Kamenz in Schlesien - Manuel Magiera - E-Book

Kamenz in Schlesien E-Book

Manuel Magiera

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Beschreibung

Mein Vater wurde 1927 geboren und erlebte Hitlers Machtergreifung sehr eindrucksvoll: Am Tag seiner Einschulung 1933 gab es in der Schule Würstchen! Nach einer für damalige Verhältnisse sehr schönen Kindheit im Riesengebirge mit Lehrgängen an der Segelflugschule in Hirschberg, kam er mit sechzehn Jahren zum Reichsarbeitsdienst. Vom siebzehnten Geburtstag an hielt ihn dann nichts mehr: Er wollte in den Krieg ziehen und für den Führer und das Vaterland kämpfen. Nach anfänglicher Euphorie folgte relativ bald Ernüchterung. Dem Tode mehrfach entronnen, kehrte er als einer von siebzehn Kameraden von 150!! jungen Männern zwischen siebzehn und zweiundzwanzig Jahren, ausgezehrt und halb verhungert aus dem Krieg zurück. Seine schlesische Heimat gab es zu dem Zeitpunkt nicht mehr. Der zweite Text mit dem Titel: Eine transsexuelle Lebensgeschichte, erzählt meine eigene transsexuelle Problematik und die damit verbundenen Schwierigkeiten in Familie, Beruf und Gesellschaft.

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Seitenzahl: 61

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Manuel Magiera

Kamenz in Schlesien

Kindheit und Jugend während der NS Diktatur

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kamenz in Schlesien

Eine transsexuelle Lebensgeschichte

Impressum neobooks

Kamenz in Schlesien

Dieses Buch ist meinen Eltern Wanda und Wilhelm gewidmet, die den Geburtsjahrgängen 1924 und 1927 angehörten. Mein Vater wuchs in Kamenz/Niederschlesien auf. Er wurde durch die Ereignisse und Erlebnisse während der Kriegszeit nachhaltig geprägt. Der folgende Lebensbericht ist wahr und seinen Erzählungen entsprechend aufgeschrieben. Wir Nachgeborenen (ich bin Jahrgang 1956) durften, wie alle uns nachfolgenden Generationen, in Frieden und wirtschaftlicher Sicherheit aufwachsen. Dafür müssen wir dankbar sein. Die zwei Weltkriege und das durch sie verursachte Leid dürfen nie in Vergessenheit geraten, damit sich Ähnliches nicht wiederholen kann.

„Willi, komm, der Zug fährt gleich ein. Wir wollen doch den Führer sehen!“ Aufgeregt winkte mir meine hübsche sechzehnjährige Tante Elisabeth zu. Ich sah noch einmal auf die friedlich dahinfließende Glatzer Neiße. Dann drehte ich mich um und rannte, so schnell mich meine elfjährigen Beine tragen konnten, zum Bahnhof. Auf den Straßen wimmelte es von Menschen. Die Leute beeilten sich, einen Platz mit Blick auf die Bahngleise zu erhaschen. SS Männer in Uniform marschierten an mir vorbei. An den Gebäuden hingen die Fahnen mit den Hakenkreuzen.

Ich lief wie üblich zum Bahnhofsschuppen und kletterte flink auf die alte knorrige Eiche. Von hier oben hatte man den besten Ausblick. Meine Freunde aus dem Jungvolk waren schon da. Einer rückte etwas zur Seite und zeigte plötzlich in die Richtung, aus der sich langsam schnaufend die Lokomotive näherte. Wie elektrisiert rissen die Menschen ihre Arme hoch. Aus tausend Kehlen riefen sie dem Führer zu. Auch wir Kinder wurden von der Begeisterung angesteckt. Wir streckten unsere Arme so weit es nur möglich war nach vorne und schrieen mit Leibeskräften seinen Namen. Das Erlebnis ist nun zwölf Jahre her. Zwölf Jahre Albtraum, die meine heile Kinderwelt völlig veränderten. Ich sitze am Tisch, schaue meine alten Bilder an und blicke dann auf die Lebensmittelmarken für Januar und Februar 1950. Meine Gedanken wandern zurück und ich sehe alles vor mir, als wenn es gestern gewesen wäre.

