Korallenmond - Valentina May - E-Book
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Korallenmond E-Book

Valentina May

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Beschreibung

Glanz und Glück scheinen der Schmuckdynastie der Familie von Güldenstein aus dem Weserbergland sicher zu sein. Doch ein dunkles Ereignis aus der Vergangenheit droht alles zu zerstören... Die große Familien-Geheimnis-Saga für alle Fans von Lucinda Riley, Claire Winter und Jeffrey Archer Die Buchhändlerin Laura kommt auf das Schloss der von Güldensteins, um dort eine Ausstellung mitzuorganisieren - sie fühlt sich nicht wirklich wohl in ihrer Haut und der schillernden Welt der Güldensteins. Doch bei den Vorbereitungen trifft sie nicht nur den ebenso attraktiven wie arroganten Wissenschaftler Dr. John Lane, sie entdeckt auch ein Bündel alter Briefe und einen mysteriösen Korallenring. Gemeinsam mit John beginnt Laura Nachforschungen anzustellen und stößt bald auf ein tragisches, aber auch romantisches Familiengeheimnis... Die Novelle Korallenmond ist Teil der faszinierenden Familien-Geheimnis-Saga »Das Geheimnis der Güldensteins« und eignet sich ideal als Einstieg in die Serie.

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Inhalt

Cover & Impressum

1.

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1.

Würde er zurückkehren und bei ihr bleiben oder dem Ruf der rauen See folgen? Carmencita sah flehend aus feuchten Augen zu Antonio auf. Sein begehrlicher Blick drohte sie zu verbrennen. Gott, wie liebte sie diesen gut aussehenden, verwegenen Mann. Sie leckte sich über die Lippen. Der Pirat riss sie in die Arme und presste ein letztes Mal verlangend seine Lippen auf ihren Mund. An diesem Morgen würde er mit der Corazon, einem Dreimaster, auf und davon segeln, während sie die kommenden Monate damit verbringen würde, auf den Geliebten zu warten und sich nach ihm zu verzehren.

»Warte auf mich, mi pájarito.« Wenn er sie zärtlich »mein Vögelchen« nannte, schmolz sie jedes Mal dahin. Ihm gehörte ihr Herz, und sie würde ewig auf ihn warten. Traurig stand sie an der Kaimauer und winkte ihm nach, bis die weißen Segel der Corazon mit dem Horizont verschmolzen.

Was für ein Buch, und was für eine Liebe! Seufzend ließ Laura das Buch sinken. Wettergegerbtes Gesicht, Dreitagebart, dichtes schwarzes Haar und ein Charisma, das einen sofort einnahm. So stellte sie sich Antonio vor. Auf solch einen Mann wie ihn würde auch sie lange warten. Wenn es ihn doch nur in der Realität gäbe! Sie stellte das Buch zusammen mit den restlichen Neuerscheinungen aus dem Karton ins Regal. Die Bücher waren nach Autor, Thema und nach Größe sortiert. Kein Buchrücken durfte weiter hervorlugen als die anderen. Dazu nahm sie auch schon mal gern eine Wasserwaage zu Hilfe. Heute musste ein Lineal reichen.

Das schrille Klingeln des Telefons zerriss die Stille im Laden. Zehn vor eins. Sie hasste es, kurz vor der Mittagspause gestört zu werden. Wenn Thea im Laden bediente, zog Laura sich kurz vor dem mittäglichen Ladenschluss zurück, um in den Buchneuerscheinungen zu schmökern, bevor sie sie einsortierte. Heute war sie besonders begierig darauf gewesen, einen Blick auf die Neuerscheinungen zu werfen, weil sich unter ihnen der brandneue Roman Piratenherz ihrer Lieblingsautorin Carlotta Sognare befand.

Noch immer gefangen von den Zeilen des Romans, beschloss sie, den Anruf zu ignorieren. Außerdem war sowieso gleich Pause, und da hob niemand von ihnen ab. Es war ihr gleichgültig, dass die Läden ringsherum in der Bremer Innenstadt durchgehend geöffnet hatten.

