Keine Panik, Blondie! - Mirja du Mont - E-Book + Hörbuch

Keine Panik, Blondie! E-Book und Hörbuch

Mirja du Mont

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Beschreibung

Wie ich durch Angst, Krankheit und Krisen zurück ins gute Leben fand Sie ist Mutter, Ehefrau eines bekannten Schauspielers, gefragtes Model und Moderatorin. Scheinbar das perfekte Leben! Aber dieses Glück bekommt Risse. Die Ehe scheitert, die selbst auferlegte Perfektion fordert ihren Tribut: Mirja leidet unter Angststörungen und verliert infolge eines Hörsturzes (fast) ihr Gehör. An ein normales Leben ist nicht mehr zu denken. Heute liegen Krankheit und Verzweiflung hinter ihr, auch wenn sie inzwischen mit einem Hörgerät lebt. Mirja berichtet ehrlich, wie sie in die Krise geriet, was und wer ihr aus dem tiefen Tal half und wie es ihr heute gelingt, ein erfülltes und glückliches Leben zu führen – in Balance und mit wertvollen Beziehungen. Was sie schmerzhaft gelernt hat, möchte sie nun teilen: Du bist stärker, als du denkst! Du musst es nicht allein schaffen. Aber losgehen musst du selbst!

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Seitenzahl: 223

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Zeit:5 Std. 5 min

Sprecher:Anja Lehmann

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Für Simone.Du hattest recht, das Leben ist wunderschön.

„Ich sah Mirja und dachte: Okay, eine typische Showbiz-Barbie …“

Vorwort von Patricia Kelly

Mirja und ich lernten uns durch ein gemeinsames Projekt kennen, als wir gemeinsam für die VOX-Dokumentation „Sechs Mütter“ vor der Kamera standen. Ich muss zugeben, ich kannte sie vorher nicht. Ich schaue nur sehr selten Deutsches Fernsehen, eher amerikanische oder französische Filme. Auch Sky du Mont war mir nicht bekannt. Meine Assistentin schickte mir zur Vorbereitung Fotos und Infos über die anderen Mütter, bevor ich meine Teilnahme zusagte. Ich sah Mirja, und ehrlich gesagt dachte ich: Okay, eine typische Showbiz-Barbie.

Als ich dann ins Studio kam und Mirja vor mir stand, war ich fast erschrocken. Ich dachte nur: Wow! Ohne zu übertreiben eine der schönsten Frauen, der ich jemals begegnet bin. Porzellanhaut, strahlende skandinavisch-blaue Augen und wunderschöne blonde Haare. Und eine unglaubliche Aura. Selbst jetzt, wenn ich den Moment nur Revue passieren lasse, bekomme ich noch Gänsehaut.

Im Nachhinein habe ich mich geärgert, wie falsch ich damit lag, sie vorab so zu beurteilen, obwohl ich doch Christin bin und anderen mit Liebe begegnen will. Eigentlich schätze ich mich als Mensch ein, der sich nicht von Äußerlichkeiten leiten lässt, obwohl oder gerade weil ich in meinem Beruf so viele unterschiedliche Gesichter sehe und Menschen kennenlerne.

Was mich dann bei den Dreharbeiten zu der Sendung besonders berührt hat, waren Mirjas Echtheit und Authentizität. Nichts an ihr ist aufgesetzt oder gespielt. Sie ist bereit, ihr Herz zu öffnen, vor und hinter der Kamera. Als es um meine Mama ging, die ich früh an den Brustkrebs verloren habe, war es ihr nicht peinlich, ihre Tränen fließen zu lassen. Das hat mich zutiefst beeindruckt.

So unterschiedlich unsere Herkunft und unsere Leben auch sind, hatte ich von Anfang an das Gefühl, eine Schwester vor mir zu haben. Es fällt mir schwer zu beschreiben, warum es so ist. Mirja ist tiefgründig, hat etwas Geheimnisvolles und auch Spirituelles an sich. In den Gesprächen während der Aufzeichnungspausen erfuhr ich, dass auch sie an eine höhere Macht glaubt. Sie erzählte mir, dass sie sich Symbole auf ihren Rücken tätowieren lassen wollte, denen sie in ihrem Leben begegnet ist und die ihr wichtig sind.

