles Lösegeld entlassen, dem Volk groβzügige Spenden und phantastische Perserspiele versprochen. Eine Ehrenmedaille zeigt mich als Triumphator zwischen Euphrat und Tigris. Ein von vier Schimmeln gezogener Prunkwagen führt mich zum Kapitol. Ursprünglich sollten es Elefanten sein, aber Mutter meinte, das wäre unnötige Protzerei gewesen. So wie sie mir, vielleicht nicht eben zu meinem Vorteil, geraten hatte, mich im Kampf zurückzuhalten, da dies Sache meiner Soldaten wäre.

Aber der Triumph färbt auch auf die Kaiserinmutter ab, die, von ihren mammaeanischen Mädchen umgeben, ihre golddurchwirkte Robe um sich rafft und, jeder Zoll eine Augusta, auf der obersten Stufe des Kapitols steht. Unsere Gedanken gehen an Groβmutter zurück, die uns schon vor Jahren verlassen hat. Diese Apotheose ist auch ihr Werk. Als ich Nachfolger meines Vetters wurde, wischte sie sich die Tränen ab – weinte sie, weil sie eine Tochter und einen Enkel verloren hatte oder weil sie eine Tochter und einen Enkel umjubelt sah? Zwei Enkel unter dem Kaiserlorbeer – Julia Maesa hatte in diesem Leben alles erreicht und konnte sich in Ruhe auf ihre letzten Tage vorbereiten.

Ich bringe das Brandopfer im Tempel des Jupiter Maximus dar, den fünfzehn Jahre zuvor mein gröβenwahnsinniger Vetter mit seinen barbarischen Riten entweihte. Die Menge schreit: „Rom ist wohlauf, der Staat ist wohlauf, weil es Alexander gut geht.“ Vier Stunden dauert das Spektakel. Dann erst darf ich mich, um Atem zu holen, auf den Palatin zurückziehen.

Zum Atemholen hat es allerdings nicht wirklich gereicht. Es blieb mir gerade noch Zeit, Landverteilungen, Konsularauszeichnungen und Dotationen für verdienstvolle Kämpfer anzuordnen, dann musste ich wieder in den Krieg ziehen. Diesmal gegen die Germanen. Der Feldzug duldet keinen Aufschub. Zwischen den Persern und uns stand immer noch das Mittelmeer, aber wenn der Limes zusammenbricht, ist dem Vordringen des Barbarentums keine Grenze gesetzt. Meine erprobten Gold- und Silbergeharnischten stehen zu mir, die Pfeile meiner neu angeworbenen parthischen Bogenschützen sind mir ein Wall. Jupiter, Mars und Minerva mögen mit uns sein.

Encolpius, Mogontiacum, September 987

Das wäre wirklich nicht nötig gewesen. Die persische Kampagne sollte, als Höhepunkt eines Regnums, das beispiellose Friedfertigkeit auszeichnete, sein letzter, einziger Feldzug sein. Und jetzt sitzt er wieder im Sattel, um sich mit Walküren und Wotanwüterichen herumzuschlagen. Ich mit ihm. Ich bin sein Angestellter, und einem kaiserlichen Befehl widersetzt man sich nicht.

Aber wozu bei allen Göttern braucht er im Krieg einen Sekretär? Um die Häupter der gefallenen Barbaren zu zählen? Die Vielzahl der erhofften Trophäen zu messen? Er habe eine Aufgabe für mich, sagte er, als er, von Tausenden von begeisterten Untertanen geleitet, aus Rom auszog.

Und ich fügte mich.

Widerwillig, denn wenn es einen ausgesprochenen Reisemuffel gibt, bin ich es. Kaum sitze ich auf einem Pferd, beginne ich zu schwitzen. Und während ich krampfhaft die Zügel halte, wird mir unter dem dauernden Auf und Ab mulmig im Magen.

Selbst Schöllkraut und Melisse kommen nicht dagegen an. Das Einzige, was ich tun kann, ist, während ich im Sattel schaukele, resigniert Mastix aus Chios zu kauen.

