Königskinder - Reinhard Kaiser - E-Book + Hörbuch

Königskinder Hörbuch

Reinhard Kaiser

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Beschreibung

Ein Bündel alter Briefe erzählt eine wahre Liebesgeschichte: Der Deutsche Rudolf Kaufmann und die junge Schwedin Ingeborg Magnusson treffen sich das erste Mal 1935, verbringen einige wenige Tage miteinander und leben fortan ihre Liebe über Briefe - eine fünf Jahre andauernde Korrespondenz. Sie wissen nicht, daß sie sich niemals wiedersehen werden. Sechzig Jahre später ersteigert der Autor Reinhard Kaiser die Briefe (der Briefmarken wegen!) auf einer Auktion. Wie nebenbei liest er die Briefe und stürzt sich, gepackt von dieser Geschichte, in eine jahrelange Recherche. Es gelingt ihm, Verwandte und Freunde des jungen Paares ausfindig zu machen und so die atemberaubende - und wahre - Geschichte, die auch ein Teil unser aller Geschichte ist, zu erzählen.

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Zeit:2 Std. 32 min

Sprecher:Kai Wiesinger

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Reinhard Kaiser

Königskinder

Eine wahre Liebe

Schöffling & Co.

Ich war nicht auf der Suche nach Geschichten, als ich die ersten Briefe von Rudolf Kaufmann an Ingeborg Magnusson fand – im Mai 1991, bei einer Briefmarkenauktion in Frankfurt. Vor der Auktion ließ ich mir von den mehr als siebentausend angebotenen Losen zehn oder zwölf zeigen, die ich mir im Versteigerungskatalog angekreuzt hatte. Das Los Nummer 6673 war in diesem Katalog so beschrieben: »Deutschland ca. 1890–1955, reichhaltige ungebrauchte, postfrische bzw. gestempelte Zusammenstellung mit auch Bündelware sowie Karten, Briefe und Paketkarten vom Deutschen Reich etc. in unterschiedlicher Erhaltung, enorm hoher Katalogwert! Limit DM 500,–«

Eine Pappschachtel, wie sich bei der Besichtigung zeigte, gefüllt mit Alben, Steckkarten, Pergamintüten und Zigarrendosen voller Briefmarken. Zwischen allerlei Massenware und einigen philatelistischen Besonderheiten stieß ich auf einen Stapel von ungefähr dreißig Umschlägen, alle vom gleichen Absender in Königsberg und einigen anderen deutschen Städten zwischen 1935 und 1939 aufgegeben, alle an die gleiche Empfängerin unter der stets gleichen Stockholmer Adresse gerichtet. In den Kuverts steckten noch die Briefe.

Zu ausgiebigem Lesen reicht bei der Besichtigung vor einer Auktion die Zeit nicht. Aber schon ein kurzes Auseinanderfalten von zwei oder drei dieser Briefe zeigte, daß in ihnen von einer Liebe in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg ausgiebig die Rede war. Mehr wußte ich nicht, als ich beschloß, den Versuch zu machen, die Pappschachtel mit allem, was sie enthielt, Marken, Geschichte und Geschichten, zu erstehen.

Bei der Versteigerung zeigte sich dann, daß das Interesse an dem Los mit der Nummer 6673 beträchtlich war. Es entbrannte das, was Briefmarkenversteigerer in ihren Ergebnisberichten gern eine Bieterschlacht nennen. Allein um der Marken willen hätte ich nicht über das Doppelte des Ausrufpreises hinaus mitgehalten. Die Neugier auf die Briefe jedoch erlahmte auch jenseits des dreifachen Limits nicht. Aber je länger ich meine Karte mit der Bieternummer hochhielt, desto weniger verstand ich, wie jemand ohne mein doppeltes Motiv, Marken und Geschichte, den Preis für dieses Los derart in die Höhe treiben konnte. Zuletzt hatte ich es mit einem einzigen hartnäckigen, obendrein für mich unsichtbaren Gegner zu tun. Der Auktionssaal hatte die Form eines »L«. Ich saß im langen, mein Gegner im kurzen Balken des »L«, während der Auktionator hinter seinem Pult im Winkel dieses »L« stand und, abwechselnd auf mich und jenen anderen deutend, seinen Abzählvers aufsagte, die Zahlenreihe, die sich in monotonen und zugleich entnervenden Fünfzigersprüngen auf Zweitausend zubewegte.