Wir sind nicht seit vielen, vielen Jahren eng befreundet, und trotzdem ist da das Gefühl, eine Seelenverwandte gefunden zu haben. Wir blieben nach der Produktion in stetigem Kontakt, während jede ihren eigenen Weg ging. Während eines Gesprächs erzählte sie mir von ihren beginnenden Angst- und Panikattacken, ausgelöst durch einen Hörsturz. Sie berichtete von ihrem Kampf mit diesen Problemen und ihrem Zustand, und ich konnte es fast nicht glauben. Und sie bat mich, für sie zu beten, was ich über lange Zeit getan habe.

Ich bewundere ihre Kraft und ihren Mut, wie sie als sehr engagierte und liebevolle Mutter zweier junger Menschen diesen schweren Weg gemeistert hat. Wie sie trotz allen Widrigkeiten immer weitergegangen ist und darum gekämpft hat, zurück ins Leben zu finden. Wie sie heute wieder mitten im Leben steht und sich weiterentwickelt. Und wie sie trotzdem mit den Nachwehen lebt und mit dem, was davon vielleicht übrigbleibt. Dafür hat sie meinen großen Respekt und meine tiefe Zuneigung.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es viel Mut braucht, mit seiner Geschichte nach außen zu gehen, seinen schweren Weg mit anderen Menschen und der Öffentlichkeit zu teilen. Man weiß nie, ob man seinem Image damit schadet oder ob vielleicht Buchungen aufgrund dessen ausbleiben.

Aber mit diesem Schritt wird Mirja sich Zutritt verschaffen zu den Herzen der Menschen, die hinter die Fassade schauen und sich nicht von Oberflächlichkeiten leiten lassen. Im Zeitalter von Instagram, Photoshop und dem „Perfect Image“ müssen Menschen erfahren, dass dies nur eine Fassade ist und das wahre Leben oftmals eine Herausforderung. Auch für Menschen, von denen man es nicht glauben würde, bei denen es so scheint, als wäre alles okay.

Danke, liebe Mirja, dass du den Mut hast, dieses wundervolle, ehrliche Buch zu veröffentlichen. Als ich es las, hatte ich Tränen in den Augen. Und ich bin sicher, du wirst damit noch viele weitere Menschen berühren. Danke für deine Echtheit in diesen Zeiten! Ich wünsche dir allen Erfolg und vor allem, dass du die Herzen erreichst. Dass die Menschen sehen, sie sind nicht allein mit diesem Thema, das ein sehr aktuelles und weitverbreitetes in allen Schichten und Altersgruppen ist. Es ist an der Zeit, es aus der Tabuzone zu holen.

Alles Gute für dich und deine Familie.

All my love,

God bless you,

Patricia

Prolog: Vom Winde verweht mal anders

Ich sitze an meinem Fenster und schaue auf die leere Straße vor meinem Haus. Ein gelber Luftballon schwebt am grauen Himmel an mir vorbei. Was ich früher vielleicht übersehen hätte, trifft mich jetzt wie ein Lichtstrahl in mein Herz.

„Nimm mich mit!“, rufe ich in meinen Gedanken hinterher. Hinweg über Landesgrenzen, an den schönsten Ort dieser Welt, nach Kapstadt. Wann werde ich wieder dort sein können? Oder auch nur mal wieder meine Freunde umarmen? Mal wieder unbeschwert Musik lauschen und die Seele baumeln lassen können?

Was so ein kleiner unsichtbarer Virus mit unserer Menschheit macht!

Vielleicht denken wir Menschen aber auch einfach zu viel. Was nicht zu ändern ist, wird durch die vielen Sorgen, die wir uns machen, nur noch schlimmer. Vielleicht sollten wir auch keine so große Angst vor dem haben, was dieser Virus nun alles mit sich bringt. Denn das habe ich aus den letzten beiden schweren Jahren gelernt: Es ist wirklich so, dass jede Krise auch eine Chance bietet.

Und welche Chance das ist, merken wir ja schon: Alles Geld, alles Prestige und der Status auf Instagram zählen nicht mehr. All die Oberflächlichkeit wird infrage gestellt. Auf einmal haben wir einen unsichtbaren gemeinsamen Feind. Und Menschlichkeit und Liebe werden wieder großgeschrieben.

