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Koexistenz! beschreibt den größtenteils autobiografischen Werdegang eines ganz normalen jungen Mannes namens Bono. Grauenerregende Tagträume, die ihn seit frühester Kindheit verfolgen und scheinbar unüberwindliche Beziehungsprobleme, führen zu sonderbaren Neigungen, die ihn zunächst in die Pornosucht und später in die Rolle eines bedrohlich konsequenten Masochisten treiben. Bloße Fantasien genügen ihm irgendwann nicht mehr, und so beginnt er sie in die Realität umzusetzen. Auf diesem Wege findet er nicht nur Gefallen an einer etwas anderen Sexualität, sondern verfällt ihr im Laufe der Jahre völlig und wird ganz und gar süchtig nach ihr. Harmlos beginnend werden seine Exzesse langsam und schleichend immer extremer. Er führt einen verzweifelten, aber aussichtslosen inneren Kampf und versucht vergeblich sich seinen Sehnsüchten zu entziehen, denn zum einen schämt er sich zutiefst für das, was er tut, zum anderen bedroht er seine Existenz, denn seine Exkursionen in die Welt der Schmerzen und der Fetische sind kostspielig. Mehr als einmal verwendet er für die Erfüllung seiner Sehnsüchte Gelder, die ihm nicht gehören und begibt sich damit auf einen gefährlichen Pfad.
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Seitenzahl: 715
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Koexistenz!
Koexistenz!
Irrfahrt meiner Seele
von Bono Blütner
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter dnb.dnb.de abrufbar.
Texte: © 2020 Bono Blütner Umschlagsgestaltung: Das Coverbild entstammt dem Bildbestand von pixabay.com und ist dort als frei kommerziell nutzbar ausgewiesen (2847724).
Verlag: Bono Blütner c/o Block Services Stuttgarter Str. 106 70736 Fellbach [email protected] Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Die Niederschrift des Buches ›Koexistenz!‹ hat viele Jahre in Anspruch genommen. Zwischen dem ursprünglichen Vorwort und dem Ende der Geschichte liegt mehr als ein Jahrzehnt. Zudem nahm es mit dem Vorwort noch nicht einmal seinen Anfang, denn der liegt noch sehr viel weiter zurück. Als ich zu schreiben begann, waren meine Ideen und damit die Inhalte der Erzählung, zumindest in Teilen, noch völlig andere. Insofern haben sich einige Dinge während des Schreibens überholt. Als ich das Vorwort schrieb, waren manche Begebenheiten, von denen hier berichtet wird, noch gar nicht geschehen. Herausnehmen wollte ich es dennoch nicht, denn es veranschaulicht meine Motivation diese Geschichte zu schreiben und verschafft einen Einblick in meinen damaligen Gemütszustand.
Was anfangs als echte Autobiografie gedacht war, hat sich über die Jahre mit Erdachtem vermischt. Ich allein weiß, was Wahrheit und was erdachtes Gebilde ist, und das wird auch immer so bleiben. Entstanden ist ein in Teilen möglicherweise geschmackloses und stellenweise unappetitliches Buch, das nicht nur der Idee, mit ihm hoffentlich ein bisschen Geld zu verdienen, Rechnung trägt, sondern auch meine zweifellos vorhandene exhibitionistische Ader bedient.
Das Buch wird, so hoffe ich, die Neugier der Menschen, die es lesen, ankurbeln und damit dafür sorgen, dass sie auch dann weiterlesen, wenn es unbequem wird. Was macht neugieriger als das Verbotene und Verdorbene?
In Teilen meiner Ausführungen wird sich der eine oder andere Leser möglicherweise wiederfinden, andere Teile sprengen Grenzen, von denen kaum jemand zugeben würde, sie überschreiten zu wollen oder sie gar bereits überschritten zu haben. Genau diese Abschnitte sind es, die dieses Buch tabubrechend aus der Masse hervorheben werden. Es wird möglicherweise eines dieser Bücher werden, die zwar keiner kennt und keiner gelesen hat, aber dessen ungeachtet weiß trotzdem jeder was drinsteht.
Koexistenz! beschreibt den größtenteils autobiografischen Werdegang eines ganz normalen jungen Mannes namens Bono. Grauenerregende Tagträume, die ihn seit frühester Kindheit verfolgen und scheinbar unüberwindliche Beziehungsprobleme, führen zu sonderbaren Neigungen, die ihn zunächst in die Pornosucht und später in die Rolle eines bedrohlich konsequenten Masochisten treiben. Bloße Fantasien genügen ihm irgendwann nicht mehr, und so beginnt er sie in die Realität umzusetzen.
Auf diesem Wege findet er nicht nur Gefallen an einer etwas anderen Sexualität, sondern verfällt ihr im Laufe der Jahre völlig und wird ganz und gar süchtig nach ihr. Harmlos beginnend werden seine Exzesse langsam und schleichend immer extremer.
Er führt einen verzweifelten, aber aussichtslosen inneren Kampf und versucht vergeblich sich seinen Sehnsüchten zu entziehen, denn zum einen schämt er sich zutiefst für das, was er tut, zum anderen bedroht er seine Existenz, denn seine Exkursionen in die Welt der Schmerzen und der Fetische sind kostspielig. Mehr als einmal verwendet er für die Erfüllung seiner Sehnsüchte Gelder, die ihm nicht gehören und begibt sich damit auf einen gefährlichen Pfad. Alle Personen, die in diesem Buch eine Rolle spielen, existieren wirklich, wenn auch möglicherweise unter anderen Namen und an anderen Orten. Die Details, die hier überwiegend sehr eingehend beschrieben werden, entstammen zum großen Teil wirklichen Erlebnissen und haben genauso stattgefunden. Die Ideen und damit die Auslöser, mich auf vielerlei der beschriebenen Geschehnisse einzulassen, entnahm ich meist dem Internet. Tatsächlich ist es so, dass ›man‹ auf manche Fetische gestoßen werden muss, um deren Existenz überhaupt wahrzunehmen. Bei mir jedenfalls war es so. Einmal wahrgenommen, haben sie mich oft nicht mehr losgelassen. Selbst wenn ich bestimmte Praktiken zunächst für mich völlig ausgeschlossen habe, haben mich die Gedanken dazu immer wieder eingeholt.
Der allergrößte Teil meiner hier beschriebenen Erlebnisse hat auf der Linienstraße in Dortmund stattgefunden, die bis heute mein liebster Anlaufpunkt für derartige Dinge ist. Manchmal verschlug es mich auch nach Duisburg oder Essen. Aber auch in Hagen besuchte ich eine Frau, die anders als die anderen war und mich deshalb nicht nur sehr beeindruckt, sondern auch geprägt hat. Durch einen beruflichen Kontakt lernte ich jede Laufstraße und viele Laufhäuser im Ruhrgebiet kennen. Manchmal kehrte ich an diese Orte zurück, um sie nicht nur aus der Sicht eines Profiteurs zu betrachten. Meinem Kontakt ging es nicht um das Erleben, sondern darum, selbst ein Teil dieses großen Rotlichtgeschäftes zu werden.
Mein ganz besonderer Dank gilt hier insbesondere Laura aus Dortmund, die meinen Weg über viele Jahre begleitet und das Erleben auch der ausgefallensten Praktiken und Ideen überhaupt erst möglich gemacht hat. Ohne sie gäbe es dieses Buch nicht.
Ganz bewusst verzichte ich als Autor mit real existierendem Umfeld, Verwandten und Freunden, auf eine genaue Beschreibung meiner Lebensumstände. Diese Vorgehensweise ist meiner Angst geschuldet, Menschen, die ich mag und liebe, und die vielleicht auch mich mögen oder lieben, zu schützen. Ich wäre ein Heuchler, wenn ich an dieser Stelle nicht zugeben würde, dass es mir auch und vor allen Dingen darum geht, im Ansehen dieser Menschen nicht ins Bodenlose zu versinken.
Mein Name ist Bono und Bono ist ein Pseudonym.
Wichtiger Hinweis!
Dieses Buch ist für Personen unter achtzehn Jahren gänzlich ungeeignet. Gleichwohl es für Bücher in Deutschland keine freiwillige Selbstkontrolle gibt, sollten alle Verantwortlichen dafür Sorge tragen, dass es Kindern und Jugendlichen auf keinen Fall zugänglich gemacht wird.
Als ich in den Spiegel sah, blickte mich von dort ein Mann mit dunklen Schatten unter den Augen und recht ausgeprägten Tränensäcken an, die zum Teil von dem schmalen Metallgestell seiner Brille kaschiert wurden. Ohne Brille hätte ich gar nicht mehr hineinsehen müssen, jedenfalls nicht, wenn ich nach Details suchte, denn meine Augen hatten in den letzten 10 bis 12 Jahren empfindlich an Sehkraft verloren. Der Gesichtsausdruck des Mannes war irgendwie bekümmert, aber höchstwahrscheinlich wirkte das nach außen anders. Vielleicht bildete ich mir das auch nur ein, weil ich wusste, dass seine Grundstimmung traurig war. Ich vermied an das Wort depressiv zu denken, obgleich ich ebenfalls wusste, dass das Gefühl von Trauer und Hoffnungslosigkeit ihn bereits seit Kindertagen begleitete.
Er hatte trotz seines Alters, er befand sich mit großer Wahrscheinlichkeit bereits in der zweiten Hälfte seines Lebens, volles Haar. Nur ganz leicht waren Geheimratsecken zu erkennen. Die ursprüngliche Haarfarbe war nicht mehr auszumachen. Der Grundton war grau, und nur wenn man ganz genau hinsah, schimmerten noch ein paar wenige braune Haare durch. Der Mann trug einen Goatee, der fast weiß war und ihm ein wenig Seriosität verlieh. Das schlanke Gesicht sah müde aus, aber das war eigentlich immer so.
Vergeblich suchte ich nach einem Zeichen von Lebensmut, von Optimismus, von Freude oder Zufriedenheit. Noch nicht einmal Gesundheit konnte ich erkennen, denn meinem Gesicht fehlte jegliche Frische. Ich war sehr blass, und wer mich sah, dachte wahrscheinlich immer so etwas wie, ›Der sieht irgendwie nicht gut aus‹. Daraus, dass die Menschen in meinem Umfeld mich darauf niemals ansprachen, schloss ich, dass ich mir auch das einbildete oder sie so sehr an mein Erscheinungsbild gewöhnt waren, dass es ihnen gar nicht auffiel.