Ich wurde am 06. Mai 1927 in Kamenz in Niederschlesien geboren. Meine Mutter war eine von sieben Schwestern einer Ofensetzers Familie. Großvater Gustav war nach Urgroßvater Rudolf bereits in zweiter Generation Ofensetzer-Meister gewesen und starb im Oktober 1930. Meine beiden Onkel fielen in sinnlosen Kriegen. Vater war Schlosser von Beruf, aber ich habe ihn leider nie richtig kennengelernt. Warum meine Eltern trotz der katholischen Familie nicht heirateten, hing mit persönlichen Differenzen zwischen meinem Vater und meinen Großeltern zusammen. Doch als kleiner Junge merkte ich davon nicht viel. Nach den sieben Töchtern war ich der erste männliche Nachkomme und wurde entsprechend verhätschelt. Über meine Kindheit im Riesengebirge konnte ich mich nicht beklagen. Meine einige Jahre ältere Tante beschwerte sich dann auch später, ich hätte von Schlittschuhen über Skier alles bekommen, was sie sich ein Leben lang sehnlichst gewünscht hatte. Ich wurde im Jahr der Machtergreifung eingeschult und konnte an diesem Tag eine riesige Schultüte mein eigen nennen. Am Führergeburtstag, dem 20. 04. 1933, gab es in der Schule Würstchen. Natürlich nahm ich unkritisch alles hin, was man uns bei brachte. Ich war ein kleines Kind und wer konnte ahnen, dass wir für eine Ideologie missbraucht wurden, die uns nur zwölf Jahre später den Untergang des ganzen Landes bescheren würde!

In der Schule kam ich recht gut mit. Das war wichtig, denn die Lehrer hatten wesentlich mehr Freiheiten als heute. Der Rohrstock gehörte obligatorisch zur Ausstattung eines Klassenzimmers dazu. Man musste die Hände flach nach vorn ausstrecken und der Stock sauste darauf. Es war eine äußerst schmerzhafte Angelegenheit und wohl dem, der davon verschont blieb. Mit zehn Jahren fing ich wie alle anderen im Jungvolk an. An den Nachmittagen hatten wir unsere Gruppentreffen. Sport wurde natürlich sehr groß geschrieben. Bälle und Keulen zum Werfen hatten bereits exakt das Gewicht und auch die Größe von Handgranaten sowie Panzerfäusten. Wir wurden also gezielt auf unseren Einsatz als Soldaten ausgebildet. Es gab nur den Führer und die Nationale Gesinnung. Bevor ich allerdings Jungvolkjunge wurde, mussteich die „Pimpfen“ Probe bestehen.

Sie bestand aus einem Sechzig-Meter-Lauf, Weitsprung und Schlagballweitwurf. Zusätzlich nahm man an einer eintägigen Fahrt teil und sollte den Aufbau des Fähnleins (so hieß der Aufbau der gesamten Organisation aller Gruppen und Züge) kennen. Das Wissen um den Lebenslauf des Führers gehörte selbstverständlich genauso dazu, wie das Singen des Horst-Wessel-Liedes, des Deutschlandliedes und unseres HJ Fahnenliedes. Ich erinnere mich auch noch an das Motto:

Jungvolkjungen sind hart, schweigsam und treu.

Jungvolkjungen sind Kameraden.

Des Jungvolkjungen Höchstes ist die Ehre.

Den Sinn verstanden die Wenigsten, gelernt haben wir es alle. Es war auch gar nichts anderes möglich. Keiner konnte sich ausschließen. Die Teilnahme war Pflicht und unsere Eltern riskierten eine Menge Ärger, wenn sie uns Kinder nicht ins Jungvolk schickten. Wir waren zu Hause seit jeher katholisch gewesen und so blieb meine Erziehung immer christlich geprägt.

Die späteren Leistungsabzeichen und Prüfungen habe ich nicht mitgemacht, weil die Schule Vorrang hatte. Darauf legte meine Mutter großen Wert. Da ich zum Besuch der Handelsschule mit dem Zug nach Glatz und ins Aufbaugymnasium nach Münsterberg fahren musste, wurde ich durch diese langen Schulwege der HJ-Organisation etwas entrissen. Ich nahm allerdings an Freizeiten teil, fuhr ins Skilager, welches von der SS geleitet wurde und erlebte eine herbe Enttäuschung.

Durch mein eigentliches Hobby, dem Segelfliegen, mit Kameradschaft und Unterbringung verwöhnt, dachte ich, so eine Skifreizeit wäre mal eine kleine Abwechslung in den Ferien. Weit gefehlt!

Es ging sogleich mit militärischem Drill zur Sache. Morgens um halb sechs Uhr hieß es, erst einmal alle in Unterhosen raus zur Schneeballschlacht. Ich dachte, was mich nicht umbringt, macht mich vielleicht härter und sah zu, dass ich diese Freizeit so schnell es ging, überstand. Es war das erste und letzte Mal, dass ich mich für so etwas anmeldete. Zukünftig blieb ich bei der Fliegerei. Dort war die Unterbringung nicht nur besser, auch der harte Drill fehlte. Flieger sind eine Spezies für sich und das vermittelten uns auch die Ausbilder. Natürlich mussten wir viel lernen.