Kopfkissenbuch - Sei Shonagon - E-Book

Kopfkissenbuch E-Book

Sei Shonagon

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Beschreibung

Eine poetische Zeitreise an den japanischen Kaiserhof des Jahres 1000

Ein Bündel edlen Papiers diente Sei Shonagon vor tausend Jahren als Notizbuch. Ihm vertraute sie an, was ihr durch den Kopf ging, darunter Vertrauliches und Delikates aus den Privatgemächern des Kaiserpalasts. Ob sie geistreiche Zwiegespräche schildert, ein intimes Tête-à-Tête oder das Schwertlilienfest ausmalt – ihre Impressionen wirken wie mit dem Tuschepinsel hingetupfte Ewigkeitsbilder. Nie hat man eine Frau inspirierter über sich und ihre Welt plaudern hören!

Sei Shonagons «Telegramme» aus einer sagenhaften Hochkultur gewähren tiefe Einblicke in das Japan der Heian-Zeit wie auch ins Seelenleben der Verfasserin selbst. Ihr radikal subjektives Bekenntnisbuch, erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt und dabei von aller falschen Süßlichkeit befreit, bezaubert durch seinen klaren, ungekünstelten Ton. Freizügig stellt hier eine kluge, selbstbewusste Frau Weltbewegendes neben scheinbar Banales, spricht über Mode oder Galanterie und entlarvt mit spitzer Feder das Intrigenspiel bei Hofe. Aus kritischer Halbdistanz zu den Mächtigen zeigt sie das Treiben einer müßiggängerischen Feudalkaste, die sich ihre Zeit mit Kalligraphie, Flötenspiel oder Fußball vertreibt. Und amüsiert erkennen wir heutigen Leser: Auch vor tausend Jahren gab es sie schon, die eitlen Parvenüs und Bonzen, Trendsetter und Stilikonen, Ästheten und Fashion-Victims.

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Seitenzahl: 624

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Sei Shōnagon

Kopfkissenbuch

Makura no Sōshi

Erstmals vollständig aus dem Japanischen übersetzt und neu herausgegeben von Michael Stein

Mit ausführlicher Kommentierung, Personenverzeichnis, Glossar, Nachwort und editorischer Notiz

MANESSE

INHALTSVERZEICHNIS

{In Klammern stehende Titel geben stichwortartig den Inhalt von Abschnitten ohne Überschrift wieder.}

