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Stell dir vor, du sitzt mit einer Packung Eiscreme in der einen, einer Flasche Gin in der anderen Hand auf dem Sofa, Tränen rinnen deine Wangen hinab und du wiederholst mantrahaft, wie sehr du deinen Ex geliebt hast. Lass dir gesagt sein: Es könnte viel schlimmer sein! Du könntest beispielsweise von deinem Verflossenen enthauptet werden, aus Rache fremde Männer kastrieren oder das Leben mit einer Sexpuppe verbringen.
In Kill your Darling! präsentiert die New Yorker Journalistin Jennifer Wright die dreizehn skurrilsten und blutigsten Schlussmachepisoden der Geschichte – vom Massenmörder Nero bis hin zu Oskar Kokoschka –, boshaft-ironisch und doch mit der richtigen Dosis Empathie.
Ein Buch für alle, die geliebt haben und verlassen wurden; für alle, die spätnachts zu viele Wut-E-Mails an ihre Verflossenen geschickt haben. Mit diesen Storys wird schnell klar: Was auch immer passiert ist, es hätte noch viel, viel schlimmer kommen können …
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Seitenzahl: 355
Veröffentlichungsjahr: 2016
Stell dir vor, du sitzt mit einer Packung Eiscreme in der einen Hand, einer Flasche Gin in der anderen auf dem Sofa, Tränen rinnen deine Wangen hinab und du wiederholst mantrahaft, wie sehr du deinen Ex geliebt hast. Lass dir gesagt sein : Es könnte viel schlimmer sein ! Du könntest beispielsweise von deinem Verflossenen enthauptet werden, aus Rache fremde Männer kastrieren oder das Leben mit einer Sexpuppe verbringen.
In Kill your Darling ! präsentiert die New Yorker Journalistin Jennifer Wright die dreizehn skurrilsten und blutigsten Schlussmach-Episoden der Geschichte – vom Massenmörder Nero bis hin zu Oskar Kokoschka –, boshaft-ironisch und doch mit der richtigen Dosis Empathie.
Jennifer Wright ist Kolumnistin für den New York Observer und die New York Post. Ihre Beiträge erscheinen auch regelmäßig in Magazinen wie Cosmopolitan und Glamour. Kill your Darling ! ist Wrights erstes Buch.
Jenny Merling, geboren1983, lebt in Düsseldorf und übersetzt seit 2011 vom Englischen ins Deutsche.
Jennifer Wright
KILLYOURDARLING !
13 Trennungsstorys,die Geschichte machten
Aus dem amerikanischen Englischvon Jenny Merling
Suhrkamp
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 4694.
© Suhrkamp Verlag Berlin 2016
Copyright © 2015 by Jennifer Wright
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Umschlagfoto: Getty Images / DigitalVision Vectors / Jennifer Borton
Umschlaggestaltung: Werbeagentur ZERO, München
eISBN 978-3-518-74535-9
www.suhrkamp.de
Für Abe, Andy, Brennan, Chris, Colin, Dana, Davey,
Gustavo, Jared, Jason, Lex, Liam, Morgan, Nate,
Opus, Peter und Tom,
von denen ich einiges gelernt habe.
Und für Mary James (Grandma),
von der ich vieles gelernt habe.
Letztendlich zählen nur drei Dinge im Leben :Wie sehr du geliebt hast, wie sanftmütig du gelebt hast und wie würdevoll du die Dinge hast ziehen lassen,die nicht für dich bestimmt waren. Buddha
We are never ever ever ever getting back together.
Like, never. Taylor Swift
INHALT
Vorwort
1. Wenn die Wahl Ihres Nachfolgers oder Ihrer Nachfolgerin etwas überraschend ausfiel, lesen Sie die Trennungsgeschichte von NEROUND POPPAEA
2. Wenn Sie selbstbewusst und durchsetzungsfähig sind, lesen Sie die Trennungsgeschichte von ELEONOREVON AQUITANIENUND HEINRICH II.
3. Wenn Ihre Familie Ihren Ex-Partner oder Ihre Ex-Partnerin nicht leiden konnte, lesen Sie die Trennungsgeschichte von LUCREZIA BORGIAUND GIOVANNI SFORZA
4. Wenn Sie zweimal den gleichen Fehler gemacht haben, lesen Sie die Trennungsgeschichte von HEINRICHVIII., ANNE BOLEYNUND CATHERINE HOWARD
5. Wenn Sie den Anblick von glücklichen Paaren nicht ertragen können, lesen Sie die Trennungsgeschichte von ANNA IWANOWNA
6. Wenn Sie an Geister glauben (und Soziale Medien mögen), lesen Sie die Trennungsgeschichte von TIMOTHY DEXTER
7. Wenn Sie Ihrer / m Ex gerade eine sehr emotionale E-Mail geschrieben haben, lesen Sie die Trennungsgeschichte von CAROLINE LAMBUND LORD BYRON
8. Wenn Ihr Partner Sie nicht attraktiv genug fand, lesen Sie die Trennungsgeschichte von JOHN RUSKINUND EFFIE GRAY
9. Wenn es von Anfang an zum Scheitern verurteilt war, lesen Sie die Trennungsgeschichte von OSCAR WILDEUND LORD ALFRED DOUGLAS
10. Wenn Sie von heute auf morgen verlassen wurden, lesen Sie die Trennungsgeschichte von EDITH WHARTONUND MORTON FULLERTON
11. Wenn es ganz bestimmt nie wieder jemand Besseren als Ihre / n Ex geben wird, lesen Sie die Trennungsgeschichte von OSKAR KOKOSCHKAUND ALMA MAHLER
12. Wenn Sie bis heute auf eine Entschuldigung warten, lesen Sie die Trennungsgeschichte von NORMAN MAILERUND ADELE MORALES MAILER
13. Wenn Sie noch immer auf ein Happy End hoffen, lesen Sie die Trennungsgeschichte von DEBBIE REYNOLDS, EDDIE FISHERUND ELIZABETH TAYLOR
Nachwort
Danksagung
Anhang
Quellennachweis
VORWORT
Wenn Sie mit diesem Buch hier gerade im Bett liegen, in der einen Hand eine Familienpackung Eis und in der anderen eine Flasche Scotch, und unter Tränen darüber nachdenken, wie unglaublich Sie Ihre oder Ihren Ex doch geliebt haben, gratuliere ich Ihnen herzlich. Sie machen das super ! Sie könnten diese Situation durchaus schlechter handhaben. Wirklich sehr viel schlechter. Sie könnten Ihre /n Ex zum Beispiel köpfen oder wahllos fremde Leute kastrieren oder einen Neuanfang mit einer Gummipuppe planen. Sie könnten auch völlig betrunken vierzig Mal bei Ihrem Ex anrufen. Nein wirklich, SIE MACHEN DAS GROSSARTIG.
