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Der Wind fegt über das Deck und durch Lisyphias Haar. Er reißt die glitzernden Haarklammern und den letzten Schmuck heraus. Die salznasse Meeresluft spritz ihr ins Gesicht. Ein stürmischer Tag auf dem Kreuzfahrtschiff, das gerade sinkt. Ihr Kontrabass bekommt keinen Platz im Rettungsboot. Im Chaos bewahrt Lisyphia ihre Ruhe. Sie spielt weiter. Allein. Soll sie ihren Bass aufgeben und sich selbst retten? Eine elektrisierende, fantastische Gestaltwandler-Geschichte. Eine Entscheidung nicht nur ihr ganzes Leben verändern wird.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Der Wind fegte durch Lisyphias Haare und riss die glitzernden Haarklammern und den letzten Schmuck schmerzhaft heraus. Die salznasse Luft spritze ihr ins Gesicht. Tropfen trommelten auf die hölzerne Oberfläche ihres Kontrabasses, der an ihrer linken Seite lehnte. Ihr Arm lag locker um den Hals des Instrumentes. Das warme, glatte Holz ein tröstlicher Anker in dem Chaos um sie herum. In ihrer rechten Hand hielt sie den Bogen, locker und gleichzeitig fest, so wie sie es seit Jahre geübt hatte. Ihr Arm hing herab. Sie war bereit. Bereit für ihren Einsatz. Doch statt zu spielen und die Gäste auf dem Kreuzfahrtschiff zu unterhalten, stand sie in ihren hohen Schuhen und dem dünnen Trägerkleid mitten auf dem oberen Deck.
Wasser war ihr Untergang. Auch, wenn sie ihr Leben lang davon fasziniert gewesen war. Die gesamten achtzehn Jahre, die sie auf dieser Erde bisher verbracht hatte. Und ausgerechnet heute, an ihrem Geburtstag durfte sie dem Meer keine Musik darbieten. Dabei arbeitete sie seit Jahren in den Ferien auf den Kreuzfahrtschiffen und an den Wochenenden auf den kleineren Ausflugsbooten.
Entgegen jeder Vernunft.
Salzwasser war die Zerstörung aller Kunst, die sie mehr liebte als ihr Leben. Der Holzkörper, getrocknet, geformt und lackiert konnte der Feuchtigkeit nicht standhalten. Dies war nicht der erste Kontrabass, der dadurch vorzeitig das Zeitliche segnen würde. Aber kein anderes Material klang so wunderbar voll und lag gleichzeitig so warm und lebendig unter ihren Fingern.
Die offene Frage des Augenblicks war es, ob es das letzte Instrument war, dass sie ihrer Sehnsucht nach dem Wasser opfern würde.
Die Küste, von der sie Stunden zuvor abgefahren waren, lag zu weit entfernt, um es mit dem großen Schiff rechtzeitig zurückzuschaffen. Besonders nicht durch den Sturm, der an ihren Haaren riss und den Saum ihres Kleides aufbauschte.