Königin der Pink Panther - Olivera Cirkovic - E-Book

Königin der Pink Panther E-Book

Olivera Cirkovic

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Beschreibung

Die Wahrheit finden wir häufig an Orten und in Menschen, wenn wir es am wenigsten erwarten. Sie ist es auch mit dem Buch "Königin der Pink Panther" von Olivera Cirkovic. Eine aufregende Geschichte mit Elementen von Aktionfilmen und Thrillern, aber auch ein tiefes psychologisches Drama. Ein Buch, das man nicht aus der Hand legen kann! Die Lebensbeichte einer der besten jugoslawischen Basketballspielerinnen, die in das Leben der Kriminellen eingetaucht ist und zur Anführerin der bekannten Gruppe "Pink Panther" wurde, eine dramatische Geschichte über Mut und Angst, Moral und Unmoral, über die Höhen des Geistes, an die ein junger Mensch, der der Utopie zugeneigt ist, glauben kann, wie auch über den Abgrund, in den man allzu leicht und tief fallen kann. Die Geschichte von Olivera Cirkovic erinnert zeitweise an einen linkspolitischen Essay in der besten Tradition. Diese Lebensbeichte zeigt die kontroverse Verbindung der äußerst erfolgreichen Sportlerin (sie war Profibasketballspielerin bei Roter Stern Belgrad und Pagrati) und der Kriminellen, die acht Jahre im Gefängnis verbrachte. Aber auch der Aktivistin, die sich für elementare Menschen- und Sozialrechte einsetzt, und der autodidaktischen, talentierten Malerin, die die tristen Wände des Gefängnisses Eleonas Thiva mit ihren Bildern verschönert hat und die der Direktor heute zur Zusammenarbeit als Außenmitarbeiterin einlädt. die Autorin"verteidigt" ihre "Taten" mit folgenden Argumenten: "Besser man ist ein ehrenhafter Dieb als ein unehrenhafter Arzt, Politiker, Sportfunktionär..." Das Buch enthüllt die Geschichte der sagenumwobenen Anführerin der "ungreifbaren Pink Panther" und die Frau, die ihre jugendlichen Utopien teuer bezahlen musste. Die Geschichte einer "Borderlinerin", die auf dem schmalen Grat zwischen Gut und Böse balancierte und die die Autorin der Leserschaft ohne die geringsten Manipulationen erzählt.

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Seitenzahl: 327

Veröffentlichungsjahr: 2022

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In dieser Geschichte sind alle Namen ausgedacht,

aber die Charaktere sind real.

Olivera Popovic PR Arhondisa

66052095

Ohridska 9

11080 Belgrade

Serbia

+381693969039

olivera.cirkovic69@gmail.com

www.arhondisa.com

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

VON EHRENHAFTEN STRAFTÄTERN UND HALBSEIDENEN BÜRGERN

DAS GEFÄNGNIS „ELEONAS THIVA“

KINDHEIT IN EINER GLÜCKLICHEN FAMILIE

DER BEGINN MEINER BASKETBALLKARRIERE

DIE ERSTEN SCHRITTE BEI ROTER STERN

AUFSTIEG MIT VOŽDOVAC

DER WEG AN DIE SPITZE

TUZLA – VOR DEM ZERFALL

ATHEN – DIE STADT MEINES AUFSTIEGS UND FALLS

DAS ENDE DER GLÜCKLICHEN JAHRE

MIT DER UNTERSTÜTZUNG VON VATER UND SOHN

VATERS ABSCHIED

LUG UND TRUG

SCHWANENGESANG IM JAHR 2005

DAS ERSTE MAL IM GRIECHISCHEN GEFÄNGNIS

NACHTEXPRESS IM ATHINISCHEN KORYDALLOS

IN DER ZWEITEN RUNDE

DER FALL

IM KNAST

ARHONDISA

PROZESS IM LAND DER WUNDER

IM STRUDEL DES GLÜCKS UND DES SCHICKSALS

PROLOG

Mein Name ist Olja. Ich verbüße eine Strafe im griechischen Gefängnis Eleonas Thiva. Ich wurde zu zweimal zwölf und einmal acht Jahren Haft verurteilt, wegen organisierter Kriminalität, schwerer Diebstähle (sogenannte Blitzeinbrüche – Durchbrechen von Panzerglasschaufenstern in Luxusgeschäften mit einem gestohlenen Auto bei voller Fahrt) und bewaffneter Raubüberfälle. Der Prozess wurde mir als Angehöriger der internationalen kriminellen Vereinigung gemacht, die von der Presse den Namen Pink Panther bekommen hat. In dieser Anstalt bin ich bereits eine gute Bekannte und auch deren prominenteste Insassin, da ich die einzige Frau bin, der je die Flucht aus einem griechischen Gefängnis gelungen ist. Als solche steht mir der Status einer besonders gefährlichen Gefangenen zu, weshalb spezielle Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssen, wenn ich zum Gericht, zum Haftrichter oder ins Krankenhaus gebracht werde.

Mit dieser Lebensbeichte beginne ich in der wahrscheinlich schwersten Zeit meines Lebens, aus einem Bedürfnis heraus, das stärker ist als die Vernunft; aus dem alleinigen Wunsch, meine quälenden Selbstgespräche zu Papier zu bringen. Vielleicht ist diese Beichte eine Bestätigung, dass es mich noch gibt, obwohl jeden Tag ein bisschen weniger von mir übrig ist. Das Einzige, was ich fürchte, ist die Zeit. Nur sie kann mich besiegen. Vielleicht ist dies mein Trotz gegen das Vergessen, vielleicht ein Brief an meinen Sohn, vielleicht eine Entschuldigung an meinen Trainer, vielleicht will ich dem gewöhnlichen Menschen eine Gefangene näherbringen, die bis gestern nur eine von Millionen freier Personen im unendlichen Dschungel des Lebens war. Ich werde so ehrlich sein, wie man überhaupt nur sein kann – denn was ist Ehrlichkeit, als die Überzeugung, die Wahrheit zu sagen. Doch wer kann sich dessen schon ganz sicher sein?