Ich stand oft vor einem Spiegel und betrachtete mein Gesicht. Es war mir sonderbar fremd. Dieses müde und ausgelaugte Gesicht passte nicht zu dem, was mein Gehirn mir projizierte. Eigentlich hätte dort ein erfolgreicher, selbstbewusster und dynamischer Mann zu sehen sein müssen, der wusste, wohin sein Lebensweg ihn führte, und der mit sich und seinem Schicksal zufrieden war. Solange ich mein Spiegelbild auch anstarrte, so jemand wollte dort einfach nicht erscheinen. Ich rückte mein Gesicht etwas näher heran und konzentrierte mich, aber auch das half nicht. Seufzend setzte ich die Brille ab und massierte mir mit den Fingerspitzen die geschlossenen Augen. Es war ein angenehmes Gefühl. Vielleicht würden die Tränensäcke auf diese Weise verschwinden. Als ich nach ein oder zwei Minuten die Augen wieder öffnete und meine Brille die leicht verschwommenen Umrisse meines Spiegelbildes wieder schärften, stand da immer noch dieser fremde müde Mann mit dem traurigen Gesichtsausdruck.
»Was hast du falsch gemacht?«, dachte ich. »Ich habe die 40 bereits deutlich überschritten und nichts von dem erreicht, was ich mir als junger Mensch vorgenommen habe.«
Berufsmäßig hatte ich in den letzten 25 Jahren so manche Station angefahren. Anfangs ging alles nur sehr schleppend. Nachdem ich nach der Schule einige Jahre nur rumgejobbt hatte oder arbeitslos war, habe ich mit Anfang 20, sozusagen auf dem zweiten Bildungsweg, noch eine vernünftige Ausbildung gemacht, in deren Folge es mir beruflich für rund 15 Jahre wirklich gut ging. Ich verdiente Geld, kein Vermögen, aber immerhin so viel, dass ich ein finanziell unkompliziertes, ja sogar ein komfortables Leben führen konnte. Während dieser Zeit heiratete ich. Meine Frau verdiente ebenfalls sichtbares Geld, und es ging uns gut.
Und was machte ich dann? Ich stürzte mich in ein Abenteuer, das bis heute nicht zu Ende ist und gab diesen sicheren und gut bezahlten Beruf auf, um mich selbständig zu machen. Das war die bisher dümmste Entscheidung meines Lebens. Anfangs kam ich mit dem Unternehmertum gut zurecht. Aber das Schicksal sah für mich keine langanhaltende Unbeschwertheit vor. Einige Jahre, nachdem ich mich selbständig gemacht hatte, trennte ich mich von meiner Frau, und von da an ging es finanziell deutlich bergab. Mehr als ein Jahrzehnt hielt ich die Illusion, dass ich mein Leben trotzdem bewältigte, aufrecht. Unstreitig wusste der Mann im Spiegel, dass das nicht mehr lange funktionieren würde, und genau das sah man ihm sehr deutlich an. Graue Haare auf dem Kopf, weiße Haare im Gesicht und tiefe Sorgenfalten sprachen eine deutliche Sprache.
»Du hast es verkackt!«, dachte ich.
Ich kniff die Augen zu und fühlte mich kurz wie ein kleines Kind, dass die Augen schließt und glaubt, dass es nun nicht mehr gesehen werden kann. Dunkelheit umfing mich, ich atmete stockend. Meine Nerven flatterten, und ich spürte, wie kribbelnd Panik in mir aufstieg. Unbewusst rotierte mein rechter Arm, als würde er auf einen unsichtbaren Gegner einschlagen. Das Augenschließen half nicht, denn vor Angst gibt es kein Versteck. Ich schüttelte den Kopf hin und her, als wolle ich den unsichtbaren Gegner bitten, mich in Ruhe zu lassen, aber die Angst ergriff unaufhaltsam Besitz von mir und setzte meinen Körper unter Strom. Sie schien von der Körpermitte direkt ins Gehirn zu fahren und lähmte mich vollständig.
Es nützte nichts, so sehr ich mich auch wehrte, ich konnte die Panik nicht aufhalten. Wenn ich nichts tat, würde ich unaufhaltsam ins Unglück laufen. Mein Leben, wie ich es bisher führte, würde zu Ende sein. Selbstzweifel haben mich sehr oft davon abgehalten, meine manchmal zugegebenermaßen etwas skurrilen Ideen in die Tat umzusetzen. Auf meinen Schultern saßen, wie in einem Lied von Fettes Brot, ein Engel links und ein Teufel rechts, nur waren es in meinem Fall zwei Bonos, ein guter und ein böser.
Der böse Bono sagte: »Lass es einfach sein, es kommt ja sowieso nichts dabei raus, also spar dir die Mühe.«
Der gute Bono erwiderte verzweifelt: »Wenn du nichts tust, läufst du geradewegs in dein Unglück. Was vergibst du dir, wenn du es wenigstens versuchst?«
Ich musste etwas ändern und glaubte zu wissen, dass ich das kann, wenn auch meine Vorstellungen noch unkonkret waren. Also fasste ich einen Entschluss, der mich vor eine riesige Herausforderung stellte.
Ich wollte ein Buch schreiben, weil ich mir ganz sicher war, dass es viele Menschen gibt, die sich für die Dinge interessieren, von denen ich berichten würde. Allerdings wollte ich um jeden Preis verhindern, dass man es mit meiner Person in Verbindung bringt, denn das könnte mein Leben möglicherweise völlig verändern, und vor Veränderungen hatte ich Angst.
In meinem durchschnittlichen Leben gab es bis auf eine Sache nichts, was Außenstehende interessieren würde. So unauffällig und langweilig ich selbst mir erschien, gab es doch eine Seite an mir, die möglicherweise die Neugier einiger Menschen erregen würde, jedenfalls nahm ich das an. Natürlich würden es nicht alle Menschen sein, aber ich hoffte doch, dass es möglichst viele sind. Die meisten würden, so glaubte ich, dieser Seite verständnislos gegenüberstehen und die Dinge, die ich getan habe, in großen Teilen für verwerflich und ekelhaft halten, und dennoch könnten sie sich, so hoffte ich weiter, einer gewissen Faszination nicht entziehen. Mein Buch würde möglicherweise für einen literarischen Sturm der Entrüstung sorgen. Andere würden zu entscheiden haben, ob die Entrüstung meinem Unvermögen Worte aneinanderzureihen gilt oder eher dem Inhalt dessen, was ich niederschrieb, oder vielleicht auch beidem. Moralapostel würden die erhobenen Finger soweit in die Höhe recken, dass sie sinnbildlich bis in den Himmel reichten.
Vor meinem geistigen Auge wandten sich die Menschen von mir ab, beugten sich vorn über und stießen würgende Geräusche aus, um ihre Meinung zu dem, was ich nun glaubte, öffentlich machen zu müssen, unmissverständlich zu verdeutlichen. Das Schlimme daran war, sie hätten recht. Ich selbst habe nie verstanden, warum ich die Dinge tat, die ich tat, warum ich mich nicht im Griff hatte, warum ich es riskierte, dass die Menschen, die ich zu lieben glaubte und von denen ich hoffte, dass sie auch mich liebten, mir zunächst angeekelt ins Gesicht sehen würden, um im nächsten Augenblick völlig beschämt zu Boden zu blicken, damit niemand bemerkt, wie sie mit den Tränen der Enttäuschung kämpfen.
Ich blickte wieder in den Spiegel. Mit offenen Augen betrachtete ich mein Gegenüber und lauschte gleichzeitig meinem eigenen Herzschlag, der in dieser Situation der Angst und Unsicherheit wie eine Trommel in meinem Kopf wummerte. Ich hatte Angst, Angst vor meiner bisherigen Lethargie, die irgendwann zwangsläufig in den Untergang führen würde, Angst vor der eigenen Courage, Angst vor einem Coming out, Angst davor Menschen zu verlieren, die sich vielleicht von mir abwenden würden und auch Angst vor meiner eigenen Disziplinlosigkeit, die eigentlich Ursache meines Scheiterns war.
Manchmal muss man Dinge einfach machen, also begann ich zu schreiben.
Die Bilder, von denen ich hier berichte, sind ein wenig verschwommen, denn ich hole sie aus den Untiefen meines Gedächtnisses hervor, von dort, aus einem weit entlegenen Winkel meines Hirns, wo sie für mehrere Jahrzehnte tief vergraben waren. Es sind Kindheitserinnerungen, die es gar nicht geben sollte, jedenfalls nicht in dieser Charakteristik. Das Wort Erinnerungen trifft es nur halbrichtig, denn ich sehe Bilder und Szenarien von Ereignissen, die nie geschehen sind. Und trotzdem habe ich sie erlebt, in meiner Fantasie, die in meinem Fall, wie ich glaube, sehr, sehr ausgeprägt war. Einige waren harmlos, aber viele waren unheilvoll. Ich kann nicht genau sagen, wie alt ich war, als sich erstmals Bilder in meinem Kopf formten, die geeignet waren Furcht, Angst und Ekel bei Menschen hervorzurufen, aber ich glaube, dass ich noch nicht einmal 10 Jahre alt gewesen bin.
Die Bilder, die mich rückblickend glauben lassen, dass all die ›Perversionen‹, die in meinem Kopfkino immer und immer wieder ablaufen, und die ich immer und immer wieder versuche in die Realität umzusetzen, mir nicht erst als Erwachsener begegneten, sondern bereits als frühpubertierender Junge. Perversionen? Ja, heute, aber damals waren das keine Perversionen. Es waren unheilvolle eigenartige Sehnsüchte, die im Laufe der Zeit immer mehr Besitz von mir ergriffen. Niemand sonst wusste davon, und niemand sollte je Einblick in die Abgründe meiner Gedanken erlangen, denn wenn ich eine Kunst schon immer beherrschte, dann ist es die, Geheimnisse zu bewahren. Wenn mir auch sicher nicht bewusst war, wie sehr mein Gedankengut bei anderen Menschen auf Unverständnis stoßen konnte, so war mir doch irgendwie bereits als kleiner Junge klar, dass es Gedanken waren, über die man nicht sprach.