Letzteres habe ich übrigens tatsächlich schon zigmal gemacht. Die peinlichsten Momente meines Lebens waren immer die Folge einer Trennung. Es soll Menschen da draußen geben, die mit einer enttäuschten Liebe klarkommen, indem sie darüber mit ihrem Therapeuten reden, sich für eine Weile zurückziehen, in Ruhe das Ende der Beziehung betrauern und schließlich gestärkt und dankbar für die Lehren aus dieser Krise hervorgehen. Manchmal behaupte ich, auch so jemand zu sein. In Wirklichkeit verarbeite ich Trennungen aber, indem ich Beruhigungsmittel einwerfe, sechzehn Stunden am Stück schlafe und lange, ehrliche, sehr aufrichtige E-Mails an meinen Ex schicke. Und dann noch ein paar SMS hinterher, um sicherzugehen, dass die Nachricht auch angekommen ist.
Außerdem habe ich einmal ein halbes Kilo Ben & Jerry’s-Cookie-Dough-Eis in eine Bratpfanne gekippt. (Ich wollte einen Riesenkeks herstellen, weil ich mich nicht aufraffen konnte, einfach Kekse kaufen zu gehen. Es funktioniert übrigens, also ist das eigentlich gar keine peinliche Beichte, sondern ein wertvoller Tipp für Hobbybäcker !)
Es gibt bekanntlich nichts Schöneres auf der Welt als die Liebe. Selbst ein Riesenkeks aus Ben & Jerry’s-Cookie-Dough-Eis kommt zwar nah dran, landet im direkten Vergleich aber trotzdem lediglich auf Platz zwei (Heroin soll auch super sein, habe ich aber ehrlich gesagt noch nicht ausprobiert). Man muss nicht einmal an Liebe glauben, um sie zu fühlen. Sie ist eine Emotion, die nachweislich die chemischen Abläufe in unserem Gehirn beeinflusst – was niemanden überraschen dürfte, der schon mal verliebt war. Wenn ich an die schönen Momente im Leben denke – an einem Wintermorgen gemütlich im Bett liegen, alte Filme sehen, gutes Essen und guter Wein mit Freunden, die erste Tasse Kaffee am Morgen –, dann drängt sich mir immer sofort der Gedanke auf, wie viel schöner diese Momente sind, wenn man sie mit einem geliebten Menschen teilen kann. Jemanden zu lieben, der einen auch liebt, ist vielleicht das einzige Gefühl, das dem der Geborgenheit und des Glücks nahekommt, das man früher als Kind verspürt hat. Wie wenn man aus der Kälte nach Hause ins Warme kommt, endlich angekommen und sicher ist.
Wenn eine Liebe zu Ende geht, fühlt man sich plötzlich, als würde man nackt und mutterseelenallein in einem Orkan stehen. (Im Gegensatz zum Heroin kann ich hier tatsächlich mitreden : Ich habe einmal fast eine ganze Minute lang in einem Orkan gestanden und nutze diese Anekdote bis heute gern zum Thema »Ich, die Kämpfernatur«.) Die meisten Menschen haben Erfahrung mit Liebe, dementsprechend haben die meisten auch schon einmal eine Trennung überstehen müssen. Ein sehr schlauer Mathematiker hat einmal überschlagen, wie viele Menschen und wie viele Trennungen es im Durchschnitt gibt. Laut seinen recht niedrig angesetzten Schätzungen werden jeden Tag etwa eine halbe Million Menschen auf der Welt verlassen. Die Trennung tritt gewöhnlich nach etwa einem halben Jahr Beziehung ein. Evolutionsbiologen haben herausgefunden, dass das Gehirn eines frisch Verlassenen stark dem eines Kokainabhängigen auf Entzug ähnelt. Mit Trennungen kommen wir Menschen also gar nicht gut klar. Wir sind überraschend widerstandsfähig, was die meisten Schrecken dieser Erde angeht : Wir ziehen mutig in irgendwelche Schlachten, wachsen angesichts drohender Gefahren über uns hinaus und stecken ganz generell die meisten Rückschläge ziemlich gut weg. Aber wehe, wir werden verlassen. Dann brechen wir komplett zusammen. Wir können einfach nicht fassen, dass wir etwas so Großartiges erleben durften, das uns nun aber wieder genommen wird. Kein Wunder, dass wir uns dann völlig danebenbenehmen, wir haben schließlich gerade das schönste Gefühl der Welt verloren. Da ist Durchdrehen ja quasi vorprogrammiert.
Das Ausmaß des eigenen Zusammenbruchs ist gerade für die Betroffenen selbst im Rückblick oft schockierend. Man kann beim besten Willen nicht mehr nachvollziehen, wie man sich jemals so dumm, wütend oder auch einfach nur seltsam aufführen konnte. Vielleicht waren Sie eine Zeitlang richtig mies in Ihrem Job oder haben ein völlig irrationales Verhalten an den Tag gelegt, haben zerknüllte Briefe, alte CDs, kleine Tierfiguren aus Porzellan an die Wand geworfen. Vielleicht waren Sie auch etwas kreativer, haben zum Beispiel Krawatten zerschnitten und aus den Schnipseln ein Mosaikherz gebastelt. Dachten Sie ernsthaft, damit würden Sie Ihren Ex zurückbekommen ? Bestimmt denken auch die Damen von Icona Pop eines Tages daran zurück, wie sie die Klamotten ihrer Ex-Freunde in eine Tasche gestopft und die Treppe hinuntergeworfen haben, und kommen zu dem Schluss, dass sie in dem Moment vielleicht doch nicht ganz bei sich gewesen sind. Wenn man nach so einem Zusammenbruch wieder zu sich kommt, hat man oft das Gefühl, der schlechteste Mensch auf der Welt zu sein. Ein gebrochenes Herz kann selbst den herzlichsten, gelassensten Menschen für kurze Zeit in ein Monster verwandeln. Wenn in meinem Freundeskreis jemand diese Phase durchmacht, halte ich ihnen das Händchen und sage : »Du bist nicht der schlechteste Mensch – Norman Mailer war viel schlimmer ! Norman Mailer war der Allerschlimmste.«
Norman Mailer war tatsächlich der Allerschlimmste, aber dazu später mehr.
Wenn Sie dank einer Trennung also nur noch ein Schatten Ihrer selbst sind, befinden Sie sich damit in bester Gesellschaft. Es gibt sehr berühmte, sehr talentierte Menschen, die nach dem Ende einer romantischen Beziehung völlig durchgedreht sind. Edith Wharton. Oskar Kokoschka. Oscar Wilde. Wundervolle Frauen und Männer, die der Welt ein reiches künstlerisches Erbe hinterlassen haben, wurden von einem gebrochenen Herzen völlig aus der Bahn geworfen. Berühmte Persönlichkeiten, deren Erbe nicht ganz so positiv ausfällt, sind sogar richtig ausgetickt. Heinrich VIII. hat Köpfe abgehackt. Anna Iwanowna hat Leute in einem Eispalast eingesperrt. Ganz blöde Geschichte.