Aber er hatte Erbarmen, denn er ist ja ein gutherziger Mensch. Seine Mutter hätte sich an meinen Qualen geweidet, er gestand mir Reisekomfort zu. Von Augusta Treverorum aus, wo wir uns kurz in den renommierten Thermen erholten, gestattete er mir die bequemere Schiffsfahrt über Mosel und Rhein. Auf Kissen hingestreckt, lauschte ich dem Plätschern der Wellen und dem monotonen Schlag der Ruderknechte, während er sich mit seinen Männern durch eine fürchterliche Wildnis kämpfte, die man "Hunsrück“ nennt. Zwar etwas säumig, aber gut erholt und von Diensteifer erfüllt, traf ich an den Iden des Septembers in Mogontiacum ein.

Severus Alexander, Mogontiacum, September 987

Als mir Heliogabal seine Hassausbrüche ins Gesicht spie, biss ich die Zähne zusammen. Als mich die Senatoren in den Olymp hoben, verzog ich keine Miene. Als mir auf dem Kapitol der Lorbeerkranz aufgesetzt wurde, stand ich aufrecht, ohne mir eine Blöβe zu geben. Aber als wir Rom in Richtung Norden verlieβen und uns über hundert Meilen die Eskorte enthusiastischer Patrioten säumte, standen mir die Tränen in den Augen.

Ein böses Omen? Aber wie könnte das sein, wo ich mich doch anschicke, das vielleicht ruhmreichste Kapitel meiner Lebensgeschichte aufzuschlagen? Das gilt es, adäquat festzuhalten, und dazu brauche ich fremde Hilfe.

Wo aber bleibt die Schnecke von Encolpius? Eine Schlafmütze war er immer, aber dies schlägt dem Fass den Boden aus. Nun, ich werde ihn nicht drängen, darauf pflegen langsame Menschen mit totaler Kopflosigkeit zu reagieren – und das muss nicht sein.

Ich habe ihm eins der schönsten Gemächer bereiten lassen, mit einem Fuβbodenmosaik, das Amor und Psyche zeigt und das man als ausgesprochen kunstvoll bezeichnen kann. Ich selbst begnüge mich mit dem bescheidenen Schlafzimmer, das den Rhein überblickt und ein Mosaik hat, auf dem der Gott Chronos mit seinen Flügeln und seiner Sense zu sehen ist. Dies finde ich meiner imperialen Würde angemessen.

Ungeduldig gehe ich in den Arbeitszimmern auf und ab. Die Rohrfedern sind gespitzt; für die Reinschrift habe ich blütenweiβen Papyrus, einen sinnig verzierten Schreibgriffel aus Elfenbein und Purpurtinte bereitgestellt. Die Fuβböden glühen förmlich, so fieberhaft mühen sich die Sklaven an den Heizöfen ab. Mutter hat zusätzlich Kohlenbecken aufstellen lassen, und sie hat ihre Pelze und Schals aus den Truhen geholt. Gewichtige Draperien hängen von den Fenstern, aber sie können kaum etwas gegen den Moderhauch des feuchten kalten Kastens verrichten. Ich selbst decke mich mit Wickelgamaschen und warmen Unterhosen ein, für den Fall, dass in diesem feuchten kalten Land der Winter früh einbrechen sollte. Wir sind für alles gerüstet.

Unser erstes Abendessen im zugigen Statthalterpalast war nicht eben gemütlich. Die Menge der Lichtkörper kam weder gegen die Dunkelheit noch gegen die Feuchtigkeit an. Dennoch machte ich gute Miene zu bösem Spiel und prostete Mutter über die Zinnschüsseln zu: „Wir haben die Reise glücklich überstanden, alles Weitere wird sich finden. Möge die Siegesgöttin ihr Schwingen über uns halten, Mutter!“

„Nun, du warst ja immer schon ein Idealist“, sagte Mutter, dann hob sie das Weinglas an ihre leicht verkniffenen Lippen. Wenigstens war sie so taktvoll gewesen, die Perlen, die sie Orbiana abgenommen hatte, nicht anzulegen.