Zum ersten Mal in meinem Leben teile ich diese Erinnerungen, indem ich sie hier zu Papier bringe. Die Bilder, die ich sah, hatten oft etwas Apokalyptisches. Sie waren in keinerlei Handlung gebettet und suchten mich ohne jede Vorwarnung zu jeder Zeit heim. Neben den Bildern verspürte ich eine Reihe von Empfindungen. Ich erinnere mich an Angst, an Lust, an das Herzklopfen, wenn diese ungewöhnlichen Gedanken mein Hirn durchstreiften, an Aufregung und an einige andere, die ich damals nicht einordnen konnte. Jede dieser Empfindungen steckt bis heute in mir, und das ist umso erschreckender, als das eine davon Todessehnsucht war. Als Kind war diese Todessehnsucht nur ein Gefühl, und die Gedanken dazu beschränkten sich darauf, dass ich überlegte, wie ich mir das Leben nehmen konnte. Von Zeit zu Zeit hielt ich die Luft an. Der Plan war, das solange durchzuhalten, bis der Tod eintrat. Natürlich gelang das nie, denn mein Körper und meine Instinkte unterwarfen sich niemals meinen dunklen Fantasien. Trauer spielte ebenso wenig eine Rolle, wie ein Ereignis, dass diese Sehnsucht befeuerte. Ein solches Ereignis hat es nie gegeben. Die Frage nach dem ›Warum‹ stellte ich nie, jedenfalls nicht als Kind. Als Erwachsener, sehr viel später, gab es Situationen, die einen Freitod hätten rechtfertigen können, als Kind jedoch ging es für mich um nichts.
*****
Ich hänge an einer Art Schaukel. Das Brett, auf dem man normalerweise sitzt, ist durch eine Stange ersetzt. An dieser Stange hänge ich kopfüber. Meine Kniekehlen umschließen sie, und ich glaube, dass meine Hände links und rechts daran gefesselt sind. Es ist nicht dunkel, aber sehr zwielichtig. Es gibt keine Stille. Ein ständiges Brausen, wie von einem Orkan, erzeugt ein Gefühl von Monotonie in mir. Die vorherrschende Farbe ist rot. Blut? Falls ja, ist es meins? Ich kann mich nicht an Schmerzen erinnern, sehr wohl jedoch an das Verlangen nach ihnen. Die Stange hängt an Seilen, die im Nirgendwo enden, und es gibt keine Decke. Der Junge an der Stange bin ich. Ich sehne mich nach fühlbarem Schmerz und bin sehr aufgeregt, ja sogar freudig erregt. Das Licht in dieser Unendlichkeit wechselt ständig die Intensität. Wo bin ich? Das hier ist das Nirgendwo. Das Brausen wird immer lauter, aber das stört mich nicht. Ich glaube, dass ich geschlagen werde und sehe rote Flüssigkeiten aus aufgeplatzten Hautpartien fließen. Schmerz? Nein! Ich bin enttäuscht. Meine Haare hängen nach unten, und ich bin völlig verdreckt. Es geht mir gut, denn ich weiß, dass das hier nur ein Bild ist. Ich weigere mich die Fantasie zu verlassen, denn das Bild macht mir keine Angst. Ich mag es und fühle mich wohl. Mein Herz klopft. Irgendwo hier in diesem Nebel treibt ein Messer sein Unwesen, und ich glaube, dass es benutzt wurde. Blut tropft von seiner Schneide. Jemand wurde verletzt. Ich? Ich weiß es nicht. Es könnte sein. Ich muss das Bild verlassen, irgendetwas stört mich und entreißt mich diesem apokalyptischen Traum.
*****
Zu keiner Sekunde habe ich erkannt, dass diese Fantasien den Grundstein dessen bilden würden, was ich mehrere Jahrzehnte später trieb. Wie sollte ich auch? Ich war ein kleiner Junge, der diesen Dingen überhaupt keine Bedeutung zukommen ließ und litt nicht unter meinen Fantasien. Im Gegenteil. Sie lösten ein Wohlgefühl in mir aus, und natürlich konnte ich weder erkennen noch ahnen, dass ich sehr viel später darunter sehr zu leiden haben würde.
Mal waren diese Tagträume, es waren niemals nächtliche ›echte‹ Träume, sehr abstrakt, mal nahmen sie eine gewisse Gestalt an. Sie waren fast immer von extremer Gewalt geprägt. Es ging um das Erleben von Schmerzen, das Erleiden von Verletzungen und Verstümmelungen, manchmal auch um die Zerstörung von Körpern und damit um den Tod. Mal war es der eigene, mal waren es die Körper von anderen. Fast immer gab es sie, diese Menschen, die in meinen Träumen verbrannt oder in Stücke gerissen wurden. Fast immer handelte es sich um Gleichaltrige, somit also anfangs um Kinder.
Mir ist es sehr wichtig an dieser Stelle festzuhalten, dass ich das was ich träumte nicht als die Gewalt, die es war, erkannte.
Niemals hatte ich ein schlechtes Gewissen, und niemals hatte ich das Gefühl etwas wirklich Verbotenes zu tun. Das Gegenteil war der Fall. Ich unterschied in meinen Träumen nicht zwischen anderen und mir. Wir alle erlitten das Gleiche. Diese Tagträume verbanden sich immer mit der Aufregung, die ein Kind empfindet, wenn es heimlich im Schlafzimmerschrank der Eltern nach Weihnachtsgeschenken sucht. Sonderbarerweise war das sehr spannend und auf irgendeine Art und Weise eben doch verboten. Das Verbotene jedoch bestand nicht im Träumen, sondern darin, dass meine Wahrnehmung mir etwas Spannendes, etwas Aufregendes und später durchaus auch sowas wie eine sexuelle Empfindung darbot.
Meine Träume führten mich zum Teil an fiktive nichtexistierende Orte. Meist jedoch fand ich mich in einer mir bekannten realen Umgebung wieder. Ob die Teilnehmer eine Opfer- oder eine Täterrolle einnahmen, war von der persönlichen Beziehung zu mir oder Geschehnissen im echten Leben völlig unabhängig.
Gerne ließ ich mich in diesen Träumen von Freunden oder Klassenkameraden, durchaus auch von Mädchen, quälen und am Ende auch umbringen. Ich tat dasselbe mit ihnen oder sah einfach nur zu, wie sie sich gegenseitig und untereinander verletzten. Die Geschehnisse zeichneten sich oft dadurch aus, dass die Dinge, die ich mit den Augen wahrnahm, sehr detailliert waren. Wenn ein Messer einen Unterarm aufschnitt, einen Finger abtrennte oder sich in ein Auge bohrte, war das ganz genau zu sehen. Woran ich mich nicht erinnern kann sind Schreie, die derlei gemarterte Menschen ganz sicher ausgestoßen hätten. Niemand schrie. Alle empfanden es immer wie ich als ein sehr erregendes Ereignis. Niemals unternahm jemand einen Fluchtversuch. Alle Probanden wollten es genauso, wie es stattfand.
Es ging nicht immer ausschließlich um Gewalt, sondern auch um das, was ich im zarten Alter eines Frühpubertierenden für ekelhaft hielt. Dazu gehörten in jedem Fall auch Mädchen, beziehungsweise der Teil der Mädchen, der sich von uns Jungen unterschied, aber natürlich auch genau dieser Teil von Jungen, der unter normalen Umständen unter der Kleidung verborgen blieb. Diesen Ekel galt es zu überwinden, und das taten wir, indem wir unsere kindlichen Körper verschüchtert aneinander kuschelten. Berührungen mit den Händen waren eher zufällig als gewollt. Trotzdem war das wahnsinnig aufregend. Diese Körperkontakte fanden zwischen Jungen und Jungen, wesentlich seltener aber auch zwischen Jungen und Mädchen statt. Meine Träume erklärten mir nie, warum das mit Mädchen sehr viel aufregender war. Vielleicht vermischte sich hier Reales mit Fiktion. Mädchen waren damals für mich unantastbar und darüber hinaus auch doof. Was ein Geschlechtsverkehr war, wusste ich ganz sicher nicht. Das ein Orgasmus das war, was ich empfand, wenn ich als kleiner Junge mit meinem Penis spielte, war mir nicht bewusst. Also hatten diese Dinge in meinen Träumen für mich keinerlei Bedeutung.
*****
So verabredete ich mit einem Mädchen, dessen Gesicht ich heute, mehrere Jahrzehnte später noch vor Augen habe, deren Namen ich jedoch nicht mehr weiß, dass wir Dinge tun würden, die ekelig waren. Vorsicht, es wird ziemlich schlimm, aber so war es nun mal.
Zunächst gab es nicht viel, was die kleinen Körper miteinander anstellen konnten. Wir begegneten ihnen, dem Alter entsprechend, völlig unvoreingenommen, denn wenn man sich nicht gerade ein Knie aufgeschlagen hatte, weil man beim Toben zu Boden gegangen war und deshalb wie am Spieß brüllte, spielte der eigene Körper im täglichen Leben eines Kindes doch kaum eine Rolle.
Wir unterschieden uns nur, aufgrund unserer Anatomie, die normalerweise in unseren Schlüpfern verborgen blieb. Und genau deshalb richtete sich unser Augenmerk explizit darauf. Wir begannen uns vorsichtig zu berühren. Das war nicht sonderlich schlimm, aber dann kosteten wir uns dort unten, und das war zunächst das Scheußlichste, was wir miteinander anstellen konnten.
Beachtenswert ist, dass das in diesem Augenblick nicht das Geringste mit Erotik zu tun hatte, denn was wir hier absolvierten, war wirklich ›nur‹ so eine Art Ekeltraining. Meine Erinnerung beschränkt sich diesbezüglich darauf, dass meine Zunge sie zwischen den Beinen berührte. Ob das umgekehrt auch stattgefunden hat, wage ich zu bezweifeln, denn es ging wirklich niemals um Zärtlichkeiten, sondern ausschließlich darum die eigenen Ekelbarrieren soweit aus dem Weg zu räumen, bis es irgendwann keinerlei Grenzen mehr gab.
Und so war es dann auch. Das vorsichtige Zungenspiel reichte irgendwann nicht mehr aus, und so begannen wir Körperflüssigkeiten auszutauschen. Es begann mit harmlosem Spucken und endete vorläufig damit, dass wir uns gegenseitig anpinkelten. Aber auch das war irgendwann nicht mehr schlimm, denn das Training machte sich langsam bezahlt. Wir begannen unseren Urin zu trinken. Anfangs füllten wir ihn in Gläser, später ließen wir den Umweg Glas einfach weg und verrichteten die Notdurft direkt dorthin, wo sie schlussendlich landen sollte, in den Mund des jeweiligen Gegenübers.
