Karussell und Glockenklang - Carolin Schairer - E-Book

Karussell und Glockenklang E-Book

Carolin Schairer

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Beschreibung

Glühwein, Tannenbaum und Lichterglanz – bei Sofia, frisch getrennt und beruflich versetzt, will so gar keine Besinnlichkeit aufkommen. Trotzdem muss sie den diesjährigen Weihnachtsmarkt der barocken Kleinstadt Lindach organisieren. Unterstützung kommt glücklicherweise von einer Event-Agentur. Denn nicht nur der Bürgermeister mit seinen irrsinnigen Vorstellungen wird für Sofia zum Hindernis. Ihre größte Herausforderung ist allerdings die zielstrebige Agenturchefin Edith, die Sofias Gefühle plötzlich Karussell fahren lässt …

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Seitenzahl: 490

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Carolin Schairer

KARUSSELL UND GLOCKENKLANG

Roman

ULRIKE HELMER VERLAG

 

ISBN (eBook) 978-3-89741-913-1

ISBN (Print) 978-3-89741-473-0

© 2023 eBook nach der Originalausgabe

© 2023 Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach a. Taunus

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung unter Verwendung eines Fotos von © Neznaev / Adobe Stock

 

Ulrike Helmer Verlag

Klosterhofstr. 3, 65843 Sulzbach a. Taunus

E-Mail: [email protected]

www.ulrike-helmer-verlag.de

 

Alle Jahre wieder

AlsSofiavonderToiletteanihrenSchreibtischzurückkehrenwollte, wusstesie, dasssieEntscheidendesverpassthatte. Dasebennochruhige, ordentlicheundsorgfältigstrukturierteBüroimErdgeschossdesLindacherRathausesglicheinemSchlachtfeld. DerGarderobenständerlagaufdemMülleimerundbildeteeinekniehoheSchrankevorderTür. DieAkten, dieSofianochvorfünfMinutenbearbeitethatte, lagenüberallimRaumverstreut.

Linda, mitfünfundzwanzigJahrenSofiasjüngsteKollegin, rutschteinSeidenstrumpfhoseundRockaufKnienüberdenLi­no­leumbodenundsammelteirgendetwasauf. ErstaufdenzweitenBlickerkannteSofia, dassesderInhaltihresgemeinsamenBonbonglaseswar. DieseslaginScherbennebenPetrasSchreibtisch. Petra, eineunscheinbareFrauMittevierzig, saßwiefestgenageltaufihremDrehstuhl, blassundmitschreckgeweitetenAugen. ElfieamSchreibtischlinksvonihrhattedieArmevorderBrustgekreuzt. DielangjährigeLeiterindesBürgerbürosstrahltedieAuraeinerAmazoneaus – eineRolle, dieihraufgrundihrerGrößeundihrermuskulösenArmeundBeinewieaufdenLeibgeschnittenwar.

HinterihraufdemFensterbrettstandSamuel, PetraseinäugigerPerserkater, mitgesträubtemFellundaufgestelltem,buschigem Schwanz. DerKaterbestrittseitJahrenmitseinemFrauchendenBürotag – wobeiseinPartüblicherweisedarinbestand, denganzenTagaufseinemKissenzudösen. ErverließesnurfüreinenGangzumKatzenkloinderangrenzendenBesenkammeroderseinenFressnapf.

Sofiafuhrsichdurchihrebraunen, kräftigenHaare. DieaufgeladeneStilleimRaumverwirrtesienochmehralsdasverstörendeSzenario. IntuitiverwartetesieeineErklärung. DochPetraundElfieschienenwieparalysiert. AlsofolgteSofiademBlickdesKaters. UndjetztentdeckteSofiasie: AneinemderWandschränkelehnteeineFrauimschwarzenTüllkleid. EineroteStolawarloseumihrenschlankenOberkörpergewickeltundaufdemKopftrugsieeinenTurbaninderselbenFarbe. BesondersauffallendwarendiegroßengoldenenKreoleninihrenOhrläppchen, diegrobgliedrigeHalsketteunddiegroßen, schwerenRingeanihrenFingern. IhreLederstiefelreichtenbisunterdenRockundhattensohoheunddünneAbsätze, dasssichSofiaautomatischfragte, wiesie – odernurirgendeinMensch – darinlaufenkonnte. Siewargewöhnlichgutdarin, dasAltervonLeutenrichtigzuschätzen. BeidieserFraukonntesievermutlichnurscheitern, dennsietrugsovielMake-up, dassihrGesichteinerMaskeglich. Allesanihrwarauffallend, plakativ, aufdringlich – sogardasschwereParfüm, dasSofiajetzterstindieNasestieg.

GefangenvondieserErscheinungfielihrderkleine, zitterndeChihuahuaimArmderFrauauf, alsElfiedieHändeindieHüftenstemmteundlosdonnerte: »FrauRotendamm! WieoftmussichSienochdaranerinnern, dassHundeindenAmtsräumlichkeitenstriktverbotensind! Außerdem – wiekommenSiedazu, hierschonwiederohneTerminundabseitsderBürgersprechstundehereinzupoltern! IchhabeIhnenschonmindestensfünfMalerklärt, dassdassonichtgeht! RegelngeltenauchfürSie!«

»FrauvonRotendamm, bitteschön! SovielZeitmusssein!« DieTurbanfrautratnachvorneundwirktedabeimindestensgenausoentschlossenwieElfie. »Undgut, dassSieRegelninsSpielbringen! AusebendiesemGrundbinichnämlichhier: weilsichjemandnichtandieRegelnhält!«

Sofiagefielnicht, wiedieFrauauftratundwassiesagte. DennochfandsieGefallenandermelodiösenStimme. DieseFraukeiftenicht. Sieschrienicht. Sieempörtesich, ohnedabeischrilloderunangenehmzuwerden. JedesihrerWortesprachsiesoartikuliertaus, alsstündesieaufderBühneeinesgroßenTheaters.

Elfieseufztelaut. »Undwasistesdiesmal, werteFrauvonRotendamm? HatwiedereinmaljemandseineHeckenichtzurückgeschnitten? RagtirgendwoderAsteinesBaumeszuweitheraus? OderbelltderHundvomMetzgerwiederzuoftundzulaut?«

»EssinddieBlätter.«

DieTatsache, dasssiesoruhigbliebundsichnichtvonElfieprovozierenließ, imponierteSofia, auchwennsienochimmernichtverstand, worumeseigentlichging.

»DieBlätter«, wiederholtenunPetramitschwacherStimme. »SiestörensichamFallenderBlätter?«

»Das lässt sich im Herbst leider nicht verhindern«, sagte Elfie, und Sofia hoffte, dass Frau von Rotendamm zumindest das Zucken ihrer Mundwinkel verborgen blieb. Was auch immer die skurrile Frau wollte – es war ihr unangenehm, dass die Büroleiterin und die Kollegin sie wie eine Witzfigur behandelten. Sie hatte die Schlagworte aus den Einarbeitungsunterlagen, die sie noch vor ihrem ersten Tag im Rathaus hatte studieren müssen, sehr gut in Erinnerung: Service. Bürgernähe. Ansprechpartner für Sorgen und Nöte.

»WasSienichtsagen! Ichahntejanicht, dassdieStadtneuerdingsBotanikerinnenbeschäftigt.«

DievonRotendammsahvondernochimmerblassenPetrazuElfie, bedachtedieaufdemBodenkniendeLindamiteinemabfälligenBlick, drehtesichetwasnachlinks – undentdecktedannerstmalsSofia, dienochimmerimTürrahmenstand.

»Oh!«, riefsieausundfasstesichmitderHandandieBrust. »Siehan, siehan. EinneuesGesicht. – WasistdennmitIhrerVorgängerinpassiert … Wiehießsiedoch … Waldesruh? Waldfrieden? HatdieetwadasHandtuchgeworfen? – Na, überraschenwürdeesmichnicht. IndieserSchlangengrubehiermöchteichpersönlichkeineneinzigenTagarbeiten!«

»FrauWaldesrastistinMutterschutz.«

Sofiawarfroh, dassElfiedasAntwortenfürsieübernahm. DassdieKolleginnennichtimmernettübereinandersprachen, hattesieindenmittlerweileknappdreiWochen, indenensiehiertätigwar, schonmitbekommen. MehralseinMalhattesieüberlegt, obsieihreEntscheidung, sichvonderMünchnerStadtverwaltunginskleineLindachversetzenzulassen, rückgängigmachenkonnte. DasiefastvierJahrelangdafürgekämpfthatte, endlichnichtmehrjedenMorgenüberhundertKilometerzurArbeitzupendeln, hattesievoneinemneuerlichenAntragaufVersetzungAbstandgenommen – zumalsiesichnochniezuvorinihremLebensoplanlosgefühlthattewieseitihremAuszugausdemhübschenReihenhausimKopernikusweg. SeitherhattesiedasGefühl, nirgendworichtighinzugehören – amallerwenigstenindasBüroderLindacherStadtverwaltung.