Encolpius, Mogontiacum, September 987

Mogontiacum ist die Hauptstadt des oberen Germaniens, und das sieht man dem Ort auch an. Oben auf der Anhöhe blitzen die roten Ziegeldächer des Militärlagers, das - nicht aus wackeligem Holz, sondern aus soliden Steinbauten bestehend - Sitz der berühmten XXII. Legio Primigenia ist. Seit sie sich an der Seite unseres erhabenen Kaisers siegreich in Persien und Germanien geschlagen hat, darf sie den Ehrentitel „ Fidelis Alexandriana“ führen.

Unterhalb des Lagers schmiegen sich die Canabae an die Hänge. Hier, unter Holzschindeldächern, decken Händler und Handwerker die Bedürfnisse des Heers. Der eigentliche Vicus, wo die Zivilbevölkerung ansässig ist, fällt zum Hafen ab, von dem eine sich auf siebzehn Pfeiler stützende steinerne Brücke zu dem Kastell auf der anderen Rheinseite führt.

Vor der Stadt liegen das Bühnentheater, das, als gröβtes nördlich der Alpen, zehntausend Zuschauern Platz bietet, sowie, an den Hügel gelehnt, das nicht minder imposante Amphitheater.

Hier aber wird man mich nicht oft sehen. Wie alle zartfühlenden Naturen verabscheue ich Blutvergieβen. Die Thermen, die allen Komfort bieten, sind schon eher meine Sache. Und sowieso, will ich mich nicht mit Krethi und Plethi gemein machen, gebe ich mich genüsslich den Massagen meines mauretanischen Sklaven Silenus und der anschlieβenden liebevollen Pflege meiner treuen Deipyle hin. Beide, die mir vollkommen ergeben sind, sorgen dafür, dass das Blut eines mittlerweile Fünfzigjährigen, der durch alle Höhen und Tiefen des Lebens gegangen ist, nicht zum Stocken kommt.

*

Wie ich es befürchtet hatte, lieβ er mich anderntags in aller Frühe, noch vor dem ersten Hahnenschrei, zu sich rufen. Dunkelheit hüllte den Gouverneurspalast ein, Sitz der Statthalter und, wenn sie in diesen unwirtlichen Regionen weilen, auch der jeweiligen Caesaren.

Von hier aus waren Drusus, Caligula, Domitian und Caracalla an der Spitze ihrer Truppen gegen die aufmüpfigen Germanen ausgezogen. Severus Alexander aber, so wie ich ihn kannte, dürfte um diese Stunde am Schreibgriffel kauend im Herzen des alten Kastens an seinem Schreibtisch sitzen.

Die Prätorianer, zu Standbildern der Wachsamkeit erstarrt, rissen reihenweise Bronzetüren auf. Noch etwas benommen stolperte ich durch die endlosen Gänge. Von der Galerie im Oberstock sah ich auf den Innenhof, den ein Dach aus Frauenglas überdeckte. Gurren und Flügelschlagen gingen von in einer Voliere flatternden Sittichen und Ringeltauen aus. Ein Pfau, der seinen Schweif über die Fliesen zog, beäugte mich misstrauisch. Offensichtlich war ich zu gering, um lange sein Interesse zu bannen, und er wandte sich verächtlich ab, um weiter im Kies zu scharren. Im Flackerlicht von Fackeln und Kienspänen stolperte ich über marmorne Fliesen.

Dann, in einem holzgetäfelten Gemach, das ein halbes Dutzend Öllampen erhellte, sah ich ihn, der mich gerufen hatte: seine kaiserliche Majestät der göttliche Caesar Marcus Aurelius Severus Alexander Augustus Pius Felix, Konsul, Tribun, Pontifex Maximus, Vater des Vaterlands und Gebieter über das gröβte Reich der Erde. Wie ich vermutet hatte, hockte er über Schriften gebeugt. Unter einem schlichten weiβen Wollgewand lugten kontrastreiche blaue Socken aus den Sandalen.