Ich befinde mich in einer Sackgasse des Lebens, in die ich selbstverschuldet gelangt bin. Vor mir ist eine riesige, unüberschaubare Mauer. Ich bin müde und habe keine Wahl, aber mein rebellisches Blut ruht nie. Nirgendwo auf der Welt sind wir dem fremden Willen derart unterworfen wie im Gefängnis. Das macht mich kaputt. Ich glaube weiterhin, dass nichts so erniedrigend ist, wie sich auf feige Kompromisse einlassen zu müssen. Ein durchschnittlicher Häftling entscheidet sich meist für die Opferrolle und täuscht dadurch die Angestellten des Gefängnisses, die von charakterstarken Individuen mit Haltung besonders genervt sind. Ich bin nicht zu Kompromissen bereit, und ich bin mir der Problematik dieser Entscheidung durchaus bewusst. Ich habe beschlossen, Mitspieler und nicht Opfer dieses Spiels zu sein, in das ich geraten bin. Das ist meiner Ansicht nach die Definition von Mut. Kompromisse wird es nicht geben, da ich immer noch dieselbe Olja bin, die einmal mit Medaillen von Europa und Weltmeisterschaften nach Hause zurückkehrte. Dieselbe, die wegen der Tränen und der traurigen Stimme ihres Sohnes beschloss, aus dem Gefängnis auszubrechen; dieselbe, die bereit war, fünf Jahre auf einen Kuss von Mister Right zu warten.

Diese Beichte ist Ausdruck meiner Rebellion und mein Protest gegen alles Falsche. Mein wichtigster Antrieb ist mein unersättlicher Wunsch nach Gerechtigkeit und nach dem Beweis für das Unmögliche. Diese Eigenschaft habe ich bereits 1975 erkannt, im ersten Schuljahr. Ich traute mich immer, alles zu sagen, was auch die anderen Kinder dachten, sich jedoch nicht zu sagen trauten. Ich war eine Querulantin und Kämpferin für die Gerechtigkeit. Niemand hatte mir das beigebracht. Es war stärker als ich, es drang von innen aus mir heraus, ich habe lediglich die inneren Befehle ausgeführt. Diese schwierige Rolle habe ich mir schon zu Beginn meines Lebens selbst zugewiesen. Diese dumme Eigenschaft, immer auf Gerechtigkeit zu beharren, wird mich mein Leben lang begleiten. Das Schlimme daran ist: Ich bin mir durchaus bewusst, dass man nie zu Gerechtigkeit gelangen kann, und dennoch beharre ich darauf. Warum? Das kann ich nicht erklären, bis heute nicht, obwohl ich meine Taten jetzt längst begründen kann.

Ich glaube fest, dass diese Eigenschaft mich in diese verbotene Welt geführt hat, obwohl ich dafür keine zuverlässigen Beweise habe. Aus dieser Eigenschaft ist sowohl der Widerstand erwachsen als auch die Weigerung, ein Leben zu akzeptieren, das auf falscher Moral und Heuchelei basiert.

Ich muss zugeben, meine Entscheidung, dieses Buch zu schreiben und darin meine etwas merkwürdigen Ansichten über das Leben und die Moral vorzutragen, ist in vielerlei Hinsicht meinem Sohn geschuldet. Wäre er auf die schiefe Bahn geraten und ein krimineller Jugendlicher geworden, hätte ich unerträgliche Gewissensbisse verspürt und mich niemals getraut, irgendetwas Derartiges aufzuschreiben. Ich hätte mich als Verliererin und die allein Schuldige an seinem Absturz gefühlt.

Da aber das Gegenteil eingetreten ist, glaube ich auch weiterhin, ihn korrekt erzogen zu haben. Natürlich plagt mich das schlechte Gewissen, weil ich ihn zeitweilig in eine schwierige Lage gebracht habe, aber mir wurde alles verziehen; ich nehme an, weil meine Liebe in den Jahren von Glück und Freiheit zehnmal größer war als in normalen Zeiten. Wenn ich nicht da bin, gibt es keine Kritik, nur die Sehnsucht nach einer merkwürdigen Mutter, die zugleich Mutter und Kumpel, ein Robin Hood und ein Wunder; Vorbild und Problemfigur ist.

Diese Beichte ist mein Versuch, eine verschwiegene Wahrheit zu erzählen; zu zeigen, dass es immer noch außergewöhnliche Menschen gibt. Dies ist eine Geschichte über wahre Freundschaft, über Liebe und Vertrauen. Darin werde ich junge Menschen beschreiben, die bestätigen, dass die Ideen, die mich leiten, im realen Leben und nicht nur im Traum existieren.

Wenn dieses Buch in den Lesern Hoffnung und Glauben an den Sieg des Guten über das Böse weckt, dann habe ich mein Ziel erreicht.

VON EHRENHAFTEN STRAFTÄTERN UND HALBSEIDENEN BÜRGERN

Ich bin 45 Jahre alt und seit jeher eine Kämpferin – hartnäckig, konsequent und überaus selbstsicher. Ich lebe in einer Welt, die ich mir selbst erschaffen habe und deren Regeln entweder von mir selbst oder von meinem Erbmaterial geschrieben wurden, das tief im Inneren meines Wesens schlummert.

Ich wurde geliebt, gehasst, infrage gestellt und missverstanden. Man hat mich beneidet, bewundert und bedauert, aber verändert habe ich mich nie. Ich bin meinen Prinzipien treu geblieben, sogar noch, wenn sie mich zu gefährden und zu ruinieren begannen. Ich bin noch dieselbe, einst erfolgreich und bejubelt, doch heute umstritten, am Rande des Abgrunds.

Ich weiß nicht, zu welchem Zeitpunkt ich im Leben falsch abgebogen bin. Wahrscheinlich geschah das schrittweise, unmerklich bewegte ich mich auf die Gefahr zu und wurde ich zu einem äußerst seriösen Mitglied des kriminellen Milieus.

Ich übertrat sämtliche Verbotslinien und gelangte dorthin, wo die Achtung sämtlicher Normen und Regeln ihr logisches Ende fand. Mein unbequemer Charakter und die fehlende Achtung vor Autoritäten haben maßgeblich zur Akzeptanz dieses anderen, gefährlicheren Lebens beigetragen.

Frauen existieren in der Kriminalität nicht, und wenn, dann höchstens als Zwangsprostituierte im Menschenhandel. Niedliche, einfältige Mädchen, deren Episodenrollen mit Luxusuhren, Schmuck oder Autos vergütet werden. Für ihr Wimpernklimpern werden sie mit Sightseeing und dem Kauf von belanglosem Schmuck belohnt, doch hauptsächlich für ihre Dienstleistungen in guten Hotels nach „schwerer Arbeit“.

Wie immer war ich auch hier eine Ausnahme. Ich kann mit einiger Sicherheit behaupten, dass ich eine der wenigen, wenn nicht sogar die einzige Frau bin, die über dieses Thema schreiben darf. Weil ich nämlich die Einzige war, die unmittelbar an „Kampfhandlungen“ beteiligt war und nicht zur bloßen Unterhaltung der „gefährlichen Jungs“ diente. Wie viel davon wahr ist, bestätigen auch meine Strafen.