In dem Filmklassiker Der Löwe im Winter (1968) gibt es eine fantastische Szene, in der eine Gruppe Männer darauf wartet, exekutiert zu werden. Einer von ihnen verkündet, in Würde sterben zu wollen. Daraufhin erwidert ein anderer, wenn einmal feststünde, dass man stirbt, sei das »Wie« doch nicht mehr von Bedeutung. Woraufhin der Erste zurückgibt : »Wenn das ›Wie‹ das Letzte ist, was ich noch mitbestimmen kann, dann ist es sehr wohl von Bedeutung.« Es gibt bestimmte Situationen im Leben, die wir einfach nicht ändern können. Trennungen gehören definitiv dazu. Wir haben nur in der Hand, ob wir so tief sinken wie Nero, Heinrich VIII., Norman Mailer und viele Weitere in diesem Buch. Oder ob wir erhobenen Hauptes fallen, wie beispielsweise Anne Boleyn oder Oscar Wilde, und unseren Kummer mit Stolz ertragen.
Die meisten von uns landen irgendwo in der Mitte.
Man hat oft den Eindruck, dass in früheren Zeiten nur zarteste romantische Bande geknüpft wurden, Ritter ständig irgendwelchen Burgfräulein lebenslange Treue geschworen haben und Mr. Darcy die ganze Zeit zu Pferde auf der Suche nach einer Frau zum Heiraten war. So war es nie. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen damals und heute, aber wiederum auch nicht allzu viele, und besser als heute war es früher ganz bestimmt nicht.
Die Enttäuschungen, die mit der Liebe einhergehen, waren damals wie heute dieselben, nur hatten sie früher oft schlimmere Konsequenzen für die Beteiligten. Beziehungen und Trennungsschmerz haben zu allen Zeiten eine wichtige Rolle gespielt, wenn man nicht gerade zur Gruppe der Heiligen oder der Psychopathen gehörte. Die Nebenwirkungen von Liebe machen guten ebenso wie schlechten Menschen zu schaffen. Wahrscheinlich sogar Psychopathen, ich meine, schauen Sie sich doch mal Kaiser Nero an. Oder die Borgias, die nicht nur für ihre Orgien bekannt waren, sondern auch dafür, ihre Feinde zu vergiften. Lucrezia Borgia hat nachts nicht etwa wach gelegen und über die politischen Entmachtungen nachgedacht, die demnächst so anstanden, sondern darüber, bloß nicht ihrem Ex-Mann über den Weg zu laufen. Das wäre ihr nämlich ziemlich unangenehm gewesen !
Früher haben die Menschen also nicht weniger Herzschmerz erleiden müssen als heute. Wenn überhaupt, wahrscheinlich mehr, weil es damals noch kein Fernsehen zur Ablenkung gab. (Fernsehen ist toll, lassen Sie sich da nichts einreden. Es ist das Einzige, was reiche, gelangweilte Leute davon abhält, ihre Untergebenen in Hühnerkostüme zu zwingen und so tun zu lassen, als würden sie Eier legen. Alles schon passiert.)
Manche Geschichten in diesem Buch sind wirklich sehr verrückt, verrückter, als es sich Anna Iwanowna in ihren wildesten Träumen ausgemalt hätte, und wir können die Erkenntnis daraus mitnehmen, dass niemand eine Trennung einfach so wegsteckt. Es gibt aber eine noch viel positivere Lehre, die man aus diesen Geschichten ziehen kann, und zwar : Das Ende einer Beziehung ist fast nie der entscheidendste Moment im Leben eines Menschen. Kaum einer bleibt seinen Mitmenschen nur mit seinem seltsamen Posttrennungsverhalten in Erinnerung (was im Fall Norman Mailers eher frustrierend ist). Wenn man sich über Oskar Kokoschka informiert, wird er zum Beispiel vom Museum und Schloss Belvedere in Wien als ein »bahnbrechender Vorreiter des Expressionismus« beschrieben. Nicht etwa als »dieser eine Typ, der sich eine Puppe gebastelt hat, die genauso aussah wie seine Ex-Freundin«. Das weiß heutzutage keiner mehr. Na gut, ich schon und Sie ab jetzt auch, also habe ich dem armen Mann wahrscheinlich gerade einen ganz schönen Bärendienst erwiesen. Aber zumindest bis eben war Oskar Kokoschkas kleines Sexspielzeugabenteuer komplett in Vergessenheit geraten.
Oscar Wilde wird so sehr verehrt, dass sein Grabstein abgesperrt werden musste, weil ihn zu viele Leute geküsst haben (wobei die meisten dieser liebevollen Anhänger bestimmt nur Ernst sein ist alles oder Das Bildnis des Dorian Gray gelesen haben, und nicht unbedingt Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading). Edith Wharton kommt zwar in der Rubrik »Schriftstellerinnen, die von jungen Frauen abgöttisch geliebt werden« noch nicht ganz an Jane Austen heran, aber warten Sie mal hundert Jahre ab, dann sieht das bestimmt schon ganz anders aus. Auch wenn einem eine Trennung komplett den Boden unter den Füßen wegreißen kann und es sich in dem Moment anfühlt, als gäbe es nichts Schlimmeres auf der ganzen Welt, entspricht das meistens nicht den Tatsachen. Menschen stehen wieder auf. Sie führen ein erfülltes Leben. Sie erreichen ihre Ziele. Ein Happy End ist gar nicht so selten, wie man denkt.
Eine gängige Version des Happy Ends ist eine liebevolle Beziehung mit jemand Neuem. Außerdem kann man auch auf andere Weise etwas Gutes aus Trennungen ziehen. Manchmal helfen sie uns dabei, mehr im Leben zu erreichen und uns zu einem besseren Menschen zu machen. Eleonore von Aquitanien musste erst ihre Beziehung in die Brüche gehen sehen, um aus der erdrückenden Rolle als Ehefrau und Mutter ausbrechen zu können. Ohne ihre emotionalen Verluste hätte es einige der berührendsten Werke von Edith Wharton wohl nie gegeben. Und so schön Glück auch ist, hilft selbsterlebte Trauer doch auch dabei, sich in andere besser hineinversetzen und trösten zu können.
Liebe ist zweifellos ein gefährliches und potentiell sogar tödliches Spiel. Aber eine Alternative gibt es ja auch nicht. Was soll man denn sonst machen ? Was würden wir denn mit unserer Zeit anfangen, wenn uns Liebe egal wäre ? Wir würden vielleicht mehr Aquädukte und mehr wissenschaftliche Durchbrüche vorweisen können, aber wozu ? Sämtliche Errungenschaften dienen uns doch nur dazu, mehr Jahre zur Verfügung zu haben, in denen wir morgens mit einem geliebten Menschen zusammen unseren Kaffee trinken können.
Also machen wir einfach weiter. Wenn wir nach einer Trennung am Boden sind, stehen wir wieder auf. Wir versuchen, uns so gut es geht wieder davon zu erholen. Die Narben, die wir davontragen, machen uns zu einem interessanteren Menschen. Und wenn wir die Liebe das nächste Mal finden, wissen wir sie ein wenig mehr zu schätzen als beim letzten Mal. Wir sind heroische Kämpfer und gehen aus der Sache stärker, weiser und als bessere Menschen hervor.