Marken haben ihre Marktpreise. Manche mögen selten sein, aber einmalig sind die allerwenigsten. Für Marken werden Phantasiepreise kaum je gezahlt. Wer aber für eine Geschichte, die er nicht kennt, überhaupt etwas zahlt, ob viel oder wenig, der zahlt immer einen Phantasiepreis. So auch ich an jenem Samstagnachmittag im Mai 1991.

Ich trug den Karton, den ich ersteigert hatte, nach Hause – gespannt, was er enthalten würde, aber nicht darauf gefaßt, daß es eine Geschichte war, die mich für Jahre nicht mehr loslassen sollte.

Mina lilla kaere Ingeborg, Da wirst Du mich ja trotz aller Schönheit Venedigs nicht vergessen haben und Deinen Aufenthalt in Bologna. Die beiden schönen Tage, die stecken mir noch ganz im Blute. Sie waren nur zu kurz. Das einzige, was mir bleibt, sind die Fotografien von Dir, wo Du mich 30 mal so »ganz verliebt« anlachst. Wenn Dir etwas auf den Bildern gefällt, so schreib es mir, denn dann will ich Dir doch Vergrößerungen machen. Da ist das Bild I und II, die Reihenfolge geht dann weiter so

1    2    34    5    67    8    910  11  12.

Also z. B. Bild I Nr. 8. Ich freue mich schon auf Deine Schreiben. Hoffentlich hast Du recht große Freude an Venedig. Deine rote Nase ist natürlich sehr gut getroffen! Sonntag gehe ich nach S. Luca und denke an Dich. Schreibe schnell, wann Du durch Greifswald fährst. Ich will meine Freunde benachrichtigen. D.h., du schreibst, wann Du von Berlin abfährst. Nun küsse ich Dich ganz, ganz herzhaft. Dein Rudolf.

Ein Kärtchen ohne Datum, klein wie eine Spielkarte, auf beiden Seiten mit einer engen Schrift in schwarzer Tinte bedeckt, übermittelt einen Kuß – vielleicht den ersten Kuß, den er ihr schreibt, weil er ihn ihr nicht geben kann. Die wirklichen Küsse, die in Bologna diesem papierenen vorausgingen, sind verflogen. Von solchen wirklichen Küssen bleibt denen, die sich da einmal geküßt haben, die Erinnerung, und nachher bleibt von wirklichen Küssen vermutlich nichts. Der papierene Kuß jedoch, den die Post vor sechzig Jahren quer durch Europa beförderte, hat sich erhalten. Lesbar steht er da, eine Berührung, einst zwischen ihm und ihr über die Ferne des Raumes, nun eine zwischen ihnen und uns über die Nähe der Zeiten hinweg.

Zu Beginn des Sommers 1935 lernten sie sich in Bologna kennen – ein junger Deutscher aus Königsberg und eine junge Schwedin aus Stockholm. Ingeborg Magnusson verbrachte die Ferien in Italien, besuchte Florenz, Rom, auch Bologna. Rudolf Kaufmann hielt sich schon seit mehreren Monaten in Bologna auf, nicht aus Neugier auf Land und Leute, nicht aus freien Stücken. Ihn hatten die Verhältnisse in Deutschland nach Italien verschlagen. Allerdings zu seinem Glück. Denn wäre er im Sommer 1935 nicht in Bologna gewesen, hätte er Ingeborg Magnusson nicht kennengelernt.

Den festen Boden unter den Füßen hatte er schon vorher verloren. Seit zwei Jahren hing er in der Luft. Es war ihm immer peinlich gewesen. Jetzt plötzlich nicht mehr. Jetzt war ihm, als würde er schweben, sogar fliegen – mit ihr, neben ihr, einen Tag lang in Bologna, einen zweiten in Venedig, wohin er ihr nachreiste. Dann ging ihnen die Zeit aus. Ihre Wege trennten sich. Inge kehrte nach Stockholm zurück, er nach Bologna. Sie begannen einander zu schreiben. Ihre Briefe an ihn sind nicht erhalten, wohl aber seine an sie. Unter diesen scheint das Kärtchen ohne Datum der erste gewesen zu sein.

