Kleopatra - Oskar von Wertheimer - E-Book

Kleopatra E-Book

Oskar von Wertheimer

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Beschreibung

Diese Biographie der berühmtesten Frau in der Geschichte Ägyptens ist spannend wie ein Roman. "Die ägyptische Königin Kleopatra hat seit jeher die Phantasie der Menschen aufs stärkste erregt. Sie erscheint als großartige Verkörperung des Rätsels, daß die Natur die Frau ebensosehr dazu bestimmte, dem Leben bezaubernden Glanz zu verleihen wie es zu zerstören. Auch heute, (mehr als) 2000 Jahre nach ihrem Tod, erliegen auserlesene Geister ihrer verführerischen Kraft. Das ist eine Wirkung, um die sie jedes weibliche Wesen beneiden muß. Kleopatra wurde in ihrer Zeit von Julius Cäsar und Marcus Antonius geliebt, und die Bewunderung dieser beiden Römer sichert ihr auch die Bewunderung der Nachwelt. Man ist begierig zu erfahren, wie die Frau beschaffen gewesen sein mag, die so viel Macht über den alternden Cäsar besaß, daß er, einer der größten Feldherren aller Zeiten, ihretwegen eine strategische Sinnlosigkeit beging, ihr mitten im römischen Bürgerkrieg beinahe ein ganzes Jahr opferte und sie als Geliebte mit nach Rom nahm. Noch bestechender ist ihre Rolle im Leben des Antonius, dieses zügellosen römischen Feldherrn, der sie zur "Königin der Könige" in Asien erhob, mit dem vereint sie gegen Rom zu Felde zog, und den sie sich gefügig machte, fast wie die Königin Omphale seinen Ahnen Herakles, von dem abzustammen er sich rühmte. Das tragische Ende beider Persönlichkeiten nach so viel Größe und Ruhm wirkt um so erschütternder. (...)" (Aus dem Vorwort von Oskar von Wertheimer)

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Oskar von Wertheimer

Kleopatra

Die genialste Frau der Weltgeschichte

Reese Verlag

Inhaltsverzeichnis
Kleopatra – Die genialste Frau der Weltgeschichte
Vorwort
ERSTER TEIL
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
ZWEITER TEIL
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
Über den Autor
Impressum
Hinweise und Rechtliches
E-Books im Reese Verlag (Auswahl):

Kleopatra – Die genialste Frau der Weltgeschichte

Vorwort

Die ägyptische Königin Kleopatra hat seit jeher die Phantasie der Menschen aufs stärkste erregt. Sie erscheint als großartige Verkörperung des Rätsels, daß die Natur die Frau ebensosehr dazu bestimmte, dem Leben bezaubernden Glanz zu verleihen wie es zu zerstören. Auch heute, 2000 Jahre nach ihrem Tod, erliegen auserlesene Geister ihrer verführerischen Kraft. Das ist eine Wirkung, um die sie jedes weibliche Wesen beneiden muß. Kleopatra wurde in ihrer Zeit von Julius Cäsar und Marcus Antonius geliebt, und die Bewunderung dieser beiden Römer sichert ihr auch die Bewunderung der Nachwelt. Man ist begierig zu erfahren, wie die Frau beschaffen gewesen sein mag, die so viel Macht über den alternden Cäsar besaß, daß er, einer der größten Feldherren aller Zeiten, ihretwegen eine strategische Sinnlosigkeit beging, ihr mitten im römischen Bürgerkrieg beinahe ein ganzes Jahr opferte und sie als Geliebte mit nach Rom nahm. Noch bestechender ist ihre Rolle im Leben des Antonius, dieses zügellosen römischen Feldherrn, der sie zur »Königin der Könige« in Asien erhob, mit dem vereint sie gegen Rom zu Felde zog, und den sie sich gefügig machte, fast wie die Königin Omphale seinen Ahnen Herakles, von dem abzustammen er sich rühmte. Das tragische Ende beider Persönlichkeiten nach so viel Größe und Ruhm wirkt um so erschütternder. Kleopatra gebar Cäsar auch dessen einzigen Sohn, Cäsarion, der zeigte, daß das Los, von großen und berühmten Eltern abzustammen, nicht immer Glück bringt, da er im Alter von siebzehn Jahren von Gajus Octavius, dem späteren Kaiser Augustus, ermordet wurde. Octavius, der Adoptivsohn Cäsars, vermeinte offenbar, seinem Vater gegenüber pietätvoll zu handeln, wenn er den echten Nachkommen, dessen Mutter allerdings keine Römerin gewesen, tötete. Auch von Antonius hatte Kleopatra drei Kinder. Höchstwahrscheinlich war sie auch dessen legitime, und zwar die fünfte Gemahlin. All das machte sie für ihre Zeit ebenso wie für die späteren Jahrhunderte noch interessanter.

Nur einer ungewöhnlichen Frau konnte ein so glanzvolles Dasein beschieden sein. Jedes Leben wird ja Ausdruck der Persönlichkeit, die es erlebt. Deshalb ist auch das Urteil der Welt, die aus solchen Erscheinungen auf das Wesen Kleopatras schließt, instinktiv unbedingt richtig. Man sah - darin hat sich die Gesellschaft Roms, Athens oder Alexandriens gegenüber der der heutigen Hauptstädte nicht geändert - in jedem Mann, der sich ihr näherte, ihren Geliebten. Da man ihre Genialität nicht anzweifeln konnte, suchte man wenigstens ihren Ruf zu vernichten. Verdächtigungen sind immer das Gebiet gewesen, auf dem die kleinsten Geister das Größte leisteten. Ihre Feinde brachten es sogar fertig, König Herodes, den Großen von Judäa, den sie mit den raffiniertesten Mitteln zu verderben trachtete, für ihren Liebhaber zu erklären.

Diese Lügen festzustellen, heißt nicht ihre Moral verteidigen, was einfach lächerlich wäre. Ihr Leben erklärt sich selbst: aus ihrem Genie, aus der ganzen sittlichen Auffassung der Antike, aus ihrer Abstammung von der Familie der Ptolemäer und ihrer besonderen politischen Lage.

Zu ihrem Ruhm trugen nicht nur Cäsar und Antonius, sondern auch sehr gegen den eigenen Willen ihre Feinde bei. Sie fand unter den Männern der Literatur nicht immer so große Bewunderer wie Shakespeare. Cicero, der sie in Rom einige Male sah, spricht schon mit Haß von ihr - freilich erst nach dem Tode Cäsars. Sie verletzte vermutlich seine Eitelkeit, das schlimmste Verbrechen, das man ihm gegenüber begehen konnte. Die Zeit ihrer Verbindung mit Antonius hat Cicero nicht mehr erlebt, da er im Bürgerkrieg zuvor als Geächteter ermordet wurde. Das ist für uns auch deshalb tief bedauerlich, weil wir sonst zahllose Einzelheiten über diese Affäre wüßten. Der Einfluß der Kleopatra auf Antonius bestätigte ja all das erdenklich Schlechte, das Cicero längst in Schriften und Reden von ihm verkündete. Da hätte er sich auf sie als Zeugin berufen können. Aber wegen ihres Kampfes gegen Rom würde auch Cicero sie als Todfeindin betrachtet haben. Die römischen Schriftsteller haben sie mehr oder minder nur unter diesem Gesichtspunkt gesehen. Dabei beurteilen sie - wie Adolf Stahr, den sie auch noch in unserer Zeit bezauberte, nachwies - die Dichter ihrer eigenen Zeit, Virgil und Horaz, nachsichtiger als die bereits unter dem Prinzipat des Augustus heranwachsenden Ovid und Properz. Auch für den Verfasser der »Pharsalia«, Lucan, der um die Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. lebte, ist sie eine unheilvolle, sittenlose Frau, bis endlich Plinius sie offen die »Dirnenkönigin« nennt. Die Literaten wollten eben im Anwachsen ihres Hasses gegen diese schlimmste Gegnerin Roms Schritt halten mit dem Anwachsen des römischen Imperiums.

Die Dichter nahmen sich auch später ihr gegenüber viele Freiheiten heraus. Bernard Shaw hat aus seiner Auffassung, daß auch Shakespeare in »Julius Cäsar« Menschen seiner eigenen Zeit schilderte, das Recht für sich abgeleitet, aus allen Römern seines Stückes »Cäsar und Kleopatra« Engländer zu machen. Seine junge Königin ist nicht die Tochter Ptolemäus’ XIII., sondern die geistige Tochter Shaws. Sie ist auch dementsprechend geraten. Der Dichter hat von der wirklichen Königin Kleopatra so wenig Notiz genommen, als sie von ihm nehmen konnte. Ob man den verdienstvollen Archäologen Weigall zu ihren Feinden oder Verehrern rechnen soll, ist eine Sache des subjektiven Urteils, denn Weigall macht aus ihr eine junge britische Dame der guten Gesellschaft, die sehr gefühlvoll ist und nur gelegentlich in tollen Anwandlungen ihre Geschwister umbringt. Damit erhält sie zwar im allgemeinen ein gutes Sittenzeugnis, wird aber auch gänzlich uninteressant.

Der Haß der römischen Schriftsteller beweist, wie furchtbar sie Roms Stellung durch ihren Bund mit Antonius bedrohte. Nur vom Ausgang eines Feldzuges hing es ab, daß nicht Octavius, sondern Antonius und sie das Römische Reich oder ein anderes Reich, das an dessen Stelle getreten wäre, beherrschten. Anatol France sagt von ihr in einem wundervollen Essay: »Sie konnte nicht die Arme öffnen, ohne einen Krieg zu entfesseln.« Das ist der bezaubernde Gedanke eines großen Schriftstellers, dem nur der eine Mangel anhaftet, mit der Wahrheit nicht übereinzustimmen. Wenn sie die Arme für die Liebe öffnete, geschah es, um zugleich auch einen Thron zu gewinnen, sei es den eigenen, der ihr geraubt worden, oder den anderer Fürsten. Ihre Genialität gestattete es ihr, leidenschaftlich zu empfinden und doch politisch zu denken.