Er lächelte und sah mich aus seinen dunklen phönizischen Augen an, die zumeist weit aufgerissen in die Welt blickten, als fragten sie: „Was tue ich hier?“

„Willkommen, alter Freund“, sagte er. „Ich freue ich, dass du angekommen bist. War es nicht zu anstrengend?“

„Nun, jetzt, wo die groβe Kälte einsetzt … Leicht fiel es mir nicht. Immerhin begrüβe ich es, dass meine Reise nicht mitten in den Winter fiel.“

„Es tut mir leid. Ich hätte es nicht getan, wenn ich dich nicht brauchen würde. Nimm Platz. Willst du einen Wein, oder etwas zum Aufwärmen? Mulsum, Hydromel? Ich habe einen guten Burgunder, der mit Myrrhe und Narden gewürzt ist.“

„Wenn er nicht eiskalt ist, gerne.“

Ich nahm ihm gegenüber am Schreibtisch Platz. Noch immer starrte er mich aus seinen groβen schwarzen Augen an. Leicht hektisch spielten seine langen Finger mit dem bronzenen Griffel, der vor ihm lag. Seine gebeugte Haltung lieβ die spitzen Ellbogen und die überbreiten Schulterblätter hervortreten. Um die lange melancholische Nase, das weiche Kinn und die fliehende Stirn flackerte das Lampenlicht. Der dünne braune Bart, der seine Gesichtszüge umflaumte, war das Einzige, das der Herrschergestalt etwas wie männliche Würde zu verleihen trachtete: ein im Grunde scheuer und zurückhaltender junger Mensch, den von Ehrgeiz zerfressene Frauen im Alter von kaum vierzehn Jahren auf Roms Thron setzten und der sich seitdem bemühte, ihn ihren Vorstellungen gemäβ nach bestem Wissen und Gewissen auszufüllen.

Der Wein kam, in einer Schale aus blauem Glas, um das sich filigrane Goldranken schlängelten: ein Markenzeichen der Glasmanufakturen von Colonia Agrippensium. Dankbar lieβ ich das würzige warme Getränk meine Kehle hinunterkullern.

Alexander sah mich an. „Natürlich fragst du dich, warum ich dich Bücherwurm mitten ins Kriegsgetümmel nach Mogontiacum mitgeschleppt habe?“

„Nun“. Ich schluckte. „Der Krieg ist ja wohl aus.“

„Krieg? So kann man es nicht nennen. Die Barbaren sind zurückgeschlagen. Ich hoffe, dass sie die Lektion begriffen haben und jetzt hinter dem Limes bleiben.“

„War der Schaden groβ?“

Er blickte unbehaglich. Noch immer spielten die langen Finger mit dem Schreibstift. „Es sind Villen geplündert, Höfe verbrannt, Siedlungen zerstört worden. Der Wut der Invasoren sind auch ein paar Menschen zum Opfer gefallen. Inwieweit der Wall beschädigt wurde, davon muss ich mich in den nächsten Tagen persönlich überzeugen.“

Ich beugte mich über die Trinkschale und nuschelte in den Wein: „Der Feind ist also wieder hinter dem Wall?“

„Wo er hingehört. Keine Angst, alter Hasenfuβ. Der Limes ist eine Tagesreise von hier entfernt. Die Germanen werden dich nicht in deiner Ruhe stören. Und …“ Um die kaiserlichen Sandalen wand sich etwas, das fiepende Geräusche von sich gab. Irritiert hob ich eine Augenbraue. Schon wieder eine von Alexanders Hundewelpen. Augenblicklich zog ich mich zurück, in eine sichere Entfernung, die es mir doch noch erlaubte, die weiteren Worte meines Gegenübers mitzubekommen.

„Und du wirst nicht untätig sein“, fuhr Severus Alexander fort. „Ich benötige deine Hilfe, und zwar als Chronist und Schreiber. Denn ich habe vor, meine Memoiren aufzusetzen.“

„Deine Memoiren?“ Ich war baff. „Bist du – erlaube mir die Bemerkung, Sewaste – nicht etwas jung dafür?“

Redete ich ihn mit „Domine“ oder „Auguste“ an, pflegte er unwirsch zu reagieren. Als ein Mann, dessen Muttersprache wie meine Griechisch war, lieβ er sich aber „Kyrie“ und „Sewaste“ gefallen.