Und genau diese beiden sind es, die mir auch in meiner ganz persönlichen Krise geholfen haben. Egal, wie schlecht es mir ging oder wie weit ich am Boden war: Meine Kinder, meine Eltern und meine Freunde waren jede Minute für mich da, so wie ich auch für sie da bin, wenn sie mich brauchen. Das habe ich in meinem Leben wirklich richtig gemacht, egal, wie es ausgehen wird. Ich weiß, dass ich mit all meinen Fehlern und Ängsten geliebt bin und lieben kann. Dass Empathie mich immer weitergebracht hat. Und dass ich am Ende meines Weges hoffentlich genauso frei und glücklich sein werde wie dieser kleine gelbe Luftballon.

Mirja du Mont

3. April 2020

Einstieg

Die Schwarzwaldhochstraße liegt an diesem Juli-Vormittag in dicke Nebelschwaden gehüllt vor mir. Der Asphalt ist nass und in den engen Serpentinen muss ich öfter einen Gang runterschalten. Täler, Hänge, Wald – alles versteckt sich in verschiedenen Grauschattierungen. Der Sommer ist so deutsch wie seit Jahren nicht: kühl, regnerisch, wechselhaft. Man könnte depressiv werden.

Eigentlich passt das Wetter zu meiner Reise, denn ich bin auf dem Weg zurück. Zurück in die Max-Grundig-Klinik auf der Bühlerhöhe, psychosomatische Abteilung. Zurück in eine Zeit, die ebenfalls grau und neblig für mich war. Eine Zeit voller Angst und Schwindel, Depression und Zweifeln. Doch heute komme ich nur zu Besuch, um mit meinem damaligen betreuenden Arzt Dr. Heino Lisker zu sprechen. Meine graue Zeit ist vorbei. Der Nebel in meinem Kopf hat sich aufgelöst. Der Schwindel ist immer noch da. Die Ängste manchmal auch. Aber ich habe mit ihnen zu leben gelernt.

Am Empfang werde ich freundlich und mit viel Vertrautheit begrüßt, ganz so, als wäre ich nie weg gewesen: „Hallo, Frau du Mont, wie geht’s? Schön, Sie zu sehen. Was macht die Familie?“

Die Empfangsdame kündigt meinen Besuch telefonisch an und ich darf direkt hoch zum Büro des Leiters der Psychosomatik. Es geht vorbei an der Lounge im Atrium, mit dem riesigen Flügel in der Mitte und dem Billardtisch. Vorbei am Fitnessraum, der mit seinen bodentiefen Fenstern – bei gutem Wetter – einen atemberaubenden Blick über das Tal bietet, und vorbei am Speisesaal, den man besser Restaurant nennen sollte. Kaum etwas erinnert hier an eine Klinik, alles wirkt wie in einem Sterne-Hotel. Doch das Ambiente ist nicht so wichtig. Ich habe mich damals für diese Klinik entschieden, weil sie einen hervorragenden medizinischen Ruf hat.

Im Sommer 2018 war ich für sechs Wochen hier. Ein Privileg, dessen bin ich mir bewusst. Ich finde, jeder Kranke, egal ob körperlich oder seelisch, hat es verdient, bestmöglich behandelt zu werden. Und insbesondere, wenn die Psyche angeschlagen ist und selbst einfachste Handlungen Überwindung kosten, ist es natürlich hilfreich, in einer Umgebung behandelt zu werden, in der man sich wohlfühlt.

Das Gemeine an psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen ist ja, dass sie für Außenstehende häufig nicht erkennbar sind. Stünde die Diagnose jedem Betroffenen – wortwörtlich – ins Gesicht geschrieben, würde man sich beim Gang durch die Fußgängerzone oder durchs Einkaufszentrum erschrecken. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, DGPPN, eine wissenschaftliche Fachgesellschaft mit rund 9.000 Mitgliedern, weiß erschreckende Zahlen zu berichten: Jährlich erkranken in Deutschland knapp 28 Prozent der Erwachsenen psychisch. Das sind rund 18 Millionen Menschen. Eine unglaubliche Zahl!