Das vorliegende Buch stellt einen neuen Versuch dar, die Persönlichkeit dieser großen Frau zu erfassen. Der Leser möge sich nicht erschrecken lassen, wenn zuerst über Alexandrien, die Familie der Ptolemäer, über Rom und ihren Vater, Ptolemäus XIII., den flötenspielenden König gesprochen wird. So wie jeder von uns hing auch sie von ihrer Zeit, ihrer Umgebung ab und von Kräften, die vor ihr waren.

Wovon immer in diesem Buch auch die Rede ist, es soll dazu beitragen, die Königin Kleopatra wahrhaft zu schildern.

Es ist ein leichtfertiges, selbstherrliches und zugleich kindliches Verfahren, Menschen des Jahrhunderts, dem sie durch Geburt und Gesinnung angehören, zu berauben und sie in irgendein anderes zu versetzen. Wie lächerlich würden wir jemanden finden, der in seiner Schilderung Birnen auf Äpfelbäumen wachsen läßt. Wer aber den Menschen in eine andere Zeit als die seine verpflanzt, handelt ebenso. Nein, man versteht nichts von Menschen, wenn man nichts von ihrer Zeit versteht. Und wenn wir den Geist der Vergangenheit auch niemals bis ins letzte begreifen können, so vermögen wir doch sehr viel davon zu erfassen. Gegenüber den großen und kleinen Zweiflern muß man an dem Wert historischer Forschung und Erkenntnis unbedingt festhalten. Leben und Geschichte sind keine Gegensätze. Wer sehen kann, der wird auch in den Ereignissen der Gegenwart Geschichte erkennen, und er wird auch in der Geschichte sich immer dessen bewußt bleiben, daß auch sie einmal Leben, Gegenwart gewesen ist. Ganz ablehnen muß man aber jenen Skeptizismus gegenüber der Geschichte, der nur vorgeschützt ist, um entweder den Mangel notwendiger Kenntnisse oder die Unlust zu jedem ernsteren Studium zu verdecken.

Je stärker, wahrhaftiger, lebensvoller, lebensnäher und eindringlicher ein Autor einen Menschen und die Zeitumstände darzustellen vermag, um so wertvoller wird seine Arbeit sein.

Diesem Ideal, im Rahmen meiner Kräfte, nachgestrebt zu haben, ist das einzige Verdienst, das ich für mich in Anspruch nehme.

Oskar von Wertheimer

ERSTER TEIL

1. Kapitel

Die Weltstadt der Kleopatra

Wir befinden uns im Jahre 61 des letzten vorchristlichen Jahrhunderts. Das Gebiet, dem unsere Aufmerksamkeit gilt, ist das großartigste der menschlichen Entwicklung: das Mittelmeer und die Länder, die an seiner Küste liegen.

In jenem Teil der Erde entstanden die meisten schöpferischen Ereignisse der Geschichte. Unaufhaltsam breitete sich etwa seit der Mitte des dritten Jahrhunderts römische Oberherrschaft über das ganze Mittelmeergebiet aus. Mit dem Instinkt und dem Bewußtsein des erobernden Herrenvolkes eignet sich Rom, scheinbar planlos und doch mit zäher Konsequenz, Insel auf Insel, Küstenstrich auf Küstenstrich, Land auf Land in hartem Kampfe an. Die Erde scheint nur geschaffen, ihm untertan zu werden. Und wie dieses Volk erobern kann, versteht es auch zu warten, zurückzuweichen, wenn es not tut, in der Erkenntnis, daß ein Gebiet, in dem es sich einmal festsetzte, früher oder später doch sein Eigentum wird. In dem Zeitabschnitt, den wir betrachten, dehnt sich Roms Macht nach vorangegangenen Rückschlägen und trotz unaufhörlicher innerer Wirren wiederum weiter aus. Noch ist die Periode von Cäsars großer Wirksamkeit nicht gekommen. Doch des Pompejus Name ist bereits in aller Munde. Ihm verdankt es Rom, daß seine erschütterte Autorität im Osten wiederhergestellt und noch erhöht wurde. Zwölf Millionen Menschen sowie über 1500 Städte und Dörfer - so rühmt er sich selbst - unterwarf er der römischen Oberhoheit.

Das Leben am Mittelmeer entstand in jener Zeit aus zwei Faktoren: aus Krieg und Handel. Griechische Kunst und Kultur, denen auch Rom huldigte und die sich als großartige Folge des Alexanderzuges in Ägypten, und - trotz des Vordringens östlicher Völker - bis weit hinein nach Asien behaupteten, verliehen dem Dasein höheren Schwung, mehr Freudigkeit und tieferen Sinn. Doch die großen, treibenden Kräfte blieben Eroberung und Gewinn. Die Schiffe, die das Mittelmeer durchfuhren, trugen daher in jener Zeit entweder Kaufleute und Waren oder Soldaten, wohl auch Männer in diplomatischer Mission, wissensdurstige Gelehrte, die die fremden Länder besuchten, und Künstler, die ein reicher Mann über das Meer rief, um sich ihr Talent nutzbar zu machen. Mit den Seereisen waren vielerlei Gefahren verbunden. Nicht nur Stürme konnten die Fahrzeuge heimsuchen, größere Gefahr drohte von Piraten, die hier auf Raub auszogen. Nachdem Pompejus im Jahre 67 in einem großen Krieg die Seeräuber geschlagen hatte, besserten sich die Verhältnisse. Doch vorher beherrschten die Räuber wie eine Großmacht Meer und Küste. Den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit bildete Cilicien, die römische Provinz an der Südküste Kleinasiens. Von dort aus unternahmen sie ihre Raubzüge, fielen die Schiffe auf hoher See an, verheerten Inseln und Küstenstädte. Die inneren Kämpfe, die Italien heimsuchten, erleichterten ihre Ausbreitung. Viele Männer aus vornehmem Stand, die in den Bürgerkriegen ihr Vermögen verloren hatten oder geächtet wurden, traten in ihre Dienste.

Ein regelmäßiger Schiffsverkehr wie in unseren Tagen bestand in jenen Zeiten nicht. Nur wenn irgendein wichtiger Anlaß vorlag, fuhr man über das Meer. Die Schiffe waren viel kleiner als sie heute sind. Wohl hören wir von einigen gewaltigen Fahrzeugen: dem siebenreihigen Ruderschiff des Königs Pyrrhus von Epirus, dem achtreihigen des Diadochen und späteren Königs Lysimachus, dem zehnreihigen Alexanders des Großen, ferner von einem fünfundzwanzigreihigen eines alexandrinischen Königs. Ja, ein anderer Herrscher in Alexandrien aus dem Geschlechte der Lagiden - dem auch Kleopatra angehörte - soll sogar ein Schiff mit 40 Reihen von Ruderern übereinander gebaut haben, das 4000 Sklaven vorwärtsbewegten. Auch von einem Schiff des Tyrannen Hiero von Syrakus wird berichtet, das mit einem Leuchtturm versehen war. Indes waren das nur vereinzelte Ausnahmen. Die Handelsschiffe waren besser gebaut als die Kriegsschiffe. Diese fürchteten den Sturm des Meeres mehr als den Sturm der Schlacht. Man baute auch viel rascher als heute. Scipio der Ältere schuf sich eine Flotte von 220 Schiffen in 45 Tagen. Da ist es zu begreifen, daß sie großen Stürmen nicht gewachsen waren. Im allgemeinen fuhren die Schiffe möglichst die Küste entlang oder von Insel zu Insel. Freilich nahmen sie, wenn sie ein Ziel rasch erreichen mußten, auch den direkten Weg über das Meer.

In das wechselvolle Leben des Mittelmeeres, das von Asien und Europa ausströmt, greift in dieser Zeit von Süden her, von der ganzen ungeheuer langen Küste Afrikas, nur die Hauptstadt Ägyptens ein, Alexandrien, der Regierungssitz der Ptolemäer. Diese Stadt war die größte des Altertums. Sie vermittelte den Handel dreier Weltteile: Europas, Asiens und Afrikas. Jeder, der sie besuchen wollte, mochte er nun aus Athen oder Korinth, aus Ephesus oder Antiochia, ja selbst aus Rom kommen, war höchst begierig, sie kennenzulernen. Man erzählte überall Wunderdinge von ihrer Pracht und dem Treiben, das in ihr herrschte.

Wenn, wie wir annehmen, ein Grieche eben im Jahre 61 v. Chr., da in Ägypten Ptolemäus XIII., der Vater der Kleopatra, herrscht, zu Schiff nach Alexandrien fährt, so erblickt er, lange ehe er die Stadt selbst sieht, den Leuchtturm von Pharus, eines der sieben Weltwunder des Altertums. Nähert er sich vom Meere her in der Nacht der Stadt, dann grüßt ihn dessen Leuchtfeuer schon aus einer Entfernung von über 50 Kilometern. So hoch ist der Turm - etwa 400 Fuß - und so sehr versteht man es, durch technische Mittel den Lichtkegel zu verstärken. Er bildet das Wahrzeichen der wirtschaftlichen und politischen Macht Alexandriens sowie ihrer Gründung durch Alexander den Großen. Doch er besitzt auch praktischen Wert. Während nämlich die Küsten und Inseln des Mittelmeeres in Griechenland, Sizilien, Kreta, Cypern, Syrien durch Gebirge gekennzeichnet sind, ist die Küste bei Alexandrien ganz flach, so daß sich Schiffe kaum bei Tage, geschweige denn in der Nacht zurechtfinden können. Auch gibt es dort zahlreiche Riffe und Untiefen. Der Leuchtturm zeigt von fern den Weg zum Hafen und zur Stadt. Nähert sich ihm das Fahrzeug, dann kann der interessierte Beobachter sehen, daß er drei Stockwerke hoch und aus weißem Marmor erbaut ist. Er liegt, da man vom Westen in den großen Hafen fährt, zu seiner rechten Hand. Das Bild, das sich dem Reisenden linker Hand bietet, während das Schiff in den Hafen gleitet, ist überwältigend.