1 {Jahreszeiten und ihre Stimmung}

2 Monate

3 {Unterschiedliche Ausdrucksweisen}

4 {Priester}

5 {Taira no Narimasa und das zu enge Tor}

6 {Der kaiserliche Hund Okinamaro}

7 {Doppelzahlfeste}

8 {Dankeszeremonie}

9 {Der groß gewachsene Sōzu Jōchō}

10 Berge

11 Märkte

12 Gipfel

13 Ebenen

14Schluchten

15 Seen

16 Kaisergräber

17 Fährstellen

18 Schwerter

19 Paläste

20 {Belesenheit und Dichtkunst}

21 {Frauen im Hofdienst}

22 Was mit den Erwartungen nicht im Einklang steht

23 Womit man sich Zeit lässt

24 Wer ausgelacht wird

25 Unausstehliches

26 Was mein Herz anrührt

27 Vergangenes, das mich wehmütig stimmt

28 Wobei ich mich wohlfühle

29 {Langsame und schnelle Wagen}

30 {Hofkämmerer bei buddhistischen Vortragsreihen}

31 {Ein Aufenthalt im Tempel Bodaiji}

32 {Kurzbesuch einer buddhistischen Vortragsreihe bei Sommerhitze}

33 {Von nächtlichem Damenbesuch zurückkehrende Hofleute}

34 Baumblüten

35 Weiher

36 {Schwertlilienfest}

37 Bäume, die nicht schön blühen

38 Vögel

39 Vornehme Dinge

40 Insekten

41 {Ein Mittagsschläfchen ist angenehm}

42 Unpassendes

43 {Sympathische und unsympathische Dienstboten}

44 {Für junge Mädchen geeignete Dienststellen}

45 {Für junge Männer geeignete Dienststellen}

46 {Freund Yukinari und die «hässliche» Sei Shōnagon}

47 Pferde

48 Rinder

49 Katzen

50 Bedienstete und Gefolgsleute

51 Pagen im Hofdienst

52 Rinderburschen

53 {Namensappell und die Schuhe des Masahiro}

54 {Ein Mann von Stand soll Zofen nicht beim Namen rufen}

55 {Wer gerne mollig sein darf}

56 {Kleine Kinder}

57 {Die Würde eines Adelshaushalts}

58 Wasserfälle

59 Flüsse

60 {Geschickte und ungeschickte Liebhaber}

61 Brücken

62 Weiler

63 Kräuter

64 Blumen

65 Gedichtsammlungen

66 Gedichtthemen

67 Bange Gefühle

68 Gegensätzliches

69 {Die Rufe von Krähen und Hähnen im Winter}

70 {Gefolgsleute mit schlechten Manieren}

71 Was es leider nur selten gibt

72 {Freuden im Hofdienst}

73 {Ein Spaziergang im Morgengrauen}

74 Widersinniges

75 Wer Stolz empfindet

76 {Ein schreckliches Höllenbild und ein schönes Konzert}

77 {Ein gelungenes Gedicht bringt Versöhnung; Norimitsu freut sich}

78 {Besuch von Tadanobu und ein Streitgespräch über Literatur}

79 {Ein längerer Heimatbesuch; Norimitsu mag keine Dichtung}

80 Was von Leiden kündet

81 {Scherzhafter Briefwechsel mit der Kaiserin}

82 {Eine Bettlerin und die Schneeberg-Wette}

83 Großartiges

84 Elegantes

85 {Gosechi-Fest und Omi-Tracht}

86 {Elegante junge Männer}

87 {Proben zum Gosechi-Tanz}

88 {Instrumente mit seltsamen Namen}

89 {Anmutige Haltung der Kaiserin mit Biwa}

90 Worüber ich mich totärgern könnte

91 Peinliches

92 Was mich erschreckt

93 Enttäuschendes

94 {Ausflug zur Nachtigall und verhinderte Dichtkunst}

95 {Biwa und Herbstmond}

96 {Immer an erster Stelle}

97 {Ein ganz besonderer Fächer}

98 {Witz und Originalität; Herr Nobutsune ist beleidigt}

99 {Familientreffen des Regenten Michitaka}

100 {Ein Gedicht zu einem welken Pflaumenzweig

101 {Ein Gedicht zu Kälte, Schnee und Frühling}

102 Was endlos dauert

103 {Masahiro wird zum Gespött}

104 Was nicht gut aussieht

105 Was auszusprechen schwer fällt

106 Wegsperren

107 Wälder

108 Ebenen

109 {Eine Flusslandschaft erinnert an Gedichte und Gemälde}

110 Was sich anders als sonst anhört

111 Was auf Bildern der Wirklichkeit nicht gleichkommt

112 Was auf Bildern die Wirklichkeit übertrifft

113 {Winter und Sommer}

114 Was mir zu Herzen geht

115 {Pilgerfahrt und Aufenthalt im Tempel Kiyomizudera}

116 Was ich nicht ausstehen kann

117 Was einen trostlosen Anblick bietet

118 Was den Eindruck von Hitze vermittelt

119 Was zum Schämen Anlass gibt

120 Was würdelos aussieht

121 Sūtra-Lesungen

122 Peinliches

123 {Rücktritt des Regenten Michitaka und Hochmut des Michinaga}

124 {Herbsttau auf Buschklee-Sträuchern}

125 {Kinder haben Unkraut gepflückt}

126 {Ein Scherz; Eigenlob stinkt}

127 {Das Geplapper der Hofdamen}

128 {Tadanobus Avancen}

129 {Der Hahnenschrei; launiger Briefwechsel mit Yukinari}

130 {Störenfriede, Zierbambus, Geistreiches}

131 {Die Hofdame Tōsammi wird vom Kaiser geneckt}

132 Frustrierendes

133 Was bei Langeweile Zerstreuung bringt

134 Woran ich nichts Gutes finden kann

135 {Reiz der außerordentlichen Schreinfeste}

136 {Längerer Heimataufenthalt und ein Ratespiel am Kaiserhof}

137 {Kinder schneiden sich Gerten ab}

138 {Ein siegesgewisser Suguroku-Spieler}

139 {Standesunterschiede zeigen sich auch beim Brettspiel}

140 Was mir Furcht einflößt

141 Was rein wirkt

142 Was jämmerlich wirkt

143 Was mir banges Herzklopfen bereitet

144 Liebreizendes

145 Wer sich vor anderen Leuten aufspielt

146 Dinge mit furchterregenden Namen

147 Dinge, die nicht sonderlich auffallen, beim Schreiben aber erheblichen Aufwand erfordern

148 Was abstoßend wirkt

149 Wann unbedeutende Leute ihren großen Auftritt haben

150 Wer große Mühe hat

151 Was mich neidisch macht

152 Was man schnell erfahren möchte

153 Was die Geduld auf eine harte Probe stellt

154 {Tadanobu und sein Freund Nobukata}

155 {Der verärgerte Nobukata}

156 Was einst großartig war, heute aber nutzlos ist

157 Was selten gut ausgeht

158 Sūtra-Lesungen

159 Was nah und doch fern ist

160 Was fern und doch nah ist

161 Brunnen

162 Gefilde

163 Großwürdenträger

164 Junge Hofadlige hohen Standes

165 Provinzgouverneure

166 Außerordentliche Gouverneure

167 Behördenleiter

168 Buddhistische Priester

169 Damen

170 {Hofkämmerer sollten standesgemäß wohnen}

171 {Ein Haus, in dem eine Dame allein wohnt}

172 {Lästige Besucher im Elternhaus und eine Dame mit Perücke}

173 {Die ideale Stimmung einer Schneenacht}

174 {Ein geistreicher Hofkämmerer zu Zeiten von Kaiser Murakami}

175 {Eine Kammerzofe bastelt für den Kaiser eine Puppe}

176 {Reminiszenzen an den Beginn der Dienstzeit am Kaiserhof; fatales Niesen}

177 Wer stolz sein kann

178 {Vorzüge der Rangordnung}

179 {Die Macht des Ehemanns einer Ziehmutter}

180 Krankheiten

181 {Ein vorbildlicher Mann am Morgen nach dem Besuch bei der Liebsten}

182 {Die Freude über einen Brief}

183 {Eine vorbildliche Zofe beim Besuch des Liebsten ihrer Herrin}

184 {Gesang im Morgengrauen}

185 {Kritik am nachlässigen Gebrauch der Sprache}

186 {Bei der Liebsten speisen; Verstöße gegen die Etikette}

187 Wind

188 {Eine adlige Dame am Tag nach einem Taifun}

189 Was ich schön finde

190 Inseln

191 Strände

192 Buchten

193 Wälder

194 Tempel

195 Sūtras

196 Buddha-Statuen

197 Schriften

198 Erzählungen

199 {Dhāran.ī und Sūtras}

200 {Musizieren}

201 Spiele

202 Tänze

203 Saiteninstrumente

204 Flöten

205 Was man sich anschauen sollte

206 {Ein vergnüglicher Ausflug in die Berge}

207 {Bei «Wagen» fällt mir ein …}

208 {Arbeiter schneiden Schwertlilien für das Fest}

209 {Reispflanzerinnen bei der Arbeit}

210 {Reisernte-Impression}

211 {Mondschein bei der Übernachtung in einer ärmlichen Hütte}

212 {Duft von Brennholz aus den Wohnhäusern beim Tempel Kiyomizudera}

213 {Auch vertrocknete Schwertlilien duften noch}

214 {Asche im Räuchergefäß duftet vornehm}

215 {Eine Wagenfahrt durch Wasser bei Mondschein}

216 Was groß besser wirkt

217 Was besser kurz sein sollte

218 Was zu einem herrschaftlichen Haushalt passt

219 {Grobe Bedienstete}

220{Angemessene Kleidung bei Festen; Rangelei der Damenwagen}

221 {Das «durchnässte Gewand» und Regenschirm-Gedichte}

222 {Ein Gedicht der Kaiserin 1}

223 {Ein Gedicht der Kaiserin 2}

224 {Ein Gedicht der Kaiserin 3}

225 Reisestationen

226 Shintoistische Heiligtümer

227 {Der Kaiser spielt Flöte}

228 Wer den Eindruck erweckt, er sei unversehens zu einem Himmelswesen mutiert

229 {Die Farbenpracht der Hoftracht im Schnee}

230 {Hofleute auf Nachtwache}

231 Anhöhen

232 Niederschlag

233 {Fortsetzung Niederschlag}

234 Die Sonne

235 Der Mond

236 Die Sterne

237 Die Wolken

238 Was Lärm oder Aufregung verursacht

239 Was verkommen ist

240 Wer schmutzige Reden im Munde führt

241 Wer eine flinke Zunge hat

242 Was unaufhörlich weiterzieht

243 Was keine sonderliche Beachtung findet

244 {Kritik an schlechtem Briefstil}

245 Was schrecklich schmutzig ist

246 Was mich ungeheuer ängstigt

247 Was mir Zuversicht gibt

248 {Männern mangelt es an Fingerspitzengefühl}

249 {Das Glück, gemocht zu werden}

250 {Männer sind seltsame Wesen}

251 {Der Wert von mitfühlenden Worten}

252 {Über andere Leute schwatzen}

253 {Hübsche Gesichter}

254 {Wie sich ein linkischer Mann ankleidet}

255 {Hofdamen machen sich über die dicke Chūnagon lustig}

256 {Narinobu kann gut Stimmen unterscheiden}

257 {Masamitsus feines Gehör}

258 Was mich freut

259 {Die Kaiserin schickt Schreibpapier und ein Sitzkissen}

260 {Feier zur Stiftung von Sūtras an das Hausheiligtum von Michitaka}

261 Ehrwürdiges

262 {Lieder}

263 {Beinkleider}

264 {Ein Ausgehgewand}

265 {Ein Leibgewand}

266 {Winter- und Sommerkombinationen}

267 {Fächer aus Magnolienholz}

268 {Fächer aus Zypressenholz}

269 Gottheiten

270 Kaps

271 Dächer

272 {Das Verkünden der Stunden}

273 {Der Kaiser spielt nachts Flöte}

274 {Die Hofdame Hyōbu; männliche Tricks; Gedanken über den Regen und andere Assoziationen}