Und trotzdem sind Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen nach wie vor ein Stigma. Etwas, das nicht in unsere schnelle, leistungsorientierte und selbstoptimierte Gesellschaft zu passen scheint. „Schlechte Tage hat doch jeder mal“ – „Du musst dich einfach mal zusammenreißen, das wird schon wieder“ – „Also, bei Gruselfilmen habe ich auch immer Angst“ – das sind dann die oft gehörten, gut gemeinten Ratschläge. Sie zeugen leider immer noch von sehr viel Unkenntnis, wenn es um Panikattacken, Angststörungen oder Depressionen geht. Umso wichtiger, dass sich Betroffene „outen“, an die Öffentlichkeit gehen und zeigen, dass solche Erkrankungen eben keine peinliche Schwäche sind und wirklich jeden treffen können: den Lagerarbeiter, den Topmanager, die alleinerziehende Mutter und die Chefärztin. Und eben auch: die moderierende, modelnde Exfrau von …

Die Ursachen, warum jemand erkrankt, sind vielfältig, und so ganz genau wissen auch die Experten noch nicht, warum der eine erkrankt, der andere aber nicht. Äußere Faktoren – Schicksalsschläge, traumatische Erlebnisse, Stress oder eine belastende Lebenssituation – spielen eine Rolle, die genetische Veranlagung ebenso, zusätzlich biochemische Prozesse im Gehirn. Mal liest man, dass Entzündungsherde im Körper im Zusammenhang mit Depressionen stehen, mal soll der Darm dafür verantwortlich sein, mal gibt man einem Vitamin-D-Mangel die Schuld, mal der Schilddrüse. Nichts Genaues weiß man also nicht. Aber eines wird deutlich: Es gibt viele Faktoren, die bei psychischen Erkrankungen eine Rolle spielen. Und entsprechend viele Stellschrauben, die zu einer erfolgreichen Therapie beitragen können.

Und dann ist da noch die frühe Kindheit, in der oft Verhaltensmuster erlernt werden, die wir unser Leben lang behalten und die unser Leben prägen.

1. Kapitel

Die Erinnerungen an meine Kindheit beginnen immer auf einer Holzschaukel in einem dunkelblauen Kleid im Garten meiner Oma Lina. In meiner Erinnerung war dieser Garten hinter ihrem kleinen Reihenhaus riesig. Es gab alle möglichen Arten von Obstbäumen: Apfel, Birne, Pflaume, Kirsche. Und an seinem Ende standen fünf große Johannisbeersträucher, aus deren Ernte meine Oma im Sommer immer Marmelade kochte.

Wenn ich heute auf dem Markt frisches Obst rieche, fühle ich mich sofort zurückversetzt in diesen Garten meiner Kindheit. Die Holzschaukel befand sich in der Nähe der Wäscheleine, an der bei gutem Wetter Handtücher, Bettwäsche oder Schürzen im Wind flatterten. Ich liebte es zu schaukeln, legte all meine kindliche Kraft in den Schwung, um möglichst hoch zu kommen. Mindestens höher als die Wäscheleine, gefühlt aber so hoch, dass ich den Himmel berühren konnte.

Angst? Niemals! Das, was ich spürte, war Freiheit. Und Oma saß auf ihrer Terrasse und schaute der fünfjährigen Mirja mit liebevollem Blick zu. Das war die wahrscheinlich unbeschwerteste Zeit meines Lebens.

Meine große wunderbare Familie passte immer auf mich auf und alle achteten darauf, dass es mir gut ging. Allein war ich so gut wie nie und die Liebe von und zu ihnen allen spürte ich zu jeder Zeit. Zu meiner Oma Lina hatte ich immer eine besonders enge Bindung. Sie war die Mutter meines Vaters (und vier weiterer Söhne) und hatte ein unglaublich großes Herz. Eine schlanke, kleine Frau mit einer irgendwie edlen Ausstrahlung und stets sehr gepflegt. Alle sagten, dass ich ihr verblüffend ähnlich sehe.

Mein Cousin Lars und ich verbrachten jede freie Minute bei ihr und meinem Opa im Haus, da meine Eltern beide berufstätig waren. Mein Vater Lothar war Ingenieur für Seilwinden und meine Mutter Heidi arbeitete in einer Boutique in Celle. Sie verdienten zusammen gutes Geld und konnten sich selbst und mir viele schöne Dinge ermöglichen. In Celle bauten sie für uns ein großes Haus in einer wunderschönen Wohngegend mit unglaublich lieben Nachbarn. Dort fühlte ich mich auch immer sehr wohl. Da mein Vater ein absoluter Autoliebhaber ist, hatten wir auch immer das coolste Auto vor der Tür. Unter anderem besaßen wir eine Zeit lang einen Alfa Romeo. Was damals noch sehr ungewöhnlich war: Er hatte elektrische Fensterheber. Das war der Knaller. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich voller Stolz die Fenster auf und zu machte, wenn mein Papa mich zu Schule brachte. Natürlich so, dass meine Schulkameraden das Wunder der Technik auch gut sehen konnten. Auch heute noch habe ich eine Schwäche für schöne Autos, die ich eindeutig von meinem Vater geerbt habe.