Na ja, zumindest die meisten von uns.
1. NERO& POPPAEA
Erstaunlich, wie sich die Leute immer aufregen und ganz empört tun, wenn ein Politiker seine Frau betrügt – Stichwort Bill Clinton (wobei natürlich auch die Regierungsvertreter vieler anderer Länder Stoff für dieses Thema liefern). Es macht mich aber auch froh, wenn wir auf einen neu enthüllten Fall dieser Art schockiert und enttäuscht reagieren, weil es nämlich ein Zeichen dafür ist, dass sich die Menschen heutzutage ziemlich vorbildlich benehmen. Diese kollektive Empörung wäre uns im Traum nicht eingefallen, wenn wir im alten Rom gelebt hätten. Für einen Untergebenen von Kaiser Nero wäre die Vorstellung, dass ein Politiker Ärger bekommt, weil er mit einem Erwachsenen einvernehmlich Sex hatte, mehr als lachhaft.
Liebe im alten Rom war ein einziger Alptraum, in dem jede Romanze mit einem horrorfilmwürdigen Showdown inklusive Giftmord oder Suizid endete. Oder in Neros Fall mit dem wahrscheinlich unglücklichsten Lückenbüßer der Geschichte.
Kaiser Neros Eltern waren wohl ein ganz klein wenig an seinen Beziehungsschwierigkeiten beteiligt. Die eigenen Eltern haben ja in vielerlei Hinsicht Vorbildfunktion in Bezug auf Zwischenmenschliches. Man schaut sich von ihrer Beziehung ab, wie man die Liebe frisch hält, wie man mit Meinungsverschiedenheiten umgeht, und lernt nicht zuletzt auch von ihnen, wie man sich trennt, ohne einander umzubringen. Diesen menschlichen Umgang miteinander hat Neros Mutter Agrippina die Jüngere ihrem Sohn leider nicht mit auf den Weg gegeben.
Es gibt viele Anekdoten zu den schrecklichen Dingen, die sie im Laufe ihres Lebens begangen hat, aber es gibt eine Geschichte, die am besten verdeutlicht, wieso sie für mich persönlich Roms Vorabendserienschurkin Nummer eins ist. Man muss sich zunächst noch einmal vor Augen führen, dass Agrippina nicht nur die Mutter von Caligula war, sondern auch mit Claudius verheiratet. Von dem haben Sie garantiert schon gehört. Sie haben sich dieses Buch gekauft, also gehe ich davon aus, dass Sie mindestens eine tote Sprache gelernt und sich mit einer Portion Ihrer Lieblingseissorte von Ben & Jerry’s die BBC-Reihe Ich, Claudius zu Gemüte geführt haben. (Ich habe übrigens an der Uni Altgriechisch studiert, meine Lieblingssorte ist Late Night Snack, und ich komme dann nächste Woche bei Ihnen zum Doku-Marathon vorbei.)
Neros Büste. Diesem Gesicht will man doch sofort eine knallen, oder ?
Aber falls ich Ihrem Gedächtnis doch noch mal kurz auf die Sprünge helfen soll : Claudius war der vierte Kaiser von Rom und bekannt für seine vielen körperlichen Gebrechen. Unter anderem stotterte er, humpelte, und er soll auf einem Ohr taub gewesen sein. Der Historiker Sueton schrieb über ihn : »Er hatte schwächliche Beine, die oft unter ihm nachgaben, und er schüttelte beständig den Kopf. Er stotterte und konnte seine Gedanken nicht klar ausdrücken. Er sabberte die ganze Zeit, und wenn er aufgeregt war, lief ihm die Nase.« Außerdem habe ihn seine Mutter Agrippina »oft als ›monströsen Halbmenschen [bezeichnet], den Mutter Natur nur angefangen, aber nie zu Ende gebracht‹ habe. Wenn sie nahelegen wollte, dass es jemandem an Intelligenz mangele, bezeichnete sie denjenigen oft als ›sogar noch dümmer als mein Sohn Claudius‹.«
Damit lag sie falsch. Tatsächlich war Claudius ein sehr schlauer Mann, der sich lediglich mal die Nase hätte putzen müssen. Ernsthaft. Keines seiner körperlichen Gebrechen hatte auch nur den geringsten Einfluss auf seinen nicht unerheblichen Intellekt. Seine vielen kleinen Wehwehchen führten jedoch dazu, dass ihn die Leute für geistig zurückgeblieben hielten, und das war praktisch. Falls Sie sich je inmitten der High Society des alten Rom wiederfinden sollten, machen Sie sich eines klar : Wenn Ihnen auch nur das kleinste bisschen Intellekt, Ehrgeiz oder Beliebtheit nachgesagt wird, sieht Sie der aktuelle politische Anführer sofort als Feind an und unterstellt Ihnen, dass Sie heimlich nach seiner Position trachten – und deshalb umgebracht werden müssen. So zu tun, als hätte man nicht allzu viel Grips, ist hier die beste Lebensversicherung.
Claudius hatte also Glück, weil er dank seiner Krankheiten von allen übersehen wurde. Während sich seine Verwandten gegenseitig umbrachten, wurde er gar nicht wahrgenommen. Von der Konsulatswürde abgesehen, die er sich im Alter von siebenunddreißig noch mit seinem Neffen teilte, trat er erst im Jahr 41 n. Chr. – mit neunundvierzig – wirklich öffentlich in Erscheinung. Nach der Ermordung von Caligula – ob Claudius dabei mitgeholfen hat, weiß man nicht so genau – wurde er zum Kaiser gekrönt. Er soll vom Volk verehrt worden sein.
Nach dem Attentat auf Caligula, so Sueton, »verlangte das anwesende Volk nach einem neuen Anführer, und zwar ausdrücklich nach Claudius. Er ließ sich von den anwesenden bewaffneten Soldaten ewige Treue schwören und versprach jedem von ihnen fünfzehntausend Sesterzen. Damit war er der erste Caesar, der zur Sicherung der Truppentreue auf Bestechung zurückgriff.«
Sag ich doch : clever.
Er stellte sich sowohl als unglaublich intelligent als auch als absolut kompetent heraus, und unter seiner klugen Herrschaft expandierte das Römische Reich bis nach Großbritannien. Die einzige Dummheit, die er je beging, war eben leider, Agrippina zu heiraten und Nero zu adoptieren.
Fast alle Historiker sind sich darin einig, dass Agrippina Claudius im Jahr 54 n. Chr. mit einem Pilzgericht vergiftete. In vielen Komödien der damaligen Zeit gibt es derartige Anspielungen, da werden wirklich ständig Pilzwitze gerissen. In einem seiner Epigramme lässt Martial sogar jemanden einer unsympathischen Figur wünschen, sie möge den gleichen Pilz essen wie einst Claudius. Heutzutage kann man mit so einem Spruch leider höchstens noch die vier Freunde beleidigen, mit denen man zusammen Altgriechisch und Latein studiert hat (und die hiermit auch zu unserem Doku-Marathon nächste Woche eingeladen sind !) ; wenigstens die müssten schmunzeln.