»FrauGriebistdieNachfolgerinvonFrauWaldesrast«, fuhrElfiefortundhieltSofiadavonab, inSelbstmitleidzuversinken. »SiewirdsichgerneumIhrAnliegenkümmern.«

DieMundwinkelderamazonenhaftenBüroleiterinzucktenerneut. Petragluckste. LindarappeltesichnunaufundschobsichihreBrillezurückaufdieNase.

PlötzlichsaßsiemitderseltsamenFrauimselbenBoot. BeidegehörtensienichtzudiesereingeschworenenGruppe, diesichoffensichtlichjetzt, daderSchrecküberdasbewegteZusammentreffenvonHundundKatzeverkraftetwar, köstlichaufihreKostenamüsierte.

SofiastrafftedieSchultern.

»Bitte, kommenSiedochmitanmeinenSchreibtisch.«

SiewürdeihrenJoberledigen. MitzweiunddreißigJahrenundihrerArbeitserfahrungwarsiereifgenug, ummitsoeinerPersonundmitsolchunkollegialenKolleginnenumzugehen.

AugenblickespätersaßsiederFraugegenüber. DochstattihrProblemzuschildern, nahmdievonRotendammnuneinenTaschenspiegelausihrerteueraussehendenLederhandtascheundzogsichersteinmalinRuhedieLippennach. DerkleineHundschieltebereitswiederunruhigzumKater.

»Also, FrauvonRotendamm, wobrenntdennderHut? – SiehabenProblememitdemLaub, sagtenSie …«

»Ja. Dasheißt: nein.« DieFrauseufzte. »NichtmitdemLaubansich. MeinProblemistvielmehrdiesesentsetzlichlauteGerät, mitdemmeinNachbardasLaubentfernt … Wiesagtmandochgleich …?«

»Laubbläser?«

»Ja, genau! Laubbläser.« Siesprachesaus, alshandelteessichumetwasObszönes. »Einfachunerträglich!«

»UnddennimmterwanngenauinBetrieb?«

»Na, quasiimmer … vormittags, nachmittags, abends …«

»Nach19Uhr? AuchamSonntag?«

DievonRotendammblinzelteverwirrt. »Wohersollichdasdennwissen? – Dahöreichdasjanicht, dasitzeichdochinmeinemWohnzimmer! ZudieserJahreszeitistesdraußenvielzukalt!«

»Ja, aberSiesagtendoch, dassderLärmSiestört?« Sofiafragtesich, obsieselbstwohlgeradeaufderLeitungstand.

UmsicheinbesseresBildvondenWohnverhältnissenderFrauzumachen, erkundigtesiesichnachderenAdresseundgabsieinGoogleMapsein. ZuihrerÜberraschunglagdasHausderFrauamwestlichenOrtsendevonLindach. SiewechselteindieSatellitenansichtundbekamdenBlickaufeinalleinstehendesGebäudemitparkähnlichemGarten.

»FrauvonRotendamm … SiehabengarkeineNachbarn. IhrHausliegtmitteninderPampa!«

SofiahörtePetraamNebentischleiseglucksen. Natürlich. IhreKolleginnenhattendaslängstgewusst. LeiserÄrgerstieginihrauf.

»Nein, nein. Dasstimmtsonicht«, widersprachvonRotendammvehement. »Da, sehenSie … dasistdieSiedlung! UndderdaindiesemEckhaus, dasistdermitdemLaubbläser!«

»AberdiesesHausliegtmindestensdreihundertMetervonIhremAnwesenentfernt!«

»WennichanseinemHausvorbeigehe, höreichihn. IchhabeeinsensiblesGehör. Unzumutbaristdas!«

SofiaunterdrückteeinSeufzen. Dasdurftedochnichtwahrsein!

»IchkannIhrProblemnachvollziehen«, logsie, weilsiehoffte, dieFraumitgeheucheltemVerständnisloszuwerden. »Wäreesmöglich, einfachnichtspazierenzugehen, bisdieBäumeihreBlätterverlorenhaben?«

»Nein, natürlich nicht!« Die Stimme der Frau war satt vor Em­pörung. »Mens sano in corpore sanis. Sagt Ihnen das was?«

Menssanaincorporesano. SofialagdieKorrekturaufderZunge, dochsiewolltekeinÖlinsFeuergießen.

»SeitfünfzehnJahrendreheichjedenTagmeineWalking-­Runde! EineinhalbStundenbinichdaunterwegs! Daswerdeichsichernichtaufgeben!«

»SeitfünfzehnJahren? UndindiesemJahrstörtderLaubbläserSiezumerstenMal?«

»Kindchen.« FrauvonRotendammsahsiemitanMitleidgrenzenderNachsichtigkeitan. »FrüherhatdieserHerrseinLaubzusammengerecht. Ganznormaleben! AberjetzthatersichsoeinelektrischesDinggekauft.«

»Dagegenkönnenwirleidernichtsunternehmen«, stellteSofiaklar. »SolangeerdamitnichtamSonntagoderinderNachtvorIhrerHaustürerandaliert, sindunsdieHändegebunden. AuchwirmüssenunsandieGesetzehalten. Estutmirwirklichleid, aberwirkönnenindiesemFallnichtsfürSietun!«

»Aber … daskanndochnichtsein.«

SofiahattemiteinemWutanfallgerechnet, dochdieAugenderFraufülltensichmitTränen. SiesackteinsichzusammenundwirkteplötzlichwieeinegebrochenealteDame.

SofiaerfassteeineWogeMitgefühl. WieunverstandenmusstensichältereMenschenineinerWeltwiedieserfühlen!

IhrBlickflogüberdieKarteaufihremBildschirm. VerzweifeltsuchtesienacheinerLösung – undfandeine.

»FrauvonRotendamm, ichhabedaeinewunderbareIdee.« WiederdrehtesiedenBildschirminRichtungderBesucherin. »KennenSiediesenFeldwegda, dervorderSiedlunglinksabzweigt?«

»Natürlichkenneichden, dakommeichdochretour! IchsagteIhnenja, ichgehedieseRundeseitfünfzehnJahren!«

»Gut! – DannwalkenSieeinfachinZukunftinumgekehrterRichtung.«

»Und was soll das bitte bringen? – Dann höre ich den Lärm auf dem Rückweg!«

»Ebennicht!« TriumphierendlehntesichSofiazurück. »DennwennSieaufdemHinwegausweichen, weilSieschonausderEntfernungdenLaubsaugerhören, istklar, dassSieaufdemRückwegungestörtpassierenkönnen!« SiebeugtesichvorundsenkteverschwörerischdieStimme. »FrauvonRotendamm, glaubenSiemir: SogroßistdasGrundstückIhresNachbarnnicht, dasserlängeralseineinhalbStundenmitdemLaubbeschäftigtseinkann!«

ZunächstwirktedievonRotendammnochskeptisch. DannbreitetesicheinverständigesLächelnaufihremüberschminktenGesichtaus.

»Ja«, sagtesie. »Ja! DahabenSierecht!«

SofiahörtePetraamSchreibtischnebenannachLuftschnappen. OffenbarwareinZugeständnisderRotendammetwas, dasüberraschte.

»Wobeiesmirschonbessergefallenwürde, wennderRuhestörerbestraftwürde«, schobsienach. »ErkönntedocheinfachwiederdenRechennehmen, odernicht?«

»Natürlich«, pflichteteSofiaihrbeiunderhobsich, umzusignalisieren, dassdasGesprächzuEndewar. »Abersolangeersichnichtgesetzeswidrigverhält, könnenwirleidernichtstun.«

FrauvonRotendammbliebsitzen.