„Zu jung?“, sann er. „Man weiβ nie, wie es kommt. Jetzt, wo wir im Krieg sind …“ Dass er sich selbst widersprach, schien er gar nicht zu merken. Er fuhr fort: „Sollte mir etwas zustoβen, will ich nichts im Unklaren lassen. Ich will meine Taten begründen, rein und unbescholten vor der Nachtwelt stehen. Dazu brauche ich dich. Ich diktiere dir meine Memoiren, so wie ich es selbst gesehen und erlebt habe. Stilistisch magst du es nach eigenem Gutdünken korrigieren, im Notfall Lücken füllen … Du hast ja alles selbst miterlebt.“

„Nun … Es ist natürlich eine groβe Ehre, Kyrie, aber ob ich da der richtige Mann bin? Warum fragst du nicht Herodian?“

Er schob unwillig das Tintenfass zurück. „Herodian, der hat keine Erfahrung, und er kann nichts, als von anderen abschreiben! Cassius Dio, der wäre der richtige Mann. Ein routinierter Historiker, die beste Feder unserer Zeit. Aber er ist über siebzig, gebrechlich und gichtbrüchig. Ich habe ihm erlaubt, sein Altenteil zu nehmen.“ Er zwinkerte. „Und aus Bithynien kann ich ihn ja wohl nicht zurückrufen.“

Ich runzelte die Stirn. Es war hinreichend bekannt, dass Cassius Dio Alexanders Schoβkind war. Als der alte Mann aus Nikomedia (übrigens mein Landsmann, da auch ich in Bithynien geboren wurde) sich als Gouverneur in Dalmatien und Pannonien mit seinen unbotmäβigen Soldaten anlegte, weil er eine allzu schroffe Disziplin durchzusetzen versuchte, nahm ihn der Kaiser in seinen Schutz. Ja, er bezahlte ihm sogar sämtliche Unkosten, als Cassius zum zweiten Mal mit Alexander das Konsulat teilte. Cassius Dio war Alexanders Schoβkind, da konnte man beinahe neidisch werden.

*

Das Ganze musste ich erst einmal verdauen. Dafür blieb mir aber nicht viel Zeit. Die Tür ging, und eine junonisch gebietende Frauengestalt rauschte herein: Julia Mammaea Augusta, Mutter der Heere, des Senats, des Menschengeschlechts und Seiner Majestät des Kaisers.

Als Mittvierzigerin durfte Mammaea noch immer als schöne Frau gelten, auch wenn manche lästerten, diese Schönheit verdanke sie vor allem der Kosmetik. Sie war in schillerndes Amethystblau gekleidet; unter dem gescheitelten Haar, das ein Knoten im Nacken zusammenhielt, funkelten Saphirohrringe und am glatt geschminkten Hals eine goldene Kette. Die Augenlider hielt die Kaiserinmutter gewöhnlich gesenkt, schlug sie aber diese auf, so ging einem die Schärfe des Blicks durch Mark und Bein. Auch jetzt bedachte sie mich mit einem stechenden Blick und schürzte dann die Lippen. Ich verbeugte mich ehrfürchtig. Sie beachtete mich nicht, sondern redete ohne Umschweife auf ihren Sohn ein: „Stimmt es, was ich gehört habe? Du willst mit den Germanen verhandeln?“

„Ich bin ein Mann des Friedens, nicht der Gewalt“, sagte Kaiser Alexander.

„Frieden, mit diesen Menschen? Willst du ihnen etwa auch noch Geschenke machen?“

„Falls es nötig ist, ja.“

„Wenn man diesem Pack den kleinen Finger gibt, nimmt es gleich die ganze Hand. Die lachen dir ins Gesicht, mein Sohn. Und sie lauern hinter dem Limes und warten darauf, bei der ersten Gelegenheit erneut zuzuschlagen.“

„Was würdest du vorschlagen?“

„Härte. Sie mit Waffengewalt zurückschlagen, bis ihnen ein für alle Mal die Lust vergeht, ins Reichsgebiet einzufallen.“

„Nun“, sagte Alexander, seine Papiere zusammenrollend, „ich habe mich für den diplomatischen Weg entschieden. Scheitert der, kann man immer noch zu anderen Mitteln greifen.“

„Wenn es dann nicht zu spät ist.“ Ungeduldig zerrte Mammaea an ihrer elfenbeinernen Schulterfibel. Dann fiel ihr Blick auf mich. „Und Encolpius ? Soll der dir bei deinen – Friedensverhandlungen behilflich sein?“

„Ich bin dem erhabenen Kaiser dabei behilflich, seine Erinnerungen niederzuschreiben“, erlaubte ich mir, einzuflechten.