Vielleicht wissen wir heute auch nur dank der schlechten Witze von damals von der Pilzsache. Es wird allerdings oft vergessen, dass Claudius laut Tacitus versucht hat, sich zu übergeben. Ich sagte ja schon, Claudius war nicht dumm. Er nahm eine Feder und kitzelte sich damit im Hals, um Erbrechen herbeizuführen. Guter Plan, oder ? Wirklich schlau.
Nur hatte Agrippina auch die Feder vergiftet.
So geht zumindest meine Lieblingsversion der Geschichte um Claudius’ Tod. Sueton behauptet, Agrippina habe Claudius eine Schüssel Haferschleim gebracht, die seinen Magen beruhigen sollte, und ihm darin eine zweite Portion Gift untergejubelt. Das finde ich aber nicht so elegant wie die Sache mit der Feder. Aber egal wie sie es nun getan hat, fest steht, sie hat ihren Mann nicht nur einmal, sondern zweimal vergiftet.
Falls Ihnen Claudius gerade leidtut, sollten Sie wissen, dass er seine dritte Frau, Valeria Messalina, (Agrippina war seine vierte) und deren Liebhaber um die Ecke gebracht hat. Angeblich heiratete Valeria nämlich ihren Liebhaber Gaius Silius, als Claudius gerade im Urlaub war. Sie zog die Hochzeit richtig groß auf und veranstaltete ein öffentliches Festessen – was nun wirklich keine sehr kluge Idee ist, wenn man eigentlich mit jemand anderem verheiratet ist, weder damals noch heute (besonders nicht heute, in Zeiten von Twitter und Instagram). Claudius ordnete jedenfalls an, dass sämtliche Hochzeitsgäste getötet werden sollen. Wenn man der Überlieferung glaubt, wurde er eines Abends beim Essen darüber informiert, dass der Befehl ausgeführt worden war. Er bat daraufhin lediglich um etwas mehr Wein.
Nicht vergessen : Das ist alles nur als Einführung für Neros Trennungsstory gedacht. Seine Eltern waren gar nichts gegen ihn.
Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass es im alten Rom sehr blutig zuging ? Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass Rom zivilisierter gewesen sei als beispielsweise Europa im Mittelalter. Selbstverständlich war das Leben im Mittelalter kein Ponyhof. Historiker beschreiben es übereinstimmend als eine Zeit, in der einfach alles mit dem Tod bestraft wurde. Der heilige Petrus Damiani verurteilte einmal eine venezianische Prinzessin zum Tod durch eine langwierige Krankheit, weil sie es gewagt hatte, mit einer Gabel zu essen. Damals wurde gerade viel darüber diskutiert, ob Gabeln Teufelswerk seien oder nicht. (Die eindeutige Antwort lautet : vielleicht. Man wird das wohl nie abschließend klären können.)
Im Vergleich zu solch tödlichem religiösen Eifer wirkt Rom mit seinen Innentoiletten, Togen und der organisierten Regierung natürlich erst einmal ziemlich lässig. Wenn jemand überhaupt Brutalität mit Rom assoziiert, dann beschränkt sich das meist auf die Kämpfe in der Arena und mit Russell Crowe im Hinterkopf. Außerdem erzählt einem ja auch jeder Latein- oder Geschichtslehrer, dass gar nicht alle Gladiatorenkämpfe ein tödliches Ende genommen hätten.
Aber wissen Sie, was uns diese Lehrer verschweigen ? Dass Gladiatorenkämpfe in den meisten Fällen durchaus tödlich ausgingen, und zwar nicht nur für die Beteiligten. Manchmal wurden auch noch Leute aus dem Publikum – die sich einfach nur bei den Kämpfen amüsieren wollten ! – in die Arena gezerrt und den wilden Tieren vorgeworfen. Bonustote !
Römer haben sich einfach sehr gern neue und ausgefallene Tötungsmethoden ausgedacht. Die damalige Strafe für Vatermord bestand beispielsweise darin, dass man dem Täter die Augen verband und ihn eine Weile mit Stöcken schlug, bevor man ihn dann zusammen mit einem Affen, einer Schlange, einem Hund und einem Hahn in einen Sack nähte. Die Idee dahinter war natürlich, dass sich diese Tiere nicht gut miteinander vertragen würden. Was aber im Endeffekt sowieso egal gewesen wäre, weil der Sack anschließend nämlich in einen Fluss geworfen wurde. Für den Fall also, dass Sie ein Affen-, Schlangen-, Hunde- und Hahnflüsterer sind (in meinem kleinen Szenario hier können Sie nicht nur durch die Zeit reisen, sondern haben auch Dr.-Dolittle-Qualitäten), würden Sie am Ende eh ertrinken.
Deshalb verstehe ich nicht, wieso Geschichtslehrer das alte Rom immer als bewundernswerte Zivilisation darstellen. Hätte der Stadtstaat ein Motto gehabt, wäre es »Rom – hier kommen Sie garantiert nicht auf natürliche Art ums Leben !« gewesen. Es gibt einen ziemlich schlechten Film namens The Purge – Die Säuberung (2013) mit Ethan Hawke als Hauptdarsteller. Die sowohl unlogische Prämisse als auch der Slogan des Films lauten : »Einmal im Jahr sind alle Verbrechen legal.« Das war anscheinend das universale Lebensmotto im Rom des Jahres 50 n. Chr., nur eben an insgesamt dreihundertfünfundsechzig Tagen.
Wenn also im Zuge einer Trennung einer den anderen oder auch beide einander umbrachten, hat das damals niemanden angehoben. Man war wahrscheinlich eher überrascht, wenn zur Abwechslung mal beide hinterher noch am Leben waren. Dabei war es nicht einmal notwendig, denn eine Scheidung war im alten Rom überhaupt kein Problem. Ich habe in dieser Geschichte Neros Eltern nur erwähnt,
• um Ihnen ein paar interessante Fakten mit an die Hand zu geben für das nächste Mal, wenn Ihnen gegenüber jemand das alte Rom als erste große zivilisierte Nation preist – mit meinen Informationen bringen Sie garantiert jeden Unterstufengeschichtslehrer zum Weinen,• und um Ihnen klarzumachen, wie schrecklich unsouverän Nero mit der Trennung von Poppaea umgegangen ist. Das war wirklich ganz, ganz schlimm.Falls Sie schon mal von Kaiser Nero gehört haben, dann bestimmt, dass er verrückt war und angeblich die Fiedel gespielt hat, während Rom in Flammen stand. Er war tatsächlich verrückt, der Teil stimmt, und darauf komme ich auch gleich noch genauer zu sprechen. Aber er hat natürlich nicht Fiedel gespielt ! Dem Historiker Dio zufolge hat er lediglich in der traditionellen Sängerkleidung auf seinem Palastdach gestanden und Verse über das brennende Troja deklamiert, während Rom in Flammen stand. Na gut, zugegeben, so viel besser ist das auch nicht.