Diejenigen, die Alexandrien priesen und vom ersten großartigen Eindruck der Stadt begeistert erzählten, haben wirklich nicht übertrieben! Palast reiht sich an Palast, schimmernd in blendend weißem Marmor, umgeben von herrlichen Säulenhallen, geschmückt mit kunstvollen farbigen Statuen und Reliefs. Wenn der Fremde sich dann bei einem der Schiffsleute oder bei einem Mitreisenden, der die Stadt bereits kennt, nach den wichtigsten und großartigsten Bauten erkundigt, dann nennt dieser sie ihm: Hier zur Linken, auf der vorspringenden Spitze des Landes, der Halbinsel Lochias, die den Hafen nach Westen abgrenzt, steht zunächst ein Tempel der mächtigen Göttin Isis. Stadteinwärts führt eine lange Reihe prächtiger, königlicher Bauten, einer immer prunkvoller und großartiger als der andere. Jeder der ptolemäischen Herrscher schuf sich nämlich seinen eigenen Palast. Diese sind alle eingebettet in die herrlichsten Gärten, so daß man ebenso die Pracht der Gebäude wie der Anlagen bewundern muß. Am Ende der Landzunge ist ein abgeschlossener kleiner Hafen, den nur die Schiffe des Königs benutzen dürfen. Auch darüber hinaus bis tief in die Stadt hinein erstreckt sich die zusammenhängende Kette der königlichen Gebäude.

Dort auf einem Hügel, doch ziemlich dicht am Ufer, steht ein Theater, das dem Dionysos, dem göttlichen Stammvater der Ptolemäer, geweiht ist, der das griechische Leben beherrscht wie kein zweiter Gott. Nun folgt der Marktplatz, wimmelnd von Menschen, ebenso wie die Kais am Ufer. Die kleine, ihm vorgelagerte Insel heißt Anti-Rhodus, so genannt als Herausforderung gegen die wirkliche Insel Rhodus. Jenes gewaltige, hochaufstrebende Gebäude ist die weltberühmte Bibliothek, die mehrere Hunderttausende von Buchrollen beherbergt - die größte der Welt. Daneben steht das Museum, die Stätte der alexandrinischen Schule. Und noch weiter dann ein Tempel des Poseidon. Über alle diese Paläste, Tempel und profanen Gebäude erhebt sich überragend, mitten aus der Stadt, das Heiligtum des Gottes Pan, des ewig verliebten, lüsternen Dämons des Waldes, des Beschützers der Ziegenherden, der zum Symbol der friedlichen Natur geworden ist. Vorne aber am Kai folgen Docks und Warenlager bis zu einem breiten Damm, der den Namen Heptastadion trägt, weil er sieben Stadien lang ist. Er führt mitten durch den Hafen und verbindet die Stadt mit der Insel Pharus. Eine Wasserleitung ist in ihn eingebaut, die den Bewohnern der Insel das Wasser des Nils bringt.

Inzwischen hat sich das Schiff dem Kai vollends genähert, um anzulegen. Das Wasser ist so tief, daß auch die größten Fahrzeuge bequem bis dicht an das Land heranfahren können. Brausendes Leben und Treiben erfüllt den Hafen. Zählt diese Stadt doch 300000 freie Bürger, und mit Soldaten und Sklaven dürfte sie wahrscheinlich eine Million Einwohner haben. In ihr konzentriert sich die ganze Ausfuhr Ägyptens nach dem Mittelmeer. Hierher kommen auch die Produkte aus dem Innern Afrikas, die Arabiens, Indiens und sogar auch Chinas: kostbare Gegenstände, Elfenbein, Spezereien, seltene Früchte, Edelsteine, Lebensmittel, Weine.

In Alexandrien, das über den Nil durch Kanäle mit dem Roten Meer und den an seiner Westküste liegenden Städten, wie Arsinoe und Berenike, verbunden ist, strömen auch die Angehörigen aller Nationen zusammen. Besonders wird das im Hafen deutlich, wo sich das gewöhnliche Volk aufhält, das von der mannigfaltigsten Arbeit lebt, die der gewaltige Schiffsverkehr bietet. Da sind in erster Reihe Ägypter, dann Griechen, Juden, Armenier, Perser, Araber, Syrier, Nubier, die alle irgendeinen Handel treiben, irgendeine Beschäftigung ausüben. Man sieht sogar Troglodyten, die an der Küste des Arabischen Meerbusens leben, und Chinesen; dazwischen Söldner, auch aus aller Herren Länder stammend, Griechen, Römer, Illyrier, Thraker, Bithynier. Es ist ein Völkergemisch, das nicht seinesgleichen hat. Und wie in allen Hafenstädten treiben sich hier auch zahlreiche Dirnen aller Abstufungen herum, begierig, den Männern Geld abzunehmen und sie dafür die Freuden der Aphrodite zu lehren.

Durch diese schreiende, gestikulierende, arbeitende, aufgeregte Menge bahnt sich der Ankömmling seinen Weg. Zeigt ihm jemand die Stadt, so führt er ihn gewiß zuerst zu der breiten Straße, die vom Norden nach Süden ganz Alexandrien durchschneidet, ebenso wie eine andere sie in der Richtung Ost-West durchkreuzt. (Der Erfinder dieses Systems der geraden Straßen, die im rechten Winkel von anderen geschnitten werden, ist Hippodamus, ein Philosoph und Architekt, ein Zeitgenosse des großen Perikles. Aus seiner Schule stammt dann der Mann, der den Plan für Alexandrien entwarf, Dinokrates.)

Welch ein anderes Schauspiel bietet sich hier als in Rom, dessen Straßen meistens winklig, krumm und ungepflastert sind. In Alexandrien können Wagen und Reiter überall verkehren. Fast alle Straßen sind gepflastert, die beiden großen Straßen gegen 30 Meter breit. Der Geschichtsschreiber Diodorus, der Alexandrien zwischen 67 und 50 v. Chr. besuchte, und der griechische Geograph Strabo, der es in der Zeit des Augustus sah, rühmen es als die schönste und volkreichste Stadt. Und noch später schrieb ein römischer Schriftsteller darüber: »Sobald ich das Tor der Sonne (das Osttor) durchschritten hatte, blieb ich plötzlich stehen, wie betäubt vom Anblick dieser herrlichen Stadt. Niemals haben meine Augen einen ähnlichen Genuß empfangen.«

Auch in der Nord-Süd-Straße, die zum Binnenhafen Alexandriens führt, begegnet man dem gleichen Völkergemenge wie im Hafen, nur mischen sich bereits vornehmere Leute darunter. Vereinzelt sieht man Makedonen im Reitermantel, dem Chlamys, viele Griechen, wie in der Heimat mit Chiton und Himation bekleidet, die Frauen mit in schöne Falten gelegtem, buntem Unterkleid, unter der Brust oder dicht über den Hüften gegürtet, und Römer in Tunika und Toga. Nur die Sklaven tragen bloß das einfache weiße Hemd, den Chiton. Hier wie anderwärts in der Stadt bieten Köche der armen Bevölkerung warme Speisen, meist Linsen, feil. Zu beiden Seiten der Straße reihen sich Paläste, Amtsgebäude, Tempel, Bildsäulen griechischer und ägyptischer Götter in bunter Reihenfolge aneinander. Dazwischen liegen Gärten voll der schönsten Blumen. Neben den öffentlichen Gebäuden tauchen jetzt auch häufiger Wohnhäuser auf. Sie sind in griechischer oder ägyptischer Stilart gebaut.

Der wandernde Fremdling ist zur Kreuzung der beiden großen Straßen gelangt, die von einem prächtigen Torbau geschmückt wird. An diesem Punkt sind Verkehr und Gedränge ganz besonders stark. Unentschlossen überlegt der Grieche, wohin er sich wenden soll. Er biegt schließlich nach Westen. In jene Straße, die die Stadt in west-östlicher Richtung durchkreuzt. Sie wird die »Breite« oder auch die »Laufbahn« genannt. Sie ist 30 Stadien lang, ganz von Kolonnaden gesäumt und zu beiden Seiten geschmückt von den herrlichsten Palästen, vornehmen Privathäusern und anderen schönen Gebäuden. Von hier aus kann der Fremde auch am besten das Paneum betrachten. Es steht auf einem künstlichen Hügel. Ein Serpentinenweg führt zu ihm empor. Seinen Namen trägt es von einer Grotte, die dem Pan geweiht ist. Von dort oben bietet sich ein wundervoller Anblick auf die ganze Stadt. Im Weiterschreiten gelangt der Grieche zum Sema, dem Grabmal Alexanders des Großen und der Ptolemäerkönige. Doch läßt er den Besuch dieser auch ihm heiligen Stätte für später, betrachtet mit größtem Interesse das Gymnasium, das ein Stadium lang und von einer Säulenhalle umschlossen ist. Wie in allen Gymnasien Griechenlands dürfen auch hier nur griechische Jünglinge an den körperlichen Übungen wie an der geistigen Bildung und dem Studium der Musik teilnehmen. Daher hat sich an dieser Stätte hellenischer Geist und hellenisches Lebensgefühl am längsten erhalten. Die Epheben, die Jünglinge, die etwa das 18. Jahr erreicht haben, betreiben hier nackt die gymnastischen Übungen, aber auch die Gelehrten, die Künstler finden sich ein, erfreuen sich an den schönen Jünglingsgestalten und erörtern mit ihnen wissenschaftliche Fragen. Standbilder der Götter, besonders des Eros, des Herakles und des Hermes, schmücken die Säulengänge. So wird die harmonische Ausbildung von Körper und Seele verwirklicht. In demselben großen Garten wie das Gymnasium befindet sich auch das höchste Gericht des Reiches.