275 {Damen, die Liebesbriefe erhalten}

276 Was Glanz ausstrahlt

277 {Die Kaiserliche Gewittergarde}

278 {Stellwände}

279 {Heizbecken}

280 {Der Sinn eines Gedichts der Kaiserin}

281 {Ein Exorzist mit einem geschickten Assistenten}

282 {Austausch von Gedichten mit der Kaiserin}

283 {Reiz einer nächtlichen Wagenfahrt im Winter}

284 {Hofdamen auf Heimaturlaub}

285 Nachahmungen

286 Wobei man nicht unachtsam sein darf

287 {Vatermord aus Standesgründen}

288 {Ein Stegreifgedicht über Brennholz}

289 {Ein bewegendes Gedicht der Mutter des Narihira}

290 {Interesse an guten Gedichten}

291 {Von Gesindel möchte man nicht gelobt werden}

292 {Wenn Gardisten sich entkleiden, ist ihre Aura dahin}

293 {Korechikas schlagfertige Reaktion auf ein gackerndes Huhn}

294 {Hofdamen verspotten einen unglücklichen Knecht}

295 {Mitgefühl für Prinz Atsuyasu}

296 {Ein Stegreifgedicht 1}

297 {Ein Stegreifgedicht 2}

298 {Ein Stegreifgedicht 3}

299 Was nachts besser zur Wirkung kommt

300 Was bei Lampenschein schlechter zur Wirkung kommt

301 Was sich unangenehm anhört

302 Was in der Schrift wohl einen Sinn haben muss, der mir aber nicht einleuchtet

303 Was schön aussieht, unter der Oberfläche aber stets schmutzig ist

304 Übergewandung für Frauen

305 Gewänder chinesischer Machart

306 Schleppen

307 Übergewänder aus Seidenflor

308 Seidenstoffe

309 Walkmuster

310 Usuyō-Papier, gefärbtes Papier

311 Kästen für Tuschreibsteine

312 Pinsel

313 Tusche

314 Muscheln

315 Kammkästen

316 Spiegel

317 Lackbilder

318 Heizbecken

319 Tatami

320 {Schnelle und langsame Wagen}

321 {Ein gelungener Exorzismus}

322 Wo man als Palastdame Dienst tun kann

323 {Mondlicht in verwilderten Gärten}

324 {Gemeines Volk bei einer Wallfahrt}

325 {Pech und Glück beim Ausleihen fremder Wagen}

[Nachschrift]

Nachwort

Glossar

Personenverzeichnis

Editorische Notiz

Danksagung

Anmerkungen

1

Im Frühling liebe ich die Morgendämmerung, wenn das Licht allmählich wiederkehrt, die Umrisse der Berge sich schwach vor dem hellen Himmel abzeichnen und schmale, rosa angehauchte Wolkenstreifen über sie hinwegziehen.

Im Sommer sind es die Nächte, besonders die Mondscheinnächte, die es mir angetan haben. Aber selbst die Finsternis hat ihren Reiz, wenn Glühwürmchen in großer Zahl umherschwirren. Wie hübsch der Anblick von einem oder zweien, die sich mit schwachem Glimmen bewegen! Regennächte sind ebenfalls stimmungsvoll.

Im Herbst ist es die Abendstunde, wenn die noch kräftige Abendsonne sich immer mehr den Berggipfeln nähert und die Krähen ihren Schlafplätzen zustreben, drei, vier … und da noch zwei, und dort wieder drei … Wie eilig sie heimfliegen, ein bewegender Anblick! Entzückend ist auch, wenn Wildgänse in Formation winzig klein in der Ferne dahinziehen. Und dazu natürlich noch der sachte Windhauch nach Sonnenuntergang und das Zirpen der Grillen!

Im Winter mag ich den frühen Morgen. Vor allem, wenn Schnee gefallen ist oder Raureif alles weiß verziert. Aber auch, wenn einfach nur grimmige Kälte herrscht, gehört zu einem Wintermorgen der Anblick von Leuten, die geschäftig Feuer machen und Kohleglut in alle Gemächer bringen. Gegen Mittag, während die Kälte allmählich weicht, zerfällt die Glut im Heizbecken zu weißer Asche, was freilich nicht sonderlich schön aussieht.

2

Monate

Der Neujahrsmonat, der dritte, vierte, fünfte, siebte, achte, neunte, elfte und zwölfte Monat. Im Jahresablauf haben alle Monate, jeder zu seiner Zeit, durchaus ihren eigenen Reiz.

Der Neujahrsmonat

Der 1. Tag ist etwas ganz Besonderes. Der Himmel wölbt sich in Feiertagsruhe und ist wundervoll in Dunst gehüllt. Alle Menschen am Kaiserhof kleiden und schminken sich aufs Sorgfältigste, man wünscht dem Kaiser viel Glück im neuen Jahr und tauscht auch untereinander Glückwünsche aus. Wie herrlich, wenn alles einmal ganz anders ist als im Alltag!

Am 7. Tag werden zwischen den Überresten des Schnees junge Kräuter gepflückt. Ich mag den Anblick von Leuten, die freudig jubeln, wenn sie das frische Grün direkt bei Palastgebäuden finden, wo man es wahrhaftig nicht vermutet hätte.

Anlässlich der Präsentation des Aouma-Schimmels1 richten die Adligen ihre Wagen schmuck her und fahren in den Kaiserpalast, um das Ross zu besichtigen. Wenn die Wagen die Schwelle des mittleren Palasttores Taikenmon passieren, rumpeln sie so heftig, dass die Insassen mit ihren Köpfen aneinanderstoßen, die Steckkämme der Damen zu Boden fallen und, sofern man nicht achtgibt, zerbrechen. Das Gelächter dabei, welch ein Spaß!

Nahe der Torwache zur Linken2 stehen privilegierte Hofleute in Gruppen beisammen, die scherzhaft nach den Bögen unserer Gardisten greifen und die Pferde mit ihrem lauten Gelächter scheu machen.

Durch das Tor Senyōmon erhascht der Blick die Jalousien vor einem Palastgebäude, wo Palastdamen und Bedienstete des Amtes für die persönlichen Obliegenheiten des Kaisers zugange sind — ein wundervolles Bild.

‹Was sind das für begnadete Leute, denen es vergönnt ist, im Innersten des kaiserlichen Palastes ein- und auszugehen!›, geht es mir neidvoll durch den Sinn.3 Dabei ist von diesem innersten Bezirk nur ein schmaler Ausschnitt zu erblicken!

Auf den Gesichtern der Reiter unserer Eskorte schimmert die Haut arg dunkel durch die scheckige Schminke4 hindurch, und wo das Bleiweiß verwischt ist, gleicht es den braunen Erdflecken zwischen schmelzenden Schneeresten. Es sieht schauderhaft aus. Als wir bemerkten, dass die Pferde scheuten, erschraken wir sehr und zogen uns in den hintersten Winkel des Wagens zurück; deshalb konnte ich nicht so gut erkennen, was draußen vor sich ging.

Am 8. Tag gefällt mir, dass mehr Wagenlärm als sonst zu hören ist, weil die Hofleute voller Freude ausfahren.5

Am 15. Tag serviert man dem Hausherrn einen Reisbrei als Festspeise. Die Frauen und Mädchen im Haushalt nehmen heimlich die Rührhölzer aus den Töpfen an sich und lauern auf die Gelegenheit zu einem Streich,6 sind aber sehr auf der Hut, um nicht selbst einen Klaps einzustecken. Es ist so lustig anzuschauen, wie eine jede immerfort darauf achtet, dass niemand hinter sie gelangt! Und wenn es eine trotzdem so geschickt anstellt, einen Klaps auszuteilen, bricht ein lautes Gejohle los, und alle lachen vergnügt in höchst ausgelassener Stimmung. Klar, dass die Getroffene sich darüber ärgert!