Nero hatte von seiner Mutter die Liebe zu Prunk und Luxus sowie ihre Rücksichtslosigkeit geerbt, aber leider nichts vom unterschätzten Intellekt seines Stiefvaters. Er bestand darauf, Dichter oder Sänger zu sein. Soweit bekannt ist, hatte er weder Talent für das eine noch für das andere. Man kann trotzdem vermuten, dass er – hätte seine Mutter ihn nicht so in die Rolle des Kaisers gedrängt – ein durchschnittlich glückliches, normales Leben hätte führen können, mit höchstens ein oder zwei Morden.
Agrippina hatte sich jedoch leider in den Kopf gesetzt, ihren Sohn zum Kaiser zu machen, und das, seitdem er neun Jahre alt war. Um an seinem bedrohlichen Image zu arbeiten, erzählte sie zum Beispiel herum, er würde umgeben von Schlangen schlafen. Was nicht stimmte. Ich meine, gut, andere Eltern erzählen, ihre Kinder würden nur Einsen schreiben, also lügen tun sie wohl alle ein bisschen. Aber trotzdem !
Nero stellte sich gern vor, alles was er tat, würde auf einer großen Bühne stattfinden, und dafür wollte er natürlich eine Partnerin. Im Jahr 53 n. Chr. wurde er mit Claudius’ Tochter Octavia verheiratet. Agrippina hatte diese Ehe in der Hoffnung eingefädelt, damit einer potentiellen Herrschaft Neros mehr Rechtmäßigkeit zu verleihen, da er so nicht nur Claudius’ Adoptivsohn, sondern eben auch noch sein Schwiegersohn war.
Laut Tacitus war Octavia eine tugendhafte römische Frau. Sie wird anfangs wohl nicht allzu begeistert von der Vorstellung gewesen sein, in die Familie einheiraten zu müssen, die ihren Vater umgebracht hatte, aber sie trug es mit Fassung. Viel blieb einer sittlichen römischen Frau ja auch nicht übrig, wenn sie noch eine Weile am Leben bleiben wollte. Nero war nicht in sie verliebt und bestrafte sie für ihre Tugendhaftigkeit regelmäßig, indem er sie würgte. Das ist aber nicht der schlimme Teil, den ich angekündigt habe.
Der schlimme Teil hat mit Neros Affäre mit Poppaea Sabina zu tun, die im Jahr 58 n. Chr. begann. Poppaea Sabina verfügte über jegliche Tugend, die jemand wie Nero ansprechen würde. Tacitus behauptete, sie besitze »jede erdenkliche Tugend, nur keine Güte«. Weiter schrieb er : »Von ihrer Mutter, der liebreizendsten Frau ihrer Zeit, erbte sie den Ruf und die Schönheit. Ihr Vermögen entsprach ihrem Stand. Sie war gewitzt, konnte gut Konversation betreiben und wirkte ehrbar. Dennoch führte sie ein höchst lasterhaftes Leben.« Kurzer Einschub : Laut Sueton war ihr persönliches Schönheitsgeheimnis Eselsmilch und Gladiatorensperma.
Der Philosoph und Dramatiker Seneca verglich sie in seinem Stück Octavia mit der Protagonistin und ließ Nero sie darin mit den höchsten römischen Göttinnen vergleichen. Auch der echte Nero war völlig hin und weg. Wenn man Seneca glauben darf, war Poppaea aber auch wirklich heiß (auf posthumen Abbildungen hat sie große Ähnlichkeit mit Christina Hendricks), und Nero hielt sie deshalb logischerweise für seine Seelenverwandte.
Auf diesem Bild kann man leider überhaupt nicht erkennen, wiesehr Poppaea Sabina Christina Hendricks ähnelt. Stellen Sie sich an dieser Stelle einfach Christina Hendricks vor.
Als die beiden zusammenkamen, war Poppaea bereits zweimal verheiratet gewesen. Zuerst hatte sie im Jahr 44 n. Chr. Rufrius Crispinus geheiratet. Rufrius war der Anführer von Kaiser Claudius’ Leibgarde, bis Agrippina ihn im Jahr 51 ins Exil verbannte, weil sie ihm unterstellte, zu viel für die kürzlich ermordete Messalina zu empfinden. Agrippina ließ ihn also nicht gleich töten. Komisch ! Natürlich wurde er umgebracht, aber das war erst später, im Jahr 65, und durch Nero. Mit seinen sechsundsechzig Jahren war er bestimmt der älteste Römer aller Zeiten.
Nachdem ihr erster Mann verbannt worden war, heiratete Poppaea Otho, einen engen Freund von Nero. Höchstwahrscheinlich hatte sie schon während ihrer Ehe ein Verhältnis mit Otho gehabt ; ich nehme mal an, das war gemeint, als von ihrem lasterhaften Leben die Rede war.
Die Beziehung zu Otho wird unterschiedlich dargestellt. Tacitus schreibt in seinen Historien :
Otho nämlich hatte seine Knabenjahre leichtsinnig, sein Jünglingsalter mutwillig verlebt, bei Nero beliebt wegen wetteifernder Üppigkeit. Deshalb hatte ja auch dieser die fürstliche Buhlerin Poppäa Sabina bei ihm, als dem Vertrauten seiner Lüste, in Verwahrung gegeben, bis er seine Octavia beseitigt ; nachher in Verdacht ihn habend mit derselben Poppäa entfernte er ihn unter dem Scheine einer Statthalterschaft nach der Provinz Lusitanien.
Falls das stimmt – und der Biograph Plutarch schildert es in seiner Biographie von Galba sehr ähnlich – wollte Nero Poppaea also für sich haben und verheiratete sie deshalb mit Otho, weil er davon ausging, dass dieser viel zu beschäftigt mit seinen anderen Frauen wäre, um sich wirklich um sie zu kümmern. Das war ein Fehler. Otho verliebte sich nämlich in Poppaea, verbot Nero den Zutritt zu seinem Haus, und dem blieb am Ende nichts weiter übrig, als draußen zu betteln, Poppaea wenigstens einmal sehen zu dürfen.
Danach variieren die Darstellungen. Sueton schreibt in seiner Otho-Biographie, Poppaea habe Othos Gefühle erwidert und Nero abgewiesen. Dio meint jedoch, sie habe Neros Eifersucht auf ihren Mann schlauerweise für sich genutzt, um ihn ins Exil verbannen zu lassen. Und von Wikipedia erfahren wir, Otho habe »seine hübsche Frau Poppaea auf deren ausdrücklichen Wunsch hin Nero vorgestellt«, was das Ganze als von noch längerer Hand geplant erscheinen lässt. Es gibt also verschiedene Theorien, das Resultat aber war dasselbe : Otho wurde im Jahr 58 n. Chr. nach Lusitanien verbannt, und Poppaea war wieder frei. Agrippina war so gar nicht begeistert von der Aussicht, dass Nero sich von Octavia trennt, um etwas mit Poppaea anzufangen. Und Tacitus erklärt in seinen Annalen, dass Poppaea das auch ganz genau wusste.