Irgendwann war auch das nicht mehr spannend, und folgerichtig gingen wir den letzten Schritt und richteten unser Augenmerk auf das, was unsere Körper noch zu bieten hatten, aber was dann geschah werde ich an dieser Stelle nicht beschreiben, denn obwohl ich selbst sehr freizügig mit gemeinhin als pervers verschrienen Praktiken umgehe, empfinde ich heute detaillierte Beschreibungen von Kindern, die mit ihren Exkrementen spielen als grenzüberschreitend.
*****
Träume dieser Art haben mein junges Leben über mehrere Jahre begleitet. Mit dem Heranrücken echter Erlebnisse eines Pubertierenden, die niemals auch nur im Ansatz etwas mit den Träumen meiner Kindheit zu tun hatten, verblassten sie langsam. Irgendwann vergaß ich sie einfach. Ich wuchs auf wie ein völlig normaler Junge, nein, ich war ein völlig normaler Junge.
Es vergingen einige Jahre, in denen ich mich an derlei Träume nicht erinnern kann. Sie müssen im Alter von Anfang bis Mitte zwanzig wiederaufgetaucht sein. Irgendwann rückten sie wieder in meinen Focus, ohne allerdings die Erinnerung an frühere Träume wieder aufleben zu lassen, jedenfalls nicht zu dieser Zeit.
Sie veränderten sich nicht grundsätzlich, allerdings verbanden sie sich nun durchaus mit meiner Sexualität, und ich empfand Lust. Auch der Schmerz anderer, war plötzlich interessant. Selbstredend war mir zu jedem Zeitpunkt bewusst, dass ich diese Bilder niemals in die Realität umsetzen würde. Ich war und bin weiß Gott nicht zimperlich, aber eine Fantasie, die mir als besonders abstrus in Erinnerung blieb, zeigt, wie ich den Penis eines mir fremden Mannes oral befriedige.
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Dieser Mensch ist an eine Art Andreaskreuz gefesselt. Ich bin mir sicher, dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, dass es Menschen gibt, die ein Andreaskreuz in ihre erotischen Spiele einbauen. Aber ich denke über derlei Dinge nicht nach und nehme sie einfach als gegeben hin. Das Andreaskreuz befindet sich in einem Raum, den es nicht gibt und der nirgendwo ist. Ich kniee auf einem Boden, den es ebenfalls nicht gibt, allenthalben erinnere ich mich an eine wolkenartige Oberfläche, die eben deshalb keine Oberfläche ist und somit keinen Halt bieten kann. Und doch kniee ich vor ihm und bin völlig allein mit diesem Menschen.
Ich blase seinen Schwanz mit großer Leidenschaft, und der Mensch bringt seine Empfindungen durch laut vernehmbares Stöhnen zum Ausdruck. Offensichtlich mache ich das, was ich tue, sehr gut. Ich blicke nach oben, um in sein Gesicht zu sehen, aber so sehr ich mich auch darum bemühe, ich kann es nicht erkennen. Natürlich hat er Augen, Mund und Nase, doch ich nehme diese Details nicht wahr und bin einfach nicht in der Lage aus dem was ich sehe, ein normales menschliches Gesicht zu formen.
Also blase ich den Schwanz eines Gesichtslosen, und das mit noch mehr Hingabe als bisher. Das Stöhnen des Gesichtslosen wird lauter. Ich spüre das Pulsieren seines Geschlechtsorganes in meinem Mund und weiß, er wird jeden Augenblick zu einem Orgasmus kommen und halte nun inne. Ich ahne, dass mich ein Paar ungläubige Augen anstarren. Das Gesicht, das ich nicht erkennen kann, nimmt einen fragenden Ausdruck an. Erneut suche ich vergeblich nach seinen Augen und nehme seine Eichel behutsam wieder in den Mund. Sein Blick ruht auf mir. Eine Minute liebkose ich ihn noch mit den Lippen und meiner Zunge. Dann aber übertrage ich diese Aufgabe meinen Zähnen. Statt mit dem bisherigen Rein und Raus fortzufahren, verstärke ich ganz langsam den Druck meines Kiefers. Ich weiß, dass er mich nun zum zweiten Mal ungläubig anstarrt, doch sein Gesicht bleibt für mich noch immer unsichtbar.
Er schreit nicht, und er sagt nichts. Dafür beginnt er zu zittern. Von Sekunde zu Sekunde verstärke ich den Druck meiner Zähne. Das mag eine Minute dauern. Er schreit noch immer nicht, sein Körper allerdings krampft, und er wird derart geschüttelt, dass ich Mühe habe seinen Schwanz im Mund zu behalten. Wenn meine Zähne ihn nicht mit großer Kraft festhalten würden, würde er mir ganz sicher entgleiten.
Das aber passiert nicht. Ich wundere mich. Ich wundere mich darüber, dass er nicht schreit, und ich wundere mich darüber, dass dieser Schwanz noch immer hart und groß in meinem Mund pulsiert, ich wundere mich darüber, dass er noch immer nicht blutet, und am meisten wundere ich mich schlussendlich darüber, dass ich als inzwischen fanatischer Hetero, den Penis eines Mannes befriedige. Dann vernehme ich ein lautes platzendes Geräusch.
In dieser Sekunde schlagen meine Zähne zusammen, ohne jedoch die Eichel vollständig abzutrennen. Augenblicklich beginnt er zu kreischen. In meiner Fantasie ist das ein großartiger Moment. Nach wenigen Sekunden sind mein Gesicht und mein Körper von seinem Blut völlig besudelt. Ich nehme den Kopf ein Stück zurück, um mein Werk zu betrachten. Ich habe nicht einen Augenblick das Gefühl etwas Falsches zu tun und sehe nach oben in das für mich unsichtbare Gesicht. Es ist noch immer unsichtbar, und so bleiben mir nur seine Schreie, um mir eine Vorstellung von der Qual zu machen, die er nun empfindet.
Fast zärtlich umschließen meine Lippen seinen stark und pulsierend blutenden Schwanz. Dessen Eichel wird von nicht zerbissenen Adern und Hautresten gehalten. Seine Schwellkörper sind unter dem Druck meiner Zähne explodiert. Die Erektion ist vollständig verschwunden. Sein Schwanz hängt schlaff herunter, und die Eichel ist in einem seltsamen Winkel abgeknickt. Meine Lippen und meine Zunge liebkosen ihn so zärtlich, als sei nichts geschehen, als wäre mein größter Wunsch nun, ihm den Orgasmus zu bescheren, den er ganz sicher erwartet hat. Es ist ein sehr zärtlicher Moment, und dann beiße ich zu, reiße seine Eichel vollständig ab und spucke sie aus.
*****
Ich wurde Mitte der Sechzigerjahre als Jüngstes von drei Geschwistern in Bochum in Westfalen geboren. Es gab bereits einen älteren Bruder und eine ältere Schwester. Mein Vater war kaufmännischer Angestellter, meine Mutter, wie damals üblich, Hausfrau.
Wir alle wohnten im Haus meiner Großeltern. Es war ein großzügiges fast villaartiges Gebäude in einer für Bochum ziemlich exponierten Lage. Zeitweise lebten hier vier Generationen. Meine Eltern, ich und meine zwei Geschwister teilten uns die erste Etage mit Balkon. Das Dachgeschoss stand nach dem Tod meiner Urgroßmutter leer und wurde später im Wechsel vom Besuch meiner Großeltern und zeitweise auch von uns Geschwistern bewohnt. Immer wenn einer von uns das Bedürfnis hatte, sich eine Weile zurückzuziehen und ein paar Tage oder auch Wochen für sich zu sein, wurden einfach die Bettwäsche und ein paar andere wichtige Dinge nach oben gebracht, und schon hatte man seine Ruhe.
Ursprünglich lebten wir Kinder alle gemeinsam in einem Zimmer. Bis heute kann ich die Bilder dieser Zeit aus den verborgensten Windungen meines Gehirns freilegen. In meiner Erinnerung war alles gut, so wie es war, und ich empfinde meine früheste Kindheit als sehr behütet. Die Aufgabe unserer Erziehung teilten sich meine Mutter und meine Großmutter. Wie selbstverständlich gingen wir Kinder durch sämtliche Räumlichkeiten unseres Hauses. Obgleich meine Großeltern in einer für sich abgeschlossenen Wohnung lebten, stand deren Tür jedoch zu jeder Zeit für uns offen. Die ersten Jahre verliefen sicherlich ohne wesentliche Ereignisse, jedenfalls erinnere ich mich nicht an irgendwelche Besonderheiten. Meine Mutter erzählte mir später, dass ich ein ausgesprochen fröhliches Kind war, das sehr viel gelacht hat. Mit sechs Jahren wurde ich eingeschult, und damit begann für mich bereits der Ernst des Lebens.
Während die meisten Kinder zumindest anfangs gern zur Schule gingen, hasste ich sie bereits am ersten Tag. Schule war zu keinem Zeitpunkt meins. Noch weniger als den Schulbesuch mochte ich Hausaufgaben. Statt sie einfach zu erledigen, quälte ich mich schon als kleiner Junge damit, sie immer wieder zu unterbrechen und zwischendurch irgendwas anderes zu tun. So brauchte ich dafür, sechs Reihen kleine ›e’s‹ oder Ähnliches auf die damals übliche Schultafel zu schreiben, oftmals den ganzen Nachmittag. Das betrieb ich hartnäckig über mehrere Jahre so. Schon zu dieser Zeit hatte ich das Gefühl überhaupt keine Freizeit zu haben, und ich erinnere mich an ein Gespräch mit meiner Mutter, in dem ich mich bitter darüber beklagte, dass die Schule mir jede Form der Erholung verwehrte. Schon damals wusste ich, dass nach der Schule irgendwann, in welcher Form auch immer, eine Arbeit auf mich warten würde. Ich erinnere mich darüber hinaus an eine Empfindung, die mich in diesem Zusammenhang überkam. Es war ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit und damit verbunden auch ein Gefühl großer Trauer. Mein Leben war bereits beendet, so jedenfalls sah ich es.