Allmählich gerät nun der Fremde in einen ganz anderen Stadtteil, nach Rhakotis, der eigentlichen ägyptischen Altstadt. Rhakotis hieß das kleine ägyptische Dorf, das hier stand, bevor Alexander die neue Stadt gründete, und anfangs nannte man die neue Niederlassung auch mit beiden Namen: Alexandria-Rhakotis. Es war ein armseliges Dorf, keineswegs wie Alexandrien bestimmt, den Austausch der Güter dreier Weltteile zu vermitteln, sondern im Gegenteil: Wächter und Hirten, die dort und in der Umgebung lebten, sollten unwillkommene Ankömmlinge abwehren. Die Bevölkerung ist hier auch jetzt noch fast durchweg ägyptisch. Daher überwiegt auch der rein ägyptische Stil der Bauten, die im Gegensatz zu den prächtigen erbärmlich und dürftig aussehen.

Endlich gelangt der Wandernde nach Nekropolis, der Totenstadt, die sich hier, ebenso wie in Griechenland, an die eigentliche Stadt anschließt. Die Bewohner dieses Stadtteils leben größtenteils vom Einbalsamieren und Bestatten der Toten.

Die Götter

Nun strebt der Fremde nach Süden, zum Marea-See. Außerhalb der Stadtmauer fesselt seine Aufmerksamkeit vor allem der gewaltigste und prachtvollste Tempel der Stadt: das Serapeum, zu dem man 100 Stufen hinansteigen muß. In ihm wird dem Gott Serapis geopfert. Wie schwer ist es doch, denkt sich der Grieche, die ägyptische Religion zu verstehen. Um wieviel schwieriger wird das aber hier in Alexandrien, wo sich die komplizierten ägyptischen Vorstellungen von Göttern noch mit den hellenischen und römischen mischen. Auch haben die Griechen, seit sie Ägypten kennen, stets denjenigen ägyptischen Gottheiten, die irgendeine Ähnlichkeit mit den ihren aufwiesen, die Namen der betreffenden eigenen Götter beigelegt, so daß es oft unmöglich ist, zu entscheiden, ob es sich um eine griechische oder ägyptische Gottheit handelt. So mag eine Athene hier eine Göttin Nesth, ein als Apollo bezeichneter Gott Horus, der ägyptische Gott des aufgehenden Mondes, sein, eine Aphrodite die Isis, ein Zeus der Ammon, Helios der ägyptische Gott Ra. Aber im Laufe der Zeiten sind durch die Verbindungen beider Kulturen auch Mischformen, Götter ägyptisch-griechischen Charakters, entstanden.

Hinzu kommt noch, daß die Ptolemäer in Ägypten gleich den Pharaonen als Götter verehrt werden. Manche von ihnen haben einen eigenen Kult und eigene Priester, oder ihr Kult ist verbunden mit dem Alexanders des Großen, anderer Ptolemäer oder selbst ägyptischer Götter. In Alexandrien gibt es einen gemeinsamen Kult der Isis, des Serapis und von Ptolemäer-Göttern. Ja, man betet sogar zugleich zu Zeus und ptolemäischen Gott-Königen. Diese Verbindung und Vermischung der griechischen und ägyptischen Religionen und ihrer Götter ist eines der charakteristischen Kennzeichen der kulturellen Verhältnisse, wie sie unter den Ptolemäern im größten Teil Ägyptens, besonders aber in Alexandrien herrschen.

Dafür wird der Einfluß ägyptischer und anderer orientalischer Gottheiten in Griechenland und Rom ebenfalls immer stärker. Die wunderbare und beglückende Phantasie der Griechen, die sich schon zu Zeiten Homers alles in der Natur Wirkende, den Kampf, die Liebe, das Feuer, den Wind, das Echo, als persönliche Gottheit vorstellte, Wald und Feld mit ihren Gestalten, mit Nymphen, Satyrn, Silenen, Kentauren bevölkerte, war seit dem dritten Jahrhundert erlahmt, seit dem Erlöschen der Unabhängigkeit der Staaten, dem Auftreten verschiedener philosophischer Schulen, die erklärten, die Götter seien nur ehemalige mächtige Könige oder Allegorien, und seitdem sich griechische Kultur über große Teile Afrikas und Asiens erstreckte. So wurden die Seelen der Griechen zugänglich den Göttern des Orients. Aber das Freie, Bejahende, wundervoll Beschwingte des griechischen Götterglaubens kontrastiert noch immer seltsam mit den ägyptischen Göttern. Den ägyptischen Mythen und Sagen wohnte nichts Freudiges, Poetisches inne. Sie sind dunkel, vielgestaltig, manchmal tiefsinnig und stets rätselhaft. Daher können die beiden Religionen, so dicht nebeneinander sie bestehen, nie ganz zu eins verschmelzen.

Auch Serapis ist ein Produkt der griechischen und ägyptischen Religion und ihrer Gottheiten. In ihm überwiegt indes das ägyptische Element. Serapis gilt den Griechen als Zeus oder Pluto, den Römern als Jupiter, den Persern als Sonnengott. Er ist zugleich ein Heilgott. Die Menge, die ständig das große Gebäude füllt, kommt herbei, den Gott zu verehren und zu gesunden. Auch Orakelsprüche empfängt dort die Schar der Gläubigen.

Welcher Gegensatz zwischen dem Serapeum und dem in seiner Nähe liegenden Stadion, in dem die Kampfspiele stattfinden und das wiederum rein griechischen Charakter besitzt! Auch hier wird, wie in Griechenland, darum gekämpft, wer der Rascheste im Lauf ist, wer die Diskusscheibe, den Ger am weitesten werfen kann, oder Sieger im Ringen und im Faustkampf wird.

Endlich ist der Binnenhafen Alexandriens am gewaltigen Marea-See erreicht. Damit tut sich eine neue Welt für den Griechen auf. Jetzt erst wendet er sein Antlitz wirklich Ägypten zu. Denn hier kommen die Schiffe vom Nil herunter, laden ihre Waren ab, wenn sie nicht durch den Kanal in den Eunostu-Hafen fahren. Bewegung und Leben sind hier noch verwirrender als selbst im großen Meerhafen. Denn Ägypten führt viel mehr Waren aus, als es einführt. Die Schiffe tragen als Frachten Getreide und Papyrusblätter, die zum größten Teil in Alexandrien verarbeitet werden, aber auch Öl, dann Gold, Silber und Edelsteine. Die kunstvollen Schmuckgegenstände, die in Alexandrien erzeugt werden, sind weit berühmt.

Kunst und Kultur

Erfüllt von Eindrücken wendet sich der Gast aus Griechenland nach dem Nordosten der Stadt, um neben Reichtum und Arbeit das dritte Element des alexandrinischen Lebens kennenzulernen, das der großen Menge wenig, aber dem Gebildeten am meisten gilt: das Museum und die Bibliothek. Ptolemäus I., der tatsächliche Schöpfer beider Institutionen, handelte im Sinne Alexanders des Großen und zumal in dem des Bücherfreundes Aristoteles, wenn er im neugegründeten Alexandrien für griechisches Geistesleben eine Heimat schuf. Ursprünglich war die Büchersammlung nur für die Herrscher selbst bestimmt und in einem Flügel des königlichen Palastes untergebracht. Doch stand sie bald auch den Gelehrten Alexandriens zur Verfügung. Das Museum ist eine Stätte wissenschaftlicher Bildung, die, Platos Beispiel folgend, dem Kult der Musen dient und unter deren Schutz steht. Aus dem Museum und der Bibliothek entstand die alexandrinische Schule, der die Nachwelt die Rettung vieler Werke der griechischen Literatur und eine neue Blüte des griechischen Geistes auf dem Gebiete der Wissenschaft verdankt.

Die wichtigsten Räume im Museum sind eine Halle zum Sitzen, eine andere zum Herumwandern und gelehrtem Disputieren und ein großer Speisesaal. Ist der Grieche, dem wir auf seinem Wege folgen, ein gebildeter Mann, dann wird er über das Geistesleben seiner Heimat und in Ägypten von alters her und zur Zeit der Gründung der Bibliothek einige Kenntnisse besitzen. Dann wird er wissen, wie bedeutend der Unterschied zwischen den wissenschaftlichen Schulen in Griechenland und in Ägypten gewesen ist. In Ägypten galten zur Zeit der Pharaonen die Schulen von Theben, Memphis und Heliopolis als die berühmtesten. Dadurch, daß Priester den Unterricht erteilten, blieben Ausgangspunkte und Endziele der Wissenschaft religiös. So lehrte man vor allem die Religion, die Gesetze des Landes, die Pflichten der Moral, die Schrift, Grammatik, Historie, Geometrie, Agrikultur und Astronomie. Was in Griechenland später als das Wichtigste galt: Philosophie, Dialektik, Logik, Metaphysik, darüber fand man in Ägypten nichts.

In Alexandrien standen die Gelehrten ganz im Dienste des Königs. Sie hatten jede Möglichkeit, sich ihren Studien zu widmen, doch als die Ptolemäer das Interesse für Kunst und Wissenschaft verloren, begann auch der Niedergang der alexandrinischen Schule. Die Verbindung von hellenischer und ägyptischer Gedankenwelt war nicht das bewußte Werk der Könige oder Gelehrten, sondern das Ergebnis einer natürlichen Entwicklung. Die ersten Ptolemäerkönige fühlten sich als Makedonier, als Hellenen, verachteten die Ägypter und betrachteten sie als Untertanen. Wenn sie das Museum und die Bibliothek gründeten, wenn sie aus allen Orten Griechenlands Gelehrte nach Alexandrien zogen und große Mittel für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung stellten, taten sie es ebenso, um den Glanz ihrer Hauptstadt und ihrer Herrschaft zu erhöhen wie aus innerer Überzeugung. Philosophie, Kunst und Wissenschaft nahmen einen hohen Platz in der griechischen Welt ein.

Die alexandrinische Schule, zu der Männer wie Hegesias, Euklid, Theokrit, Eratosthenes, Heron gehörten, brachte keinen neuen Aufschwung der griechischen Philosophie. Darin vermochte sie Athen, ebenso wie in der Lehre der Beredsamkeit Rhodus, den Rang nicht streitig zu machen. Das ganze Leben in Alexandrien am Hof der Ptolemäer war nicht dazu geschaffen, neue philosophische Gedanken und Systeme zu ersinnen.