»SiesinddieErsteindiesemelendenBüro, diesichummichalsBürgerinbemüht! Alleanderensindeinfachunwilligundunfähig!« SiebreitetedieArmeausund seufzte theatralisch. »Ichwünschte, ichkönntemichangemessenbeiIhnenbedanken! Vorzwanzig, fünfundzwanzigJahrenhätteichIhnenGratiskartenbesorgenkönnen, ersteReiheParkett … odereineLoge … füreinePremiere. Aberheute …«

»Dasmachtdochnichts, ichhabe –« Sofiakamnichtdazu, denSatzzuvollenden.

»WissenSie, ichwerdeSievormerkenlassenfürmeineAutobiografie! SobalddasWerkerschienenist, bekommenSiezweihandsignierteExemplarevonmirpersönlich – einesfürSie, einesfürIhrenMann!« DieDamestrahltesiean, ganzentzücktvonihrereigenenIdee. DannfielihrBlickaufSofiasHände. »Oh … Siesindgarnichtverheiratet. JedenfallsseheichkeinenEhering.«

IhreWorteversetztenSofiaeinenkleinenStich. Reinrechtlichwarsienochverheiratet. ÜberihreTrennungwürdesiemitdieserFrauabersichernichtsprechen!

»Siemachendasganzrichtig! BindenSiesichbloßnichtzufrüh – undschongarnichtandenFalschen! – AlsichinIhremAlterwar –«

DieBürotüröffnetesichschwungvoll. EinMannumdiefünfzig mit Halbglatze und GrübchenumdenMundtratein.

»FrauGrieb, wobleibenSiedenn? – WirwartenseitzehnMinutenaufSie! WirkönnendenSitzungsbeginnunmöglichlängerhinauszögern!«

SofiaerkannteindemMannChristianAngerer, denReferatsleiterderAbteilungSicherheitundOrdnung. ErwarihrvoreinigerZeitinderKantinebegegnet, diesichdieStadtverwaltungmitderbenachbartenPolizeischuleteilte. BeiSchnitzelundBratkartoffelnhattensienettüberBelanglosigkeitengeplaudert. VonwelcherSitzungersprach, warihreinRätsel. SieführteihrenKalendergründlichundwusste, dasssienichtsübersehenhatte.

»Wieschade, wirhättennochsovielzubereden.« WiderwilligerhobsichdieDameundangeltenachihrerHandtasche. »AberbeimnächstenMaldann … SiesindeineechtePerleindieserWüstevollerSteine!«

SiebedachtedieKolleginneninklusiveChristianAngerermiteinemletztengeringschätzigenBlick, dannzogsiemitihremHündchenab. ZurückbliebnureineWolkeihresschweren, süßlichenParfüms.

AngererschlossdieTürevoninnen.

»Na, daswarja wirklichRettunginletzterSekunde«, sagteerschmunzelnd. »HatSieIhnendieBiografieschonangeboten?«

»Äh … ja …«

»Damussjedemaldurch.« ElfiemeldetesichzuWort. »Ichhabemirerlaubt, Christiananzurufen, umdichzubefreien. Ansonstenwärstdusiejanielosgeworden!«

»Alsichneuwar, saßichmalzweiStundenmitihrhier«, berichteteLindaundstrichsichihrerotenLockenausdemGesicht.

»BisdirderKragengeplatztist«, erinnertesichElfie. »SotolerantundverständnisvollwieunsereSofiawarstdunicht!«

»Scheint, alswärenSiewirklichbemerkenswertgeduldig, liebeFrauGrieb.« Angererlächelteschelmisch. »PassenSienurauf, dassSieinZukunftnichtalsFraufürdieschwierigenFälleimBürgerservicegelten! IchkannSienichtimmerretten!«

»Danke, daswarsehrnettvonIhnen.« Sofialächeltezurück. GrenzenzuziehenwartatsächlichnichtihreStärke. »MöglicherweiseschenkeichIhnenzumDankdaszweiteExemplarderAutobiografie.«

Allelachten, unddasGefühl, indiesemBüroeinFremdkörperzusein, warfürdenMomentverflogen. MöglicherweisebrauchteeseinfachZeit, bissiewirklichzumTeamgehörte.

»WeristdenndieFraueigentlich … oderbessergesagt, warsie? EineSchauspielerin?«

»Dasweißniemandsogenau«, antworteteElfie. »SiemachtimmereingroßesTamtamumihrePerson, wirdaberniemalskonkret. VermutlichausgutemGrund.«

»Ichglaube, siewarTheaterschauspielerin«, sagtePetra. »IrgendeinNo-Name.«

»WirkönntenmaldasInternetbefragen«, schlugSofiavor. Hießesnichtimmer: WissenistMacht? – EventuellkönntesiesichdadurchkünftigbesseraufdieFraueinstellen, dieStammkundinimBürgerbürozuseinschien.

»Schon versucht.« Linda winkte ab. »Wir wissen ja auch nicht, unter welchem Namen sie aufgetreten ist. Dorothea von Rotendamm heißt sie erst seit der Eheschließung mit diesem Landadeligen, der so anständig war, vor zehn Jahren das Zeitliche zu segnen und ihr einen Haufen Geld und die Villa in Lindach-West zu hinterlassen.«

»UndseitdemTodihresMannesgehörteszuihrenHobbys, unszuterrorisieren«, setzteElfiehinzu. »Ihristeinfachstink­langweilig, undsiehecheltpermanentumAufmerksamkeit.«

Siemusssehreinsamsein, dachteSofia. »HatsiedennkeineFreunde? KeineVerwandten?«

»MeineTantewohntindieserSiedlung, woauchderMannmitdembösen, bösenLaubsaugerwohnt«, sagteLinda. »Siehaterzählt, dassdieRotendammdurchausBesuchkriegt. EinejüngereFraumitMünchnerKennzeichenbesuchtsieregelmäßig. MeineTantehatdiebeidenschongemeinsambeimEinkaufengesehen. VielleichteineTochteroderso …«

Alsoistsiedochnichteinsam, dachteSofia. SeitihrerTrennungvonPatrickkanntesiedaszerfleischendeGefühlvonEinsamkeit. Siewünschteesniemandem.

*

WiebeinahejederMensch, sohatteauchSofiafrüherdenFeierabendkaumerwartenkönnen. Mit demHandyinderHandhattesieabendsamMünchnerHauptbahnhofgestandenundPatrickperWhatsAppangekündigt, dasssiedenfrüherenZugerwischte. AufderübereineStundedauerndenFahrthattesiemeistgelesen. SieliebtedieRomanevonIsabelAllende, GabrielGarcíaMárquez, CelesteNgundHarukiMurakami, weilsienachdemLesendasGefühlhatte, etwasdazugelerntzuhaben.

Doch jetzt war alles anders. Sie fuhr nicht mehr Zug. Auf Bücher konnte sie sich kaum mehr konzentrieren, auch wenn sie nun viel Zeit für sich hatte.

Auch an diesem Abend kehrte sie in eine leere Wohnung zurück, in der sich nur so viele Möbelstücke befanden, wie unbedingt notwendig: ein Ein-Meter-vierzig-Bett und ein Kleiderschrank vom Discounter im Schlafzimmer, ein Zweisitzersofa, ein kleiner Holztisch, ein Bücherregal und das Kästchen mit dem Fernseher im Wohnzimmer. In der Küche einen kleinen Tisch, an dem sie manchmal aß. Meistens jedoch nahm sie den Teller Suppe oder die Nudeln, die sie sich kochte, mit ins Wohnzimmer, da es hier zumindest den Fernseher zur Unterhaltung gab.

AllerdingskonntesiesichseltenaufeinenFilmodereineSerieeinlassen. OftliefderFernsehereinfachnurimHintergrund, währendsieaufihremHandydenaltenChatverlaufmitPatrickstudierteundsichfragte, obsieanirgendeinerStellehättebemerkenmüssen, dassihreBeziehungbröckelte. Dochwassiesah, warenHerzchen, Emoji-BussisundBlumensträuße. BesondersvielehattePatrickgeschickt, alssieimKrankenhauslag, weilsiedasBabyverlorenhatte.

NichtdasBaby, eigentlich. EinBaby. Einesvonfünf, mitdenensieindenvergangenenvierJahrenschwangergewesenwar. LängeralsdreibisfünfMonatehattekeinesvonihneninihremBauchausgehalten.

DiesesletzteBabywarihrimmerhinbiszurdreiundzwanzigstenWochegeblieben – einMädchen; siehatteesRosaliegenannt, nachihrerGroßmutter. BeidervielzufrühenGeburt, dieeigentlichmehreinAbgangwar, hattesie502Grammgewogen – geradegenug, umeinenNamenzubekommenundbeerdigtzuwerden. RosalielagnunamLindacherFriedhofineinemSarg, dervielzugroßwar, untereinemErdhügel, derganzgewissvielzuschwerwar.