In der Grundschule lernte ich Thomas kennen. Wir gingen für vier Jahre in dieselbe Klasse und freundeten uns an.
Wir waren befreundet, wie Jungs es in diesem Alter eben sind, beziehungsweise früher einmal waren. Heute sitzen die Kids allein ihn ihren Zimmern vor ihren Computern, Playstations, Xboxen und weiß der Teufel, was es sonst noch so gibt. Auf ihren Köpfen tragen sie Gaming-Headsets und brüllen ihre Bildschirme an. Wenn sie sich mit anderen unterhalten, dann über Teamspeak. Es drängt sich die Frage auf, ob sie die Gesichter ihrer Gesprächspartner überhaupt kennen. Sie bewegen sich in fremden Welten, in denen seltsame Wesen leben, und sie sprechen eine Mischung aus Deutsch und irgendeinem Spielekauderwelsch. Ich jedenfalls kann diesen Gesprächen nicht folgen. Sie haben unendlich viele Freunde, wenn auch nur auf Facebook. Mit diesen Freunden aber treffen sie sich nicht, und viele von denen kennen sie auch nicht.
Früher war die Welt eine völlig andere. Als ich zehn war, gab es nur drei Fernsehprogramme. Im Übrigen hatte damals noch nicht einmal jede Familie einen eigenen Fernseher. Das Programm begann unter der Woche erst am Nachmittag gegen fünfzehn oder sechzehn Uhr. Nur sonntags begann es früher, und ich erinnere mich, dass die ganze Familie nach dem Mittagessen vor der Flimmerkiste saß und Flipper oder Pipi Langstrumpf guckte. Wenn wir zu Hause waren, dann spielten wir Geschwister miteinander, wir lasen oder wir hörten ›der Schatz im Silbersee‹ und viele andere Hörspiele von Langspielplatten. Wir bastelten mit der Oma oder spielten mit ihr ›Mensch ärgere dich nicht‹. Draußen fuhren wir Fahrrad, bildeten Banden mit anderen Kindern und streiften auf der Suche nach Abenteuern durch die umliegenden Wälder. Wir gruben Löcher in den Gärten und suchten nach Schätzen, und wir veranstalteten Kinderolympiaden auf der Straße, durch die vielleicht fünf Mal am Tag ein Auto fuhr. Die Straßenränder waren völlig frei, denn nur wenige Familien hatten ein Auto. Im Winter fuhren wir stundenlang Schlitten oder Gleitschuh, und unsere Eltern mussten uns regelmäßig mit Gewalt von draußen reinholen.
Wir waren echte Kinder, die sich dreckig machten, die viele soziale Kontakte hatten und bei denen Streitigkeiten nicht über Mobbing, sondern über ordentliche Prügeleien ausgetragen wurden. Die Prügeleien gibt es noch heute von Zeit zu Zeit. Der Unterschied ist nur, dass sie früher mit der ersten Träne, die jemand vergoss, endeten.
*****
Thomas wohnte nur ein paar Häuser weiter in derselben Straße. Seit über drei Jahren gingen wir nun schon in dieselbe Klasse und waren praktisch unzertrennlich. Es verging eigentlich kein Tag, an dem wir uns nicht sahen, denn wir trafen uns natürlich auch an den Wochenenden und anderen schulfreien Tagen. Man fuhr damals noch nicht jedes Jahr in Urlaub, und so verbrachten wir auch die Ferien miteinander.
Irgendwann sprachen wir das erste Mal über Sex, beziehungsweise über das, von dem wir glaubten, dass es Sex sei. Wir hatten überhaupt keine Ahnung und natürlich in unserem Alter keinerlei Erfahrungen, sondern wussten lediglich, dass Mädchen irgendwie anders waren als wir Jungs. Unabhängig davon fanden wir sie doof. Ganz sicher wussten wir damals nicht, was die Mädels in ihren Schlüpfern beherbergten. Ich kann mich nicht erinnern jemals mit einem Mädchen Onkel Doktor gespielt zu haben. Mit meiner älteren Schwester habe ich als Kind einmal Küssen geübt, allerdings ohne es mit irgendeiner Gefühlsregung zu verbinden. Wir hatten es bei den Erwachsenen gesehen und waren einfach neugierig.
Ganz genau dagegen wussten wir, was es in unseren eigenen Schlüpfern zu sehen gab. Bei uns zu Hause hieß er Piepmatz. Schon sehr früh habe ich für mich entdeckt, dass es von Zeit zu Zeit sehr schöne Gefühle erzeugte, wenn ich ihn anfasste. Für mich hatte das überhaupt nichts mit Sex zu tun. Ich fasste ihn einfach gerne an und rubbelte meine Vorhaut vor und zurück. Niemand hat mir das gezeigt. Es kam von ganz allein, und ich dachte mir überhaupt nichts dabei. Also spielte ich mit meinem Piepmatz durchaus auch im Beisein anderer.
Ich erinnere mich an einen Abend zu Hause im Wohnzimmer, an dem ich gemeinsam mit meiner Mutter Fernsehen schaute. Während dessen spielte meine Hand, die unter meiner Schlafanzughose verborgen war, völlig ungeniert mit meinem Piepmatz, bis meine Mutter mir plötzlich und mit strengem Blick sagte: »Lass doch deinen Piepmatz endlich mal in Ruhe!«
Das war das allererste Mal in meinem Leben, dass ich wahrnahm, dass es hier um mehr als nur um schöne Gefühle ging. Meine Mutter schien verärgert. Damals habe ich das nicht verstanden, aber mein Treiben selbstverständlich sofort eingestellt. Von da an spielte ich nur noch an mir rum, wenn ich allein war.
Ich war und wurde nicht aufgeklärt. Das hat später die BRAVO übernommen. Bis dahin reichte es für meine Mutter aus, mich darauf hinzuweisen, dass man das, was ich so gerne tat, nicht machte. So war das damals eben.
Thomas hatte sicherlich ähnliche Erfahrungen mit sich gemacht. An irgendeinem Tag im Sommer, es war warm und sonnig, bahnte sich, wie auch immer das begann, ein Onkel-Doktor-Spiel an. Wir sprachen über unsere Piepmätze, und es ging darum sich gegenseitig anzufassen. Ich weiß, dass wir sehr aufgeregt waren. Wieso der Wunsch nach gegenseitigem Anfassen in uns aufkeimte, wussten wir wahrscheinlich nicht, denn keiner von uns konnte ahnen, dass die Berührung einer fremden Hand um ein Vielfaches schöner sein konnte als die der Eigenen. Es war ein für uns noch nicht greifbares Abenteuer, das sich darüber hinaus mit dem Umstand verband, dass uns durchaus bewusst war, dass wir etwas planten, was man nicht tat. Das und unsere völlige Ahnungslosigkeit machten es sehr schwer, uns einfach zu sagen, was wir wollten. Also benötigten wir ein Gerüst und einen Mantel, der die Verwerflichkeit verdecken würde und verpackten es zu einem Spiel.
Wir haben uns nicht einfach gegenseitig in die Hosen gegriffen und am Piepmatz des anderen gespielt, sondern machten daraus so eine Art Wettbewerb. Jeder von uns musste fünf unterschiedliche Berührungsmethoden vorschlagen. Es durfte keine Überschneidungen geben. Nur wenn uns das gelang, würden wir es auch tun. Ort der Austragung sollte der Spitzboden bei mir zu Hause sein. Ich erinnere mich nicht mehr an jede Methode, aber daran, dass es uns, wenn es auch einige Zeit in Anspruch nahm, gelungen ist, und ich bin heute sehr erstaunt, wie fantasievoll wir schon mit 10 Jahren waren. Anfangs beschränkten wir uns darauf, nur die Hände einzusetzen, was dazu führte, dass uns die Ideen sehr schnell ausgingen, aber wir wollten es, wir wollten es sogar unbedingt, und so beschlossen wir, uns nicht ausschließlich auf unsere Hände zu beschränken. Dementsprechend ging unser Repertoire der erdachten Praktiken, deutlich über das Anfassen hinaus. Wir sprachen unter anderem über Oralverkehr und Analverkehr, selbstverständlich ohne zu wissen, dass wir das taten, allerdings drückten wir es sehr viel kindlicher aus und planten den Piepmatz des anderen in den Mund zu nehmen und den Eigenen in das Popoloch des anderen zu stecken.
Die 10 Berührungsarten waren gefunden, und wir gingen zu mir nach Hause. Unser Ziel war der Spitzboden, der nur über eine Klappe im Treppenhaus zu erreichen war. Dort oben gab es einen ungenutzten Raum, der die Arena für unser Spiel sein sollte. Da wir Gefahr liefen, überrascht zu werden, ging ich zu meiner Mutter, erzählte ihr irgendeine Geschichte und bat um den Schlüssel zu diesem Raum. Ich weiß nicht, was sie gedacht hat, was wir tun würden, denn ich glaube kaum, dass sie die Wahrheit auch nur erahnen konnte, aber sie verweigerte mir den Schlüssel. Sie wollte nicht, dass wir beide uns dort oben einschließen und hat natürlich unterstellt, dass es um irgendeinen Unsinn ging, den sie von vornherein unterbinden wollte.
Ich konnte bitten und betteln wie ich wollte, sie ließ sich nicht erweichen, und ich war total ernüchtert. Meine Erregung war weitestgehend verschwunden, und damit auch der Ständer, den ich gefühlte Stunden mit mir herumgetragen hatte. Völlig geknickt verließen Thomas und ich das Haus und gingen wieder nach draußen. Auch Thomas war enttäuscht, doch ihn hatte weder die Lust noch sein Ständer verlassen. Er schlug vor, dass wir uns irgendwo in die Büsche schlagen sollten, um dort wenigstens einen Teil unserer Berührungsarten zu versuchen. Ich erinnere mich sehr unsicher gewesen zu sein und haderte mit mir, ob ich das jetzt wirklich noch wollte. Der Ärger über das völlig unverständliche Verhalten meiner Mutter, hatte die Lust verscheucht. Und doch war ich ein Junge, der jetzt nicht kneifen wollte, um hinterher nicht als Feigling da zu stehen. Dass keiner von uns beiden später jemals mit anderen darüber sprechen würde, war mir nicht klar.