Zu meinem Bedauern ist es mir gelungen, die Männerwelt in einem Umfeld, in dem das früher noch nie geschehen war, zum Wettkampf herauszufordern. Mir ist es gelungen, den Hass und die Wut der „gefährlichen“ Kollegen auf mich zu ziehen und mit Verleumdung und Denunziation konfrontiert zu werden, aber ich bin auch geliebt worden. Ich war ein Maßstab für Tapferkeit in dieser anderen, „gefährlichen“ Welt. Die Ehrlichsten und Mutigsten liebten mich blind, die Blender und Wichtigtuer hassten mich.

Ich werde durch die Beschreibung der Besonderen und der Allerbesten ein neues Bild von den Rittern in der Kriminalität schaffen, in der Welt, die im richtigen Leben hauptsächlich auf Täuschung und Lüge beruht. Die Welt der Kriminellen besteht hauptsächlich aus Verantwortungslosen und Undisziplinierten, die meistens lügen und in einer Scheinwelt leben. Eine Vielzahl unwichtiger Gestalten, deren auffallendste Eigenschaft ihre Ängstlichkeit ist – ein unfassbares Paradox. Selten begegneten mir im kriminellen Milieu tapfere Menschen. Die Tapfersten, die ich kennengelernt habe, waren Sportler, die sich dorthin verirrt hatten.

Dies ist außerdem eine Geschichte über Jungs, die ohne eine Spur krimineller Erfahrung neue Standards gesetzt und gezeigt haben, was Mut, Worthalten und Freundschaft in einer Welt bedeuten, in der dies Fremdwörter sind.

Vielleicht wird jemand meine Lebensbeichte interessant finden. Ich schreibe sie ehrlich, ohne den Wunsch, mich zu rechtfertigen oder irgendwelche Ereignisse zu beschönigen. Seit ich denken kann, sage ich die Wahrheit, und ich glaube immer noch, dass nur die Starken und Mutigen sie verdienen. Mit ihr zu leben bedeutet, sich für einen harten und schmerzhaften Weg zu entscheiden. Eine andere Wahl hatte ich nicht. Lügen sind für mich keine Option.

Das ist wohl ein Teil meines schwierigen Erbes. Meine Geschichte könnte spannend sein, auch deshalb, weil ich die Hälfte meines Lebens als Sportlerin und vorbildliche Bürgerin verbracht habe, und die zweite Hälfte als Person, die tief in verbotene Sphären abgeglitten ist. Ich denke, dass in mir noch viel von der Gerechtigkeit der Sportlerin vorhanden ist, und dass mir das dabei helfen wird, nicht ins Unrealistische abzudriften. Dinge in Worte zu fassen, sosehr sie auch auf der Wahrheit beruhen mögen, führt manchmal zu Unehrlichkeit. Ich werde bemüht sein, dies nicht zuzulassen. Ich werde offen und aus dem Herzen schreiben, so, wie ich auch gelebt habe, in vollen Zügen.

Derzeit bin ich in Haft und meine Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Im Jahr 2015 erwarten mich einige Gerichtsverhandlungen, bei denen meine Strafen, so hoffe ich, abgemildert werden.

Zu Beginn sollte ich erklären, was ich unter einer „kriminellen Person“ verstehe. Ich beschreibe ausschließlich Menschen, die mir begegnet sind und zu denen ich in Kontakt stand. Es handelt sich um Personen, die hauptsächlich schwere Diebstähle (Blitzeinbrüche) und bewaffnete Raubüberfälle begangen haben, außerhalb der Grenzen meines Landes. Ein jeder Mensch hat seine Prinzipien und Rechtfertigungen für sein Handeln. Meine waren folgende: Nur von denen zu nehmen, die viel haben und sich den Schaden um ein Vielfaches von ihrer Versicherung ersetzen lassen können. So fand ich gewissermaßen eine Rechtfertigung für meine – natürlich durch nichts zu rechtfertigenden – Taten. Nicht ohne Bitterkeit werde ich Leute beschreiben, die meiner Meinung nach schlechte Menschen waren, mit großer Sympathie hingegen diejenigen, die ich für gute Menschen halte.

Für die meisten Kriminellen habe ich keinerlei Respekt, ich muss aber betonen, dass es eine weitere, viel größere und schlimmere Gruppe gibt, und das sind die Pseudo-Kriminellen, die mein Land überschwemmt haben. Zu dieser Gruppe zähle ich solche, die in Serbien die Durchschnittsbürger misshandeln, in Bäckereien und Diskotheken um sich schießen und einen auf kriminell machen. Es handelt sich um gewöhnliche Rowdys, die zusätzlich zu ihrem abscheulichen Verhalten in aller Regel auch über gute Beziehungen zur Polizei verfügen.

Wo diese tapferen Herren sind, sind meist auch Drogen nicht weit. Mit ein bisschen Kokain wächst auch einer Maus eine Löwenmähne. Ich bin entsetzt, wie viele Beschäftigte der Wasser oder Elektrizitätswerke nach der Arbeit zu Hobby-Kriminellen werden. Was soll man über Polizisten sagen, die als Security für Nachtclubs arbeiten? Ein Haufen bewaffneter Loser, die mit ihren Pistolen drohen, aber sich noch nicht einmal trauen, das Land zu verlassen. Eine Grenzüberschreitung steht für sie nicht zur Debatte, denn im Ausland könnte man ja nach einer begangenen Straftat für längere Zeit im Gefängnis landen. Das macht ihnen mit Sicherheit keinen Spaß. Am bequemsten ist es, in Serbien ein Pseudo-Krimineller zu sein, noch besser, wenn man einen Verwandten bei der Polizei hat. Ein Grund mehr, sich noch wahnsinniger aufzuführen. Ich weiß wirklich nicht, wie sich dieses falsche kriminelle Image in unserer Gesellschaft so weit verbreiten konnte.

Ich nehme an, dass die falsche Politik meines Heimatlandes viel dazu beigetragen hat. Ich glaube, alles hat mit dem falschen serbischen Patriotismus begonnen, mit dem sich diejenigen auf die Brust geklopft haben, die mit Eimern voll geraubtem Gold aus den Kriegen zurückgekehrt sind.

Mit den Herren Patrioten, von denen wir nicht mit Sicherheit sagen konnten, ob sie professionelle Diebe oder professionelle Soldaten waren, kam eine neue Krimi-Mode auf, die Tausende und Abertausende junger Menschenleben zerstört hat. Mit dieser Mode kam auch der plötzliche Gottesglaube. Die Kirchen waren kein Bedürfnis mehr, sondern eine Mode. Alle wurden über Nacht religiös.

Ich selbst wurde von dieser Situation kalt erwischt. Wie sollte ich denn über Nacht all die Partisanengeschichten meiner Mutter und ihre Auszeichnungen vergessen? In meinen Gedanken waren noch immer die jugoslawische Hymne, die Halstücher der Pioniere und unsere Lehrerin Branka, wie sie uns an jedem 25. Mai – dem Tag der Jugend und Titos1 Geburtstag – erzählte, was dieser als Kind gerne gegessen hatte.