GemeinsammitPatrickhattesieeinenGrabsteinausgewählt – schlicht, nichtzuauffällig, versehenmitihremVornamenundzweiidentischenDaten: GeburtundTod.

Danachwarsiezusammengebrochen.

DiedarauffolgendendreiMonatehattesieineinerRehaklinikverbracht. Dorthattesienichtnurvielübersichselbstgelerntundaufgearbeitet, sondernauchmitderVorstellungabgeschlossen, jemalsMutterzuwerden. PatrickdagegenkonntesicheinLebenohneKindernichtvorstellen.

ImJuniredetensieerstmalsvonTrennung. ImJuliwarensiesicher, dassdieKluftzwischenihnenunüberwindbarwäre, undimAugustsprachensieesaus: Scheidung.

SofiazogausdemgemeinsamenHausimKopernikuswegaus, Patrickbliebdortwohnen. Seitherversuchtesie, sichmitdemSingle-Daseinzuarrangieren. Prinzipiellgelangesihrganzgut, dennalleindieVorstellung, nebeneinemMannaufzuwachen, derständigetwasvonihrwollte – Sex, reden, PlänefürdasWochenendeschmieden –, überfordertesie. AndererseitszogensichdieAbendeundWochenendenohneGesellschaftindieLänge. Erstjetztwurdeihrbewusst, dassihrFreundeskreisinWahrheitPatricksFreundeskreisgewesenwar. UmeigeneFreundschaftenzuknüpfen, warsiezubeschäftigtgewesen – einerseitsdurchdastäglichePendelnvonLindachnachMünchen, andererseitsdurchihreUnternehmungenmitPatrickunddessenBekannten.

AlswürdesichdasSchicksaleinenschlechtenScherzerlauben, bekamsiejustnachihrerTrennungdenehemalslangersehntenBescheid, dassihremAnsuchenumArbeitsplatzwechselstattgegebenwordenwar. UndsomitwohntesiejetztnichtnurineinemOrt, andemsieniehattelebenwollen, sondernarbeiteteauchnochhier. UmetwasanihrerSituationzuändern, fehlteihrdieEnergie.

MiteinemSeufzererhobsichSofiavomSofaundtrugdengeleertenSuppentellerzurückindieKüche. SiemusstevorerstwohldasBesteausdiesemJobimLindacherBürgerservicemachen. WieauchzuvorinMünchen, sowürdesieihreArbeitzuallerZufriedenheiterledigen. Inein, zweiJahrenwürdesiedanndieRückversetzungnachMünchenbeantragen. EinstweilenmusstesiesichmitdenKolleginnenundmitLindacharrangieren.

 

Es wird scho glei dumpa

DasheißeFettspritzteauf, alsderjapanischeKochschwungvolleineSchöpfkellemitundefinierbaremTeigaufdieheißeSteinplattevorEdithsNasegab. SchnellwurdederTeigzueinemFladen, denderKochnunmitShrimpsundMuschelnsowie – zuEdithsEntsetzen – mitreichlichKohlgarnierte.

SiegriffnacheinerderbeidendunklenFlaschenmitSchriftzeichen, dieihrnichtssagten, unddrücktereichlichvonderFlüssigkeitausdemPlastik. Wennsieetwashasste, dannwaresKohl!

»Edith. Sachte, sachte!«

Ben, ihrlangjährigerFreundundGeschäftspartner, griffnachihremHandgelenkundhieltsiedavonab, dasDingaufihremTellerinbraunerSoßezuertränken.

»DunimmstdireinherrlichesGeschmackserlebnis, wennduesmitderOkonomiyaki-Soßeübertreibst!«

MiteinemgequältenSeufzerstellteEdithdiekleineFlaschezurückundsahihnungläubigan.

»Im Ernst, Ben? Das ist dein kulinarischer Geheimtipp? Pfann­kuchen mit Kohl? Und dafür schleppst du mich ans andere Ende der Stadt?«

Ben, ein schmaler Typ mit rötlichem, kurzem Haar, länglichem Gesicht und blasser Haut, der Jeans und Sweatshirt zu seiner Arbeitsuniform erklärt hatte und nur dann Anzug und Krawatte trug, wenn es absolut unvermeidbar war, grinste sie fröhlich an.

»SagzueinemOkonomiyakiniemalsPfannkuchen! – Weißtdu, wiewenigeLokaleeshierinMünchengibt, diedirein ­wirklichexzellentesOkonomiyakiservieren? – EsgibtgenauzweidieserLokale. EinesinIsmaning, dasanderehierinLaim. QuasivorderHaustür. Undvergissnicht, ichhabedichpersönlichmitmeinemSilberpfeilvordieTürgefahren. WannkommstduschonmalindenGenuss, vordenAugenallerauseinemsolchenGefährtzusteigen?«

»Ähm, vor zwei Tagen, als wir zu dem Termin in den Schwarz­wald gefahren sind?«

»DieBetonunglagaufvorallerAugen. – Hastdunichtgesehen, wiedieseBankerinihrenAnzügengeschauthaben, alsduvomBeifahrersitzgeklettertbist?«

SeineblauenAugenleuchtetenwiedieeinesKindes, dasanHeiligabenddenerstenBlickaufdenWeihnachtsbaumwerfendurfte. Edithlächeltenachsichtig.

Bens Leidenschaft für schnelle, teure Autos hatte sie nie nachvollziehen können. Als sie zu Studentenzeiten eine Bude geteilt hatten, waren seine Zimmerwände mit Postern von Sport- und Rennwägen fast vollständig bedeckt gewesen. Jetzt, da sie beide gutes Geld verdienten, hatte er einen Teil seines Verdienstes in einen silbergrauen Porsche 911 investiert, einen anderen in ein Bentley Cabrio, das er in einer Sonderausstattung aus Groß­britannien hatte importieren lassen und das den Winter über nur in der Garage stand.

Esstimmte, dassdieLeuteschauten, wennBenundsieineinemdieserWägenvorfuhren. DochimGegensatzzuBenwarihreWahrnehmungfeingenug, umzuerkennen, dassauchsiealsInsassendieAufmerksamkeitderMenschenaufsichzogen. SiekonntedieunausgesprochenenFragenindenGesichternderLeuterichtiggehendlesen: WarumkonntesichdieserabgerisseneTypinverwaschenenJeansundSweatshirtsolcheAutosleisten, undwiekamerzudieserelegantgekleidetenFrauanseinerSeite?

Edith war mit einer Körpergröße von einem Meter fünfundsiebzig keine kleine Frau. Wenn sie Schuhe mit Absätzen trug – was sie gerne tat, da diese zu ihren Röcken und Kleidern nun einmal besser passten als flaches Schuhwerk –, überragte sie Ben um zehn bis fünfzehn Zentimeter. Während er noch immer aussah wie der junge Mann von früher, strahlte sie das aus, was sie nun einmal war: eine achtunddreißigjährige Geschäftsfrau, deren Veranstaltungsagentur Roundabout zu den führenden im deutschsprachigen Raum gehörte. Gemeinsam mit Ben und Tina, ebenfalls einer Freundin aus Studienzeiten, hatte sie die Agentur noch während des Wirtschaftsstudiums an der Uni Köln gegründet. Das erste Event, das sie organisiert hatten, war ein Freiluftkonzert einer britischen Indie-Band gewesen. Gerechnet hatten sie mit maximal zweitausendfünfhundert Besuchern. Verkauft wurden letztendlich über siebentausend Karten. Dass die Sanitäranlagen und das Platzangebot der gebuchten Veranstaltungs­location nicht für so viele Menschen ausgerichtet war, realisierten sie erst, als das Kölner Verwaltungsamt davon Wind bekam und sie auf die gesetzlichen Vorgaben hinwies. Edith betrachtete es im Nachhinein als Episode der Reihe Mehr Glück als Verstand, dass sie kurzfristig auf das Messegelände hatten ausweichen können. Das Konzert wurde ein voller Erfolg. Der Reingewinn übertraf ihre kühnsten Erwartungen. Eine Geschäftsidee war geboren.