Wenn ein junger Edelmann, der erst seit Kurzem mit einer Dame verbunden ist, im Palast zu Besuch weilt, wittern die Bediensteten ihre Chance. Eine Zofe im Haus, die sich etwas herauszunehmen traut, lauert im Hintergrund auf eine günstige Gelegenheit, was eine andere, die dem jungen Herrn aufwartet, bemerkt und auflacht. Die Zofe im Hintergrund bedeutet ihr mit einer Geste, still zu sein, während die junge Dame mit der formvollendeten Verabschiedung ihres Liebsten beschäftigt ist und nicht ahnt, was die Zofe im Schilde führt.

«Lassen Sie mich dies hier überreichen», sagt die Zofe, tritt unter diesem Vorwand heran, versetzt der Dame einen Klaps und saust dann davon. Alles bricht in schallendes Gelächter aus. Da auch der junge Mann herzlich mitlacht, ohne den Streich übel zu nehmen, geniert sich die junge Dame nicht allzu sehr, sondern errötet nur ein wenig, was ich höchst charmant finde.

Im Scherz versetzen die Zofen einander Klapse, ja selbst der junge Herr mag manchen leichten Hieb abbekommen. Interessant wird es, wenn sie im Übermut zu weit gehen, sodass eine anfängt zu weinen, eine andere zornig wird, wobei sie einander beschimpfen oder gar ungehörige Ausdrücke in den Mund nehmen. Auch an einem so erhabenen Ort wie dem Kaiserpalast benehmen sich an diesem Festtag alle Hofleute ungezwungen und geben ihre höfische Zurückhaltung auf.

Anlässlich der Jimoku-Feiern ist die Stimmung bei Hofe wiederum ganz anders geartet. Da mag es schneien oder klirrend kalt sein, die Hofleute laufen geschäftig mit ihren Gesuchen umher. Es geht schon in Ordnung, dass junge Männer im 4. oder 5. Rang einen gesunden Ehrgeiz an den Tag legen. Die älteren, grauhaarigen Herren hingegen vertrauen eher auf weibliche Fürsprache. Sie drehen die Runde durch die Wohngemächer der Hofdamen und setzen ihnen mit großem Eifer auseinander, was für ausnehmend fähige Leute sie doch seien. Dass die jungen Damen ihre Redensarten nachäffen und sich über sie lustig machen, dürften die wenigsten von ihnen je erfahren. «Empfehlen Sie mich bitte gnädigst seiner Kaiserlichen Hoheit!» oder «Richten Sie bitte der durchlauchten Kaiserin meine untertänigste Ehrerbietung aus!», lauten ihre Floskeln, und denjenigen, die das erstrebte Amt ergattern, ist das Glück hold gewesen, während mir diejenigen, die am Ende leer ausgehen, wirklich leidtun.

Der 3. Monat

Zum Doppeldrei-Fest am 3. Tag passt ein stiller, sonniger Frühlingstag am besten.

Es ist genau die Zeit, in der die Pfirsichbäume zu blühen beginnen. Und dazu der herrliche Anblick der Weiden, deren Blätter noch in dicken Knospenkokons schlummern! Voll entfaltet sehen Weidenblätter nicht mehr so hübsch aus.

Eine besondere Freude ist es, einen langen Zweig der prachtvoll blühenden Kirschen zu brechen und in eine große Vase zu stellen. Wenn sich dann Besucher oder Großwürdenträger wie die Brüder der Kaiserin, in Gewänder in Kirschblütenkombination mit dazu passendem, längerem Untergewand gekleidet, daneben niederlassen und freundlich mit uns plaudern, bin ich sehr glücklich.

Der 4. Monat

Die Zeit des Kamo-Schreinfests ist einfach wundervoll. Alle hochrangigen Adligen und Hofleute tragen über den weißen Untergewändern einheitliche Übergewänder, die sich nur im helleren oder dunkleren Farbton unterscheiden. Das wirkt frühlingshaft.

Das Laub der Bäume wuchert nicht so üppig wie im Hochsommer, sondern wirkt noch ganz zart; der Himmel, den weder Dunst noch Nebel trübt, hat vielleicht nichts Großartiges an sich und stimmt dennoch heiter.

Um diese Zeit lässt sich mitunter, zur leicht bewölkten Abendstunde oder zur anbrechenden Nacht, der erste noch zaghafte Ruf der Nachtigall vernehmen, so schwach und aus solcher Ferne, dass man meinen könnte, man habe sich verhört. Ist das nicht ein herrliches Erlebnis?

Wenn das Kamo-Fest näher rückt, sieht man allerorten Leute, die ockerfarbene oder blaupurpurne Seidenstoffe zusammenrollen und diese, nur der Form halber mit Papier verhüllt, emsig hin- und hertragen.7 Die schattiert oder abgestuft eingefärbten Stoffe wirken in dieser Zeit prachtvoller als sonst. Den Kindern wäscht man schon vorher die Haare; sie bekommen festliche Frisuren, laufen aber noch in Alltagskleidung umher, darunter auch einige mit aufgeplatzten Nähten oder losen Fäden. Sie bringen eilig ihre Sandalen und anderes Schuhwerk und drängeln: «Lass mir neue Lederriemen einsetzen, lass mir die Holzstege festklopfen!»

Es gehört zur schönen festlichen Stimmung, wie alle Welt aus Vorfreude übereifrig mit Vorbereitungen befasst ist. Selbst Kinder, die sonst ungezogen herumspringen, schreiten am Tag der Feier, in Festtracht gekleidet und fein herausgeputzt, so würdevoll einher wie die Priester bei einem Trauerritual. Es ist rührend anzusehen, wie jedem von ihnen die Mutter, Tanten oder ältere Schwestern hinterdreinlaufen und ihnen unablässig die Haare richten oder die Gewänder zurechtzupfen.

Manch einer, der den Wunsch hegt, in der Kaiserlichen Kammerbehörde eingestellt zu werden, vorerst aber keine Aussicht auf eine solche Bestallung hat, legt an diesem Festtag blaue Gewandung an8 und wünscht sich dabei, bei den nächsten Ernennungen nicht übergangen zu werden. Zu bedauerlich, wenn die blaue Seide nicht zum Glänzen kommt!9

3

Auch wenn zwei Personen genau das Gleiche sagen, kann es je nach Sprecher völlig unterschiedlich klingen: in der Sprache von Priestern, in der Ausdrucksweise von Männern oder in derjenigen von Frauen.

Wenn Ungebildete sprechen, machen sie garantiert zu viele Worte.

4

Wollen Eltern ihren geliebten Sohn zum Priester machen, ist dieser wirklich zu bedauern. Und zwar deshalb, weil die Menschen einen Priester leider bestenfalls wie ein Stück Holz oder dergleichen ansehen. Priester essen abscheuliche vegetarische Kost,10 und darüber, dass sie gern mal ein Nickerchen halten, wird ebenfalls häufig gelästert. Wie ist es nur möglich, dass junge Männer, die doch sonst immer hinter den Frauen her sind, als Priester plötzlich einen extragroßen Bogen um Damengemächer schlagen und nicht einmal hineinzuspähen versuchen?