„Was? Ist dafür der richtige Moment?“

„Wenn mir Zeit bleibt, warum nicht?“, kam die schlichte Antwort von ihrem Sohn. Ich trat einen Schritt zurück. Nach wie vor unsichtbar, scharrte und fiepte der Hund unter dem Tisch. Sklaven hatten die Vorhänge zurückgeschlagen, durch milchiges Glas sah man die Lichter des Hafens schimmern.

Die Augusta schien es jetzt auf mich abgesehen zu haben. In eiskaltem Ton versetzte sie: „ Du hast wohl nicht vergessen, dass du unser Sklave warst, bevor unser erhabener Kaiser dir in seiner allzu groβen Güte die Freiheit schenkte. Und wenn dich mein Sohn mit einem - ich würde sagen - unverdient ehrenvollen Amt betraut, hast du nichts als das Instrument seines Willen zu sein.“

Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben. „War ich nicht stets bemüht, dir, erhabene Augusta, und unserem erlauchten Kaiser treu und gewissenhaft zu dienen?“

„Mutter“, suchte Alexander einzulenken, „lass gut sein. Encolpius hat uns nie enttäuscht. Wachte er nicht mit dir vor meiner Schlafzimmertür, als wir vor Heliogabals Häschern zitterten?“

„Was nicht mehr als seine Pflicht war. Ich hoffe nur, ihr bleibt sachlich und drängt euch nicht selbst in den Vordergrund, wie es euer teurer Cassius Dios tut. Eine historische Chronik unterliegt vor allem einem Gebot: sich exakt an die Wahrheit zu halten.“

Ich fummelte mit den Rohrfedern, Alexander mit seinem Schreibgriffel. Die Augusta aber war nicht zu halten. „Schlampigkeit und Geschichtsklitterung rächen sich. Ihr werdet euch wohl daran erinnern, wie scharf Septimius reagierte, als Dio Kaiser Commodus als blutigen Tyrannen darstellte.“

„Der erhabene Septimius sah sich in der Reihe der Antoninen und hat Commodus als Sohn des Marcus Aurelius unter die Götter versetzt“, erlaubte ich mir klarzustellen. „ Natürlich musste ihm missfallen, dass Cassius Dio Commodus als irrsinnigen Despoten schilderte, der nichts als Zirkusspiele im Kopf hatte.“

„Ein Historiker muss nicht nur unvoreingenommen, sondern auch diplomatisch sein. Aber was ist von einem Mann zu erwarten, der seine Karriere mit einem Buch über Weissagungen begonnen hat? Da muss doch vieles unglaubwürdig, wenn nicht lächerlich klingen, wie etwa die Geschichte mit dem Strauβenkopf.“

Diesmal war es an dem Kaiser, seine Mutter, wenn auch sanft, auf den Punkt zu setzen. „Mutter, wenn dir der göttliche Commodus entgegengetreten wäre, in der einen Hand ein Schwert, in der anderen einen Strauβenkopf, den er dem armen Tier eben in der Arena abgeschnitten hatte, dann hättest du trotz der Komik der Situation ebenfalls um dein Leben gebangt. Lachen wäre lebensgefährlich gewesen. Was also taten die Senatoren, die zitternd vor ihm saβen? Um ihr Lachen zu verbergen, zupften sie sich Blätter aus ihren Lorbeerkränzen und kauten die.“

Dann war seine Geduld zu Ende, und er entschied: „Es genügt. Encolpius hat mein volles Vertrauen, und ich werde ihm meine Memoiren diktieren.“

„Eine Ehre, der ich hoffe würdig zu sein“, sagte ich.