[Neros] Liebe zur Poppaea [war] von Tag zu Tag brennender geworden. Solange Agrippina am Leben sei, glaubte Poppaea, nicht auf eine Ehe mit ihm und seine Scheidung von Octavia rechnen zu dürfen, machte ihm daher fort und fort Vorwürfe, setzte ihm mitunter auch durch Witzworte zu, nannte ihn einen Mündel, der fremden Befehlen hörig, der nicht nur kein Herrscher, sondern nicht einmal frei sei ; denn warum verschiebe Nero die Vermählung mit ihr immer wieder auf später ? Natürlich, ihre Gestalt sei nicht nach seinem Geschmack, auch nicht der Großvater mit der Würde eines Triumphators. Oder fürchtet man ihre Fruchtbarkeit und ihr aufrichtiges Gemüt, und wolle nicht haben, dass sie wenigstens als Gattin ihm die Misshandlungen enthülle, die die Väter erleiden müssten, und den Unwillen des Volkes über den Hochmut und die Habsucht seiner Mutter ?
Sie kennen das ja : Ihr Freund hört immer auf seine Mutter, die Sie leider nicht ausstehen kann, Sie sagen ihm, dass er langsam mal seine eigenen Entscheidungen treffen sollte und seine Mutter außerdem eine … nicht sehr nette Frau ist, Ihr Freund möchte Ihnen daraufhin natürlich beweisen, dass er kein Muttersöhnchen ist und dass er Sie liebt, und bringt seine Mutter kurzerhand um.
Hm. Vielleicht passiert das doch nicht so häufig.
Interessanterweise schreibt Tacitus dazu, dass niemand den Mord kommen sah. Sie wahrscheinlich schon, Sie wissen ja langsam, wie diese Leute ticken. Ich weiß auch genau, was Sie jetzt denken – Gift. Bingo ! Sueton erzählt, Nero habe dreimal versucht, Agrippina zu vergiften, sie habe jedoch jedes Mal ein Gegengift genommen und überlebt. Agrippina kannte sich nämlich wie bereits erwähnt mit Gift ziemlich gut aus, und Neros Versuche waren demzufolge zunächst vergebliche Liebesmüh’.
Ein offener Angriff wäre zu riskant gewesen, Nero konnte seine Mutter natürlich nicht am helllichten Tag erstechen oder Ähnliches. Anicetus, der Präfekt der Miseno-Flotte war und Agrippina nicht leiden konnte, schlug stattdessen vor, die Zimmerdecke über ihrem Bett so zu bearbeiten, dass sie nachts einstürzen und Agrippina unter sich begraben würde. Keine Ahnung, wie die beiden vorhatten, an der Decke über dem Bett herumzuwerkeln, ohne dass es jemand mitbekam ; der Plan war offensichtlich kein guter und wurde auch nie ausgeführt. Die Grundidee sollte jedoch beibehalten und in Form eines nicht seetüchtigen Schiffs umgesetzt werden, das auf dem offenen Meer sofort untergehen und Agrippina mit sich in den Tod reißen würde. Dieser Plan schien etwas realistischer, als eine Schlafzimmerdecke zu konstruieren, die sozusagen auf Kommando einstürzte.
Nero lud Agrippina zu einem Treffen auf einer Insel ein, angeblich, um sich mit ihr auszusprechen und zu versöhnen. Er küsste ihre Augen und ihre Brüste (andere Zeiten, andere Sitten, klar, aber dieses Detail ist und bleibt seltsam). Laut Dio verabschiedete er sich von ihr mit den Worten : »In dir lebe ich, durch dich herrsche ich !«
Ob eine so clevere Frau wie Agrippina in dem Moment etwas vermutet hat ? Sobald sie auf dem offenen Meer war, brach jedenfalls der mit Blei beschwerte Baldachin des Boots ein – fast wie eine Zimmerdecke, nicht ? Das Schiff kenterte, und Agrippina und ihre Freundin Acceronia Polla gingen über Bord. Agrippina hatte zwar angeblich zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich viel Wein intus und außerdem eine verletzte Schulter, schwamm aber trotzdem tapfer zum Ufer. Währenddessen schrie Polla, sie sei Agrippina und noch dazu die Mutter des Kaisers und man solle sie doch bitte retten – woraufhin die Crew sie mit ihren Rudern erschlug. Was im Endeffekt aber auch egal war, weil sie sonst garantiert von Agrippina selbst umgebracht worden wäre.
Agrippina war nun überzeugt davon, dass Nero sie töten wollte, tat aber ahnungslos. Sie ließ ihm die Nachricht überbringen, ihr Schiff sei unterwegs zufällig gekentert, er wolle sie jetzt bestimmt sehen, solle doch aber bitte mit seinem Krankenbesuch noch warten, bis sie wieder ganz genesen sei. Nero schickte daraufhin natürlich sofort Anicetus in die Spur. Es durfte nicht noch einmal schiefgehen. Anicetus brach mit einem ganzen Team bei Agrippina ein und verkündete, er sei im Auftrag Neros da, um sie zu töten. Agrippina widersprach, dass ihr Sohn so etwas niemals anordnen würde, und bekam als Antwort darauf eins über den Schädel gezogen. Ihre letzten Worte sollen gewesen sein : »Schlagt meinen Mutterleib tot !«
Nero soll Agrippinas Leiche danach aufs Sorgfältigste untersucht und hinterher verkündet haben, dass ihm in dem Moment zum ersten Mal klargeworden sei, was für eine schöne Frau seine Mutter gewesen war. Laut eigener Aussage wurde er noch jahrelang von ihrem wütenden Geist verfolgt und hörte jedes Mal Klagelaute, wenn er an ihrem Grab stand. Seine Untergebenen waren offensichtlich auch keine Freunde des Muttermords, denn kurze Zeit später wurde ein Neugeborenes im Forum gefunden, neben dem ein Zettel lag : »Ich ziehe dieses Kind lieber nicht auf, damit es nicht auch irgendwann seine Mutter tötet !«
Da hat also irgendjemand einfach so ein lebendiges Baby ausgesetzt, nur um damit Kritik am aktuellen Herrscher zu üben. Da kannten die nichts im alten Rom !
Die arme Octavia hatte auch kein viel besseres Los. Sie war leider so gar nicht die Art First Lady, die sich Nero an seiner Seite vorgestellt hatte. Er ließ sich schließlich von ihr scheiden. Weil das Volk sie danach immer noch mochte – vermutlich, weil sie meines Wissens nie jemanden umgebracht hat, was sie im römischen Höllenschlund zu einem unglaublich guten Menschen gemacht haben muss –, verbannte er sie auch gleich noch auf eine Insel.
Dagegen wurde in der Öffentlichkeit protestiert, Leute marschierten auf der Straße und riefen »Gebt uns Octavia zurück !«, was Nero natürlich nicht passte. Also sorgte er dafür, dass sie in einem Dampfbad erstickte.