So langsam regte sich Widerstand in mir. Ich wollte den Lügen entgegentreten. Wahrscheinlich war das ein Teil meines Erwachsenwerdens, aber ich interpretierte es anders. Mir schien, als habe die neue Zeit nichts Gutes mit sich gebracht. Ich hatte meine Flagge und meine Hymne verloren. Mein Land Jugoslawien, dessen Wappen ich so stolz auf meinem Basketballtrikot getragen und dessen Farben ich bis zum letzten Schweißtropfen verteidigt hatte, war über Nacht verschwunden. Meine Zimmernachbarinnen aus Kroatien, Bosnien und Slowenien, mit denen ich aufgewachsen war und Hotelzimmer geteilt hatte, sollten plötzlich meine Feindinnen sein. Es brachen düstere Zeiten an, in denen vor allem schlechte Menschen gut zurechtkamen. Vermutlich haben diese Entwicklungen im Land meinen Weg in Richtung Gefahr beschleunigt. Damit versuche ich nicht, mich zu rechtfertigen, sondern ich suche lediglich nach dem Anfang einer vollkommen verrückten Lebensgeschichte.

Mit der Zeit habe ich festgestellt, dass ein „normales“ Leben nur jemand führen kann, der sein Wort nicht hält, der alles und jeden für ein bisschen Profit verkaufen würde. In der heutigen Welt ist der Ehrliche der Dumme, Aufrichtigkeit eine unerwünschte Eigenschaft. Schamlose Betrüger werden klug genannt, weil sie in Saus und Braus leben. Ich grause mich vor Dieben in seidenen Handschuhen, die vom System geschützt werden.

Hinter mir liegen Jahre diesseits und jenseits des Gesetzes. Ich war professionelle Sportlerin, Sportfunktionärin, habe Wohnungen bauen lassen, hatte mein eigenes Röntgenkabinett und meine eigene Arztpraxis. Ich behaupte mit Überzeugung, dass ich die größten Diebe meines Lebens in Gemeindeverwaltungen, politischen Parteien und Sportvereinen getroffen habe. Kriminelle, wie ich sie beschreibe, sind eine vergleichsweise kleine Gefahr für die Menschheit im Vergleich zu dem Übel, das sich in allen Poren unserer Gesellschaft verbirgt.

Sie sind die unsichtbare Gefahr in schöner, bunter Verpackung. Ihretwegen können die gewöhnlichen Leute ihr Haupt nicht erheben. Neunzig Prozent aller Reichen in Serbien haben ihren Wohlstand nicht auf rechtmäßige Weise erlangt. Diese Staatsdiebe nennt man geschäftstüchtig und erfolgreich, die anderen hingegen, die im Gefängnis sitzen, werden als Diebe und Schurken bezeichnet. Für ein und dasselbe Delikt wird der eine als tüchtig und der andere als Trottel bezeichnet.

Ich habe mich in der „normalen“ Welt nicht wiederfinden können. Für mich ist es nach wie vor unbegreiflich, dass jemand, der Geld und alle Baugenehmigungen hat, irgendeinen Verwaltungsbeamten oder Städteplaner bestechen muss, oder dass eine Ärztin die Gönnerin bestiehlt, die ihr miserables Leben zum Guten gewendet hat.

Für mich ist es ebenso inakzeptabel, einen Sportverein zu bestehlen und keinen Respekt gegenüber Sponsorengeldern zu haben. Wenn man die Augen nicht verschließt und sich nicht mit den Geiern zusammentun will, hat man in dieser Welt nichts verloren. Die Verdorbenen werden alles versuchen, um diejenigen loszuwerden, die ihr Spiel nicht mitmachen wollen.

Alles konnte ich hinnehmen im Leben, jedoch nicht, ein heuchlerischer Schleimer oder Geier zu sein. Ich denke auch weiterhin, dass es besser ist, ein ehrenhafter Einbrecher zu sein als ein unehrenhafter Arzt, Politiker oder Sportfunktionär.

Mir sind ehrliche Niederlagen lieber als schandhafte Siege. Ich will keinen einzigen Sieg, dessen ich mich schämen würde. Das Leben ist ein Kampf, eine Reihe von andauernden Kämpfen. Wenn der Krieg zu Ende ist, ist es vorbei. Der Krieg endet mit dem Tod, davor gibt es nichts als Kämpfe. Auch nach dem Kampf sollte man sich noch als Mensch fühlen. Der Glanz in den Augen meines Sohnes, in denen ich Respekt, Liebe, Bewunderung und Vergebung sehe, macht mich stark und sicher, sogar jetzt, in meinen schweren Zeiten.

1 Josip Broz Tito, jugoslawischer Staatschef von 1945 bis 1980 (Anm. d. Übers.)

DAS GEFÄNGNIS „ELEONAS THIVA“

Meine Haftanstalt Eleonas Thiva befindet sich im gleichnamigen Ort, ca. 100 km von Athen entfernt. Es ist das größte Frauengefängnis, momentan verbüßen hier ungefähr 600 verurteilte Frauen ihre Haftstrafe. Das Gefängnis ist in fünf Blöcke aufgeteilt: A, V, G, D, E und einen Sonderblock, in dem Minderjährige und Mütter mit Kindern unter drei Jahren untergebracht sind.

Nach meiner Verhaftung, vier Monate nach der Flucht aus dem Athener Gefängnis Korydallos, wurde ich hierhergebracht und aus Sicherheitsgründen im Block A untergebracht. Das ist ein Block mit etwa 70 Frauen, die meisten von ihnen Griechinnen, die Geld bei Banken oder Versicherungen veruntreut haben.

Die Mehrheit der Gefangenen sind ältere Damen, von denen einige durchaus hohe Posten innehatten. In diesem Block sitzt auch meine Freundin Areti ein, die berühmteste politische Gefangene. Sie ist die Tochter eines Mannes, der zwanzig Jahre Verteidigungsminister war und dann, anstatt Premierminister zu werden, im Gefängnis Korydallos landete. Er wurde wegen Geldwäsche angeklagt und ist Hauptakteur in einer der größten Finanzaffären des Landes.

Außerdem befinden sich in diesem Block auch die schlimmsten Gefängnisspitzel. Neben den älteren Damen landen hier auch aufsässige und besonders durchgeknallte Insassinnen. Nach meiner Flucht aus dem KorydallosGefängnis verdiente ich beide Attribute. Die Gefängnisleitung ist der Meinung, problematische Einzelfälle mithilfe von Spitzeln, von denen es hier nur so wimmelt, leichter kontrollieren zu können. Außerdem glaubt man, dass die Problematischen hier seltener in Konflikte geraten, was absolut richtig ist.