Mammaea fuhr auf. „Um dich geht es ja gar nicht, es geht um die Zukunft Roms. Also wären wir dir sehr verbunden, wenn du dich nicht einmischen würdest.“

Ich verstand den Wink und verneigte mich. „Wenn Eure Majestäten mir also gestatten würden, mich zurückzuziehen.“

„Gut“, sagte der Kaiser. „Halte dich bereit. Wir werden ohne Verzug an die Aufsetzung der Memoiren gehen.“

Ich wandte mich zur Tür. Noch im Hinausgehen hörte ich die autoritären Worte der Kaiserinmutter: „Tu, wie es dir beliebt. Auf mich hört ja nie einer. Aber eins sage ich dir: Die Sache mit den Barbaren ist noch nicht vom Tisch.“

*

„Ich kann nicht nein sagen“, klagte ich, während ich mich unter Silenus‘ geschickten braunen Händen wand und krümmte. „Er hat so viel für mich getan. Ich war ein Nichts, er hat mich emporgehoben, mich mit seinem Vertrauen beehrt. Zuerst Sklave, dann Hausverwalter, dann Sekretär und Vertrauensmann. Alle wichtigen Dokumente gehen durch meine Hände. Sagt selbst, ist das nichts?“

Die braunen Hände hielten einen Augenblick ein, dann fuhren sie fort, auf meinen Rücken zu trommeln. Ich jammerte weiter: „Er hat immer zu mir gestanden. Wie kann ich ihm dann meine Gefolgschaft versagen?“

Deipyle kam mit einer Glasphiole. Kalt gepresstes Olivenöl, das beste, das Spaniens Ölbäume hergeben. Sie kniete nieder und lieβ feierlich ein paar Tropfen auf meine Schienbeine fallen. „Du machst das schon, Herr“, sagte sie mit ihrem sanftesten Lächeln, „wie immer.“

Ich richtete mich auf. Behutsam, aber mit Nachdruck verrieb Silenus das Öl auf meinen Beinen. Deipyle verfolgte das Ganze mit Kennermiene. Ich greinte: „Wie stellt er sich das vor? Er will ja direkt an die Römische Geschichte des Cassius Dio anknüpfen und nicht nur eine Bilanz seines eigenen Regnums ziehen, sondern auch die Herrschaft seiner Vorgänger festhalten. Septimius Severus, das geht ja noch, aber wie kann er den Caracalla präsentieren, als brutalen Machtmenschen, wo er ihn doch als seinen Vater preist? Und das Scheusal Elagabal, wie passt das in die erlauchte Porträtgalerie? Da kann man doch nur den Kopf schütteln. - Aber sei’s drum. Ihr habt euch doch umgehört. Was sagt man in der Stadt über den Kaiser?“

Deipyle nahm kein Blatt vor den Mund, aber wir waren ja auch unter uns. „Er ist zu schwach. Er hat Truppen vom Limes abgezogen, um sie in Persien einzusetzen. Der Limes war schutzlos, und das haben die Germanen ausgenutzt, um vorzudringen.“

„Ja“, sagte ich, skeptisch meine ölglänzenden Knie betrachtend, „die Germanen lauern hinter dem Wall und warten die nächste Gelegenheit ab.“

Ungehalten wuchs ich in meiner ganzen erbaulichen Nacktheit empor. Deipyle kam mit meiner Vormittagstunika. Während sie mir den gediegenen Stoff überstreifte, flüsterte sie mir ins Ohr: „Er stand unter dem Pantoffel seiner Frau. Die hat die Kaiserinmutter in die Wüste geschickt, und jetzt steht er unter ihrem mütterlichen Pantoffel. Das ist Stadtgespräch, Domine.“

Ein Schwächling und Muttersöhnchen. Armer Junge, sollte man ihn verdammen oder bemitleiden? Verdrossen stierte ich in den Herbstmorgen, der flimmernde Lichtspiele auf die phrygischen Marmorfliesen warf. „Die Götter mögen uns beistehen“, flüsterte ich. Dann, lauter: „Was ist das für ein Lärm drauβen? Kann man denn nicht einmal am Vormittag seine Ruhe haben?“

Silenus wischte sich die Hände an einem Tuch ab. „Die Soldaten exerzieren. Sie haben ja sonst nichts zu tun.“