InzwischenorganisierteRoundaboutnurnochseltenKonzerte, dafürjedochKirmessen, JahrmärkteundStadtfeste. NochimmerarbeitetensiealsTrio, wobeijederseineSchwerpunktehatte: BengaltalsderkreativeKopf, TinaalsJuristinkümmertesichumdasOrganisatorischenebstderEinhaltungallerbehördlichenAuflagenunddemAufsetzenderVerträge, Edithwardiejenige, diedasUnternehmennachaußenvertrat, KundenakquirierteundVerhandlungenführte. AußerdemgehörteninzwischenJessy, dieSekretärin, undFelixzumTeam. Letztererwarfürquasialleszuständig, wassonstkeinermachenwollte, undertatdasinderRegelohnezumurren. DennzumeinenwarererstfünfundzwanzigJahrealtundsahdenJobalsTrittbrett, zumanderenwarBenseinOnkel, denervorbehaltlosbewunderteunddemersichunbedingtbeweisenwollte.

»Also. Was sagst du zum Okonomiyaki? Ist es nicht köstlich?« Ben sah sie erwartungsvoll an.

EdithschlucktedenBissenherunter. »OhnedenKohl … istessichergut. AbervermutlichbinicheherderSushi-Typ, wennesumjapanischesEssengeht.«

»Also, ichbineindeutigderOkonomiyaki-Typ.«

TatsächlichhatteBenseinenTellerschongeleert.

»Ichhabemirschonüberlegt, obwirdieseOkonomiyaki-­Sachenichtirgendwointegrierenkönnten. StattdemüblichenLángos- undBratwurststand. DaswäremaletwasNeues: japanischeSpezialitätenamNeufahrnerKirtag!«

»Warumausgerechnetdort?«

BenhobdieSchultern. »KammirspontanindenSinn – vielleicht, weildiegesterndenVertragfürnächstenSeptemberunterschriebenhaben.«

»Oh.« EdithhobihreschmalgezupftenAugenbrauen. »Tatsächlich? – Undda hatte ichnachdiesemschwierigenGesprächsmarathonmitGemeinderatundBürgermeisternoch gedacht, dassdieeinenRückziehermachen würden!«

»Nein, nein. DiesindvollaufLinie.«

»Heißtwasgenau?«

»SiehabensichsogardieteuersteVarianteentschieden – mitAchterbahn, KarussellundAutoscooter.«

»Ichbinwirklichüberrascht.«

»MeinVerhandlungsgeschick.«

EinpaarSekundenlangspiegelteseinGesichtpureSelbstzufriedenheitwider. Dannlehnteersichnachvorneundsagte: »Jetztsagesschon. Esistnichtsoschwer. Duschaffstdas.«

»Wasschaffeich?«

EdithschobsichdenletztenBissenindenMundunddachtedaran, warumsiedasfinaleGesprächmitdenNeufahrnerninBensHändegelegthatte. Abgesehendavon, dasssievonderUnentschlossenheitundKnausrigkeitderEntscheidungsträgerdieNasevollgehabthatte, warsieandiesemTagzubeschäftigtdamitgewesen, sichselbstzubedauern. EinenTagzuvorhatteIsabellnacheineinhalbJahrenaufstürmischenBeziehungswogendasgemeinsameSchiffendgültigzumKenterngebracht. Siehabesichverliebt, hattesieihrbeimMittagslunchimvoll besetztenRestauranterklärt. UndzwarinStefano, einenSkilehrerausIschgl.

EdithtrafdieseMitteilungwieeinFelsbrocken. Nichtnur, dassIsabell, derenSchulterklischeehafteinetätowierteDoppelaxtzierteunddiebeikeinemCSDgefehlthatte, ihrwegeneinesMannesdenRückenkehrte. Nein, siehatteihnauchnochindiesemeinzigenUrlaubkennengelernt, indemEdithsiearbeitsbedingtnichthattebegleitenkönnen.

DassdiebeidennichtnuraufderPisteaktivgewesenwarenundüberdenUrlaubhinausKontaktgehaltenhatten, erfuhrsiezwischenBrokkolischaumsuppeundThunfischsteakinSesampanade. DieCrèmebruléehattesiezurückgehenlassen, alsIsabellungeniertdavonzuschwärmenbegonnenhatte, dasssiederSexmitStefanowesentlichmehrbefriedigte.

GeheulthattesieerstzuHause – wenigerwegenIsabellselbst, mitdersogareineharmloseVerabredungzumSamstagsbruncheineHerausforderunggewesenwar, sondernweilsiesichallmählichfragte, obesihrLebenlangindiesemStilweitergehenwürde: kurzfristigeBeziehungenmitschwierigenFrauen, diesieletztendlichfürandereverließen.

WährendsiedieAbwechslungfrühereinigermaßengenossenhatte, wünschtesiesichmitzunehmendemAltermehrStabilität.

»Duschaffstes, dielobendenWorteauszusprechen: Ben, dubistderGrößte!«, rissihrGegenübersieausihrenGedanken. »Ben, duhastdasganztollgemacht. Ben, ichbinabsolutbegeistert. – Kommschon, Edith, suchedireinenSatzdavonaus!«

»Ben, dubistmeinHeld!« EdithlegtedasgrößtmöglichePathosinihreStimmeundunterstrichihreWortemiteinerKusshand.

Ergrinstezufrieden.

»VielleichtnocheinDessert? DasSchwarzeSesameissollhiergöttlichsein!«, schlugervor.

Siewinkteab.

»IchhabeinzwanzigMinuteneinenFriseurtermin. Wärealsonett, wenndumichaufderRückfahrtbeiRinaldoabsetzt.«

»DubistschonwiederbeimFriseur? Also, fürmichsiehstduperfektaus!«

»Danke, aberichselbstseheHaare, diemittlerweilevielzulangsind – undgraueSträhnen.«

Als sie das Lokal verließen, konnte sie sich eine abschließende Bemerkung zu ihrem Restaurantbesuch nicht verkneifen: »Sechzig Euro für zwei Pfannkuchen, einen Litschisaft und ein Mineral­wasser? Ernsthaft?«

*

RundzweiStundenspäterkehrteEdithinsBürozurück. RinaldohatteihrHaarwiederinFormgebracht – hintenkurz, vornefransig – undmiteinerMischungausBlond, BraunundRotzumGlänzengebracht. IhreursprünglicheHaarfarbewarsonichtssagendundfad, dasssiesichgarnichtmehrrichtigansieerinnernkonnte.

Jessy, derenweißerRollkragenpullisichvonihrerdunklenHautfarbeabhob, empfingsiemiteinemGesichtsausdruck, derEdithsAlarmglockenschrillenließ.

»Wasistpassiert?«

»FelixliegtinZellamSeeaufderOrthopädie. OberschenkelhalsbruchundGehirnerschütterung.«

»DulieberHimmel!«

FelixhattesichdieWochefreigenommen, ummitFreundenamGletschervonKaprundieSnowboardsaisoneinzuläuten.

»Benkonnteschonmitihmsprechen; derUnfallmusshaarsträubendgewesensein. ErhattewirklichGlückimUnglück, dennansonstenistihmnichtspassiert. Aberduweißt, wasdasbedeutet …«

Natürlich wusste sie das. Im Moment lief das Geschäft so gut, dass sie sich einen Ausfall im Kernteam eigentlich nicht leisten konnten. Nichtsdestotrotz fühlte sie sich schuldig, weil sie nur einen Berg Arbeit auf sich zukommen sah, anstatt Felix zu bedauern.

»Erwirdheutenochoperiert.« BenwarausseinemBürogekommenundlehntesichandieWandgegenüberdemEmpfangstresen. »Klingtziemlichkleinlaut. Kannmirschonvorstellen, wiedaspassiertist: Nacheinemfeucht-fröhlichenZwischenstoppinderSkihütteging’sdarum, werdiecoolsteFiguraufderPistemacht! Einfachnurhirnverbrannt!«

Edithsahihmdeutlichan, dassersichärgerte.

»Wer ist hirnverbrannt?«, fragte prompt eine Kinderstimme.

DerkleineblondeJunge, deraufderSchwelledesBüroeingangsstand, sahneugierigvoneinemzumanderen.

»Bitte, Basti, geh endlich vorwärts! Ich will hier nicht im Treppenhaus festwachsen!«

HinterihmtauchteeinemolligeFraumitdunklerBrilleundblondemBobauf. UngeduldigschobsiedenJungeninRichtungEmpfangundzogdieTürhintersichzu.

»Habeichwasverpasst?«

»MeinNeffehatsichfürdienächstenzweiMonateinsOffgeschossen.« BenredetenichtlangumdenheißenBreiherumundberichteteTina, derDrittenimBunde, wassichzugetragenhatte.