»Mittags schließen? Du meine Güte, wie altmodisch!« Ihre Aushilfe Thea war da ganz anderer Meinung als sie. Die ungebundene Thea hatte ja auch niemanden zu versorgen. Keinen Partner, keine Kinder und auch kein Elternteil. Sollte sie Laura ruhig antiquiert nennen. Seitdem ihre Schwester Amelie das elterliche Haus verlassen hatte, aß Laura jeden Tag zusammen mit Vater zu Mittag. Damit er sich nicht so sehr allein fühlte. Und du auch nicht. Das solltest du nicht vergessen!

Seit der Trennung von Markus fiel ihr oft genug die Decke auf den Kopf. Ihr Ex-Freund, der Sportwissenschaften studierte, hatte im Sportladen gegenüber gejobbt. Jede Mittagspause hatten sie sich im kleinen Bistro um die Ecke getroffen, und jeden Abend hatten sie etwas unternommen. Vor einem Monat jedoch hatte er Bremen verlassen. Mit einer Physikstudentin, die ihm viel gebildeter erschien als Laura. Das schmerzte noch immer und hatte ihr Selbstbewusstsein angeknackst.

»Du bist zwar attraktiv, Laura, aber du langweilst mich. Du bist viel zu emotional, als dass ich mit dir über wirklich wichtige Themen sachlich diskutieren könnte.« Er war Geschichte und es nicht wert, dass sie noch einen Gedanken an ihn verschwendete. Doch Markus’ Worte hatten sich ihr ins Gedächtnis gebrannt. Gut, dass Amelie nichts von alldem wusste. Sie hatte genug Sorgen.

Das Telefon schrillte penetrant weiter. Vielleicht ein Kunde, der etwas bestellen wollte. Oder gab es wieder einen Vorfall mit Vater? Erst neulich hatte er den Wohnungsschlüssel vergessen und war völlig kopflos zu einem Nachbarn gerannt. Ihrem Bauchgefühl folgend, atmete sie tief durch und hob ab.

»Buchhandlung am Markt, Laura Stolze am Apparat«, leierte sie herunter.

»Hallo Laura«, hörte sie ihre Schwester am anderen Ende.

»Lie, was für eine Überraschung! Wir haben wirklich schon lange nichts mehr voneinander gehört. Wie geht es euch?«

Seitdem ihre Schwester Baronin von Güldenstein war, sahen sie sich nicht mehr so oft. Leider waren auch die Telefonate seltener geworden. Als gefragte Designerin blieb Amelie kaum Zeit für einen Besuch im Elternhaus. Und Laura drückte sich vor den Besuchen auf Güldenstein, weil sie sich in dem riesigen Schloss verloren fühlte. Es wäre ihr peinlich, sich wieder zu verlaufen. Außerdem störte es sie, dass sich alle Gesprächsthemen nur um Schmuck oder den Güldenstein-Fluch drehten. Wenn Laura hingegen über Bücher und Schriftsteller sprechen wollte, schien das niemanden zu interessieren, und die Unterhaltung verlief im Sande.

»Es geht uns gut. Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden. Ich brauche dringend deine Hilfe.«

Es ärgerte Laura, dass ihre Schwester sie meistens nur aus diesem Grund anrief. Früher hatten sie auch wegen Belanglosigkeiten und weil sie sich nach der Schwester sehnten miteinander telefoniert. Während Amelies Ausbildung in Pforzheim war zwischen ihnen eine Distanz entstanden. Laura vermisste die einstige Innigkeit und dass sie sich gegenseitig alles anvertraut hatten. Deshalb war sie manchmal auf Amelies Freundin Tilda eifersüchtig gewesen, mit der ihre Schwester vieles geteilt hatte, wie ihre heimliche Liebe zu Christian.

»Ach so«, antwortete sie enttäuscht. »Wobei denn?« Amelie würde sie doch nicht etwa bitten, nach Güldenstein zu kommen?

»In drei Wochen findet unsere alljährliche Schmuckpräsentation auf Güldenstein statt. Eva geht es wieder schlechter, und da dachte ich …« Ihre Befürchtung, dass sie zum Palais reisen sollte, bewahrheitete sich. Laura stöhnte innerlich auf.