Den Sommer verbrachten wir meistens in Spanien, mit Papas Bruder Karsten, auch Gronki genannt, und seiner Familie oder mit Freunden meiner Eltern. Was für wunderschöne Erinnerungen ich an diese Zeit habe! Schwimmen lernte ich in einem spanischen Hotelpool. Erst mit zwei Schwimmflügeln, dann nur noch mit einem, schließlich ganz ohne. Und wie hoch mich mein Vater im Pool in die Luft geworfen hat. Da war es wieder, das Gefühl von Freiheit. Wir machten auch viele Bootstouren, und wenn die Sonne unterging, lag ringsumher das Zirpen der Grillen in der Luft.

Ich war umgeben von Menschen, die sich liebten, die mich liebten, und alles fühlte sich leicht, friedlich und unheimlich schön an.

Meine Mutter Heidi hat auch noch drei weitere Geschwister, also kann man sich vorstellen, dass es bei Familientreffen oder Geburtstagen ziemlich eng werden konnte. Weihnachten verbrachte der größte Teil unserer Familie immer bei meinen Großeltern väterlicherseits. Die Stimmung war an diesen Feiertagen sehr festlich. Alle zogen sich am Heiligabend schön an, auch ich trug immer mein bestes Kleid.

Am tollsten war jedoch etwas anderes: Gemeinsam mit meiner Großmutter durfte ich den Baum schmücken. Vorsichtig hängte ich die Kugeln an die Äste, platzierte einen Stern dort und einen Engel da, bis der Christbaum in seiner ganzen Pracht erstrahlte. Das machte mich Jahr für Jahr sehr glücklich, denn bei meinen Eltern herrschte ab dem Mittag des Heiligabends strengstes Wohnzimmerverbot. Erst zur Bescherung durfte ich hinein und das festlich leuchtende Prachtstück bestaunen. Diese Tradition habe ich später als Mutter auch beibehalten. Ins Wohnzimmer kommen meine Kinder erst zur Bescherung, wenn ich das kleine Glöckchen läute – selbst wenn sie inzwischen beide fast erwachsen sind.

Bei meiner Oma Lina, da fühlte ich mich immer geborgen und glaubte, dass uns niemand je trennen könnte. Als geliebtes Kind gehört dir die Welt und nichts kann sie erschüttern. Aber schon ziemlich früh hatte ich ein merkwürdiges Gefühl von Verlustangst in mir. Ich weiß es noch wie heute. Ich war sechs Jahre alt und lag im Bett meines Kinderzimmers. Draußen ging gerade die Sonne unter, als mich ein schreckliches Gefühl überkam: Was wäre, wenn eines Tages meine Eltern oder Großeltern sterben würden? Mich einfach alleinließen? Unvorstellbar!

Ich lief in den dunklen Flur, als gerade meine Mutter aus dem Wohnzimmer kam. Die Tränen liefen mir die Wangen herunter, während ich in ihre Arme sank. Erschrocken schaute sie mich an, als ich ihr sagte, dass ich Angst hätte, sie könnte eines Tages sterben. Und dass ich das nicht ertragen könnte. Zärtlich streichelte sie mir über den Kopf und sagte, dass es noch sehr lange dauern würde, bis sie und Papa alt wären und sterben müssten. Da wäre ich dann ja auch schon groß und hätte meine eigene Familie. Das beruhigte mich. Ich glaube, das war so ein Moment, den viele Kinder erleben und in dem das Unterbewusstsein seine eigentliche Arbeit beginnt: Wie bei einem Eisberg verdeckt die Oberfläche die Angst und begräbt sie unter sich. Verdrängung ist nicht immer ein schlechtes Hilfsmittel, um beruhigt sein eigenes Leben leben zu können …

Und meine Mutter hatte ja recht: Bis sie alt wären, würde noch so viel Zeit vergehen, schließlich war ich erst sechs Jahre alt und von Krankheiten hatte ich zu diesem Zeitpunkt auch keine Ahnung. Fürs Erste war ich damit zufrieden.