Angeblich soll Nero danach noch oft davon geträumt haben, wie er Octavia mit eigenen Händen ertränkt. Die Lehre daraus ist wohl, dass man trotz fehlendem moralischen Kompass lieber niemanden umbringen sollte, weil das unter Umständen zu Alpträumen führen kann.
Wissen Sie, wem das Ganze jedoch am Allerwertesten vorbeigegangen ist ? Poppaea. Was den Verdacht erhärtet, dass sie schon lange plante, eines Tages Kaiserin zu sein. Nachdem Octavia ermordet worden war, konnte sie diesen Titel endlich für sich beanspruchen.
War es das alles wert ? Waren Nero und Poppaea danach wenigstens für immer glücklich miteinander ?
Waren sie nicht.
Sie hatten eine gemeinsame Tochter, deren Ankunft Nero laut Sueton mit »mehr als eines Sterblichen Freude« begrüßte. Leider starb das Baby kurz nach der Geburt, und nachdem Nero für einen Moment einen anderen Menschen geradezu vergöttert hatte, war er bald wieder der Alte. Dio schreibt dazu :
[Er] sandte […] heimlich Leute aus, die er nachher für betrunken oder sonst auf eine Ausschweifung ausgegangen gewesen zu sein vorgab, und ließ eins, oder zwey, oder doch nicht viele Häuser bald in der, bald in jener Gegend der Stadt in Brand setzen. Die Bürger wussten nicht mehr, was sie glauben oder thun sollten, konnten eben so wenig die Quelle des Uebels entdecken, als ihm abhelfen […].
Er hat also einfach mal eben seine eigene Stadt angezündet ! Dieses Feuer von 64 n. Chr. schob er den Christen in die Schuhe und richtete sie auf unglaublich grausame Weise hin. Nero war wirklich ein erschreckender Sadist. Tacitus führt aus :
Und bei ihrem Tode ward auch noch Spott mit ihnen getrieben, daß sie mit Häuten wilder Tiere bedeckt durch Zerfleischen durch Hunde oder an Kreuze geheftet oder im Feuerkleide ihren Tod fanden, und wenn sich der Tag geneigt, zur nächtlichen Erleuchtung verbrannt wurden. Seinen Garten hatte Nero zu diesem Schauspiel eröffnet und gab einem Circusspiel, im Aufzuge eines Wagenlenkers, unter das Volk sich mischend oder auf dem Wagen stehend. Daher ward, wenn auch für noch so Schuldige, welche die härtesten Strafen verdient, Mitleiden rege, als würden sie nicht dem allgemeinen Besten, sondern der Mordlust eines Einzigen geopfert.
Mittlerweile erfreute sich Nero beim Volk also nicht mehr allzu großer Beliebtheit, weil er nun einmal ein Verrückter war, der regelmäßig ausrastete. Aber auch in seiner Ehe lief nicht alles glatt. Dio erzählt :
[Nero und sein Gefolge] gingen dann in die Venustempelchen, um sich ohne Scham und Rücksicht mit jeder Frauenperson, die ihnen aufstieß, zu vergnügen. Roms größte Schönheiten waren hier beisammen, Sklavinnen und Freigebohrne, feile Dirnen und züchtige Jungfrauen, selbst Eheweiber, nicht nur vom niedrigen Pöbel, sondern auch Mägde und Frauen aus den edelsten Häusern. Jeder Mannsperson war freie Wahl unter dem großen Haufen gelassen, und jede Schöne musste jedem, der sich ihr antrug, zu Willen sein.
Poppaea hatte zwar auch so ihre regenbogenpressewürdigen Ausschweifungen à la Marie Antoinette, darunter war jedoch nichts außergewöhnlich Boshaftes : Die Maultiere, die ihre Kutsche zogen, hatten Hufeisen aus Gold, und jeden Tag wurden fünfhundert Esel gemolken, damit Poppaea in deren Milch baden konnte. Es wird zwar auch immer wieder auf ihre ausgeprägte Libido angespielt, aber sie war sicher nicht so dumm, Nero zu betrügen. Jemanden zu betrügen, der aus Leuten menschliche Laternen bastelt, wäre nun wirklich kein kluger Schachzug gewesen. Hätte sie das getan, gäbe es außerdem höchstwahrscheinlich Überlieferungen davon.
Wenn man sich diesen mordenden, brandstiftenden Herrscher so ansieht, überrascht nicht allzu sehr, dass auch hin und wieder eine Vergewaltigung dabei war. Poppaea Sabina war verständlicherweise nicht unbedingt begeistert, dass Nero und seine Freunde ständig in Bordellen unterwegs waren. Ehrlich gesagt finde ich ihre anfängliche Hoffnung, Nero würde ihr während der gemeinsamen Ehe treu sein, etwas naiv, weil … na ja, weil Nero nun wirklich keinen einzigen anständigen Charakterzug an sich hatte, soweit ich das überblicken kann. Der Mann war ein Monster. Trotzdem waren seine sexuellen Fehltritte ständiges Streitthema bei den beiden.
Als Nero eines Abends nach Hause kam, machte ihm die damals schwangere Poppaea wieder einmal Vorwürfe. Daraufhin sprang er ihr so lange auf dem Bauch herum, bis sie tot war. Hinterher tat es ihm leid, und anstatt ihre Leiche verbrennen zu lassen, befahl er, sie mit duftenden Ölen einzubalsamieren. Was aus seiner Sicht eine sehr nette Geste war, nehme ich mal an. In der Grabrede pries er ihre Tugenden, und wenn er später in Dramen eine weibliche Rolle mimte, trug er immer eine Maske, die dem Gesicht seiner toten Frau nachempfunden war. Außerdem verarbeitete er seine Trauer über das Ende der Beziehung, indem er ihren Sohn tötete. In seiner Nero-Biographie schreibt Sueton darüber :
Seinen Stiefsohn Rufrius Crispinus, den Sohn der Poppäa, einen noch unreifen Knaben, ließ er durch dessen eigenen Sklaven, weil es hieß, derselbe spiele in seinen Knabenspielen Generalissimus und Kaiser, im Meere ersäufen […].
Zugegeben, dass ein Kind Kaiser spielt, kann man ja auch nicht einfach so hinnehmen.
Die nächste Zeit verbrachte Nero dann damit, jeden umzubringen, der ihm irgendwie nahestand. Sueton führt aus :
Den Tuscus, seiner Amme Sohn, verbannte er, weil derselbe als Statthalter von Ägypten sich in den Bädern gebadet, welche man für die erwartete Ankunft des Kaisers herrichtete. Den Seneca, seinen Lehrer, zwang er, sich selbst das Leben zu nehmen, obschon er ihm auf seine wiederholten Urlaubsgesuche und sein Erbieten, dem Kaiser sein Vermögen abzutreten, hoch und heilig zugeschworen hatte, »seine Besorgnis sei grundlos, er wolle lieber sterben, als ihm etwas zu Leide tun«