Zu Beginn des Sommers 1935 erwartete Rudolf Kaufmann in Bologna Besuch aus Deutschland. Sein älterer Bruder Hans und dessen Frau Vera hatten sich auf einer Reise durch Italien auch bei ihm angesagt. Mit ihnen erschien, unerwartet und doch sogleich willkommen, ihre »liebste Reisebekanntschaft«, eine junge Frau aus Schweden.

Wie Rudolf Kaufmann und Ingeborg Magnusson in der kurzen Zeit, die ihnen zur Verfügung stand, einander näher kamen, wird aus den Andeutungen in den Briefen nicht recht klar. Fotos waren jedenfalls im Spiel.

Kaum hatte er sie zum erstenmal gesehen, da schickte er ihr in das Hotel, in dem sie wohnte, schon sein Bild – ein hastiger Schritt, fast eine Frechheit, an der jedoch sie nichts zudringlich fand. Im Gegenteil, sie freute sich und hatte dem Bild schon viele Küsse auf die Nase gesetzt, bevor sie dem Abgebildeten selbst den ersten gab.

Er wiederum, so scheint es, fand Gefallen an ihr, indem er sie durch die »Multiplikatorkamera« betrachtete, die er zur Aushilfe in dem Bologneser Atelier »Multifoto« bediente. Möglich, daß er sich in sie verliebte, während er ihr Bild auf Fotoplatten bannte – dreißigmal SIE, dreißigmal ihr Bild. Zwölf Bilder, jedes briefmarkenklein, paßten auf eine Platte, drei nebeneinander, vier untereinander. Dreißig Bilder auf zweieinhalb Platten. Möglich, daß er von seinem Platz hinter der Kamera nicht verlangte: »Bitte, sagen Sie Cheese!« Möglich, daß er sich ein Herz faßte und ihr statt dessen vorschlug: »Am besten, Sie lachen mich einfach ganz verliebt an.«

Möglich, daß alles ganz anders war.

Aber sicher ist, daß sie zusammen bei San Luca waren, außerhalb von Bologna gelegen, auf einer Anhöhe, weite Aussicht bietend, erreichbar mit einer Seilbahn. Darüber lassen die Briefe keinen Zweifel. Nach San Luca kehren die Briefe oft zurück. Die Luft war beteiligt, das Gras, der Wein, Tagliatelle, zäher Braten, der Berg, die Blumen, Steine, Glühwürmchen. Die Seilbahn nennt Rudolf Kaufmann in seinen Briefen eine Schwebebahn.

Möglicherweise reiste Inge mit Hans und Vera in einer größeren Gruppe nach festem Plan und konnte deshalb ihren Aufenthalt in Bologna nicht einfach verlängern, wie es ihr vielleicht gefallen hätte. Als sie nach Venedig weiterfuhr, blieb Rudolf Kaufmann zunächst unschlüssig zurück. Dabei ahnte er schon, wie sehr sie ihm fehlen würde. Doch erst als ihm die Leute, bei denen er in Bologna zur Untermiete wohnte, sagten, sie habe in seiner Abwesenheit angerufen und nach ihm gefragt, nahm er den nächsten Zug nach der Stadt am Meer, vergaß in der Eile sein Rasierzeug und zerkratzte ihr, als sie sich trafen, bei dem vielen Küssen mit seinen Bartstoppeln das Gesicht. So wurde Venedig ein Erlebnis. Außerdem fuhren sie in einer Gondel und spazierten im Markusdom umher. Sie bestiegen einen Turm, für den sich außer ihnen niemand interessierte. Inge schrie laut, als er da im Halbdunkel plötzlich so wild wurde, und er machte sie mit seinen kratzigen Küssen wieder still, auf jedem Treppenabsatz von neuem. Oben sah sie aus wie ein zottiger Pudel.