Die Ptolemäer übten auf die geistigen Bestrebungen ihrer Hauptstadt einen doppelten Einfluß aus. Ihnen verdankte man überhaupt die Entwicklung eines so reichen kulturellen Lebens. Zugleich aber schädigten, ja vernichteten sie, was sie selbst geschaffen, durch ihre Politik wie durch ihre menschliche Entartung. Auch die größten Gelehrten konnten sich der Einwirkung der mächtigen Herrscher, an deren Hof sie lebten, deren Brot sie aßen, die im Lande als Götter verehrt wurden, nicht entziehen. Ob ein Ptolemäer sich mehr für die Künste oder mehr für die Wissenschaft interessierte, das spiegelt sich auch jeweils in der allgemeinen Richtung der alexandrinischen Schule wider. Und als die Könige schließlich im Taumel trivialer Freuden das Interesse an Kunst und Wissenschaft verloren, starb auch die Schule selbst.

Aber das unsterbliche Verdienst dieser Herrscher besteht in ihrem Interesse an den Werken griechischer Kultur und Kunst und der Wissenschaft überhaupt. Auch andere Fürsten im ehemaligen Alexanderreich, besonders die von Pergamum, zeigten großes geistiges Interesse. Doch im herrlichen Pergamum gab es nur eine Bibliothek, die sich überdies mit der von Alexandrien nicht messen konnte, und kein Museum. Unter den ersten Herrschern durchsuchten die Hafenbehörden Alexandriens alle ankommenden Schiffe nach wertvollen Handschriften und konfiszierten sie für die Bibliothek. Daß die Könige anordneten, alle in Griechenland auffindbaren Dichtungen und wissenschaftlichen Werke zu sammeln, daß sie sich bemühten, Originalmanuskripte der großen Dichter zu erwerben, daß sie zahlreiche Kopisten anstellten, diese Werke wieder abzuschreiben, zeugt für ihr lebendiges Interesse an diesen Dingen. Die ersten Ptolemäer waren echte Bibliophilen. Auch die philologischen Arbeiten, die Durchsicht und Reinigung der Texte bilden einen großen Ruhmestitel der alexandrinischen Schule. In Pergamum dagegen beschäftigten sich die Philologen mehr mit dem Studium der Grammatik. Jetzt, da der Fremde Alexandrien besucht, ist das eigentliche Leben der Schule, des Museums bereits erloschen oder gleichsam gebannt in die Papyrusrollen der Bibliothek, die zusammen mit der anderen, der Tochterbibliothek im Serapeum, an 700000 zählen, also einen ungeheuren Schatz an Wissen bergen.

Auf seinem weiteren Weg nach Osten zu muß der Grieche das jüdische Viertel der Stadt durchqueren - von fünf Stadtteilen werden zwei von Juden bewohnt - und gelangt so zum Osttor. Vor diesem liegt die Bahn für die Wettkämpfe mit Pferden und dann beginnt die Vorstadt Eleusis, eine Stätte verfeinerter, raffinierter Lustbarkeiten, wo man einen Vorgeschmack der Schwelgereien und Ausschweifungen erhält, die das Städtchen Kanopus bietet. Ein Kanal, der Eleusis mit Kanopus verbindet, das am westlichen Nilarm liegt, verläuft parallel zur Meeresküste. Kanopus, ungefähr 22 Kilometer von Alexandrien entfernt, trägt seinen Namen nach dem Steuermann des Menelaus. Auf dem Wege dorthin sieht der Fremde nichts von Arbeit, Handel und Kümmernis. Hier ist das Alexandrien der Genußsucht, des Nichtstuns, der Liebe, des Lasters. Der Kanal ist bedeckt mit Nachen und Lustgondeln, auf denen getanzt wird und in denen man sich schon ungeniert Zügellosigkeiten hingibt. Zu seinen beiden Seiten liegen die schönsten Landhäuser und Herbergen, die zu Lustbarkeiten einladen, bis man endlich in Kanopus all jene Ausschweifungen kennenlernt, wie sie hellenische Lebenskunst und Sinnlichkeit, verbunden mit ägyptischer Verderbtheit und orientalischem Raffinement, bieten können.

Das ist Alexandrien, die Stadt voll von Bewegtheit, Gegensätzen und Leidenschaftlichkeit, der Sammelplatz verschiedenster Völker und Rassen, die miteinander, nebeneinander und untereinander ihr Leben führen, ein buntes Gemenge von Sitten, Gewohnheiten, Anschauungen, Religionen, in dem die einzelnen Völker sich nicht verlieren und wo dennoch durch die Mischehen, die stete Berührung miteinander, trotz alles Trennenden eine gemeinsame Lebensatmosphäre entsteht. Wer sich hier niederläßt, verfällt dem turbulenten, fortreißenden Strom und Einfluß der Stadt. Um Geld zu gewinnen, arbeitet jeder, selbst der Blinde und der Krüppel. In Rom ist der Pöbel müßig, will sich vom Staate aushalten lassen. Hier denken alle nur an Erwerb. Von der Trägheit des Orientalen ist wenig zu bemerken. Der Ägypter selbst ist fleißig, verdient sich sein Geld als Handwerker, Bauer, Arbeiter. Der Handel liegt in den Händen der Griechen, Armenier und Juden. Auch die Könige verschmähen es durchaus nicht, obwohl Grund und Boden sowie alle Einkünfte des Staates, besonders die Zölle, ihnen gehören, gewinnbringende Geschäfte zu machen. Jede Rasse bringt das ihr eigentümliche Element in dieses gemeinsame Dasein. Hellenen, Ägypter, Römer, Juden haben die erste Stimme. Die anderen Völker sprechen im Chorus mit.

Soziale Gegensätze

Tiefer noch als der Gegensatz der Rassen und Religionen wirkt sich der Unterschied zwischen arm und reich aus. Die besitzenden Gesellschaftsschichten, besonders die Frauen, treiben einen unerhörten Luxus, verschwenden Unsummen auf ihre Toiletten. Purpur ist hierfür die beliebteste Farbe. Aber zu Festen und ins Theater gehen sie weißgekleidet. Nadeln, Ohrgehänge, andere Schmuckstücke werden im Übermaß getragen. Auch schminken und pudern sich die Frauen, übertreffen in der Kenntnis der kosmetischen Mittel selbst die vornehmen Römerinnen. Große Üppigkeit entfaltet man im Essen. Dem Dienste der Liebesgöttin weihen sich, von den Dirnen bis zu den Flötenspielerinnen, Tänzerinnen und Hetären, zahllose Frauen.

Furchtbar wirkt neben dem Glanz die Armut, der man begegnet. Leute, die ihre Kinder nicht ernähren können, setzen diese einfach aus. Die Findlinge werden die Sklaven jener, die sich ihrer erbarmen. Arme Frauen verkaufen, um leben zu können, ihre Töchter an Kuppler. Daher gibt es auch einzelne Klassen in Alexandrien, die von tiefem Pessimismus erfüllt sind. Unter den Juden bekennen sich viele zu einer asketischen Lebensanschauung. Aus all diesen Gegensätzen entsteht jenes Unruhige, Flackernde im Wesen der Bevölkerung Alexandriens, die arbeitsam, aber in ihrer großen Mehrheit dennoch genießerisch, nicht kampftüchtig, aber streitsüchtig ist. Die unteren Schichten sind noch fanatisch fromm, wie das Volk überhaupt in Ägypten. Wer etwa, auch ohne jede Absicht, eines der zahlreichen, als heilig geltenden Tiere tötet, wird erschlagen. So wenig ist griechischer Geist in die große Menge gedrungen. Dabei sind die Alexandriner begierig nach neuen Vergnügungen und Sensationen. Nicht nur die Reichen amüsieren sich, die Stadt ist auch voll von Schenken und Stätten der Lustbarkeit für das Volk. Vollends bei großen Ereignissen auf der Rennbahn oder im Theater geraten sie außer Rand und Band. Wer an einem öffentlichen Fest teilnimmt, wie etwa dem Geburtstag des Königs oder am Arsinoefest oder gar dem Flaschenfest, an dem jeder sein Essen und Trinken selbst mitbringt, dem offenbart sich erst ganz der turbulente Charakter der Bürgerschaft. Da strömt alles an den Plätzen in der Nähe des königlichen Stadtviertels zusammen, und lebensgefährliches Gedränge erfüllt die Straßen. Denn Feste feiern die Könige ebenso gerne wie das Volk.

Alexander der Große und die Ptolemäer

Am Ende seiner Wanderung durch die Stadt und ihre Umgebung lenkt der Fremde seine Schritte abermals zum Sema, das er zuerst nur flüchtig betrachtete, zu der Grabstätte Alexanders des Großen und der Ptolemäer. Mögen andere Gebäude glänzender sein, dieser Ort bildet doch eines der erhabensten Wahrzeichen der Stadt. Als der große König 336 v. Chr. auf den Thron kam, erinnerte er sich all jener, die sein Vater Philipp verbannt hatte, weil sie treu zu ihm hielten. Zu diesen gehörte auch Ptolemäus, der Sohn des Lagos. Wahrscheinlich entstammte Ptolemäus dem makedonischen Mitteladel und diente als Page am Hofe König Philipps. Er war elf Jahre älter als Alexander und gehörte später zu dessen Leibwächtern, die nebst dem persönlichen Schutz des Königs auch mit den wichtigsten militärischen Aufgaben betraut wurden.

Auf seinem großen Zug nach Asien hatte Alexander Ägypten ohne Kampf besetzt. Er erkannte rasch, daß es ein leichtes sei, das Land zu regieren, wenn er den ägyptischen Göttern huldige und den Priestern ihre Vorrechte lasse. Einer seiner bedeutendsten Pläne ging dahin, dem neugewonnenen Lande im Norden an der Meeresküste einen starken Stützpunkt zu geben, es auf diese Weise mit dem Mittelmeer und Griechenland zu verbinden und die großen Städte im Innern, vor allem Memphis, politisch in den Hintergrund zu drängen. Vermutlich plante er auch, aus Alexandrien die Hauptstadt seines neuen Reiches zu machen, das ja nicht nur Asien, sondern auch Arabien und die Länder um das Mittelmeerbecken umfassen sollte. Selbstverständlich wurde die Stadt, wie fast jede der siebzig Städte, die er auf seinem Zuge gründete, nach ihm benannt.