»Mensch, Lie, ich habe doch keinen blassen Schimmer von Schmuck. Außerdem weißt du doch, dass ich mich auf Güldenstein nicht wohlfühle. Schlösser sind mir einfach eine Nummer zu groß und zu alt.«

Beim letzten Besuch hatten sie auch zusammen für eine Präsentation dekoriert. Dabei war Laura ein Ring aus den Händen geglitten, und beim Aufprall auf dem Boden war der Rubin aus der Fassung gesprungen. Sie war niemand, der unter Zeitdruck arbeiten konnte. Amelies entsetzte Miene und den anschließenden Streit hatte sie nicht vergessen können. Danach hatte zwischen ihnen wochenlang Funkstille geherrscht, bis sie sich endlich wieder versöhnt hatten.

»Du bräuchtest nur die Gäste zu empfangen und in den Saal zu führen. Vielleicht noch ein kleiner Handgriff hier und da. Mehr nicht.«

Gäste empfangen! Small Talk war erst recht nicht nach ihrem Geschmack. Aber Laura wollte Amelie nicht verletzen. Deshalb zögerte sie.

Amelie entging das nicht. »Du hast mir doch versprochen, mich zu unterstützen, wenn ich Hilfe brauche. Ich dachte, ich kann mich darauf verlassen.«

Als Schwestern müsst ihr zusammenhalten. Jede hilft der anderen, das macht eine Familie aus, erinnerte Laura sich an Mutters Worte. Sicher würde sie sich das ewig vorwerfen, wenn sie jetzt Amelies Bitte nicht nachkam. Nur fiel es ihr schwer.

»Ich müsste meinen Laden schließen …«, startete sie einen weiteren Versuch.

»Papa hat mir gesagt, dass du eh ein paar Tage Urlaub im Herbst machen wolltest. Die könntest du doch bei uns verbringen.«

Es ärgerte Laura, dass ihr Vater Amelie davon erzählt hatte, obwohl es noch nicht spruchreif war.

»Ja schon, hatte ich vor. Aber ich kann doch nicht so einfach schließen, wie ich dachte«, log sie und verspürte ein schlechtes Gewissen.

»Musst du doch nicht. Was ist denn mit Thea? Die hat doch beim letzten Mal die Vertretung übernommen. Bitte, Laura, ich brauche dich hier wirklich dringend.«

Nur zu gut erinnerte Laura sich daran, dass sie in den Tagen nach der letzten Buchmesse ihrer Schwester vorgeschwärmt hatte, wie gut ihre Aushilfe Thea alles bewältigt hatte. Dafür könnte sie sich jetzt ohrfeigen.

»Und Papa? Um ihn muss ich mich doch auch kümmern«, startete sie einen letzten Versuch.

»Ich rede mit ihm. Im Notfall kommt er mit, und Flavio kümmert sich um seinen Laden.«

In Vater hätte Laura also keine Unterstützung. Sicher würde er sich auf einen Besuch im Palais freuen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als nachzugeben.

»Okay, okay. Wann brauchst du meine Hilfe?«

»Es wäre toll, wenn du bereits Montag zu uns kommen könntest.«

Das war ja schon in vier Tagen! Wie stellte Amelie sich das vor? Sie musste einige Vorbereitungen treffen, mit Thea reden und alles organisieren.

»Das geht mir jetzt zu schnell.«

»Ja, aber unser Event lässt sich nicht mehr verschieben, die Einladungen sind längst raus. Drei Servicekräfte haben abgesagt! Es wäre doch nur für zwei, drei Tage.« Tage, an denen nur über Schmuck geredet würde. Tolle Aussichten!

»Diesmal ist auch ein Freund zu Besuch, der deine Buchleidenschaft teilt«, ergänzte Amelie verheißungsvoll.

Das nicht auch noch! Amelie wollte sie doch nicht etwa wieder verkuppeln.

»Aber nicht wieder dieser Karsten, oder?«

Beim letzten Besuch hatte sie neben ihm gesessen. Er war ein ehemaliger Studienkollege Christians, der den ganzen Abend nur über Fußballbücher geredet hatte. Das war fast genauso schlimm gewesen wie das Fachsimpeln über Schleiftechniken von Edelsteinen.