Im Sommer 1935 hatte Rudolf Kaufmann seit langem wieder einmal Glück – Glück im Unglück.

Zwei Jahre vorher war ihm diese besondere Art von Glück schon einmal zuteil geworden. Vor zwei Jahren hatte man ihn, weil er Jude sei, seines Postens an der Universität von Greifswald enthoben. Damals hatte die Haltlosigkeit begonnen. Aber gerade noch rechtzeitig, Anfang 1933, war in den Abhandlungen aus dem Greifswalder Geologisch-paläontologischen Institut seine Doktorarbeit erschienen – unter dem Datum des 1. Februar, zwei Tage nach dem 30. Januar, zwei Tage, nachdem Deutschland einem neuen Reichskanzler zugejubelt hatte, der im Radio sogleich verlangte, das deutsche Volk möge ihm, dem neuen Reichskanzler, vier Jahre Zeit geben. Für politische Entwicklungen hatte sich Rudolf Kaufmann bisher nie sonderlich interessiert. In seiner Dissertation beschäftigte er sich mit der Evolutionsgeschichte einer Klasse meerbewohnender fossiler Gliederfüßler, der sogenannten Trilobiten. Die Trilobiten hatten sich gut zweihundertfünfzig Millionen Jahre Zeit genommen, etwas zu werden.

Morgen schicke ich Dir all das, was ich als Geologe geschrieben habe, es ist bald gar nicht mehr wahr, daß ich das alles untersucht habe. Über meine große Trilobitenarbeit bin ich sehr stolz, denn ich habe doch als erster exakt nachweisen können, daß es eine kontinuierliche, zielstrebige Entwicklung in der Lebensgeschichte dieser Tiere gibt. Ich glaube, ich werde nach vielen Jahren viel bekannter sein als jetzt, wenn die Zoologen und Paläontologen anfangen, den Inhalt meiner Untersuchungen richtig zu verstehen. Ich schicke Dir auch eine andere Fotografie von mir mit. Vielleicht gefällt sie Dir.

Seine Doktorarbeit wird es Rudolf Kaufmann leichter gemacht haben, außerhalb Deutschlands die Stellen zu finden, an denen er noch eine Zeitlang auf seinem Gebiet weiterarbeiten konnte: 1934 für ein paar Monate in Kopenhagen, danach am Geologischen Institut in Bologna, ebenfalls nur auf Zeit und zu Bedingungen, die es nötig machten, daß er sich ein Zubrot verdiente – in jenem Atelier »Multifoto«.

Die Hitze in Italien läßt sich weniger leicht ertragen, seit Inge nach Stockholm abgereist und Kaufmann wieder nach Bologna gefahren ist. Mit dem Gedanken, nach Deutschland zurückzukehren, hat er schon gespielt, bevor er Inge kennenlernte. Nun ist ein guter Grund hinzugekommen und gibt den Ausschlag: Von Deutschland und zumal von Ostpreußen aus ist es näher nach Schweden als von Italien. Ungeduldig erwartet Kaufmann Nachricht von seinem Bruder aus Königsberg. Hans hat versprochen, sich nach Chancen und Aussichten und einer Stelle für den neuen Anfang umzuhören. Grund zur Hoffnung besteht. Nach zwei Jahren sitzen die neuen Machthaber fest im Sattel. Da wird ihnen der kleinliche Fanatismus, mit dem sie sich durchgebissen und hochgekämpft haben, inzwischen selbst peinlich geworden sein. Die Wut wird erlahmen. Sie muß erlahmen. Vielleicht ist sie schon erlahmt.

Zweifel mischen sich trotzdem in die Zuversicht, mit der Kaufmann seine Rückkehr plant. Skrupel durchsetzen den neuen Mut, der ihn seit den beiden Tagen mit Inge erfüllt. Er weiß ja doch nicht, was ihn in Deutschland wirklich erwartet, und sie ahnt noch viel weniger, worauf sie sich einläßt, wenn sie sich mit ihm einläßt. Darf er da wünschen, daß sie es tut?