Und erst die asketischen Eremiten, sie wirken noch weit jämmerlicher! Wenn sie vor lauter Mühsal11 einmal einnicken, wird ihnen gehässig nachgesagt, sie täten nichts, als immer nur zu schlafen. Nur Entbehrungen und üble Nachrede, wie mag ihnen da zumute sein?

Na ja, so war es vielleicht früher einmal. Heutzutage sollen sie sich das Leben erheblich angenehmer machen.

5

Als die Kaiserin den Wohnpalast des Oberkämmerers Taira no Narimasa aufsuchte,12 hatte er dafür eigens das Osttor seines Anwesens so großartig erweitern lassen, dass die Sänfte der Kaiserin durch dieses Tor hineingelangen konnte. Die Wagen ihrer Hofdamen sollten durch das Nordtor einfahren. Wir hatten gemeint, dass wir in unsere Wohnräume gelangen könnten, ehe die Kaiserliche Garde vor dem Anwesen aufzöge, weshalb einige von uns keine besonderen Vorkehrungen getroffen hatten, sondern unfrisiert und nur nachlässig geschminkt mitfuhren in der Annahme, sie könnten ohnehin aus dem Wagen direkt ins Hausinnere schlüpfen.13 Für unsere Prunkwagen war das Nordtor jedoch zu eng — sie passten nicht hindurch! Wie in solchen Fällen üblich, wurde ein Weg aus Bambusgrasmatten quer durch den Garten gelegt, und wir mussten aussteigen. So misslich und peinlich das auch war, uns blieb keine andere Wahl. Am Wachhaus standen Hofleute und einfache Leute aus der Stadt und starrten uns an; es war einfach zu ärgerlich!

Als ich der Kaiserin aufwartete und ihr schilderte, was uns widerfahren war, lachte sie und sprach: «In diesem fremden Palast lässt es sich nicht vermeiden, dass man von Fremden erblickt wird. Wie konntet ihr nur so nachlässig sein?»

«Aber in diesem Flügel wohnen doch eigentlich nur Personen, mit denen wir engstens vertraut sind. Die würden sich im Gegenteil wundern, wenn wir uns allzu sorgfältig herausgeputzt hätten.»

‹Dass ein Palast, der eine Persönlichkeit wie die Kaiserin aufnehmen soll, Tore hat, durch die noch nicht einmal unsere Wagen passen! Wenn der Hausherr hier erscheint, werde ich’s ihm ein wenig unter die Nase reiben!›, nahm ich mir vor.14

Kaum hatte ich diesen Vorsatz gefasst, kam er auch schon herbei und reichte für die Kaiserin ein Tablett voller Speisen durch die Vorhänge.

«Wenn Ihr geruhen möchtet, davon zu kosten …»

«Also, Sie sind mir ja ein recht anspruchsloser Mensch!», sagte ich, «und wenn Sie mich nach dem Grund fragen, dann behaupte ich, dass Sie mit einer Residenz vorliebnehmen, deren Tore ziemlich schmal gezimmert sind.»

Er scherzte: «Mein Wohnsitz soll ja nicht großartiger sein als meine Stellung bei Hofe.»

«Bei manchen Leuten sind nur die Tore riesig groß, nicht wahr?»

«Oh, Sie kennen sich ja gut aus! Sie meinen gewiss Yu Dingguo, auf den dies ganz besonders zutraf»,15 erwiderte er verwundert. «Wer kein Zögling des Amts für Klassische Literatur war, dürfte diese Geschichte eigentlich gar nicht kennen. Ich weiß nur deshalb darüber ein wenig Bescheid, weil ich diese Laufbahn beschritten habe.»

«Ach ja, Ihre Laufbahn … Die war auch nicht sonderlich großartig. Bambusgrasmatten am Boden, so holperig, dass wir unsere liebe Mühe damit hatten!»

«Das lag sicherlich daran, dass es zuvor geregnet hat. Aber lassen wir es gut sein. Sie beabsichtigen offenbar, mich zu ärgern. Ich gestatte mir, mich zurückzuziehen.»

Nachdem er gegangen war, fragte die Kaiserin: «Was hast du ihm denn gesagt, dass Narimasa so kleinlaut war?»

«Nichts Besonderes. Ich habe ihm nur erzählt, dass unsere Wagen nicht durchs Tor gepasst haben», antwortete ich und begab mich dann in mein Gemach. Die jungen Damen, die mit mir das Zimmer teilten, waren noch sehr unerfahren, und weil sie alle müde waren, legten wir uns zur Ruhe.

Unser Zimmer war das westlichste im Ostflügel des Palastes. Die Schiebetüren auf dessen Nordseite waren nicht verriegelt. Nicht einmal hierauf hatten die jungen Damen geachtet. Als Hausherr wusste Narimasa natürlich Bescheid und hatte sie unverriegelt gelassen. Jedenfalls weckte mich auf einmal eine merkwürdige, heisere Stimme.

«Darf ich Ihnen einen Besuch abstatten? Erlauben Sie bitte …», wisperte es mehrmals.

Überrascht blickte ich auf. Im Schein des Lampenständers jenseits unserer Vorhänge war eine Gestalt zu sehen: Es war Narimasa, der da gerufen hatte. Er hatte die Schiebetüren etwa fünf Sun aufgeschoben. Ich fand das sehr aufregend und stellte belustigt fest, dass Narimasa, der nicht gerade der Typ für galante Abenteuer ist, sich offenbar jetzt, da die Kaiserin in seinem Haus zu Gast weilte, zu verwegenen Taten ermutigt fühlte. Ich rüttelte die neben mir schlafende Dame wach und flüsterte: «Schau dir den da mal an. So einen hast du sicher noch nicht gesehen.»

Sie richtete sich auf, spähte hinaus und musste dann heftig kichern.

«Was haben Sie eigentlich hier zu suchen?», sagte ich laut. «So eine Dreistigkeit! Dies ist ein Damengemach!»

«Nein, nein, ich führe nichts Unschickliches im Schilde. Als Hausherr wollte ich nur etwas mit Ihnen besprechen.»

«Über das zu enge Palasttor hatten wir ja schon gesprochen. Ich wüsste nicht, dass ich Sie darum gebeten hätte, auch noch die Schiebetüren zu erweitern.»

«Ja, ja, gut, wir können auch über das Tor sprechen. Sie lassen mich doch ein, nicht wahr? Darf ich zu Ihnen hineinschlüpfen?»

Die inzwischen wachen Damen brachen in lautes Gelächter aus. «So verschlafen will ich aber nicht gesehen werden!»

«Will der etwa zu uns hereinkommen?»

Er schien das Gelächter gehört zu haben. «Oh, es sind noch andere Damen bei Ihnen!», sagte er, schob die Tür wieder zu und verschwand.

Kaum war er fort, prusteten wir los vor Lachen.

Wenn ein Mann schon die Frechheit besitzt, die Tür aufzuschieben, dann sollte er auch hereinkommen. Aber dann zu fragen, ob er eingelassen werde! Gibt es denn eine Frau, die da einfach «Ja, bitte sehr» sagt? Es ist wirklich lächerlich!

Am Morgen, als ich der Kaiserin aufwartete, berichtete ich ihr von der Begebenheit.

«Dass er zu solchen Scherzen aufgelegt ist, hätte ich ihm gar nicht zugetraut», meinte sie belustigt. «Das Streitgespräch mit dir gestern Abend muss seine Neugier geweckt haben. So ein Schelm! Und du hast ihm vermutlich gehörig den Kopf zurechtgerückt, dem Ärmsten!»