Doch drei Jahre später holten mich diese schlimmen Gedanken wieder ein. Ich erinnere mich nicht mehr, was genau es für ein Wochentag war. Ein ganz normaler Tag halt, an dem ich, wie so oft, mit dem Fahrrad zu meinen Großeltern fuhr. Wahrscheinlich freute ich mich auf ein Stück Kuchen, ein paar Süßigkeiten, ein wenig Kuscheln. Doch als ich mit meinem Fahrrad in die Straße von Oma Lina bog, stand ein Krankenwagen vor ihrer Tür. Mir war sofort klar, dass etwas nicht stimmte. Angst, ja Panik stieg in mir hoch. Was war da passiert? Wem ging es schlecht? Und wie schlecht ganz genau?

Mit diesen Fragen im Kopf rannte ich ins Haus. Vorbei an meinem Opa und Onkel Achim, der ebenfalls dort war. Als ich in das Schlafzimmer stürzte, lag Oma Lina im Bett. Herzprobleme, hieß es. Als sie mich anlächelte, durchfuhr mich ein Schauer. „Es ist alles nicht so schlimm, mein Schatz“, hauchte sie mit zerbrechlicher Stimme. „Wenn ich eines Tages mal sterben werde, komme ich in den Himmel, und da wird es mir viel besser gehen als jetzt.“

Sie war eine tiefgläubige Frau, ging jede Woche in die Kirche und hatte immer ihr kleines rotes Gesangbuch in der Nachttischschublade. Das Buch, was mich aber immer am meisten interessierte, lag in ihrem Kleiderschrank neben ihrem Schmuck: die Bibel ihrer Mutter, Helene Dierking. Mit dem schwarzen Lederumschlag, den goldenen Lettern und den Initialen ihrer Mutter zog das Buch mich magisch an. Es wirkte so wichtig, und es war untrennbar mit unserer Familiengeschichte verbunden. Viel gelesen habe ich als Kind nicht darin, denn die altdeutsche Schrift zu entziffern fiel mir schwer. Doch ich besitze dieses Buch heute noch und halte es in Ehren. Oft blättere ich durch die Seiten und bleibe an Stellen hängen, die meine Oma seinerzeit mit einem Stift markiert hat. Dann versuche ich zu verstehen, warum ihr dieser Vers besonders wichtig war.

Es ist, als gäbe es eine zwar unsichtbare, aber deutlich spürbare Verbindung zwischen dieser Bibel und mir. Und diese Verbindung bestand bereits, als ich noch ein Kind war, sogar ungetauft, denn meine Eltern hatten mich nicht taufen lassen, da sie fanden, dass ich mir selbst überlegen sollte, an was oder wen ich glauben wolle. Sie waren immer sehr tolerant und ließen allen Menschen ihre Ansichten, ohne sie zu kritisieren. Ein toller Wesenszug, den sie lebten und der auch auf mich abfärbte.

Seit diesem Tag hatte ich immer ein mulmiges Gefühl, wenn ich in die Straße meiner Großeltern einbog, und den Anblick des Rettungswagens sollte ich auch wirklich noch öfter ertragen müssen. Selbst in meinen Träumen verfolgt mich diese Episode von damals. Nicht ständig, aber immer mal wieder träume ich davon, wie ich mit meinem Fahrrad um die Ecke biege und vor einem großen Rettungswagen stehe. Das Blaulicht dreht sich, wirft wie eine Diskokugel Lichtflächen an die Fassade, und ich habe Angst.

Mein Vater wollte eigentlich immer einen Sohn. Da es aber nun mal nur mich gab, machte er mit mir all die Dinge, die er mit einem Jungen getan hätte: Ich saß hinter ihm auf dem Motorrad, an seiner Taille festgeklammert. Später durfte ich dann im Wald selbst üben zu fahren. Im Winter wurde kurzerhand mein kleiner Holzschlitten hinter sein Auto gespannt und ich wirbelte voller Freude im Schnee hin und her, während meine Mutter sich Sorgen machte. Mit sieben Jahren fuhr ich zum ersten Mal mit einer Loopingbahn. Und später folgten Freefalltower, Leichtflugzeuge und schnelle Autos. So wuchs ich auf, mit einem Körper voller Adrenalin und Liebe und ohne das Wort Angst zu kennen.