Also stimmte ich zu. Das Gebüsch war schnell gefunden. Thomas und ich saßen nebeneinander. Er öffnete hektisch seine Hose und ließ seinen Piepmatz, der sichtbar steil in die Höhe ragte, frei. Ich habe ihn nicht als besonders dick in Erinnerung, doch er war etwas länger als meiner, was mich damals zwar nicht störte, mir aber immerhin auffiel. Sein Piepmatz war der erigierte Penis eines Zehnjährigen. Natürlich war der nicht besonders groß. Aber der hatte etwas, was ich nicht hatte. In seinem Schritt wuchsen Schamhaare, die mich irritierten, denn ich wusste nicht, dass es sie gab und dass sie auch mir eines Tages wachsen würden. Hastig öffnete auch ich meine Hose, und auch mein Piepmatz war hoch aufgerichtet. Thomas fasste sofort beherzt zu, und es war überwältigend. Ich hätte es damals nicht als geil bezeichnen können, weil dieses Wort ganz sicher noch nicht zu meinem Sprachschatz gehörte, aber genau das hätte es auf den Punkt getroffen. Die Berührung seiner Hand war wesentlich schöner, als wenn ich mich selbst anfasste. Das Gefühl war extrem angenehm und so wahnsinnig intensiv, dass ich nicht in der Lage bin es passend zu beschreiben und glaube, dass ich so wie damals nie wieder empfunden habe. Das war das erste Mal, dass eine fremde Hand, außer vielleicht die meiner Mutter, die mich als Kleinkind wusch, mich dort berührte. Ich war wie elektrisiert und genoss den Moment sehr. Auch ich berührte den Piepmatz von Thomas und nahm ihn in die Hand, aber ich empfand ihn als Fremdkörper. Es war mir nicht angenehm, und so schwand meine Lust noch einmal dahin. Als Thomas sich zur Seite beugte, um meinen Piepmatz in den Mund zu nehmen, wich ich ihm aus. Das war mir zuviel, und ich hatte plötzlich einfach das Gefühl, dass es nicht richtig war. Schnell schloss ich meine Hose und erklärte ihm irgendwie, dass mir das nicht angenehm war und dass ich, wenn ich ›sowas‹ jemals in meinem Leben noch einmal machen sollte, es nur noch mit einem Mädchen tun würde.
*****
Das war mein erstes und für lange Zeit einziges Erlebnis mit einem Jungen. Ich weiß, dass ich mich in der Folge, nämlich als junger pubertierender Bengel oft darüber geärgert habe, dass ich doch ›gekniffen‹ hatte. Bestimmt tausend Mal stellte ich mir vor, wie es gewesen wäre, wenn wir weitergemacht hätten. Aber dazu kam es nie, denn dieses Erlebnis ging einher mit dem Ende unserer Freundschaft. Wir wechselten die Schulen und gingen fortan auf unterschiedliche Gymnasien. Vielleicht hätte es eine Wiederholung gegeben, wenn wir weiter auf eine gemeinsame Schule gegangen wären. Nach dem Schulwechsel haben wir uns nie wiedergesehen, obwohl wir noch immer in einer Straße wohnten.
Die Gedanken an dieses Erlebnis verließen mich erst, als ich mit sechzehn die ersten wirklichen Erfahrungen mit Mädchen machte. Von da an habe ich für sehr lange Zeit weder an mein Erlebnis mit Thomas gedacht noch jemals für mich ins Auge gefasst, Sex mit einem Jungen oder einem Mann haben zu wollen. Das war für mich völlig undenkbar, denn ich schloss für mich zweifelsfrei aus schwul zu sein, mehr noch ich verurteilte Homosexualität und fand sie ekelhaft. So habe ich das nicht nur kommuniziert, sondern über viele Jahre auch tatsächlich empfunden. Dabei hatte ich immer mal wieder Kontakt zu Homosexuellen. Faktisch war es sogar so, dass ich als Jugendlicher und junger Erwachsener einen gewissen Reiz auf Schwule ausgeübt haben muss, denn ich wurde im Vergleich zu meinen Freunden ziemlich häufig angesprochen. Das hat mich solange nicht gestört, wie ein einfaches ›Nein‹ ausreichte, um mich der unerwünschten Umwerbung entziehen zu können. Wenn das funktionierte, war alles gut. Ich kannte ausschließlich sehr nette Schwule. Einer, er hieß Uwe, verkehrte in den gleichen Kneipen wie ich und versuchte immer wieder mich zu gemeinsamen Unternehmungen zu überreden, aber ich lehnte regelmäßig dankend ab, und damit war es dann auch gut. Wir tranken trotzdem unser Bier zusammen und unterhielten uns. Irgendwann lernte Uwe Michael kennen, und sein Interesse an mir erlosch.
Mit dem Wechsel auf das Gymnasium, für das es damals in meinem Fall keine Empfehlung gab, wurde es wirklich ernst. Ob es daran lag, dass meine Mutter einer Akademikerfamilie entstammte, oder ob mein Vater darauf bestand, dass ich eine höhere Schule zu besuchen hatte, entzieht sich meiner Erinnerung. Fakt ist, ich hatte dorthin zu gehen. Auf dem Gymnasium war ich vom Anfang bis zum unrühmlichen Ende sehr unglücklich. Eigentlich hatte ich in jedem Fach Schwierigkeiten. Insbesondere die Mathematik wollte sich in meinem Hirn einfach nicht etablieren. Hatten mir die naturwissenschaftlichen Fächer am Anfang noch gefallen, verblasste dieses Interesse doch auch sehr schnell und vor allen Dingen endgültig. Es gab nur ein einziges Fach, in dem ich immer glänzte, und das war Deutsch. Schon als kleiner Junge habe ich Geschichten geschrieben, meist irgendwelche Fantasien von Superhelden oder Außerirdischen. Anfangs schrieb ich sie in Schulhefte, aber schon als zehn- oder elfjähriger Junge verfasste ich einen ersten ›Roman‹ auf der Schreibmaschine meines Großvaters. Leider ist mir der Verbleib dieses Werkes nicht bekannt, und auch dessen Inhalt kann ich nicht mehr hervorholen. Der literarische Wert wird nicht sehr hoch gewesen sein. Allerdings weiß ich noch, dass es zirka 70 Schreibmaschinenseiten umfasste, die weder Absätze noch Leerzeilen enthielten, und dass, so denke ich, ist für einen kleinen Jungen schon eine beachtenswerte Leistung.
Jedenfalls glaube ich, dass meine frühkindlichen schriftstellerischen Ambitionen dazu geführt haben, dass meine Aufsätze in der Regel ein gewisses Aufsehen erregten. Sie strotzten vor Fantasie, sie waren flüssig und weitestgehend fehlerfrei geschrieben, und, wenn das Thema die Gelegenheit hergab, durchaus blutrünstig. Es gab Lehrer, die das nicht in Ordnung fanden, es gab andere, die erstaunt feststellten, dass die Inhalte, ob blutrünstig oder nicht, sie fesselten.
Ich war ein sehr unglücklicher Schüler und ich erhöhte den Leidensdruck selbst, indem ich die aufgetragenen Hausaufgaben regelmäßig nicht machte. Immer wieder setzte ich mich dem Stress aus, sie entweder von einem Klassenkameraden in Windeseile abzuschreiben, eine wie auch immer geartete Ausrede für den Lehrkörper zu entwickeln, oder aber auch von Zeit zu Zeit einfach zuzugeben, dass ich meiner Verpflichtung nicht nachgekommen bin. Irgendwie habe ich mich über die Jahre durchgemogelt. Ein Wunder, dass ich nur eine Ehrenrunde drehte.
Einen Ausgleich fand ich als Pubertierender im Sport. Ich praktizierte mit viel Begeisterung und vor allen Dingen auch sehr erfolgreich Jiu-Jitsu. Völlig anders als in der Schule, glänzte ich hier durch herausragende Prüfungsergebnisse, wenn es darum ging, das Recht zu erwerben, den nächst höheren Gürtel zu tragen. Anfangs trainierte ich zwei Mal in der Woche und muss mich dabei recht talentiert angestellt haben. Der Club bot für die ganz besonders guten Mitglieder ein Kampftraining an. Dazu musste man eingeladen werden. Es war nicht möglich, einfach daran teilzunehmen, und so erfüllte es mich mit großem Stolz, als mein Coach, immerhin Vizeeuropameister seiner Gewichtsklasse, mich fragte, ob ich zukünftig an diesem Training teilnehmen wolle. Natürlich wollte ich. Von diesem Tage an, ging ich dreimal in der Woche in den Club. Das Ziel des Kampftrainings war es, den potentiellen Wettkämpfer auf anstehende Wettbewerbe vorzubereiten, und auch das gelang in meinem Fall hervorragend.
Solche Wettkämpfe, meist Städtemeisterschaften, fanden fast jede Woche statt und fast immer sonntags. Da ich nicht nur durch hervorragende Technik glänzte, sondern die Vorbereitung auf anstehende Meisterschaften mit sehr viel Ehrgeiz, Biss und Sportsgeist bestritt, nahm ich beinahe wöchentlich an diesen Wettbewerben teil. Und auch das mit großem Erfolg. Ich brachte von jeder dieser Veranstaltungen eine Urkunde mit, die nicht nur die Teilnahme, sondern in der Regel auch einen Sieg bescheinigte.
Der Sport entschädigte mich für die vielen Niederlagen in der Schule, und ich denke, dass es in erster Linie ihm zu verdanken war, dass ich, trotzdem ich ein grottenschlechter Schüler war, damals über ein erstaunliches Maß an Selbstbewusstsein verfügte. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es zwischen uns Klassenkameraden sowas wie einen Konkurrenzkampf hinsichtlich der schulischen Leistungen gab. Für meine Mitschüler und Mitschülerinnen war ich ein vollwertiges Mitglied ihrer Klasse. Dieses Selbstbewusstsein war es auch, das dazu führte, dass ich spätestens vom zweiten Halbjahr der Sexta an, regelmäßig einstimmig zum Klassensprecher gewählt wurde. Warum? Weil eben dieses Selbstbewusstsein mich dazu veranlasste, den Lehrkörper zu reglementieren, wenn er etwas tat, dass nicht der allgemeinen Schulordnung entsprach. Die allgemeine Schulordnung, kurz ›AschO‹, kannte ich weitestgehend auswendig. Es ließ die Lehrer und Lehrerinnen schlecht dastehen, wenn ein frühpubertierender Junge ihnen erklärte, was sie zu tun oder zu lassen hatten. Naheliegend, dass die Betroffenen es mir sehr übelnahmen. Das ging so bis zur Obertertia und das, obwohl ich die Quarta wiederholte, lückenlos.