»Oje«, lauteteihrresignierterKommentar, währendsieBastisSchultaschenebenderRezeptionabstellte. »Daskannjaheiterwerden, jetzt, woeshinsichtlichderWeihnachtsmärkteindieheißePhasegeht.«

»WirwerdenmehrFreelancerbrauchen«, stellteEdithfestundginggedanklichbereitsentsprechendeKontaktedurch. »Selbst, wennFelixdenLiegegipsweghat, wirderwochenlangnichtmobilsein.«

»LasstunsbaldmöglichsteineÜbersichtüberdieanstehendenProjektemachenundZuständigkeitendefinieren«, sagteBen. »FelixhateinigesaufdemSchreibtisch.« ErklatschtesichaufdieStirn. »Wirklichbescheuert. Ichhätteihndaranankettensollen!«

»Jetztübertreibemalnicht.« TinalegteihrenMantelab. »DerKerlistjungundwillwaserleben. Esreichtdochschon, dasswirbeinaheimBüroleben. MitfünfundzwanzigmussmanwirklichnochnichtzumWorkaholicwerden. – Außerdem, soeinUnfallhättejedemvonunspassierenkönnen!«

»Mir nicht. Ich betreibe keine Risiko­sportart.« Ben blieb unerbittlich. »Und das aus gutem Grund!«

»DafürrastdumitzweihundertdreißigKilometerdieStundeüberdieAutobahn.« Edithseufzte. »Esbringtnichts, ihngedanklichzuerwürgen, Ben. WirbraucheneineLösung.«

»TreffenwirunsinfünfMinuteninmeinemBüro«, schlugTinavor. »IchhabedieVerträgedernächstenVeranstaltungenbeimir. Dakönnenwirgleichherauslesen, waswannwobenötigtwird.«

»Mama …«

Basti, dermitvollemNamenSebastianhieß, achtJahrealtunddasErgebniseinerAffäremitdemLead-SängereinerunbekanntenJazzbandwar, hattebereitswiederdiesengewissenTonfall, derdeutlichverriet, dassersichseinenNachmittagandersvorgestellthatte. NurdreiMonatehatteTinanachseinerGeburtpausiert, dannhattesiemitdemSäuglingimSchlepptauwiederihrBürobezogen. ObgleicheineEckeihresBürosheuteeinemKinderzimmermitbuntemSchreibtischundLego-Sammlungglich, konntesichBastimitzunehmendemAlterimmerwenigermitseinerRollealsBürokindanfreunden. WennihnTinagegen16UhrvomHortabholte, fuhrsiemeistgleichnachHause, umvondortausweiterzuarbeiten. HeutehattederHortscheinbargeschlossen.

»DukannstbeiJessysitzenunddeineHausaufgabenmachen«, sagteTina, offensichtlichunwillig, sichaufweitereDiskussioneneinzulassen. »Langebrauchenwirsowiesonicht.«

EdithhobdieAugenbrauen, sagteabernichts. TinawarfihreinenwarnendenBlickzu.

»DanachgehenwirzuMcDonalds«, locktesieihrenSohn, derwenigüberzeugtvorderRezeptionaufundabschlich. »Abernur, wenndeineArbeitsblätterausgefülltsind!«

»Nagut.« Bastiwirktenochimmernichtbegeistert, sahaberoffensichtlichein, dassihnWiderwortenichtweiterbrachten. MitwenigEnthusiasmusbeganner, inseinerSchultascheherumzu­kramen.

TinawarfJessyeinenentschuldigendenBlickzu.

»Tutmirleid, dasswirdeinenPlatzblockieren, aberimZimmergibtermirkeineRuhe …«

»KeinProblem.« JessyhobbeschwichtigenddieHände. »Bastiundichmachenesunshiersupergemütlich. Nichtwahr, kleinerRäuber?«

SiefuhrihmdurchseinblondesHaarundließsichnichtdavonbeirren, dasserunwilligseinenKopfwegdrehte.

»Ichbinnichtklein«, brummteermissmutig. »UndschongarkeinRäuber!«

»Echtnicht?« JessymachteeinerstauntesGesicht. »Wasdenndann? EinGauner?«

»Nein! – EinAnwalt! Istdochlogisch!«

»GanzdieMama«, bemerkteEdithtrocken.

ObgleichsienachTinadieErstegewesenwar, diedenfrisch ­geborenenBastiindenArmengehalten hatte, warsieimGegensatzzuJessyniewirklich in der Lage gewesen, einengutenDrahtzuihmaufzubauen. ImUmgangmitKindernfehlteihreinfachjedesGeschick. SiehattenichtsgegendieKleinen, fandsiebisweilensogarsehrherzigundsüß. Abersiewussteeinfachnicht, wassiemitihnenanfangensollte.

»IchbinJuristin, nichtAnwältin«, korrigierteTinanüchtern. »UndzwareineJuristin, diedringendeinenKaffeebraucht, ehesiesichmiteuchindieKrisensitzungbegibt!«

EinehalbeStundespäterhattensiesicheinenerstenÜberblickverschafft.

»DerWeihnachtsmarktinNeumarktsteht. FürdenMittelalterlichenAdventaufBurgTrausnitzfehltnochdiefinaleZusagediesesImkers, derimvergangenenJahrschondenheißenHonigmetausgeschenkthat. DannbrauchenwirnocheinChristkindfürdasWeihnachtssingenaufdemRegensburgerSchlossplatzundeinenLebkuchenverkäuferfürdenChristkindlmarktinScheuring«, gabTinaschließlicheinekurzeZusammenfassung. »DieSteinfurtermüssensichspätestensinnerhalbdernächstenzehnTageentscheiden, obsieihrfürdenMaigeplantesVolksfestnunMaidultoderFrühlingsjahrmarktnennenwollen. FürWarendorfimJunifehltdieoffizielleGenehmigungfürWasser- undStromnutzungamStadtplatz. EinereineFormalität, aberichwillesschriftlich! Außerdemmussgechecktwerden, welcherFahrgeschäftebetreiberdieAuflagenfürdasPaderbornerFrühlingsfestimAprilübernächstenJahreserfüllt. Ichtrau’ diesemKalwetschniggnicht, dersichmitseinerTanzendenKrakesoengagiertbeworbenhat. DenhattenwirdochvorvierJahreninHerford, undichkannmichsehrguterinnern, dassdasbiszuletzteineinzigerNervenkitzelwar …«

»Ja, icherinneremich.« Edithseufzte. »ErstfieldieAnlagebeiderTüv-Prüfungdurch. NachdemerdieMängelbehobenhatte, wollteerunseinenAufpreisberechnen.«

»Richtig. DeshalbsolltesichjemanddiesenIonescumitdemFliegendenTintenfischanschauen. DasDingscheintimPrinzipdasgleichewiedasvomKalwetschniggzusein. MomentanstehtesnochindenNiederlanden, abervonMittwochbisSonntagistesaufdemHerbstrummelinKitzingen, unddaswäredocheineguteGelegenheit, um –«

»IchfahrenachKitzingen«, sagteBen, nochehesiedenSatzvollendenkonnte. »MacheichgleichamMittwoch. IchbinamDienstagohnehininBadZwestenundverhandlewegeneinerDult. DakannichaufdemRückwegdenTintenfischundseinenBetreiberunterdieLupenehmen.«

Edithschmunzelte. VolksfestewarengenauseinDing. BenkamauseinerSchaustellerfamilie – seineElternhatteneineSchießbudeundeinenLosstand. BiszumzehntenLebensjahrwarenBenundseinBrudermitihnendurchhalbEuropagetingelt. DannwechselteeraufsInternat, unddieDulten, VolksfesteundKirmessenbliebenseinFerienvergnügen.