»Nein, keine Sorge. Er ist Historiker, sieht gut aus und ist sehr charmant. Du wirst ihn bestimmt mögen.«

»Also gut, aber nur wenn Thea mich vertreten kann.«

»Einverstanden«, erklärte Amelie.

2.

Der VW-Beetle tuckerte gemütlich die Landstraße entlang, die zum Palais Güldenstein führte. Die hohen Absätze von Lauras Schuhen waren beim Fahren recht hinderlich, sodass sie lieber langsam fuhr.

Die Landstraße führte in vielen Kurven am Waldrand entlang, vorbei an gelbblühenden Senffeldern, deren würziger Duft durch das geöffnete Fenster drang. Die Luft war noch feucht vom letzten Regen. Viele Bäume hatten ihr buntes Laub bereits abgeworfen, das wie ein Teppich ihre Wurzeln bedeckte. Als Kinder hatten Amelie und sie Kastanien und Eicheln gesammelt und sie zur Wildstation gebracht oder Figuren daraus gebastelt. Pures Landleben. Natur und Erholung. Laura seufzte wohlig. Die Gegend mit den sanften Hügeln und den Fachwerkhäusern, eingebettet zwischen Wiesen und Feldern, gefiel ihr. Das laute Motorengeräusch hinter ihr störte jedoch die Idylle. Im Rückspiegel sah sie einen Sportwagen, der mit rasanter Geschwindigkeit näherkam. Diese Straße führte nur zum Palais. Der Raser mit dem protzigen Wagen war sicher einer dieser wichtigen Edelsteinhändler. Bereits nach zwei Kurven hatte er sie fast eingeholt. Laura blickte in den Rückspiegel. Vorn verengte sich die Straße und ließ kein Überholmanöver zu. Der Sportwagen blinkte auf. Sie fuhr zu selten und war daher keine sichere Fahrerin. Das Gedrängel des Rasers machte sie nervös. So sehr, dass sie fast die Tauben vor ihr auf der Straße übersehen hätte, die in aller Gemütsruhe auf dem Asphalt herumtrippelten. Laura besaß ein Herz für Tiere und drosselte das Tempo. Vielleicht würden sie verschwinden, wenn sie näherkam. Stattdessen landeten zwei weitere Tauben. Jetzt hupte der Raser wie wild. Plötzlich flatterten die Vögel hoch und flogen nicht zur Seite aufs Feld, sondern direkt auf ihre Windschutzscheibe zu. Erschrocken trat sie mit voller Wucht auf die Bremse. Keines der Tiere sollte sterben. Sie atmete auf, als der Wagen rechtzeitig zum Stehen kam und die Tauben sicher über ihr im Geäst der Bäume landeten. Gleich darauf vernahm sie hinter sich lautes Bremsenquietschen. Im Rückspiegel sah sie, wie der silbergraue Sportwagen sich bedrohlich ihrem Heck näherte. Ihre Beine zitterten so stark, dass sie den Gang nicht rechtzeitig einlegen konnte, um vorzufahren. Doch der befürchtete Aufprall blieb zum Glück aus. Im Spiegel sah sie, wie der Fahrer mit grimmiger Miene ausstieg. Er riss ihre Wagentür auf und funkelte sie wütend an. »What the hell!«, brüllte er sie an, bevor er mit leichtem Akzent fortfuhr: »Weshalb haben Sie gebremst? Es gab keinen Grund. No reason!« Was bildete der Kerl sich eigentlich ein? Nicht nur, dass er sie einfach anbrüllte, er benahm sich, als würde die Straße ihm gehören. Ihr Blick glitt flüchtig über ihn. Sein Alter war schwer zu schätzen, maximal zehn Jahre älter als sie, vielleicht aber auch nicht. Er war sehr gepflegt. Lockiges, braunes Haar umrahmte sein gut geschnittenes Gesicht. Seine Kleidung, bestehend aus Jeans, einem karierten Hemd und einer Wildlederjacke trug das Emblem einer exklusiven Designermarke. Besonders beeindruckend wären seine aquamarinblauen Augen gewesen, würden die sie nicht so überaus arrogant taxieren.