Mein Ruf eilte mir voraus. Meine neuen Klassenkameraden in der zweiten Quarta wussten von dem Jungen, der den Lehrkörper regelmäßig zusammenstauchte und fanden das naturgemäß ganz toll. So gewissenhaft und klug ich die Interessen meiner Mitschüler vertrat, so ungeschickt und dumm verhielt ich mich bei anderen Gelegenheiten. Wie in diesem Alter üblich, musste man als Junge regelmäßig irgendwelche dummen Mutproben bewältigen. Sehr beliebt waren Streiche, die sich gegen die Lehrerschaft richteten. Ideen dazu gab es reichlich. Den Kandidaten zu finden, der solche Streiche ausführte, war dagegen schwierig, denn das Risiko einer Bestrafung war hoch. Wer das tat, erntete die Anerkennung der Klassenkameraden. Mehr als einmal stellte ich mich zur Verfügung. Es kam was kommen musste, aber soweit dachte ich damals nicht, die Schulleitung nahm einen wirklich harmlosen Streich, der niemandem schadete, zum Anlass mich der Schule zu verweisen. Die Obertertia durfte ich noch beenden, aber das Lehrerkollegium legte meinen Eltern unmissverständlich ans Herz, eine neue Schule für mich zu suchen.
Mein Vater hielt sich aus all dem heraus, und meine Mutter überließ die Wahl meiner zukünftigen Bildungsstätte mir. Ich nutzte die Gelegenheit, die Schullaufbahn deutlich zu verkürzen und wählte eine Realschule, auf der ich nur noch ein Jahr abzuleisten hatte. Obwohl ich meinen Eltern nicht wirklich übelnahm, an dieser Stelle nicht mahnend auf mich eingewirkt zu haben, empfinde ich jedes Mal, wenn ich an diese Dinge zurückdenke, großes Unverständnis. Wenn es aus meiner heutigen Sicht um meinen Sohn gegangen wäre, hätte ich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, damit er die Chance hätte, ein Abitur, mindestens aber ein Fachabitur zu machen. Der Wechsel kam, und ich lernte einen anderen Schlag Menschen kennen. Ich will nicht sagen, dass sie unintelligenter waren, aber sie waren dennoch anders. Sie waren deutlich direkter im Umgang miteinander und irgendwie echt, und sie bildeten Kollektive. Am Gymnasium waren die Schüler eher für sich.
Bereits mit sechzehn Jahren hatte ich einen großen Bekanntenkreis. Meine besten Freunde waren Siggi, Bernd und Biggi. Wir vier bildeten damals eine fast untrennbare Einheit und verbrachten jede freie Minute miteinander. Um uns herum bildete sich eine große Clique, die zeitweise dreißig bis fünfunddreißig Mitglieder zählte, aber niemand war so dicht beieinander wie wir vier. Wir trafen uns mit unseren Mofas und Mopeds täglich am Bolzplatz Bonhoefferstraße direkt neben den Gleisen. Dort saßen wir, redeten bestimmt viel Unsinn und rauchten. Für Zigaretten hatten wir anfangs kein Geld. Nur Biggi, die bereits eine Ausbildung zur Friseuse absolvierte, hatte immer ›Aktive‹. Siggi und ich drehten unsere Zigaretten selbst. Wir drehten sie mit ›Schwarzer Krauser‹, einem wirklich starken Tabak. Das hatte nicht nur den Vorteil automatisch unter Beweis zu stellen, dass wir knallharte Jungs waren, sondern auch den, dass wir nie angeschnorrt wurden. Wenn wir ein bisschen Geld übrighatten, holten wir einen Sechserpack Bier von der Tanke und tranken. Anfangs war das noch sehr selten, aber die Abstände verringerten sich rasch, denn wir alle erkannten schnell, dass der Alkohol den Alltag ein wenig in den Hintergrund rücken ließ, und das hob die Stimmung. Wenn kein Geld für Bier da war, griff ich von Zeit zu Zeit auf einen meiner heimischen Kellerräume zurück. Dort stapelte mein Vater unzählige Präsente, die er von Kunden und Firmen, mit denen er zusammenarbeitete, erhielt. Bei uns stand der ganze Keller voller Schnaps, den niemand trank. Mehr als einmal habe ich von dort eine Flasche mitgehen lassen.
Für meine Eltern, insbesondere für meine Mutter war es, auch wenn ihr selbst das vielleicht nicht so bewusst war, eine sicherlich schwierige Zeit, denn ich begann mich radikal von der Familie zu lösen und lebte fortan mein eigenes Leben. Um Erlaubnis habe ich nie gebeten, und schon mit 16 Jahren traf ich die meisten meiner Entscheidungen allein. Meine Mutter musste sich von heute auf morgen daran gewöhnen, dass der Stubenhocker, der ich bisher war, von Stund an kaum noch nach Hause kam.
Irgendwann hatte ich die zehnte Klasse der Realschule beendet und war, trotz meiner seltenen Besuche des Unterrichts, irgendwie da durchgekommen. Das Zeugnis war grottenschlecht, aber zumindest hatte ich meine mittlere Reife in der Tasche. Der wirkliche Ernst des Lebens begann für mich mit der Suche nach einer passenden Leerstelle. Das war nicht so einfach, weil ich bei der Auswahl, der für mich in Frage kommenden Berufe nicht sonderlich flexibel war. Während der zehnten Klasse absolvierte ich ein Schülerpraktikum in dem alteingesessenen Zweiradgeschäft Saalfred in Witten. Das Praktikum machte mir richtig viel Spaß. Die alten Saalfred‘s waren sehr nette Leute, denen nie ein böses Wort über die Lippen kam und die mich behandelten, als wäre ich ein Familienmitglied. Im Betrieb arbeitete auch deren Sohn Ulrich. Jedes Mal, wenn Ulrich irgendein Motorrad repariert hatte, ging es an die Probefahrt, zu der er mich regelmäßig mitnahm. Natürlich hat es mich schwer beeindruckt, wenn er mit mir hinten drauf auf schweren Maschinen mit waghalsigen Wheelies anfuhr und anschließend mit einhundertvierzig Sachen durch die Wittener Innenstadt stürmte.
Ich hatte dort, bereits vor dem Praktikum mein allererstes Moped, eine alte gebrauchte Kreidler, gekauft. Im Praktikum baute ich dann selbst, allerdings ohne es zu wissen, mein erstes ›vernünftiges‹ Moped zusammen. Eine weiße Honda CB50. Sie war zu meiner größten Überraschung und Freude der Lohn für mein Praktikum. Von da an stand für mich unumstößlich fest, dass ich Motorradmechaniker werden würde.
Nun, leider hatten Saalfred’s selbst nicht die Möglichkeit mir eine Lehrstelle anzubieten, und bei den wenigen anderen umliegenden Motorradgeschäften, die man im Übrigen an einer Hand abzählen konnte, sah es nicht anders aus.
So begab es sich, dass ich in dem Abgangsjahr von der Schule keine Lehrstelle fand.
Daraus resultierend versuchte ich diverse andere Dinge. So arbeitete ich für, wenn ich mich recht erinnere, genau einen Tag in einem Bauelektrofachunternehmen. Sofort war klar, das war nicht das Richtige für mich, denn der Tag dort wollte einfach kein Ende nehmen.
Einen weiteren Tag verbrachte ich in einer Kunstschlosserei. Das muss mich so schrecklich gelangweilt haben, dass ich mich an Details überhaupt nicht mehr erinnern kann. Es folgte eine Reihe von weiteren Versuchen, die allesamt nicht fruchten wollten. Ich wollte das Arbeitsleben nicht, und das Arbeitsleben wollte mich nicht.
Rückblickend sehe ich es so, dass man als jugendlicher Schulabgänger einfach nicht in der Lage ist, bedeutende und langfristige Entscheidungen wie die Berufswahl zu treffen. In diesem sprunghaften Alter wirft man, wenn die Eltern dieses Verhalten zulassen, selbst die guten Chancen einfach fort.
Wenn mein Vater nicht gewesen wäre, wäre ich möglicherweise nie oder zumindest erst sehr viel später ans Arbeiten gekommen. Er hatte, bedingt durch seine guten beruflichen Kontakte, alle Stellen für mich beschafft und beschaffte nun auch den ersten Job, den ich etwas länger ausführte als nur wenige Tage.
Ich arbeitete als Hilfsarbeiter bei einem Kooperationspartner der Deutschen Bahn. Dieser wiederum verlieh mich direkt an die Deutsche Bahn, die noch nicht privatisiert war. Mein erster ›richtiger‹ Arbeitsplatz war also in einer öffentlichen Einrichtung und dort in der Gleiskontrolle. Die Leute dort hatten exakt die Aufgabe, die der Name der Abteilung wiederspiegelte, nämlich die permanente Kontrolle des Schienennetzes auf Schäden in einem bestimmten Bezirk. Wir waren für kleinere Reparaturarbeiten zuständig. Trafen wir auf große Schäden, wurde deren Beseitigung entsprechenden Fachfirmen übertragen. Im Winter gehörte es zu unseren Aufgaben zu verhindern, dass Weichen einfroren. Es handelte sich überwiegend um einfache Arbeiten, die weder sonderlich anstrengend waren noch Anspruch an den Intellekt stellten.
Ich fühlte mich dort von Anfang an wohl und kam mit den deutlich älteren Arbeitskollegen gut zurecht. Es waren einfache, aber gute Leute. Sie trugen Namen wie Adolf und Eugen. In der Regel saßen vier Mann auf einem Einsatzwagen. Einer davon war der Fahrer, der auch tatsächlich nichts anderes tat als zu fahren. An den jeweiligen Baustellen angekommen, gestaltete sich die Arbeitsverteilung meist so, dass drei von uns sich ein Urteil darüber bildeten, was der Vierte tat. Überarbeiten war unmöglich. Meinem damaligen Lebenswandel, der durchaus auch unter der Woche Kneipenbesuche vorsah, die erst um ein oder zwei Uhr in der Früh endeten, kam die Möglichkeit über Tage noch ein bis zwei Stündchen im Auto zu schlafen sehr gelegen.