In der Schule war ich immer im guten Mittelfeld. Ich war keine Streberin, die laufend Einser nach Hause brachte, ich musste mir aber auch nie Gedanken um Blaue Briefe, gefährdete Versetzungen und Ehrenrunden machen. In der Grundschule hatte ich eine ältere Lehrerin, die bereits die Klassenlehrerin meiner Mutter gewesen war. In der vierten Klasse hatten meine Mama und ich ein Gespräch mit ihr über meine schulischen Leistungen. Sie teilte uns unverblümt mit, dass ich im Fach Deutsch niemals mehr als ein „Befriedigend“ erreichen werde, da es mir an Vorstellungskraft und Kreativität mangeln würde. Obwohl ich noch so jung war, sah ich diese Aussage schon als Herausforderung an: Zweifel an mir und meinen Fähigkeiten? Das konnte nicht sein! Meine Familie, besonders mein Onkel Frank sagten immer, mit Willen und Mut könne ich alles schaffen. Er hatte meiner Tante eine Kette geschenkt, auf der stand:

Sage nie, du kannst es nicht.Du kannst es wohl.Du willst nur nicht.

Das nahm ich mir zu Herzen. Es verging von nun an kein Schuljahr, in dem ich im Fach Deutsch nicht mindestens eine Zwei hatte. Dieser Spruch begleitet mich bis heute. Er spornt mich an, er lässt mich neue Erfahrungen machen, erweitert meine Grenzen und nicht zuletzt meinen Horizont. Ja, dieser Spruch bereichert mein Leben, weil er mich immer wieder aus meiner Komfortzone lockt. Er ist „Empowerment“ pur und gibt mir das Gefühl, die Kontrolle zu besitzen. Ich habe es in der Hand! Dieser Spruch hat mich auch durch viele schlechte Tage begleitet und mich ermutigt, „den Arsch hochzukriegen“. Mich anzustrengen und niemals, niemals, niemals aufzugeben.

Da meine Mutter samstags arbeiten musste, bekam ich als Teenager morgens einen Zettel im Flur hinterlegt, auf dem meine Aufgaben für den Vormittag festgehalten waren. Bis meine Mama wieder von der Arbeit nach Hause kam, sollte ich staubsaugen, den Geschirrspüler ausräumen, die Waschbecken sauber machen und sonntags auch gerne mal bügeln.

Als meine Mama klein war, hatte ihre Mutter – meine Oma Oli –, ein Tabletten- und Alkoholproblem. Bei ihr und ihren drei Geschwistern zu Hause war es nicht sehr sauber, und sie trauten sich nie, Besuch mit nach Hause zu bringen. Immer mussten sie befürchten, ihre Mutter könnte betrunken zu Hause sitzen oder die Wohnung wäre mal wieder in einem schrecklichen Zustand. Das Gefühl der Scham muss schrecklich gewesen sein.

Als Folge dieser Umstände war es bei uns immer so sauber, dass man hätte vom Fußboden essen können. Wenn ich meine Aufgaben nicht zur Zufriedenheit meiner Mama erledigt hatte, bekam ich nachmittags öfter mal eine Predigt zu hören, wie schlecht ich meine Verantwortung wahrnahm. Als Kind traf mich das sehr, weil es mir nicht so wichtig erschien, Waschbecken blitzblank zu putzen. Zählte es denn gar nicht, dass alles erledigt war? Ein Lob für den Zeitaufwand oder die Unterstützung wäre schön gewesen. Oft war ich deshalb sehr traurig oder auch wütend über die Tatsache, dass ich anscheinend nichts richtig machte. Es sollten doch immer alle stolz auf mich sein.

So ähnliche Erfahrungen machte ich auch mit meiner Schulnote in Mathematik, ein Fach, in dem mein Vater eine Granate war und meine Mutter wie ich eher talentfrei. Öfter hatte ich eine „ausreichende“ Arbeit im Gepäck, was leider zur Folge hatte, dass meine Mutter ziemlich verärgert reagierte: Ich sollte mehr lernen, mich mehr anstrengen. Aber alle Mühe brachte einfach keine Verbesserung.