»Ich musste bremsen! Haben Sie denn nicht die Tauben auf der Straße gesehen, die mir dann auch noch wegen Ihres dämlichen Gehupes fast gegen die Windschutzscheibe geklatscht wären?«

»Wegen der silly Tauben? Fuck! Ich wär fast bei Ihnen draufgeknallt!« Wütend tippte er sich an die Stirn.

»Sind Sie zum Glück aber nicht. Was regen Sie sich so auf? Seien Sie lieber froh, dass nichts passiert ist! Ein Auffahrunfall wäre Sie teuer zu stehen gekommen.« Sie zeigte auf das halbe Dutzend Vögel, das jetzt gurrend auf dem Ast über ihnen saß.

»Eher träfe Sie die Schuld wegen Ihrer unmotivierten Bremserei.« Er schien um Fassung zu ringen. Offensichtlich besaß er kein Herz für Tiere. Und ein wenig mehr Freundlichkeit hätte ihm besser zu Gesicht gestanden.

»Ich jedenfalls rase nicht die Straße entlang wie Sie, ohne Rücksicht auf Lebewesen!«

Seine Augenbrauen zogen sich drohend zusammen.

»Lächerlich! Ihr Schneckentempo ist eine Zumutung, und am Crash wären allein Sie schuld gewesen!«

Was spielte der sich nur so auf?

Laura schnaubte verächtlich. Dieser Kerl war einfach nur unverschämt.

»Jetzt lassen Sie mich wenigstens vorbei, ich habe es nämlich eilig.« Nach diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und lief zu seinem Wagen zurück, während Laura empört nach Luft schnappte. Das war doch der Gipfel an Unverschämtheit! Nicht nur, dass er behauptete, sie hätte sich falsch verhalten, sein arroganter Tonfall stellte eine Provokation dar. Mit eindeutigen Gesten bedeutete er ihr, an den Straßenrand zu fahren, damit er vorbeikonnte. Laura schloss betont langsam ihre Fahrertür und setzte sich zurecht, ehe sie den Motor wieder anließ. Als er hupte, wirbelte sie zu ihm herum. »Schnecken sind eben nicht schneller«, rief sie ihm grinsend zu. Sie lenkte ihren Wagen an den Straßenrand und sah ihm kopfschüttelnd nach, als er an ihr vorbeibrauste.

3.

Das imposante Palais G?ldenstein verschlug Laura wie jedes Mal, wenn sie hier ankam, den Atem. Der Herbst hatte den an der Fassade rankenden Wein blutrot gef?rbt. Schie?scharten in einer Mauer und der im Keller befindliche Kerker der ehemaligen Burg, auf der der Ahnherr derer von G?ldenstein das Schloss hatte errichten lassen, lie?en Laura schaudern. Auf diesen Mauern lastete ein Fluch, der das Schicksal der Familie bestimmte. Als sie zum Himmel aufblickte, schob sich gerade eine graue Wolke vor die Sonne. Die hellen Mauern verloren ihr Strahlen. Ein schlechtes Omen? Laura konnte nicht verstehen, was ihre Schwester an diesem Palais derart faszinierend fand, dass sie sich mit Christian entschieden hatte, hier zu leben. Auch wenn Amelie nicht oft ?ber den Fluch sprach, sp?rte Laura dennoch ihre Furcht, besonders dann, wenn ihre Schwester sich um Christian sorgte. Einmal hatte ihr Schwager sich von einer Gesch?ftsreise au?ergew?hnlich versp?tet. Weil er auf seinem Handy nicht erreichbar gewesen war, hatte Amelie sie v?llig aufgel?st nachts angerufen und immer wieder von diesem Fluch geredet und behauptet, Christian k?nne ihm zum Opfer fallen.

Die dunkle Wolke zog weiter, und die Messingkn?ufe der Tore und T?ren leuchteten auf und lie?en das Palais wie ein verwunschenes M?rchenschloss aus einem Fantasy-Roman erscheinen.