Als dann die Kaiserin anordnete, dem Mädchen, das der Prinzessin Nagako diente, ein neues Gewand fertigen zu lassen, fragte Narimasa: «Und in welcher Farbe wünscht Ihr den Überzieher16 zu dem Untergewand?»

Kein Wunder, dass die Damen da schon wieder losprusteten.

«Für die Speisen ihrer Hoheit der Prinzessin dürfte Gerätschaft der üblichen Größe gewiss unpassend sein. Ich werde ihr ein kleines Tablettele und ein Kindertischele17 bringen lassen!»

«Ja, ausgezeichnet, dann kann auch das Mädchen mit seinem Überzieher leichter davon speisen», bemerkte ich, während die Kaiserin ihm mit bewundernswertem Mitgefühl beisprang: «Also, jetzt lass es mal auf sich beruhen. Hör auf, dich über ihn lustig zu machen, und behandle ihn wie andere Leute auch. Schließlich gibt er sich alle Mühe, uns zu Diensten zu sein.»

Ein andermal, als ich gerade an der Seite der Kaiserin weilte, kam eine Zofe herbei und sagte zu mir: «Der Herr Oberkämmerer Narimasa lässt ausrichten, er habe für Sie eine dringende Nachricht.»

Zu meiner Erheiterung gab die Kaiserin zur Antwort: «Mit was für einem Unfug will er sich wohl jetzt wieder lächerlich machen? Geh hin und frag ihn, was er will!»

Ich verließ ihr Gemach, um mit ihm zu reden.

«In der Angelegenheit des Palasttores von gestern Abend habe ich meinem Bruder, dem Mittleren Staatsrat Taira no Korenaka, von Ihnen berichtet. Er zeigte sich daraufhin überaus interessiert und sagte: ‹Bei passender Gelegenheit möchte ich diese Dame unbedingt einmal kennenlernen und mich ausführlich mit ihr unterhalten.›»

Sonst hatte er mir nichts Besonderes mitzuteilen. Ich brannte darauf, ihn wegen des Vorfalls der vergangenen Nacht zur Rede zu stellen, aber er fügte nur noch hinzu, er wolle mich demnächst zu einem ausführlichen Gespräch aufsuchen, und machte dann kehrt. Also eilte ich zur Kaiserin zurück.

«Was wollte er denn nun?», erkundigte sie sich, und ich berichtete ihr, was er gesagt hatte.

«Was, wegen so einer Lappalie schickt er mich eigens, Sie von der Kaiserin fortzurufen?», sagte die Zofe lachend. «Das hätte er Ihnen auch sagen können, wenn Sie in Ihrem Zimmer sind und nicht hier aufwarten!»

«Nein, nein. Ihm ist das wirklich wichtig, denn er meint zweifellos, ihr eine Freude zu bereiten, wenn er ihr vom Lob seines Bruders berichtet, auf dessen hohe Stellung er sich eine Menge einbildet.» Diese verständnisvollen Worte der Kaiserin zeugten von ihrem wahrhaft edlen Charakter!

6

Der kaiserlichen Katze, die im Kaiserpalast in Diensten steht, ist ein Hofrang verliehen und der Titel einer «Hofdame im Palastdienst» zuerkannt worden.18 Weil sie sehr niedlich ist, geruht selbst der Kaiser, sie zu verwöhnen. Eines Tages spazierte sie aus dem Gemach hinaus auf die Balustrade und legte sich dort schlafen. Die zur Wärterin der Katze ernannte Muma rief: «Sie sind wirklich ungezogen! Hätten Sie bitte die Güte, sich ins Innere zu begeben!»

Das Kätzlein schlief aber im warmen Sonnenlicht behaglich weiter. Da rief Muma zur Drohung nach dem kaiserlichen Hofhund: «Okinamaro, wo bist du? Komm und beiß das Fräulein!»

‹Soll ich wirklich?›, dachte sich dieser raue Geselle offenbar und kam sogleich herbeigerannt. Das hochvornehme Fräulein Hofkatze bekam einen fürchterlichen Schrecken und geruhte, sich hinter die kaiserlichen Vorhänge zu retten. Dort war just der Kaiser zugegen und nahm gerade sein Frühstück ein. Er war überrascht, als er sein armes Kätzlein bemerkte, barg es auf dem Schoß und rief nach seinen Bediensteten. Es erschienen die Hofbeamten Tadataka und Narinaka19.

«Bestraft Okinamaro und schafft ihn auf die Hundeinsel20, und zwar sofort!»

Sogleich eilten etliche Leute aus dem Hofdienst herbei und fingen den Hund unter großem Geschrei ein. Auch der Wärterin Muma zürnte der Kaiser: «Ich werde eine andere mit der Betreuung der Katze beauftragen. Auf diese Muma kann man sich ja nicht verlassen.»

Muma wagte nicht mehr, ihm unter die Augen zu treten.

Der eingefangene Hund wurde von Gardisten der Takiguchi-Wache vom Kaiserhof entfernt.

«Der arme Hund!», sagten wir untereinander. «Immer ist er hier so stolz einherspaziert. Als der Hofsekretär und Direktor in der Kaiserlichen Kammerbehörde Fujiwara no Yukinari ihn zum Doppeldrei-Fest mit einem Kranz aus Weidenzweigen schmückte, ihm Pfirsichblüten am Kopf und Kirschblüten am Leib festband und ihn derart aufgeputzt umherlaufen ließ, da ahnte der gute Okinamaro sicher noch nicht, was ihm bald bevorstehen sollte.»

Mir tat er ja so leid. Ich sagte zur Kaiserin: «Wenn Ihr zu speisen geruhtet, hat er immer brav dagesessen und herübergeschaut, ob nicht etwas für ihn abfiele. Er fehlt mir so sehr.»

Wenige Tage später hörte man um die Mittagszeit einen Hund wie verrückt bellen. «Was mag das für ein Hund sein, der da so endlos kläfft?»

Alle Hunde im gesamten Palastbezirk liefen neugierig zusammen. Eine Frau vom Entsorgungsamt21 kam angerannt. «O weh, da verprügeln zwei Leute aus der Kaiserlichen Kammerbehörde einen Hund! Die werden ihn noch totschlagen! Sie sagen, der verbannte Hund sei zurückgekehrt, und jetzt wollen sie ihn bestrafen!», schrie sie.

Mir schnürte es die Brust zusammen. Das war unser Okinamaro!

«Tadataka und Sanefusa prügeln den Hund!», rief sie.

Noch während ich sie zurückschickte und anwies, den beiden Einhalt zu gebieten, verstummte das Jaulen endlich.

«Jetzt ist er tot. Sie haben ihn an der Palastwache zum Tor hinausgeworfen», meldete die Frau bei ihrer Rückkehr.

An diesem traurigen Abend humpelte ein übel zugerichteter, schmutziger Hund furchtsam und zitternd herbei.

‹Ob das unser Okinamaro ist?›, fragte ich mich, denn was für ein Hund sollte sich denn sonst hier herumtreiben?

«Okinamaro!», riefen die Hofdamen, aber der Hund reagierte nicht darauf.

«Ja, das ist er!», meinten die einen.

«Nein, er sieht ihm doch überhaupt nicht ähnlich», meinten die anderen.