Oft traute ich mich mit einer Vier in Mathe gar nicht nach Hause und stand dann mit meiner Freundin Melanie, die sehr gut in der Schule war, vor der Haustür und konnte vor Angst einfach nicht klingeln. Die Enttäuschung in den Augen meiner Mutter zu sehen quälte mich. Die Ablehnung, die ich von ihr spürte, oder auch die Tatsache, dass sie dann einen Tag lang kein Wort mit mir redete, trafen mich sehr. Sie machte das nie, um mich zu ärgern, heute weiß ich das. Sie wollte mich anspornen, mich fördern, aus mir sollte was werden. Mein Vater sagte auch mal beim Unterschreiben einer Vier, wie man nur so dusselig sein und dieses logische Fach nicht kapieren könnte. Und ich wollte doch niemanden enttäuschen, erst recht nicht meine Eltern.

Was ich bis zu meiner Erkrankung nicht wusste, war, dass sich genau in dieser Zeit meine größte Schwäche entwickelte: der Wunsch, jedem gefallen und es immer noch besser machen zu wollen. Gut war mir nie gut genug. Sicher, durch diesen Kampfgeist und Willen habe ich auch viel erreicht in meinem Leben. Ich kann mich durchbeißen, Schwierigkeiten meistern und letztendlich erfolgreich sein. Doch gleichzeitig löste dieses Streben nach Perfektion mein ganzes Leben lang mächtigen Stress in meinem Körper aus.

Mit vierzehn Jahren begann sich mein Körper zu verändern. Unglaublich, aus der Bohnenstange entwickelte sich ein Teenager mit großen Brüsten und sehr weiblichen Kurven. Bald wog ich 64 Kilo bei einer Größe von 1,71 Metern. Die Jungs fingen an mich zu beachten und ich fühlte mich eigentlich sehr wohl in meiner Haut. Bis zu dem Tag, als ein Klassenkamerad zu mir sagte, ich hätte so eklig dicke Wurstfinger. Mein Ballkleid in Kleidergröße 38 bekam ich gerade noch so zu. Dieser Umstand war ein weiterer Punkt, der nicht in mein perfektes Leben passte. War ich zu dick? Gefiel ich nicht mehr allen anderen Menschen in meiner Umgebung? Das musste kurzerhand geändert werden!

Meine Mutter wurde eingespannt und angewiesen, von nun an nur noch Trennkost für mich zu kochen. Jeden Tag quälte ich mich in meinem Zimmer zu einer Stunde Poweraerobic und schwor sämtlichen Süßigkeiten und Leckereien ab. Und wirklich: Nach sechs Wochen hatte ich stolze 10 Kilo abgenommen, was bewundernde Kommentare zur Folge hatte und mich stolz machte. Mein Hunger nach Anerkennung und Lob war gestillt, keiner empfand mich mehr als zu dick, und auch mein Klassenkamerad, der das mit den „Wurstfingern“ gesagt hatte, hatte nur lobende Worte für mich übrig. Gott sei Dank hat sich daraus keine Essstörung entwickelt, denn natürlich ist es total ungesund, in so kurzer Zeit so viel abzunehmen.

In der Oberstufe schwärmte ich für einen Jungen, der in seinem Zimmer ein freizügiges Playboy-Foto einer blonden Frau hängen hatte und immer wieder betonte, wie wunderschön sie sei und wie weit sie es gebracht habe. Ich fand den Typen richtig cool. Anders als andere Mädchen in meinem Alter war ich nicht schockiert oder angeekelt von der Nackten an der Wand. Wenn überhaupt, setzte das Bild mich unter Druck. Okay, das Foto war natürlich bearbeitet, aber an der Frau war kein einziger Makel zu erkennen. Ich war nicht neidisch, ich sah es eher als eine Herausforderung: So wollte ich auch mal aussehen und fotografiert werden. In meinem Kopf erwachte der Gedanke, dass ich auch irgendwann einmal so begehrenswert sein wollte, dass ich es in den Playboy schaffte und dann mein Foto an der Wand dieses Jungen hängen würde. Auch dieses Ziel sollte ich vier Jahre später tatsächlich erreichen. Und der coole Typ von damals ist inzwischen ein guter Freund von mir geworden, mit dem ich auch heute noch Kontakt habe.