Amelie holte sie wieder in die Gegenwart zur?ck, als sie die wenigen Stufen des Haupteingangs hinunter auf sie zueilte. Wie elegant ihre Schwester wieder aussah in dem dunkelblauen Hosenanzug. Sicher eine Ma?anfertigung. Die hochhackigen Pumps in der gleichen Farbe und die zart lachsfarbene Bluse sowie das darauf abgestimmte dezente Make-up standen ihr vorz?glich. Das Haar der Schwester, das sie sonst offen trug, war zu einem Dutt hochgesteckt. Sie wirkte so verdammt perfekt und selbstsicher, dass Laura sich dagegen trotz ihres neuen Sommerkleides unscheinbar vorkam. Nur eine widerspenstige Str?hne, die sich aus Amelies Haarknoten gel?st hatte, zeigte, dass eben doch nicht alles so perfekt war, wie es schien.

Amelies L?cheln war wie immer liebevoll. ?Laura, Liebes.? Die Schwester dr?ckte sie an sich und gab ihr einen herzhaften Kuss auf die Wange. ?Danke, dass du gekommen bist.? Als sie sich voneinander l?sten, schimmerte es feucht in Amelies Augen. Sie sah blass aus, und schmaler geworden war sie auch seit dem letzten Besuch.

?Schon gut, habe ich doch gern gemacht. Du bist d?nn wie ein Spaghetti. So viel Stress?? Laura sah sie besorgt an.

Tr?nen schimmerten in Amelies Augen, dass sich Lauras Kehle zusammenzog. War es nur der Stress, oder bedr?ckte sie der mehr, als sie zugeben wollte? Fr?her h?tte sie die Schwester gleich darauf angesprochen. Doch die Distanz zwischen ihnen lie? sie lieber auf eine g?nstigere Gelegenheit warten.

?Ja, der Stress. Erz?hl mir lieber, wie deine Fahrt war.?

?Alles bestens, bis auf ?? Laura brach ab, noch immer w?tend ?ber das Verhalten des Fremden von vorhin.

?Bis auf was??, hakte Amelie sofort ein. In wenigen S?tzen berichtete Laura ihr von dem Vorfall.

?Die Beschreibung k?nnte auf mehrere M?nner zutreffen. Wir haben einige G?ste mit Sportwagen. An die Marke kannst du dich nicht mehr erinnern??

Laura sch?ttelte den Kopf. Sie hatte sich nie sonderlich f?r exklusive Wagenmarken interessiert.

?Hm, sobald du ihn siehst, gibst du mir ein Zeichen. Dann kn?pfe ich mir den Kerl vor. Aber jetzt bringe ich dich erst mal auf dein Zimmer. Nach dem Dinner sollten wir dann die Aufgaben besprechen, ja??

Dinner hatte Amelie gesagt. Das h?rte sich wieder hochtrabend an. Abendessen hatte ihre Schwester es immer zu Hause genannt, aber das hatte sie wohl vergessen. Wahrscheinlich wurde in gehobenen Kreisen so gesprochen. Obwohl Amelie ihr vertraut war wie keine andere, war sie ihr fremd geworden.

 

Laura bekam das gleiche Zimmer wie immer, sehr geschmackvoll eingerichtet mit dem breiten Himmelbett und der Korbsesselgruppe neben dem Fenster. Das angrenzende Bad mit seinen blau-wei?en Fliesen und den maritimen Motiven darauf wirkte verspielt. So wie Laura es liebte. Jede Dekoration war liebevoll ausgesucht, wie die echten Muscheln und getrockneten Seesterne an den W?nden. Von solch einem Bad hatte Laura immer getr?umt. Aber als Buchh?ndlerin verdiente sie nicht genug, um sich so etwas leisten zu k?nnen.

Bis zum Dinner blieb ihr noch eine Stunde. Zeit genug, um in den B?chern zu st?bern.

Lieber w?re Laura lesend auf dem Zimmer geblieben, als mit Wildfremden irgendwelchen Small Talk zu halten. Aber das h?tte ihre Schwester ihr ?bel genommen.