Im Frühjahr 331 nahm der große Feldzug seinen Fortgang. Einer der großartigsten Gedanken, geboren aus Herrscherwillen, Streben nach Macht, erstanden aus dem schönsten kulturellen Traum, der Begierde, hellenische Kultur nach Asien zu bringen, den Orient mit dem Okzident zu vermählen, sollte damit verwirklicht werden. Nicht nur in Schlachten, nicht nur in zivilisatorischer und kultureller Arbeit, auch bei Festen und Hochzeiten erstand das ungeheure Alexanderreich. Nimmt es etwas vom Ruhme des Königs, daß er bei Gelagen seine Erfolge feierte? Dieses göttliche Genie sah das Mysterium des Lebens nicht nur im Kampf, sondern auch im Rausch. Ja, vielleicht bedeuteten Kampf und Macht für ihn nur andere Formen des Rausches. In Alexander wohnten dionysischer Überschwang und staatsmännische Weisheit dicht nebeneinander. In Susa begründete der König seine orientalische Monarchie. 33 Jahre zählte er, als ihn der Tod bei der Vorbereitung neuer gigantischer Pläne ereilte. Unausdenkbar ist, was er vollbracht hätte, würde er noch ein Menschenalter gelebt haben. Vielleicht würde er Rom die Erde weggenommen, dessen Aufstieg unmöglich gemacht haben. Oder war sein Traum zu gewaltig gewesen? Sein Tod kam so plötzlich, daß er gar keine Bestimmungen über seine Nachfolgerschaft getroffen hatte. Das Reich war geschaffen, doch der König verschwunden. Ohne Alexander gab es keine Weltherrschaft, kein Weltgeschehen.

Ptolemäus trat als einziger von den Feldherren sogleich für eine tatsächliche, wenn auch nicht formelle Teilung des Reiches ein. Es heißt, er habe den Alexanderzug stets kritisch betrachtet. Des Königs Streben ins Ungemessene blieb seinem Geist und seiner Seele fremd. Wer aber war des Königs legitimer Erbe? Barzine, die Alexander nach Issus zu sich genommen, hatte ihm einen Sohn Herakles geboren, mit dem sie in Pergamum lebte. Allein Alexander hatte die Verbindung nie als gesetzlich anerkannt. Roxane, die »Perle des Morgenlandes«, Tochter des Baldryerfüsten Oxyartes, die der König heiß geliebt, war schwanger, doch einige Monate würden noch bis zu ihrer Niederkunft vergehen. Und wird sie einem Knaben das Leben schenken? In Babylon lebte ein schwachsinniger Halbbruder Alexanders, Arrhidäus, ein Sohn Philipps und einer Konkubine, die indes ein schwerwiegendes Argument zu ihren Gunsten Vorbringen konnte: sie stammte aus Thessalien, war also keine verachtete Orientalin. Schließlich wurde nach heftigen Kämpfen Arrhidäus König unter dem Namen Philipp II. und einer der Feldherren Alexanders, Perdikkas, Verwalter des neueroberten Reiches. Die Rechte eines eventuellen Sohnes der Roxane sollten durch diese Lösung nicht geschmälert werden. Das Reich selbst wurde in Militärkommandos geteilt. Der kluge Ptolemäus wußte es so einzurichten, daß er Ägypten mit den angrenzenden Teilen Arabiens und Libyens erhielt.

In Babylon war noch bestimmt worden, Alexanders Leichnam solle im Tempel seines offiziellen Vaters, des Jupiter Ammon, beigesetzt werden. Ptolemäus oder sein Sohn brachten den Leichnam bis Alexandrien. Sein eigentliches Ziel, den Tempel des Jupiter Ammon in der Libyschen Wüste, erreichte der Zug nie. Und was wurde aus den direkten Erben des Königs? Alexanders des Großen Mutter, Olympias, hatte den schwachsinnigen Arrhidäus und dessen Frau ermorden lassen. Damit wurde der nachgeborene Sohn Alexanders und der Roxane als Alexander II. König des Reiches. Im Jahre 311 tötete der Satrap, der die europäischen Teile des Reiches verwaltete, Kassander, nachdem er bereits früher Olympias beseitigt hatte, ohne daß die Tat irgendwelche Erschütterungen hervorrief, Roxane und Alexander II. Zwei Jahre später wurde auch der letzte Alexandersproß, Herakles, ermordet.

Damit war die Dynastie der makedonischen Könige erloschen. Das Genie hatte sich in seinen Nachkommen nicht erhalten. Das Reich Alexanders des Großen löste sich in Einzelstaaten auf und wurde eine Stätte unaufhörlicher Kämpfe, zugleich auch eine neue Heimat griechischer Kultur.

Solche Bilder menschlicher und geschichtlicher Größe stiegen vor dem fremden Griechen auf, der andächtig das Grabmal Alexanders betrachtete. Aber wenn das Geschlecht des Schöpfers auch erloschen war, so wirkte sein Geist, wie in vielem, auch hier noch fort. Legte der Hafen, legte die Stadt nicht Zeugnis ab für das Genie des Gründers? Ja, diese Stadt war herrlich und gereichte dem großen König zum Ruhme. Jetzt besonders, wo die Sonne sich anschickte, in das Meer hinabzusinken und, gleich einem Dahinscheidenden, noch einmal verschwenderisch Reichtum und Kraft zeigend, mit ihrem Licht die Stadt überflutete, bot sie einen traumhaften Anblick. Im Widerschein des untergehenden Gestirns färbten sich Tempel, Paläste und Häuser purpurrot. Die Schiffe im Hafen, die wundervollen Anlagen der königlichen Schlösser, das die Stadt krönende Paneum schienen wie eingehüllt in die goldig-roten Strahlen. Wer sah es dieser majestätischprächtigen und gewaltigen Stadt an, daß sie so viel Elend barg und daß das Geschlecht, das sie und das Land beherrschte und das dort in den königlichen Schlössern wohnte, berüchtigt war durch seine Grausamkeit, seine perversen Laster, und daß auch dessen Familiengeschichte rot gefärbt war - aber nicht vom Glanz der untergehenden Sonne, sondern von vergossenem Blut?

2. Kapitel

Die Vorfahren der Königin

Die Ptolemäer, wie sie nach Ptolemäus I., oder die Lagiden, wie sie nach dessen Vater Lagos heißen, wurden nach dem Zusammenbruch des Alexanderreiches Herrscher Ägyptens.

Ptolemäus I.

Zunächst regierte der erste Ptolemäer als Satrap im Namen Philipps II. und dann im Namen des unmündigen Alexander II. Erst 304 nahm er den Königstitel an. Vorsichtig abwägend, aber im entscheidenden Moment kühn und energisch, so erscheint der Begründer der neuen Dynastie. Wurde er während des größten Teiles seiner Regierung ganz von politischen Fragen in Anspruch genommen, so fand er später, wie die Gründung der Bibliothek beweist, auch Zeit, sich kulturellen Problemen zu widmen. Philosophie und Dichtung sollten sich jedoch seiner Meinung nach dem Staate nützlich erweisen. Selbst seine entarteten Nachkommen blickten verehrend zu ihm auf. In ihren Elementen bestimmte er die auswärtige Politik des Landes bis in die Mitte des zweiten Jahrhunderts, da ein neuer Faktor, Rom, immer stärkeren Einfluß ausübte. Als er starb, hinterließ er einen blühenden Staat, dessen Verwaltung ausgezeichnet, dessen Finanzlage völlig gesichert war.

Die Sinnlichkeit, den Ptolemäern, da sie Griechen waren, so selbstverständlich als eine der treibenden Kräfte des Lebens, ist bei ihm noch nicht zur maßlosen Ausschweifung ausgeartet wie bei seinen späteren Nachfolgern. Sie wurde gebändigt durch Pflichtgefühl, starken Willen, Tätigkeit, Bewußtsein der übernommenen Aufgabe. Ptolemäus’ I. Heirat mit Artaktana, der Tochter des Artabazes, im Jahre 324 war nur auf Alexanders des Großen Befehl erfolgt. Sie verlor ihre politische Bedeutung und Wichtigkeit, als das große Reich sich aufzulösen begann und Ptolemäus nach Ägypten ging. Schon vorher hatte er die athenische Hetäre Thais von Alexander übernommen.

Es ist möglich, daß die Thais, eine geistig hochstehende und berühmte Hetäre wie etwa die Phryne, die Lamia, die Lais, auch seine legitime Gemahlin wurde. Jedenfalls hatte er von ihr einen Sohn (oder auch zwei Söhne) und eine Tochter, die mit dem cyprischen König Eunostu verheiratet war, nach dem vielleicht auch der westliche Hafen Alexandriens seinen Namen erhielt. Später finden wir Ptolemäus mit Eurydike, der Tochter des ehemaligen Satrapen Antipater, vermählt. Diese hatte selbst aus ihrer Heimat Makedonien eine Begleiterin mitgebracht, die Berenike hieß. Berenike wurde bald die Geliebte und dann die Frau des Ptolemäus. Auch sie war bereits einmal verheiratet gewesen. Nach Alexandrien kam sie als Witwe und brachte in die neue Verbindung Kinder mit, zu denen Ptolemäus wie ein Vater gewesen sein soll. Diese Berenike wurde die Stammutter der Lagiden. Denn obwohl ein Sohn des Ptolemäus und der Eurydike als Erstgeborener zunächst Anspruch auf den Thron erheben durfte, bestimmte Ptolemäus dennoch seinen und der Berenike Sohn zum Erben. Und da Berenike die Gunst des Herrschers besaß, wurde sie gepriesen und gefeiert, Eurydike dagegen geschmäht. Ja, die höfische Legende machte aus Berenike sogar eine Schwester des Ptolemäus. Aus einer politischen Konstellation heraus gab Ptolemäus eine Tochter namens Arsinoe, die ihm Berenike geboren hatte, dem König Lysimachus von Thrakien und Makedonien zur Frau, und sein Sohn, der spätere Ptolemäus II., heiratete gleichfalls aus politischen Motiven eine Tochter des Lysimachus, die auch Arsinoe hieß.