Die Damen sind in einem Alter, in dem man sich bereits öfter Gedanken über eine Grabstätte macht, als jemandem an die Gurgel zu gehen. Dies ist der Ort mit der höchsten Dichte an bösartigen alten Weibern, wahren Hexen, auf engstem Raum.

Der Block besteht aus fünf Gemeinschaftsräumen (jeweils fünfzehn Frauen in einem) und einer Zelle, die von der berüchtigtsten Gefangenen bewohnt wird. Die Frau bewohnt diese Einrichtung schon seit dreiundzwanzig Jahren. Sie hat die Geliebte ihres Ehemannes zerstückelt und im Ofen gebacken. Den Braten servierte sie anschließend dem Mann und seinen Eltern. Nach ein paar Gläsern Wein erklärte sie dann im Laufe des Abends, dass es kein Lamm sei, was sie da serviert habe, sondern die arme Eleni. Ihre Strafe hat sie vor einem Jahr abgesessen, aber sie bleibt in Haft, weil das Gericht in ihr eine Gefahr für die Allgemeinheit sieht. Sie liegen da nicht ganz falsch, denn bei der ersten Gelegenheit würde wohl ihre Mutter, mit der sie sich nicht so gut versteht, im Kochtopf landen.

In dieser Teilanstalt sitzen noch zehn weitere Mörderinnen ein. Sie alle haben ihren Ehemann getötet, manchmal allein, manchmal mithilfe ihres Liebhabers. Mörder sind in Gefängnissen oft die schlimmsten Angsthasen. Schon wieder ein Paradox, aber die Gefängnisse sind voll davon. Sollte es mal ein heftigeres Gewitter oder Erdbeben geben, weiß man sofort, wer eine Mörderin ist. Die Damen rennen dann schreiend in der Zelle umher und sorgen für mehr Angst und Schrecken als die Naturkatastrophe selbst. Die Mörderinnen sind auch die zuverlässigsten Gottesdienstbesucherinnen am Sonntag morgen. Interessanterweise empfindet aber keine von ihnen auch nur eine Spur von Gewissensbissen wegen der begangenen Verbrechen.

Die gute Seite dieses Blocks ist, dass ich mich mit meinen 45 Jahren unter diesen alten Vampirinnen wie ein junger Hüpfer fühle, außerdem habe ich den separaten Gefängnishof von der Größe eines halben Fußballfeldes für mich allein. Die Frauen hier mögen weder Laufen noch Joggen oder sonstige Arten von Sport, meine übermäßige sportliche Aktivität halten sie entweder für eine psychische Störung oder bereits für die Vorbereitung auf eine erneute Flucht.

Das Schlechte an diesem neuen, modernen Gefängnis sind die fehlenden Einzelzellen. Nur ein erfahrener Häftling weiß, was eine Zelle für ein Luxus ist, insbesondere eine Einzelzelle. Allein sein, und sei es auch auf engstem Raum, bedeutet Ruhe und Frieden, die wir leider in Thiva nicht haben. Nur wer noch nie im Gefängnis war, stellt sich eine Einzelzelle als Strafe vor. Im Gegenteil, eine Strafe ist es, in einem Gruppenzimmer mit 15 oder 20 Frauen eingesperrt zu sein, die nie auch nur ansatzweise einer Meinung sind. Das Symphonieorchester aus Schnarchenden und Hustenden hört die ganze Nacht nicht auf zu musizieren. Zusatzkonzerte finden täglich zur Zeit der Mittagsruhe statt, zwischen 13 und 15 Uhr. Endloses Gequatsche, sinnlose, auf Langeweile beruhende Streitigkeiten sind das Tagesgeschehen in diesem Gruppenzimmer.

Wer den Kampf gegen die Zeit gewinnt, hat das Gefängnis besiegt. Mir ist das gelungen und ich habe mir dadurch die bestmögliche Art des Überlebens an diesem nicht gerade schönen Ort gesichert. Ich habe es geschafft, meinen Gefängnisaufenthalt als eine Art Langzeitvorbereitung auf einen Sportwettkampf zu gestalten. Mein Tag beginnt um 8.30 Uhr. Danach beginnt das Training von 9 Uhr bis 10.30 Uhr, bestehend aus 50 Minuten Laufen und Krafttraining mit verschiedenen Requisiten, die ich selbst konstruiert und patentiert habe. Beispielsweise mit Steinen und Wasser gefüllte WeichspülerFlaschen. Das sind meine Gewichte, zwischen 4 und 7 kg. Zwischen 10.30 Uhr und 11 Uhr trinke ich zum ersten Mal in meinem Leben Kaffee, und zwar LavazzaEspresso. Man kann also im Gefängnis auch etwas Nützliches lernen. Meine Mitinsassinnen und ich werden in Zukunft neben Mord, Drogenhandel, Finanzbetrug und Raubüberfällen auch die Fähigkeit besitzen, leckeren Kaffee zu kochen. Als ich klein war, fürchtete ich stets den Satz meines Vaters: „Olja, von Kaffee wächst kleinen Kindern ein Schwanz.“ Jetzt ist mir das völlig wurscht. Ein Gefängnis ist ein dermaßen dämlicher Ort, dass einem selbst das egal wäre. Nach dem Morgenkaffee gehe ich zur Arbeit, deren Zeit nicht präzise festgelegt ist, da ich freischaffende Künstlerin bin. Genauer gesagt bin ich, seit es griechische Gefängnisse gibt, die einzige Gefängnismalerin.

Ich habe Hunderte Meter von Fluren und Gefängnisräumen bemalt. Während der Arbeitszeit sind alle Gefangenen in ihren Zimmern eingeschlossen (während der Mittagsruhe von 13 bis 15 Uhr spaziere ich frei im ganzen Gefängnis herum). Meine Bilder haben mir die schwersten Eisentüren geöffnet und konnten die eisigsten Herzen der Vollzugsbeamten erweichen. Mein Talent als Malerin und meine extreme Entschlossenheit waren über alle Zweifel und alle bösen Blicke, von denen es zu Beginn reichlich gab, erhaben. Schritt für Schritt, Meter um Meter eroberte ich die Gefängniswände und verwandelte sie in eine Augenweide. Schritt für Schritt räumte ich so auch die Vorurteile über mich als gefährliche Gefangene aus dem Weg. Zwei Jahre später ging ich als Siegerin aus diesem Kampf hervor. Nun bin ich ein Markenzeichen dieser Einrichtung, das Paradebeispiel einer Gefangenen, die sich ihren guten Status im Gefängnis hart und ehrlich erkämpft hat – ein Erfolg, der an das Unmögliche grenzt.