Du wärst halt ein richtiger Kamerad fürs Leben. Doch immer wieder muß ich mir sagen, ich habe kein Recht auf Liebe. Es ist doch gar zu unsicher, wohin das Leben mich führen wird. Ich irre schon 2 Jahre umher und stehe jetzt wieder am Anfang. Wann werde ich mal so weit sein, um selber für mich und einen anderen lieben Menschen sorgen zu können? Ob es mir in Königsberg besser gehen wird, das weiß ich nicht. Selbst mein Bruder fühlt sich in seiner Stellung nicht vollkommen sicher. Einen jeden Tag könnte man ihn, seiner Abstammung wegen, aus seiner Stellung jagen.

Halb im Ernst, halb in dem Wissen, daß sie sich um solche Bedenken kaum scheren wird, rät er ihr von sich ab. Sollte eines Tages ein anderer Mann, ein Per, Jens oder Ulle, auftauchen und ihr ein Heim anbieten, dann solle sie nicht an ihn, Rudolf, denken – jedenfalls nicht, solange er nicht fester im Leben steht. Und gegen die Geschichte, die sich zwischen ihnen zu entspinnen beginnt, führt er zwei andere Geschichten an, zwei Liebesgeschichten mit unglücklichem Ausgang und nur halb verschmerzt – ihre eigenen, früheren, ihre und seine. In Bologna hat ihm Inge erzählt, daß sie schon einmal auf einen fernen Mann, den sie liebte, lange gewartet hat und zuletzt eine schwere Enttäuschung erlebte. Daran erinnert er sie nun und erzählt ihr von Hanni, dem Mädchen, mit dem er in Greifswald mehr als ein Jahr lang glücklich zusammen war.

Wir waren sogar öffentlich verlobt. Und dann kam der große Umschwung in Deutschland vor 2 Jahren. Da verbot mir der Vater des Mädels jeden Verkehr. Doch das Mädel sagte, es wolle stets zu mir halten. Und doch hat es schon seit über einem halben Jahr nicht mehr geschrieben und vorher auch so wenig, und ich hörte, daß es im Herbst einen anderen heiraten wolle. Und doch weiß ich, daß es mich noch gerne hat. Auch ich war ihm ganz treu geblieben, bis ich dann auf einmal einen blonden Pudel aus Schweden traf.

Ingeborg Magnusson ist zwei Jahre älter als Rudolf Kaufmann, achtundzwanzig. Sie arbeitet in Stockholm bei einer Versicherung. Lieber wäre sie in die Werbebranche gegangen oder Dolmetscherin geworden. Aber Stellen waren während der Depressionszeit auch in Schweden knapp. Da konnte sie froh sein, überhaupt etwas zu finden. Deutsch spricht und schreibt sie fließend, auch Italienisch und Englisch. Sie schickt Rudolf Kaufmann ein Paket mit Büchern nach Bologna, und sogleich nimmt er sich vor, sein Schwedisch zu verbessern. Grundkenntnisse besitzt er schon. Mehrmals ist er im Laufe der Jahre in Schweden gewesen, auch für längere Zeit, hat dort geforscht und gegraben. Die Trilobiten, deren Evolution er in seiner Doktorarbeit untersucht hat, stammen aus einem Alaunschieferbruch in Schonen, wo er sie eigenhändig eingesammelt, gemessen und verglichen hat. Wenn er mit Inge einmal wieder zusammen sein werde, wolle er nur noch Schwedisch mit ihr sprechen, erklärt er ihr. Bis dahin jedoch schreiben sie einander meistens in deutsch.

Hin und wieder mischt Rudolf Kaufmann auch ein paar italienische Wörter in seine Briefe – Andeutungen, die nicht jeder, der da womöglich mitliest, verstehen soll. Klangvolle Zärtlichkeiten in der Sprache des Landes, in dem sie sich kennenlernten, oder Bemerkungen, die er, nachdem er den Briefumschlag schon verschlossen hat, noch rasch auf die Rückseite kritzelt: Chiusa con baci – und ein andermal, auf ein ziemlich zerknittertes Kuvert: Ti ho troppo abbraciato, per questo è cosi maltrattata questa lettera! – Ich habe Dich zu sehr umarmt, deshalb ist dieser Brief so mißhandelt.