Ptolemäus II.

Ptolemäus II. führt den Beinamen der Schwesterliebende, den er vermutlich erst ein Jahrhundert nach seinem Tod erhielt. In Inschriften und Texten wird er über alles Maß geprießen. Dennoch erkennt man deutlich, wie sich in ihm Größe und manche jener Eigenschaften - allerdings noch nicht die schlechtesten - vereinen, die den Niedergang des Lagidengeschlechtes herbeiführten. Ptolemäus II. war kunstliebender als sein Vater. Doch unter der glänzenden Hülle des Ruhmes und der Pracht erwächst schon das Laster, das Verderben, das Verbrechen. In das griechische Charakterbild mischen sich orientalische Züge und beeinflussen Privatleben wie Politik. Keime, vielleicht schon zur Zeit des großen Alexander ausgestreut, wuchern immer üppiger empor.

Die zügellose Herrschgier der Frauen tritt zutage, die in der letzten Kleopatra ihren großartigsten Ausdruck fand. Solche Erscheinungen widersprachen der griechischen Tradition, die die Frauen von jeder öffentlichen Betätigung fernhielt und sie nur als Spenderinnen der Liebesfreuden oder als Mütter, Erzieherinnen der Töchter, Verwalterinnen des Hauses kannten. Gerade darin, daß die Frauen in den Vordergrund traten, offenbarte sich der Einfluß Ägyptens, in dem sie weit mehr Selbständigkeit als in Griechenland besaßen. Nach grauenvollen Schicksalen und Taten floh die Schwester Ptolemäus’ II. aus Thrakien nach Alexandrien zurück. Dort brachte sie Zwist in die Ehe ihres Bruders Ptolemäus II. mit seiner Frau (Arsinoel.). Diese versuchte sich zu wehren, vielleicht hegte sie auch wirklich die Absicht, die Gegnerin zu vergiften - genug, sie wurde verbannt und das grausam-herrschsüchtige Weib, Arsinoell., wurde Frau ihres Bruders und Königin von Ägypten.

Die Liebe Ptolemäus’ II. zu seiner Schwester-Frau Arsinoe II. scheint wirklich eine tiefe und echte gewesen zu sein. Offiziell feierte man die Heirat als göttliches Ereignis und verglich sie mit jener der Isis mit Osiris oder der Hera mit Zeus. Der Hof erschöpfte sich in Lobpreisungen. In der Regierung dürfte von nun an Arsinoe die entscheidende Rolle gespielt haben. Ptolemäus II., ein widerspruchsvoller Charakter, war im allgemeinen indolent, verriet aber gelegentlich starke Willenskraft. Obgleich er selbst kein Feldherr war, führte er glückliche Kriege. Echt und bedeutungsvoll ist seine Hingabe an die Dichtkunst gewesen. Die Zahl der Buchrollen in der alexandrinischen Bibliothek, die unter seinem Vater 200000 betrug, soll er auf 400000 vermehrt haben. Doch darf man diese Zahlen nicht allzu genau nehmen. Auch die Organisation der Bibliothek ist sein Werk. Bereits unter seiner Regierung herrschte, ebenso in der Stadt wie am Hofe, der Kult Homers. Man las die Ilias und die Odyssee und zitierte sie überall. Bei Festen und Trinkgelagen ließ der König die Dichter ihre Werke vortragen und belohnte sie reich.

Allein es tritt nicht mehr dieselbe Kraft in seiner Regierung, nicht mehr das zielbewußte Aufwärtsstreben zutage wie unter seinem Vater. Nach dem Tod Arsinoes II. läßt ihr der Bruder- Gatte an allen Orten Tempel und Statuen errichten. Er tut alles, sie zu vergöttlichen. Ihr Kult wird mit dem heimischer ägyptischer Götter verbunden. Sein Schmerz hindert ihn aber nicht, die Freuden des Lebens auch weiter mit vollen Zügen zu genießen. Eine schöne Ägypterin, Didyma, dann Agathokleia, Stratonike, eine Schauspielerin Myrtion, die Flötenspielerinnen Mnesis und Pothenia, Kleino und vor allem Bilistiche, von der es bald heißt, sie sei eine Makedonierin, bald wieder, sie wäre eine Barbarin gewesen - das sind nur einige von seinen Geliebten. Im Kult der toten Arsinoe hatte die Hetäre Bilistiche eine hohe Würde inne. Ja, sie selbst wurde als Aphrodite Bilistiche verehrt und ihr in Alexandrien ein Tempel errichtet.

Unter dem zweiten Ptolemäer genossen die Hetären ein Ansehen, das sogar jenes überstieg, das ihnen, als den schönen Dienerinnen der Aphrodite, überall in Griechenland gebührte. Die Hetären bauten sich damals in Alexandrien Paläste, und an vielen Punkten der Stadt wurden ihnen zu Ehren Statuen aufgestellt. Das Griechenland der freien Sinnlichkeit traf hier mit der schwülen Erotik Ägyptens und des Orients zusammen. Im Dienst der Aphrodite, die man in Syrien verehrte, wurden wildere Orgien gefeiert als sonst in Griechenland, selbst auf Cypern und in Korinth. Und der Perserkönig Kambyses hatte sogar gehört, die Ägypterinnen seien in der Kunst der Liebe besonders bewandert und sich deshalb eine ägyptische Königstochter zur Frau gewünscht. Für die Griechen bildete Sinnlichkeit das stärkste Lebenselement, aber das Laster, zu dem man freilich die Knabenliebe nicht rechnen darf, kam aus dem Orient. In Alexandrien hatte die Liebe bald einen teils groben, teils krankhaften und dekadenten Charakter. Dem Gotte Priapos, der Verkörperung der niederen sinnlichen Liebe, galten viele Dichtungen. Unter Ptolemäus Philadelphus durchforscht man bereits die ganze Mythologie nach Perversitäten. Überall sucht man, beeinflußt von der ägyptischen Schwesterliebe, unerlaubte Verhältnisse, den auch den Griechen nicht unbekannten Inzest. Waren doch auch Zeus und Hera Geschwister. Selbst Penelope, die treueste der Gattinnen, wird als Ehebrecherin hingestellt. Adonis wird besungen, das Geschöpf einer Liebesstunde zwischen Vater und Tochter. Hermaphroditos, jene wundervolle Göttergestalt, die der Sage nach entstand, weil die Nymphe Salmakis sich von dem herrlichen Knaben nicht trennen wollte und deshalb mit ihm zu einem Geschöpf vereinigt wurde, ist die Lieblingsgestalt der Zeit, besonders der Frauen.

Ptolemäus III.

Im dritten Ptolemäus, der von 246 bis 221 regierte und der Wohltäter hieß, verkörperte sich noch einmal das Politisch-Große des Geschlechtes, bevor der Niedergang einsetzt. Ptolemäus III. war der Sohn Arsinoes I., aber von Arsinoe II. adoptiert und zum legitimen Nachfolger bestimmt worden. Wenngleich er der ruhigen Charakterfestigkeit Ptolemäus’ I. entbehrte, verfolgte er doch bedeutendere Pläne als dieser. Seine politischen Gedanken sind von großer Konzeption.

Er wollte die Ideen Alexanders des Großen wieder zu neuem Leben erwecken. Nur sollte jetzt Ägypten das Zentrum des neuen Reiches bilden. Er eroberte das ungeheuere Seleukidenreich in Asien und drang bis zum Euphrat vor. Doch Unruhen im eigenen Lande zwangen ihn zur Rückkehr. Aus Asien brachte er viele Schätze zurück, darunter auch angeblich von Kambyses entführte ägyptische Götterstatuen. Als Rom ihm bei den Kämpfen in Asien Hilfe anbot, lehnte er sie ab, in tiefer Voraussicht, daß Roms Hilfe zu teuer bezahlt werden müsse. Von seinen großen Eroberungen behielt er nur einen Teil Syriens, aber getrieben von dem Interesse, das schon längst die Griechen erfüllte, zog er das Niltal aufwärts, um jene unbekannten Gebiete und die Quelle des großen Flusses zu finden — eine Aufgabe, die auch er nicht zu lösen vermochte.

Auch die Gemahlin dieses Königs, Berenike, die Tochter König Magas’ von Kyrene, war eine starke Persönlichkeit. Durch sie kam Kyrene wieder zu Ägypten. Ptolemäus III. starb nach 25jähriger Regierung im Jahre 221 v. Chr. - wahrscheinlich keines natürlichen Todes, sondern durch die Hand seines Sohnes und Nachfolgers Ptolemäus’ IV. Dieser Vatermord eröffnet die blutige Geschichte der Lagiden.

Ptolemäus IV.

Der Sturz, den das Geschlecht jetzt erlebt, vom dritten zum vierten Ptolemäus, ohne sich jemals wieder, mit Ausnahme der letzten Kleopatra, zur geschichtlichen Größe zu erheben, ist fürchterlich. Die Grausamkeit bei der Verwirklichung politischer Ziele wächst immer mehr an, kennt nun kein Maß, kein Gesetz, keine Hemmung. Bande des Gefühls vereinten bei Griechen und Römern Familie und Freunde. Ob man das Testament liest, in dem Aristoteles von seiner Familie, namentlich von seiner Mutter, spricht, oder die Briefe ägyptischer Kinder an die Eltern, oder die Worte, mit denen Cicero von seiner Tochter schreibt, oder den Vorwurf, den Cäsar gegen Cato erhebt, er habe keinerlei Zuneigung für seine Familie empfunden - aus allem geht hervor, daß die Kulturvölker des Altertums tiefe Zuneigung für ihre Blutsverwandten empfanden. Die Ehrfurcht vor dem Alter, zu der der griechische Jüngling erzogen wurde, bedeutet auch Ehrfurcht vor den Eltern. Wenn Achilles beim Tod des Patroklus klagt, daß diese Nachricht ihn härter treffe als die Botschaft vom Tode des Vaters, so beweist das zugleich seine Gefühle als Sohn. Und auch die Erzählung, wie Thetis, des Achilles Mutter, ihren Sohn in Frauenkleider steckt, um ihn vor dem Kampf zu bewahren, konnte nur aus einer Atmosphäre der natürlichen, schönen Empfindungen zwischen Blutsverwandten entstehen. Solche Gefühle ersterben bei den Ptolemäern. Zur Befriedigung der Herrschsucht gilt ihnen jedes Verbrechen als erlaubt.