Alle Gefangenen mit Privilegien sind entweder heuchlerische Süßholzraspler oder fiese Spitzel. Ich selbst bin ein Lichtstrahl im Tunnel, die Hoffnung für die Minderheiten, dass das Gute dennoch über das Böse siegen kann. Ich bin der Che Guevara im Knast, der selbst den schwersten Sträflingen mit lebenslanger Haftstrafe noch Hoffnung auf Flucht und Überleben gibt.

Vor Kurzem habe ich meinen vielleicht größten Sieg in dieser Einrichtung erlebt. Ich, die ich im ständigen Zwist mit kleinen Leuten mit Minderwertigkeitskomplexen, die man Schließer nennt, stehe, habe von einem von ihnen ein Kompliment bekommen, obwohl diese untereinander sehr loyal sind. Eine Wärterin kam auf mich zu und sagte: „Ich freue mich, dich kennengelernt zu haben und zu wissen, dass es an diesem Ort eine Gefangene gibt, die nichts und niemanden fürchtet, und dennoch alles verwirklicht hat, was sie verdient. Jetzt werde ich furchtlos alles zu sagen, was ich denke, selbst wenn ich meinen Job verlieren sollte.“ Ich schlug ihr vor, sich zu beruhigen, mein aufmüpfiger Charakter wirkte sich sogar negativ auf die Wärter aus. Die Gefängnisleitung hatte vollkommen richtig gehandelt, indem sie mich in Block A mit den alten Omas gesteckt hat, die noch nicht einmal Che Guevara persönlich aus dem Winterschlaf reißen könnte.

Nachdem ein Fernsehteam dagewesen war, um die von mir bemalten Wände zu filmen, wurde ich zum Star im Gefängnis. Bald schon brachten die Bediensteten mir Leinwände und Farben. Jetzt zieren meine Bilder ihre Häuser und Wände. Meine Malerei bringt mir dreißig Tage im Monat, was bedeutet, dass ich in einem Jahr zwei Jahre Strafe absitze.

Ich bin eine Einzelgängerin und diese Eigenschaft hilft mir an diesem Ort sehr. Irgendwo habe ich gelesen, die Einsamkeit sei stets für diejenigen da, die ihrer auch würdig seien. Ich genieße die Einsamkeit; Menschen finde ich oft sehr ermüdend. Ich liebe die Stille. Oft sind mir Regentropfen, die gegen die Fensterscheibe trommeln, lieber als menschliche Stimmen. Malen ist die Stille der Gedanken und Musik für die Augen. Das ist mein Frieden und meine Flucht in eine andere Welt. Das ist die Zeit, die es nicht gibt. Das sind Stunden, die wie Minuten wirken. Das ist ein Ich, das ich zufällig gefunden, und das ich mir für immer bewahrt habe. Malerei ist meine größte Leidenschaft, geboren aus Schmerz und Langeweile, im Gefängnis.

Um 21 Uhr gehen wir in unsere Gruppenzellen. Wir werden gezählt wie die Schafe und anschließend eingesperrt. Sollte eine Gefangene zu der Zeit unter der Dusche stehen, ist sie verpflichtet, sich zu melden und ganz laut ihren Nachnamen zu sagen. Als einzige Gefangene muss ich, sollte ich in der Dusche sein, die Tür der Duschkabine öffnen und mein Gesicht zeigen. Meine leichtgläubigen Wärter denken, ich sei David Copperfield und würde erneut aus dem Gefängnis fliehen, das mein Sohn, als er es zum ersten Mal gesehen hat, als

„Alcatraz“ bezeichnet hat. Thiva ist eins der am besten bewachten Hochsicherheitsgefängnisse, einschließlich der Männergefängnisse. Die Griechen lieben Wunder und glauben an sie, in diesem Land wird man bei Kopfschmerzen oft so etwas hören wie „du wurdest verflucht“, sogar von Ärzten. Man wird dann eilig zu einer Mitinsassin geschickt, die den Zauber brechen kann. Wenn man in diesem Land nicht glaubt, man sei matiasmenos, also verwunschen, dann ist man überhaupt kein Grieche.

Von 21 bis 23 Uhr lese ich Bücher. Ich besitze eine richtige kleine Privatbibliothek. Neben dem Malen ist das meine zweite Leidenschaft. Das letzte Buch, das ich gelesen habe, interessierte mich besonders. Es war die Lebensbeichte von Žarko Laušević, einem jugoslawischen Schauspieler, der bei einer Kneipenschießerei zwei Angreifer tötete. Noch nie war mir dieser Schauspieler, einst mein Teenie-Schwarm, so nahe. Mir scheint, als spürte ich das, was er schreibt, stärker als irgendjemand anders, sogar als seine besten Freunde. Ich spüre jedes der geschriebenen Worte, mir scheint, als wäre sein Leben meins und sein Schmerz meiner. Er malt, ist einsam, sucht nach der Wahrheit und der Gerechtigkeit, verteidigt sich und greift an, beschwört Gewissensbisse herauf und verbannt sie wieder. Ich finde mich in allem wieder. Ich möchte betonen, dass ich mich in keinem Moment mit einem derart talentierten Menschen vergleichen möchte, ich bin dessen nicht würdig. Es ist einfach so, dass jeder Schmerz dem anderen gleicht, besonders, wenn ihre Wohnanschrift die Gleiche ist.

Pünktlich um 23 Uhr wird das Licht gelöscht. Ich schließe die Augen und knipse einen weiteren Tag aus. Manchmal weine ich um meinen Sohn, manchmal bin ich wütend auf mich selbst und erkläre allen den Krieg; manchmal bin ich glücklich, manchmal lache ich heimlich über alle möglichen Ereignisse aus der Vergangenheit, deren Protagonisten meine Freunde sind.

Am schwierigsten sind die Nächte, in denen einen das schlechte Gewissen wachhält. Wo ist mein Kind jetzt, wie ist es für ihn dort auf einem anderen Kontinent, fern von allem Bekannten? Hat er jemanden, dem er an meiner Stelle heute Nacht sagen kann, dass er einsam und dass es schlimm für ihn ist? In solchen Nächten ist mein Sohn kein hübscher Achtzehnjähriger von zwei Metern Größe, sondern ein Baby, das gerade erst Laufen lernt. Wo sind all die Jahre bloß so schnell hin? Am liebsten würde ich ihn immer noch auf den Schoß nehmen und knuddeln. Wann bloß werde ich ihm das nächste Mal meine berühmte panierte Hähnchenbrust mit Kartoffelpüree machen können? Wann werden wir uns das nächste Mal anfauchen und nach dem Aufwachen kein Wort miteinander reden, weil wir beide Morgenmuffel sind, und dann später darüber lachen, wenn die gute Laune wieder da ist? Wann werden wir ziellos durch die Belgrader Straßen fahren, während es leise regnet, und „unsere“ Musik hören? Wann werden wir zusammen zum Vuk-Karadžić-Denkmal gehen, über den König-Aleksandar-Boulevard spazieren, im Madera sitzen, dem Restaurant, in dem alle wichtigen Daten in unserem Leben gefeiert wurden; wann werden wir in den Tašmajdan-Park gehen, wo wir beide unsere ersten Schritte gemacht haben, ich Anfang der Siebzigerjahre, mein Sohn dreißig Jahre später; den Park, wo unser Hund Bubi sich zum ersten Mal verliebte und ganz verrückt wurde; den Ort, wo mein Sohn das einzige Kind war, das mit dem Elektroauto den erlaubten Radius verließ und bis zum Café Poslednja šansa fuhr, wo ich saß, und damit bewies, dass er wirklich mein Sohn war? Wann werden wir ins SkadarlijaViertel in unser Lieblingsrestaurant Tri šešira gehen?