»IchkümmeremichumWarendorfundSteinfurt«, sagteEdith. »AnsonstenhabeichnächsteWochezweiTermineinAnsbachundHeidenheimundmusseinKonzeptfürdieKirmesinHalberstadtfertigstellen.«

»Wenn du in Heidenheim bist, könntest du auf dem Rückweg einen Umweg über Ingolstadt machen«, schlug Tina vor. »Die Druckerei hat uns informiert, dass die Plakate für das Mittel­alterfest in Riedenburg zur Abholung bereit liegen.«

»Klar, keinProblem.« EdithsahaufihreArmbanduhr. »Sorry, aberwennwirjetztdasWichtigstegeklärthaben, geheichanmeinenSchreibtisch. Wenneuchnochetwasunterkommt, gebtBescheid. Miristallesrecht – nurbitteaufkeinenFalldiesesWeihnachtszeug!«

BenundTinalachten. EdithsAbneigunggegenalles, wasmitWeihnachtenzutunhatte, warihnennurzugutbekannt. WäreesnachEdithgegangen, hättesiesichlieberweiterhinmitKünstleragenturenundkapriziertenMusikernherumgeschlagen. DochdaWeihnachtsmärkteeinwesentlichzuverlässigeresGeschäftwarenalsKonzertemitSängern, dieplötzlichProblememitDrogen, denStimmbändernoderbeidemhatten, wardieEntscheidungzugunstenvonGlühweinbuden, LebkuchenständenundWeihnachtsmannausgefallen. TrotzdemüberließsiedieweihnachtlichenProjektelieberdenKollegen.

EdithhattegeradeanihremSchreibtischPlatzgenommen, alssichTinatelefonischvonnebenanmeldete.

»SagtdirderWeihnachtsmarktinLindachirgendetwas?«

EdithüberlegteeinpaarSekundenlang, ehesieantwortete: »Vage. – WarendienichtvorzweiJahreninKontaktmituns? Soweitichmicherinnere, istabernieetwasdarausgeworden.«

»Hmmmhmm.« TinasBrummenverhießnichtsGutes. »IchhabeinFelix’ UnterlagennocheinensehrrudimentärgestaltetenVertraggefunden, derdefinitivnieübermeinenTischgewandertist, aberdennochunterzeichnetwurde!«

EdithsMagenzogsichzusammen. Sieahnte, werdieUnterschriftunterdenVertraggesetzthatte.

»WardaseinesvonAmbrasProjekten?«

»Siehtganzsoaus.«

DasSchweigen, dasTinaihrenWortenfolgenließ, fühltesichwieeinZehn-Zentner-GewichtaufEdithsBrustkorban. VorvierJahrenhattesieeinenFehlergemacht, dessenFolgenRound­aboutimmerwiedereinholte.

AmbrawareinedamalssechsundzwanzigjährigeJuristin: lebhaft, fantasievoll, attraktiv, sehrsexy – undlesbisch. EdithhattesieüberFreundinnenkennengelernt, undobgleichvomerstenTaganalleihreAlarmglockengeschrillthatten, warsieihrsofortverfallen. DerSexwarsoraffiniertundaufregend gewesen, dasssieübereiniges, wasfürAmbratypischwar, gernhinweggesehen hatte: dasssiesichdieRealitätgernzuihremVorteilzurechtbog.

AlsAmbranachStudienabschlussProblemehatte, einenJobzufinden, warEdithgernbehilflich. ImNachhineinwusstesieselbstnichtmehr, wassiegerittenhatte, alssieihrdenJobinderAgenturanbot. SchließlichwäreihreGeliebtegewissauchwoandersuntergekommen, hättesiesichbemüht. DochBewerbungenzuschreibenwarihrzumühsam, unddieerwartetenAnrufevonHeadhunternbliebenaus.

WenigstenshatteEdithdieEntscheidung, AmbrainsTeamaufzunehmen, nichtalleingetroffen. TinahatteesdamalsfüreineguteIdeegehalten, einezusätzlicheJuristinmitinsBootzuholen. NurBenhatteBedenkengeäußert: AlsBerufseinsteigerin ­bräuchteAmbraKontrolleundAnleitung, alsGeliebteeineBeziehungaufAugenhöhe.

InderÜberzeugung, damitumgehenzukönnen, hatteEdithBensEinwändeignoriert. LetztendlichwarenesdannAmbrasUnehrlichkeitundSchlampigkeitgewesen, diesiedazugezwungenhatten, dasArbeitsverhältnismitihrzubeenden. MehrmalshatteAmbrawichtigeFristenverschwitzt, KundenterminevergessenodersichbereitsumvierUhrnachmittagsinsFitnessstudioverabschiedet, obgleichsichaufihremSchreibtischdieArbeittürmte. AlsEdithsiebat, sichzumindestandieVierzig-Stunden-­WocheinihremDienstvertragzuhalten, hatteAmbraihraggressiventgegengehalten, dassEdith, BenundTinajaauchkamenundgingen, wieesihnengefiel. DassdiedreidasGründerteamderAgenturwarenundaufeigenesRisikoarbeiteten, wogegensiealsAngestelltedenLuxuseinesmonatlichenFestgehaltsunddasRechtaufbezahltenUrlaubgenoss, hatteAmbranichtinteressiert.

Auf die berufliche Kündigung folgte prompt die private. Edith hatte es nicht anders erwartet. Dennoch verfolgte diese Beziehung sie bis heute, und das nicht nur wegen der beruflichen Leichen, die Ambra hinterlassen hatte. Es nagte an ihr, dass sie sich durch aufregenden Sex und schmeichelhafte Worte so hatte täuschen lassen.

»Wieschlimmistes?«

EdithhatteihreSprachewiedergefunden.

»DerBürgermeisterhatdenVertragunterzeichnet, obwohlnichtsGenaueresdefiniertwurde – wederderUmfangunsererLeistungennochdergenaueZeitraum, wanndieserWeihnachtsmarktstattfindensoll. DastehtnurdieJahreszahl.«

Edith atmete tief durch. Das war typisch für Ambra. Allerdings hatte sie im Lindacher Bürgermeister offenbar einen Seelen­verwandten gefunden.

»WirhabenalsoeinenWeihnachtsmarktmehrzuorganisieren – jetzt, imOktober! HoffentlichwollendieLindachernichtmehralseinpaarPunschstände, einenBratwurstverkäuferundzwei, dreiAnbieterfürweihnachtlichesKunsthandwerk.«

»Davongeheichstarkaus«, erwiderteTina. »TrotzdembrauchenwirnocheinpaarRessourcenmehr. IchrufegleichbeimEmployeeServiceanundtastevor, obdienocheinpaarkräftigeLeutezumStandaufbauhätten. Die, diewirmomentaninunsererKarteihaben, sindEndeNovember, AnfangDezemberschonallefiximEinsatz.«

»NotfallsmüssenwirdenMarktinLindachebenschonAnfangNovemberaufbauenlassen«, überlegteEdithlaut. »ObdieleerenHüttenjetztzwei, dreiWochenlängerdraußenherumstehenodernicht, solltejakeinProblemsein.«

»Kommtdaraufan. WenndiedenMarktamStadtplatzabhaltenwollen, stelleichmirdasnichtganzsoeinfachvor«, gabTinazubedenken. »Außerdemwürdedasbedeuten, dasswirinnerhalbvonnurzweiWochenallesunterDachundFachbringenmüssen. Dasistsehrambitioniert.«

»Ichweiß.« EdithfuhrsichnachdenklichdurchihrHaar. »Dassiehtalsoziemlichdüsteraus.«

»Eswerdschogleidumpa, eswerdschogleiNacht«, trällerteTinapromptinsTelefon. »IchtelefonieremorgenmitderLindacherStadtverwaltung. Danachwissenwirmehr. Ichwolltedichnurschoneinmalvorwarnen.«

»Danke. Jetztfühleichmichdefinitivbesser.«

TrotzderUmständemusstensiebeidelachen.

EdithbliebandiesemTagnochlängerimBüro. EineKleinstadtinHessenhatteeinAngebotangefordertfüreineKirmes, zuderüberfünfhunderttausendBesuchererwartetwurden. ImBriefing­gesprächhattediezuständigeStadträtinimmerwiederbetont, dasssiesichetwasAußergewöhnlichesvorstellten – einenThemenpark, derfürdieRegioneinzigartigbleibensollte.

EinzigartigwardasStichwort, dasEdithnunandenSchreibtischfesselte. SiehattenStandardangebotefürVolksfeste: TraditionellerRummel, Märchenpark-Ambiente, RundumdieWelt; undganzneuimProgramm: hypermodernesGalaxy-Adventure. DasaßendieLeutezumBiertrinkenineinemRaumschiffundesgabFahrgeschäftemitfliegendenUfosundeinSternenkarussell.

Da sie kein Nachtmensch war, wollte sich die Kreativität nicht richtig einstellen. Um zwanzig nach acht Uhr abends, als Ben, Tina und Jessy schon längst gegangen waren, warf sie das Handtuch. Sie würde am nächsten Tag die Ruhe der frühen Morgenstunden nutzen.