Ptolemäus IV. ist ein Ungeheuer. Zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahre zählte er, als er zur Regierung gelangt. Er steht unter dem Einfluß seiner Minister und Günstlinge Agathokles und Sosibius. Er ist eine schwache Natur, Stärke bekundet er nur beim Ausüben von Verbrechen. Sein Vater ist vermutlich sein erstes Opfer. Gleich einem Irrsinnigen tötet er alle, die auch nur von ferne seine Herrschaft bedrohen könnten oder ihm bei seinem Lebenswandel hindernd im Wege stehen. Zuerst läßt er seinen Onkel Lysimachus, den Bruder seines Vaters, dann seinen jüngeren Bruder Magas und schließlich seine Mutter Berenike ermorden. Endlich fällt ihm sein Feldherr Kleomenes und dessen ganze Familie zum Opfer. Die Politik, das Kriegführen überläßt er den anderen. Er lebt nur trivialen und lärmenden Vergnügungen. Dabei stören ihn nicht die Aufstände im Innern des Landes, die offenbar Nachkommen der alten Pharaonen gegen den unwürdigen Herrscher hervorrufen. Wie die Verkörperung aller schlechten Eigenschaften und Laster wirkt dieser Fürst. Mißtrauisch zeigt er sich allen gegenüber, die nicht zu seinem intimen Kreis gehören. Dieser Kreis aber besteht aus seinen Mätressen, gewöhnlichen Dirnen, Lustknaben und Narren, die er sich von der Straße holen läßt. Und dennoch fehlen in dieser erbärmlichen Gesellschaft auch Gelehrte und Dichter nicht. Der König liebt die Komödie. Man veranstaltet für ihn große Umzüge, in denen er betrunken als Bacchus einherzieht. Heulend und singend, die Zither in der Hand, führt er bei solchen Anlässen die Mitfeiernden zu wilden Ausschweifungen nach Kanopus hinaus. Der König hält sich auch selbst - wie Nero - für einen Dichter. Aus eitler Ruhmsucht errichtet er Homer einen Tempel. Auch Ptolemäus III. war von der Idee, große Schiffe zu bauen,, besessen. Ptolemäus IV. aber will darin seinen Vater und alle anderen Könige übertreffen und baut für sich ein Schiff, in dem 4000 Sklaven die Ruder bedienten und das 129 Meter lang war. Ein eigener Kanal mußte gebohrt werden, um es in das Meer gleiten zu lassen .Ebenso läßt er sich ein Schiff für den Nil bauen, das einem schwimmenden Palast gleicht und mit verschwenderischem Luxus ausgestattet ist. Dieser Wahnsinnige kann indes auch lieben. Die Frau seiner Gunst heißt Agathokleia und ist die Schwester seines Freundes Agathokles. Sie und ihr Bruder regieren das Land. Auch seine Gemahlin Arsinoe tötet er der Agathokleia zuliebe. Als dieses Scheusal im Jahre 204 oder 205 stirbt, verheimlichen seine Geliebte und ihr Bruder längere Zeit seinen Tod, um auch den künftigen König ganz in ihre Gewalt zu bekommen.

So vernichtet ein Herrscher das Werk, zu dem Alexander der Große den Grundstein gelegt, und das drei Könige vor ihm weiter ausgebaut hatten. Das Reich sinkt zur völligen Machtlosigkeit herab, das ernste politische Streben der ersten Könige löst sich auf in persönliche Kämpfe, die das Land nur noch weiter schwächen. Das wichtigste Ereignis unter dem fünften Lagiden war das Vordringen der römischen Macht im Osten des Mittelmeers. Ein römischer Legat, Popillius Laenas, zwang im Jahre 168, vier Meilen vor Alexandrien, den siegreichen, in Ägypten vorrückenden König Antiochus IV. von Syrien durch ein bloßes Machtwort zum Rückzug und rettete damit die Herrschaft der Ptolemäer. So groß war bereits damals Roms Autorität im östlichen Teil des Mittelmeeres, so kläglich die Rolle Ägyptens und seiner Fürsten.

Machtgierige Königinnen

Ptolemäus’ VI. Gattin, Kleopatra II., und ihre Tochter, die spätere dritte Königin dieses Namens, eröffneten eine neue Epoche in der Geschichte der Dynastie. Seit dieser Zeit scheint es, als ob sich wirklich die Kraft der Familie in dem weiblichen Geschlecht konzentriere, denn von ihm gehen die Impulse aus. Die Frauen streben am rücksichtslosesten nach der Macht. Die Männer sind zwar nicht besser als sie, aber unbedeutender. Die Stärke und Herrschsucht dieser Königinnen muß man besonders studieren, um die letzte Kleopatra, deren Leben wir zu erzählen haben, zu verstehen.

Kleopatra II. heiratete zuerst ihren älteren Bruder, Ptolemäus VI. Philometor, dann regierte sie mit dem jüngeren, Ptolemäus VIII. Eine Zeitlang beherrschen beide Brüder und die Schwester in seltsamer Gemeinschaft das Reich. Dann war die Eintracht der Interessen und der Gefühle wieder dem Kampf gewichen. Ptolemäus VIII. vertrieb den Bruder Ptolemäus VI. Daß diese Verbindung der Geschwister nicht nur politische, sondern auch eheliche gewesen sind - ihr tieferer Sinn ist ja außer der Machtfrage Zeugung echter Nachkommen — beweisen eben die Kinder. Ptolemäus VI. und Kleopatra II. hatten aus der Zeit ihrer Gemeinschaft einen Sohn, der als Ptolemäus VII. bezeichnet wird. Kurze Zeit herrschte Kleopatra II. auch mit diesem Sohn über Ägypten. Dann aber trat Ptolemäus VIII. mit seinen Ansprüchen neuerlich in den Vordergrund. Er ermordete den jugendlichen Ptolemäus VII. und heiratete dann dessen Mutter, seine Schwester Kleopatra II. — ein Bild, das wie kaum ein anderes geeignet ist, die Geschichte der Lagiden zu illustrieren. Der Schriftsteller Justinus schmückt den Vorgang noch aus, indem er erzählt, Kleopatra II. habe den Mörder, der noch blutig war vom Verbrechen an ihrem Kinde, in ihrem Ehebett empfangen. Ja, Ptolemäus VIII. ließ späterhin sogar zwei seiner Kinder umbringen und soll die Gebeine des einen, der Memphites hieß und dessen Mutter Kleopatra II. war, dieser zu ihrem Geburtstag übersandt haben.

Ununterbrochen wächst nun aus jeder blutigen Tat eine neue empor. Kleopatra II. mußte für ihre Herrschbegierde büßen. Ihre Tochter aus erster Ehe, Kleopatra III., eine der stärksten Persönlichkeiten der Dynastie, verdrängte sie aus der Gunst ihres Gatten. Die eigene Tochter wurde, angeblich von Ptolemäus VIII. vergewaltigt, die Geliebte und endlich die Frau des Mannes ihrer Mutter, der zugleich ihr Oheim war. Es gab eine Zeit voll wechselnder politischer Ereignisse, in der Ptolemäus VIII. mit diesen beiden Frauen lebte, mit beiden die Herrschaft teilte, wobei es fortwährend zu Eifersuchtsszenen und Kämpfen kam. Der Einfluß der jungen Kleopatra auf den König erwies sich schließlich als der stärkere. Auch diesmal wurde die Mutter vermutlich von ihrer Tochter getötet. Mit Kleopatra III. hatte Ptolemäus VIII. zwei Söhne und zwei Töchter. Sein Testament, in welchem er ihr die Wahl überließ, welchen ihrer Söhne sie zum Mitregenten erwählen wolle, scheint darzutun, wie abhängig er von seiner Gattin war. Wie Kleopatra III. in vielem die anderen Frauen ihrer Dynastie überragte, so übertraf sie diese auch in der Größe ihres Hasses, mit dem sie ihren älteren Sohn verfolgte. Wahrscheinlich war ihr dieser bereits zu selbständig. Mit ihm zur Seite hätte sie die Macht nicht unbeschränkt ausüben können. Der jüngere Sohn unterwarf sich ihr offenbar willig. Daher suchte sie, ihn zum Mitregenten zu machen. Aber das Volk oder eine Partei am Hofe erzwang die Wahl des älteren Bruders.

Doch später behauptete sie, ihr Sohn und Mitregent Ptolemäus X. habe einen Anschlag gegen ihr Leben ausführen wollen, worauf sie ihn vertrieb und ihren jüngeren Sohn Ptolemäus XI. zum Mitregenten machte. Ptolemäus X. wurde Herrscher von Cypern und ging schließlich ebenfalls nach Syrien, wohin seine Mutter einen Feldzug unternahm, sowohl um einen Teil Syriens zu erobern, als auch um den verhaßten Sprößling endlich zu vernichten. Ptolemäus X. wiederum suchte sich mit bewaffneter Hand Ägyptens zu bemächtigen. In dieser Zeit - etwa 101 - dürfte sich auch der Bruch zwischen dem jüngeren Sohn, Ptolemäus XI., und Kleopatra vollzogen haben. Offenbar war auch er zu selbständig geworden, um die Vormundschaft der Mutter länger zu ertragen. Höchstwahrscheinlich ermordete er sie.

Das Ende der Lagiden