Der Kalemegdan weckt Erinnerungen an warme Sommerabende, während die letzten Sonnenstrahlen in die Donau fließen, und an eine alte Bank aus Stein, die zahllose Erinnerungen wachruft.

Mein erster Schwarm, mein erstes Meisterschaftsspiel auf den offenen Plätzen von Roter Stern, mein erster verwandelter Freiwurf bei Unentschieden, mein erstes Mal im Trikot mit der Nummer Acht. Der Kalemegdan ist der einzige Ort in Belgrad, wo ich nach den Sternen gegriffen und sie mir in die Tasche gesteckt habe. Ich bewahre sie immer noch auf, irgendwann werde ich auch wieder nach ihnen schauen, ich traue mich nur nicht, das laut zu sagen.

Manchmal überkommt einen der Schlaf schneller, manchmal langsamer, die einzige Zeit, zu der der Gefangene frei ist. Der Morgen ist eine Enttäuschung. Die ersten Bilder, die vor den Augen auftauchen, bringen einen sehr schnell in die Realität zurück. Ein ungeschickter Schließer, der eine Viertelstunde braucht, um fünfzehn Gefangene zu zählen. Hat er die Oma vergessen, die da tief und fest unter ihrer Decke schläft? Wenn sie schnarcht, wird er sie bald finden. Andernfalls wird er glauben, ich sei mal wieder ausgebrochen. Dass er mich nicht sieht, hat nichts zu bedeuten, denn ich bin David Copperfield.

Das Gute ist, dass die Tage im Gefängnis sehr schnell vergehen. Dieser Anschein vom schnelleren Verstreichen der Zeit geht aus der Tatsache hervor, dass alle Tage gleich sind, identisch, ohne besondere Vorkommnisse. In meinem Fall, wo jede Minute des Tages fest verplant ist, entspricht ein Jahr im Gefängnis einem Tag in der Außenwelt. Dies ist sowohl ein Vorteil als auch eine Erleichterung, obwohl es wahrscheinlich nur ein weiterer der vielen knastbedingten Irrtümer ist.

Neben der Zeit gibt es noch ein weiteres Mysterium, dessen Ursprung ich bis zum heutigen Tag nicht ergründen konnte, obwohl ich rund fünf Jahre eingesperrt war. Es handelt sich um das Syndrom der Unschuld im Gefängnis.

Bei der Lektüre des Buches von Borislav Pekić „Godine koje su pojeli skakavci“ (Die Jahre, die von den Heuschrecken gefressen wurden) fand ich viele Antworten auf die Fragen, die mich bewegten. Leider fand ich auch in diesem Buch keine richtige oder direkte Antwort auf diese Frage. Wenn man neu und unerfahren ist, wirkt die erste Begegnung mit dem Gefängnis, als hätte man sich im Ort geirrt. Die Vermutung, man würde nun verschiedenen Kriminellen und deren Aktivitäten begegnen, ist anscheinend falsch, denn an dem Ort, der als Quell allen Übels gilt, trifft man zahllose Engel mit weißen Flügeln. Von allen Gefangenen, mit denen man länger als eine Minute redet, erfährt man im Vertrauen, dass sie unschuldig sind und sich hier nur durch eine Verkettung unglücklicher Umstände befinden. Und dann wird der Mörder dir mit glühenden Augen erzählen, er sei weder Dieb noch Drogenhändler; der Drogendealer wiederum wird sagen: „Ich und Klauen?“ Oder „Ich und Töten? Um Gottes willen!“; der Dieb wird sagen: „Na, ich bin doch kein Mörder wie die Frau da in der Ecke, die ihrem Mann die gebratene Liebhaberin serviert hat“, und sogleich wird die Frau aus der Ecke losbrüllen: „Ich und Klauen? NIEMALS!“ Dass Fräulein Eleni als Lammbraten ihr Ende fand, hält sie für kein so großes Vergehen. Wäre diese vorsichtiger gewesen und hätte nicht ausgerechnet ihren Ehemann zum Liebhaber gewählt, wäre sie noch am Leben. Ihrer Überzeugung nach ist also Eleni die einzig Schuldige. Erstens als Geliebte und zweitens, weil sie ihretwegen ja nun schon dreiundzwanzig Jahre im Gefängnis saß.

Am abstoßendsten an dieser Geschichte sind die Damen, die für Finanzbetrug verurteilt sind. Diese konnte ich auch am besten kennenlernen, da ich die meiste Zeit mit ihnen verbracht habe. Sie erinnern mich unweigerlich an die Diebe in Seidenhandschuhen, die ich zuvor beschrieben habe, obwohl sie um eine Nuance ungefährlicher sind, denn schließlich sind sie ja im Knast gelandet. Stets von ihrer Unschuld überzeugt, halten sie ihre Unterbringung in dieser Anstalt für eine fürchterliche Ungerechtigkeit. Dass sie gefälscht, betrogen und geklaut haben, halten sie nicht für Diebstahl, da sie ja gleichzeitig, bevor sie entdeckt wurden, ihre Monatsgehälter bekamen, kranken- und rentenversichert waren. Sich selbst hielten sie für vorbildliche Bürgerinnen, die mit Kriminalität nichts zu tun haben. Unter Diebstahl verstand man ihrer Meinung nach Einbrüche in Juweliergeschäfte. Was sie machten, war eine Oper. Der Schuldige war in der Regel jemand anders, meistens eine unbekannte Person.

Die Lauteste in meinem Block ist eine ehemalige Versicherungschefin. Bisher hat sie in zwei Verfahren zwei lebenslange Haftstrafen erhalten, viele weitere kommen noch auf sie zu. Nach jeder neuen Vorladung vom Haftrichter krakeelt sie stundenlang im Gefängnisflur herum, in dem Versuch, die Anwesenden von ihrer Unschuld zu überzeugen. Sie droht unbekannten, unsichtbaren Feinden, die ihr etwas anhängen wollen. Ihre Oper war ein Meisterwerk. Bei ihr geht es um eine Summe von 50 Millionen Euro.