«Die Kaiserliche Kammerzofe Ukon kennt ihn am besten. Ruft sie her!», befahl die Kaiserin. Man sandte nach ihr, und als sie eintraf, zeigte die Kaiserin ihr den Hund und fragte: «Ist das unser Okinamaro?»

«Er ähnelt ihm zwar, sieht aber allzu erbärmlich aus. Und wenn ich Okinamaro mit Namen rufe, kommt er doch immer freudig angelaufen. Aber der hier rührt sich nicht vom Fleck, wenn ich ihn rufe. Es muss ein anderer Hund sein. Man sagt, Okinamaro hätten sie totgeschlagen und vor die Palastmauern geworfen. Zu zweit haben sie auf ihn eingeprügelt, das überlebt kein Hund!»

Das stimmte auch die Kaiserin sehr traurig. Während es dämmerte, setzten wir dem Tier etwas zu fressen vor, aber da es nichts anrührte, kamen alle zu der Überzeugung, es müsse ein fremder Hund sein.

Am folgenden Morgen warteten wir der Kaiserin beim Frisieren und Kämmen auf; mich ließ sie den Spiegel22 halten. Während sie den Blick auf den Spiegel richtete, bemerkte ich, dass draußen, am Fuße eines Palastpfeilers, wahrhaftig noch immer der Hund kauerte. Ich konnte nicht anders, ich sagte halb zu mir selbst: «Das arme Tier. Gestern haben sie Okinamaro so schrecklich verprügelt, dass er jetzt tot sein wird, der Ärmste. In welcher Gestalt er wohl wiedergeboren werden wird? 23 Wie mag ihm zumute gewesen sein, als man ihn so elendiglich totgeschlagen hat!»

Da begann der Hund, der dort gesessen hatte, zu zittern, und zu unserer Verwunderung lief ihm eine Träne nach der anderen aus den Augen.

Es war also doch unser Okinamaro! Ich glaube, er hatte sich am Abend nur verstellt! Wie rührend! Und nicht nur das, auch eine derartige Klugheit ist höchst bewundernswert.

Nach dem Frisieren legte ich den Spiegel nieder. «Okinamaro, bist du’s?», rief ich, und er drehte sich auf den Bauch und bellte hocherfreut. Auch die Kaiserin war von ganzem Herzen froh. Sie ließ die Kammerzofe Ukon kommen und erzählte ihr, was sich zugetragen hatte. Nicht einmal dem Kaiser blieb verborgen, wie sehr wir uns alle freuten, und er erschien höchstpersönlich in den Gemächern der Kaiserin. «Solch eine Überraschung! Dass ein Hund so verständig sein kann!», sprach er verwundert. Einige Hofdamen des Kaisers waren voller Neugier mitgekommen, und als sie ihn riefen, sprang der Hund endlich auf.

«Nun wollen wir erst einmal seine Blessuren am Kopf versorgen lassen», meinte ich, und eine Dame sagte beglückt zu ihm: «Wie schön, dass du dich endlich als Okinamaro zu erkennen gegeben hast!»

Davon hörte auch Tadataka und rief laut von außerhalb des Anrichteraums24 her: «Ist es wahr, dass Okinamaro wieder zurück ist? Ich will ihn mir gleich einmal ansehen.»

«Bei uns haben Sie nichts zu suchen. Und Okinamaro ist auch nicht hier.»

«Na, ich werde ihn schon finden, da könnt ihr ihn noch so gut verstecken!»25

Daraufhin hob der Kaiser seinen Bannspruch auf, und Okinamaro wurde in Gnaden wieder aufgenommen.

Es ist unbeschreiblich rührend, wie er nun jedes Mal mit dem Schwanz wedelt und bellt, wenn man ein mitfühlendes Wort an ihn richtet. Doch Tränen vergießen bei solchen Worten eben nur Menschen.

7

Für das Neujahrs- und das Doppeldrei-Festist windstilles, sonniges Wetter ideal.

Zum Schwertlilienfest am 5. Tag des 5. Monats passt eher ein bewölkter Himmel.

Beim Tanabata-Fest am 7. Tag des 7. Monats darf es meinetwegen tagsüber bewölkt sein, aber lieb ist es mir, wenn es gegen Abend aufklart, damit der Mond hell leuchtet und man zahlreiche Sterne sieht.

Fällt beim Chrysanthemenfest am 9. Tag im 9. Monat schon von der Morgendämmerung an leichter Regen und werden die Wattetücher, mit denen die vom nächtlichen Tau vollgesogenen Chrysanthemen verhüllt sind, so richtig durchnässt, wirkt der Blütenduft, der auf die Tücher übergeht, umso intensiver. Ich mag es allerdings auch sehr, wenn es während der Nacht regnet und am Morgen aufhört, dann aber bewölkt bleibt und den Anschein hat, als könnte jeden Moment wieder ein heftiger Schauer niedergehen.

8

Die Zeremonie, mit der die beförderten Hofbeamten dem Kaiser ihren Dank und ihre Freude bezeugen, ist wundervoll. Alle reihen sich im Hofornat mit langer Schleppe vor dem Kaiserthron auf, vollführen eine tiefe Verbeugung und schwenken die Ärmel ihrer Gewänder,26 es sieht so ausnehmend prachtvoll aus!

9

Das Osttor des gegenwärtigen Kaiserpalastes wird in Anlehnung an den früheren Palast27 «die nördliche Wache» genannt. Unweit davon wächst ein hoher Eichbaum.

«Wie hoch mag er wohl sein?», fragten sich die Leute bei Hofe.

Der Vizekommandeur Minamoto no Narinobu scherzte: «Den Baum sollte man an der Wurzel fällen und in seiner vollen Länge dem Sōzu Jōchō als Zweigfächer verehren!»

Ebendieser wurde kurz darauf zum Aufseher über den Tempel Yamashinadera ernannt, und am Tag der Dankeszeremonie war auch Herr Narinobu als Vertreter des Amtes für die Hofgarde anwesend. Weil dieser Jōchō, ohnehin von großer Statur, überdies noch Holzsandalen mit hohen Stegen trug, wirkte er geradezu riesig. Nach der Zeremonie, als Jōchō gegangen war, fragte ich Herrn Narinobu: «Warum haben Sie ihm denn nicht den erwähnten Zweigfächer überreicht?»

«Sie haben ja ein gutes Gedächtnis!», erwiderte er lachend.

Mich amüsiert auch der Witz, kein noch so langes Übergewand sei lang genug, um dem Jōchō zu passen, und keine noch so kurze Jacke sei kurz genug, um dem Herrn Sukuse28 zu passen.

10

Berge29

Oguchiyama, Kaseyama, Mikasayama.

Der Berg des dunklen Forsts, der Berg des Nichtbetretens, der Berg des Unvergessenen, der Berg der Kiefernwipfel.

Und erst der «sich zurückziehende Berg»30, welche geheimnisvolle Bedeutung mag wohl darin liegen?

Der «Wann-wohl-Berg»31, der «Berg der Wiederkehr», der «Berg des späteren Wiedersehens». Interessant ist die Verwendung des Berges Asakurayama als Symbol der Entfremdung zwischen Menschen, die sich einstmals geliebt hatten!

Der Berg Ōhireyama ist auch hübsch. Mir fallen bei diesem Namen die Tänzer beim außerordentlichen Schreinfest ein.

Der Berg Miwayama, der «Berg der Opfergaben», der «Berg des ungeduldigen Wartens», die Berge Tamasakayama und Miminashiyama.