IhrBedürfnisnachAblenkungundBewegungführtesieinsFitnessstudio. NacheinerStundeaufdemLaufbandunddemKursimKickboxen, derperfektinihrenZeitplanpasste, gönntesiesichnocheinenSaunagang.

Als sie gegen 23 Uhr ihre Wohnungstür aufsperrte, empfingen sie wohligeWärme und ein liebevollgestaltetesZuhause. Nur das Blinken des Anrufbeantworters verhieß nichts Gutes.

FünfneueNachrichten. AllevonderselbenNummer – ganzso, wieEdithesbereitsgeahnthatte.

InderKücheschenkte sie sicheinGlasMerlotein, dannbetätigtesiedengrünenKnopfamAnrufbeantworter.

17:32Uhr.

»Edith, wenndunachHausekommst, meldedichbittesofortbeimir. Esistetwaspassiert.«

18:16Uhr.

»Edith, wosteckstdu? – IchhabeesdreimalbeidirinderArbeitversucht, aberdeineSekretärinhatmichnichtzudirdurchgestellt! AlsobirgendeineBesprechungsolangedauernkönnte! – Abergut, ichwillnichtstreiten. Ichversuchemichdamitabzufinden, dassichindeinemLebennureineunwichtigeRollespiele. Wieauchimmer. Rufbittean. DieLageisternst.«

19:45Uhr.

»Washabeichdireigentlichgetan, dassdumichsobehandelst? – Ichwarimmerfürdichda, habeallesdafürgetan, dassausdireineselbstständige, gebildete, erfolgreicheFrauwird, unddanndas … DuhastdeinHandyausgestellt! Hasstdumichsosehr, dassdumichausdeinemLebenwirfst, woichsodringenddeineHilfebrauche!?«

21:32Uhr.

»Edith. Ruf. Mich. An. Sofort! – Manwillmichausrauben, mirmeinHabundGutnehmen! MantrachtetmirnachdemLeben! – Sograusamkannstdochnichteinmaldusein, dassdumichinderStundemeinesTodesdiesenAasgeiernüberlässt!«

22:52Uhr.

»Edith. Edith, meinSchatz. Gehtesdirgut? – Ichhabeesmehrmalsbeidirversucht. Diristdochhoffentlichnichtspassiert?« Pause, leisesSchluchzen. »Ichkönntemirnieverzeihen, wenndiretwaspassiertist, währendichgeradeaufdemSofasitzeunddarübernachdenke, wasichbeideinerErziehungfalschgemachthabe.« Pause, noch malSchluchzen. »Oh, Edith, meinSchatz! Bitterufmichan, wenndudazuinderLagebist. IchmachemirentsetzlicheSorgen.« Pause, dannmitklarerStimme: »DieVersicherungdrohtmirmitRauswurf. SiebeschuldigenmichderHochstapelei. Mich, kannstdudirdasvorstellen? IchbraucheeinenAnwalt. IchklagedieseVersicherungwegenüblerNachredeinGrundundBoden! GibmirdochbittedieNummerdeinerFreundin … Wiehießsiedochgleich … Nun, ichmeinedieAnwältin. DiemitdenkroatischenWurzeln. Also, solltestdudieseNachtdochnochgewilltsein, dieseNachrichtenabzuhören, dannmeldedich.«

EditherhobsichschwerfälligvomSofa, schaltetedenAnrufbeantworterausundgriffzumTelefon.

SiemussteeslangeläutenlassenundwünschtesichbereitseinzweitesGlasWein, dochdawurdederAnrufangenommen. SieunterdrückteeinSeufzen.

»Mutter, wasistlos?«

 

Süßer die Glocken nie klingen

»… unddannhatdieBräunerwortwörtlichgesagt: IchschmeißeeucheurenChristbaumhochkanthinterher, wennichmichumdiesenSch… kümmernsoll, undderMagretsreiterhatgeschrien: EsgibtnochgarkeinenChristbaum, dudussligeKuh, dasistjadasProblem!«

DerganzeTischlachte, Sofiaeingeschlossen. WasHanna, eineMittzwanzigerinmitLockenkopf, überdieStadtratssitzungvomVormittagzumBestengab, klangnachgroßemKino. HannawardieSekretärinderVizebürgermeisterinVeronikaFischerundhattediezweifelhafteEhregehabt, diekurzfristigeinberufeneSitzungzuprotokollieren.

»Ja, undwasistjetztmitdemWeihnachtsmarkt?«, erkundigtesichLindaneugierig. »Findeterstatt?«

Hanna ließ sich mit der Antwort Zeit, was möglicherweise auch daran lag, dass sie den Mund voller Spaghetti Bolognese hatte. Nach kurzem Kauen sagte sie: »Das klingt jetzt komisch, aber … ich weiß es nicht. Keine Ahnung, was ich in dieses dämliche Protokoll schreiben soll! Da war so ein Durcheinander, alle haben herumgeschrien und sich beschimpft. Total plemplem.«

»Dannsollensieihnhaltwiederausfallenlassen.« ElfiezucktemitdenSchultern. »LetztesJahrfandauchkeinerstatt, undniemandhatihnvermisst.«

»Also, ichschon«, erwiderteLindaempört. »Ichmages, abendsüberdenMarktzugehen, diegeschnitztenHolzfigurenoderWachsbilderanzuschauenundmichdannmitFreundenaufeinenGlühweinzutreffen!«

»GrausligesZeug.« ElfieverzogdasGesicht. »DieBrühevorzweiJahrenwarkaumtrinkbar! DiekamvonirgendeinemtschechischenGroßanbieter.«

»WennesderStadtnurdarumgeht, irgendetwasunterdemLabelWeihnachtenzumachen, solltesieesliebergleichbleibenlassen«, pflichteteihrPetrabei. »AußerdenPunsch- undGlühweinständen, demTypenmitdenKrippenfigurenunddemStand, andemdiesemaßlosüberteuertenWachsbilderverkauftwurden, gabesnichts, wasirgendwieweihnachtlichanmutete. ImGegenteil – denIndermitdenbuntenFlatterkleidernkannteichschonvomVolksfestundderStandmitdenFußballtrikotsistwirklichdergrößteStilbruch! WashabensolcheStändeaufeinemWeihnachtsmarktzusuchen?«

SofiahieltsichmitWortmeldungenzurück, dasieAngsthatte, beiderLästereiüberBürgermeisterundStadtratertapptzuwerden. Siekanntebisherjaniemandenrichtig. WelchenEindruckwürdesiehinterlassen, wennsiesichzuweitausdemFensterlehnte?

InsgeheimmusstesiePetrajedochrechtgeben: DerLindacherWeihnachtsmarktwarnichtnurübersichtlich, sondernausgesprochenscheußlich. Ansieben, maximalachtStändeerinnerteSofiasich, vondenenjederandersaussah, schwachflimmerndeLichterketten, eindürrerChristbauminderMittedesPlatzesundKlängeausLautsprechern, dieeherandenletztenZwischenstoppaufderSkihütteerinnerten, alsdasssiebesinnlicheGefühleaufkommenließen.

PatrickhattesichvorzweiJahreneinmalmitKollegenaufeinenGlühweinverabredet. Siehatteihnbegleitet, sichabergleichnachdemerstenBecherwiederentschuldigtundwarnachHauseverschwunden, sowenighatteihrdieAtmosphäredortbehagt. ZudemhattesiesichalsAnhängselihresMannesnochniesonderlichwohlgefühlt.

»MeinesWissenshatdieStadtbisherselbstdieAusstellerangeschrieben«, sagteChristianAngererjetzt. »SokriegtmannichtdieBesten. Wennmandasgrößerundprofessionelleraufzieht, läuftdasübereineAgentur.«

»Genau! Darumgehtesja!«, posaunteHannatriumphierendüberdenTisch. »SiehabensogareineAgentur – beziehungsweiseeinenVertragwiederentdeckt, denEppensteinervorzweiJahrenunterschriebenhat.«

AuchwennSofiaindenvergangenenJahrenkaumamgesellschaftlichenundpolitischenLebeninLindachteilgenommenhatte, sowarihrderSkandalumdendamaligenBürgermeisternichtentgangen. NachdemEppensteinerumkurznachzweiUhrfrühmitnahezuzweiPromillegegeneinenBaumgekracht, aberquasiunverletztausdemvölligzerbeultenSUVgeklettertwar, hatte