Warum sie alle von ihrer Unschuld überzeugt sind, obwohl die Beweise in jeder Hinsicht dagegensprechen, darauf habe ich keine Antwort. Ihrem Märchen von der Unschuld bleiben sie treu bis zum letzten Tag im Gefängnis, obwohl das längst niemanden mehr interessiert, noch nicht einmal diejenigen, die sie verurteilt haben. Warum? Eine genaue oder präzise Antwort gibt es nicht, lediglich Vermutungen.

Notgedrungen lebe ich leider unter Frauen, bemühe mich jedoch, nur ein paar von ihnen wahrzunehmen. So lebe ich auch draußen in Freiheit. Hier drin hat sich meine Abneigung gegenüber Frauen als richtig erwiesen. Sie sind unvorhersehbar, oberflächlich, neidisch, verlogen, neugierig, ängstlich, wankelmütig – kurzum alles, was ich verachte, da ich es selbst nicht bin. In meinem bisherigen Leben wurde ich schon oft betrogen. Nur wenige Male hat mich das tief verletzt und enttäuscht. Es waren immer Frauen, die ich für Freundinnen hielt. Die Enttäuschung war unfassbar groß, da sie so überraschend kam. Frauen sind Weltmeisterinnen darin, sich zu verstellen. Die besondere Gefahr liegt darin, dass sie imstande sind, das jahrelang zu machen. Ein Chamäleon ist ein lustiger Amateur im Vergleich zu den Frauen. Bis heute bin ich der Meinung, dass nur eine Frau mich betrügen kann. Und genau deshalb halte ich mich von ihnen fern. Aber was wäre das Leben, wenn wir keine Ausnahmen machen würden? Heute gibt es zwei Frauen, die ich für meine Freundinnen halte. Die erste heißt Švrća, ist ganze 1,62 m groß und besitzt ein Herz von genau dieser Größe. Die zweite ist meine Trauzeugin Mandarina, zu der ich schon seit Jahren keinen Kontakt mehr habe. Es gibt Leute, von denen man sicher sein kann, dass sie Freunde sind, obwohl man sie jahrelang nicht gesehen hat. Und man weiß genau, wenn man sie dann trifft, wird alles genauso sein wie immer.

Eine interessante Besonderheit bei meiner Gefängniskarriere ist meine Anstellung. Die Beschäftigung als elaiochromatistis (Maler) ist in der Gefängniswelt ein sehr begehrter Beruf, da man dafür ausgezeichnete dreißig Tage im Monat bekommt. Er ist sehr schwer zu bekommen, da auf sechshundert Gefangene nur einer ihn ausüben kann. Paradoxerweise habe ausgerechnet ich ihn bekommen, obwohl ich meine Flucht aus dem vorigen Gefängnis Korydallos ebenfalls als elaiochromatistis organisiert habe, während ich das Büro des Gefängnisleiters anmalte. Die einzig mögliche Erklärung hierfür ist, dass die Griechen uns Serben bezüglich der Verrücktheit in nichts nachstehen.

Alle verurteilten Insassinnen in meinem derzeitigen Gefängnis werden, wenn sie andere Gerichtstermine in Athen haben, ins Korydallos verlegt. Mir ist als einziger Gefangener der Zutritt zu diesem Gefängnis verwehrt. Ich werde aus diesem Gefängnis ins Untersuchungsgefängnis Petrou Ralli gebracht, auf eine gesonderte Etage, wo ebenfalls problematische Kollegen in Sicherheitsverwahrung sind, die das Männergefängnis Korydallos auch nicht aufnimmt.

Mein Transport findet unter Sondergeleitschutz statt. Der Tag und die Stunde wird sogar vor dem Gefängnispersonal geheimgehalten, damit sie mir die Information nicht heimlich weiterleiten können. Meine frühere Flucht wird viel ernster genommen, als sie eigentlich war. Die Griechen glauben an das Fantastische, ein ausgedachtes Märchen über eine spektakuläre Flucht ist ihnen näher als die wahre Geschichte über die Täuschung dämlicher Gefängniswärter. Aus diesem Grund werde ich von einer speziellen Antiterroreinheit übernommen, mit einem speziellen Gefangenentransporter. Eine kleine Brigade mit Strumpfmasken kommt ins Frauengefängnis und nimmt dabei die Gefangenen und die Wärter ins Fadenkreuz. Für normale Menschen angsteinflößend, bewegen sie sich wie Katzen, stets auf jedes Geräusch achtend. In mir drin ist wie immer alles auf Krawall gebürstet. Statt der erwarteten Angst erwacht der schlummernde Che Guevara in mir und es beginnt eine unfassbar lustige Theatervorstellung.

Als Erstes wecken die Strumpfmasken, die gewöhnlichen Menschen in Angst und Schrecken versetzen, bei mir Nostalgie, da sie Teil meines Berufs waren, durch den ich ja überhaupt erst hier gelandet bin. Ich schaue dann meist nach der winzigen Aufschrift, um zu sehen, ob wir damals dieselbe Marke gekauft haben. Das Schleichen und Lauern im bewachten Raum, der von der Außenwelt durch zehn verschiedene Mauern von fünf oder sechs Metern Höhe abgetrennt ist, und dann noch unter sechshundert Frauen, empfinde ich eher als Komödie, denn als Vorsichtsmaßnahme.

Da auf meiner Akte, die mich stets begleitet, mit roten Buchstaben „Fluchtgefahr“ steht, sind sie verpflichtet, mich zu fragen, ob ich eine schusssichere Weste haben möchte. Meine häufigste Antwort, die ich absichtlich immer gebe, mit dem Ziel, die Gegner einzuschüchtern und lächerlich zu machen, lautet folgendermaßen: „Ich werde unterschreiben, dass ich keine schusssichere Weste brauche. Wenn meine Serben dieses Mal kommen, werden sie sicher nicht auf mich schießen, sondern auf euch.“ Dies ist der Satz, der die Anspannung bis ins Unermessliche steigert. Danach beginnt ein noch auffälligeres Herumschleichen und Zielen auf unbekannte Ziele. Während ich Platz nehme, innerlich stolz auf meinen eigenen Wahnsinn, gerät der Feind ins Zweifeln, ob die Fahrt nun ein Gefangenentransport oder ein Krieg der Sterne mit bekloppten Serben wird.

Sie stecken mich in einen speziell für gefährliche Terroristen vorgesehenen Gefangenentransporter, in dem sich ein Käfig von 1 x 1 Meter befindet. Wer auch immer dieses Transportmittel konstruiert hat, ist nicht davon ausgegangen, dass ein Terrorist eventuell auch größer als 1,80 m sein könnte. Ich nehme an, dass es ein Polizeioberst war. Nur Polizisten können so dumm sein.



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