11

Märkte

Tatsu-Markt32, Sato-Markt, Tsuba-Markt.

Unter den zahllosen Märkten, die in der Provinz Yamato abgehalten werden, mag ich diesen besonders, denn er steht wohl mit der Gottheit der Barmherzigkeit in Verbindung. Alle Pilger auf dem Weg zum Heiligtum der Gottheit von Hasse übernachten in diesem Marktflecken.

Der Markt von Ofusa, der Markt von Shikama und der Markt von Asuka.

12

Gipfel

Yuzuruha-Gipfel, Amida-Gipfel, Iyataka-Gipfel.

13

Ebenen

Mika-Ebene, Ashita-Ebene, Sono-Ebene.

14

Schluchten

Ich wüsste gerne, welch ein Abgrund von Bosheit wohl durchschaut worden ist, dass man der «Schlucht der Schlauheit» diesen Namen gegeben hat.33 Und wer hat wohl wen mit dem Namen «Betrete-sie-nicht-Schlucht» warnen wollen?

Der Name «Blaue Schlucht» gefällt mir. Man könnte die Beamten der Kaiserlichen Kammerbehörde damit ausstaffieren.34

Kakure-Schlucht, Ina-Schlucht.

15

Seen

Der Süßwassersee35, die See von Yosa, die See an der Flussmündung36.

16

Kaisergräber

Ogurusu-Kaisergräber, Kashiwagi-Kaisergräber, Ame-Kaisergräber.

17

Fährstellen

Die Fähre von Shikasuga, die Fähre von Korizuma, die Fähre von Mizuhashi.

18

Schwerter

Am schönsten sind juwelengeschmückte Prachtstücke.

19

Paläste

Mir gefallen der Kaiserpalast mit seinen prachtvollen Toren, der Palast der Kaiserin in der Nijō-Straße sowie der ebenso prächtige Palast in der Ichijō-Straße.

Der Somedono-Palast, der Sekai-Palast, der Palast des Herrn Sugawara37, der Rensei-Palast, der Palast der Muße, der Suzaku-Palast, der Ononomiya-Prinzenpalast, der Palast der roten Pflaumenblüten, der Agata-Brunnen sowie die Residenzen Takesanjō, Kohachijō und Koichijō.

20

Im nordöstlichen Winkel der Seiryōden-Halle ist auf der Schiebewand, die den Eckraum zur Nordseite hin abschließt, eine wild bewegte See aufgemalt, mit furchterregenden, langarmigen und langbeinigen Ungeheuern.38 Weil die Kaiserin die Schiebetür zu ihrem Gemach stets offen ließ, hatten wir immerzu dieses Bild vor Augen und mokierten uns über dessen Scheußlichkeit.

Unterhalb des Geländers an der Balustrade hatte man eine große, blaue Vase aufgestellt, voller prachtvoll erblühter Kirschzweige, etwa fünf Shaku lang, sodass die Blüten bis über das Geländer hinaus nach außen reichten.

Um die Mittagszeit kam der Große Staatsrat Fujiwara no Korechika zu Besuch. Er trug ein leicht fadenscheiniges, geschmeidiges Übergewand in Kirschblütenkombination und tiefpurpurne, gerippt gewobene Beinkleider, während sein weißes Untergewand von einer Lage aus hochglänzendem, leuchtend rotem Seidenstoff gedeckt wurde.

Der Kaiser war gerade in diesem Palastflügel zugegen, weshalb Herr Korechika auf der schmalen Balustrade vor der Tür Platz nahm, um einige Worte mit der Kaiserin zu wechseln. Hinter den Vorhängen entledigten sich die Hofdamen der Kaiserin in aller Ruhe ihrer zeremoniellen Übergewänder in Kirschblütenkombination und ließen die Säume ihrer Gewandung, je nach Vorliebe in Glyzinien- oder Ginsterkombination gehalten, unter den Stellvorhängen39 zur Balustrade hin hervorschauen.40 Unterdessen hörte man das laute Getrappel der Bediensteten, die das Frühstück zur üblichen Tagesresidenz des Kaisers brachten. Auch Rufe wie «Vorsichtig!» und «Psssst, still!» waren zu vernehmen. Es passte wirklich bestens zu einem so stillen, angenehmen Frühlingstag.

Der Diener, der das letzte Tablett aufgetragen hatte, kam herbei und meldete, dass alles serviert sei, worauf sich der Kaiser durch die mittlere Schiebetür in seine eigenen Gemächer zurückzog. Herr Korechika, der ein Stück entfernt auf der Balustrade gewartet hatte, gab dem Kaiser ehrerbietig Geleit bis zu dessen Palastflügel und kam dann zu der erwähnten Vase mit den Kirschblütenzweigen zurück. Die Kaiserin schob ihren Vorhangständer beiseite und kam bis an den Rand der Balustrade heraus. Dieses geschwisterliche Einvernehmen bot einen so ergreifenden Anblick, dass sogar wir Hofdamen unsere Freude daran hatten.

«Die Tage und die Mondevergehen ohne Unterlass,doch ewig unverändert bleibtder Berg von Mimuro …»,41

begann Herr Korechika mit großer Inbrunst zu rezitieren. Es klang so wundervoll, dass ich mir wünschte, beider Glück möge tatsächlich ewig währen.42

Kaum riefen die Kammerzofen des Kaisers nach den Bediensteten, die das Frühstückstablett abtragen sollten, da kam auch schon wieder der Kaiser herbei.

«Reib mir meine Tusche!», befahl die Kaiserin, aber meine Augen waren vom prachtvollen Anblick von Kaiser und Kaiserin derart gebannt, dass ich nicht auf meine Hände achtete und mir beinahe das Tuschestück aus dem Tuschehalter herausgebrochen wäre.43 Die Kaiserin faltete ein Blatt weißes Zierpapier und sprach: «Ein jeder schreibe irgendein altes Gedicht darauf, das ihm gerade in den Sinn kommt!»44

Ich fragte Herrn Korechika, der auf der Balustrade saß, ob er beginnen wolle.

«Schreib schnell etwas darauf und zeig es ihr. In diesem Fall ist es unangebracht, dass ein Mann sich vorlaut einmischt», antwortete er und gab mir das Papier durch den Vorhang zurück. Die Kaiserin reichte uns die Tusche und forderte uns auf: «Los, schnell, nur nicht lange überlegen! Das Volkslied von Naniwa oder sonst irgendwas, was immer euch gerade einfällt!»

Derart bedrängt, war ich vollkommen verwirrt. Ich geriet in solche Verlegenheit, dass ich tief errötete.

Einige hochrangige Hofdamen brachten zwei oder drei Gedichte zu Papier, über den Frühling, über die Kirschblüten und derlei mehr, und dann lag das Papier wieder vor mir.

ENDE DER LESEPROBE

Titel der japanischen Ausgabe:

«Makura no Sōshi» (um 1000)

Einbandmotiv: Ogata Kōrin, «Pflaumenblüten» (1702), bemalter japanischer Fächer (Tusche und Farbe auf Goldpapier).

Copyright © 2015 by Manesse Verlag, Zürich, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München.

Diese Buchausgabe wurde von Katja von Ruville in Frankfurt aus der FF Seria von Martin Majoor und der Futura von Paul Renner gesetzt. Leineneinband und Schmuckschatulle gestaltete gleichfalls Katja von Ruville.E-Book-Herstellung: Uhl + Massopust, Aalen

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ISBN 978-3-641-17225-1

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