Nachdem ich ein paar Wochen gearbeitet hatte, meldete sich plötzlich und unerwartet die Schulbehörde. Ich war zu dieser Zeit noch nicht volljährig, und aus irgendeinem Grund, den ich bis heute nicht verstehe, bestand Schulpflicht für mich. Fortan musste ich einmal in der Woche eine Berufsschule besuchen. Die Klasse, in die ich ging, bestand nur aus Jungs, und sie waren allesamt, wie ich, Hilfsarbeiter, doch anders als ich, verfügten die meisten über keinen Schulabschluss oder maximal über den irgendeiner Sonderschule. Ich will nicht überheblich klingen, aber zwischen meinen Klassenkameraden und mir bestand eine kolossale intellektuelle Differenz.
Der Klassenlehrer, der dort alle Fächer unterrichtete, nahm mich nach dem zweiten oder dritten Schulbesuch zur Seite. Er befand meine Besuche in dieser Klasse für unsinnig und überflüssig, und wir vereinbarten, dass ich nicht mehr erscheinen müsse. Er hat irgendwie dafür gesorgt, dass diese Vereinbarung weder bei der Schulbehörde noch bei meinem Arbeitgeber ankam, und so verschaffte er mir zumindest bis zu meinem achtzehnten Geburtstag, an dem die Schulpflicht endete, einen weiteren freien Tag pro Woche.
Von meinem Gehalt bei der Bahn gab ich 200,00 Mark im Monat meiner Mutter. Ich selbst gestand mir pro Woche 50,00 Mark zu. Der Rest ging aufs Sparbuch. Und so begab es sich, dass da in relativ kurzer Zeit ein paar ›Tausender‹ drauf waren. Jedenfalls konnte ich mir, nachdem ich endlich, im dritten Anlauf, meine Führerscheinprüfung bestanden hatte, ein Auto kaufen, und was für eins!
Mein erstes Auto war ein quietschgelber Opel Manta A. Es war ein tolles Auto, wenn auch der Fahrersitz irgendwie nie richtig befestigt war und deshalb ein gewisses Eigenleben entwickelte. Von Zeit zu Zeit führte das dazu, dass der Sitz beim Beschleunigen nach hinten schoss. Im schlechtesten Fall verlor ich in solchen Momenten den Kontakt zu Pedalerie. Wenn das passierte erforderten plötzliche Bremsmanöver teils artistische Verrenkungen. Ich empfand das damals nicht als Mangel, sondern eher als interessantes Detail und dachte gar nicht daran Geld für eine so überflüssige Reparatur auszugeben. Im Übrigen war mein Auto ein Rennwagen. Sogar ein Monteur hat mir irgendwann einmal gesagt, dass der Wagen ›renne wie Teufel‹. Ein weiterer Mangel, den ich ebenfalls nie beheben ließ, bestand darin, dass der erste Gang und der Rückwärtsgang nur einen Millimeter auseinander zu liegen schienen. Mehr als einmal versuchte ich einen Kavalierstart, um, wem auch immer, zu imponieren und wurde davon überrascht, dass der Wagen rückwärts raste. In jedem Fall war mein Schutzengel in der Nähe, denn niemals ist dabei irgendetwas passiert.
Mit diesem Auto war ich ungeachtet der technischen Mängel der King of Currywurst. Aufgrund meines finanziellen Vorteils war ich der Erste von uns, der überhaupt ein Auto hatte.
Bedauerlicherweise wurde mir irgendwann wegen Arbeitsmangel gekündigt, und so endete diese für mich sehr angenehme Zeit, und ich wurde arbeitslos.
Das war Anfang der 1980er Jahre. Den Begriff Hartz 4 und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten gab es noch nicht. Ich bekam Arbeitslosengeld, dass sich aus dem letzten Einkommen berechnete, und auch wenn es nur 65% davon waren, war es viel für mich, und ich hatte deutlich mehr Geld in der Tasche, als jeder der irgendwo eine Ausbildung absolvierte. Außerdem war ich sehr sparsam.
Ich komme aus einer Familie, von der man immer annahm, dass ein gewisser Wohlstand bestand. Der allerdings war, wenn er denn überhaupt existierte, nur für meinen Vater greifbar, der ansonsten seiner Familie nur das Haushaltsgeld zur Verfügung stellte, dass unbedingt notwendig war, um nicht hungern zu müssen, und ich erinnere mich, dass es darum sehr häufig zu Auseinandersetzungen zwischen meinen Eltern kam.
Von da an lebte ich für mehrere Jahre von Gelegenheitsjobs, eine länger andauernde Anstellung ergab sich lange Zeit nicht. So sehr ich diesen Zustand in meiner jugendlichen Unvernunft auch schätzte, so war es doch eine dunkle Phase, denn ich wurde ziemlich apathisch, und alles um mich herum, war mir scheißegal. Ich verbrachte meine Zeit mit Schlafen, Rumgammeln, Rauchen und Trinken. Die Kluft zwischen mir und der Asozialität schrumpfte gefährlich zusammen.
Ich machte erste ernstzunehmende Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht. Selbstverständlich habe ich, wie alle anderen frühpubertären Jungs auch, heimliche Schwärme gehabt. Es begann im Alter von etwa 14 Jahren. In meiner Klasse auf dem Gymnasium gab es ein Mädchen namens Josefine. Damals hätte ich nicht erklären können, was mich an Josefine so faszinierte, aber ich verliebte mich unsterblich in sie und war, ob meiner Unfähigkeit ihr meine Liebe zu gestehen, totunglücklich. Mit dem Erfahrungsschatz von heute weiß ich, dass es ihr Gesicht war, denn bis heute sind es solche Gesichter, die Emotionen in mir hervorrufen. Es gibt keinen Typ Frau, der ganz besonders anziehend auf mich wirkt, und ich habe auch keine speziellen Vorlieben. Mir ist es egal, ob die Haare lang oder kurz, blond oder rot sind, ob die Brüste klein oder groß sind, der Hintern aussieht wie ein Apfel oder eine Birne. Es ist immer das Gesicht, dass für mich eine entscheidende Rolle spielt. Josefine hatte dieses Gesicht, und wann immer ich sie sah, versetzte es mir einen schmerzhaften Stich.
Ich habe es ihr nie gestanden, denn so populär ich aufgrund meiner großen Klappe bei meinen Mitschülern auch war, so heftig wurde ich von großen Minderwertigkeitskomplexen geplagt, wenn es um Mädchen ging. Für mein Alter war ich recht klein, und zu Hause achtete eigentlich nie jemand darauf, ob und wie ich mich pflegte. Das Ergebnis war, dass ich zeitweise rumlief wie der letzte Mensch. Fettige Haare, dreckige Jeans und ungepflegte Fingernägel waren nur einige der Attribute, die mich damals auszeichneten und die ich selbst natürlich auch wahrnahm. Ich kann mir rückwirkend nicht erklären, warum mir das egal war und ich somit nichts daran änderte.
Langer Rede kurzer Sinn, ich erreichte dieses Mädchen nie und war deshalb sehr verzagt. Nach diesem Unglück stürzte ich mich in ein anderes gleichartiges Desaster, denn ich verliebte mich in Anette, aus der Parallelklasse. Auch ihr gestand ich meine Liebe nie, und wahrscheinlich hat sie meine Existenz niemals wahrgenommen.
Meine erste richtige Freundin war Carina. Ich war sechszehn, als ich sie kennenlernte. Wir waren beide Gäste einer Party, die von einem Kumpel aus meiner Clique gegeben wurde. Damals war es, wenn die Umstände es zuließen, auf solchen Feten üblich irgendwann das Licht zu verdunkeln. Jeder Junge, jedes Mädchen versuchte dann die Dunkelheit auszunutzen, um zu knutschen und ein bisschen zu fummeln. Irgendwie war ich mit Carina ins Gespräch gekommen und fand mich kurze Zeit später wild knutschend auf einer Matratze wieder. Es passierte nicht viel, denn im Focus stand lediglich die wilde Knutscherei, aber mir genügte das, und ich fand es sehr aufregend. Nicht dass sie das erste Mädchen war, dass ich mit Zunge küsste, doch eine solche Intensität war mir bis dahin nicht begegnet.
Von diesem Tage an sahen wir uns so oft es irgend ging. Ich war bis über beide Ohren in sie verliebt, und zu meinem eigenen größten Erstaunen sagte ich ihr das auch. Anfangs schien sie meine Liebe zu erwidern, aber Carina war nicht perfekt. Als ihr bewusst wurde, dass ich alles für sie tun würde, nutzte sie diesen Umstand schamlos aus. Sie bestimmte, wann wir uns trafen, und sie bestimmte, dass ich sie täglich von der Schule abzuholen hatte. Schließlich hatte ich ein Moped. Zu dieser Zeit jedoch war ich selbst noch Schüler und musste regelmäßig Unterrichtsstunden schwänzen, um dieser Anweisung Folge leisten zu können. Wenn sie sich mit Freundinnen traf, holte ich sie zu Hause ab, brachte sie dorthin und hatte dann zu verschwinden. Erst wenn sie wieder nach Hause musste, wies sie mich an, sie abzuholen und sie dort abzusetzen.
Natürlich nahm ich das wahr, aber meine pubertäre Liebe war so unermesslich, dass ich diesen Umstand einfach verdrängte. Ich hatte zwar das Gefühl, dass unsere Freundschaft sehr körperbetont war, weil wir jedes Mal, wenn wir allein waren, umgehend damit begannen uns zu küssen und zu streicheln, doch mein Gefühl, so denke ich im Nachhinein, täuschte mich. Sie investierte wenig in unsere Beziehung. Zwar durfte ich meine Hand unter ihren Pullover schieben, um ihren jungen kleinen Busen zu liebkosen, aber mehr ließ sie meistens nicht zu. Natürlich wollte ich irgendwann auch andere Regionen ihres Körpers in die Entdeckungsreise meiner Hände einbeziehen und dachte damals, dass das auch ihr Wunsch ist. Es kostete mich allerdings sehr viel Überredungskunst, bis ich mit meiner Hand auch in ihre Hose wandern durfte. Dazu durfte ich allerdings nicht mehr, als ihren Gürtel und den obersten Hosenknopf öffnen. Die Hosen waren damals hauteng, und es erforderte eine gewisse Geschicklichkeit, meine Hand hinunter zu ihrem Schritt zu führen.